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// DIE ULTRAS (-GRUPPEN) AM SCHEIDEWEG // UNTERWEGS IM EUROPAPOKAL // KLEINE SZENEN VORGESTELLT: HEIDENHEIM > AUSSERDEM: ULTRAS INFERNO 96 15-JAHRESFEIER IN LÜTTICH ULTRAS IN KASACHSTAN EIN BLICK NACH ZENTRALASIEN PYROTECHNIK LEGALISIEREN PRO & CONTRA MATCHREPORTS GC ZÜRICH VS. FC ZÜRICH TUS KOBLENZ VS. EINTRACHT TRIER DARMSTADT 98 VS. OFC IZMIR-DERBY: KARSIYAKA VS. GÖZTEPE 22 3,50 EUR [D] - 4,00 EUR [AUT] - 6,00 CHF [CH] GÄSTEBLOCK DYNAMO ANSICHTEN DER SAISON 2010/11

22 - Blickfang Ultra - Das Magazin der Szene · Relevante und seriöse Infos aus der Türkei oder Rumänien kommen ja nicht einfach so in die Redaktion geflattert, sondern ... Subkultur

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// DIE ULTRAS (-GRUPPEN) AM SCHEIDEWEG

// UNTERWEGS IM EUROPAPOKAL // KLEINE

SZENEN VORGESTELLT: HEIDENHEIM

> AUSSERDEM:

ULTRAS INFERNO 9615-JAHRESFEIER IN LÜTTICH

ULTRAS IN KASACHSTANEIN BLICK NACH ZENTRALASIEN

PYROTECHNIK LEGALISIERENPRO & CONTRA

MATCHREPORTSGC ZÜRICH VS. FC ZÜRICH

TUS KOBLENZ VS. EINTRACHT TRIER

DARMSTADT 98 VS. OFC

IZMIR-DERBY: KARSIYAKA VS. GÖZTEPE

22

3,50 EUR [D] - 4,00 EUR [AUT] - 6,00 CHF [CH]

GÄSTEBLOCK DYNAMOANSICHTEN DER SAISON 2010/11

Hurra, da sind wir wieder. Wie versprochen hauen wir euch nach nur zwei Monaten Pause schon die nächste 116seitige Blickfang Ultra-Dröhnung um die Ohren. Nach den eher miesepetrigen Worten in den vergangenen Einleitungen wurde ich gebeten, doch mal wieder positiver an die Sache ranzugehen. Und in der Tat: die aktuelle Ausgabe braucht sich beileibe nicht zu verstecken. Sowohl inhaltlich, als auch gestalterisch haben wir wieder alles gegeben und für kleine Veränderungen gesorgt. Stillstand ist ja bekanntlich der Tod. Zwar hatten wir in den nur 6 Wochen die uns für die Arbeiten am Heft blieben ganz schön zu kämpfen, allen voran gegen die sich zum Ende hin immer schneller drehenden Zeiger der Uhr, weswegen ihr diesmal auf ein großes Gruppeninterview verzichten müsst. Ebenso fehlt in dieser Ausgabe der sogenannte „Blick in die Kurve“, bedeutet also, dass wir ohne Interview und den typischen Szenenbericht auskommen, was sich aber trotzdem kaum in der Qualität des Heftes widerspiegelt. Das spricht also schonmal für sich. So sind die Themen buntgemixt. Über kontroverse Kommentare, bis hin zu Reportagen, Reiseberichten und ja letztlich doch einem Interview, nämlich mit Ultras aus Zentralasien. Damit dürfte für jeden etwas dabei sein.

Ganz besonders möchte ich an dieser Stelle auf unsere Matchreports hinweisen. Die gehen mir meiner Meinung nach sonst viel zu sehr unter; werden überblättert und als „sind halt einfach so drin“ abgestempelt. Das finde ich sehr schade, denn auch wenn es augenscheinlich nicht so rüberkommt, so steckt hinter einem jeden dieser Artikel eine Menge Recherche. Relevante und seriöse Infos aus der Türkei oder Rumänien kommen ja nicht einfach so in die Redaktion geflattert, sondern müssen erfragt und ranorgansiert werden. Auch diesmal bestechen diese Matchreports durch viele Informationen oder sorgen für ein bisschen Bildung abseits des Mainstreams. Ich denke da setzen wir als BFU gekonnt ganz neue Akzente, denn allzuoft liest man derlei Artikel in der deutschen Fanzinelandschaft nun auch wieder nicht, zumindest nicht gebündelt in vergleichbarer Form. Leider, und hier möchte ich auch indirekt auf viele uns gestellte Fragen antworten, können wir nicht von allen von uns favorisierten Spielen aus deutschen Landen berichten. Wir hätten sehr gern Matchreports des ein oder anderen Derbys oder brisanten Spiels im Heft verarbeitet, mussten uns aber logischerweise den Absagen der jeweiligen Gruppen/Szenen beugen. Im besten Falle hätten wir es bei einseitigen Statements belassen können, doch scheint uns das nicht unbedingt als sinnvolle Alternative. Es ist anzunehmen, dass sich daran auch in naher Zukunft nicht viel ändern wird. Was bleibt somit als Erkenntnis stehen?

Eine, ich drück es bewusst drastisch aus, zum Kotzen anmutende Ignoranz vieler Gruppen, die alle Interessierten egal welcher Sparte genau dorthin drängt, wo sie keiner haben will: zu ultras.ws! Was sage ich also allen Lesern, die gern von den Einzigen, die sich wirklich darüber äußern dürfen oder sollten, vom Spiel Dynamo gegen Eintracht Frankfurt gelesen hätten? Tja, den empfehle ich die Internetseiten der bekannten Zeitungen, wo sich außenstehende

Journalisten in Mutmaßungen und haarsträubenden Texten üben, oder eben sich durch 436 Seiten im entsprechenden ultras.ws-Thread durchzuwühlen. Da lernt man vielleicht von der Pike auf, wie normale Berichterstattung in unserer Subkultur heute funktioniert... Traurige Realität in Deutschland im Jahr 2011. Da gilt auch nicht das Möchtegern-Argument „die Jugendlichen sollen lieber was für die eigene Kurve machen, anstatt woanders hin zu schauen“, denn jeder von uns weiß, dass alle führenden Leute irgendwie vernetzt und sowieso immer informiert sind, also eh an alle relevanten Infos kommen. Der Rest guckt dann sprichwörtlich in die Flachbildröhre.

Jetzt hab ich mich grad so in die Sache hineingesteigert, dass sich der Platz nun dem Ende zuneigt. Ich möchte an dieser Stelle trotzdem noch kurz die Gelegenheit nutzen, um mich bei allen Helfern, Zuarbeitern, Fotolieferanten, Leserbriefschreibern, Feedbackgebern und nicht zuletzt bei den Leuten aus der Redaktion bedanken. Die Arbeit, die hinter jeder einzelnen Seite steckt, ist meist immens hoch, für den Endverbraucher jedoch absolut nicht sichtbar. Ich empfehle jedem Unbedarften mal ein Textverarbeitungsprogramm seiner Wahl zu öffnen und sich selbst an einem 8seitigen Heft zu versuchen. Da merkt man schnell, wieviel Aufwand und bis dahin gänzlich unbeachtete Dinge sich vor einem auftürmen...

Jetzt aber genug der mahnenden Worte und der Pöbelei. Auf ins Getümmel! Viel Spaß beim Lesen wünscht

Mirko

für Blickang Ultra & im Namen der restlichen Redaktion

PS. In eigener Sache:

Wir sind stets darum bemüht, neue und unverbrauchte Ideen zu realisieren. Dabei sind wir natürlich, wie immer, auf eure Mithilfe angewiesen.

Für die kommende Ausgabe bitten wir daher tatkräftig um fotografische Einsendungen rund um das Thema „Do it yourself“ kurz „D.I.Y.“. Eurer Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt - ob selbst gestaltetes Kleidungsstück, bemalter Jutebeutel oder eigens angefertigter Schlüsselanhänger. Wir sind auf der Suche nach individuellen Einzelstücken, die eure Verbundenheit mit Verein, Stadt, Gruppe oder Bewegung manifestieren.

Enthalten muss das Foto eine Quellenangabe (Name oder Pseudonym) und so höchauflösend wie möglich sein (bitte keine 200kb-Fotos einsenden). Dies alles bitte an: [email protected] --- Einsendeschluss ist der 15.01.2012.

10 Matchreports

40 Gästeblock Dynamo Saison 2010/11

32 Die Schande von Zürich

50 Unterwegs im Europapokal (Hannover & Bayern)

62 Pyrotechnik legalisieren: Pro & Contra

68 Ultras in Kasachstan

84 Streunende Köter - Cani Sciolti

94 Die Ultras (-Gruppen) am Scheideweg

104 Kleine Szenen: 1.FC Heidenheim

112 Medienecke

INHALT Salut!

Ihr wollt die BFU-Ausgaben regelmäßig

Euren Freunden oder Eurer Kurve anbieten?!

Kein Problem. Sendet eine E-Mail an [email protected]

und wir versorgen Euch mit allen wissenswerten Infos.

// 32 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

IMPRESSUM© 2011 Burkhardt & Partner Verlag

Alexander BurkhardtFreitaler Str. 4, 01705 Freital OT Pesterwitz

Alle Rechte [email protected]

Internet: www.blickfang-ultra.de

Chefredaktion & Inhalt:Mirko Otto & Holm Göldner

[email protected]

Druck & Bindung:Burkhardt & Partner Verlag - ISBN 978-3-940159-03-8

Satz, Layout & Gestaltung:Alexander Burkhardt, Bastian Bochinski

Mathias Mehling, [email protected]

Redaktionelle Mitarbeit:Arne Lorenz, Ronny Schulz, Tim Geideck, Torsten

Kuligowski, Nils Friedrich, Corsin Zander, Philipp Natzke,Benjamin Giebenrath, Edgar Lopez, Jan Milde

Fotos:Markus Stapke, David Kaiser, Philipp Natzke, Viktor

Freystedt, Lars Scholz, Marco Wedler, Marcel Rotzoll / www.jawattdenn.de, Martin Kuntzsch, Claude Rapp / www.cr-fotos.de, Tobias Hänsch / www.unveu.de, René Kirsten / www.sge4ever.de, Thomas Hilmes / www.der-betze-brennt.de, Paul Gärtner / http://seit1894.de / Thomas Uhlmann

Bestellungen:Einzelbesteller & Besteller bis zu 9 Hefte: blickfang-ultra.de

Großabnehmer & Besteller ab 10 Hefte:[email protected]

Einzelpreis: 3,50 EUR [D] - 4,00 EUR [AUT] - 6,00 CHF [CH]

Es werden keinerlei Abonnements von Blickfang Ultra angeboten, da die Erscheinungsweise des Magazins zu

unregelmäßig ist.

Alle Artikel, Texte und gekennzeichnete Fotos stammen von den Autoren bzw. den Gruppen und können von den tatsächlichen Geschehnissen abweichen. Bilder auf denen pyrotechnische Gegenstände abgebrannt werden, oder auf

denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, sollen diese Situationen nicht verherrlichen, sondern lediglich

die Ereignisse dokumentieren. Die eventuelle Schilderung von Aktionen vor, während oder nach Fußballveranstaltungen

erfolgt ausschließlich, „wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient“. (Strafgesetzbuch §131(3)) Für die Bilder der einzelnen Beiträge sind die jeweiligen Autoren

bzw. Gruppen verantwortlich. Namentlich gekennzeichnete Artikel verantworten die Autoren bzw. Gruppen selbst und müssen nicht die Meinung der Redaktion wiederspiegeln. Die Redaktion übernimmt keine Haftung für unverlangte

eingesandte Artikel, Texte, Fotos und Illustrationen. Sämtliche Texte und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Ein Nachdruck kann nur nach schriftlicher Genehmigung des Verlags und der Redaktion erfolgen. Bibliografische

Information der Deutschen Bibliothek. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbiographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Bildquellen: Titelbild: © DEVIANTS ULTRASSeite 2&3: Braunschweig vs. Fortuna Düsseldorf

Oktober 2011 © Block42fotos.deRückseite: Polen vs. Elfenbeinküste - November 2010

© rtj, www.FotoFanatics.eu

ERHÄLTLICH!

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Ultras ein Leben lang?EIN KOMMENTAR VON BENJAMIN GIEBENRATH

„Gruppenlos! Perspektivlos?“, durchaus eine berechtigte Frage und mit Span-nung erwartete sicherlich nicht nur ich den Text zu einem Thema, welches bis-her in der Ultrasszene kaum bis gar kei-ne Rolle gespielt hatte. In Zeiten, in de-nen die großen Gruppen immer größer werden, sich Ultras Abspalten und neue Gruppen gründen, kleinere Gruppen sich etablierten oder gerade die Hölle durch-laufen, sich in den unteren Ligen nahezu überall Ultras zusammenschließen, ist es wahrlich nicht selten, dass in den Kurven dieses Landes auch einige aktive Gruppenlose ihr Unwesen treiben.

Sind diese Personen denn wirklich pers-pektivlos? Der Autor des Textes kommt, meiner Ansicht nach, zu einem absurden und durch und durch haarsträubenden Schluss. Er beantwortet die von ihm selbst gestellte Fragestellung zwar nicht direkt, doch lässt sich heraus lesen,

dass die Perspektive für ihn einzig und allein darin besteht, eine neue Gruppe zu gründen. Ist man denn nur Ultras, wenn man sich einer Gruppe anschließt? Spinnen wir den Gedanken weiter, dann gehört, nach dieser These, eine gehörige Portion Selbstaufgabe dazu und die in der Szene so viel heraufbeschworenen eigenen Ideale und eigene Radikalität bleiben dabei oftmals auf der Strecke. Die eigenen Ideale sind die der Gruppe, die eigene Radikalität wird nur im Rah-men der Gruppe ausgelebt, die Gruppe bestimmt das eigene Denken und Han-deln. Das ist schön und gut und ein jeder darf sich glücklich schätzen, wenn er das große Glück hat, dass es in seiner Szene eine Ultrasgruppe gibt, mit der sich die jeweilige Person identifizieren und deren Ideale teilen kann. Es soll aber auch Menschen geben, die mit weit weniger Glück gesegnet sind und selbst in großen Szenen, zum Teil mit mehre-

ren Gruppen, keine Gruppe finden, mit und in der es sich leben lässt und zwar so, dass die Person tagtäglich in den Spiegel schauen und ohne sich selbst zu belügen sagen kann: „Ja, das ist es, hier gehöre ich hin!“. Ultras, auf die das nicht zutrifft, haben also, geht man nach Meinung des Verfassers, folgende Möglichkeiten: Die jeweilige Person findet sich mit den Gegebenheiten ab, wirft ihre eigene Meinung über Bord und lässt sich vom entsprechenden „Diretti-vo“ vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen und was sie zu denken hat. Hier gilt es den eigenen Kopf abzuschalten und im Strom der Gruppe mitzuschwim-men, Entscheidungen mitzutragen, die man selbst so nicht getroffen hätte. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und findet sich schnell mit suboptimalen Umständen ab. Ob das für einen selbst oder auch für die Gruppe (abgesehen von evtl. Mitgliedsbeiträgen und somit

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dem finanziellen Aspekt) etwas bringt, wage ich zu bezweifeln. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Dinge, die einem nicht passen, anzusprechen, die eigenen Gedanken und Ideen einzubrin-gen und so auf die Gruppe einzuwirken, damit diese sich in eine Richtung ent-wickelt, mit der man selbst leben kann. Ohne den letzten Aspekt angesprochen zu haben, kann ich sagen, dass diese Möglichkeit, bei einem Erfolg, natürlich das Optimum darstellt, dies aber sehr schwer umzusetzen ist, denn oftmals liegen die Vorstellungen zu weit ausei-nander und ganz ehrlich gesagt haben es die Gruppen wohl auch nicht nötig, sich aufgrund eines Einzelnen so weit zu ändern, nur damit dieser zufrieden ist und stolz und aufrecht durch die eigenen Räumlichkeiten spazieren kann. Dieser Weg wäre nur von Erfolg gekrönt, wenn durch das eigene Einwirken Denkprozes-se in Gang gebracht werden, die Gruppe in die Diskussion geht und Veränderun-gen selbst von der Gruppe ausgehen und diese ganz natürlich verlaufen. Lei-der sehr unrealistisch, insbesondere bei großen Gruppen!

Da dies oftmals nicht klappt und auch beim Verfasser des Artikels aus der letzten Ausgabe die ersten beiden Möglichkeiten keine Option darstellten, bleibt noch der dritte Weg, für den sich dieser wohl dann auch entschieden hat: Man trommelt wie in diesem Fall aus dem Text die eher älteren Ausge-tretenen, Rausgeworfenen und die eine oder andere Einzelperson aus der Kurve zusammen, gründet eine neue Gruppe und macht einen auf „Veccio Ultras“, verfasst vielleicht auch noch eine eman-zipierte Stellungnahme und erfreut sich seines Daseins. Diese Möglichkeiten mögen für den einen oder anderen si-cherlich funktionieren und auch richtig sein. Hier ist es wichtig zu betonen, dass es hierbei kein Richtig oder Falsch gibt. Jeder selbst muss für sich wissen, was das Richtige für ihn ist und sollte seinen eigenen, ganz persönlichen Weg konse-quent gehen, denn nur, weil man sich in der Szene seiner Kurve bewegt, heißt es nicht, dass man seine Selbstbestim-mung zwangsläufig ablegen muss. Wenn dieser Weg dann dahin führt, dass die Person dann ohne Gruppe dasteht, dann ist es eben so und auch so von allen Be-teiligten zu akzeptieren. Ich wehre mich aber gegen die Meinung, dass eine Per-son, die gruppenlos ist, auch keine Da-

seinsberechtigung als Ultras mehr hat! Keine Angst, ich wer-de mich nicht in De-finitionen verlieren, die der Frage auf den Grund gehen sollen: „Was ist ein Ult-ras?“ Ultras ist Aus-legungssache und gerade die deutsche Szene ist dermaßen heterogen, dass man sich mit einer öffentlichen (sub-jektiven) Definition nicht nur lächerlich macht, sondern Ultras in Deutschland nicht gerecht werden kann. Es ist also von vornherein zum Scheitern verurteilt und somit muss jede Gruppe und auch jede Einzelperson für sich den passen-den Weg finden. Worauf ich hinaus will, ist der Aspekt, dass Menschen, die sich, über einen längeren Zeitraum in einer Ultrasgruppe bewegt, diese mit-gestaltet und gelebt haben, niemals den Ultras-Gedanken ganz aus ihrem Leben streichen können. Gemeint sind hier Einzelpersonen, die lange den Weg ei-ner Gruppe mitgegangen sind, sich aber dazu entschlossen haben, ihre Gruppe zu verlassen oder, wie im Fall des Textes, aus der Gruppe gekickt wurden. Man möge mir die Person zeigen, bei der sich über Nacht der Schalter umgelegt hat und die eigenen Ansichten, die zur Not und im Bedarfsfall auch nonverbal verteidigt wurden, einfach so über Bord schmeißt und somit die vergangenen Jahre und auch sich selbst verleugnet.

Es ist immer die Frage, wie man selbst damit umgeht, denn wenn jemand gar nicht mehr zum Fußball geht und den totalen Bruch vollzieht, sieht die Sache natürlich anders aus, doch denke ich, dass diese Menschen eine absolute Minderheit darstellen und deren Zahl kaum erwähnenswert ist. Im Idealfall entwickelt man im Laufe seiner Ultras-Laufbahn ein kritisches Denken. Sei es gegen Kommerzialisierung im Allgemei-nen (auch in der Gesellschaft!), gegen Autoritäten, den Staat oder gegen fest-gefahrene Denk- und Verhaltensmuster. Wem es gelingt, dies alles mit der Zeit über Bord zu werfen, der hat dies ent-weder nicht genug verinnerlicht oder es während seines Daseins in der Gruppe nicht gelebt. Ein jahrelanger Ultras, der

sich später mal ein SKY-Abo zulegt oder plötzlich den Freund und Helfer als wirklich diesen betrachtet... Für mich undenkbar! Nicht Wenige er-tappen sich dabei, dass sie auch nach ihrer aktiven Zeit in einer Gruppe eine große Affini-tät zur Ultraskultur haben und gewis-se Verhaltenswei-sen auch nicht

ablegen (können)! Selbst wenn man es versucht, es geht einfach nicht! Man wünscht, dass die eigene Szene dem Gegner zusetzt, sei es auf den Rängen oder auf der Straße, dass die Kurve sich gut präsentiert, man klickt sich nach den Spieltagen durch die verschiede-nen Fotoseiten, liest weiter Fanzines/Magazine von vorne bis hinten durch, steht im Stadion und singt mit, ist an-gepisst und beginnt zu kratzen oder zu kleben, wenn Aufkleber anderer Sze-nen in der eigenen Stadt kleben und erkennt jeden von ihnen an jeder ver-dammten Straßenlaterne, taxiert seine Mitmenschen und erkennt einen Ultras bzw. eine Person mit Fußballbezug auf einen Kilometer Entfernung! Das alles wurde im Laufe der Jahre verinnerlicht und zeigte sich durch die automatisier-ten Verhaltensweisen. Ultras ein Leben lang? Das wird sich zeigen und keiner kann es mit Gewissheit beantworten, dafür ist die Bewegung in Deutschland noch zu jung und es fehlen schlichtweg die Erfahrungswerte. Dennoch braucht es um für den Verein, die Szene und sei-ne Stadt einzustehen, nicht zwingend eine Gruppe und für einige ist der Weg als Einzelperson eben der einzig wahre und ehrliche! Es kommt eben immer darauf an, was die jeweilige Person da-raus macht und solang man nicht den Bezug zur Faszination Ultras verliert, dann brennt das Feuer in einem weiter! Zitat zur Verwendung beim Design: Man trommelt die eher älteren Ausgetre-tenen, Rausgeworfenen und die eine oder andere Einzelperson aus der Kurve zusammen, gründet eine neue Gruppe und macht einen auf „Veccio Ultras“, verfasst vielleicht auch noch eine eman-zipierte Stellungnahme und erfreut sich seines Daseins.

