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13 ... Länder, aus denen die Wissenschaftler kommen 106 ... Wissenschaftler sind Mitglieder im SFB779 2008 ...ging der SFB an den Start. 15 ... Institute der OVGU, LIN und DZNE sind am SFB 779 beteiligt. Mit ca. 15 Mio. ... wurde der SFB bisher von der DFG gefördert. Neurobiologie motivierten Verhaltens gefördert durch die www.sfb779.de SFB 779 NEUROBIOLOGIE MOTIVIERTEN VERHALTENS

106 13 15 · 4 Vorwort Motivation – ein Wort in unser aller Munde, handelt es sich doch um jene rätselhafte Kraft, die unser bewusstes Handeln an-treibt, uns zwischen Alternativen

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13... Länder, aus denen dieWissenschaftler kommen

106... Wissenschaftler sindMitglieder im SFB779

2008...ging der SFB an den Start.

15... Institute der OVGU, LIN

und DZNE sind am SFB 779beteiligt.

Mit ca.

15 Mio. €... wurde der SFB bisher von

der DFG gefördert.

Neurobiologie motivierten Verhaltens

gefördert durch diewww.sfb779.de

SFB

779

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Streiflichter aus dem Magdeburger Sonderforschungsbereich

„Neurobiologie motivierten Verhaltens“

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 4Wissenswertes zum SFB779 5Der SFB-Nachwuchs 8Konferenzen und Meetings 10Fachbegriffe und Abkürzungen 12

Aufgepasst! Hängen Aufmerksamkeit und Belohnung zusammen? 14Wie gelähmt – Hilfe für Parkinson-Patienten 16ADHS: Wann geht Lernen leichter? 18Lernen ohne Verstehen? 20Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt - bipolare Störungen im Fokus 22Können wir Parkinson früher erkennen? - ein neuer Ansatz mit Ultrahochfeld-MRT 24Gibt es Lern-Gene? 26Lernen mit Aha-Effekt 28Draht im Kopf – auf der Suche nach neuen Parkinson-Therapien 30Die Habenula: eine kleine Struktur „zügelt“ motiviertes Verhalten 32

Wie Sinne und Werte im Gehirn zusammenwirken 34Vom Hören zum Handeln 36Interneurone als zelluläre Schalter für das Gedächtnis 38Wie entsteht Furcht? 40Auf dem Jacobsweg 42Plastische Synapsen: Lernen mit und ohne „Fagott“ 44Kleine Tiere mit großem Gedächtnis: Wie sich Fliegen Düfte merken 46Von Furcht, Sicherheit und Erleichterung 48Umlernen durch Umbauen: Befreiung aus der Matrix 50

Impressum 52Bildnachweis 52

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Vorwort

Motivation – ein Wort in unser aller Munde,handelt es sich doch um jene rätselhafteKraft, die unser bewusstes Handeln an-treibt, uns zwischen Alternativen wählenlässt und ganz allgemein eine „Führungs-rolle“ bei unserer Lebensplanung einnimmt.

Aber wie genau funktioniert das eigentlich?Wo kommen Motivationen her, durch welcheFaktoren werden sie erzeugt, erhöht oderverringert? Diese und viele weitere Fragenstehen im Zentrum der Forschungsarbeitendes von der Deutschen Forschungsgemein-schaft (DFG) geförderten Magdeburger Son-derforschungsbereiches (SFB 779) „Neuro-biologie motivierten Verhaltens“.

Während psychologische Theorien zumThema Motivation eine Jahrhunderte langeGeschichte haben, ist die Erforschung derHirnmechanismen, die Motivation zu Grun-de liegen, noch relativ jung. Der SFB 779erforscht die neuronalen Grundlagen moti-vationsabhängiger und motivationssteuern-der Prozesse mit einem interdisziplinärenAnsatz. Hierbei werden die zueinander kom-plementären Vorteile der Forschung anMenschen und Tieren genutzt, um ein ver-tieftes Verständnis der Hirnfunktionen zu er-halten, die Motivationsprozessen zu Grundeliegen. Der SFB 779 zielt dabei auf ein klas-sische Fachdisziplinen übergreifendes Ver-ständnis der Neurobiologie motivierten Ver-haltens, das die molekularen, zellulären,systemphysiologischen und verhaltensphy-

siologischen Ebenen genauso umfasst wiedie klinischen Aspekte der Motivations-steuerung. Die für diese Breite notwendigeInterdisziplinarität gewinnt der SFB 779durch die Mitarbeit von Forschern aus derFakultät für Naturwissenschaften und derFakultät für Medizin der Otto-von-Guericke-Universität sowie aus dem Leibniz-Institutfür Neurobiologie (LIN, Zentrum für Lern-und Gedächtnisforschung) und dem Deut-schen Zentrum für neurodegenerative Er-krankungen (DZNE, Standort Magdeburg).

Diese kleine Broschüre soll Ihnen einen kur-zen Überblick über die im SFB 779 vertrete-nen Forschungsprojekte geben. Alle For-scher und Mitarbeiter des SFB 779 dankenIhnen für Ihr Interesse und wünschen Ihnenviel Freude und motiviertes Erleben bei derLektüre.

Prof. Frank W. OhlSprecher des SFB 779(www.sfb779.de)

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Wissenswertes zum SFB 779

Was ist ein Sonderforschungsbereich?

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft(DFG) unterstützt exzellente Forschung anden Universitäten und Hochschulen, aberauch an außeruniversitären Forschungsein-richtungen.

Sonderforschungsbereiche sind von derDFG geförderte Forschungseinrichtungender Hochschulen auf Zeit. Sie werden vonnationalen und internationalen Fachkolle-gen begutachtet und können bis zu 12 Jahre

gefördert werden. Darin arbeiten Wissen-schaftler und Wissenschaftlerinnen über dieGrenzen ihrer jeweiligen Fächer, Institute,Fachbereiche und Fakultäten hinweg an ei-nem übergreifenden und wissenschaftlichexzellenten Forschungsprogramm zusam-men.

In Sonderforschungsbereichen können be-sonders innovative, anspruchsvolle, auf-wendige und langfristig konzipierte For-

schungsvorhaben bearbeitet werden, indemdie Mittel besonders konzentriert und koor-diniert eingesetzt werden.

Der Magdeburger SFB „Neurobiologie moti-vierten Verhaltens“ wurde im Jahr 2008 als779. in der Geschichte der SFBs bewilligt.

Mehr Infos: www.dfg.de/foerderung/programme/koordinierte_programme/sfb/

Seit wann gibt es neurowissenschaftliche Forschung in Magdeburg?

Die Wurzeln der Neurowissenschaften inMagdeburg reichen zurück in die 1960erJahre, als unter Professor HansjürgenMatthies, dem Nestor der Neurowissenschaftin der DDR, ein neurobiologischer Schwer-punkt entstand, der zunächst am Institut fürPharmakologie und Toxikologie und späterauch am Biologischen Institut der damali-gen Medizinischen Akademie angesiedeltwar und seit den 1980er Jahren im ehemali-

gen Institut für Neurobiologie und Hirn-forschung, dem Vorläufer des heutigenLeibniz-Institutes für Neurobiologie (LIN)beheimatet war.

Nach der deutschen Wiedervereinigung ent-stand durch Fokussierung der Forschungam LIN und an der Otto-von-Guericke-Universität sowie durch die Gründung desMagdeburger Standortes des Deutschen

Zentrums für Neurodegenerative Erkran-kungen (DZNE) ein leistungsstarker Neuro-forschungsschwerpunkt. Das Center forBehavioral Brain Sciences (CBBS) fungiertals Dachorganisation der MagdeburgerNeurowissenschaftler und vereint gegen-wärtig 85 Mitglieder.

Mehr Infos: www.cbbs.eu

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Wissenswertes zum SFB 779

Wie untersucht man motiviertes Verhalten?

Wer etwas tun will, muss dazu motiviertsein. Aber Motivation ist nicht immergleich – sie kann von der Tagesform ab-hängen, durch Schwarzseher zunichte ge-macht werden oder uns plötzlich dazu trei-ben, verrückte Dinge zu tun. Wie kann manso eine komplexe Sache wissenschaftlichuntersuchen?

Dafür werden Spezialisten ganz unter-schiedlicher Fachdisziplinen gebraucht:Psychologen und kognitive Neurowissen-

schaftler testen die Motivation von Proban-den bei neuropsychologischen Aufgabenund registrieren dabei die Hirnaktivierungs-muster, Neurologen und Psychiater arbeitenmit Patienten, die unter Störungen in ihremMotivationssystem leiden, Genetiker suchennach vererbbaren Unterschieden, Verhal-tensbiologen studieren die Motivation beitierischen Versuchsteilnehmern, Neuro-physiologen messen die elektrische Aktivi-tät von einzelnen Nervenzellen oder ganzenHirnregionen, Pharmakologen testen die

Wirkung von Aktivatoren und Hemmstoffender hirneigenen Belohnungssysteme, Bio-chemiker analysieren Änderungen in derProteinzusammensetzung des Gehirns beimotiviertem Lernen und Molekularbiologenentschlüsseln die Funktion einzelner Mole-küle in den Nervenzellen des Gehirns. Alldiese Spezialisten forschen gemeinsam un-ter dem Dach des SFB779.

Mehr Infos: www.sfb779.de

Hoch motiviert: die Mitglieder des Magdeburger SFB779.

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Wissenswertes zum SFB 779

Wofür ist diese Forschung gut?

Wir leben in einer wissensbasierten Ge-sellschaft. Lernen hört nicht mit dem Schul-abschluss auf, sondern begleitet uns durchBerufsausbildung oder Studium, Qualifizie-rungsmaßnahmen, Umschulungen und Wei-terbildungen. Auch vor dem Alter macht esnicht halt: Seniorenkurse an den Volkshoch-schulen, Studieren ab 50 an den Univer-sitäten oder Internet- und Smartphone-Workshops für Ältere sind so gefragt wie niezuvor, weil aktive Teilhabe am gesellschaft-lichen Leben eben ständiges Lernen voraus-

setzt. Gleichzeitig diskutiert unsere Gesell-schaft intensiv über Bildungsmodelle: Wiemuss Lernen organisiert werden, um maxi-male Erfolge zu ermöglichen? Sind Block-kurse besser als Einzelstunden, bringenProjektarbeiten mehr als Frontalunterricht,und wie ändern sich unser Lernvermögenund unsere Motivierbarkeit im Alter? Unsere Forschung trägt dazu bei, von einerneurobiologischen Perspektive aus idealeLernbedingungen zu finden, in denen dieMotivation der Lernenden berücksichtigt

wird und lebenslanges Lernen besser gelin-gen kann.

Auch Patienten, die unter Störungen derMotivation leiden, wie z.B. Depressive, aberauch Kinder und Jugendliche mit ADHS oderParkinson-Patienten können langfristig ge-sehen von der wissenschaftlichen Arbeit imSFB profitieren, weil jede neue Erkenntnisüber die neurobiologischen Ursachen dieserStörungen ein Puzzlestein auf dem Weg zubesseren Behandlungsmöglichkeiten ist.

Angeborene Neugier: jüngste Besucherinnen des SFB zur „Langen Nachtder Wissenschaft“

Wie lernt der Mensch im Alter?

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Der SFB-Nachwuchs

Wissenschaftliche Heimat auf Zeit: der Nachwuchs im SFB

In den wissenschaftlichen Teilprojekten desSonderforschungsbereiches sind über 50Doktoranden beschäftigt. Sie kommen ausüber zehn Ländern der Erde und haben inMagdeburg ihre wissenschaftliche Heimat aufZeit gefunden – gute Arbeitsbedingungen,ausgezeichnete Infrastruktur und ein kreati-ves und interdisziplinäres Umfeld von denNeurowissenschaften, der Psychologie und

Biologie bis hin zur Medizin. Zusätzlichwerden die Promovierenden auch in einemGraduiertenkolleg gezielt gefördert, um alle fürdie spätere wissenschaftliche Unabhängig-keit nötigen Kenntnisse zu bekommen undPerspektiven für die Zukunft kennenzuler-nen. Dazu gehören Schulungen von Schlüs-selqualifikationen: Wie werbe ich Drittmittelfür meine Forschung ein? Wie funktioniert

gute Wissenschafts-PR? Was bedeutet For-schung im gesellschaftlichen und europäi-schen Kontext? Wie manage ich ein wissen-schaftliches Projekt und wie bekomme ichmeinen „inneren Schweinehund“ in den Griff?Zum wissenschaftlichen Austausch treffensich die jungen Wissenschaftler in Kollo-quien, Seminaren und Vorlesungen und ver-anstalten Klausurtagungen.

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Der SFB-Nachwuchs

Konferenz bei Eis und Schnee: in Klausur in Wernigerode

Doktorhut und Baby: Anton Ilango mit Doktorvätern Scheich, Wetzel und Ohl und mit seiner Familie.

Spürte molekularen Effek-ten von genetischer Vielfaltnach: Xenia Gorny

Ab jetzt Doktor:Jeffrey Lopez aus Kuba.

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Konferenzen und Meetings

Internationale Lern- und Gedächtnisforscher treffen sich in Magdeburg

Wissenschaftliche Forschung lebt vom Aus-tausch mit Fachkollegen. Die MagdeburgerLern- und Gedächtnisforscher können mitihrer Konferenzreihe „Learning andMemory“ auf eine lange Traditionzurückblicken: Bereits 1967 fand das erste Sympo-sium dieser Art mit internationalemPublikum in Magdeburg statt. Für dasFachgebiet der Neurowissenschaftenwar das somit eine der weltweit erstenKonferenzen, die bis in die heutige Zeitgroße Attraktivität für die wissen-schaftliche Gemeinschaft besitzt. Siefindet nur alle fünf Jahre statt und gibtden Magdeburger Wissenschaftlern und

Studenten die Möglichkeit, die Fortschritteder Forschung mit den internationalen Kol-legen zu diskutieren und neue Zusammen-

arbeiten anzubahnen. Bereits zum 13. Maltagten im Februar 2015 im MagdeburgerHerrenkrug-Hotel Lern- und Gedächtnisfor-

scher aus nah und fern. Thematischumfasste das Symposium mit über150 Teilnehmern alle Aspekte moder-ner Lernforschung von molekularenund zellulären Grundlagen bis hin zuVerhaltensforschung, Psychologie undkrankhaften Veränderungen im Gehirn,die zum Beispiel zu Alzheimer oderanderen Demenzerkrankungen führen.Auch der Einfluss von Motivation undAufmerksamkeit auf Lernprozesse so-wie verschiedene Formen der lernre-levanten Hirnplastizität wurden in die-

György Buzsáki hält die Matthies-Ehrenvorlesung.

Teilnehmer des XIII. Learning&Memory-Meetings im Magdeburger Herrenkrug im Februar 2015

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Konferenzen und Meetings

sem Rahmen diskutiert. Die Matthies-Vor-lesung zu Ehren des Nestors der Lern-forschung in Magdeburg, Prof. HansjürgenMatthies, hielt der international renommier-te ungarische Neurowissenschaftler GyörgyBuzsáki aus New York, der sich in seiner

Rede noch gut an seinen ersten Besuch aufder Magdeburger Konferenz im Jahr 1980erinnerte.

Den Auftakt der Konferenz bildete ein Vor-trag für die Magdeburger Bürger: unter dem

Titel „Wie lernt der Mensch heute?“ berichteteder bekannte Neurobiologe und BuchautorMartin Korte aus Braunschweig, wie LernenSpaß machen kann und was sich beim Älter-werden im Gehirn abspielt.

Gespannte Aufmerksamkeit: Unter dem Titel „Wie lernt der Mensch heute? Anmerkungen einesHirnforschers“ spricht Martin Korte über den Spaß beim Lernen.

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Fachbegriffe und Abkürzungen

Motivation:Triebkraft des Handelns, die durch Abwä-gung von erwartetem Gewinn oder Verlust,Belohnung oder Bestrafung, zielgerichtetesHandeln möglich macht

Kognitive Prozesse:Denkprozesse im Gehirn, die eine höhereEbene der Verarbeitung benötigen. Dazuzählen Lernen, Erinnern, Problemlösung,Kreativität u.v.m.