Einiges an Reaktionen hat der letztmalige „Gruppenlos! Perspektivlos?“-Artikel aus der vergangenen Ausgabe hervorgerufen. Als Ergebnis stehen nun zwei State-ments, die die Kernaussage des Textes zu widerlegen versuchen. Gefällt euch nicht? Diskussionswürdig und eigentlich eine Antwort wert? Na dann los! Gedanken aufs Papier und ab die Post die im Impressum angegebene Mailadresse der Redaktion. Wir freuen uns auf eure Zuschriften!

Man trommelt die eher älteren Ausgetretenen, Rausgeworfenen und die eine oder andere Einzelperson aus der Kurve zusammen, grün-det eine neue Gruppe und macht einen auf „Veccio Ultras“, ver-fasst vielleicht auch noch eine emanzipier-te Stellungnahme und erfreut sich seines Da-seins.

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Ultrá leben, ohne de facto Mitglied einer sich als solcher definierenden Ultrasgruppierung zu sein – geht das? Ein Thema, dessen Diskussion durchaus zu begrüßen ist. Leider ist dies meiner Ansicht nach in der letzten Ausgabe dieses Magazins nicht ausführlich genug behandelt worden, vielmehr wurde in dem dort veröffentlichen Beitrag lediglich ein Denkanstoß geboten, aus welchem mir sich allerdings nicht wirklich die Intention des Autors oder der Auto-rin erschließt. Vorneweg, auch ich bin seit einiger Zeit in keiner Gruppe Mitglied, habe mich vor geraumer Zeit aufgrund verschiedenster, irre-parabler Differenzen von „meiner“ alten Gruppe getrennt. Die teilweise emotionalen und mir zu sehr mit ro-mantisierten und mit schmalzigem (Ultrá-)Pathos be-hafteten Zeilen in Ausgabe #21 kann ich somit zumin-dest teilweise nach-vollziehen: Dass die direkte Phase nach der Trennung neue und nicht unbedingt nur posi-tive Erfahrungen mit sich bringt, ist sicher nachvollziehbar. Das ist in ers-ter Linie vor allem menschlich, stellt die ehemalige Gruppe im Normalfall doch einen Großteil des FreundInnen- und Bekanntenkreises und somit das gewohnte soziale Umfeld dar. Eine ehrliche Trennung von dieser Grup-pe führt also zwangsweise dazu, sich auch größtenteils bis gänzlich von diesen Menschen zu trennen. So schön die gemeinsamen Erinne-rungen auch sein mögen, so groß müssen aber auch die Probleme gewesen sein, welche überhaupt erst zu dieser Trennung führten. Und natürlich kann es sein, dass du die gemeinsamen Erlebnisse und sogar jene Dinge, die dich sonst zur Weißglut und zu zähen, nie enden wollenden Diskussionen, getrieben

haben, beginnst zu vermissen. Den-noch hat das Ende einer Mitglied-schaft Gründe.

Schluss mit den Kompromissen, die mensch jedes Mal mit sich selbst eingehen musste, wenn in der Grup-pe Dinge vor sich gehen, mit denen mensch sich selbst nicht identifizie-ren kann. Ultrá darf nicht der Weg des kleinsten Widerstands sein, eine stetige Reflexion der eigenen Person sollte für einen Menschen mit einem alternativen Lebensstil (den Ultrá durchaus mitbringen kann, in mei-nen Augen sogar sollte) obligatorisch sein. Es ist bei einem konsequenten Austritt somit schier unumgänglich, mit ehemaligen WeggefährtInnen

zu brechen. Was würde es denn bringen, wenn mensch auf dem Papier kein Mit-glied der Gruppe XY mehr dar-stellt, dabei aber dennoch weiter-hin im Kreise der Gruppe verkehrt, gemeinsam mit

ihr zu Spielen an- und abreist, am Gruppenleben teilnimmt, und so weiter. Mit einem solchen Verhalten belügt mensch sich schlicht und ein-fach selbst. Mensch wird vielleicht nicht mehr in der Mitgliederliste geführt, nutzt dafür aber die Vorzü-ge und Strukturen, die ein solches Gruppengebilde nun Mal bietet. Das ist in meinen Augen Schwachsinn und hat etwas von „halbgaren“ Mit-gliedschaft. Mein Tun und Handeln innerhalb eines Gruppengefüges misst den Grad der Bindung des Individuums zur Gruppe, und auch wenn wir in Deutschland und somit in einer ziemlich ekligen Bürokratie leben, muss ich doch hoffentlich kein Formular ausfüllen, um Ultrá (im Na-men von Gruppe XY) zu leben. Somit sehe ich also die eigene Aktivität und nicht etwa irgendein Blatt Papier als

Indikator dafür, ob mensch nun zu ei-ner Gruppe „gehört“ oder nicht. Der Schritt, dies zu erkennen und sich von all dem zu lösen, was Einen „jah-relang mit Stolz erfüllte“ (um meinen Vorredner/meine Vorrednerin aus der vergangenen Ausgabe zu zitieren) gestaltet sich somit also wie bereits erwähnt als äußerst schwierig. Na-türlich ist es nicht zwingend nötig, sich in der Folge anzufeinden, sodass ehemalige FreundInnen einem später als GegnerInnen gegenüberstehen. Leider haben jedoch nicht nur mei-ne persönlichen Erfahrungen belegt, dass für viele Menschen die hochge-lobten Freundschaften unter Ultras, die so manchem Geschwätz in diver-sen Publikationen nach zu urteilen ja unheimlich tiefgründige Verbindun-gen darstellen, scheinbar nicht zu vergleichen mit Freundschaften „nor-maler Menschen“, oftmals einzig und allein an eine Gruppenmitgliedschaft gekoppelt sind. Die angesproche-nen „Anfeindungen“ entwickeln sich somit häufig von ganz alleine. Und selbst der Kontakt zu ehemals wirk-lich guten WeggefährtInnen leidet zwangsläufig unter dieser Maßnah-me. Klar, wem es wirklich wichtig ist, der/die trifft seine/ihre FreundInnen auch weiterhin außerhalb der Spiel-tage. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass der überwiegende Teil der Kon-takte mit der Zeit deutlich abkühlt.

Wie auch immer: Nun habe ich es also geschafft, aus meiner alten Gruppe auszutreten, organisiere meine An- und Abreise zu den Spielen selbst und fahre lieber – wenn ich Glück habe - mit anderen gruppenlosen Ul-tras oder gar alleine zu den Spielen meines Vereins. Wie geht es weiter? So viele Facetten und Betätigungs-felder unsere Bewegung auch bietet, das Elementarste von der großen Be-grifflichkeit „Ultras“ stellt für mich immer noch das Ausleben der Passi-on im Stadion dar. Wie verhalte ich mich hier? Ein Standpunkt inmitten der ehemaligen Gruppe sollte sich

aufgrund der weiter oben erwähnten Konsequenz von selbst verbieten. So gerne mensch sich auch im Epizent-rum der Kurve befindet, so unmög-lich ist es weiter jene Symbolik zu unterstützen, von welcher mensch sich mit seinem Austritt bereits ge-trennt hat (das gilt meiner Meinung nach auch für Kurven-Mechandise etc.). Und dennoch gibt es ihn wei-terhin, diesen inhaltlichen Drang aus dem Alltag auszubrechen, sich in Gesänge hineinzusteigern und alles andere für 90 Minuten zu vergessen. Somit bleibt einer Einzelperson wohl kaum etwas anderes übrig als sich ei-nen vertretbaren Standpunkt auf der Tribüne zu suchen, von wo aus eine leidenschaftliche Beteiligung am Support weiterhin möglich ist. Dies stellt sich je nach Größenverhältnis-sen der heimischen Tribüne und de-ren Auslastung Mal als leichter, mal als schwieriger dar (selbige Berück-sichtigung der Faktoren gilt selbst-verständlich auch für Auswärtsspie-le). Ich persönlich merkte allerdings schon nach wenigen Spielen, wie anders sich die Stimmung außerhalb des federführenden Kerns anfühlt und wie schwierig es ist, den eigenen Ansprüchen aktiver Support-Beteili-gung inmitten einer Masse von eher Fußball und Stimmung konsumieren-den StadiongängerInnen gerecht zu werden. Hinzu kamen divergierende Meinungen zur Art der Unterstützung im Allgemeinen und die fehlende Möglichkeit, den Tifo massiv durch die Einbringung der eigenen Kreati-vität zu prägen und mitzugestalten. Eine Einzelperson kann zwar Mal ein favorisiertes Lied (aus dem be-stehenden Liedgut) anstimmen, was es mit etwas Glück sogar bis zu den VorsängerInnen schafft, oder versu-chen dieses Lied in seinem Bereich möglichst ausdauernd vorzutragen. Schwieriger wird es dagegen, wenn mensch etwa eine neue Eigenkreati-on einführen will oder die Stimmung in ähnlicher Form dauerhaft mitzuge-stalten versuchen will.

Wie die aufmerksamen LeserInnen des Textes merken, kristallisiert sich langsam heraus, dass ein erfülltes Leben als Ultrá-“EinzelkämpferIn“ nur sehr schwer zu realisieren ist. Es liegt mir fern, mit meinem Leserbrief ein allgemeingültiges Rezept für

gruppenlose Ultras zu erstellen. Ult-rá an sich wird ja von jedem anders definiert, eine Daseinsberechtigung für gruppenlose Ultras ist somit in je-dem Fall gegeben. Möglich könnte ja auch sein, dass mensch ohne bereits eine Gruppenmitgliedschaft hinter sich zu haben einfach keiner der be-stehenden Gruppen beitreten möch-te, aus welchen Gründen auch immer. Auch dies gilt es, zu respektieren. Für mich persönlich ist das Gruppenlos-Sein jedoch nur eine Option auf Zeit. Langfristig betrachtet braucht es einfach Strukturen und ein sozia-les Miteinander, was einfach zu der Kultur dazugehört. Bestimmte Pro-jekte lassen sich nur in einer Gruppe umsetzten, die Vernetzung mit an-deren Menschen, die den gleichen Grundkonsens tragen, nimmt einen enormen Stellenwert ein und verteilt verschiedene Aufgaben auf mehrere Schultern. Somit liegt es nahe, dass der Prozess des Gruppenlos-Seins in der Idee einer eigenen Gruppe mün-det. Gruppenpluralismus ist ja auch eine super Sache, auch wenn das Vorhandensein von unterschiedlich ausgerichteten Gruppen/Kurven (-> Abspaltungen, die ja oft aus vorheri-gen Austritten und gruppenlosen Ult-ras hervorgehen) in breiten Teilen der deutschen Ultraslandschaft gerne als Untergang des Abendlandes gehan-delt wird. Die Gründung einer neu-en Gruppe sollte aber dennoch gut überlegt sein, vor allem, wenn nach dem Aus-tritt „Beef“ mit den etablierten Ultras herrscht. Es gehört mehr dazu, als den Ultras-Namensgenera-tor zu bemühen und irgendeine gera-de hippe Schriftart auf einen Stofffet-zen zu pinseln. Aber gut, das muss ja auch jedeR selbst entscheiden. Wie schnell sich die Abneigung gegen-über den oftmals ehemaligen Freun-dInnen in Gewalt und szeneinterne Repressionen entlädt, hat mensch in der Vergangenheit und Gegenwart an verschiedenen Beispielen gesehen. Mein Respekt geht daher an sämt-liche Abspaltungen, welche durch Teile der Szene des eigenen Vereins eingeschränkt werden. Geht weiter euren ehrlichen Weg, bleibt stand-haft. Besinnt euch an das Gute und

glaubt an eure Sache. Es gibt auch in anderen Städten Menschen, die euch verbunden sind.

Verurteilenswert dagegen ist der Hass, der solchen Alternativprojek-ten entgegenschlägt. Zumal diese Debatte auch oft unglaubwürdig ge-führt wird, sind gespaltene Kurven im Ausland doch nur selten Hassob-jekte – im Gegenteil, eher werden diese Kurven dann von deutschen HopperInnen gerne Mal abgefeiert, natürlich nicht ohne den Ausflug bei Facebook zu dokumentierten ... Doch bevor ich zu sehr vom Thema ab-schweife und meine Intention ähnlich unklar bleibt, wie bei dem in der vo-rangegangenen Ausgabe abgedruck-ten „Gruppenlos! Perspektivlos?“-Beitrag, möchte ich resümierend festhalten, dass gruppenlose Ultras in jedem Fall eine Perspektive haben. Langfristig gesehen ist das Grup-penlos-Sein sicherlich nur schwer attraktiv zu gestalten, trotzdem res-pektiere ich jene Menschen, welche diesen Weg aufrichtig und ehrlich ge-hen. Gerade durch den Abstand von alten und oftmals festgefahrenen Strukturen der ehemaligen Gruppen eröffnen sich Einem neue Horizonte, die es zu erforschen gilt. Das Zusam-menfinden mehrerer gruppenloser Ultras zur Erarbeitung einer Alterna-tive scheint mir ein sinnvolle, wenn-gleich auch schwierige Perspektive.

Aber auch ein dauerhaftes grup-penloses Enga-gement quittiere mit gebührendem Respekt, kann diese Entschei-

dung doch ehrlicher sein als irgend-welche Zweckmitgliedschaften oder Ähnliches. Glücklicherweise bietet Ultrá im Jahre 2011 auch genügend Betätigungsfelder, die außerhalb des Stadions auch mit vergleichswei-se wenigen Leuten umsetzbar sind und das Gefühl einer sinnvollen Be-schäftigung abseits des Alltagstrotts vermitteln. Innerhalb des Stadions dagegen ist mensch als absolute Minorität zu sehr in seinem Handeln eingeschränkt und muss die von den führenden Gruppen vorgegebenen Strömungen größtenteils schlucken. Ein Umstand, den zu tragen ich auf Dauer nicht bereit wäre.

Ein erfülltes Leben als Ultrá-“EinzelkämpferIn“ nur sehr schwer zu reali-sieren .

Gruppenlos! Aber nicht Perspektivlos! EIN KOMMENTAR VON MR.X

So schön die gemein-samen Erinnerungen auch sein mögen, so groß müssen aber auch die Probleme gewesen sein, welche überhaupt erst zu dieser Trennung führten.

8 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

Palmeiras vs. Corinthians2010/11© Gabriel Uchida

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SCHON GEWUSST?Europaweit verbindet man Torcida zwar mit der kroatischen Hafenstadt, doch stammt der Name ursprünglich aus Brasilien, abgeleitet vom portugiesischen Verb „torcer“ für „unterstützen“, wo Torcida sowohl als allgemeine Bezeichung für Supporter als auch als Synonym für eine bestimmte Gruppe dient. Nach der WM 1950 in Brasilien sagte einer der besten Hajduk-Spieler aller Zeiten und damals Nationalspieler Yugoslawiens Bajdo Vukas über die Stimmung, dass man bei dieser Lautstärke schon vor dem Spiel 1:0 zurückliege. Vor dem meisterschaftsentscheidenden Spiel gegen Roter Stern Belgrad im gleichen Jahr wählten einige Studenten deshalb diesen Namen für ihre Gruppe, um Hajduk zum Titelgewinn zu untersützen, u.a. auch mit einem nächtlichen Hupkonzert vor dem Hotel der Gäste.

Mehr über die Entwicklung der Torcidas in Brasilien und einen aktuellen Überblick zur brasilianischen Fanszene gibt es im BFU #23.

die Hundert vollgemacht!“. Wichtig war uns vor allem, dem Spagat

zwischen Tradition und Moderne die Waage zu halten, wobei der

„moderne“ Teil zur zweiten Halbzeit folgen sollte.

Die Stimmung in der Anfangsviertelstunde war lautstärke-technisch

wohl das Beste seit langer Zeit. Leider konnte dieses Niveau, auch auf

Grund der hohen Temperaturen, nicht annähernd gehalten werden.

Die Partie war geprägt durch langsames Spieltempo und generell

auf einem sehr niedrigen Level, da sich beide Teams weitestgehend

neutralisierten. Mit Halbzeitpfiff bereiteten wir den zweiten optischen

Höhepunkt vor: Zum Wiedereinlaufen der Spieler erblickte eine

handgenähte und -gemalte, rund 300m² große

Blockfahne aus Segelstoff das Licht der Welt. Am Zaun prangte ein

schlichtes blau-schwarz-gelb gestreiftes Folienbanner. Unter der

Blockfahne wurden allerlei Wurfrollen und Konfettikanonen unter die

Leute gebracht. Darüber hinaus verteilten wir Leibchen in unseren

Vereinsfarben. Auf Kommando ging die Blockfahne runter und das

komplette Sortiment wurde gen Spielfeld geworfen bzw. geschossen.

Bedauerlicherweise konnte nicht alles zur vollen Zufriedenheit ablaufen.

Unsere geplante und georderte Menge an Pyrotechnik schaffte es

leider nicht rechtzeitig, zum Kick in Koblenz zu sein. Somit mussten

wir sämtliche lokalen Kanäle anzapfen, um wenigstens eine kleine

Aktion durchführen zu können. Insgesamt war das „chaotische“

Bild dann aber doch in Ordnung. Zweite Halbzeit gewohntes

Rumgeholze auf dem Platz, dafür aber reichlich Zündstoff in und

hinter unserer Kurve. Die Bullen, allesamt scheinbar keine Fans

von Petarden & Rauchtöpfen, positionierten sich provokant auf

der Laufbahn vor uns und filmten munter die Leute ab. Kurze Zeit

später packte eine BFE-Einheit mehrere Personen im rückwärtigen

Bereich der Nordkurve. Als diese Info im Block ankam, entwickelte

sich eine gewisse Eigendynamik und relativ viele Personen

entschlossen sich kurzerhand dazu, die Cops aus unserem

Stadion zu verweisen. Für Koblenzer Verhältnisse nicht alltäglich:

Die Aktivisten wurden bei Rückkehr in den Block vom restlichen

Publikum mit Applaus bedacht. Positiver Nebeneffekt des Ganzen:

Die zuvor einkassierten Leute profitierten von dieser Situation

und dem damit einhergehenden (O-Ton) „Personalmangel“

seitens der Staatsmacht und wurden nur mit einem

Platzverweis belegt. Die hektischen Ereignisse

führten dazu, dass viele Mitglieder unserer Gruppe

nun verstreut in allen Teilen des Stadions anzutreffen

waren. Deshalb nahmen wir die Heimzaunfahne ab

und packten unser Material zusammen, weil wir mit

einem erneuten Angriff der Exekutive rechneten, der aber ausblieb.

Die Remiskönige der TuS fuhren mit dem 0:0-Endstand das sechste

Unentschieden der laufenden Spielzeit ein. Nervt langsam. Nach

dem Spiel scheiterte der Versuch, die Gäste durch vorher manipulierte

Zaunteile zu verabschieden, da die Schmier draußen gut aufgestellt

war. Der Gästeblock war mit etwa 600 Personen gefüllt, wovon ca.

120 Kehlen den aktiven Stimmungsteil bildeten. Diese blieben aber

aus unserer subjektiven Sicht heraus die 90 Minuten unter ihren

Möglichkeiten und trIUmphierten lediglich durch kurzen nonverbalen

Kontakt untereinander! Zum Anpfiff jaghten die Trierer noch ‚ne weiße

Rauchsäule à la „späte 90er“ in die Luft. Ein, zwei Fackeln und ein

Blinker waren auch mit von der Partie. Top! Ernsthaft positiv anzumerken

allerdings, dass es sich ein paar Autobesatzungen nicht nehmen

ließen, sich nachts in einer Koblenzer Gaststätte niederzulassen. Als

guter Gastgeber nahmen wir die unausgesprochene Einladung an.

Bei der Hauerei in ihrem Block schnitten die Jungs allerdings deutlich

besser ab.

Da unser Verein in diesem Jahr sein 100-jähriges

Jubiläum feiert, machten wir uns bereits vor

einiger Zeit Gedanken, wie wir dieses Ereignis

angemessen zelebrieren. Für uns war klar,

dass wir bereits am nominellen Geburtstag unserer TuS

ein kleines Präsent zukommen lassen wollten. Am 1. August 2011 um

00:00 Uhr versammelte sich ein buntgemischter Haufen aus allen

Teilen der aktiven Fanszene am Fuße des Kaiser Wilhelms, besser

bekannt als das Deutsche Eck, dem Wahrzeichen unserer Rhein-

Mosel- Stadt und sorgte für ein fulminantes Feuerwerk. Der erste Akt

unseres Jubiläums. Den Zweiten mussten wir gezwungenermaßen auf

ein „Top-Spiel“ der Hinrunde schieben, um durch einen anständig

gefüllten Block unseren eigenen choreographischen Ansprüchen

gerecht werden zu können. Abstiegsbedingt ist der Zuschauerschnitt

in dieser Graupenliga sowohl in der Kurve als auch im restlichen Rund

stetig am Abfallen. Nachdem die organisatorische Frage geklärt war

und sich auf das Heimspiel gegen Trier geeinigt wurde, begannen wir

unsere Planungen konkreter werden zu lassen. Die Architektur unserer

Kurve lässt nur einen gewissen Spielraum zu, den es optimal zu nutzen

galt. Effektiv bedeutete dies, dass wir

anstatt einer gleich zwei Choreographien

vorbereiteten, um einen würdigen Rahmen

für „unser“ Jubiläumsspiel zu schaffen.