Episodisches Gedächtnis:Gedächtnis über persönliche Erlebnisse; auto-biografische Erinnerungen, die eine „mentaleZeitreise“ erlauben

Semantisches Gedächtnis:Gedächtnis über Fakten, sogenanntes„Weltwissen“

***

Nichtinvasive Bildgebung: Mittels Kernspintechnik, Röntgenstrahlungoder Ultraschall werden Bilder vom Innerndes Körpers erfasst, ohne dabei in denKörper einzudringen

Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebendes Verfahren, das auf der Ver-teilung von Wasserstoffkernen im Körperberuht und sowohl strukturelle als auchfunktionelle Aktivitätskarten (fMRT) des Ge-hirns liefert.

Vorteil: hohe räumliche Auflösung; Nachteil:geringe zeitliche Auflösung

MR-Spektroskopie: Verfahren zur Ermittlung von biochemischenSubstanzen wie z.B. Botenstoffen in einzel-nen Gehirnarealen von Patienten und Prob-anden

***

Elektrophysiologie:Verfahren zur Messung der elektrischenAktivität von einzelnen Nervenzellen oderganzen Neuronennetzwerken mittels Elek-troden oder Sensoren

Elektroenzephalographie (EEG): Messung der Hirnströme über Elektrodenauf der Schädeloberfläche; Vorteil: hohezeitliche Auflösung; Nachteil: geringe räum-liche Auflösung

Magnetoenzephalographie (MEG): Messung der Veränderung kleinster magne-tischer Felder in der Hirnrinde mit hoherzeitlicher und guter räumlicher Auflösung

Langzeitpotenzierung:lang anhaltende Verstärkung der elektri-schen Kommunikation von Nervenzellendurch elektrophysiologische Stimulation

Tiefenhirnstimulation:Schrittmacher-gesteuerte elektrophysiologi-

sche Stimulation von Hirngebieten bei neu-rologischen Patienten, insbesondere beimMorbus Parkinson, mit Tiefenhirnelektroden

***

Morbus Parkinson: Neurodegenerative Erkrankung, bei derdopaminerge Nervenzellen im Mittelhirn ab-sterben. Dies führt zu Störungen der Moto-rik, was die typischen Symptome wie ver-langsamte Bewegungen, Muskelstarre undMuskelzittern hervorruft.

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS): Verhaltensstörung bei Kindern und Jugend-lichen, bei der besonders die Aufmerksam-keit und Impulsivität betroffen sind.

Bipolare Erkrankung:Psychische Störung, bei der die Patientenzwischen manischen und depressiven Epi-soden hin- und herpendeln

Prodromalmarker:frühe Symptome, die den Ausbruch einerKrankheit anzeigen können

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Synapsen:kommunikative Verbindungen zwischen Ner-venzellen, an denen Signale durch Boten-stoffe übertragen werden. Sie bestehen aus

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Fachbegriffe und Abkürzungen

Präsynapse (Sender), synaptischem Spaltund Postsynapse (Empfänger)

BDNF:engl.: Brain-derived neurotrophic factor, einProtein, was die Entwicklung des Nerven-systems sowie Lern- und Gedächtnispro-zesse an den Synapsen beeinflusst

GABA:Gamma-Aminobuttersäure, der wichtigsteinhibitorische Botenstoff im Gehirn

Interneurone:wichtige Schalter-Zellen, die die Aktivitätvon ganzen Gruppen von Neuronen dämp-fen können und somit zum Gleichgewichtvon Erregung und Hemmung im Gehirn bei-tragen

Dopamin:ein modulierend wirkender Botenstoff imGehirn, der an der Verarbeitung von Motiva-tion, Belohnung, Neuheit und Bewegung be-teiligt ist

Bassoon:(engl. für Fagott); ein Protein, was in denPräsynapsen der Nervenzellen an der Frei-setzung der Botenstoffe beteiligt ist. Eswurde in Magdeburg entdeckt.

Jacob:ein ebenfalls in Magdeburg identifiziertesProtein, was in den Neuronen des Gehirns

als Bote zwischen Synapsen und Zellkernfungiert

Gliazellen:zahlenmäßig größte Gruppe von Zellen imGehirn; Gliazellen feuern zwar keine Aktions-potenziale, sie sind aber dennoch entschei-dend an der Informationsübertragung und –verarbeitung zwischen Neuronen beteiligt

Extrazelluläre Matrix:Geflecht aus Kohlehydrat- und Eiweißmolekü-len, was Nervenzellen von außen umgibt undihren Aktivitätszustand mit regulieren kann

***

Habenula:(lat.: Zügel), eine kleine Struktur imZwischenhirn, die beim Menschen als kom-plexe Schaltstation für vielfältige Hand-lungen und Verhaltensweisen wie Beloh-nungsverarbeitung, Lernen, Stress oderErnährung fungiert

Hippocampus:(lat.: Seepferdchen) eine Hirnstruktur, in dervielfältige Informationen aus anderen Hirn-regionen zusammenfließen und die von zen-traler Bedeutung für die Bildung des Lang-zeitgedächtnisses ist

Amygdala:(lat.: Mandelkern), emotionales Kontrollzen-trum des Gehirns

Substantia nigra:(lat.: schwarze Substanz) Kerngebiet desMittelhirns, das viel Eisen und Melanin ent-hält und dadurch dunkel erscheint. WichtigerSyntheseort für Dopamin im Gehirn

Subthalamischer Nucleus (STN):Kerngebiet im Gehirn, liegt unterhalb desThalamus und spielt eine Rolle bei der Im-pulskontrolle; klassischer Implantationsortfür Stimulationselektroden bei Parkinsonpa-tienten

Pedunculopontiner Nucleus (PPN):kleines Kerngebiet, was mit der Substantianigra, dem STN und weiteren Hirngebietenverbunden ist und eine Vielzahl physiologi-scher Funktionen wie Schlaf, Schmerz,Schreck, Motorik et c. beeinflusst

Pilzkörper:Pilz-ähnlich aussehende Struktur im Gehirnvon Fliegen, die wichtig für das Gedächtnisder Insekten ist

***

in vitro:außerhalb des Körpers, z.B. isolierte Nerven-zellen in einer Kulturschale

in vivo:im lebenden Organismus

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Teilprojekt A 01

Aufgepasst! Hängen Aufmerksamkeit und Belohnung zusammen?

Ganz still sitzt Laura auf dem Stuhl. Sieträgt eine Haube mit vielen kleinen Löchern,in die die Elektroden gesteckt werden. Lauranimmt als Probandin an einem Experimentzum Thema Aufmerksamkeit und Belohnungteil. Während der Testung messen dieElektroden ihre Hirnströme mittels EEG.Gleichzeitig wird das MEG gemessen, dasdie Veränderung magnetischer Felder in derHirnrinde erfasst.

Im Rahmen des Forschungsprojektes wirdder Zusammenhang von Aufmerksamkeitund Belohnung untersucht. „Die Grundfrageist, ob es eine Belohnungs-Kodierung in densensorischen Arealen des Cortex gibt, dienichts mit der reinen visuellen Aufmer-ksamkeit zu tun hat“, erklärt Jens-MaxHopf. Vereinfacht gesagt geht es darumherauszufinden, ob Belohnung unabhängigvon der visuellen Aufmerksamkeit wirkenkann oder ob sich beide gegenseitig beein-flussen.

Laura sitzt mittlerweile alleine in demRaum, wo die Testung durchgeführt wird.Vor sich hat sie einen schwarzen Computer-bildschirm, auf dem zwei Kugeln abgebildetsind. Die Kugeln sind zweifarbig, eine istrot-gelb, die andere grün-blau. Die Farbenwechseln ständig, es gibt auch noch eineweitere Farbe: grau. In jedem Durchlauf isteine Farbe die Ziel-Farbe (Target) und einedie Belohnungs-Farbe (Reward). Die ande-ren Farben sind Kontroll-Farben (Control).

Die Ziel-Farbe taucht in der linken Kugel je-des Mal auf, sie wechselt aber zufälligimmer wieder die Seiten. Lauras Aufgabe istes nun, mit ihrem Zeigefinger zu klicken,wenn die Zielfarbe auf der linken Seiteerscheint und mit ihrem Mittelfinger zu kli-cken, wenn es rechts sichtbar ist. Manch-mal taucht die Belohnungsfarbe zusammenmit der Zielfarbe auf, reagiert Laura dannrichtig, bekommt sie als Belohnung 5 Cent.

Aus den abgeleiteten Signalkurven lässtsich nun herausfinden, wie lange das Ge-hirn gebraucht hat, um auf den Impuls zureagieren. Außerdem kann aus den Datender Ort der zugrundeliegenden Stromquellenermittelt werden, was Hinweise auf die dieSignale verursachenden Hirnareale gibt.

„Wenn ich weiß, dass etwas belohnt wird,strenge ich mich mehr an“, erklärt Hopf.„Belohnung ist dann einfach Motivation,mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, was dieEffekte von Belohnung und Aufmerksamkeitvermischen würde.“ Um den Effekt von Be-lohnung unabhängig von der Aufmerksam-keit zu untersuchen, wird die Belohnungs-anzeigende Farbe ab und zu auch in derrechten unbeachteten Kugel gezeigt.

In der Auswertung liegt der Fokus ganz aufder Hirnantwort gegenüber der rechten Ku-gel, dem sogenannten Distraktor. Hier wirdgeschaut, wie das Gehirn auf die Beloh-nungs-Farbe im Vergleich zu den Kontroll-

Mit bunten Kugeln auf der Suchenach den Mechanismen von Auf-merksamkeit und Belohnung imGehirn: Grün als belohnte Farbe(„R“) und Rot als Zielfarbe („T“) fürdie Aufmerksamkeit führen auf dieSpur, wie diese Prozesse zusammen-hängen.

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Teilprojekt A 01

Farben reagiert hat, wenn sie nicht im Mittel-punkt der Aufmerksamkeit lag.

„Bisher haben wir herausgefunden, dassBelohnung und Aufmerksamkeit vom Prinzipher dasselbe machen“, erklärt Hopf. „DieAngriffsorte im Sehcortex sind identisch,aber die Kontroll-Kommandos sind unab-hängig, und dort setzen wir jetzt weiter an.“

Um die Unterschiede zwischen Belohnungund Aufmerksamkeit weiter aufzuklären,führen sie ähnliche Testungen durch wiedie, an der Laura teilgenommen hat, aber eswerden Details, wie zum Beispiel die Höheder Belohnung variiert. Bei ihrem Experiment hat Laura 13 Eurogewonnen – drei Euro unter dem maximalmöglichen Wert.

Projekt„Belohnungsabhängige und attentionaleProzesse bei der visuellen Selektion“

Projektleitung Prof. Dr. med. Jens-Max HopfProf. Dr. med. Mircea Ariel Schoenfeld

i

Attention - Wenn wir rot sehenDer Begriff Attention kommt aus demLateinischen und bedeutet Aufmerksam-keit. Damit ist der Prozess gemeint, bei demselektiv Eindrücke aus unserer Umgebungfür eine vertiefte Verarbeitung ausgewähltwerden. Eine Selektion von visuellen Merk-malen findet zum Beispiel bei der Wahr-nehmung von Farben statt. Wir kommen aneine mehrspurige Kreuzung mit mehrerenAmpeln. Unsere Ampel ist rot, wir kommenzum Stehen. Springt jetzt eine Ampel von rotauf grün, so entsteht in uns der Drang los-zufahren, ganz egal ob es unsere Ampel istoder nicht. Innerhalb von 300 Millisekundenselektiert unser Gehirn die Farben so, dasswir uns nur auf unsere rote Ampel konzen-trieren und wir fahren erst dann los, wennsie auf Grün gesprungen ist. Mit anderenWorten: Ohne visuelle Selektion würde dieauf uns ständig einströmende Flut vonEindrücken uns schier überwältigen.

Volle Konzentration: eine Probandin beim Aufmerksamkeitsexperiment im MEG-Labor.

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Teilprojekt A 02

Wie gelähmt – Hilfe für Parkinson-Patienten

In der Bundesrepublik leiden gegenwärtigmehr als 300.000 Menschen an der Par-kinsonschen Krankheit, die mit vielfältigenkörperlichen Symptomen für den Patienteneinhergeht. Besonders charakteristisch sindder sogenannte Tremor, das Zittern derHand, oder die Muskelstarre. Um die Symp-tome zu lindern, werden zunächst Medika-mente eingesetzt, die das im Gehirn der Pa-tienten fehlende Dopamin ersetzen, aberdiese Behandlung hat oft Nebenwirkungen,die nach gewisser Zeit sehr schwerwiegendsein können. Deshalb hat die neurologischeForschung ein anderes Verfahren entwi-ckelt: die direkte elektrische Stimulation desGehirns.Die Tiefenhirnstimulation ist eine Methode,die in den 1990er Jahren weltweit entwi-ckelt wurde. „Der Vorteil an der Tiefenhirn-stimulation ist, dass hier funktionell einge-griffen wird, nicht strukturell. Wenn sie denStrom ausschalten, ist alles wie vorher“,erklärt Klinikdirektor Heinze. Mit Hilfedieser Methode behandeln die Medizinerinzwischen Patienten mit unterschied-lichen neurodegenerativen Erkrankungen:Suchtkranke, Drogenabhängige, Alkoholab-hängige, Depressive und Heroinkrankezählen dazu. Bei Parkinson-Patienten fin-den die Stimulation zumeist in einem nurcirca 1 cm großen Kerngebiet des Gehirnsstatt – dem Nucleus subthalamicus (STN).

Tino Zähle, Emrah Düzel und Hans-JochenHeinze wollen herausfinden, welche Rolle

dieses Kerngebiet für unsere motorischenFähigkeiten, aber vor allem auch für unse-re kognitiven Leistungen, wie beispielswei-se die richtige Auswahl von adäquatenHandlungen, spielt. Die Parkinson-Erkrankung äußert sich typi-scherweise dadurch, dass Betroffene ihre

Handlungen nur schwer kontrollieren undausführen können. In bestimmten Situa-tionen, besonders unter Stress, erscheinensie wie gelähmt. „Der STN spielt eine zen-trale Rolle in der Parkinsonschen Erkran-kung“, so Tino Zähle. Parkinson entstehtdurch das Absterben der Nervenzellen im

Ein Schrittmacher fürs Gehirn: Der Stimulator sendet über Kabel, die unter der Hautverlaufen, ständig Signale an die Nervenzellen, um ihre Aktivität zu regulieren.

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Teilprojekt A 02

Gehirn, die bei gesunden Menschen denNeurotransmitter Dopamin ausschütten.Dopamin wirkt, sobald wir eine Handlungunmittelbar mit einem Ergebnis verbinden.Wir lernen. Unterdrücken wir eine Handlung,ist das ebenso neurobiologisch begründet.„Wird das Dopamin in Folge der Krankheitnicht mehr ausgeschüttet, kommt es zueiner Überaktivität des STN“, so Zähle.

Mit Hilfe der Tiefenhirnstimulation des STNist es möglich die motorischen Symptomeder Parkinson Erkrankung zu verbessern.Gleichzeitig, so zeigt die Forschung, schei-nen sich aber auch Lernvorgänge zu ver-ändern, besonders unter den Bedingungen,in denen die Forscher mit Belohnungs- undBestrafungseffekten arbeiten.

Bei der Tiefenhirnstimulation sendenElektroden direkt im Gehirn der Patientenständig elektrische Impulse und unter-drücken damit die Überaktivität des STN.„Das Implantat kann man sich wie eineBatterie vorstellen, die mit einer bestimm-ten Frequenz, in dem Fall 120 Hz, stän-dig Strom impliziert. Das führt dazu,dass die Neurone nicht in ihrer normalenForm weiter arbeiten können.“ Diese Me-thode ist allerdings reversibel, sodassauch die Symptome wieder kehren, wenndie Impulse ausbleiben.