Wochen vorher wurde es ernst und

nachdem sämtliche Materialien besorgt

waren, konnten die praktischen Arbeiten

endlich beginnen. Entgegen unseres

eigentlichen Zeitplans und der Hoffnung,

eine Choreo mal bei Zeiten fertig zu

stellen, war dann doch alles wie immer

und es bedurfte eines Kraftakts, bei dem

bis Stunden vor Anpfiff noch die letzten

Hürden zu nehmen waren. Als Beispiel

sei hier das Transparent des Mittelteils

der ersten Choreo zu nennen, das noch

im Stadion mit Kabelrohren versehen

werden musste. Dieser Umstand stellte

uns vor die Entscheidung, genügend

Fahnenstangen für ein ordentliches optisches Erscheinungsbild

unserer Nordkurve zu haben oder das Gelingen der Choreographie

sicherzustellen. Wir entschieden uns für Letzteres und mussten

zähneknirschend an diesem Tag auf einen großen Teil der Fahnen

verzichten. Bitter.

Am Spieltag selbst traf man sich schon relativ früh in einem

bahnhofsnahen Pub. Erfreulich war die Tatsache, dass auch viele

Ältere, insbesondere Gründungsmitglieder unserer Gruppe, vor

Ort waren und somit ein verhältnismäßig guter Mix aus Jung und Alt

vertreten war. Ebenfalls zeitig ging es Richtung Stadion, da wie bereits

oben verdeutlicht, die Choreovorbereitungen vor dem Spiel Priorität

besaßen.

Unsere Annahme heute eine gefüllte und motivierte Kurve zu haben,

bestätigte sich bei Anpfiff. Die größere erste Kurvenshow verlief nahezu

reibungslos und das Gesamtbild stellte uns zufrieden. Inhaltlich

setzten wir uns mit der 100-jährigen Vereinshistorie auseinander, die

wir chronologisch auf einem großen Fronttransparent anhand diverser

Fixpunkte unserer Geschichte darlegten. Die Anfangszeit

des Clubs mit dem Namen „TuS

Neuendorf“ ist unumgänglich

mit Fußballhistorie im Südwesten

verbunden. Die gerade für unsere

Fan-Generation wichtige „Ära

Sasic“ stellt zweifelsohne eine

essenzielle Säule für uns dar. Die

weiteren Details des Zaunteils hier

schriftlich niederzulegen, würden

den Rahmen sprengen und 90

Prozent der auf Krawallberichte

wartenden Leserschaft langweilen.

Bilder sagen bekanntlich mehr

als tausend Worte... Abgerundet

wurde das Bild durch klassische

blau-schwarze Blockfahnen

und einem Spruchband – „Die

schönste Tochter unserer Stadt hat

Austria SalzburgTuS Koblenz SV Eintracht Trier

Datum: Sa. 1.10.2011Ergebnis: 0:0Wettbewerb: Regionalliga WestZuschauer: 3.678Gäste: ca. 600Fotos: Insane Ultra, Inferno Koblenz

Aus der Sicht von Inferno Koblenz

10 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 11

Zum Intro heute bei uns etwas Pyro und die gewohnten Schwenker

und Doppelhalter. Die TuS mit einer sehr ansehnlichen Choreo, auch

wenn man beachten sollte, dass es die 100 Jahres-Choreographie

war. Dennoch ordentlich! Der Support anfangs bei uns relativ

gut, aber von Minute zu Minute wurde es immer schlechter, was

auch an der enormen Hitze lag, dies aber keine wirkliche Ausrede

ist. Mitte der ersten Halbzeit kam es in unserem Block noch zu

Auseinandersetzungen mit den „Alten“. Ist halt wieder typisch,

dass nur bei solchen Spiele Leute kommen, die ihr Maul aufmachen.

Bei den restlichen 16 Auswärtsspielen hört man nämlich definitiv

keine negativen Stimmen. Aber wie sagt man so schön, wer A sagt,

muss auch B sagen können. Nach diesem kurzen Schlagabtausch

zischten die älteren Genossen wieder ab und wir starteten noch

einmal den Versuch, unser Team auf dem Platz nach vorne zu

peitschen. Naja, so richtig gut sollte uns das heute nicht gelingen.

Im Großen und Ganzen kann man die Leistung an diesem Tag in

die Kategorie „Schlecht“ einordnen, aber jeder hat mal schlechte

Tage. Auch wenn diese ehrlich gesagt doppelt schmerzen, wenn sie

gerade bei solchen Spielen vorkommen. Hat man in dieser tristen

Liga bis auf Koblenz, Wuppertal und Essen keinen Gegner auf den

Rängen, dann hat man andere Zielsetzungen an solchen Tagen. Auf

dem Platz mal wieder das gleiche Geschehen wie die letzten Spiele

auch: Wir spielten und spielten, ein Tor war aber Fehlanzeige. Nach

schwachen 90 Minuten ertönte dann auch der Schlusspfiff. Da war

eindeutig mehr drin gewesen.

Der Rückweg verlief auch so ziemlich ruhig wie

der Hinweg. Die Jungs und Mädels in grün hatten

eine hervorragende Arbeit verrichtet und so ging

es mit schlechter Laune wieder heim. In Trier

angekommen, ließen wir den Tag dann gemütlich

ausklingen. Fazit: Guter Vorabend, geile Hinfahrt,

scheiß Spiel, miserable Stimmung und gefrustete

Rückfahrt! Solche Tage gibt es halt, weiter geht’s!

Avanti Insane!

Trier-Koblenz! Noch nie gingen die Meinungen innerhalb

unserer Fanszene bei einem Spiel so auseinander, als

bei diesem „Derby“. Ist es überhaupt ein Derby? Diese

Frage wurde und haben wir uns selber oft genug gestellt.

Nüchtern betrachtet sollte man mit diesem Begriff ein wenig

behutsamer umgehen, kam es in den vergangenen 34 Jahren gerade

einmal zu drei Ligaspielen zwischen der TuS Koblenz und unserer

Eintracht. Können und wollen wir eine gewisse Brisanz bzw. eine

noch „junge“ Rivalität, aufgrund einiger Auseinandersetzungen

zwischen beiden aktiven Fanszenen nicht abstreiten, reden wir

öffentlich aber definitiv nicht von einem Derby. Dazu gehört mehr

als eine gefühlte Handvoll Spiele in 34 Jahren und 120 Kilometer

Entfernung!

Rund vier Monate nach dem Rheinland-Pokalfinale im heimischen

Moselstadion sollte es am 1. Oktober zu einem weiteren

Aufeinandertreffen kommen, dieses Mal in der Liga. Bereits am

Vorabend trafen wir uns mit den Jungs der „Suburbia Rebels“ und

deren Gästen aus Berlin an einem gemütlichen Platz an der Mosel

und stimmten uns auf das Spiel ein. Nach einer ruhigen Nacht

versammelten sich ein ordentlicher 80 Mann zählender Haufen

am Moselstadion. Im Laufe des Morgens stießen auch noch einige

Freunde der „Generation Grenat“ hinzu. Nach einem schicken Foto

mit unserem „Lutscher Kowelenz“-Banner auf der Haupttribüne

ging es unter den Augen unserer Zivis Richtung Hauptbahnhof. Dort

angekommen hielt sich das grüne Pack aber dezent im Hintergrund.

Stadtverbote gab es skurrilerweise auch keine. Die Zugfahrt verlief

dann auch ohne weitere Vorkommnisse und so kamen die 300

Zugfahrer nach anderthalb Stunden Fahrt mit der „Bimmelbahn“

auch in Koblenz an! In Koblenz selbst dann das erwartete Bild:

Massiv Polizei, auch wenn diese sich weiterhin zurückhielten. Hat

da einer dazugelernt? Im Schritttempo ging es bei sommerlichen

Temperaturen durch die Gassen Koblenz in Richtung Stadion

Oberwerth. Am Stadion zeigten sich ein paar „Hanseln“ hinter

einem Zaun, aber ansonsten blieb es den ganzen Tag über ruhig.

Ein Vorwurf kann man da wirklich keinem machen und es lag auch

nicht an der Motivation beider Gruppen. Nüchtern betrachtet eine

1a-Leistung der Grünen, aber so Tage muss es ja auch mal geben.

Von Seiten der TuS aus Koblenz wurde im Vorfeld alles verboten.

Unsere geplante Choreographie, Doppelhalter, Schwenkfahnen, ja

sogar Zaunfahnen. Die Herren bei der TuS, die das zu verantworten

haben, sollten mal daran denken, wie viel Freiheiten die eigenen

Anhänger im Rheinland-Pokalfinale in Trier hatten. Dank unseres

Fanprojekts wurden wenigstens die Zaunfahnen am Zaun erlaubt.

Nach mehr oder weniger peniblen Einlasskontrollen waren

Zaunfahnen und weiteren Utensilien auch im Block. Die Sek. SV, die

am heutigen Tag mit 13 Leuten nahezu vollständig war, durfte nach

intensiver Leibesvisitation während 90 Minuten vor der Gästekurve

verharren. In Zeiten von Stadtverboten und Zellenbesuchen nimmt

man diesen Zustand gerne an.

Austria Salzburg

12 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 13

TuS Koblenz SV Eintracht Trier

Aus der Sicht von Insane Ultra

Austria SalzburgSV Darmstadt 98 Kickers Offenbach

Datum: So. 2.10.2011Ergebnis: 0:0Wettbewerb: 3. LigaZuschauer: 15.000Gäste: ca. 3.000Fotos: Boys Offenbach, Ultras Darmstadt

Aus der Sicht von Ultras Darmstadt

14 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 15

Nach über sechs Jahren kam es in

Darmstadt wieder zum brisanten Duell

gegen den Erzfeind aus dem östlichen

Raum Frankfurts. Anlässlich dieser Partie

bereiteten alle aktiven Gruppen des F-Blocks unter

Federführung von Ultras Darmstadt eine Choreographie über

die gesamte Haupttribüne vor. Neben dieser Aktion wurde auch

noch eine zweite Aktion von UD vorbereitet, welche sich mit

dem Gegner beschäftigte. Dementsprechend steckten wir die

Wochen und Tage vor dem Spiel in den Vorbereitungen für die

beiden Choreos. Zusätzlich fertigten wir 200 Mottoshirts mit

dem bei uns bekannten „Lilienfans gegen Offenbach“ Motiv an,

welche nach einer Stunde schon komplett ausverkauft waren.

Des Weiteren erhöhten wir die Auflage unserer Heimspielzeitung

ausnahmezUstanD ebenfalls auf 200 und schmissen auch

inhaltlich und von der Aufmachung eine besondere Ausgabe auf

den Markt. Die Offenbacher Fanszene schlich sich in den Tagen

vor dem Spiel unbemerkt in den Südbahnhof unserer Stadt und

verschandelte diesen mit hier nicht erwähnenswerten Parolen.

Die Hinterlassenschaften erfüllten dann alle unsere Klischees

über die rot-weiße Anhängerschaft und spiegelten das dort

vorhandene Niveau recht realistisch wider. Die Vorbereitungen

waren abgeschlossen, an der Nieder-Ramstädter-Straße

prangte ab Samstagmittag ein neues 30m-Graffiti, welches

verkündete wer die große Liebe dieser Stadt ist: Darmstadt 98!

Der Derby-Vorabend wurde dann mit Grillieren und Patrouillieren

verbracht, ehe der wohlverdiente Schlaf kurzzeitige Erholung

für alle Lilien brachte.

Der große Tag begann für einige schon um acht Uhr am Stadion,

um die Hauptchoreographie vorzubereiten. Dabei erschwerten

uns Verein und Polizei deutlich die Aufbauarbeiten, indem die

Anzahl der erlaubten HelferInnen viel zu gering war und wir erst

ab halb zehn beginnen durften. Dennoch bekamen wir alles im

mittlerweile knappen Zeitfenster unter, sodass wir pünktlich

zur Öffnung des Stadions auch noch unseren Stand aufgebaut

hatten. Während den Aufbauarbeiten kam es dauerhaft zu

Diskussionen und Nervereien mit den massenhaft anwesenden

Sicherheitskräften. Zur Stadionöffnung besuchte uns zu allem

Überfluss der Spielbeobachter des DFB und wiegelte unseren

Verein nochmal ordentlich gegen uns auf. Neben den Mottoshirts

sorgte auch unsere Heimspielzeitung für Diskussionsstoff und

wurde letztlich als „Gewalt aufrufend“ im Spielberichtsbogen

vermerkt. Dies erzeugte natürlich wilde Diskussionen mit

dem Präsidium, welches den Verkauf zwar nicht stoppte, aber

dennoch Konsequenzen ankündigte. Dies war dann aber auch

der einzige Kampf, der vor dem Spiel ausgetragen wurde. Eine

abgemachte Begegnung der älteren Herrschaften beider Lager

wurde von den Bullen vereitelt und auch ansonsten hatte Team

Green die Lage mehr als im Griff. Der angereiste Gästehaufen

lief ohne Zwischenfälle vom Südbahnhof zum Stadion. Dabei

schlossen sich aber wohl nicht die zuvor dazu aufgerufenen

Autofahrer an.

Kurz vor Anpfiff des Spiels präsentierten beide Lager

ihre selbst gestalteten Werke. Offenbach zeigte rote

Glitzerfolien, sowie das nimmer endende Motto

„Red Side“, diesmal mit dem originellen

Zusatz „returns“. Der Effekt

des Raucheinsatzes hinter dem Banner verpuffte leider durch

einen viel zu früh gewählten Zeitpunkt. Insgesamt war dies aber

dennoch der bislang beste optische Auftritt der Offenbacher,

wenn auch nur um einen Glitzereffekt erweitert.

Auf unserer Seite gab es in der Tribünenmitte eine Blockfahne

mit Stadionmotiv und blau-weißen Strahlen im Hintergrund.

Diese Strahlen wurden dann mittels Zetteln über die restlichen

Tribünenblöcke weiter geführt. Wir haben uns bei der Motivwahl

bewusst für ein Bekenntnis zu unserem Stadion am Böllenfalltor

entschieden, da es im modernen Fussball eines der letzten

traditionellen Schmuckstücke ist. Bis auf einige Kleinigkeiten

bei den Zetteln stellte uns das Endergebnis zufrieden. In Sachen

Stimmung legte unser F-Block zwar gut los, doch konnte das

anfängliche Niveau leider nicht einmal über die erste Halbzeit

gehalten werden. Insgesamt betrachtet war das Stadion

zwar voll, doch die Atmosphäre war dann nicht dermaßen

besonders, wie es im Vorfeld von solch einem Spiel erwartet

wird. Im Gästeblock war das dortige Treiben ebenfalls nicht

diesem besonderen Derby würdig. Der aktive Haufen um Boys

Offenbach war unerwartet klein und nicht durchgängig aktiv.

Mit der Aktion zu Spielbeginn hatte die Offenbacher Szene ihr

Pulver wohl schon verschossen, schließlich haben wir noch nie

so viele Gästefans so leise gesehen. Zwar konnten auch wir

kein 90-minütiges Spektakel bieten, jedoch schien es, ohne

dabei arrogant wirken zu wollen, für die gegenüberliegende

Seite gereicht zu haben. Zu Beginn des zweiten Durchgangs gab

es noch unsere zweite Choreo zu bestaunen: Im F-Block wurde

eine Blockfahne mit dem „Lilienfans gegen

Offenbach“-Motiv hochgezogen. Den Glanzpunkt

dieser Aktion bildeten dann rund 20 Fackeln

vor der Blockfahne, welche bis zum Schluss

kontrolliert in der Hand abgebrannt wurden.

Leider sprang der berüchtigte Funke nicht auf

den Platz über und beide Mannschaften boten auch im zweiten

Durchgang nur magere Kost. Keine der wenigen Torchancen

konnte verwertet werden, sodass ein torloses Unentschieden

zwangsläufig das Endresultat darstellte. Leider konnten wir

unsere schlechte Derbybilanz heute wieder nicht verbessern,

dennoch wurde der Punkt gegen die zuvor favorisierten Kickers

natürlich gerne mitgenommen. Nach Spielschluss wurden etliche

Spenden für die zuvor gezeigten Choreos gesammelt, wobei es zu

unterschiedlichen aber überwiegend positiven Rückmeldungen

bezüglich der Pyroaktion kam. Mit Offenbach kam es zu keinem

Zusammentreffen mehr, stattdessen verbrachten wir letztlich

die Zeit mit unseren Freunden und Gästen in den Darmstädter

Parkanlagen.

Als Fazit kann man das Derby als „zu viel erwartet, zu wenig

passiert“ beschreiben. Der große Knall blieb bei der Armee rund

um das Spiel natürlich aus und im Stadion gab es bis auf optische

Highlights bei uns nur wenig zu beklatschen. Nichtsdestotrotz

mal wieder ein großer Tag am Böllenfalltor, der noch länger für

Gesprächsstoff sorgen wird. Doch nur bis zum Rückspiel!

einige Fackeln, die in der ersten Reihe kontrolliert abgebrannt

wurden. Viel mehr gibt es von der Heimseite auch nicht zu

berichten. Akustisch kam vom F-Block bei uns so gut wie nichts

an, auch wenn dort zumindest Aktivitäten zu beobachten waren.

Laut wurde es nur bei Pöbeleien und Anti-Gesängen, wenn weite

Teile der Hauttribüne mit einstimmten. Auch auf unserer Seite

konnte in Hälfte zwei beim Support keine Besserung verzeichnet

werden. Die Leistung der Kurve blieb insgesamt ähnlich schwach

wie die Leistung der Mannschaft. Die pralle Sonne auf unseren

Block während der gesamten Spieldauer und eine miserable

Getränkeversorgung dürfen bei solch einem Spiel keinesfalls

als Ausreden gelten. Erst am Ende des Spiels wurde es nochmal

kurzzeitig laut im Gästeblock als der Ex-Offenbacher Baier bei

einem Eckstoß vor der Gästekurve provozierte, was einige

Offenbacher dazu veranlasste, diverse Gegenstände in seine

Richtung zu feuern. Die Situation beruhigte

sich jedoch schnell wieder und so passierte bis

zum Spielende nichts mehr auf den Rängen und

dem Platz.

Auf dem Rückweg zum Bahnhof kam es noch zu

heftigen Auseinandersetzungen mit den Cops,

nachdem aus einer Seitenstraße eine Flasche von

einem Darmstädter geflogen kam und die Bullen daraufhin in

Offenbacher Richtung knüppelten, was sich dann auch mehrere

Minuten lang hinzog, ehe der Marsch fortgesetzt werden konnte.

Einige Anwohner kümmerten sich daraufhin noch um vom

Pfefferspray getroffene OFC-Fans. Von Darmstädter Seite war wie

auch vor dem Spiel nichts zu sehen und so endete ein Tag, der den

Erwartungen im Vorfeld leider nicht gerecht wurde.

Nachdem die Lilien in der vergangenen

Saison den Aufstieg in die 3. Liga

erringen konnten, kam es nach etwas

mehr als sechs Jahren - abgesehen von

einem unbedeutsamen Hessenpokalspiel und einem

Testspiel am Anfang des Jahres, welches unsererseits nicht

besucht wurde - endlich wieder zu einem Aufeinandertreffen

zwischen uns und dem 30 km weiter südlich gelegenen Rivalen

aus Darmstadt.

Die Choreovorbereitungen begannen aus verschiedenen

Gründen erst eine knappe Woche vor der Partie. Die beteiligten

Gruppen einigten sich schlussendlich für die Wiederbelebung

einer Choreo aus dem Gastspiel in Darmstadt vom Oktober 2001,

bei der damals am Zaun ein großer „Red-Side“-Banner hing.

Dazu wurden rote Papptafeln in der Kurve verteilt. Da diese

Aktion für Offenbacher Verhältnisse gut klappte und deshalb in

Erinnerung blieb, sollte diese nun fast genau zehn Jahre später

unter dem Motto „Red Side returns“ wiederholt werden.

Die Anreise zu dem Spiel war zu diesem Zeitpunkt noch völlig

unklar. Der vom Verein angekündigte Sonderzug fuhr für unseren

Geschmack zum einen zu früh los, zum anderen hielt dieser am

Südbahnhof, wovon aus der circa 3 km lange Weg lediglich durch

ein Wohngebiet und später sogar durch einen Wald verlief.

Daher wollten nicht Wenige lieber mit der S-Bahn anreisen, um

vom Hauptbahnhof aus - am verkaufsoffenen Sonntag - durch

die Innenstadt richtung Stadion zu marschieren. Letztendlich

einigte man sich dann doch aber auf eine gemeinsame und

geschlossene Anreise aller Offenbacher mit dem Sonderzug, um

ein möglichst geschlossenes Bild abzugeben und um nicht auf

verschiedene Züge verteilt zu sein.

Am Spieltag selbst stimmten sich bereits am frühen Morgen bei

bestem Sonnenwetter die ersten Offenbacher in den Straßen

und Kneipen am Hauptbahnhof auf das Spiel ein, bevor sich

der mit über 1000 Fans voll besetzte Sonderzug in Bewegung

setzte. Der anschließende Marsch zum Stadion verlief recht

unspektakulär, wobei es zweimal zu kleineren Scharmützeln mit

den Bullen kam.

Nachdem Alle die Kontrollen hinter sich gebracht hatten, blieb

nicht mehr viel Zeit bis zum Anpfiff. Bei uns im Gästeblock

wurden rote Glitzertafeln verteilt, welche zusammen mit dem

bereits erwähnten „Red Side returns“-Banner am Zaun ein

geschlossenes Bild abgaben. Lediglich kleine Lücken an den

Seiten waren zu verzeichnen. Hinter dem Banner stieg zudem

roter und weißer Rauch in die Luft. Leider wurde dieser etwas zu

früh gezündet, sodass er beim Einlaufen der Mannschaften nicht

mehr zu sehen war.

Die heimische Ultraszene zeigte auf der Haupttribüne im

mittleren Teil eine Blockfahne mit der Aufschrift „Stadion am

Böllenfalltor“, in den seitlichen Bereichen gab es dazu blaue

und weiße Papptafeln zu sehen. Was sich in den folgenden

90 Minuten auf dem Platz abspielte, ist schnell erzählt: Beide

Mannschaften agierten sehr verhalten. Kampf und Wille, wie

man ihn von der Mannschaft bei einem Derby erwartet, waren

nicht zu erkennen. Torraumszenen blieben Mangelware und

so endete das Spiel torlos. Die Gastgeber hatten mit einem

Kopfball gegen die Latte kurz vor Spielende die beste Torchance

im gesamten Spiel.

Stimmungstechnisch gestaltete sich die erste Hälfte bei uns

sehr durchwachsen. Zu Beginn konnten noch größere Teile

zum Singen animiert werden, jedoch war schon nach kurzer

Zeit nur noch der untere Bereich aktiv und das ehrlich gesagt

auch nicht in der Weise, wie es sich für ein Derby gehört. Viel

zu lethargisch agierten weite Teile. Dazu kamen zu viele Pausen

zwischen den Gesängen. Aber vor allem die Koordination

bereitete große Probleme, da die obere und untere Hälfte der

Gästekurve teilweise unterschiedliche Lieder zur gleichen

Zeit sangen und somit einiges an Lautstärke verloren, ging.

Zu Beginn der zweiten Hälfte präsentierte die Heimseite eine

Blockfahne mit der Aufschrift „Lilien-Fans gegen Offenbach“

im allseits bekannten Design. Untermalt wurde das Ganze durch

Austria SalzburgSV Darmstadt 98 Kickers Offenbach

Aus der Sicht von Boys Offenbach

16 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin// 17

an einem Freitagabend auszutragen, was bei Verband und Gegner auch prompt auf offene Ohren stieß. Beide Städte liegen nur rund 50 Kilometer auseinander und zählen 172.000 (Arad) bzw. 310.000 Einwohner (Timioara). Letztere ist damit die zweitgrößte Stadt des Landes.Dem Gästeanhang wurden 400 Eintrittskarten zugesprochen, die natürlich auch rasch vergriffen waren. Als Anreisevariante wurde die Zugfahrt ausgerufen, was auch ein jeder Poli-Anhänger beherzigte. Verstreute Anreise, verteilt auf alle möglichen Varianten also Fehlanzeige. Ab den frühen Nachmittagsstunden sammelte sich der Poli-Anhang nach und nach am Bahnhof Timisoara-Nord und kurz nach 16 Uhr fuhr ein nahezu nur mit Ultras/Fans besetzter Zug gen Arad. Vereinzelt standen noch diverse Einwohner Timisoaras mit Schal bewaffnet an der Bahnstrecke und wünschten alles Gute für das Derby. Hatte auf jeden Fall sehr viel Charme, die beschriebene Szenerie! Nach der Ankunft am Zielort ging es unter der Begleitung der Cops hinter der „Politehnica Timisoara“-Fahne im Corteo zum Stadion Francisc Neumann (Gründer des Vereins). Ein sehr italienisches Auftreten konnte man den jeweiligen Gruppierungen/Szenen in Rumänien in meinen Augen nie absprechen, so auch heute. Wobei dies bei weitem nicht so gekünstelt wirkt wie es andernorts der Fall ist. Dazu aber später noch mehr! Die rund 15 Minuten Fußweg zwischen Bahnhof und Stadion wurden natürlich von allerlei Gesängen untermalt, und auch TV-Teams und Fotografen gaben sich diesem Schauspiel hin. Abgesehen von unterschiedlichsten verbalen Nettigkeiten, die mit den Einheimischen ausgetauscht wurden, blieb es bei der Ankunft am Stadion nahezu komplett ruhig. Ein nicht unerheblicher Teil der einheimischen Szene war zu diesem Zeitpunkt bereits in der Kurve, um dort letzte Vorbereitungen zu treffen. Tags zuvor beim Abschlusstraining versuchten übrigens rund 100 Ultras mittels Gesängen, Fackeln und einem Spruchband dem UTA-Team die letzte nötige Motivation für dieses Duell zu geben.

Die gängigen UTA-Heimspiele gehen im Durchschnitt vor einer relativ überschaubaren Kulisse über die Bühne, doch heute sollte das Stadion mit seiner Kapazität von 7.000 Plätzen

restlos voll werden. Im Endeffekt findet hier die Vokabel „überfüllt“ wohl durchaus ihre Berechtigung, denn sieht man einmal von den vorgeschriebenen Pufferzonen neben dem Gästebereich ab, so fand man wirklich keinen einzigen freien Platz mehr. An der Begrenzung zum Spielfeld standen die Leute zum Teil in Viererreihen, und selbst auf dem letzten Mauervorsprung waren die Plätze allesamt vergeben. Für diejenigen, die keine Zugangsberechtigung zum Stadion mehr ergattern konnten, blieb immerhin noch die Sicht von den Dächern und Balkonen der angrenzenden Wohnhäuser. Hier tummelte sich eine dreistellige Anzahl Personen. Mit dem Einlauf der Mannschaften ließ die Heimkurve ein farbig gestaltetes Spruchband am Zaun herunter, das „Ihr seid in der Hölle gelandet, die ihr immer gefürchtet habt – Schneller als ihr es für möglich gehalten hättet“ verkündete. Umgehend gefolgt wurde dies von einer Überziehfahne, die als Motiv den Champions-League-Ball trug, der mitsamt diverser violetter Figuren aus dem Himmel Richtung Hölle herabstürzt, wo bereits der Teufel in Form von UTA wartet. Seitlich wurde das Ganze von roten Glitzerfolien umrahmt. Die ganze Aktion wurde über mehrere

Das Derby-ul Vestului (West-Derby) zwischen UTA und Poli zählt zu den ältesten Derbies Rumäniens und kann wohl mit Fug und Recht zu den

interessantesten Duellen des Landes gezählt werden, wenngleich man sicherlich dazu geneigt ist, bei den Begriffen Derby und Rumänien

unweigerlich an die Duelle zwischen den drei großen Vereinen aus der Hauptstadt Rapid, Steaua und Dinamo zu denken. Letztmalig trafen beide Clubs im Jahre 2008 aufeinander. Am Ende dieser Spielzeit stieg UTA Arad in die zweite Spielklasse des Landes ab, und wären da nicht die zahlreichen Kuriositäten und Wirrungen, die der rumänische Fußball (Verband) unweigerlich mit sich bringt, so würden beide Teams immer noch getrennte Wege gehen. Für Poli stand am Ende der Saison 2010/11 der zweite Tabellenrang zu Buche, was ja normalerweise die Champions-League-Qualifikation bedeutet hätte. Doch die Freude über die Teilnahme am internationalen Wettbewerb hielt im Lager der Violetten nicht sonderlich lange an: Der rumänische Fußballverband, FRF, verweigerte Poli die Lizenz für die erste Liga, und somit findet man sich aktuell in der zweiten

Division des Landes wieder. Zeitweise stand sogar eine Herabstufung in die dritte Spielklasse zur Debatte. Es wird auf unserem Kontinent sicherlich nicht viele Vereine geben, die im Bezug auf die jüngste Vergangenheit auf derart turbulente Jahre wie Poli Timisoara mitsamt seiner Anhängerschaft zurückblicken (müssen). Zwischen sportlichem Misserfolg, finanziellen Ungereimtheiten und Europacup-Teilnahmen mutierte der Club zudem zum Spielball von Vereinsbossen, Verband und zwielichtigen Geschäftsleuten. So sah sich der Verein unter anderem Ende der 90er einer kompletten Zwangsumsiedlung in die Hauptstadt Bucuresti ausgesetzt, was in einem langwierigen Streit um Vereinsnamen und Vereinsfarben gipfelte. Sportlich verliefen die letzten Jahre hingegen durchaus erfolgreich! Wie eingangs erwähnt konnte man sich mehrfach für die europäischen Wettbewerbe qualifizieren, doch nach dem Lizenzentzug steht man mal wieder vor einem Neuanfang.

Bei UTA Arad liegen die sportlichen Glanzpunkte schon sehr weit in der Vergangenheit. Insgesamt konnte der Verein, der den Spitznamen Batrana Doamna (die alte Dame) trägt,

sechs mal den Meistertitel erringen (letztmalig 1970), was dem Verein aktuell den vierten Platz in dieser Statistik einbringt. Lediglich Rekordmeister Steaua (26 Titel), Dinamo (18 Titel) sowie das 1949 vom kommunistischen Regime aufgelöste Venus Bucuresti (8 Titel) sind hier noch weiter vorne anzusiedeln. Mit dem Beginn der 80er Jahre fand sich UTA überwiegend in der zweiten Spielklasse wieder, die Rückkehr ins Oberhaus war jeweils nie von langer Dauer. Auch hier sorgen große finanzielle Probleme und abenteuerliche Kapriolen in Sachen Lizenzbeschaffung dafür, das sich die jüngste Vereinshistorie alles andere als langweilig gestaltet. Wenige Wochen vor dem Derby brachte UTA den Wunsch hervor, das Spiel möglichst

Austria SalzburgUTA Arad Politehnica

Datum: Fr. 30.09.2011Ergebnis: 0:0Wettbewerb: 2. Liga RumänienZuschauer: 7.000Gäste: 400Fotos: Uni

Aus neutraler Sicht: Uni

18 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 19

Minuten gehalten und vom Rest des Stadions mit großem Applaus bedacht.

Auf Gästeseite hingen zu diesem Zeitpunkt lediglich zwei Transparente, die jeweils an den Zäunen im oberen und unteren Teil des Sektors befestigt waren. Zusammen

verkündeten besagte Transparente „Unu Pentru Toti – Toti Pentru Poli“, was man schlichtweg mit „Einer für alle – Alle für Poli“ übersetzt. Im späteren Verlauf wurde auch hier eine Blockfahne hochgezogen, die mich persönlich vom Stil und der Aufmachung mehr ansprach als jene auf UTA-Seite. War schon sehr aufwendig gestaltet, die Fahne. Im Übrigen warteten die Gäste mit dem Aufziehen ihrer Fahne solange, bis der Rivale seine Aktion beendet hatte. In Sachen Tifo erinnerte mich dieser Abend im weiteren Verlauf durchaus nicht unwesentlich an die gute, alte Zeit in Italien! Da man die rumänische und die italienische Sprache durchaus als verwandt bezeichnen kann, ähneln sich die Gesänge sehr, zum Teil fand man natürlich auch bei den Melodien Überschneidungen. Mit geschlossenen Augen hätte man sich tatsächlich ohne weiteres in den C1- bzw. C2-Bereichen des Mezzogiorno wähnen können. Auch die vielen, vielen Spruchbänder, die beide Seiten über das gesamte Spiel verteilt zeigten, passten hier perfekt ins Bild, denn die Spruchband-Kultur war im Italien der vergangenen Tage ja bekanntermaßen extrem ausgeprägt. Hinzu wirkten beide Kurven bzw. Blöcke aufgrund der diversen Schwenker und Doppelhalter schön lebendig bzw. bunt. Die angesprochenen Materialien waren zudem schön verteilt und beschränkten sich nicht nur auf einen bestimmten Teil, wie es ja bei uns in Deutschland oftmals der Fall ist und wo die Materialien selten über die gesamte Kurve bzw. den gesamten Block im Einsatz sind, da außer den Ultras wenig bis gar keine Leute ein Interesse daran haben. Einziger Kritikpunkt, den man auf beiden Seiten anbringen kann bzw. muss, ist die nur bedingte Durchschlagskraft der Gesänge. Waren diese zwar über das gesamte Spiel durchgängig und ohne weiträumige Pausen, so kam die Lautstärke insgesamt gesehen selten über einen durchschnittlichen Bereich heraus. An der Beteiligung und dem Engagement der Leute gab es nicht viel auszusetzen, aber ein paar Dezibel mehr hätten es schon sein dürfen.

Die 22 Akteure auf dem grünen Rasen gingen zwar überraschend engagiert zu Werke, und es war bei weitem nicht das Gestolpere, was man im Vorfeld erwartet hatte,

doch dass der Ball an diesem Abend den Weg ins Tor nicht finden würde, war einem verhältnismäßig früh bewusst. Zwar durchaus schade, da ich einen Torjubel natürlich gerne erlebt hätte, aber letztendlich misst sich die Qualität des Erlebten ja auch nicht am Endergebnis!

Zum Beginn der zweiten Halbzeit war es zunächst die Heimkurve, die abermals optische Akzente setzte. Direkt vor der Kurve wurden zunächst insgesamt sieben rote Rauchtöpfe entzündet, die auch wunderbar nach hinten abzogen, sprich die Kurve schön einnebelten. Kurz darauf wurden noch vereinzelte Breslauer-Feuer sowie mehrere Bengalen entflammt. Die Fackeln wurden überwiegend unvermummt und direkt auf dem Zaun sitzend eingesetzt, was durchaus überraschte, da die Ultra-Bewegung in Rumänien in zurückliegender Zeit von verhältnismäßig großer Repression betroffen war bzw. es immer noch ist. Gut, das Land, in dem die Exekutive nicht daran arbeitet, den Kurven nach und nach die Luft abzudrücken, findet man (zumindest in Europa) wohl leider nicht. Auch bei der beschriebenen Pyro-Aktion sandte der Rest des Stadions Applaus an die Kurve. Der Poli-Anhang zeigte während dieser Aktion einzig ein Spruchband (Timisoara Ramanei) und wurde wie schon zu Beginn des Spiels erst aktiv, als die Heimseite ihre Pyroshow beendet hatte: Jeweils sieben Folienbahnen wurden im Gästebereich hochgezogen, die auf schwarzem Grund den Ausspruch „Ultras Politehnica Timisoara“ inklusive Mods-Target ergaben. Unter der Folie wurden alsbald mehrere Blinker gezündet, was den bekannten, optisch schönen Effekt mit sich brachte. Hinzu wurde rund ein Dutzend Böller im Innenraum entsorgt, was niemanden großartig zu stören schien. Okay, vereinzelt waren von der Haupttribüne Pfiffe zu vernehmen, aber weder rührten sich die im Stadion vertretenen Bullen, noch sah sich der Stadionsprecher dazu genötigt, den allerorts bekannten Text herunter zu leiern.Im weiteren Verlauf der zweiten Halbzeit legten beide Seiten gesanglich ein wenig zu, und über das gesamte Spiel gesehen lagen zumindest leichte Vorteile bei den Gästen, nicht zuletzt dadurch, dass alles ein Stück weit kreativer und eingespielter daher kam. Bezugnehmend auf die Konflikte im benachbarten Bulgarien zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Roma bezeugte Poli mittels Transparent den Bulgaren noch ihre Solidarität bzw. sprach diesen Mut zu. Erklärend sei hierzu angemerkt, dass im unweit von Plovdiv gelegenen Dorf Katuniza just vor ein paar Tagen ein 19-jähriger Bulgare

Austria SalzburgUTA Arad Politehnica

20 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 21

überfahren wurde, der daraufhin verstarb, woraufhin es zu schweren Ausschreitungen zwischen Roma und Bulgaren kam.Nachdem Schlusspfiff holten sich beide Teams ihren Applaus in der jeweiligen Kurve ab, wobei insbesondere UTA gefeiert wurde, als hätte man das Spiel für sich entschieden. Die Gäste durften wie erwartet noch eine Blocksperre absitzen, während sich auf Heimseite alle Leute relativ schnell von dannen machen. Vor dem Stadion hatte die Staatsmacht alles unter Kontrolle, sodass es zu keinerlei nennenswerten Aktionen kommen sollte. Um die Gäste schleunigst auf den Heimweg schicken zu können, wurde die Abfahrt des nächsten Zuges Richtung Timisoara von den Sicherheitskräften noch ein wenig verzögert, da man sich sonst noch eine geraume Zeit um die Gäste hätte kümmern müssen bzw. diese beaufsichtigen.

Bei der Rückankunft in Timisoara zeigte sich die Violetten wie bereits den ganzen Tag sehr diszipliniert! Hätte man es nicht besser gewusst, so hätte man gar nicht bemerkt, dass eine größere Masse an Fußball-Anhängern vom einem Auswärtsspiel zurückkehrt.

Da ich es persönlich seit jeher interessant finde, was sich beide Seiten mittels Spruchband zu sagen haben, hier noch ein paar weitere Auszüge bzw. Erklärungen:

„Ewig treu? Vielleicht – vorausgesetzt euer Team spielt in der Nähe“ – Jene Aussage von Poli zielte darauf ab, dass der UTA-Anhang längere Auswärtsfahrten in der Regel nicht bestreitet.

„Ihr habt euer Team vergessen, ihr lebt einzig durch die Rivalität – Ihr seid ohne Ultras, Kurve und Mentalität“

„Ob RASA oder SUR, die alte Dame lutscht den Schwanz“ – Bei Rasa und Sur handelt es sich um Gruppen innerhalb der UTA-Szene und die alte Dame ist wie beschrieben der Spitzname des Vereins.

„Respekt für jene, die zuhause bleiben müssen – Aber sie werden entschlossener denn je zurückkehren“ – Diese Botschaft richtete sich natürlich an die Stadionverbotler.

UTA zeigte u.a. folgender Spruchbänder:

„Heute haben wir das wiedergefunden, was wir verloren haben und vielleicht ist es noch nicht zu spät: Den Charme des rot-weißen Schals, der seit den 70ern vom Vater an den Sohn weitergegeben wird“

„In einem Fußball, in dem die Mafia das Sagen hat, bleibt unser Derby das einzige Vergnügen“

Gegen Ende des Spiels war zudem in deutscher Sprache ein grün-weißes Transparent mit der Aufschrift „Blast unsere Schwänze“ zu sehen. Ob dies auf die Freundschaft zwischen Poli und Mönchengladbach gemünzt war, lässt sich nur vermuten bzw. kann ich nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen.

zweiten Liga wieder. Die Rot-Grünen von Karsiyaka hingegen verbrachten die zurückliegenden Jahre nahezu komplett in der zweiten Liga. Aktuell ist man sogar das Team, welches am längsten, ununterbrochen in besagter Spielklasse antritt. Der dritte vermeintlich große Verein in Izmir, sprich Alay spielt im Vergleich zu Göztepe und Karsiyaka nur eine untergeordnetere Rolle. Die Anhängerschaft ist deutlich kleiner, und sportlich musste man zudem jüngst den Gang in die dritte Liga antreten. Durchaus interessant gestaltet sich die derzeitige Stadionsituation um die drei Vereine! Alle drei benennen aktuell das knapp 16.000 Zuschauer fassende Altay-Alsancak-Stadion als Heimspielstätte. Traditionell handelt es sich hierbei um die angestammte Heimat von Altay, aber da Göztepe derzeit kein eigenes Stadion besitzt, und bei Karsiyaka just ein neues Stadionprojekt realisiert werden soll, „teilt“ man sich jene Spielstätte aktuell ganz einfach. Spiele mit einem gewissen Risikofaktor oder einem höheren Zuschaueraufkommen werden jedoch traditionell im riesigen Attatürk-Stadion ausgetragen, welches mit einer Kapazität von 60.000 Besuchern angegeben ist. Da das Duell zwischen Göztepe und Karsiyaka beide Faktoren auf sich vereint, war der Austragungsort an jedem Abend somit folglich auch das Attatürk-Stadion. Was die Besucherzahl angeht, so war ich wie auch auf die Atmosphäre relativ gespannt! Schenkt man diversen Medien glauben, so hält dieses Spiel den Rekord in Sachen „höchst frequentiertes 2.Liga-Spiel der Welt“. 80.000 Zuschauer sollen diesem Derby einst vor 30 Jahren beigewohnt haben.

Ok, im Vorfeld ein volles Haus zu erwarten wäre wohl vollkommen utopisch gewesen, aber da dem Gastverein offiziell nur ein verhältnismäßig geringes Kontingent von 2.000 Karten zugesprochen wurde, durfte man ein wenig gespannt sein, wie die Resonanz des Göztepe-Anhangs aussieht. Letztendlich geisterten nachdem Spiel Besucherzahlen von 40.000 Plus X durch die Medien, wobei man hier wohl die anwesenden Beine gezählt hat! 28.000 dürften wohl das höchste der Gefühle sein, mehr waren es

de facto nicht. Karsiyaka war in jedem Fall mit weitaus mehr als 2.000 Personen vertreten, wobei die Gäste bereits sehr früh über einen separaten Anreise-Weg ins Stadion geleitet wurden. Für den Göztepe Anhang gab es faktisch nur einen einzigen Eingang, an dem sich mit zunehmender Dauer ein relativ großes Chaos entwickelte, in dessen Folge sich nicht wenige Personen das Eintrittsgeld gespart haben dürften. Mittels zweier Bauzäune versuchten die Bullen den Strom der Masse ein wenig zu kanalisieren, was sich jedoch als hoffnungsloses Unterfangen entpuppte. Die Leute drückten die Zäune einfach beiseite, und die Bullen stemmten sich dann jedesmal einfach dagegen, sodass sich nicht selten Platzverhältnisse wie in einer Sardinenbüchse ergaben. So entsteht wohl eine klassische Massenpanik! Abgesehen von dieser Tatsache hatte die Staatsmacht am heutigen Tage eigentlich alles unter Kontrolle. Die Polizeipräsenz rund um die Spiele in der Türkei ist im allgemeinen die letzten Jahre über deutlich gestiegen, wobei heute die Anzahl an zivilen Einsatzkräften schon in die Kategorie „abartig“ fiel. Durch puren Zufall wurde ich Zeuge wie sich jenes Klientel auf seinen Einsatz vorbereitete, und es waren unsagbare 25-30 Personen. Gut, so

Erstmals seit sieben Jahren sollte eines der wichtigsten Duelle der Türkei wieder über die Bühne gehen! Göztepe und Karsiyaka sind jeweils in der drittgrößten Stadt des Landes Izmir beheimatet, wobei sich die Anhängerschaft

von Karsiyaka selbst nicht als Teil von Izmir versteht, im Gegenteil! Die Abneigung gegenüber Izmir an sich ist sehr groß, und um sich von Izmir abzugrenzen bezeichnet man sich durchaus gerne als „35 1/2“, was darauf gemünzt ist, dass die eigentliche Auto(kennzeichen)-Nummer der Stadt die 35 ist. Generell stehen andere Clubs beim Karsiyaka-Anhang nicht sonderlich hoch im Kurs. Klar, Göztepe ist der Rivale Nummer 1, aber auch die drei großen Clubs aus Istanbul sind sehr verhasst. Zudem ist auch Bursa sehr unbeliebt. Offizielle Freundschaften sind faktisch nicht existent. Es gab bzw.gibt gwisse Sympathien für Trabzon aber diese münden wie bereits erwähnt in keiner offiziellen Freundschaft. Durchaus kann „Kaf Sin Kaf“, wie der Verein

basierend auf die Initialien im arabischen auch genannt wird, wohl mit Fug und Recht zu den unbeliebtesten Clubs in der Türkei gezählt werden.