Während des Projekts werden Patientenuntersucht, welche alle am Uniklinikum

Magdeburg in Behandlung sind. „Die Pa-tienten werden aufgrund ihrer schwerenParkinson-Erkrankung operiert, wenn diemedikamentöse Behandlung nicht mehrausreicht. Ihnen wird ein Implantat ein-gesetzt, mit dem die Patienten oft überJahre leben. Dann laden wir die Patientenein und führen mit ihnen Aufgaben amComputer durch. Voraussetzung hierfürist, dass sie mindestens sechs Monatestimuliert worden sind, freiwillig mitma-chen wollen und noch nicht zu schwervon der Krankheit betroffen sind, um dieAufgaben auszuführen.“

Um den Einfluss der neuronalen Aktivitätin dem kleinen Kerngebiet STN zu unter-suchen, führen die Wissenschaftler dieUntersuchungen zum einen unter der Be-dingung, dass die Stimulation des STNeingeschaltet ist, und zum anderen beiausgeschalteter Stimulation durch. In einer Aufgabe werden den Patientendabei beispielsweise vier verschiedeneBilder gezeigt, bei denen sie einen Knopfdrücken müssen und danach für be-stimmte Handlungen mit kleinen Geldge-winnen belohnt werden, für andere je-doch durch Geldverluste bestraft. Sielernen so den Zusammenhang zwischenAktion und Belohnung für diese Hand-lungen, da die Handlungsauswahl und diedarauf folgende Belohnung eng miteinan-der gekoppelt sind. Während gesundeMenschen diese Aufgabe zumeist schnell

erfolgreich bewältigen, zeigen Parkinson-Patienten mit überaktivem STN oft Problemedarin. Ziel der Forschung ist zu klären, warumdies so ist und welchen Einfluss die Tie-fenhirnstimulation des STN auf diese kog-nitiven Prozesse hat. Erste Ergebnissedeuten bereits darauf hin, dass neben denVerbesserungen der motorischen Fähigkei-ten auch die kognitiven Leistungen wiederverbessert werden können – ein hoff-nungsvoller Ansatz für die weitere Opti-mierung der Therapie.

Projekt„Bewerten, Explorieren und Handeln:Rolle des STN“

Projektleitung Dr. phil. Tino ZähleProf. Dr. med. Emrah DüzelProf. Dr. med. Hans-Jochen Heinze

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Teilprojekt A 03

ADHS: Wann geht Lernen leichter?

„Simon, wir fangen jetzt mit der Messungan und machen als erstes eine Aufnahmevon deinem Gehirn“, ertönt die Stimme vonDoktorandin Jana Tegelbeckers über dieKopfhörer, die der 13-jährige Simon trägt,während er im MRT liegt. „Du schaust ein-fach den Film weiter und hältst bitte ganzstill.“ Ein paar Minuten späterbeginnt die funktionelle Mes-sung, die Durchblutungsver-änderungen im Gehirn beimWahrnehmen und Denken sicht-bar macht. „Jetzt fangen wir mitdeiner Aufgabe an. Du weißtnoch: mit dem rechten Zeige-finger klicken, wenn dein Ziel-bild, die kleine Kirche, erscheintund mit dem linken Zeigefingerklicken, wenn ein anderes Bildkommt.“ Und schon geht es los.Vor sich auf dem Bildschirmsieht Simon nacheinander Bildervon Landschaften. Das Zielbildkennt er schon aus den Übungs-durchgängen. Simon muss gutaufpassen, denn das Zielbildwird nur selten gezeigt.

Es gibt außerdem weitere Bilder,die selten erscheinen und eines,was häufig gezeigt wird. Simonfällt besonders auf, dass nebenden wiederkehrenden Bildernauch einige neue Landschafts-bilder vorkommen. Geschafft!

Endlich kann er sich wieder bewegen. ZuHause zeigt Simon seiner Mutter dann stolzdie Kernspin-Aufnahmen von seinem Gehirn.

Simons Experiment ist Teil des Projekts A03,in dem Kinder und Jugendliche mit Aufmerk-samkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, kurz

ADHS, untersucht werden. Kinder mit ADHSfallen häufig schon in der ersten Klasse auf.Sie scheinen nie ganz bei der Sache zu sein,können sich nur selten „am Stück“ aufetwas konzentrieren und werden leichtdurch äußere Reize und Mitschüler abge-lenkt. Im Vergleich zu Gleichaltrigen fällt es

ihnen deutlich schwerer, ihr Ver-halten zu steuern und an unter-schiedliche Situationen anzu-passen. Aufmerksamkeit undVerhaltenskontrolle können sichallerdings verbessern, wenn Kin-der und Jugendliche mit ADHSpositive Rückmeldung (Lob/Be-lohnung) erhalten oder sich mitneuen, interessanten Inhaltenbefassen.

Bei Simons Testung ging esdarum, wie neue und bekannteReize verarbeitet werden: „Wirhaben herausgefunden, dassKinder und Jugendliche mitADHS neue Bilder intensiververarbeiten. Sie aktivieren instärkerem Maße Teile des Ge-hirns, die für die Neuorientierungvon Aufmerksamkeit ver-antwortlich sind“, erklärt JanaTegelbeckers. „Ich möchte inmeiner Doktorarbeit in weiterenExperimenten untersuchen, obwir die Aufmerksamkeitsleistungder Kinder mit ADHS verbessern

Kurz vor der MRT-Messung: Carolin Breitling bereitet denProbanden auf die Messung vor.

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Teilprojekt A 03

können, wenn wir vor eher langweiligenAufgaben neue Reize präsentieren.“

In einem weiteren Teil des Projekts geht esdarum, auf welche Weise Rückmeldung beiKindern und Jugendlichen mit ADHS gege-ben werden muss, um wirksam zu sein.Eine der Forschungsfragen ist zum Beispiel,ob Kinder und Jugendliche mit ADHS auchvon der Aussicht auf Belohnung profitieren,wenn die Möglichkeit, die Belohnung tat-sächlich zu erhalten, sehr unsicher ist. Wei-terhin soll herausgefunden werden, ob dieAussicht auf eine negative Konsequenz wieeine Bestrafung das Verhalten beeinflusst.„Interessanterweise hat die Bedeutung vonBelohnung und Bestrafung beim Lernen vielmit Handlung zu tun“, erklärt Dr. KerstinKrauel. Dies zeigt sich im Go/NoGo-Ex-periment: Lea ist neun Jahre alt, hat ADHS und nimmtan diesem Experiment teil. Während derTestung wird sie vier verschiedene Bildersehen. Nach jedem Bild erscheint ein Kreis

entweder auf der linken oder auf der rechtenSeite des Computerbildschirms. Lea mussdurch Ausprobieren herausfinden, bei wel-chen Bildern sie eine Taste drücken muss(„Go“), um anzuzeigen, ob der Kreis linksoder rechts ist und bei welchen Bildern sienicht drücken darf („NoGo“). Aus Experi-menten bei Erwachsenen weiß man, dassman die Bedeutung der Bilder besser lernt,wenn einer Handlung („Go“) eine Belohnungfolgt. Eine Handlung zu unterdrücken wirdleichter erlernt, wenn so ein Schaden bzw.eine Bestrafung vermieden werden kann.Diese automatische Neigung („Bias“),belohnende Reize/Situationen aktiv aufzu-suchen und bedrohliche oder unangenehmeReize/Situationen zu meiden, ist für denMenschen eine erste Orientierungshilfe inneuen Situationen. „Die ersten Ergebnissein unserer ADHS-Gruppe zeigen, dassKinder und Jugendliche mit ADHS nicht denbeschriebenen „Bias“ beim Lernen derBilder zeigen. Im Vergleich zu Gleichaltrigenfällt es ihnen insbesondere schwer die

Bilder zu lernen, bei denen sie eine Handlungunterdrücken müssen, um Strafe (hier Geld-verlust) zu vermeiden“, berichtet Krauel. ImSFB779 wird das Go/NoGo-Experiment auchmit Kindern und Jugendlichen ohne ADHS imAlter von sieben bis 16 Jahren so wie mitjungen und älteren Erwachsenen durchge-führt. „Wir arbeiten mit den Teilprojekten A07und A08, die Erwachsene untersuchen, zu-sammen. So können wir vergleichen, ob esUnterschiede in der Bedeutung von Beloh-nung und Bestrafung im Lernverhalten wäh-rend der Entwicklung gibt“, ergänzt Krauel.

Die Erkenntnisse des Projekts A03 sollendazu beitragen, konkrete Empfehlungen zurVerbesserung von Lernprozessen bei Kin-dern und Jugendlichen mit ADHS zu entwi-ckeln und einen Beitrag zum besseren Ver-ständnis von Belohnungsverarbeitung beiADHS zu leisten.

Projekt„Charakterisierung veränderter Beloh-nungspräsentation und -verarbeitungbei Kindern und Jugendlichen mit ADHS“

ProjektleitungDr. phil. Kerstin KrauelProf. Dr. med. Hans-Jochen HeinzeProf. Dr. rer. nat. John-Dylan Haynes

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Teilprojekt A 04

Lernen ohne Verstehen?

Fahrradfahren, das ist etwas, was jedesKind lernt. Zuerst noch mit Stützrädern undder Hilfe der Eltern, doch irgendwann ganzohne Unterstützung. Zuerst ist alles nochetwas wacklig, doch irgendwann ist dasHalten des Gleichgewichts kein Problemmehr. Mit ein wenig Übung klappt es wievon allein, ganz ohne darüber nachdenkenzu müssen.Ein ähnlicher Vorgang wird hier erforscht.Unter der Leitung von Stefan Pollmann wird

die Beteiligung des dopaminergen Systems– unseres inneren Belohnungssystems –bei verschiedenen Arten des Lernens, wiezum Beispiel dem Lernen in Kategorien, un-tersucht.

Doch was hat das mit Fahrradfahren zutun? Was verbindet Radeln mit Neurobiolo-gie? „Fahrradfahren ist kein bewusstes kog-nitives Regellernen, man denkt dabei nichtüber ein bestimmtes Schema nach“, erklärt

Pollmann. „In unseren Experimenten ist esähnlich.“

In den Versuchen müssen Ringe in zweiKategorien eingeteilt werden. Die Ringe sindvon verschiedenen Dicken und in unter-schiedliche Richtungen geöffnet. Was es fürKategorien gibt, wird den Probanden nichtverraten. „Die Grenze zwischen den zweiKategorien geht diagonal zwischen Ring-Dicke und Öffnungs-Ausrichtung entlang“,erzählt Pollmann. Die Kategorien sind zumBeispiel nicht dick und dünn oder nachunten und nach oben geöffnet. Dadurch istnicht sofort offensichtlich, welcher Kreis inwelche Kategorie gehört. Nach jeder Zuord-nung bekommt der Proband eine Rückmel-dung: einen roten Kreis bei falschen Ant-worten und einen grünen Kreis oder eine 20Cent Münze, wenn es richtig war.

Beim Einteilen können zwei verschiedeneStrategien angewendet werden: die regelba-sierte Strategie, bei der nach klaren Regelnsortiert wird, zum Beispiel dick und dünn,oder die Informationsintegrationsstrategie,bei der nicht nach Regeln vorgegangen wird,sondern aus den vorhandenen Informa-tionen durch die Rückmeldungen in Katego-rien eingeteilt wird. „In unserem Versuchmacht es keinen Sinn nach Regeln zusuchen, weil es keine offensichtlichen Re-geln gibt“, meint Pollmann. „Stattdessenmüssen sich die Probanden auf die Infor-mationen verlassen, die sie durch die Rück-

Lernen aus Rückmeldungen: Welcher Kreis gehört in welche Kategorie? Probandensollen implizit erfassen, wie die Kreise sortiert werden müssen.

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Teilprojekt A 04

meldungen erhalten und daraus zwei Ka-tegorien bilden.“ Bei dieser Strategie pas-siert die Einteilung eher unterbewusst – wiedas Fahrradfahren. Versucht man zu sehrdarüber nachzudenken, funktioniert esnicht. Doch sobald man sich nicht mehrbewusst damit beschäftigt, gelingt es aufeinmal.

In Versuchen, die belohnt wurden, konntendie Probanden besser lernen und die Kreise

schneller in die zwei Kategorien einteilen.„Dadurch sieht man, dass das dopaminergeSystem zu einer Verbesserung des Lernensbei belohnten Vorgängen führt“, erzähltPollmann. „Als nächstes wollten wir her-ausfinden, ob dies nur auf belohnte Ver-suche beschränkt ist oder ob das dopami-nerge System auch ohne richtige Belohnungaktiviert wird“, fügt er hinzu.Um das zu überprüfen, wurde der Versuchetwas abgewandelt. Die Probanden beka-

men zuerst alle Bilder aus Kategorie Agezeigt. Anschließend mussten alle Bilderwie vorher in die zwei Kategorien geordnetwerden. Doch dieses Mal gab es keineRückmeldung, die Probanden sollten nur aufeiner Skala von eins bis fünf angeben, wiesicher sie sich mit ihren Zuordnungen wa-ren. „Am Anfang sind die Fehlerraten ziem-lich hoch, etwa bei 25 Prozent“, berichtetPollmann. „Doch im Laufe der Zeit werdensie geringer und die Probanden machennicht mehr so viele Fehler.“

Obwohl es in diesem Versuch keine direkteBelohnung in Form von Geld gab, wurdendie dopaminergen Strukturen im Gehirn ak-tiviert. „Durch diese Aktivierung sieht man,dass das dopaminerge System nicht nur imBelohnungslernen involviert ist“, erklärtPollmann. „Es ist ein globaler Mechanis-mus, der in verschiedenen Situationen ein-tritt.“ Ob das auch auf die Kategorisierungvon räumlichen Mustern zutrifft, wollen dieForscher nun untersuchen.

Projekt„Neuronale Repräsentation von moti-vationalem Wert und Kontext beimexpliziten und impliziten Lernen“

ProjektleitungProf. Dr. phil. Stefan Pollmann

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Positive Rückmeldung (blaue Kurve) aktiviert den Nucleus accumbens – eine dopa-minerge Struktur (gelb) – (fast) so gut wie ein Geldgewinn (rote Kurve).

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Teilprojekt A 06

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: bipolare Störungen im Fokus

Menschen mit manisch-depressiver Erkran-kung erleben starke Stimmungsschwan-kungen: Es gibt Tage, an denen könnten sieBäume ausreißen, ihre Euphorie istnicht zu bremsen. Dann folgen Pha-sen tiefer Niedergeschlagenheit undAntriebslosigkeit. Unter dieser auchals Bipolare Störung bezeichnetenKrankheit leiden schätzungsweise1,5 bis 5 Prozent der Bevölkerung.Ursachen und Auslöser könnensehr vielfältig sein. Um den Patien-ten in Zukunft besser und schnellerhelfen zu können, ist es wichtig dieVeränderungen im Gehirn, die mitder Erkrankung einhergehen, ge-nau zu kennen. Dabei geht es vorallem um das interne Belohnungs-system, was die Wissenschaftlerder Universitätsklinik für Psychia-trie und des LIN in diesem Projektbei den Patienten untersuchen.

Eingangs stellten sich die Forscherdie Fragen: Gibt es bei den Patien-ten Unterschiede in den Hirnregio-nen, die für die Motivation und Beloh-nungsverarbeitung zuständig sind?Sind bei Störungen der Affekte ein-zelne Zellen im zentralen Nerven-system krankhaft verändert? Um das herauszufinden, nutzen siebildgebende und neurohistologische Verfah-ren. Mit Bildgebung sind Magnetresonanzto-mografie (MRT) und MR-Spektroskopie ge-

meint. Insbesondere das Ultrahochfeld-7-Tesla-MRT, welches seit 2005 in Magdeburgin Betrieb ist, ist für die hochauflösende

Bildgebung sehr gut geeignet. An der Stu-die nehmen depressive Patienten und Kon-trollprobanden teil. Die Wissenschaftler kön-

nen bei dem Experiment im Kernspintomo-grafen alle Hirnregionen gleichzeitig erfassenund neben strukturellen Besonderheiten und

Aktivierungsmustern auch ermitteln,welche Botenstoffe unterschiedlichverteilt sind. Die Erkenntnisse ausden bildgebenden Verfahren legennahe, dass der Bipolaren Störungein Ungleichgewicht von neurona-len Botenstoffen zu Grunde liegenkönnte. Sie können unmittelbar inder Klinik genutzt werden, um The-rapiemöglichkeiten zu optimieren.„Es geht uns um die Relevanz vonmolekularbiologischen Veränderungenim Kontext von klinischen Sympto-men“, verdeutlicht Martin Walter.