Die Identifikation mit der Stadt Izmir an sich, ist beim Göztepe Anhang natürlich deutlich höher, nicht zuletzt dadurch geschuldet, das die Wurzeln des Vereins sehr zentral in der Stadt liegen. Karsiyaka als solches hingegen liegt rund 20 Kilometer vom Zentrum der Stadt entfernt. Wie auch bei Karsiyaka (und eigentlich allen anderen Clubs in der Türkei) ist hier die Abneigung gegenüber Fenerbahce, Galatasaray und Besiktas sehr groß. Zudem pflegt man bedingt durch die intensive Freundschaft zu Sakarya eine Feindschaft mit Kocaeli, da dies der größte Rivale von Sakarya ist. Die Tatsache, das sich Göztepe und Karsiyka derart lange nicht duellierten, lässt sich relativ simpel mit dem sportlichen Niedergang Göztepes erklären. Über zwanzig Jahre lang mischte der Verein in der Süper-Lig mit,

und man darf sich zudem auch zu den Grundungsmitgliedern des Fußball-Oberhauses zählen. Doch nach der Jahrtausendwende griff die finanzielle Misere des Vereins auch rasch auf das sportliche Geschehen über, sodass man sich im Jahre 2005 gar in die Fünftklassigkeit verabschieden musste. Zu diesem Zeitpunkt fand sich mit Imam Altinbas dann aber ein Öl-Mogul, der die Geschicke des Vereins (besonders in finanzieller Hinsicht) wieder in ruhigere Gewässer lenkte. Ein Aufstieg jagte quasi den nächsten, und so findet man sich in dieser Spielzeit zumindest endlich in der

Austria SalzburgKarsiyaka SK Göztepe GK

Datum: Sa. 17.09.2011Ergebnis: 1:1Wettbewerb: 2. Liga TürkeiZuschauer: 28.000Gäste: 3.500Fotos: Uni & Markus Stapke

Aus neutraler Sicht: Uni

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esehen ist ja auch nur ein Zivi schon zu viel, aber in diesem Ausmaßen grenzt das ganze ja beinahe schon an eine wahre Infiltrierung der Besucher. Bedingt durch die erwähnte Aufstockung des Sicherheitsapparates, ist die in der Türkei ja früher durchaus exzessiv verwendete Pyrotechnik nahezu komplett aus den Stadien verschwunden. Gesonderte Einheiten der Polizei filmen die Blöcke & Kurven über die gesamte Spielzeit hinweg aus mehreren Perspektiven, und schreiten auch meist umgehend ein, wenn zb Pyrotechnik verwendet wird.

Neben Stadionverboten werden oftmals auch sehr empfindliche Geldstrafen von bis zu 4.000 türkischen Lira (rund 1500€) ausgesprochen, was für den überwiegenden Teil der Bevölkerung locker ein halbes Jahresgehalt ist. Das Stadion war bereits über eine Stunde vor Spielbeginn annehmbar gefüllt, und der Göztepe Anhang sammelte sich überwiegend auf der überdachten Haupttribüne, sowie in leicht geringerer Anzahl auf der Gegentribüne. Der Kurvenbereich war nahezu gänzlich verwaist, lediglich ein paar vereinzelte Besucher suchten sich hier ihren Platz. Gefallen konnte in jedem Fall die Zaunbeflaggung, insbesondere auf Göztepe-Seite. Die Fahnen im allgemeinen waren alle sehr lang, und meist mit relativ poetischen (sinngemäßen) Aussagen wie zb „Wo auch Dein Name steht, es ist wie ein Tempel für uns“, „Nun möchten wir von unserem Göztepe die Meisterschaft (in Liga 2, sprich den Wiederaufstieg in die Süper-Lig) oder „Große Mannschaften reden nur über ihre Titel, kleine hingegen von ihren Erfolgen gegen große Mannschaften“ versehen.

Im Gästesektor waren die Fahnen natürlich in weitaus geringerer Anzahl vorhanden, wenngleich die Texte nicht weniger Hingabe symbolisierten als auf der Gegenseite „Wie ein verrückter zu lieben ist in unsere Seele verankert“ und „Überhaupt, keine Liebe ist so heilig wie Deine“ war hier unter anderem zu lesen. Stimmungstechnisch gestaltete sich die Zeit vor dem Spiel zum Teil schon sehr intensiv! Die Gesänge wurden oftmals von der gesamten Haupttribüne getragen, und zumeist stieg die Gegentribüne sofort in diese mit ein. Genial in jedem Fall die sehr geschlosssenen Klatscheinlagen, welche oftmals in kollektives Hüpfen übergingen. Jegliche akusitsche Regung aus dem Gästesektor ging meist im kollektiven Pfeifkonzert unter. Die Abneigung zwischen beiden Lagern war schon deutlich erkennbar.

Je näher der Anpfiff dann rückte, desto gemäßigter wurde es dann auf den Rängen. Eine gewisse Art der Anspannung war relativ deutlich zu spüren.

Zum Einlauf der Mannschaften gab es dann seitens Göztepe ein (eher missglücktes) Konfetti-Intro, gefolgt von drei Überziehfahnen im rechten Bereich der Haupttribüne, sowie diverse Doppelhalter welche später von einer schönen, weil dichten & langen Schalparade gefolgt war. Für rein auf optische Aktionen versessene Leute, dürfte der Fußball in der Türkei aus den bereits beschriebenen Gründen nur eine

bedingte Anziehungskraft haben. Im Gästebereich waren keinerlei Aktivitäten in Sachen Optik zu verzeichnen, und auch gesanglich ließ KSK über weite Strecken des Spiels so einiges vermissen! Präsentierte man sich anfangs noch einigermaßen geschlossen und lautstark, so ebbte der Gesang mit zunehmender Dauer immer weiter ab. Klar, sicherlich war es ein schwieriges Unterfangen sich in derart numerischer Unterlegenheit gehör zu verschaffen, aber zum Teil betrugen die Phasen des Schweigens nahezu 10 Minuten am Stück. Für das erste Derby seit sieben Jahren muß dort ganz einfach mehr kommen in meinen Augen. Göztepe präsentierte sich am heutigen Tage in Sachen Stimmung schon deutlich stärker als der Rivale.

In den ersten 25-30 Minuten war die Darbeitung der Rot-Gelben durchaus begeisternd. Die schönen Melodien wurden von einem großen Teil des Publikums getragen, wenngleich sich im weiteren Verlauf des Spiels auch einige Defizite in Sachen Beteiligung auftaten. Sicherlich darf man auch hier nicht vergessen, das man im Ligaalltag mit weitaus weniger Leuten zu Werke geht. Gerade zum Ende des Spiels war die Luft auch hier spürbar raus, insgesamt aber durchaus ein guter Auftritt der Gastgeber. Generell wurden vielen Wechselgesänge mit der Gegentribüne initiert, oder nicht selten wurden deren Gesänge einfach übernommen. Bewundernswert in jedem Fall jeweils das hohe Alter der Vorsänger. Hier sieht man in der Türkei ja nicht selten Leute jenseits der 50, welche die Massen koordinieren. So auch heute! Als Makel ist lediglich das Liedgut anzusehen, welches sich meiner Auffassung nach in der Türkei nicht selten von Szene zu Szene gleicht. So erlebte ich persönlich auf dieser Reise zwar sehr fanatische Kurven, aber einen ganz eigenen (gesanglichen/melodischen) Stil konnte ich persönlich nicht ausmachen bzw. habe ich diesen vermisst. So hörte man vielerort die selben Melodien, welche den Eindruck vermittelten, das sie einfach zum Standardrepertoire des Landes gehören. Da die Gäste vom Rest des Stadions jeweils mittels Bauzäunen, Pufferblöcken und zahlreichen Einsatzkräften (natürlich) stark vom restlichen Publikum isoliert waren, blieb es an diesem Abend weitgehend ruhig.

Nach den Toren wurden auf beiden Seiten jeweils diverse handelsübliche Sylvesterraketen ohne Rücksicht auf Verluste auf die Reise geschickt. Diese blieben zum Teil als Querschläger in den eigenen Reihen hängen, und so mussten vereinzelte Leute mit Brandverletzungen behandelt werden. Auf Seiten der Gäste geriet einer der Trennzäune kurz ins Wanken, aber die so entstandene Aufregung hatte sich rasch wieder erledigt.

Nachdem Spiel holten sich beide Teams noch ihren Applaus beim Volk ab, wobei man bei Karsiyka offensichtlich intensiver über die Punkteteilung jubeln konnte. Der Abmarsch der Massen blieb bis auf vereinzelte Zwischenfälle überwiegend ruhig, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war.

Dynamo Dresden vs. Eintracht Frankfurt2011/12

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26 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 27

die Mannschaft in die Kabine begleiteten. Mit dem Seitenwechsel

änderte sich auch das Bild im unteren Bereich bei GC, der von

oberkörperfrei in einheitliches Schwarz wechselte und die

seltener werdenden Lieder bis zur 74. Minute fast gänzlich auf

„scheiß FCZ“ begrenzt wurden. Die erneute Führung passte da

fast nicht ins Bild, denn alles bereitete sich schon auf die Aktion

vor, die im Nachgang von diesem Spiel übrigblieb. Schon teils

vermummt, wurde neben dem eigenen Verein auch den Boys aus

der Südkurve zum 15-Jährigen gratuliert; und zwar mit geklauten

und bemalten Doppelhaltern und Fahnen. Diese stammen aus dem

Jahr 2007, als einige GCler aus Rache für einen vorherigen Angriff

mit Fahnenverlust in ein Lokal des Feindes einbrachen und neben

zwei Anthrax-Fahnen eben auch diese Exemplare fanden. Daraus

resultierte neben der Auflösung von Anthrax die Entführung eines

GClers durch FCZ-Anhänger, womit die Fahne erpresst werden

sollte. Dieses Vorhaben scheiterte und zog lange Verhandlungen

nach sich, die zehn Tage vor diesem 226. Zürcher Derby von der

Staatsanwaltschaft eingestellt wurde. Da

die Delta-Security die Anzeichen zu dieser Aktion

nicht sofort erkannte, setzten sich aus der Südkurve

gleich einige in Bewegung, um ohne Gegenwehr auf

die andere Seite zu gelangen. Einige Pöbeleien, ein

fliegendes Bengalo, eine kurze Schlägerei auf der

Gegengerade, mehr verhinderten die anrückenden Deltas. Der

Schiedsrichter ließ anfangs noch weiterspielen, entschied dann

aber doch auf Abbruch, was mit Pfiffen quittiert wurde; wohl aus

unterschiedlichen Gründen.

Damit war der erste Spielabbruch der Super League besiegelt und

die einzelnen Zwischenfälle nach dem Spiel passten ins Bild, das

in den nächsten Tagen und Wochen in der Presse ausreichend von

allen möglichen Parteien beurteilt wurde. Der Sommer war vorbei

und ein rauer Herbst deutete sich an.

Spätsommer in Zürich. Eines der vielleicht

letzten Wochenenden, an denen man sich

am Zürichsee in deutlich mediterraneren

Gefilden glaubt, was auch die Einwohner

und Touristen der Stadt in Massen zum Spazieren

oder gar Baden zieht. Bis auf wenige Tags und noch weniger

Vereinstextilien ist von Fußball, geschweige denn vom heutigen

Zürcher Derby in dieser entspannten Szenerie nichts zu spüren.

Am seit 2007 gemeinsamen Erstligastadion in Zürich ist

natürlich mehr weiß-blau beider Vereine zu sehen, entspannt

geht es trotzdem zu. Gut, an den Kreuzungen steht jeweils

ein Wasserwerfer und manchmal noch Polizisten, doch eine

Stadionumrundung ist dank fehlender Absperrungen möglich

und teils durchmischen sich die gleichfarbige Lager, sodass bei

Bier über den aktuellen Zürcher Fußball diskutiert wird. Achter

gegen Neunter in der Zehnerstaffel der obersten Schweizer

Liga, nicht gerade der Anspruch der wissenschaftlichen,

wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und damit inoffiziellen

Hauptstadt der Schweiz. Mit 380.000 Einwohnern ist Zürich

die größte Stadt der Schweiz, doch auch heute sollten von den

25.000 möglichen Karten nur 15.000 verkauft werden. Gründe

neben der sportlichen Situation gibt es viele. Je circa ein Drittel

der Einwohner sind Ausländer und Zugezogene aus der restlichen

Schweiz, die meist schon einen Lieblingsverein haben dürften.

Entscheidet sich der potentielle Fan gegen die zwei, ebenfalls

beliebten Eishockeyvereine im Großraum Zürich und die vielen

nichtsportlichen Alternativen, bleibt immer noch die Wahl

zwischen den zwei Erstligisten, zu denen selbst Stadtprominente

und Politiker eine öffentliche Positionierung vermeiden. Ein

anderes Bild findet man beispielsweise in Basel, wo der FCB in

einem größeren Einzugsgebiet nahezu konkurrenzlos ist und

sich auch die Stadt deutlicher zu ihrem Verein bekennen kann.

Die Folge ist ein Zuschauerschnitt, der aktuell kurz vor der

30.000er Marke liegt und grob doppelt so hoch wie der beider

Zürcher Vereine zusammen ist. Die Grasshoppers sind nach dem

FC St.Gallen der zeitälteste Verein und stellten als Verein der

Wohlhabenden und Akademiker lange Zeit die Nr. 1 der Stadt

dar, doch heute hat es sich sportlich als auch in der Quantität

der Anhänger zugunsten des FCZ entwickelt, wobei sicherlich

auch der sportliche Erfolg des Arbeitervereins in der Phase der

Fußballeuphorie durch die EM von Vorteil war. Wie in anderen

Städten, in denen die vom Verein der Reichen Ausgeschlossenen

einen eigenen Verein als Gegensatz etablierten, sind diese

Unterschiede heutzutage nur noch selten erkennbar und es wird

mehr vom FCZ als Stadtclub geredet, während GC seine Anhänger

vorrangig im Umland besäße. Diese Frage wird natürlich immer

wieder thematisiert und so wird auf der einen Seite gern der

Spitzname vom Stadtclub betont und „Züri isch ois, isch ois ganz

allei“ gesungen, während auf der anderen Seite dem Gegenüber

vorgeworfen wird, die Südkurve über den Verein und die Stadt zu

stellen. Auf eine Choreo Anfang des Jahres, in der die Südkurve

Zürich als „graue, kleine Stadt“ bezeichnete, antwortet GC

beispielsweise mit „Ihr aus eurer grauen, kleinen Stadt. Wir aus

dem wunderschönen Zürich“. Das letzte Derby endete jedenfalls

klar mit 6:0 für den FCZ…

…und damit ging es im Stadion auch weiter. Die gleiche

Aufforderung an die Mannschaft, das übergroße Ergebnis und

eine Fußballfeldumrandung aus grünen Luftballons wurde

noch erweitert, indem die Luftballons in aufblasbare Fußbälle

getauscht wurden und diese ins vor der Südkurve aufgebaute

Tor geworfen wurden. Dem setzte GC eine Schalparade mit einem

Spruchband an die Mannschaft entgegen und blieb auch im

weiteren Verlauf größtenteils unterlegen. Selbst als GC verdient

in Führung ging, herrschte auf den Rängen ein umgekehrtes Bild.

Auf beiden Seiten verzichten die führenden Gruppen übrigens

im Letzigrund zugunsten einer großen Fahne vor dem Block

auf ihre eigenen, welche nur in fremden Stadien hängen. Damit

stellten beide Fahnen die Hälfte aller im Stadion hängenden dar,

denn bis auf zwei kleineren neben der Südkurve waren keine

weiteren zu sehen. Kurz vor der Halbzeit konnte der FCZ durch

ein kurioses Tor, als der Linienrichter eine abgefälschte Flanke

als Abseits bewertete, der Schiedsrichter ihn aber überstimmte,

ausgleichen und sofort entwickelte sich mit etlichen Bengalen

und Rauchdosen ein angemessener Torjubel, dessen Gesänge

Austria SalzburgGrasshopper Club Zürich FC Zürich

Aus neutraler Sicht: Philipp Natzke

28 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

Datum: So. 2.10.2011Ergebnis: 2:1 (abgebrochen in der 77. Minute)

Wettbewerb: 1. Liga SchweizZuschauer: 15.000Gäste: ca. 3.000Fotos: Philipp Natzke

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// 3130 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

So und ähnlich wurde der 2. Oktober in den folgenden Tagen in den Medien tituliert und besonders die Boulevard-blätter mühten sich, täglich neue und übertrumpfende Meldungen zu bringen.

Der Höhepunkt sicherlich, als der Blick (Schweizer Pendant zur auflagenstärks-ten deutschen Tageszeitung) groß den Werfer des Bengalo ungeschwärzt präsentierte, wofür es später Rügen von anderen Zeitungen und vom Pres-serat hagelte. Wie auch in Deutsch-land üblich, meldeten sich nach den Ereignissen zahlreiche „Experten“ aus verschiedenen Institutionen zu Wort und präsentierten Lösungsvorschläge,

wobei besonders von Politikern das Thema Hooligans im Vorfeld der Wahlen Mitte Oktober dankend angenommen wurden, da deren Handlungen natur-gemäß fast alle Wähler verurteilen. GC unterbreitete zusammen mit der Stadt Zürich beispielsweise allen anderen Erstligisten und dem Verband den Vor-schlag, Spiele bei Pyro-Einsatz abzu-brechen, der allgemein aber nur wenig Zustimmung fand. Weitere Ideen wie Alkoholverbote, reine Sitzplatzstadi-en (wie es der Letzigrund bereits ist), Kombitickets aus Zug+Eintritt oder eine Fankarte sind eher illusorischer Natur, wobei letztere nach dem Platzsturm 2006 in Basel, als der FCZ in der 93. Mi-

nute die Meisterschaft im St. Jakob-Park erzwang, kurzzeitig für die Fanblöcke eingeführt wurde. In der Schweiz haben die Kurven, auch heute noch, allerdings den enormen Vorteil, dass sie im Ver-hältnis zur Gesamtzuschauerzahl einen sehr hohen Anteil stellen und das rest-liche Stadion im Gegensatz zu anderen Topligen selten gefüllt ist, sodass die Gruppen einerseits boykottierten oder in anderen Blöcken standen und die Maßnahme bald zurückgezogen wurde. Auch wenn im Sommer etliche Funktio-näre über das erstmalige Erreichen der 2 Millionen Zuschauer-Marke der Super League jubelten, wird die alte Geschich-te des vom Randale abgeschreckten

„DIE SCHANDE VON ZÜRICH!“EIN KOMMENTAR VON PHILIPP NATZKE

Fans mehrfach aus der Kiste geholt, wobei völlig außer Acht gelassen wird, welchen enormen Anteil die Ultra-Bewegung in den letzten Jahren an der steigenden Attraktivität des Stadion-besuchs in der Schweiz besaß. „Wir dürfen die positive Kraft dieser Bewegung nicht schwächen, indem wir alle Fans gene-rell als Kriminelle in Sippenhaft nehmen und den Rechtsstaat aushebeln.“ fordert Bernhard Heusler, Vizepräsident des FC Basel, und spricht damit den befürchteten Trend der Fanpolitik an. Seit Jahren schaukelt sich das Schwarzer-Peter-Spiel zwi-schen Polizei, Vereinen und Behörden auf Stadt-,Kantons-und Bundesebene hoch und droht nach einem Ereignis wie diesem die Realität zu verlieren. Ein Grund, warum sich die Vereine nicht vor dem Thema Fanpolitik verschließen können, dürfte an der Regelung liegen, dass, anders als in Deutschland, die Polizei nicht im Stadion präsent ist (außer in Extremfällen wie den Platzstürmen von Basel 2006 und St. Gallen 2008) und die Vereine für die Sicherheit im Stadion verantwortlich sind. Zusätzlich zu den Kosten für die privaten Sicherheitsdienste ist ein Zuschuss an die Polizei und damit die Sicherheit vor den Stadien zu zahlen, der bei den zuschauerstarken Vereinen bis zu einer Million Franken betragen kann. Damit sind Blockstür-mungen durch die Polizei, wie kürzlich in Hannover gesche-hen, nicht möglich und auch die Sicherheitsdienste wie die bekannten Zürcher Deltas, die bei einigen Versuchen schwere Niederlagen einstecken mussten, sehen von dem Gang in den Block ab. Dieser Fakt hat die Entwicklung der Schweizer Sze-ne in nahezu autonomen Kurven natürlich stark begünstigt, schaffte aber vor allem in Zürich mit der gewaltzugeneigten Delta-Security ein weiteres Feindbild, das in Kämpfen wie im Mai dieses Jahres beim Spiel FCZ gegen FCB ufert. Beim gleichen Spiel am 23. Oktober kam es gar nicht so weit, da die anreisenden Basler nur wenige Schritte aus dem Bahn-hof Altstetten gingen, um danach freiwillig die Heimreise im Extrazug anzutreten. Grund war ein „im Schweizer Fussball noch nie gesehenes Grossaufgebot“ und die angekündigte Nulltoleranzstrategie der Polizei, wie die Muttenzerkur-ve in ihrer Stellungnahme schreibt. Die Zugfahrer sollten dazu während des Marsches gekesselt werden, was in der Schweiz allerdings unüblich ist und meist mit Verhaf-tungen gleichzusetzen ist; wie für die Basler 2004 bereits geschehen. Damit sollten Verstöße wie Vermummung und der Einsatz von Pyrotechnik sofort geahndet werden, was im Stadion wie bereits beschrieben kaum möglich ist, in dieser Situation mit den bereitstehenden Polizeieinheiten wohl aber Zwischenfälle provoziert hätte, um sie im Nach-gang zur Legitimierung dieses Vorgehens zu nutzen. Für die, in den ersten zehn Spielminuten schweigende, Südkur-ve blieben bis auf zusätzliche Ordner und einen provisori-schen Zaun vor dem Block, der jedoch schon zuvor für die Winterpause eingeplant war, weitere Veränderungen aus. Ob sich die Stadt Zürich auch in Zukunft ein solches Polizei-aufgebot leisten wird und inwieweit die einzelnen Kantone neue Maßnahmen einführen, was sich wie üblich von Kan-ton zu Kanton sehr unterscheiden kann und wird, zeigen die nächsten Spiele. Bleibt zu hoffen, dass die Personen und Institutionen, die schon Jahre auf diesem Gebiet arbeiten, in die Entscheidungen eingebunden werden und wie es der Vizepräsident des FCB sagt: „Eins dürfte klar sein: mit po-pulistischer Stimmungsmache ausserhalb dieser offiziellen Gremien und ohne Dialog gewinnen wir im delikaten Be-reich der Fanpolitik und Sicherheit gar nichts.“

32 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 33

15 JAHRE ULTRAS INFERNO LÜTTICH Text & Bilder: Ultras Inferno Lüttich

34 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

„...ungefähr 120 Spiele, ausgetragen auf vier Fußballfeldern. Das

ganze wurde veranstaltet ohne einen Schiedsrichter und ohne den

geringsten Zwischenfall“

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Turnier & PartyAnlässlich des fünfzehnjährigen Bestehens unserer Gruppe, organisierten wir etwa einen Kilometer vom Standard-Stadion ein Fußballturnier auf kleinem Feld im „Sechs gegen Sechs“-Austragungsmodus und am Abend ein Konzert hinter der „Tribune 3“.