„Was kann man unter dem Mikros-kop in Hirnregionen feststellen, diesich im bildgebenden Verfahren alsverändert erwiesen haben?“, fragensich Prof. Bernhard Bogerts undsein Team. Die Forscher untersuch-ten dazu Hirnzellen von verstorbe-nen depressiven Patienten. In Ganz-hirnschnittserien wird das Gehirndes Verstorbenen in 20 Mikrometerdünne Scheiben geschnitten und inParaplast konserviert. Dadurch kannes über Jahrzehnte haltbar gemachtwerden. „Die beste Methode, die

Feinstruktur des Hirns bewerten zu können,ist nach wie vor die Mikroskopie“, istBogerts überzeugt.

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Teilprojekt A 06

Mittels immunhistochemischer Verfahrenkönnen Zellen gezielt angefärbt und sichtbargemacht werden, um ausgewählte Hirnre-gionen zu vergleichen. „Denn unsere Theo-rie ist, dass bei einer psychischen Störungnicht das ganze Gehirn erkrankt, sondern nureinzelne neuronale Schaltzentren in Ab-hängigkeit von der psychischen Störung“, soBogerts. Im Fokus sind Zellen, die Hinweiseauf Entzündungen geben und den Botenstoff

Serotonin im Gehirn beeinflussen, dessenWirkung bei den Stimmungsschwankungender Betroffenen eine Rolle spielt.

Die jetzigen Therapieansätze, so Bogerts,behandeln nur oberflächlich die Symptome,ohne die Ursache richtig zu ermitteln undgezielt anzugehen. Die Erfolgsraten seiendurchwachsen. „Wir versuchen momentan,zielsicherer zu diagnostizieren und damit

zielsicherer therapieren zu können.“ Aufdiese Weise entstehen wissenschaftlicheErgebnisse, die depressiven Menschen di-rekt zu Gute kommen und ihnen eine erfolg-reichere Behandlung ermöglichen werden.

Projekt„Untersuchung motivationsrelevanterHirnsysteme mittels multimodalerBildgebung und neurohistologischeVerfahren bei unipolarer Depressionund bipolaren Störungen“

ProjektleitungPD Dr. med. Martin WalterProf. Dr. med. Bernhard BogertsIn Kooperation mitPD Dr. med. Birgit Abler

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In Schnitten aus den Gehirnen Verstorbener analysieren die Wissenschaftler Verände-rungen in den Botenstoffen und Zellstrukturen.

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Teilprojekt A 07

Können wir Parkinson früher erkennen? - Ein neuer Ansatz mit Ultrahochfeld-MRT

Frau K. liegt ganz still auf der Liege des MRT-Geräts, die Augen hat sie geschlossen. Um sieherum fängt es an leicht zu vibrieren, währendauf dem Bildschirm über ihr zweiFraktal-Bilder erscheinen. Mitdem Drücker in ihrer rechten Handsoll Frau K. eins der Bilder aus-wählen. Bei einem Bild bekommtsie eine Belohnung von 10 Cent,bei dem anderen bekommt sienichts. Durch Ausprobieren musssie herausfinden, bei welchemBild sie die Belohnung erhält. FrauK. wählt das Linke aus und eingelber Balken erscheint – das warwohl das falsche Bild. Beim näch-sten Versuch wählt sie das andereBild aus und siehe da, es er-scheint ein grüner Balken. Dochdamit es nicht zu einfach wird,gibt es bei der Aufgabe noch einenHaken: zwischendurch wechseltdie Bedeutung der Bilder. So mussFrau K. immer wieder das richtigeBild neu erlernen.

Der Versuch, an dem Frau K. teil-genommen hat, ist Teil eines Pro-jekts, bei dem es um die Hirnpro-zesse bei der Verarbeitung vonneuen Erlebnissen geht. „Wir un-tersuchen die Beeinträchtigungendes dopaminergen Systems bei altersabhängi-gen Degenerationen“, erklärt Matthew Betts,der die Studien durchführt. „Dies geschieht

besonders im Hinblick auf kognitive Prozesse,bei denen die Übertragung neuer Informationenins Langzeitgedächtnis betroffen ist.“

Neue Erlebnisse führen oft zu einer Aktivie-rung der dopaminergen Nervenzellen, wo-durch Informationen besser ins Langzeitge-

dächtnis eingespeichert werden können. Wiediese Konsolidierung im Alter beeinträchtigt istund wie es dadurch zu Gedächtnisproblemen

kommt, das wird hier erforscht.Außerdem geht es auch darum,inwieweit diese Prozesse auch beiParkinson-Patienten betroffen sind.Diese Patienten haben durch einenDopamin-Mangel im Gehirn starkeBewegungseinschränkungen, aberauch kognitive Prozesse könnendavon betroffen sein.

„Wir wollen bestimmte kognitiveProzesse verstehen, die bei Par-kinson-Patienten und im Altergestört sind“, sagt Betts. „UnserFokus liegt dabei auf dem instru-mentellen Lernen, der belohnungs-basierten Entscheidungsfindungund der Gedächtniskonsolidie-rung.“ Dazu werden Studien mitvier verschiedenen Gruppen durch-geführt: junge gesunde Erwach-sene im Alter von 18 bis 25Jahren, ältere gesunde Erwach-sene im Alter von 60 bis 75 Jah-ren, Parkinson-Patienten und ge-sunde Erwachsene mit erhöhtemParkinson-Risiko. Es geht darum,sogenannte Prodromalmarker zufinden, also kognitive Verände-

rungen, die eine frühere Diagnose derKrankheit möglichst zuverlässig ermög-lichen. Bekannte Prodromalmarker für Par-

Hirn im Ultrahochfeld: Proband im 7-Tesla-Tomografen

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Teilprojekt A 07

kinson sind beispielsweise ein verringerterGeruchssinn, Neigung zu Depressionen sowieeine minimale Ausprägung der motorischenSymptome der Erkrankung. Dies soll nun auchauf kognitive Marker ausgeweitet werden.

Neben der Studie zur belohnungsbasiertenEntscheidungsfindung hat Frau K. noch aneiner weiteren Studie teilgenommen, bei deres um die Gedächtniskonsolidierung, alsodie Übertragung von Informationen ins Lang-zeitgedächtnis, ging. Dabei wurden ihr zwei-erlei verschiedene Arten von Bildern gezeigt,

einige mit Indoor- und andere mit Outdoor-Motiven. Diese Bilder sollte sie nun in diebeiden Kategorien einordnen. „Die Bildersind teilweise emotional negativ und teil-weise neutral geprägt“, erzählt Betts. „Wirhaben herausgefunden, dass junge Erwach-sene im Erinnern der emotional negativenBilder besser sind als die älteren Erwach-senen.“ Bei den neutralen Bildern gab eskeine Unterschiede.

Durch den Vergleich der unterschiedlichenGruppen wollen die Forscher herausfinden,

wie die Verarbeitung von neuen Informa-tionen bei Parkinson-Patienten und im Altergestört ist, besonders auch im Hinblick aufdas dopaminerge System. Sie nutzen dafürdie Vorteile der Hochfeld-Kernspintomogra-phie, die das Magdeburger 7-Tesla-Gerätbietet, um die Aktivierungsmuster mit mög-lichst hoher Auflösung aufzuzeichnen. „Un-ser Ziel ist es kognitive Parkinson-Symptomein früheren Phasen zu identifizieren, damitsie besser behandelt werden können“, be-richtet Betts. Und er fügt hinzu: „Denn oftsind schon etwa 60 Prozent der dopaminer-gen Nervenzellen abgestorben, bevor diemotorischen Symptome auftreten und dieKrankheit diagnostiziert wird.“ Eine frühereDiagnose der Krankheit würde für die Be-handlung neue Chancen eröffnen.

Projekt„Handlungsmotivation in Erwartungvon Neuheit“

ProjektleitungProf. Dr. med. Emrah DüzelProf. Dr. rer. nat. habil. Oliver Speck

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Strukturelle MRT-Techniken bei 7-Tesla werden eingesetzt, um Veränderungen im dopa-minergen System schon in frühen Stadien der Parkinson-Erkrankung festzustellen.

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Teilprojekt A 08

Gibt es Lern-Gene?

Ein Selbstversuch: 40 Seiten Fragebögen

Ich komme in den abgedunkelten Raumherein, die Tische an den Längsseitensind mit Computern bestückt. Freundlichwerde ich von Timo und Julian begrüßt.Die beiden führen heute die Tests mit mirdurch. Julian beginnt und nimmt mich mitzum Blutabnehmen. Es ist nur ein kleinerPieks und 30 Milliliter Blut sind schnell

abgezapft. Später wird das Blut aufbestimmte Genvarianten hin untersucht.

Zurück im Testraum beginne ich damit,psychometrische Fragebögen auszufüllen.Es geht darum, etwas über die Persönlich-keit des Probanden herauszufinden. Dannbeginnen wir mit den Computertests. Nach-einander werden mehrere Wörter auf demBildschirm erscheinen, die ich mir merke.

Anschließend schreibe ich alle Wörter, diemir noch einfallen, auf ein Blatt Papier.Hier geht es also um meine Gedächtnis-leistung.

Die Übung ist vorbei und schnell schrei-be ich alle Wörter auf, die mir noch imGedächtnis geblieben sind. Es sind weni-ger, als ich erwartet hätte. Die Übungwird wiederholt. Von der ersten Wortreihewerde ich bestimmt noch Nächte langträumen, so tief habe ich sie mir einge-prägt.

Von Fragebögen zu Fraktal-Bildern

Auf dem Computerbildschirm werden gleichnacheinander vier verschiedene Bilder er-scheinen. Nach jedem Bild kommt einKreis und ich muss entscheiden, ob erauf der linken oder der rechten Seite ist.Soweit so gut, das klingt bisher nochnicht allzu kompliziert. Doch die Haupt-aufgabe kommt erst noch. Ich muss im-mer entscheiden, ob ich drücke, wennder Kreis erscheint, oder nicht drücke.Denn zu jedem Bild gehört eine Be-dingung, die ich über Ausprobieren he-rausfinden soll. Ich muss also herausfin-den, welche Bedingung zu welchem Bildgehört, damit ich den größtmöglichenGewinn erzielen kann.Vor dem Versuch: Anni Richter erklärt der Probandin, worauf es im Experiment ankommt.

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Teilprojekt A 08

Nach vier Durchgängen à acht Minuten habeich es geschafft. Insgesamt habe ich 13,50Euro gewonnen.

Die Auflösung

Während der zwei Tage habe ich viele ver-schiedene Testungen gemacht, doch worumgeht es eigentlich in den Experimenten?

Durch meine Teilnahme als Probandin binich Teil der Neurogen-Kohorte geworden.Dabei wurden etwa 740 junge, gesunde Er-wachsene im Alter von 18 bis 35 Jahrengetestet. Das Projekt beschäftigt sich mitdem Einfluss, den Belohnung und Bestra-fung auf kognitive Funktionen haben undinwiefern dies in unseren Genen verankertist. Besonderes Augenmerk wird dabei aufGene gelegt, die für die neuronale Kommu-

nikation, zum Beispiel mit demNeuromodulator Dopamin, zuständigsind, und von denen es unterschied-liche Varianten in der Bevölkerunggibt. Doch über 700 Leute, das istganz schön viel. Warum also mus-sten so viele Probanden getestetwerden?

„Das liegt eben daran, dass wir dieProbanden auch hinsichtlich geneti-scher Einflüsse auf diese Funktionenuntersuchen“, erklärt Anni Richter,Doktorandin in dem Projekt. „Und bei

solchen komplexen Merkmalen, wie bei-spielsweise bestimmten kognitivenEigenschaften, muss man davon aus-gehen, dass es zwar erhebliche genetischeFaktoren geben kann, der Effekt jedes ein-zelnen beeinflussenden genetischen Mar-kers aber vermutlich gering ist. Um einaussagekräftiges Ergebnis zu bekommen,brauchen wir daher eine große Anzahl anPersonen.“

Durch diese Testungen können Verhaltens-auffälligkeiten und kognitive Fähigkeiten er-forscht werden. Bei den psychometrischenFragebögen gibt es zwei Kategorien: be-lohnungsassoziierte und persönlichkeitsas-soziierte Fragebögen. „Dabei geht es bei-spielsweise darum, wie sehr jemand vonBelohnung abhängig ist, wie extrovertiertoder introvertiert oder wie offen für neueErfahrungen“, erklärt Richter.

Interessanterweise gelten einige der hieridentifizierten verhaltensrelevanten Geneals Risikofaktoren für das Auftreten vonpsychiatrischen Erkrankungen wie Autis-mus, bipolare Störung oder Schizophre-nie. Doch die Genvariante allein entschei-det nicht über Gesundheit oder Krankheit,denn diese entstehen durch komplexeWechselwirkung der Gene mit der Umwelt.

Der Computertest hat Aufmerksamkeit,Gedächtnis und Exekutivfunktionen unter-sucht. Zu den Exekutivfunktionen gehörenzum Beispiel das Planen, Initiieren undKontrollieren von Handlungen oder daslogische Denken. Werden diese drei Ele-mente der Studie zusammengebracht,kann ein Zusammenhang zwischen unse-rem Verhalten und unseren Genen herge-stellt werden.

Projekt„Genetische Einflüsse auf dieModulation von Aufmerksamkeit undGedächtnis durch Belohnung undBestrafung“

Projektleitung Dr. med. Dr. rer. nat. Björn Hendrik SchottPD Dr. rer. nat. Constanze SeidenbecherProf. Dr. med. Martin Zenker

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Teilprojekt A 10

Lernen mit Aha-Effekt

Jeder kennt dieses Gefühl eines plötzlichenGeistesblitzes. Zuerst war alles ganz unver-ständlich, doch plötzlich wurde es klar: einAha-Erlebnis. Ganz unmittelbar ist dieEinsicht da. Haben Aha-Erlebnisse etwasmit Motivation zu tun und bringen sieGedächtnisvorteile? Darum geht es in demProjekt von Prof. AlanRichardson-Klavehn undBjörn Schott. Fallen Aha-Erlebnisse leichter, wennman Informationen in be-kannte Schemata einsor-tieren kann, und woherkommt der Belohnungs-effekt, den der Aha-Mo-ment mit sich bringt? „In-formationen, die in zuvorexistierende Schematapassen, werden schnellerkonsolidert, also ins Lang-zeitgedächtnis übernom-men“, erklärt Björn Schott.„Diese Informationen wer-den später auch bessererinnert.“

Zur Untersuchung der Aha-Erlebnissewerden Versuche mit gesunden Probandendurchgeführt. „Wir vermuten, dass Aha-Erlebnisse eine intrinsische Belohnungsind“, berichtet Schott. Das bedeutet, dassbei einer plötzlichen Erkenntnis der Neuro-modulator Dopamin ausgeschüttet wird und

somit die Information, die zu dem Aha-Erlebnis geführt hat, später besser erinnertwerden kann.

Einer der Versuche besteht aus einerAufgabe, bei der Wörter in ein Schema ge-bracht werden müssen. Drei Wörter sind

vorgegeben und zu ihnen muss ein weiteresWort gefunden werden, dass die ersten dreilogisch miteinander verbindet. Anschlie-ßend soll der Proband einschätzen, ob esfür ihn ein Aha-Erlebnis war oder nicht undanhand von fünf Smileys entscheiden, wieer sich dabei gefühlt hat.

„Manchmal wird das gemeinsame Wortdirekt angezeigt, manchmal hatten die Pro-banden Zeit, selber auf die Lösung zu kom-men“, berichtet Jasmin Kizilirmak, die dieStudien durchführt. Am darauffolgenden Tagwird die Erinnerungsleistung überprüft,indem die Aufgaben noch einmal gelöst

werden sollen.

Anna sitzt vor dem Compu-terbildschirm. Sie nimmtan diesem Experiment alsProbandin teil. In ein paarSekunden werden dieersten drei Wörter vor ihrauftauchen, zu denen sieein gemeinsames ergän-zendes Wort finden muss.Manieren, Tennis, Decke.Angestrengt denkt Annanach. Was für ein Wortkönnte es sein? 30 Sekun-den lang hat sie Zeit aufdie Lösung zu kommen.Auf einmal fällt es ihr ein:Tisch. Es passt zu jedemder Wörter. Tischmanie-ren, Tischtennis, Tisch-

decke. Die Frage, ob es für sie ein Aha-Erlebnis war oder nicht, ist für Anna einfachzu beantworten: eindeutig. Das Gefühl derFreude verschwindet auch erst wieder,als sie vor den nächsten drei Wörternsitzt und nicht auf die Lösung kommt.Essig, Silber, Kreide. Anna überlegt, doch

Worträtsel mit Aha: Welches Wort ergänzt Tennis, Manieren und Decke?

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Teilprojekt A 10

sie kommt einfach nicht auf ein gemein-sames Wort. Zu schnell sind die 30Sekunden um und die Lösung erscheintauf ihrem Bildschirm: Tafel. Jetzt wird esAnna klar: Tafelessig, Tafelsilber, Tafel-kreide. Kopfschüttelnd fragt sie sich, wa-rum sie da nicht selbst drauf gekommenist.

Bei einem weiteren Experiment geht esnicht um Wörter, sondern um Bilder, dochdas Prinzip ist ähnlich. Die Probandenbekommen Schwarz-Weiß-Bilder zu se-hen, die allerdings so verändert wurden,

dass schwierig zu erkennen ist, was aufihnen abgebildet ist. Nun müssen sieversuchen, herauszufinden, was auf denBildern zu sehen ist. Lösen sie die Auf-gabe in einer bestimmten Zeit nicht, wirddas Ergebnis angezeigt. „Bei diesemExperiment konnten wir eine Verbesse-rung der Erinnerungsleistung feststellen,wenn Probanden beim Lösen oder Zeigender Lösung ein Aha-Erlebnis berichte-ten“, erklärt Kizilirmak.

Eine spannende Frage für die Forscherist, ob die Erinnerungsleistung besser

wird, wenn man selber auf das Ergebniskommt oder wenn das Ergebnis schonvorgegeben wurde – das Aha-Erlebnisalso „aus zweiter Hand“ stammt.

Anna ist mittlerweile in der letztenRunde des Experiments angekommen.Ein letztes Trio an Wörtern erscheint,dieses Mal direkt mit der Lösung. Hälfte,Erschütterung, Wäsche – Gehirn! Mor-gen beim Erinnerungstest wird sich her-ausstellen, an wie viele der Aufgabensie sich erinnern wird und die Rätselwieder lösen kann.

Projekt„Hippokampale funktionelleKonnektivität während episodischerGedächtnisbildung beim Menschen:Einfluss von belohnungs- undsalienzassoziierten dopaminergenHirnarealen, Neuheit und Schema-abhängiger episodischerDistinktheit“

ProjektleitungProf. Dr. Alan Richardson-KlavehnDr. med. Dr. rer. nat. Björn Hendrik Schott

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Wo sitzt die Erkenntnis im Gehirn?

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Teilprojekt A 11

Draht im Kopf – auf der Suche nach neuen Parkinson-Therapien

Dopamin ist ein wichtiger Modulator vielfäl-tiger Hirnaktivitätsprozesse. Der Botenstoffwird in spezialisierten Nervenzellen derBasalganglien produziert. Wegen ihrerdunklen Färbung wird diese Region alsSubstantia nigra bezeichnet. Wenn dieseNervenzellen absterben, herrscht im Gehirnein chronischer Mangel an Dopamin, der fürdie schwerwiegenden Symptome der Par-kinson-Erkrankung verantwortlich ist. Dastypische klinische Bild sind Patienten mitnach vorn gebeugter Haltung, die sich nur inTrippelschritten bewegen und die Bewegungder Hände und Finger schwer oder gar nichtkoordinieren können. Während viele Patien-ten durch eine medikamentöse Behandlungmit Levodopa, einer Vorstufe von Dopamin,oder eine Tiefenhirnstimulation im subtha-lamischen Kerngebiet (STN, siehe auch S.16/17) symptomfrei sind, gibt es auchParkinson-Patienten, die von diesen eta-blierten Verfahren wenig oder gar nicht pro-fitieren. Die Muskeln dieser Patientenkönnen so stark verkrampfen, dass es zuSchwierigkeiten beim Gehen und Sprechenkommen kann. Das kann sogar soweit füh-ren, dass der Patient erstarrt und umfällt,sobald man ihn berührt. Viele Patientenleiden sehr stark unter dem sogenannten„Freezing“, das heißt, sie können nicht star-ten, wenn sie loslaufen wollen. Einige vonihnen haben auch kognitive Symptome, dievon Aufmerksamkeitsproblemen bis zu De-menz reichen können. Um diesen Patientenzu helfen, entwickeln und testen die Neuro-

logen und Wissenschaftler um Hans-JochenHeinze neue Stimulationsverfahren, die ananderen Hirnregionen angreifen.

Ein solcher neuer Ansatz ist die Stimulationdes Pedunculopontinen Nucleus, kurz PPN.Das ist ein sehr kleines Kerngebiet imMittelhirn, was in der Nähe der Substantianigra liegt und über Dopamin in seinerAktivität gesteuert wird. Es kann über einenexternen Hirnschrittmacher mit niedriger

Frequenz stimuliert werden, wodurch dieHirnfunktion der Patienten normalisiert wer-den soll. Der PPN ist unter anderem mit da-für verantwortlich, dass wir uns fortbewe-gen können. Während frühere Studien vorallem die motorischen Funktionen diesesKerngebietes untersucht haben, zeigen neueErkenntnisse, dass der PPN auch an höhe-ren Hirnfunktionen mit beteiligt ist, wie z.B.dass wir denken und uns motivieren kön-nen. In diesem Projekt widmen sich die Ärz-

Im OP - Chris Kluge (2.v.l.) mit Mitarbeitern und Kollegen aus der Neurologie und dem LIN.

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Teilprojekt A 11

te und Wissenschaftler der kognitiven Seiteund gehen der Frage nach, ob der PPN auchan der Kodierung motivierten Verhaltensund an der Aufmerksamkeitssteuerung be-teiligt ist. Zu den kognitiven Funktionen desPPN gehört zum Beispiel, dass wir akusti-sche und visuelle Reize miteinander verbin-den und auf ein Ereignis beziehen können,die so genannte multisensorische Integra-tion. Ein typisches Beispiel dafür ist derBauchrednereffekt: Wir assoziieren eine Stim-

me zu einer Puppe, obwohl die Stimme mög-licherweise von woanders her kommt.

Die Implantation der Elektroden geschieht inder stereotaktischen Neurochirurgie. Nachder Operation haben die Patienten an Mes-sungen mittels modernster bildgebenderund elektrophysiologischer Verfahren teilge-nommen, um die Wirkungsmechanismender Stimulation zu erforschen. Erschwerendist jedoch, dass das Zielgebiet im Gehirn sehr

klein ist und dass nur ganz ausgewähltePatienten stimuliert werden können. DiePPN-Stimulationstherapie führte bei ihnenzu kürzeren Reaktionszeiten in einfachenAufgaben und zu Veränderungen in der Auf-merksamkeit. Hans-Jochen Heinze resü-miert: „Wir haben bei den Patienten gese-hen, dass der PPN für bestimmte Aspekteder Aufmerksamkeit zuständig ist, und dassgesteigerte Aufmerksamkeit ein möglicherMechanismus zur Verbesserung von Bewe-gung und Gang bei Parkinsonpatienten seinkann. Da einige der Patienten während derStimulation aber auch deutliche Nebenwir-kungen hatten, werden wir das Projekt sonicht fortführen sondern nach alternativenVerfahren suchen“.

Projekt „Bewerten, Explorieren und Handeln:Die Rolle des PPN“

Projektleitung Prof. Dr. med. Hans-Jochen HeinzeProf. Dr. med. Jürgen VogesDr. med. Christian Kluge

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Rätsel Gehirn - Schnittbilder eines Patienten aus dem 7 Tesla-Tomographen.

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Teilprojekt A 12

Die Habenula: eine kleine Struktur "zügelt" motiviertes Verhalten

Das menschliche Gehirn sorgt dafür, dasswir unser Verhalten flexibel anpassenkönnen. Wie präzise lässt sich im Hirn lo-kalisieren, welche Strukturen daran be-teiligt sind?

Ein kleiner Teil des Gehirns – er ist nurwenige Millimeter groß – hat es MarkusUllsperger besonders angetan: dieHabenula. Im Lateinischen bedeutet dasWort Zügel, weil sie von der Seitebetrachtet einem Zügel ähnelt. Warum istgerade dieser Teil so interessant? DieHabenula kontrolliert das Ausschüttender Botenstoffe Serotonin und Dopamin,die unser Verhalten maßgeblich beein-flussen. „Mich interessiert das flexibleadaptive Verhalten von Menschen, wiesie auf bestimmte Probleme beim Er-reichen ihrer Ziele reagieren. Wenn wirein bestimmtes Ziel verfolgen, kann essein, dass wir Fehler machen und dar-aufhin negative Rückmeldungen bekom-men“, so Ullsperger. Er vermutet, dassdie Habenula an der Verarbeitung vonnegativen Handlungsergebnissen betei-ligt ist.

„Als wir angefangen haben, hat michinteressiert, welches Netzwerk dort invol-viert ist: Wie bewertet das Gehirn es,wenn wir Fehler machen und wo sendetes diese Information hin? Die Habenulawar in diesem Zusammenhang noch nichtberücksichtigt.“ Bei der Untersuchung

der Habenula wird das Gehirn stimuliert,indem der Proband eine Aufgabe lösenmuss. „Damals bei unserem ersten Expe-riment haben wir versucht, Unsicherheitbei dem Probanden zu verursachen,sodass er eine Rückmeldung von unsbraucht.“ Die Probanden sahen zweiBälle auf dem Computerbildschirm, die

unterschiedlich schnell zur gegenüberlie-genden Seite flogen. Nach der Hälfte desBildschirms verschwanden die Bälle. DiePersonen sollten sagen, welcher Ball zu-erst auf der anderen Seite angekommenist. Den Schwierigkeitsgrad kann man beidem Experiment beliebig steigern undverursacht damit immer mehr Unsicher-

Ein Netzwerk aktivierter Hirnregionen bei der Handlungsüberwachung. Hb: Habenula,aI: anteriore Insel, vS: ventrales Striatum, aMCC: anterior midcingulate cortex,preSMA: präsupplementärmotorisches Areal (modifiziert nach Ullsperger & vonCramon, J Neurosci, 2003).

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Teilprojekt A 12

heit beim Schätzen, sodass die Proban-den auf eine Rückmeldung wie „richtiggeschätzt“ oder „falsch geschätzt“ ange-wiesen sind, die ihnen auf dem Bild-schirm eingeblendet wird. So konnte dasTeam erste Ergebnisse veröffentlichen.

Bei dem Projekt, an dem Ullsperger seitHerbst 2013 forscht, arbeiten die Wis-senschaftler mit Schmerzreizen, um ne-gative Konsequenzen des Handelns imExperiment zu simulieren. Die Habenulahilft dem Menschen, diese Schmerzreizezu vermeiden. Um sich ein Bild von denbeteiligten Hirnregionen zu machen, wirdder Patient in ein Hochfeld-MRT mit 7-Tesla Feldstärke geschoben. Am Fuß ha-ben die Forscher kleine Elektroden be-festigt, die einen elektrischen Impuls anden Patienten senden. „Am Fuß deshalb,damit die Elektrizität so weit wie möglichvom Magnetfeld des MRT entfernt ist“,berichtet Oliver Speck. Damit vermeidetman Störungen während der Messung.Um sich vorher darüber im Klaren zusein, welcher Patient wie empfindlich ist,testen die Forscher die Schmerzschwelle.Anhand dieser bestimmen sie den maxi-malen Stromwert, der dem Patientenzugeführt werden darf.

Aktuell versuchen Ullsperger und seinTeam, sogenannte Lokaliser zu entwi-ckeln. Darunter versteht man Versuchs-protokolle, die diese Gehirnregionen noch

genauer lokalisieren können. Denn dasMRT bildet immer die Aktivitäten desgesamten Gehirns ab, sodass die For-scher filtern müssen, welche Aktivität aufdem Bild für sie wichtig ist. Das Team umdie zwei Doktoranden und eine wissen-schaftliche Mitarbeiterin beabsichtigt,die Aktivität der Habenula damit einzelndarstellen zu können. Sie wurden dafürvon zwei Experimenten inspiriert, welchean Ratten und an Mäusen durchgeführtwurden: Im Ersten greifen sie den Tag-und Nachtrhythmus der Habenula auf. ImZweiten trainieren sie die aversive Kondi-tionierung von Menschen, also das Ler-nen durch negative Reize. Die Interaktionzwischen den Neuronen, die dabei ent-steht, bildet ein Netzwerk im Gehirn.

Doch damit geben sich die Forscher nochnicht zufrieden. Ein weiterer Ansatz: Überdiffusionsgewichtete Bildgebung der Ner-venbahnen wollen sie die einzelnen Fa-serverbindungen nachweisen, die sich imGehirn bilden.

In der nächsten Projektphase soll esdann um die Rückkopplung bei den Pa-tienten gehen. Was passiert in meinemGehirn, wenn ich eine negative Rück-meldung bekomme? Da der Stand derWissenschaft bei depressiven Patientenschon weit fortgeschritten ist, kann anihnen am besten gezeigt werden, was ge-nau geschieht. „Bei der Habenula geht es

wahrscheinlich um viel mehr, als nur umdie Funktionen, die wir bereits kennen“,so Ullsperger. Insgesamt bildet sie offen-bar eine Schlüsselstruktur für motiviertesVerhalten.

Projekt „Die Habenula und motiviertesVerhalten des Menschen“

ProjektleitungProf. Dr. rer. nat. habil. Oliver SpeckProf. Dr. med. Markus Ullsperger

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Teilprojekt B 01

Wie Sinne und Werte im Gehirn zusammenwirken

Wir brauchen sie, bevor wir beschließen,eine Sprache zu lernen. Wenn wir uns eh-renamtlich engagieren, ist sie eine Voraus-setzung. Wir könnten all die alltäglichenAufgaben nicht eigenständig erledigen, wennsie nicht wäre: unsere Motivation. Dochwie entsteht diese eigentlich und warum istsie bei dem einen mehr, beim anderenweniger ausgeprägt? Mit diesen Fragen be-schäftigt sich der Neurobiologe Frank Ohl.

„Die Motivationsforschung ist traditionelleher ein Gebiet der Psychologie und Verhal-tensforschung. Das Besondere in unseremSonderforschungsbereich ist, dass wir dieverschiedenen Fachdisziplinen, die sich mitder Erforschung der Motivation im Gehirnbeschäftigen, zusammenführen.“ Medizi-ner, Neurobiologen, Psychologen, Biologenund Biochemiker arbeiten hier, um interdis-ziplinär zu erforschen, wie Gehirne funktio-nieren.

In seinem Projekt widmet sich Frank Ohldem Zusammenspiel von zwei unterschied-lichen Systemen im Gehirn. Zum einen wirdunsere Wahrnehmung über die sensorischenSysteme gesteuert. Zum anderen bestim-men die sogenannten Verstärker-evaluie-renden Systeme, wie wir aus positiven odernegativen Rückmeldungen unser Verhaltenoptimieren. Frank Ohl veranschaulicht: „Wirkönnen unser Verhalten verändern. BestimmteVerhaltensweisen führen zu Effekten, dieauf uns zurückwirken. Wenn wir erfolgreich

waren, erleben wir positive Emotionen. Dasist die positive Verstärkung. Bei Misserfolgerleben wir Enttäuschung.. Das ist eine ne-gative Verstärkung.“

Wie interagieren beide Systeme nun mitein-ander bei unterschiedlich motiviertem Ver-halten und was passiert während des Erler-nens dieses Verhaltens? Ändern sich diefunktionellen Verbindungen zwischen Hirn-regionen mit dem Grad der Motivation? Umdiese Fragen zu beantworten, erkunden dieForscher die Verarbeitung der Sinnesein-drücke und erforschen, wie sich Belohnungund Bestrafung auf diese Verarbeitungspro-

zesse auswirken. Die Wüstenrennmaus eig-net sich besonders gut für dieses Projekt,denn sie kann komplexe akustische Signaleunterscheiden und auch schwierige Aufga-ben bewältigen. Die Forscher erhoffen sichAufschluss darüber, wie die Maus das Ge-hörte verarbeitet und in eine Verhaltens-strategie übersetzt.