Die Vorbereitung für die Festlichkeiten dauerten Monate, doch ergriffen zahlreiche Mitglieder von uns die Initiative gerade an dem Wochenende der Veranstaltung von Freitag bis zum Montag hart zu arbeiten, um unseren

Freunden aus dem Ausland einen unvergesslichen Tag zu bereiten. Was das Turnier betrifft, lassen wir an dieser Stelle ein paar paar Daten sprechen: 20 Teams, plus/minus 170 Spieler (von nahezu überall herkommend; aus Lüttich, Namur, Hennegau, Luxemburg, Brüssel-Brabant, Flandern, Holland, Deutschland, Italien, Israel, Frankreich, …), ungefähr 120 Spiele, ausgetragen auf vier Fußballfeldern. Das ganze Turnier wurde ohne einen Schiedsrichter und ohne den geringsten Zwischenfall durchgeführt. Tatsächlich war auch die Sonne und damit natürlich ungebrochene Fröhlichkeit aufseiten der Party, sodass wir auf zahlreiches Erscheinen unserer Mitglieder, Sympathisanten oder einfacher Besucher zählen durften.

36 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

Selbstverständlich gab es, um Kräfte zurückzugewinnen, zwischen den Spielen etwas zu Trinken an der Bar und etwas zum Essen vom Grill. Das Turnier begann um 9.30 Uhr morgens und endete schließlich gegen 18 Uhr.Im Finale traten unsere Brüder von den ULTRAS HAPOEL gegen die ANTIFA ‘ MFC (Sieg für die ANTIFA‘ MFC) an. Im kleinen Finale trafen anschließend die Pastaga Soldiers auf Gioventù Inferno, unseren UI-Nachwuchs, welches die Soldiers letztendlich für sich entscheiden konnten.

Während der gesamten Dauer des Turniers, kümmerten sich die anderen Jungs und Mädels um die Vorbereitung des abendlichen Konzerts. Etwa gegen 19 Uhr trafen sich die meisten Turnierteilnehmer am Stadion, direkt hinter der „Tribune 3“, wo die Feierlichkeiten und das Konzert in einem, extra für die Party aufgebauten, 30 x 10 m großen Zelt fortgeführt werden sollten. Gegen 20 Uhr fing dann schließlich das Konzert an. Ein weiteres erfolgreiches Unterfangen für unsere Gruppe, denn die Atmosphäre war exzellent! Wie auch schon beim Turnier wurde für die notwendige Verpflegung der Gäste selbst gesorgt.

Das Konzert wurde einige Male unterbrochen, um den Ultrágruppen, den anderen Teilnehmern und Teams unseren Dank für ihr Kommen und ihre Anwesenheit mit der Übergabe eines kleinen Geschenks (ein gemaltes Bild auf Holz mit dem offiziellen Jubiläumslogo unserer Gruppe) auszusprechen. Anschließend konnten die musikalischen Darbietungen weitergehen, inmitten der Menge mit dem Sound der Livemusik, welcher dann kontinuierlich ein paar Aufnahmen/Bilder für ein Video unterstützen wird. Der Wahnsinn ergriff das Zelt, denn viele Künstler und Zuschauer gestalteten die Szene, indem sie zahlreiche Lieder anstimmten. Demnach, eine tolle Atmosphäre für eine große Nacht in Sclessin! Dies alles mündete in Rahmenbedingungen, welche das

angekündigte Gewitter für die Nacht vergessen ließen. Abschließend können wir sagen, dass alles glatt verlief, was wohl nicht zuletzt an der persönlichen Aura des Teufels lag, welcher an diesem Tag ein Auge auf uns geworfen haben muss. Im Anschluss an das Konzert ging es für ein Feuerwerk auf die Straße vor dem Stadion. Kein Geburtstag ohne Kerzen!

Das war’s. Wir haben‘s geschafft! Wir haben die Erinnerungen an den Höhepunkt in unserem Gedächtnis und die Genugtuung sagen zu dürfen, dass wir dem Anspruch für die Feier zum fünfzehnjährigen Geburtstag unserer Gruppe durch die Organisation und dem Feiern gerecht geworden sind. Und nun, geht’s weiter ...

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Ein besonderer Dank geht an: Ultrà Sankt Pauli, USP Sektion Kurpfalz, Ultras Hapoel Tel Aviv, Horda Frenetik Metz, Publik Hysterik Kaos, Brigate Rossoblu Civitanova, Red Tigers Lens, M-Side Den Bosch, Vielle Garde/Hell Side, Schickeria München, Gate 9 Omonoia Nikosia, Ultras Ternana, Ivan aus Livorno, Maks aus Düsseldorf, Ismael und sein Bruder von Wydad Casablanca, Peuple Rouches Wihéries, Team RSCL Nation, Team Saloon, Team BBB, Team RSCL.be, Team Evolution, Team Antifa’ MFC, Team FCDBiles, Team LGHC/NMC United, Team Gioventù Inferno, Team Cosa / Ultras, Team Pastaga Soldiers, Team « 16 », Team Chiens de Talus, Libertas Gentes, Surge of Fury, Party Harders, Microglycerime, King Lee, Frangn’s Bridge, Nos Vices, Furious Bust, Dj Sonar, Dj Co, Grand Master Rai, Kaer, Roots Rockers und natürlich all‘ die anderen Mitglieder und Freunde unserer Gruppe, die an diesem Wochenende präsent waren!

38 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 39// 39

IMPRESSIONEN AUS 15 JAHREN ULTRAS INFERNO LÜTTICH

Jahn Regensburg

Dienstag, 21.09.20105

GästeBLOCKDynamo

Fotos: LS-photo.de

GästeBLOCKDynamo

2010/2011

Carl Zeiss Jena

Samstag, 31.07.20101

Zugegeben, in der letzten Ausgabe 21 wäre die Rubrik Gästeblock Fürth 2010/2011 fast noch im letzten Moment rausgeflogen, da wir uns völlig unsicher über die Reaktionen waren. Jedoch hat exakt dieser Part die meisten positiven Rückmeldungen eingebracht und so mussten wir nicht lange überlegen, um schon in dieser Ausgabe nochmal nachzulegen. Sonderlich viele

Ansprechpartner einer detaillierten Perspektive auf den jeweiligen Gästeblock gibt es in Deutschland nicht. Dennoch haben wir mit dem Gästeblock des Rudolf-Harbig-Stadions in Dresden einen Vertreter gefunden. Auch hier gilt für die Fotos wieder die Darstellung des Gästeblocks und die Veränderlichkeit durch Menschen und deren Mittel zur Gestaltung.

Ansichten eines Gästeblocks

40 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 41

VfB Stuttgart II

Samstag, 07.08.20102

1. FC Saarbrücken

Freitag, 20.08.20103

Bayern München II

Samstag, 11.09.20104

Foto: Frank Dehlis

SV Wehen Wiesbaden

Samstag, 05.03.201113

42 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 43

Kickers Offenbach

Samstag, 04.12.201010

Eintracht Braunschweig

Samstag, 22.01.201111

SV Sandhausen

Sonntag, 20.02.201112

VfR Aalen

Hansa Rostock

Samstag, 23.10.20107

Werder Bremen II

Samstag, 06.11.2010

Freitag, 01.10.20106

8

Samstag, 20.11.20109

SV Babelsberg 03

44 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 45

SpVgg Unterhaching

Samstag, 23.04.201118

Wacker Burghausen

Samstag, 07.05.201119

Samstag, 16.04.201117

Rot Weiss Ahlen

Heidenheim

Samstag, 26.03.201115

Rot-Weiß Erfurt

Mittwoch, 06.04.2011

Samstag, 19.03.201114

16

TuS Koblenz

VfL Osnabrück

Freitag, 20.05.201120

46 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 47

Hajduk Split vs. Dinamo Zagreb1. Liga Kroatien 2011/12 © Rene Löbel

Egal welche Gesetze und Bestimmungen verhängt werden, es niemals der

Fall sein wird, die Bewegung zu zerstören und dass jeder Schlag die Ultras stärker mache.

Die BAD BLUE BOYS kehren nach 13 Monaten Boykott wieder zurück ins Stadion Maksimir. Jedoch werden weiterhin alle Spiele der Königsklasse boykottiert, da die Eintrittskartenpreise nicht zur Zufriedenheit der BBB sind, sprich deutlich über der Grenze des Vertretbaren. Während eine Eintrittsberechtigung beim letzten Quali-Heimspiel nur 13 Cent kostete, um das Stadion voll zu bekommen und um vor der europäischen Öffentlichkeit gut dazustehen, sieht dies in der Gruppenphase ganz anders aus. Aber noch einmal von vorne. Auslöser für den Boykott ist die Selbstherrlichkeit von Zdravko Mamic (mächtigster Mann bei Dinamo und im kroatischen Fußball), der Jahr für Jahr die Topspieler verhökerte, den Trainer Zajec nach nur 3 Monaten am Anfang der Saison 2010/11 entließ. Den Fans ging das alles gegen den Strich, da der Trainer sehr beliebt war (früher selbst im Verein gespielt und großes Idol im Jugoslawischen Fussball der 70er/80er). Des Weiteren wird Mamc vorgeworfen, dass er in illegale Machenschaften verwickelt sei und Dinamo darunter leide. Nach dem weniger erfolgreichen Boykott, welcher nicht wirklich etwas zu bewegen schien, wohl auch aufgrund der Macht des Präsidenten,will man von nun an den Protest ins Stadion bringen und hier weiter alles versuchen, was möglich ist. Das erste Spiel nach den erwähnten 13 Monaten war ausgerechnet das Spiel der Spiele in Kroatien, das Gastspiel bei Hajduk Split am 10.09. Die BBB einigte sich mit der Torcida auf einen einmaligen Waffenstillstand während dieser Partie, da der Protest gegen Mamic und den Verband im Vordergrund stand. Die Torcida vollführte eine gigantische Choreo über das ganze Stadion und zeigte einige Spruchbänder mit der Grundaussage, das egal welche Gesetze und Bestimmungen verhängt werden, es niemals der Fall sein wird, die Bewegung zu zerstören und dass jeder Schlag die Ultras stärker mache. Angespielt wurde hierbei vor allem auf die Fahne der „White Boys“, die aufgrund der Südstaaten-Flagge vom kroatischen Fußballverband verboten wurde. Der exakte Wortlaut „Gegen jede Dunkelheit, gegen jede Macht!“ unterstrich somit die Choreographie zu Ehren der White Boys. Dies zeigten sie auch auf eine beeindruckende Weise. Eine Pyroshow gigantischen Ausmaßes, wo auch einiges den Weg auf den Platz fand war die Folge. Die Jungs aus der Hauptstadt protestierten mittels Spruchbändern gegen ihr Präsidium: „Zdravko und 80 Hurensöhne, Dinamo ist unser Allerheiligstes!“ Sowie ein weiteres mit der Aussage: „Wieder stehen wir an der Frontlinie, für Dinamo kämpfen wir bis zum Tod“, bezugnehmend auf den langjährigen Kampf um den Namen Dinamo Zagreb.

Eintracht Braunschweig vs. Fortuna Düsseldorf2011/12

© BLOCK42FOTOS.DE

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Oft. Sehr oft. Eigentlich immer. Das heimliche Saisonziel stand fest. Einmal Europapokal. Ein Spiel im Ausland. Nur

eins. Im Gegensatz zu der Sehnsucht war die Wahrscheinlichkeit, dass unser stiller Traum erfüllt werden würde allerdings sehr klein. Erst recht seit der UI-Cup nicht mehr ausgespielt wird. Wünsche erfüllen sich aber erstaunlicherweise gerade dann, wenn man überhaupt nicht mehr daran denkt. Als gefühlter Zweitligist starteten wir in die Saison und hätten uns schon über eine Spielzeit ohne größere Abstiegssorgen gefreut. Zittern mussten wir dann tatsächlich nicht. Schon vor den letzten Spielen stand nämlich fest, dass wir erstens nicht absteigen und zweitens sogar in Europa spielen würden. Trotz der klaren Qualifikation realisierten die wenigsten Leute, was die anstehenden

Spiele für uns bedeuten würden. Der Vorfreude fehlte die Fokussierung auf ein konkretes Ziel, zu viele Destinationen waren denkbar. Klarheit hatten wir erst 13 Tage vor dem Hinspiel und somit auch nur 20 Tage, um die Anreise zu der Auswärtspartie zu planen... Sevilla also.

Die Haupstadt der Region Andalusien ist als Reiseziel mit Sicherheit großartig, das war allen sofort klar. Klar war aber auch, dass wir den fußballerisch größten Brocken aus der Lostrommel gezogen hatten. Die Vorfreude wurde dadurch arg gedämpft. Bescheuert eigentlich, hatten wir doch nun endlich das ersehnte Spiel. Aber insgeheim träumten alle bereits von der Gruppenphase. Die Ansprüche steigen also schnell. Zeit zum Nachdenken war aber ohnehin kaum vorhanden. Die Organisation der Anreise nahm uns total in Beschlag. Szenen, die mit

Spielen auf internationaler Bühne vertraut sind, dürften da eine gewisse Routine entwickelt haben, für uns war es komplett neu. Nicht, dass wir noch nie verreist wären, im Trainingslager waren oder aus anderen Gründen durch die Welt gedüst sind, aber nahezu alle bekannten Gesichter in eine Stadt zu transportieren, die deutlich mehr als 2000 km von zu Hause entfernt ist, verlangt nach etwas mehr Organisation. Vor allem dann, wenn es möglichst günstig sein soll. Dass wir nicht zusammen würden reisen können, war also klar, ebenso wie das Verkehrsmittel. In den Tagen vor der Partie hoben also diverse Grüppchen hier und da gen Süden ab. Mal mit und mal ohne Umstieg. Aber immerhin mit deutlich mehr Vorfreude ausgestattet als nach der Auslosung. Nicht unwesentlich trug dazu natürlich auch der großartige Verlauf des Hinspiels bei. Eine nichtgeahnte Stimmung

breitete sich im Niedersachsenstadion aus und verhalf der Mannschaft zu einer guten Ausgangslage. Wir waren also zumindest nicht chancenlos im Rückspiel.

Zwei Tage vor dem Spiel stromerten bereits vertraute Gesichter durch die Gassen der schönen Altstadt und labten sich hier und dort an den örtlichen Köstlichkeiten. Ähnlich verlief auch der Tag vor dem Spiel. Nur war die Zahl der Gäste deutlich gestiegen. Rund 150 Jungs und Mädels aus unseren Reihen amüsierten sich prächtig und füllten die Gassen mit Gesang. Ein erster Höhepunkt war damit schon erreicht, so ließ es sich zumindest aus den strahlenden Gesichtern ablesen. Schöner als wir es uns ausgemalt hatten. Der Spieltag hingegen begann ganz gemächlich. Die große Hitze zur Mittagszeit ließ den Mob am Treffpunkt nur gemächlich wachsen. Im Schatten der Kathedrale fand sich nach und nach aber jeder ein, der in der Fanszene von 96 bekannt ist und war, sich ihr aber mindestens verbunden fühlt. Zwischen den Bäumen wurden Fahnen gespannt und das muntere Treiben, die vielen Gespräche stoppten immer nur dann kurz, wenn ein Gesang sich wellenförmig durch die verstopfte Straße ausbreitete. Ein Ort zum Wohlfühlen. Auch die Polizei ließ uns in Ruhe. Am Rand des Geschehens

postierten sich zwar ein paar Heinis, auf den Wecker gingen sie uns aber nicht. Am frühen Abend wuchs die Unruhe merklich. Der Mob scharrte mit den Hufen. Vorfreude und Anspannung wollten herausgebrüllt werden. Es konnte auf einmal kaum schnell genug losgehen. Flugs leerten sich die Kneipen, waren die Fahnen eingepackt und standen mindestens 1000 Leute auf der Straße, um gemeinsam zum Stadion zu laufen. Waren die Gesänge zu Beginn des Weges noch kraftvoll, nahm der Elan immer weiter ab. Die abendliche Hitze setzte allen zu. Elektrisiert war der Haufen erst wieder kurz vor dem Stadion als 30 Einheimische aus einer Einfahrt auftauchten und wild mit Flaschen um sich warfen. Statt Prügel für die Werfer gab es leider nur Dresche für alle, die die Polizeikette durchbrechen wollten. Festgenommen wurde wenigstens niemand.

Da die Polizei allerdings auch den Einlass regelte und jene ihre Autorität wohl in Frage gestellt sahen, ging es am Eingang besonders penibel zu. Weder ein Megaphon noch eine Trommel durften in den Block, einzig die Zaunfahnen stellten kein Problem dar. Ebenso lästig war, dass die Karten ihre Gültigkeit nur bedingt entfalten konnten. Die Blöcke wurden nach und nach gefüllt. Dass wir mehr als 300

>> Oft. Sehr oft. Eigentlich immer. Das heimliche Saisonziel stand fest. Einmal

Europapokal <<Unterwegs im EuropapokalHannover in Andalusien

Amtssprache: SpanischHauptstadt: Madrid Fläche: 504.645 km² Einwohnerzahl: 47.150.819Bevölkerungsdichte: 93 Einwohner pro km²

96

50 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

Sevilla Fútbol Club Der Sevilla Fútbol Club, zu deutsch FC Sevilla war einer der Gründungsvereine der Primera División und gehört damit zur Spitze der Fußballtraditionsvereine Spaniens. Größter Konkurrent ist der Lokalrivale Betis Sevilla, dessen Anhängerschaft im Gegensatz zum FC Sevilla überwiegend aus den ländlichen Gegenden und Vororten stammt, während der FC über mehr Anhänger in der Stadt verfügt. Seine Heimspiele trägt der Verein im Stadion Ramón Sánchez Pizjuán aus, das reine Fußballstadion fasst 45000 Zuschauer und beherbergt im Unterrang der Nordkurve die aktive Fanszene. Die lokale Ultragruppierung des FC Sevilla trägt den Namen Biris Norte, dieser Name lässt sich neben dem Gruppenstandort im Stadion, auf den Spieler Biri Biri zurückführen, der in den 70iger Jahren erfolgreich für den Verein auf Torejagd ging. Die mehrere hundert Mitglieder umfassende und für das Land untypisch reisewillige Szene gehört zu den angesehensten ganz Spaniens und zu den wenigen, die sich klar antirassistisch positionieren. Ironisch greifen daher die Ultras gerne die gegen sie gerichteten Schimpfwörter auf und bezeichnen sich u.a. selbst als „Yonkis y Gitanos – Ultras SFC“ – „Junkies und Zigeuner – Ultras SFC“.