Während des Versuchs sitzt die Maus ineiner Shuttlebox, bestehend aus zwei Kam-mern, die durch eine kleine Hürde vonein-ander getrennt sind. Hört die Maus einenTon, soll sie über die Hürde in die andereKammer springen. Läuft sie nicht los, be-

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Teilprojekt B 01

merkt sie einen leichten elektrischenReiz an ihren Füßen. Gleichzeitig wer-den die elektrischen Signale des Ge-hirns und Veränderungen in seinerDurchblutung gemessen. „Wir ver-setzen die Tiere in ganz bestimmteSituationen, in denen sie etwas ler-nen können und eine Motivation aus-bilden“, erläutert Prof. Ohl.

Die Wissenschaftler untersuchenauch, welche Gene und Proteine ander Ausprägung des Verhaltens be-teiligt sind. Hierzu arbeiten sie zu-dem mit Hausmäusen. Aber warumgerade die Hausmaus? „Das kommtdaher, dass sie einen sogenanntenModellorganismus in der Biologie dar-stellt. Mittels rekombinanter DNA-Technik können wir das Genom derMäuse verändern und zum BeispielMäuse züchten, die ein bestimmteszusätzliches Gen haben oder bei deneneines abgeschaltet wird“, so Ohl.

Die Wissenschaftler untersuchen mit diesenAnsätzen, wie Wahrnehmung, Reizbewer-tung und Handlungen miteinander intera-gieren. Diese Wechselwirkung ist eine zen-trale Funktion, welche dem Lernen zuGrunde liegt. Ein spannendes Forschungs-feld, bei dem man staunt, dass selbst kleineNagetiere motiviert werden können, Neueszu lernen.

Projekt „Interaktion sensorischer undVerstärker-evaluierender Systemebeim auditorischen Lernen“

Projektleitung Prof. Dr. rer. nat. Frank W. Ohl

iEine Maus lernt, nur auf bestimmte Töne über eineHürde zu springen (oben). Im SPECT-Scanner(Single-Photon Emission Computer Tomograph)können durch Lernen verursachte Veränderungenin der Durchblutung des Mäusegehirns sichtbargemacht werden (unten).

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Teilprojekt B 02

Vom Hören zum Handeln

Im Alltag strömen ständig Geräusche aufuns ein. Klingelnde Telefone, klackerndeSchuhe, hupende Autos, schlagende Tü-ren, plaudernde Kollegen – manche da-von, wie das Telefonklingeln, kön-nen eine wichtige Bedeutung für unshaben und erfordern unmittelbareine Entscheidung, nämlich das Ge-spräch anzunehmen oder abzuleh-nen, während andere Geräuschegetrost ausgeblendet werden kön-nen. Das Hören ist ein besonderswichtiger Sinn für unser Handeln.Die Hörrinde im Gehirn verarbeitetdeshalb nicht nur isoliert die Töne,sondern ebenso auch neuronale Mo-tivationszustände, prozedurale undkognitive Aspekte des Handelns, dieim Zusammenhang mit dem Hörenstehen.

Michael Brosch und Henning Scheichbeschäftigen sich in ihrem Projektmit der Frage, wie so unterschiedli-che Aspekte einer Aufgabe – etwashören, eine Entscheidung treffen,eine Handlung durchführen, dabeimotiviert sein und am Ende even-tuell eine Belohnung für die richtigeReaktion erhalten – in den neuro-nalen Aktivierungsmustern in derHörrinde kodiert werden können.Um diese Zusammenhänge zwischen Hö-ren, Handeln und Motivation und der Ein-speicherung ins Gedächtnis besser zu ver-

stehen und mit den komplizierten Ver-schaltungen der Nervenzellen in Verbin-dung zu bringen, wird ein Tiermodell benö-tigt, das dem Menschen so ähnlich wie

möglich ist. Langschwanz-Makaken sinddafür gut geeignet, weil sie die komplizier-ten Aufgaben gut erlernen können und uns

Menschen näher sind als zum BeispielRatten oder Mäuse.

Was geschieht nun im Versuch? Der Maka-ke hört einen Ton, woraufhin er ei-nen Schalter anfassen soll. Wenn errichtig reagiert hat, bekommt er ei-ne Belohnung. „Wir wollen heraus-finden, was im Gehirn passiert,wenn die Töne gehört werden unddann die Aufgabe dazu durchgeführtwird“, erzählt Brosch. Durch sehrfeine Elektroden, die ins Gehirn ein-geführt werden, können die Signalebestimmter Nervenzellen in der Hör-rinde gemessen werden. So kannüberprüft werden, wie diese Zellenwährend der Aufgaben reagieren.

Während des Versuchs wird dieAufgabenstellung variiert. Bei einerAufgabe kann der Makake den Tonselbst auslösen, um die Belohnungzu erhalten. Dadurch kann er denZeitpunkt des Handelns und damitauch den Zeitpunkt der Belohnungselbst bestimmen. „Uns interessiertjetzt, ob sich die Verarbeitung in derHörrinde verändert, wenn er dieVerrichtung der Aufgaben vorhersa-gen kann“, erzählt Brosch. Bei eineranderen Aufgabe bekommt das Tier

direkt nach dem Ton die Belohnung, ohneetwas dafür tun zu müssen. In derAuswertung können die Signale der Elek-

Löst gern knifflige Aufgaben: Langschwanzmakake

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Teilprojekt B 02

troden miteinander verglichen werden, umzu untersuchen, wie die Kopplung vonHören, Handeln und Belohnung im Erre-gungsmuster der Nervenzellen repräsen-tiert wird.

In den Versuchen wird auch untersucht,wie sehr die Belohnung mit in den Lern-erfolg hineinspielt. Wenn das Tier die Ak-

tion ausführt, erwartet es eine Belohnung,denn dies hat es im Laufe des Versuchesgelernt. „Die Frage ist, ob eigenes Handelnauf den Ton folgt und belohnt wird oder obder Ton nur die Belohnung anzeigt“, erklärtBrosch. Daher soll nun untersucht werden,ob der Affe erwartet, dass der Ton kommtoder ob der Ton nur ein Mittel zum Zweckist, um die Belohnung zu erhalten.

Doch dieser Weg, bis die Makaken so weitsind, dass sie die Aufgaben erlernt haben,dauert ein paar Monate. In vielen kleinenSchritten werden die Tiere nach und nachan die Versuchsumgebung gewöhnt und andie Aufgaben herangeführt. „Sie durchlau-fen hier eine Art Schule“, erklärt MichaelBrosch. „Wir achten sehr genau darauf,dass dies für die Tiere stressfrei abläuft“,fügt er hinzu.

Der Nutzen aus diesen Experimenten liegtneben dem Erkenntnisgewinn, wie so viel-fältige Informationen neuronal kodiert wer-den können, auch darin, aufbauend auf die-sem Wissen Hirnstimulationstechniken zuentwickeln, die bei neurologischen Patien-ten mit Störungen im hirneigenen Beloh-nungssystem in der Klink eingesetzt werdenkönnen.

Projekt„MotivationsabhängigeKonzeptbildungsprozesse im Hörcortexvon Makaken“

ProjektleitungProf. Dr. rer. nat. Michael Brosch Prof. Dr. med. Henning Scheich

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Nicht nur fürs Hören zuständig: in der Hörrinde laufen akustische Signale mit Informationenüber erwartete Belohnungen und auszuführende Bewegungen zusammen.

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Teilprojekt B 05

Interneurone als zelluläre Schalter für das Gedächtnis

Das menschliche Gehirn ist das komplexesteOrgan, das es gibt. Es erlaubt uns, verschie-denste Umweltreize wie Gerüche, Bilder oderTöne wahrzunehmen und zu bewerten, dieseInformationen dauerhaft im Gedächtnis zuspeichern und später gezielt abzurufen.Die emotionale Bewertung unsererWahrnehmungen spielt dabei eine be-sondere Rolle, denn sie bestimmt ganzwesentlich die Relevanz der zu spei-chernden Information und damit, wiegut und wie genau eine Erinnerungschlussendlich in unserem Gedächtnisgespeichert wird. Bei allen diesen Vor-gängen spielen sogenannte Interneu-rone eine wichtige Rolle. Diese Nervenzellen kommen in großerZahl und Vielfalt im gesamten Gehirnvor und bestimmen die Verschaltungs-muster von Nervenzellen innerhalb ein-zelner Hirnstrukturen. So legen sie fest,wie Informationen von diesen Struk-turen verarbeitet und gespeichert wer-den. In dem Projekt wird die Bedeutung vonInterneuronen bei der Wechselwirkungzwischen zwei Hirnstrukturen, derAmygdala und dem Hippokampus,erforscht. Die Amygdala (lat. für den„Mandelkern“) und der Hippokampus(lat. für das „Seepferdchen“) tragen ihreNamen aufgrund ihrer jeweiligen Form. Siesind zudem eng miteinander verbunden.Während aber die Amygdala als das emotiona-le Kontrollzentrum des Gehirns gilt, integriert

der Hippokampus verschiedene Wahrneh-mungen mit bereits vorhandenen In-formationen und Erinnerungen. Zusammennehmen sie die emotionale Bewertung vonWahrnehmungen vor und tragen entscheidend

dazu bei, dass Informationen aus demKurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnisübertragen werden. Es wird untersucht, wel-chen Beitrag Interneurone in der Amygdala undim Hippokampus dazu leisten. „Diese Inter-

neurone können wie eine Art Schalter wirken“,erklärt Oliver Stork. „Sie entscheiden, was imGedächtnis gespeichert wird und was nicht“.Die Wissenschaftler konnten zeigen, dassInterneurone nicht nur innerhalb der beiden

Strukturen verschaltet sind, sonderndarüber hinaus auch zu der direktenVerbindung zwischen Amygdala undHippokampus beitragen. Welche Inter-neurone sind an der emotionalen Be-wertung von Informationen und an derSpeicherung emotionaler Gedächtnis-inhalte beteiligt? Die verschiedenen Un-tergruppen von Interneuronen werdendazu anhand ihrer Neuropeptide undanderer biochemischer Marker klassifi-ziert. In speziell für diese Forschunggezüchteten Mäusen können Rezepto-ren, Proteine und Signalwege in diesenZellgruppen gezielt ausgeschaltet wer-den. „Die von uns untersuchten Inter-neurone im Hippokampus kontrollierenzum Beispiel wie stark der Kontext –also der weitere Zusammenhang deremotionalen Erfahrung – im Gehirngespeichert wird“, erklärt Ahsan SyedRaza, der als wissenschaftlicher Mitar-beiter in dem Projekt arbeitet. „Deshalbbeobachten wir sehr genau, welcheVerhaltensreaktion die trainierten Tiere

zeigen, wenn sie ihre Erinnerungen in einerUmgebung abrufen, die der ursprünglichenLernsituation gleicht.“ Die Entwicklung neuermolekularbiologischer Technologien erlaubt esRaza, Interneurone mit hoher Präzision zu

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Teilprojekt B 05

beeinflussen und ihre Aktivität genau zu kon-trollieren. Der Wissenschaftler verwendet Virenals Vektoren, um kurze Stücke von Erbinfor-mation in diese Zellen einzuschleusen unddamit die Expression zelleigener Rezeptorenund Signalmoleküle zu unterdrücken. „Sokönnen wir dafür sorgen, dass diese Interneu-rone von einem bestimmten Neurotransmitternicht mehr angesteuert werden oder sogar vor-übergehend selbst ganz aufhören zu feuern“,erklärt Raza.

„Wenn die Funktion der Inter-neurone z.B. durch Stress ge-stört wird, kann es zu Lernde-fiziten kommen“, berichtetStork. „Wir wollen herausfin-den, wie genau solche Stö-rungen zustande kommen“.Alle im Projekt untersuchtenInterneurone nutzen den Neu-rotransmitter GABA (Gamma-Aminobuttersäure) um dieAktivität ihrer Zielzellen zuhemmen. In Mäusen, die aufgrund einesgenetischen Defekts wenigerGABA produzieren, kann daherihre Bedeutung für die Ge-dächtnisbildung bestimmtwerden. Es geht z.B. darum,welche Lernstrategien die Tie-re anwenden. Dabei sollen siein einer Umgebung mit ver-schiedenen Markierungen ei-ne Belohnung finden, die sich

unmittelbar neben einer dieser Markierungenbefindet. „Die Maus kann zwei Lösungsstrate-gien anwenden“, erklärt Iris Müller, die alsDoktorandin in diesem Projekt arbeitet. „Siekann sich entweder an den verschiedenenMarkierungen orientieren und so eine ArtRaumplan der Umgebung verwenden oder sieorientiert sich grundsätzlich nur an derjenigenMarkierung, die der Belohnung am nächstenist. Wenn wir diese eine Markierung dann ver-schieben, muss sich die Maus entscheiden, ob

sie lieber ihrem Raumplan folgt oder sich ganzauf die verschobene Markierung konzentriert“,fügt sie hinzu. Sind die Tiere ängstlich, so ver-wenden sie eher die zweite Strategie; diesesPhänomen ist besonders bei den Mäusen zubeobachten, die genetisch bedingt wenigerGABA produzieren und eine aktivere Amygdalaaufweisen. Parallel zu ihrer Arbeit mit denMäusen untersucht Müller nun, ob ähnlicheMechanismen möglicherweise auch die Wahlvon Lernstrategien im Menschen beeinflussenkönnen. Die Forscher hoffen mit ihren Unter-suchungen an Interneuronen Prozesse aufklä-ren zu können, die ganz grundsätzlich unsereGedächtnisbildung und unsere Reaktion aufemotionale Reize und Stress bestimmen. Da-mit wollen sie auch zu einem besseren Ver-ständnis von Erkrankungen wie Depressionen,Angststörungen oder Demenz beitragen, diemit Veränderungen in der GABA-vermitteltenHemmung im Gehirn einhergehen.

Projekt„Funktion GABAerger Interneurone desamygdalo-hippokampalen Systems inder Balance von aversiver Motivationund Verhaltensinhibition“

ProjektleitungProf. Dr. sc. nat. Oliver StorkProf. Dr. rer. nat. Herbert SchweglerProf. Dr. rer. nat. Rüdiger Linke

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Teilprojekt B 06

Wie entsteht Furcht?

Depressionen, Angststörungen oder trau-matische Erlebnisse – oft haben Menschenihr Leben lang mit Furchterkrankungen zukämpfen. Umso wichtiger ist es die Mecha-nismen, die dahinterstecken, zu erforschenund zu verstehen. In dem Projekt „Die Rollevon BDNF für die Langzeit-Potenzierung inder Amygdala während der Furchtkonditio-nierung“ wird ein Protein erforscht, das einewichtige Rolle für das Furchtgedächtnisspielt: der hirneigene Wachstumsfaktor BDNF.Unter der Leitung von Volkmar Leßmannwird die Funktion dieses Faktors beim Ler-nen anhand elektro- und verhaltensphysio-logischer Experimente untersucht.

BDNF steht für „Brain-derived neurotrophicfactor“ (deutsch: „vom Gehirn stammenderneurotropher Faktor“) und spielt besondersin der Entwicklung des Nervensystems einewichtige Rolle – denn ohne BDNF würdesich unser Gehirn nicht richtig bilden. DerFaktor ist aber auch entscheidend anLernprozessen und speziell an der Gedächt-nisbildung beteiligt. „Wir wollen uns dieRolle von BDNF beim Erlernen und Verlernenvon Furcht anschauen“, berichtet ThomasEndres, der für die verhaltensphysiologi-schen Experimente zuständig ist. „WoherBDNF kommt, wo es arbeitet, ob es einenLangzeit- oder Kurzzeiteffekt hat, all diessind Fragen, denen wir nachgehen.“

Der Ausgangspunkt des Projekts liegt inVerhaltensversuchen mit Mäusen, deren

Furchtgedächtnis untersucht wird. Das Er-lernen von Furcht wird durch die Furcht-konditionierung erreicht. Dabei hört dieMaus einen Ton, auf den ein leichter elektri-scher Reiz folgt. Das natürliche Verhaltender Maus darauf ist, dass sie regungslosverharrt – die Forscher nennen das Verhal-ten „Freezing“. Hört sie später nur den Ton,so tritt dieses Verhaltensmuster auch auf,da sie in Erwartung des elektrischen Reizes

den Ton mit Furcht verbindet. Doch dieseFurcht vor dem Ton kann die Maus wiederverlernen. Wird ihr der Ton 20 bis 30 Malohne den elektrischen Reiz präsentiert, sowird die Freezing-Reaktion immer geringerbis der Ton keine Furcht mehr auslöst. „DasFurchtgedächtnis ist aber immer noch vor-handen“, erzählt Endres. „Wenn beispiels-weise die Umgebung verändert wird, dannlöst der Ton wieder Furcht aus.“

Die Doktorandin Petra Lichtenecker beobachtet die BDNF-Verteilung in einem Hippo-campus-Neuron unter dem Mikroskop und leitet dabei elektrische Signale aus dieserNervenzelle ab.

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Teilprojekt B 06

Wie aber kommt es, dass die gleicheVerhaltensreaktion zuerst durch die Kombi-nation von Ton und Reiz und dann aufeinmal nur noch durch den Ton ausgelöstwird? Und wie kann dies wieder verlerntwerden? Was verändert sich an den Synap-sen im Gehirn damit dies passiert? Mit ver-antwortlich dafür ist vermutlich der Wachs-tumsfaktor BDNF.

Um dies zu untersuchen, werden genetischveränderte Mäuse, bei denen nur noch etwadie Hälfte des BDNFs produziert wird, ge-testet. Alternativ werden die BDNF-Rezep-toren im Gehirn der Mäuse durch pharma-

kologische Substanzen blo-ckiert. Führt man nun die-selben Verhaltensexperimen-te mit den Mäusen durch, sozeigt sich, dass diese Tierenicht so gut lernen können.Doch wie geschehen dieseVeränderungen an den Sy-napsen? Um diese Frage zubeantworten, messen die For-scher direkt die elektrischenEigenschaften der Nervenzel-len, und zwar in Schnittprä-paraten aus dem Gehirn.„Wir wollen mit den Gehirn-schnitten nachahmen, was invivo, also im lebenden Orga-nismus, passiert“, erklärtSusanne Meis, die diese Ver-suche in der Amygdala

durchführt. Dazu werden die BDNF-Rezep-toren durch Pharmaka ausgeschaltet unddie Zellen durch elektrische Signale stimu-liert. Dadurch kann der Einfluss von BDNFauf die Langzeit-Potenzierung der Synapsenuntersucht werden. Unter Langzeit-Poten-zierung versteht man die langandauerndeVerstärkung der synaptischen Übertragung.Das heißt, dass mehr Aktionspotenziale ent-stehen, wodurch die Übertragung an denSynapsen verstärkt wird. „Bei einem BDNF-Mangel sollte die Langzeit-Potenzierungschneller wieder abklingen“, erklärt ElkeEdelmann, die ähnliche LTP-Versuche imHippocampus durchführt. „Dadurch können

Informationen nicht so gut aus dem Kurz-zeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis ab-gespeichert werden.“

Um genau zu verstehen, wie das Furcht-gedächtnis von BDNF abhängig ist, werdendie Ergebnisse aus den Verhaltensexperi-menten mit den Resultaten der elektro-physiologischen Versuche in Verbindung ge-bracht. Daraus kann ein Modell für dasFurchtlernen und das Furchtgedächtnis ent-wickelt werden. Da eine Reihe von Angst-störungen, wie z.B. Phobien oder posttrau-matische Belastungsstörungen auf einfehlgeleitetes Furchtlernen bzw. eine man-gelnde Extinktion der Furcht zurückgeführtwerden, ist eine genauere Kenntnis der zu-grundeliegenden Mechanismen eine wich-tige Voraussetzung für die Entwicklungneuer Therapieansätze für Patienten mitkrankhaft verändertem Angstempfinden.

Projekt „Die Rolle von BDNF für die Langzeit-Potenzierung in der Amygdala währendder Furchtkonditionierung“

Projektleitung Prof. Dr. rer. nat. Volkmar Leßmann

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BDNF: ein wichtiger Wachstums- und Plastizitätsfaktorfür Nervenzellen.

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Teilprojekt B 08

Auf dem Jacobsweg

Ein Blick durch die Linse des Mikroskopszeigt eine winzig kleine Welt, die mitbloßem Auge nicht zu erkennen ist. Nurwenige Mikrometer groß sind die grünleuchtenden Nervenzellen, die aus demGehirn der Maus stammen. Zusammenformen sie eine weit verzweigte Land-schaft, die einem komplexen Straßen-netz ähnelt. Dieses Netzwerk verzweigtsich deutlich feingliedriger als unser

Verkehrssystem. Eine Nervenzelle kannbis zu 10.000 Kontakte mit anderenNeuronen herstellen. Damit sie dabeinicht den Überblick verliert, sorgt derZellkern im Inneren des Neurons fürOrdnung. Er ist dafür verantwortlich,häufig genutzte „Neuronenautobahnen“weiter auszubauen. Die wenig genutztenNebenstraßen werden dagegen vernach-lässigt.

Bei dem Projekt der Forschergruppe gehtes um genau diese Kommunikation vonSynapsen mit dem Zellkern. MichaelKreutz erläutert, dass Proteine aus akti-ven Synapsen zum Zellkern transportiertwerden. Aber wie wird dieser Transport-vorgang ausgelöst und kontrolliert? Wassind das für Signale, die von der Synap-se zum Zellkern weitergeleitet werden?Wie wird die Information an den Zellkernübermittelt, aus welcher Synapse dieSignal-Proteine stammen? Und was fängtder Zellkern mit dieser Information an?

Der Zellkern steuert die Produktion vonProteinen, die für den Ausbau der Sy-napsen benötigt werden, von denen dasursprüngliche Signal ausging. Die Grup-pe um Michael Kreutz vermutet, dassgenau solche Prozesse der Bildung einesLangzeitgedächtnisses zugrunde liegen.Eine wichtige Rolle spielt hier der neuro-nale „Jacobsweg“, auf dem Signale ausder Synapse zum Zellkern transportiertwerden. Jacob ist ein Protein, dass esdem Zellkern erlaubt, Informationen ausSynapsen zu dekodieren und in geneti-sche Information umzusetzen. Ver-gleichbar einem Hub, einem Drehkreuzaus der Luftfahrt, bindet Jacob verschie-dene Proteine und wird so an die korrek-te Stelle im Zellkern transportiert.

Das Signal, was den Transport auslöst,ist der Anstieg der Calcium-Konzentra-

Gemeinsam auf dem neuronalen „Jacobsweg“ unterwegs: Michael Kreutz (3.v.l.),Anna Karpova (r.), Marina Mikhaylova (2.v.l.), und Sujoy Bera (l.)

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Teilprojekt B 08

tion direkt in den aktiven Synapsen, diean einem Lernvorgang beteiligt sind. Dieser Signalweg ist sehr selektiv, dennwenn die Kalziummenge in den Zellennicht durch synaptische Aktivierung, son-dern durch pathologische Vorgänge an-steigt, dann löst das Jacob-Protein imZellkern keine plastizitätsfördernden son-dern neurodegenerative Prozesse aus.

Anhand von gentechnisch verändertenMäusen versuchen die Forscher, ihreVermutungen über den Jacobsweg zu be-stätigen. Hierzu entfernen sie das Jacob-Gen in bestimmten Hirnzellen oderHirnregionen der Maus. Das Resultat: „Inunseren Experimenten finden wir, dassdie Mäuse ohne Jacob Probleme mit demLangzeitgedächtnis haben. Die Mäusezeigen aber auch Anzeichen von psychi-atrischen Störungen und konnten sichbeispielsweise nur schwer auf eineSache konzentrieren“, erläutert Kreutz.

So geht es bei den Experimenten nichtnur darum, einem Mechanismus vonGedächtnisstörungen auf die Spur zu kommen, sondern auch um neue An-satzpunkte für die Entstehung psychi-scher und neurologischer Erkrankungen zu finden. Der Jacobsweg weist denForschern also eine neue Richtung imVerkehrsnetz der Neuronen.

Projekt „Der NMDA-Rezeptor-aktivierteKernimport von Jacob: Ein Signalwegzur Regulation von Lern-induzierterGenexpression?“

ProjektleitungDr. rer. nat. Michael R. Kreutz

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Ein Aquarell neuronaler Verschaltung: Unterm Mikroskop werden aktive Präsynapsen(grün leuchtend) sichtbar gemacht

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Teilprojekt B 09

Plastische Synapsen: Lernen mit und ohne „Fagott“

Neugierig läuft die Wüstenrennmaus durch dieBox, in die sie gerade gesetzt wurde. Sie erkun-det die Ecken und schnuppert an der Hürde,die die längliche Box in zwei Teile trennt. In einpaar Minuten wird ihr erstes Lernexperimentbeginnen. Eine aufsteigende Tonfolge erklingt.Immer und immer wieder folgen entweder auf-steigende oder absteigende Tonfolgen. Nacheiniger Zeit merkt die Maus, dass sie demleichten elektrischen Reiz in ihrer Hälfte derBox entgehen kann, indem sie bei den aufstei-genden Tonfolgen über die Hürde auf dieandere Seite der Box wechselt. Dass sie beiden absteigenden Tonfolgen sitzen bleiben soll,hat sie schnell gelernt.

So ein Lernvorgang vollzieht sich im Gehirn derWüstenrennmaus in den Nervenzellnetzwerkenund an den Synapsen, die die Neuronen ver-binden. „Synapsen sind mikroskopisch kleineKontaktstellen zwischen Nervenzellen. Um siezu beeinflussen, verwenden wir zwei verschie-dene Herangehensweisen“, erklärt EckartGundelfinger. „Zum Einen können wir durchPharmaka die Synapsen akut manipulieren.Ein anderer Weg ist, Gene für Synapsenbau-steine gezielt auszuschalten“, fügt er hinzu.

Bei den Verhaltensexperimenten mit denWüstenrennmäusen werden mit Hilfe pharma-kologischer Substanzen die Rezeptorsystemeim Gehirn beeinflusst, die die Lern- und Ge-dächtnisprozesse modulieren. „Dopamin istein wichtiger Botenstoff, der Synapsen in ihrerEffizienz beeinflussen kann“ erklärt Wolfgang

Tischmeyer: „Mit der pharmakologischenMethode können wir die Rezeptoren fürDopamin aktivieren oder auch hemmen undso die neuronalen Netzwerke modulieren.“

Zweiter Schwerpunkt des Projekts ist die Arbeitmit mutierten Genen, insbesondere mit demGen für das Protein Bassoon (deutsch: Fagott).„In den Synapsen sind mehrere Hundert ver-schiedene Proteine aktiv. Wir gehen davon aus,dass sie wie Solisten in einem Orchesterzusammenwirken müssen, damit die Synap-

sen richtig funktionieren “, berichtet EckartGundelfinger. „Wir wollen untersuchen, waspassiert, wenn Bassoon nicht mehr in denSynapsen vorhanden ist“. Das Protein sitzt inder Präsynapse und ist dort an der Freisetzungchemischer Botenstoffe beteiligt. Über geneti-sche Veränderungen wurden Mäuse gezüchtet,die kein Bassoon mehr in ihren erregendenSynapsen haben. Diese Mäuse werden nun inLern- und Verhaltensversuchen getestet.„Schritt für Schritt tasten wir uns durch immerspezifischere Verhaltensexperimente heran,

Neugierig: Wüstenrennmaus vor dem Experiment.

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Teilprojekt B 09

damit wir dann auf molekulare Mechanismen,die für die Gedächtnisbildung wichtig sind,schließen können“, fügt er hinzu.Was macht das Bassoon-Protein in der Synap-se? Um diese Frage zu beantworten, setzen dieForscher auf Experimente in vitro, also außer-halb des lebenden Organismus in einer Zell-kultur. Es geht darum, Veränderungen in einzel-nen Zellen zu beobachten und molekulareProzesse an individuellen Synapsen zu analy-sieren. Die Erkenntnisse aus der Zellkulturkönnen dann wieder im Tiermodell überprüftwerden.

Zu Lernvorgängen tragen neben denNervenzellen auch die Gliazellen bei, die imGehirn in sehr großer Zahl vorkommen.„Gliazellen sind elektrisch fast inaktiv“, erklärtDaniela Dieterich. „Trotzdem sind sie entschei-dend an der Informationsübertragung und -verarbeitung beteiligt.“ Sie tragen, ähnlich wieNervenzellen, Rezeptoren für Transmitter wiebeispielsweise Dopamin. Dadurch können siedurch Pharmaka so manipuliert werden, dasssich die Aktivität von Synapsen verändert. „Wirwollen in den Gliazellen dieselben Wirkstoffeverwenden wie in den Neuronen“, berichtetDaniela Dieterich. So kann untersucht werden,welche Proteine nach Dopamin-Stimulation inbeiden Zelltypen neu gebildet werden undwelche Auswirkungen Glia-beeinflussendeSubstanzen auf Gedächtnisprozesse haben.Werden nun alle drei Projektschwerpunktezusammengefügt, so kann eine Verbindungzwischen dem, was auf molekularer und

zellulärer Ebene stattfindet und demVerhalten hergestellt werden. „Die Auswir-kungen auf das Lernen können so gut unter-sucht werden“, erklärt Daniela Dieterich.Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dassDopamin über verschiedene Signalwege ander Gedächtnisbildung beteiligt ist, dassBassoon notwendig ist, damit Transmitterbei Lernprozessen korrekt freigesetzt wer-den, und dass Gliazellen sehr aktiv am syn-aptischen Geschehen bei Lernvorgängenteilnehmen.

Projekt„Mechanismen synaptischer Plastizitätbei Kortex-abhängigen Lernprozessen“

Projektleitung Prof. Dr. rer. nat. Daniela C. Dieterich Prof. Dr. rer. nat. Eckart D. GundelfingerDr. rer. nat. Wolfgang Tischmeyer

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Lernen ist Teamarbeit: Gliazellen (grün) im engen Kontakt mit Bassoon-haltigenNervenzellen (magenta)

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Teilprojekt B 11

Kleine Tiere mit großem Gedächtnis: Wie sich Fliegen Düfte merken

Sie sind nur wenige Millimeter groß, habenerdbeerfarbene Augen und sind im Alltageher lästig: Drosophila melanogaster, bes-ser bekannt als Fruchtfliegen. In der Neuro-biologie sind sie jedoch als Modell-Orga-nismen sehr geschätzt, denn sie verfügenüber ein simpel aufgebautes Gehirn, wassie dennoch zu erstaunlichen Lernleis-tungen befähigt. Bertram Gerber untersuchtmit seinen Mitarbeitern, wie Taufliegen ler-nen, einem Ereignis eine Bedeutung beizu-messen und welche Rolle positive odernegative Motivation dabei spielen.

Fliegen haben noch einen weiteren Vorteilim Lernlabor: ihre Gene sind bestens cha-rakterisiert und leicht experimentell mo-difizierbar. „Die molekulare Ebene ist insbe-sondere wichtig, wenn es um diemedizinische Forschung geht“, erzähltGerber. „Oft kann man die Erkenntnisse vonder Fliege nahezu eins zu eins auf denMenschen übertragen, denn die Moleküleund ihre Rolle beim Lernen sind sich durch-aus ähnlich“, fährt er fort. Die andere Ebeneist die der Gehirnstrukturen und Schalt-kreise. Hier unterscheiden wir Menschen

uns viel mehr von den kleinen Insekten.„Wenn es um Gehirnstrukturen und Schalt-kreise geht, haben Fliege und Mensch fastkeine Übereinstimmungen“, berichtetGerber. „Außerdem haben Fliegen sehr vielweniger Nervenzellen – und sind trotzdemschwer per Hand zu fangen“. Ein interes-santer Aspekt, der die einfachen und effi-zienten Schaltkreise der Fliegen zum Vorbildfür die Robotik macht.

Bertram Gerber untersucht das Verhaltender Fliegen, wenn sie Düfte mit einemEreignis assoziieren. „Wichtig ist zu wissen,dass jedes einschneidende Erlebnis, egalob positiv oder negativ, zwei Seiten hat“,erklärt Gerber. „Einen Anfang und einEnde.“ Daher können solche Erlebnisseauf zwei Arten erinnert werden. DerAnfang von etwas Schlechtem wird alsBestrafung empfunden, während das Endevon etwas Schlechtem wie eine Beloh-nung wirkt. „Das Bestrafungslernen istim Hinblick auf seine Mechanismen schonsehr gut erforscht“, meint Gerber. „Wirinteressieren uns dafür, was gelernt wird,

Fliegen können unterscheiden, ob sie einen Duft mit einer Erleichterung oder Bestrafungverknüpfen. Das hängt von der zeitlichen Reihenfolge ab, ob der Duft auf den Schmerzfolgt (Erleichterungslernen) oder umgekehrt (Bestrafungslernen).