// 5352 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

Karten für den Mittelblock abgesetzt hatten und auch der Rest der aktiven Szene dort beheimatet sein sollte, war somit irrelevant. Die Zeit bis zum Anpfiff verbrachten wir also damit, uns so gut wie möglich zu positionieren, um die Unterstützung der gut 3000 Gäste besser lenken zu können. Lautstärke und Durschlagskraft waren nämlich ausnahmsweise nicht unser Problem. Besonders in Halbzeit eins ging es teilweise aber drunter und drüber. Ein Gegengewicht zu der gut aufgelegten Heimseite konnten wir aber trotzdem bilden. Angefeuert von diversen Fackeln und unter der Führung von Biris Norte sang oftmals der gesamte Heimbereich. Durchgängig aber immer mindestens 2000 Leute rund um die Fahne der Hauptgruppe. Die Halbzeitpause nutzen wir, um uns besser aufzustellen und profitierten davon in der zweiten Hälfte. Endlich sang der Block einstimmig und das durchgängig. Solch eine Inbrunst

wäre auch bei weniger spektakulären Spielen wundervoll. Mit dem Abpfiff brach dann ein Gefühlsorkan los. Freude und Fassunslosigkeit gleichermaßen. Niemand hatte erwartet, dass wir uns durchsetzen würden. Glauben konnten es auch nach dem Schlusspfiff die Wenigsten. Erst als am nächsten Tag die Gruppenphase ausgelost wurde und wir immer noch dabei waren, setzte sich der Gedanke so langsam in unseren Köpfen fest. Großartig! Die Blocksperre half den meisten sich wenigstens einigermaßen zu sammeln und so ging es gut gelaunt in die Nacht hinaus. Ohne Polizei, dafür aber mit einem großen Mob quer durch die Seitenstraßen. Durchaus erwartungsvoll, vor allem ab er zufrieden und mit dem Bewusstsein, dass wir einen historischen Moment miterleben und mitgestalten durften.Ultras Hannover

FC Sevilla vs. Hannover 96 0:0 96 ©

Ultr

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BN99

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Napoli! Kaum übertrieben zu sagen, dass wir damit das Top-Los der diesjährigen Europapokal-Auslosung gezogen haben. Schließlich gehört die Fanszene aus Neapel, ohne zu viele Superlative bemühen zu wollen, zweifellos zu den interessantesten und berühmtesten des Kontinents. Da eine Kurve immer in gewissem Maße auch den Charakter der eigenen Stadt widerspiegelt, zunächst aber ein paar Sätze zur drittgrößten Stadt auf dem Apennin. Mafia, Müll, Korruption, Kriminalität, Armut, Benachteiligung – das sind wohl die Schlagworte, die viele auf Anhieb mit der Hauptstadt der Region Kampanien in Verbindung bringen dürften. Auch wenn diese Themen sicher nicht wegzudiskutieren sind, zählt die Hafenstadt andererseits zu den aufregendsten Städten des Landes (was in einem an natürlicher Schönheit derart reich ausgestatteten Land wie Italien an sich schon etwas

heißen mag). Von Kunst, Kultur (das archäologische Museum zählt beispielsweise zu den weltweit bedeutendsten seiner Art) und Architektur über kulinarische Genüsse, die hinter jeder Ecke bzw. Trattoria warten, bis hin zu den berüchtigten schummrigen Gassen der Altstadt hat Neapel wirklich für jeden etwas zu bieten – und dabei sprechen wir noch gar nicht vom Umland mit dem Vesuv, dem Mittelmeer, Inseln wie Capri oder Ischia oder der berühmten Amalfi-Küste. Neapel ist einfach ganz speziell, sollte man einfach mal erlebt haben! Teils unglaublich schön, teils archaisch und schroff, eben genau wie das Spektakel, das sich an Spieltagen auf den Rängen des Stadio San Paolo bietet.Auch viele der Charakteristika (zum Teil vielleicht auch Klischees), die Italien zum Sehnsuchtsort von Generationen europäischer und nordamerikanischer

Reisender hat werden lassen, sind in Neapel besonders ausgeprägt zu erleben. Beeindruckende Bauten, Jahrtausende alte Historie an allen Ecken und Enden, malerische kleine Plätze, reihenweise über die Straßen gespannte Wäscheleinen, das Meer, die großartige Küche, die Herzlichkeit der Menschen – Italien wie im Bilderbuch sozusagen. Und in gewisser Weise paradox, sehen doch viele Italiener aus den restlichen, vor allem nördlichen, Landesteilen Napoli wohl als vieles an, bloß nicht als zu Italien zugehörig, und beanspruchen die Neapolitaner umgekehrt doch auch eine ganz eigene, distinkte Mentalität und Identität für sich (was auch in dem Schlachtruf „Voi non siete napoletani!“ / „Ihr seid keine Neapolitaner!“ zum Ausdruck kommt, analog zu dem „Noi non siamo napoletani“, das in vielen Kurven Rest-Italiens zu hören ist).Ein wichtiger Bestandteil dieser

Identität ist auch der Fußball, und hierbei muss zuallererst wohl ein weiteres Schlagwort genannt werden: Maradona. Auch wenn der Großteil von uns die goldenen Jahre von Diego Armando Maradona, und damit auch seine Zeit beim SSC Neapel, nicht richtig bzw. nur als Kinder miterlebt haben und die ganz jungen damals noch gar nicht auf der Welt waren, ist die Verbindung Napoli und Maradona in der Stadt bzw. wenn man sich mit ihr beschäftigt immer noch omnipräsent. Es schien einfach eine perfekte Symbiose zwischen dem charismatischen, wohl besten Fußballer aller Zeiten und der schillernden Hafenstadt mit ihren ganz speziellen Einwohnern gewesen zu sein. Jedoch wäre trotz aller Genialität und Spielkunst vielleicht kein derart großer Mythos um den Argentinier entstanden, hätte es nicht auch diese unglaubliche, in Deutschland kaum vorstellbare, Begeisterung und Leidenschaft der Menschen in Neapel für ihren Verein und ihr Idol Maradona gegeben.Spricht man vom neapolitanischen Fußballfanatismus zur damaligen Zeit, fällt einem zuerst das berühmte Commando Ultrà Curva B um den nicht weniger bekannten Capo Gennaro Montuori, prominent vor allem als „Palummella“ ein. In Verbindung bringt unsereins das CUCB neben der Tatsache, ein Paradebeispiel für den

traditionellen, folkloristischen Stil des Tifo gewesen und damit eine der großen einflussreichen Gruppen in der Geschichte der Ultrasbewegung gewesen zu sein, auch – zum Ende hin - gewisse Auswüchse wie beispielsweise ein eigenes TV-Programm. Ob diese letztendlich für das Ende der berühmten Gruppe ausschlaggebend waren, oder ob noch weitere Faktoren im Spiel waren – auf jeden Fall verfolgen die heutigen tonangebenden Gruppen in Neapel einen gänzlich anderen, zum Teil völlig konträren Stil. Angefangen damit, dass heute nicht mehr die Curva B, die traditionelle bzw. frühere Heimat des harten Kerns der Napoli-Anhänger, die tonangebende Kurve ist, sondern die Curva A, bis zu der Tatsache dass von den Gruppen der Curva A offensichtlich keinerlei Gruppen-Material verkauft bzw. sogar getragen wird. Letztgenannter Punkt mag zum einen eine Abgrenzung zum (kommerziellen) CUCB sein, scheint zum anderen auch darin begründet zu sein, Außenstehenden möglichst wenig Einblick in die Kurve bzw. Gruppen geben zu wollen. Der Ultrà also als „clandestino“, der sozusagen im Untergrund lebt, anonym bleibt und nicht greifbar ist (dass sämtliche Ultras-Gruppen in Neapel über keine eigene Internet-Präsenz verfügen, versteht sich in diesem Zusammenhang von selbst).

Da auch wir diesbezüglich lediglich Außenstehende sind, sind die folgenden Ausführungen (wie eigentlich auch schon die vorigen) mit äußerster Vorsicht zu genießen, können fehlerbehaftet sein (gerne freuen wir uns über korrigierende Leserbriefe!) und basieren zum Großteil auf ein paar persönlichen Erfahrungen sowie Recherche im Internet. Die Curva A ist eben nicht nur hochinteressant, sondern auch äußerst schwer zu durchblicken. Beim Betrachten der Kurve fällt zuerst ein zur Folklore des CUCB völlig entgegengesetzter Stil auf. Trockene, für italienische Verhältnisse fast raue Gesänge, imposante „battimani“ (also Händeklatschen), meist neutrale Kleidung (schwer zu sagen, ob man hier wirklich von Casual sprechen soll, da dieser Stil und das Tragen bestimmter Kleidungsmarken für andere italienische Städte wie Verona oder mittlerweile auch Rom charakteristischer erscheint), Zaunfahnen oder Doppelhalter schlicht und fast komplett in dunkel(blau) gehalten – insgesamt also weniger farbenfroh, dafür aber äußerst imposant und respekteinflößend. Bekannte Gruppen sind die Mastiffs 1991, Teste Matte („Verrückte Köpfe“; kurz auch TMN), Vecchi Lions (oft auch als Vecchia Mentalità Lions bzw. kurz VML; treten allerdings auch nicht mehr als Gruppe bzw. hinter ihrer

>> Mafia, Müll, Korruption, Kriminalität, Armut, Benachteiligung – das sind

wohl die Schlagworte <<Unterwegs im EuropapokalMit dem FC Bayern am Fuße des Vesuvs

Amtssprache: ItalienischHauptstadt: Rom Fläche: 301.338 km²Einwohnerzahl: 60.626.442Bevölkerungsdichte: 201,19 Einwohner pro km²

FCB

54 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

italienischen Ultras-Bewegung.Um aber nicht zu weit auszuschweifen jetzt zur heutigen Curva B. Dort sind neben den 1979 gegründeten Fedayn als zweite bekannte Gruppe die Ultras Napoli beheimatet. Dass wir damit erst jetzt zu einer historischen Gruppe wie den Fedayn Napoli kommen, sagt auch schon vieles darüber aus, wie lange man sich allein mit der Curva A beschäftigen kann. Was Aspekte wie Stil und Mentalität betrifft, sind die Fedayn schon zu Zeiten des Commando Ultrà den Gruppen der Curva A wesentlich näher gestanden. Aufgrund ihrer Authentizität, Kohärenz und starken Verbundenheit zu den alten Werten der Ultras zählen die Fedayn zu den respektiertesten Gruppen der Ultras-Landschaft. Berühmt und charakteristisch ihr Slogan „Estranei alla massa“ (wörtlich „der Masse fremd“, am treffendsten vielleicht mit „Gegen den Strom“ zu übersetzen), weswegen oft auch von Fedayn EAM zu lesen ist. „Estranei alla Massa“ ist dementsprechend auch der Titel eines Dokumentarfilms über die Fedayn aus dem Jahr 1999 (auf der bekannten Videoplattform findet man die ersten Minuten des Films, allein dies sind auch ohne Italienisch-Kenntnisse allein aufgrund der Aufnahmen aus Stadt und Stadion schon sehenswert). Auch die Ultras Napoli verfolgen einen ganz anderen Stil als das CUCB. Generell gilt die Curva B, auch wenn sie sich z.B. auch schon durch Spruchbänder klar konträr zu Palummella und Co. positioniert haben, aber immer noch als die (im Vergleich zur Curva A) eher folkloristische Kurve.Doch nicht nur auf den Rängen, sondern auch sportlich hat sich seit den großen Erfolgen, die der Verein mit Diego Maradona in den 80er Jahren feiern konnte, einiges getan. Nachdem man zwischenzeitlich bis in die Serie C runter musste, ist der schlafende Riese (im Falle Neapels scheint die Phrase wirklich mal treffend) unter der Regie von Präsident Aurelio de Laurentiis, dem Neffen des berühmten Filmproduzenten Dino de Laurentiis, wieder dabei aufzuwachen. Mit hierzulande noch relativ unbekannten aber sehr talentierten jungen Spielern wie Ezequiel Lavezzi, Marek Hamsik oder Torjäger Edinson Cavani bot das Team von Trainer Walter Mazzari letzte Saison attraktiven und erfolgreichen Fußball und erlebte einen Höhenflug bis in die höchsten Regionen der Tabelle.

Zwar reichte es am Ende nicht zur völligen Sensation in Form des Gewinns der Meisterschaft (entscheidend im Rennen um den scudetto war wohl vor allem ein 0:3 beim späteren Meister Milan gegen Ende der Rückrunde), aber dafür zu einem dritten Platz, der zur direkten Qualifikation für den Europapokal der Landesmeister, Zweit-, Dritt- und Viertplatzierten führte und uns das erwähnte attraktive Los bescherte.

Die Anreise erfolgte für den Hauptteil der Gruppe standesgemäß auf dem Landweg. Von unserer Sede machten sich rund 120 Ultras auf den Weg nach Kampanien. Mit dabei zwei Freunde aus Bochum sowie zehn Jenenser. Zusätzlich noch Flieger, 9er Fahrer und Leute, die auf andere Busse ausweichen mussten.Auf der Autobahn stieß der Bus des Inferno Bavaria zu uns. Mittlerweile waren schon die ersten Meldungen über Bayernfans angekommen, die neapolitanische Klingen zu spüren bekommen hatten. Vielleicht hatte der ein oder andere Bayernfan doch etwas unterschätzt, was für ein heißes Pflaster Neapel ist. Am Ende sprach die Fanbetreuung von acht Verletzten durch Messerstiche. Alle Betroffenen konnten das Krankenhaus glücklicherweise schnell wieder verlassen.Aufgrund unterschiedlicher Pausenzeiten der Kutscher und eines kurzen Umwegs eines Busses, um noch sechs Ultramarines Bordeaux aufzugabeln, erreichten unsere Gefährte dann die finale Mautstation vor Neapel zu unterschiedlichen Zeiten. Die erste Besatzung passierte problemlos und steuerte einen Ort in der Nähe von Neapel an, um den Mittag am Meer zu verbringen. Rund um Napoli ließ einen dabei fast jedes Ausfahrtsschild mit der Zunge schnalzen, konnte man doch die Namen von Städten mit Tifoserien lesen, die vor einigen Jahren noch an so gut wie jedem Spieltag die Reise wert gewesen wären. Telefonisch kam dann bald die Info, dass die anderen beiden Busse nicht nachkommen könnten. Die Polizei hatte sie direkt an die Seite gewunken und plante sie gemeinsam mit anderen Bayernbussen in die Stadt zu eskortieren. Hier müssen wir uns den organisatorischen Fehler eingestehen, nicht den gesamten Weg gemeinsam zurückgelegt zu haben. Einen Tag, an dem man ein Auge aufeinander haben sollte, getrennt zu verbringen ist sicher

// 5756 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

Fahne auf), Brigata Carolina (häufig mit dem Zusatz Quartieri Spagnoli, die Gruppe stammt aus diesem, wohl berühmtesten, Viertel der Altstadt; charakteristisch für die Quartieri Spagnoli - „spanische Viertel“ - ist vor allem die schachbrettartige Anordnung der Straßen und Gassen), Bronx Napoli, Sud 1996. Bis vor einiger Zeit hätte an dieser Stelle auch die Masseria genannt werden müssen, die inzwischen aber nicht mehr Teil der Curva A ist, und auch nicht mehr als Masseria auftritt bzw. existiert, sondern hinter dem Doppelhalter „Secco vive“ steht (der an ein verstorbenes Mitglied erinnert). Gerüchten zufolge könnten auch die Teste Matte, die – wie im Prinzip die gesamte Curva A – des öfteren mit der Camorra in Verbindung gebracht werden, am Auszug der Masseria aus der Curva A beteiligt gewesen sein.Hier nähern wir uns allerdings einem noch undurchsichtigeren Feld als der Kurve an sich, weshalb wir hierzu auch nicht viel sagen können und mangels Kompetenz auch nicht sagen wollen. Die Frage, ob - und wenn ja, wie - die organisierten Ultras-Gruppen mit der organisierten Kriminalität in Verbindung stehen, stellt sich natürlich irgendwo unweigerlich, wenn man bedenkt, dass einerseits die Gruppen primär bestimmten Vierteln entstammen (in denen entsprechend auch zahlreiche „Murales“ der Ultras-Gruppen zu sehen sind) und ihre Mitglieder sicher keine Kinder von Traurigkeit sind, und es andererseits kein allzu großes Geheimnis ist, dass in vielen Vierteln

die Camorra einen gewissen Einfluss hat, stellt sich nahezu unweigerlich die Frage ob die organisierten Gruppen mit der organisierten Kriminalität in Verbindung stehen. Andererseits fragt man sich, inwieweit eine weltweit Milliarden Euro umsetzende Organisation wie die Mafia Interesse am vergleichsweise winzigen Profit, der sich in der Kurve umsetzen lassen dürfte, haben sollte. Damit aber schon viel zu viel der wilden Spekulationen, uns steht es wie gesagt nicht zu diese Thematik zu beurteilen (Interessierten möchten wir hierzu den Text auf altravita.com zu dieser Thematik ans Herz legen).In jedem Fall ist mit den Jungs der Teste Matte (der Name scheint treffend gewählt; generell sind in der Curva A bekanntermaßen jede Menge wirklich kaputte Gestalten unterwegs) wohl besonders schlecht Kirschen essen, wobei wir bei der Frage nach der Führungsrolle bzw. dem jeweiligen Einfluss in der Kurve wären. Neben dem TMN sind hier wohl die Mastiffs zu nennen, wobei auch diese Beurteilung nicht (mehr) so einfach wie an anderen Orten ist, wo man einfach schauen kann, welche Fahne wo hängt und damit wer wo steht. Neben dem Fehlen eindeutig zuzuordnender Kleidung sind auch Zaunfahnen der Gruppen praktisch seit Jahren nicht mehr zu sehen. Hing während der Zeit des für das stolze Napoli sicher bitteren Gangs durch die Serie C lediglich ein schlichtes 1926 als Hauptfahne, konnte man zwischenzeitlich u.a. eine

„Diffidati liberi“-Fahne sehen sowie seit kürzerem (beispielsweise auch beim ersten Europapokal-Heimspiel gegen Villarreal) eine Curva A-Fahne mit zahlreicheren kleineren Fahnen (also doch ein Hauch „stile inglese“) daneben. Oft war/ist die Kurve aber auch nur mit Spruchbändern, z.B. gegen Repressalien oder modernen Fußball, geschmückt. Der Grund für den Verzicht der Gruppenfahnen mag Protest gegen allgemeine Entwicklungen des modernen Fußballs sein, der Repression geschuldet sein oder ein weiterer Bestandteil dessen sein, möglichst wenig Einblicke in die Kurve gewähren zu wollen (ein sehr gutes Beispiel hierfür das bekannte Video von den Ankunft der Partenopei an der Stazione Termini in Rom im Jahr 2008, wo ein riesiger Mob aus zahlreichen Gruppen und Grüppchen ankommt, ohne dass man von außen erkennen könnte, welche Gruppe genau gerade durchs Bild läuft), oder vielleicht auch alles zusammen.Was Radikalität, Kompromisslosigkeit, Beteiligung an Ausschreitungen, eigene Identität etc. betrifft hat die Curva A auch in Italien eine besondere Stellung, einzuordnen vielleicht irgendwo zwischen respektiert, gefürchtet und/oder einfach verhasst, mit wesentlich mehr Feinden als Freunden. Eine große Freundschaft verbindet die Neapolitaner mit den Ultras von Genua 1893, genau genommen ist Napoli-Genoa sogar eine der großen traditionellen und Jahrzehnte alten Freundschaften der

SSC Neapel - FC Bayern 1:1 (18.10.2011)FC

B

erkennen, lediglich die Fahne unserer Lokalrivalen von der CN fiel ins Auge. Deshalb heute auch ein paar mehr Gesänge gegen den blauen Nachbarn als sonst üblich. Ansonsten eher wenig Versuche sich vor Spielbeginn nochmal Gehör zu verschaffen. Die Curva A dafür mit einigen schönen Gesangseinlagen. Als die Spieler das Feld betraten, brannte es dann überall im Stadion. Auf Haupttribüne und Gegengerade waren vor allem Blinker im Einsatz, in der Curva B vereinzelte Bengalen. Die Curva A hatte sich mal eben in ein Abbild des brodelnden und rauchenden Vesuvs verwandelt. Das Fanherz schlug eindeutig etwas höher. Bei uns im Block auch wieder aus allen Bereichen ein klares Bekenntnis zur Pyrotechnik - Blinker, Bengalen und Rauch. Besonders erfreulich, dass es heute ohne Böller ging. Lediglich eine Fackel flog in den Innenraum. Kaum waren die Feuer aus, hörte man schon wieder das charakteristische Zischen und es leuchtete wieder. Toni Kroos hatte nach nicht existentem Abwehrverhalten der Heimmannschaft zur Führung eingenetzt. Der Gästesektor legte nun die nächsten zwanzig Minuten einen guten gesanglichen Auftritt hin und man hatte durchaus das Gefühl man könnte heute mal wieder ein echtes Ausrufezeichen in Europa setzen. Leider verflachte die Stimmung mit zunehmendem Spielverlauf etwas und sollte auch nicht mehr das hohe

Niveau der ersten halben Stunde erreichen. Es

war für unsere

Verhältnisse sicher recht ordentlich, aber das gewisse Etwas zu einem in allen Belangen richtig coolen Auftritt wie in Zürich fehlte einfach noch.Auf Heimseite müssen wir eine Beurteilung der Curva B schuldig bleiben. Wir berufen uns auf den Standardsatz, dass man das Gegenüber bei eigener Aktivität nicht beurteilen kann. Die Heimkurve rechts von uns legte in der ersten Halbzeit einen guten Auftritt hin, sehr gute Lautstärke und teilweise Beteiligung der ganzen Kurve. Beim Eigentor von Holger Badstuber gab‘s einen brachialen Torjubel zu sehen. Im Unterrang stürmten die Leute erstmal nach vorne zu den Spielern und anschließend zum Pöbeln an den Gästeblock. Klassiker!Halbzeit zwei war wie gesagt, stimmungsmäßig passabel, aber ohne große Ausreißer nach oben. Insgesamt auch schade, dass unsere Mannschaft, gegen die höchstens durchschnittliche SSC nicht gewinnen konnte. So regten sich viele normale Bayernfans mehr über die miserable Schiedsrichterleistung auf. Unseren Elfer muss man sicher nicht unbedingt geben, aber diesen Fehler versuchte der Portugiese deutlich überzukompensieren. Dabei war der Elfer von Mario Gomez so schlecht geschossen, dass nicht nur de Sanctis, sondern auch unsere Großmütter den Ball rausgefischt hätten.Mitte der zweiten Halbzeit landeten dann zwei Bengalen aus der Curva A bei uns im Block. Nach dem Spiel übten sich die Jugendlichen der angrenzenden

Curva dann im Plastikflaschenweitwurf, so dass einige Dutzende Flaschen in unseren Sektor segelten. Zusätzlich präsentierten sie uns auch noch ein paar Messer. Wenn man ansonsten Fußballbundesliga spielt sicher extrem viel Gepöbel und alles furchtbar aufregend, wahrscheinlich aber einfach nur das normale Programm, dass einen als Gästefan in Napoli eben erwartet. Zugegebenermaßen wäre es ohne die gespannten Fangnetze zu den Nebenblöcken aber sicher ziemlich ungemütlich geworden. Nach über einer Stunde Blocksperre ging es dann über abgesperrte Straßen aus der Stadt und zurück nach München.