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Teilprojekt B 11

wenn der 'Schmerz nachlässt', das Beloh-nungslernen durch Erleichterung (ReliefLearning).“

Dazu führen sie ein Experiment durch, beidem zwischen 50 und 100 Taufliegen ineiner kleinen Röhre sitzen, die mit Duft-stoffen geflutet werden kann. Zuerstbekommen die Fliegen einen Duft präsen-tiert. Einige Zeit später kommt ein zweiterDuft. Doch anders als beim Ersten folgthierauf ein leichter elektrischer Reiz.Wieder vergeht etwas Zeit. Dann werdendie Fliegen vor die Wahl gestellt: nachlinks geht es zu Duft eins, nach rechts zuDuft zwei. „Wie zu erwarten, vermeidendie Fliegen den Duft, bei dem sie denelektrischen Reiz bekommen haben undflüchten lieber zu dem anderen Duft hin“,erklärt Gerber. Dies ist ganz typischesBestrafungslernen. Doch dreht man dieReihenfolge von Duft und Reiz um, sokommt man zu einem ganz anderen Er-gebnis. Der erste Duft wird so präsen-tiert, wie im ersten Versuch. Der elektri-sche Reiz folgt jetzt aber nicht auf denzweiten Duft, sondern er kommt davor.„Die Fliegen bekommen den Duft in demMoment, in dem der Reiz abklingt“, er-klärt Gerber. Werden sie anschließendwieder vor die Wahl gestellt, so fliegensie nun lieber zu dem zweiten Duft hin.Dies ist bekannt als Relief Learning undbedeutet, dass das Abklingen des elektri-schen Reizes als positiv erlebt wird.

Doch was passiert dabei im Fliegengehirn?Eine wichtige Rolle spielt dabei eine be-stimmte Struktur: die Pilzkörper. Pilzkörperheißen sie, weil ihre Form an einen Pilzerinnert. Sie sind besonders am Lernen undErinnern von Gerüchen beteiligt. Riecht dieFliege einen gewissen Duft, so gibt es einebestimmte Kombination an Pilzkörperzellen,die diesen Duft verarbeiten, woraufhin einAktionspotential ausgelöst wird. Hinzukommt der elektrische Reiz. Er wird an allePilzkörperzellen übertragen, doch nur in denZellen werden die Synapsen verstärkt, indenen auch die Duftsignale angekommensind. Dadurch lernt die Fliege, dass sie beidiesem Geruch wegfliegen muss, um denReiz zu vermeiden. Wie dieser Vorgang inden neuronalen Schaltkreisen und Synap-sen abläuft und welche Stoffe daran betei-ligt sind, versuchen die Forscher umBertram Gerber nun herauszufinden. „Bis-

her wissen wir, dass unter anderem daspräsynaptische Protein Synapsin dafürwichtig ist“, berichtet Gerber. Synapsin kon-trolliert sowohl das Bestrafungslernen alsauch das Relief Learning.

„Das Erstaunliche daran ist, dass bei zweientgegengesetzten Lernformen auf moleku-larer Ebene der gleiche Mechanismus greiftund es in denselben Pilzkörperzellen statt-findet“, fügt er hinzu. Worin sich die beidenLernformen molekular unterscheiden, istdas nächste Forschungsziel.

Projekt„Molekulare und zelluläreMechanismen des Relief Learning beiDrosophila“

ProjektleitungProf. Dr. rer. nat. Bertram Gerber

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Querschnitt durch ein Fliegengehirn (rot).Die Pilzkörper sind gelb dargestellt.

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Teilprojekt B 13

Von Furcht, Sicherheit und Erleichterung

Furcht ist eine wichtige Emotion, die unserVerhalten stark beeinflussen kann. Das istbiologisch sinnvoll, wenn wir dadurch Ge-fahren oder Bestrafungen aktiv vermeidenkönnen. Empfinden wir keine Furcht,so fühlen wir uns sicher. Haben wirAngst verspürt, die nun vorüber ist,so sind wir erleichtert. Diese Erleich-terung kann zu einem Gefühl vonSicherheit führen. Furcht kann aberauch quälend sein, wenn sie sichverselbständigt und zur Krankheitwird, sodass keine vernünftige Ver-haltensanpassung mehr möglich ist.Der Neuropharmakologe Markus Fendtsucht nach den neuronalen Mechanis-men von Furcht, Erleichterung undSicherheit, die durch Assoziationen –also gelernte Reize – ausgelöst wer-den.

Ähnlich wie Taufliegen (siehe TP B11)und alle anderen Tiere können auchRatten Furcht erlernen. Dazu wird einExperiment durchgeführt, bei dem dieRatten in einer Röhre in einer dunklenBox sitzen. Zuerst kommt ein Licht-reiz, gefolgt von einem elektrischenReiz. Wird dies nun mehrmals wie-derholt, so verbindet die Ratte denLichtreiz mit einer Bestrafung und der Licht-reiz löst Furcht aus. Wird die Reihenfolgevon elektrischem Reiz und Lichtreiz jedochumgekehrt, so ist das gleiche Phänomenwie bei den Fliegen zu beobachten: das so-

genannte Relief Learning (Erleichterungsler-nen). Überprüft werden kann dies mit einerSchreckreaktion. Dabei hört die Ratte einGeräusch wie ein lautes Schnipsen, vor dem

sie erschrickt. Diese Reaktion kann gemes-sen werden.

„Wenn der Lichtreiz, der mit Erleichterunggepaart wurde, vor dem Schreckreiz präsen-

tiert wird, geht die Reaktion der Ratte umetwa 70 Prozent zurück“, erzählt Fendt. „DieRatte erschrickt nicht so sehr, weil sie dasLicht mit etwas Positivem verbindet.“

Ebenso wie Menschen sind Ratten inihrem Verhalten verschieden – man-che sind ängstlicher, manche sindweniger furchtsam. „Durch verschie-dene Tests können wir die Grund-ängstlichkeit der Ratten bestim-men“, berichtet Fendt. Bei einemTest beispielsweise werden die Tierein eine große Box gesetzt, die dieWissenschaftler „offenes Feld“ nen-nen, und haben zehn Minuten Zeit,diese zu erkunden. „Ratten mögenes, eine Wand an einer Seite zu ha-ben“, erzählt er. Die Tiere, die sichmehr in der Mitte aufhalten, sindweniger ängstlich als die Tiere, diegrößtenteils am Rand bleiben. „Beiunseren Versuchen spiegelt sich die-se Grundängstlichkeit in den Ergeb-nissen wider“, fügt Fendt hinzu. We-niger ängstliche Tiere lernen leichterRelief Learning, während ängstliche-re Tiere besser Furcht erlernen.

Um herauszufinden, wie das Lernender Emotionen im Gehirn vermittelt wird undwelche Gehirnstrukturen am Relief Learningbeteiligt sind, werden verschiedene phar-makologische Untersuchungen durchge-führt. „Wenn man bei Ratten das Beloh-

Im so genannten Lochbrett-Test kann die Grundängstlichkeitvon Ratten gemessen werden.

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Teilprojekt B 13

nungssystem im Gehirn pharmakologischfür ein paar Stunden ausschaltet, dann kön-nen sie das Relief Learning nicht mehr er-lernen“, erklärt Fendt. „Furchtlernen dage-gen ist kein Problem.“ Daran erkennt man,dass beiden Lernvorgängen unterschiedli-che neurale Mechanismen zugrunde liegen.Darauf aufbauend suchen Markus Fendtund seine Mitarbeiter nun nach beteiligtenTransmittern oder Rezeptoren.

Doch Furcht und Erleichterung sind offenbarnicht die einzigen Angst-relevanten Lern-formen. „Was wir neben dem Relief Learningnoch beobachtet haben, ist das sogenannteSicherheitslernen“, berichtet Fendt. BeimSicherheitslernen lernt die Ratte, dass siewährend des Lichtreizes nie einen elektri-schen Fußreiz bekommen wird. Er vermitteltsozusagen Sicherheit. Dies kann dadurcherreicht werden, dass elektrischer Reiz undLichtreiz in unregelmäßigen Abständen prä-sentiert werden. „Nur ein paar Sekundenvor und nach dem Reiz darf das Licht nichterscheinen“, erklärt Fendt.

„Dann können die Ratten das Licht mitSicherheit assoziieren.“ Wie diese Art des Ler-nens funktioniert, was sie von Relief Learningunterscheidet und in welchen Gehirnarealensie angesiedelt ist, ist bisher noch unklar undsoll jetzt noch weiter untersucht werden. Damitwill Markus Fendt dazu beitragen, Angster-krankungen des Menschen besser zu verste-hen und zielgerichtet behandeln zu können.

Projekt„Emotionale Aspekte von EventLearning bei der Ratte:Charakterisierung und neuronaleGrundlagen“

ProjektleitungProf. Dr. rer. nat. habil. Markus Fendt

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Teilprojekt B 14

Umlernen durch Umbauen: Befreiung aus der Matrix

Laufen, sprechen, zeichnen, schreiben, lesen. Esist erstaunlich, wie viel und wie schnell kleineKinder lernen können. Wenn ein Erwachsener alldies noch einmal neu lernen müsste, würde erdafür viel länger brauchen und es würde ihmdeutlich schwerer fallen. Warum das so ist? DasGehirn von Erwachsenen ist auf eine andere Artplastisch als das von Kindern. Nervenzellenbeim Erwachsenen sind von einer Struktur netz-artig umgeben, die bei Kindern erst mit der Zeitaufgebaut wird: die extrazelluläre Matrix (ECM).Alexander Dityatev, Renato Frischknecht undConstanze Seidenbecher beschäftigen sichschon lange mit dieser Struktur. Sie wollen her-ausfinden, welche Rolle die Matrix beim Lernenspielt und wie sich neuronale Aktivität daraufauswirkt.

Doch was genau ist die extrazelluläre Matrix?Sie besteht aus Proteinen und Zuckerbau-steinen, die von den Zellen abgesondert werden,und findet sich im ganzen Körper wieder. Dortbildet sie zum Beispiel Knorpel, sorgt für dieElastizität des Gewebes oder schottet Organevoneinander ab. Im Gehirn isoliert sie einzelneNervenzellen und stabilisiert die Synapsen.„Gerade beim Lernen kann dies aber eher hin-derlich sein“, meint Frischknecht.

Wieso das so ist, zeigt sich in einem Versuch mitWüstenrennmäusen. Sie sitzen in einer soge-nannten Shuttle-Box – einer Box, die in derMitte durch eine Hürde getrennt ist. Hören dieTiere eine aufsteigende Tonfolge, so sollen sieüber die Hürde auf die andere Seite der Box

springen. Wenn sie dies nicht tun, spüren sieeinen leichten elektrischen Reiz an den Pfoten.Bei einer absteigenden Tonfolge sollen sie sitzenbleiben und nicht über die Hürde springen. Auchhier kommt der elektrische Reiz, wenn sie esnicht tun. „Die Tiere werden für einige Tage trai-niert, bis sie diese Aufgabe gut lösen können“,erklärt Frischknecht. „Dann drehen wir dieBedeutung der Töne plötzlich um und sie müs-sen die Aufgabe umlernen.“ Dies fällt den Tieren

sehr schwer und einige schaffen es gar nicht,die neue Bedeutung zu erlernen. Behandelt mandie Mäuse aber vor dem Umlernen mit einemEnzym, was die Matrix in der Hörrinde abbaut,so können sie die Aufgabe neu erlernen. „Durchden Abbau der Matrix wird die Plastizität er-höht“, erklärt Dityatev. „Es wird ein Zeitfenstergeöffnet, in dem das System plastischer ist,wodurch auch die erwachsenen Tiere besser um-lernen können – also kognitiv flexibler werden.“

Wie beeinflusst Dopamin die extrazelluläre Matrix von Nervenzellen? Dieser Frage gehtRenato Frischknecht am Mikroskop nach.

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Teilprojekt B 14

Doch auch mit der Matrix im Gehirn kann manlernen, denn während des Lernens werdenEnzyme – sogenannte Proteasen – von den ak-tiven Zellen ausgeschüttet, wodurch die Matrixlokal begrenzt zurückgebaut wird. Dadurch ent-steht Platz, der das Wachstum neuer Synapsenund somit die Verknüpfung neuer Kontakteermöglicht. Ist eine stabile Verbindung entstan-den, bildet sich die Matrix wieder. „Wir wollenjetzt herausfinden, wann und wieso diese

Enzyme ausgeschüttet werden“, erzähltFrischknecht. „Unsere Vermutung ist, dassDopamin an diesem Umbau beteiligt ist, indemWachstumsfaktoren und Enzyme ausschüttetwerden, wenn Dopamin an seine Rezeptorenbindet“, fügt Constanze Seidenbecher hinzu.Um diese Hypothese zu überprüfen, werdenzunächst Nervenzellen in vitro – also außerhalbdes lebenden Organismus – kultiviert und mitDopamin behandelt. Anschließend überprüfen

die Forscher im Reagenzglas und unter demMikroskop, ob die Moleküle der Matrix abgebautwurden. Bei der Beantwortung der Frage helfenauch Mäuse, die auf Grund genetischer Ver-änderungen viel weniger Dopamin im Gehirnausschütten.

„Bisher können wir die Matrix nur sehr großflä-chig abbauen“, erzählt Frischknecht. „Als näch-stes versuchen wir herauszufinden, wie wir lo-kaler und spezifischer in den Abbau eingreifenkönnen.“ Diese Mechanismen aufzuklären istnicht nur für die Grundlagenforscher spannend,denn der Abbau der extrazellulären Matrix kannvielleicht bei der Therapie von Angsterkran-kungen oder posttraumatischen Belastungs-störungen helfen. „Wichtig ist jetzt erst aber ein-mal herauszufinden, wie der natürliche Auf-und Abbau gesteuert wird“, meinen die For-scher. „Denn es muss immer ein Gleichgewichtzwischen Stabilität und Plastizität im Gehirnvorhanden sein.“

Projekt„Zusammenspiel vom dopaminergenSystem und der extrazelluläre Matrixbeim aversiven Lernen“

ProjektleitungProf. Dr. Alexander Dityatev, Ph.D.Dr. sc. nat. Renato FrischknechtPD Dr. rer. nat. Constanze Seidenbecher

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Grazile Schönheit: Die 360-fache Vergrößerung einer Nervenzelle macht die Matrixauf ihrer Oberfläche sichtbar (grün und rot). Die blaue Färbung zeigt an, dass dieseZelle als Interneuron andere Nervenzellen hemmt.

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Impressum

TexteKatharina KramerSarah Schüler

RedaktionSophie EhrenbergSarah SchülerConstanze Seidenbecher

KontaktSFB 779Sprecher: Prof. Dr. Frank Ohl SFB-Sekretariat: Bianka Gehec/o Leibniz-Institut für Neurobiologie Brenneckestr. 639118 Magdeburg

Tel.: 0391 626391331E-Mail: [email protected]: www.sfb779.de

Gestaltung und ProduktionClaudia LietgeHERTRICH Werbung und GestaltungAnnastr. 2939108 Magdeburg

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Bildnachweise:Reinhard Blumenstein: S. 6, 7, 8, 10, 11, 18, 26, 34, 36, 39, 42, 44, 50; Eike Budinger: S. 37; Daniela; Dieterich: S. 45; EmrahDüzel/Matthew Betts: S. 25; Renato Frischknecht: S. 51; Bertram Gerber et al.: S. 46 u., 47; Jens-Max Hopf/Ariel Schoenfeld: S. 14;Anna Karpova: S. 43; André Karwath (Wikipedia): S. 46 o.; Klaus Kopitzki: S. 16; Kerstin Krauel: S. 19; Dirk Mahler/OVGU CBBS:Titelseite (5x), S. 4, 15, 23, 24, 30, 31, 38, 40, 48; Frank Ohl/Jürgen Goldschmidt/Angela Kolodziej: S. 35; Stefan Pollmann: S. 20, 21;privat: alle S. 9; Alan Richardson-Klavehn/Jasmin Kizilirmak: S. 28, 29; Markus Ullsperger: S. 32; Werner Zuschratter: Titelseite (u. r.)