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suboptimal.Während alle anderen Fanbusse zum Hafen gebracht wurden, dirigierte die Polizei die Ultras zum Hippodrom in der Nähe des Stadions. Der Teil der Rennbahn an dem wir anhielten, hatte gewisse Züge einer Müllkippe, aber die reichlich herumliegenden Nadeln drängten doch den Verdacht auf, dass der Ort auch zu anderen Zwecken frequentiert wird. Hier wurden nun erstmal Busse und Insassen gefilzt. Für die Mädels hieß das auch, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Ob solcher Maßnahmen doch relativ überrascht, ging uns schnell ein Licht auf, als der Münchener Oberzivi im feinen Zwirn aufmarschierte. Wahrscheinlich hatte der nette Herr bei den Carabinieri eine Sonderbehandlung für uns beantragt. Die Cops dabei relativ stressig. Ständig wechselnde

Anweisungen (Glasflaschen unten in den Bus, alle ausladen und keine in den Bus, alles Bier muss sofort ausgeleert werden) und diverse Provokationen führten dann recht schnell zu einer Ingewahrsamnahme (unser Freund war bis zu Spielbeginn allerdings wieder frei). Bei ihrer Durchsuchung fanden die Bullen dann letztendlich fünf Bengalos. Gegen 16 Uhr wurden wir von dort per Shuttlebus zum Stadio San Paolo gefahren. Gleichzeitig bewegte sich der andere Bus durch den chaotischen Stadtverkehr. Da weder Fanbeauftragter noch sonst jemand eine Info bezüglich des Gästeparkplatzes hatten, entwickelte sich hieraus auch wieder eine Odyssee. Wir wissen, dass wir es nicht im Kreuz haben mit 50 Leuten in Neapel in Stadionnähe herumzulaufen, somit war das Parken am Gästeblock für

uns alternativlos. Dort angekommen ging es direkt zum Eingang und in den Gästeblock. Im Jahr zuvor wurde in Rom sehr penibel kontrolliert und die neuen italienischen Richtlinien streng umgesetzt, weshalb wir wenig Hoffnung hatten, Trommel und Megaphon ins Stadion zu bringen. Zaunfahnen waren anmeldepflichtig. Die Fahnen der Ultrasgruppen wurden derweil natürlich alle geschmuggelt. Bei den laschen Kontrollen wäre das aber nicht nötig gewesen. Keine Personalausweiskontrolle, nur pro forma abtasten und alles mitgebrachte Tifomaterial passierte anstandslos. Das Stadion San Paolo wurde 1959 eröffnet und zur WM 1990 gabs eine Renovierung, auch momentan

scheinen irgendwelche Bauarbeiten im Gang zu sein. Geile alte Schüssel mit Charakter. Im Block postierten wir uns relativ mittig an der Balustrade, rechts über uns hingen das Inferno und die alarMstufe rot ihre Fahnen auf. Erste Versuche sich einzusingen, wurden von der angrenzenden Heimkurve komplett niedergepfiffen. Geil, zum ersten Mal heute richtiges Europapokalfeeling. Der Blick nach rechts zeigte vier Fahnen vor der Curva A. Neben einer Curva A Fahne hing ein kleines „Non possono ma ci sono“, eine Fahne der Brigate Adritto und ein unbeschriftetes blau weißes Kreuz. Die Fahnen der Curva B waren von uns, abgesehen von einem „Vinci“, eigentlich kaum zu

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Stadtpanorama von Neapel

Lausanne HC 1922 vs. HC Chaux-de-Fonds2011/12

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+PYROTECHNIK LEGALISIEREN! EMOTIONEN RESPEKTIEREN!

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Ausgabe 21 war gar nicht aus dem Druck, da geisterten schon die ersten Gerüchte von der „Absage“ des DFB an die Initiatoren der Kampagne durch die gängigen Medien. Somit war ein Teil des Textes schon längst wieder hinfällig. Die Aussagen des DFB inkl. der dar-

auf folgenden Mitteilungen in der Presse ließen natürlich viel Raum für Spekulationen. Etliche Personenkreise oder gar komplette Gruppen sahen sich in ihrer Meinung bestätigt. „Haben wirs doch gleich gewusst“ oder „War doch von Anfang an klar, dass Pyrotechnik niemals legalisiert wird“ hörte man es landauf landab schreien. Grund genug für uns, sich mal umzuhören und zwei Statements sowohl eines Befürworters als auch eines Gegners der Kampagne einzuholen. Ak-tuell läuft die Kampagne trotzdem wie gewohnt weiter, woran auch die gescheiterten Verhand-lungen mit den Vertretern des DFB nichts ändern. Sämtliche Gespräche sind jedoch vorerst auf Eis gelegt. Ihre Antwort darauf gaben so ziemlich sämtliche Kurven des Landes. Ob nun an der Kampagne beteiligt oder nicht. Fast überall brannte und zischte es in den vergangenen zwei Monaten. Es scheint fast so, als sei nun wieder die andere Seite am Zug... Für den Januar ist im übrigen ein neuerliches Zusammentreffen aller beteiligter Ultrasgruppen vorgesnatürlich wie gewohnt in der kommenden Ausgabe darüber berichten. (mo)

Oktober 2011. Mittlerweile ist fast ein Jahr vergangen, seitdem sich die Kampagne „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ Ende 2010 konstituiert hat. Erinnern wir uns noch einmal an damals. Nach der Fan-demo versammelten sich über 50 Szenen im Dezember in Hannover, um Wege und Möglichkeiten auszuloten, wie man das Thema „legaler Gebrauch von Pyrotechnik in den Stadien“ zukünftig angehen könnte. Diesbezüg-lich hat es im vergangenen Jahr viel Dynamik gegeben. Mehr Bewegung als manch einer es sich am Anfang vielleicht ausgemalt hat - doch nun hat diese Dynamik den ersten Dämpfer erhalten. Was ist passiert? Der DFB rückte von seiner Zusage ab, eine Ausnahmere-gelung für die Genehmigung in seine Richtlinien für die Durchführung von Bundesspielen aufzunehmen. Von Verbandsseite ein eindeutiger Fall von Wortbruch, egal, welche Rechtfertigungen diesbezüglich ins Feld geführt werden.

„Wir haben es euch doch gesagt! Es bringt eh nichts!“

Offensichtlich scheint für einige Leute damit der komplette Aufwand der vergangenen Monate umsonst

gewesen zu sein, sonst müsste ich mir jetzt nicht die Zeit nehmen, um diesen Kommentar zu schreiben. Von etwaigen Kritikern werden in ihrem Urteil anscheinend die anfänglich genannten Ziele der Kampagne voll-kommen außer Acht gelassen. Einen legalen Gebrauch von Pyrotechnik in deutschen Stadien zu erreichen, der sich auch noch mit den Interessen der aktiven Fans deckt, ist ein Ziel. Dass dies Zeit beanspruchen würde, war allen Beteiligten im Vorfeld bewusst. Dass man dann doch so schnell einen Fuß in die Tür des DFB setzen konnte, sollte deswegen rein objektiv umso mehr überraschen. Ein anderes Ziel der Kampagne lautet aber, dass man sich für eine ausgewogenere Darstellung von Pyrotechnik in der öffentlichen Berichterstattung einsetzen will. Ich habe zwar keine Statistiken vor mir liegen, aber ich muss nur die vielen differenzierten Presseartikel der letzten Wochen und Monate konsultieren, um zu wissen, dass wir diesem Ergebnis schon ein ganzes Stück näher gekommen sind, als das noch vor einem Jahr der Fall gewesen ist. Selbstverständlich darf niemand vergessen, dass auch eine weitverbreitete, objektive Berichterstattung nicht von heute auf morgen eintritt. So etwas kann nur in ei-

„Das weiche Wasser bricht den Stein!“ PRO

PROCONTRA

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nem Prozess erreicht werden. Ich rede dabei nicht von Wochen oder Monaten, sondern von Jahren. Eine Sache von der mitunter auch jene Szenen profitieren, die sich nicht beteiligen. Ob sie das nun wahrhaben wollen oder nicht. Was ich noch nicht erwähnt habe, sind die Erfolge, welche die Kampagne abseits ihrer eigentlich gesteckten Ziele erreicht hat. Wir haben es nicht dabei belassen, ständig nur zu klagen, sondern wir sind dazu übergegangen für uns nach vertretbaren Lösungs-möglichkeiten zu suchen. Wir haben aufgehört immer nur zu reagieren, sondern sind in bestimmten Dingen wieder zum Tempo vorgebenden Akteur geworden, der vielfältig für seine Ziele wirbt und diese in Szene setzt. Konkret meine ich damit vor allem auch den verantwor-tungsbewussten Gebrauch von Pyrotechnik im Sinne der Kampagne. „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ ist sicherlich ein wichtiger Faktor, warum Bengalos in deutschen Stadien ihren Seltenheitswert wieder verloren haben. Zum ersten Mal haben sich Gruppen direkt miteinander an einen Tisch gesetzt und sich für eine Zusammenarbeit nicht hinter Deckmän-teln größerer Fanorganisationen versteckt. Es ist nicht mein Anliegen andere Organisationen oder Interes-sengruppen zu bewerten. Ich denke aber, dass wir die erzielten Etappenerfolge unserem Pragmatismus zu verdanken haben und deswegen jetzt dort stehen wo wir sind. Freunde wollen und werden wir nie sein. Aber den Austausch und diesen Pragmatismus sollten

wir uns behalten. Wer weiß, wofür sie bei zukünftigen Themen und Problemen noch einmal gut sein können. Mein Gefühl sagt mir auch, dass die Kampagne zum richtigen Zeitpunkt kam und so das Selbstverständnis von Ultras im gesamten Land positiv beeinflusst hat. Was wäre wohl passiert, wenn sie ausgeblieben wäre? Das weiß natürlich niemand, aber die Ächtung von Py-rotechnik durch Offizielle wäre wohl um ein Vielfaches einfacher gewesen, wenn man es mit vielen kleinen Akteuren statt mit einem selbstbewussten, großen Akteur zu tun gehabt hätte. Die Leute hören einem letzten Endes doch eher zu, wenn man gemeinsam mit 50 anderen Gruppen dieselbe Botschaft verbreitet, als wenn zahlreiche Einzelgruppen nur in ihren Umfeldern eigene Pamphlete gegen die vorherrschende Meinung veröffentlichen. Die höchste „street credibility“ und auch das größte Pathos werden letztlich darüber nicht hinweg täuschen können. Wir dürfen nun nicht in Apathie und Zweifel verfallen, weil es den ersten Rück-schlag gegeben hat. Von unseren Erfolgen, Misserfol-gen und Erfahrungen profitieren letzten Endes alle, die es wollen. Die Stärke besteht darin, dass wir als Kam-pagnenunterstützer unsere Ziele nicht aus den Augen verlieren oder diese für kurzfristige Effekte opfern, und einen Atem aufbringen der lange genug anhält. „Das weiche Wasser bricht den Stein!“ Ede – DYNAMO DRESDEN

Wider den Deutschen Zuständen... Die Gedanken schweifen zurück in das Jahr 1995. Es ist das letzte Spiel der Saison und damit die letzte Möglichkeit beim direkten Konkurrenten mit einem Sieg den Aufstieg in die Zweite Liga zu erreichen. Ein hoher Anspruch, der im Nachhinein erwartungsgemäß nicht erfüllt werden konnte und so steht in den Büchern eine hohe Niederlage mit wenig Gegenwehr auf dem Platz und dubiosen Geldzahlungen und Spielerwech-seln zwischen den Vereinen. Was aber neben diesen Begleiterscheinungen hängen geblieben ist, ist eine Flut von Eindrücken, welche diesen Tag begleiteten und mich als Kind beeindruckt und beeinflusst haben. Da ist die Zugfahrt zwischen rumliegenden Menschen und Dosenbier, da ist der Weg zum Stadion, auf dem überall Fans meines Vereins mit ihren Fahnen umher stromern, da sind die vielen Helme mit ihren Knüp-peln, wie sie an den Zaun schlagen und da ist das Flair innerhalb des vollkommen überfüllten Gästeblocks. Schulter an Schulter gedrängt und von Sonne, Hitze und Alkohol gezeichnet, singt der Block, hin und her wiegend, schon weit vor dem Spiel seine Lieder und ich dränge mich, meine Begleitpersonen verlassend, hindurch zwischen Jeanshosen mit Kämmen in den Arschtaschen und von den Armen hängenden Schals runter zum Zaun, um zwischen den Fahnen zumindest

ein paar Meter vom Spielfeld zu sehen. Alle klettern vor dem Anstoß auf den Zaun und um mich herum ist das pure Chaos zwischen Vorfreude, Erwartun-gen, Adrenalin und all den Empfindungen vor einem wichtigen Fußballspiel. Ich muss aufpassen, nicht verloren zu gehen, als ich über mir Rauch aufsteigen sehe. Ich weiß zunächst nicht, was das bedeuten soll, die Männer auf der Spielfeldumgrenzung und in ihren Händen Dosen aus denen immer mehr Qualm in vielen verschiedenen Farben aufsteigt. Andere halten Stäbe nach oben, aus denen ein Feuer zu kommen scheint. Meine Augen bleiben hängen in der Atmosphäre aus Anarchie und Wilder Westen, die sich über die gesamte Spieldauer hinziehen wird. Scheiß auf das, was die anderen dazu sagen. Die Bullen, der Staat, Mutti zu Hause – darum geht es hier gerade nicht. Fußballro-mantik. Natürlich habe ich erst viel später mitbekom-men und verstanden, dass es sich bei den Dosen und Stäben um Pyrotechnik handelte und noch ein wenig länger hat es gedauert, bis ich das erste Mal selbst ein paar dilettantische Rauchkugeln mit meinen Freunden ins Stadion schmuggelte. Das war für andere, auch manche meiner Bekannten, schwer zu verstehen, mit dem ganzen Fußballzeug, dem Drumherum und was es bedeutete. Es war etwas anderes, ob man im Hinterhof ein paar Blitzknaller zu zünden als Rebellion ansah,

„Da helfen auch keine 34.000 Unterstützer bei Facebook“ CONTRA

oder ob man im Stadion herumspringen konnte und ab und zu ein paar Dinge zu sehen bekam, die auf junge Menschen eher verstörend wirken könnten. Egal ob kotzende Kutten, prügelnde Bomberjacken oder eben zündelnde Halbstarke. Pyrotechnik gehörte damals schon dazu, egal ob in der Hand oder auf dem Platz. Damit bin ich aufgewachsen und wenn es die anderen nicht verstanden haben, war es nicht mein Problem, denn es war ja mein Ding und nicht ihrs. So ist es bis heute. Fußball war schon immer das Austesten von Grenzen, das Bewegen außerhalb von Werten und Normen, welche die Gesellschaft als Voraussetzung für eine Integration in sich selbst sieht. Auch innerhalb der fortschreitenden oder besser fortgeschrittenen Vergesellschaftung und den in Gänze der kapitalisti-schen Verwertungslogik unterworfenen Veränderungen im Fußballbetrieb und seinen Strukturen, blieben Teile der Fankultur und der ihr anhängenden subkulturellen Zusammenhänge Bestandteil gewisser „freiheitlicher Nischen“. Mit all seinen positiven Begleiterschei-nungen, wie z.B. der Förderung und Forderung von solidarischen Prozessen und des Individuums und seiner Fähigkeiten, aber auch seinen negativen Folgen wie patriarchalen Gepflogenheiten, Unterdrückung von Heterogenität, faschistisch anmutender Ästhetik bis hin zum Rassismus – welche auch fernab von übertriebener political correctness und Spießertum kritisiert gehören. Für mich war und ist Ultras und seine Werte, auch oder trotz der Veränderungen, die unser Sport miterlebt hat, seit Entstehung als Kultur der Tribünen, aber eben auch gerade jetzt, immer ein Leben innerhalb der oben beschriebenen Zustände. Im Konkreten heißt dies, mit den Werten der Gruppe sein Leben zu gestalten und mit einem Maß an Radikalität zu leben und zu erleben, ohne darauf Wert zu legen, innerhalb der Gesellschaft etwas zu verändern und zu versuchen die Akzeptanz des Eigenen auf ein Level zu steigern, welches den eigenen Anspruch der Bewe-gung verwässern würde. Dies bedeutet auch, sich zu vergegenwärtigen, welches die Zustände sein sollen, die ich utopischerweise verändern will. Hier konkret die Wünsche der Pyrotechnikkampagne, deren Kritik auf vielfältige Weise erfolgen kann und muss.

„Bereits zum jetzigen Zeitpunkt kann festgestellt werden, dass sich alle Überlegungen immer an der gel-tenden Rechtslage in Deutschland orientieren müssen und insbesondere die Vorgaben von Verwaltungs- und Ordnungsbehörden zu beachten sind.“ (DFB)

Das Starten und Initiieren einer solchen Kampagne unterliegt, ebenso wie dies bereits bei der Fandemo der Fall war, dem Trugschluss, innerhalb eines Systems Änderungen zu erreichen, welches sich nicht verändern kann und will und dessen Aufgabe innerhalb der einzelnen Strömungen es ist, einen oder besser seinen Status Quo zu erhalten. Die Kriminalisierung und Stigmatisierung unserer Kultur und unserer Werte ist dem System, namentlich dem Kapitalismus, immanent und kann nur zur Folge haben, dieses System im Kompletten zu kritisieren und unverkürzt offen zu legen, welchen Mechanismen sich das System

bedient. Allerdings ohne dabei zu denken, man könnte das Ganze verändern, sondern stets mit dem Anspruch auf theoretischer Ebene, Wissen zu vermitteln und zu bilden. Einem Anspruch, den die Gruppen innerhalb ihrer Strukturen nachkommen müssen, um den kritischen Stil der Ultras mit Nachhaltigkeit zu fördern und befördern. Natürlich ist es utopischer Blödsinn, heute noch zu glauben, den Kapitalismus stürzen zu können und mit einem Haufen antiquiert denkender Globalisierungskritiker und regressiven Ökos durch die Straßen zu rennen und Banken smashend auf die große Revolution zu hoffen, die beim derzeitigen Wissensstand der Menschheit eh nichts als Barbarei bedeuten kann. Wie kann und soll also (politische) Praxis im konkreten aussehen? Dies geht nur über das Bewusstsein der möglichst großen individuellen Freiheit, wobei hier mit Individuen eben auch die Ultras-Gruppen und deren Zusammenhänge gemeint sind. Das Bewusstsein, was diese Freiheit bedeutet, heißt eben auch das Ausleben der eigenen Werte, fernab der etablierten Regeln oder einer Veränderung dieser Regeln, denn alles andere führt nur dazu, sich einzugliedern und sich selbst und damit Ultras in Frage zu stellen. Dies ist zumindest ein Ansatz einer Kritik auf Makroebene, die natürlich nicht ausreichen kann als Auseinandersetzung mit der Kampagne. Diese Kritik muss auch auf andere, zum Teil emotionale, Widersprüche zu sprechen kommen. Es scheint eine nicht ausschließliche, aber dennoch auffällige Eigenart des deutschen Wesens zu sein, alles und jeden in Kate-gorien und Regeln zu pressen, oder durchzuorganisie-ren und zu industrialisieren. Diese zeigte sich, ohne vergleichen zu wollen, in geschichtlich-barbarischen Handlungen und zieht sich auch bis heute in die kleinste Zelle unseres Lebens und damit auch auf unsere Bühne, die Stadien. So ist es nicht erlaubt, auf den gelb markierten Treppen stehen zu bleiben. Es ist nicht gern gesehen, dass Fahnen über Werbebanden hängen und natürlich ist es neben vielen anderen Dingen auch verboten, sich selbst und den Verein mittels Pyrotechnik zu inszenieren. Alle kennen diese „Gesetze“ und ihre Folgen bei Zuwiderhandlung innerhalb der bürokratischen Regelungen und dennoch besteht bei so vielen der unbedingte und verständli-che Wunsch, sich dem zu widersetzen. Doch wie kann es sein, dass aus Konsequenz verwaltungstechnischer Regeln und Beschneidungen (siehe DFB-Zitat) der Wunsch entsteht, weitere und wieder neue Regeln auf den Weg zu bringen und damit sich selbst und seine individuelle Freiheit nur weiter zu reglementieren? Soll man dies wirklich mit dem höchst naiven Anspruch des Reformationswillens begründen oder zeigt dies nicht nur wieder das Problem auf, welchem deutsches Denken und damit eben auch deutsche Ultras unterlegen sind? Da geht es um eine Pyrozone; einen gesonderten Bereich, der einzeln zu verhandeln ist; Festlegung von Zeitpunkten; Versicherungen; sogar Gutachten werden bemüht und eigens angefertigte Bengalen in Auftrag gegeben. Dieses Engagement ist ja aller Ehren wert, aber in welche Richtung führt es die Bewegung der Ultras, wenn nicht zu reformisti-schen, kompromissgeprägten Reaktionsgruppen,

eingebunden in die Institutionen von Stadt, Land und Staat. Wenn es sich die Kampagne zur Aufgabe gemacht hat, mit Pyrotechnik vor allem auch Emotionen zu „legalisieren“ und diesen freien Lauf zu lassen, wie kann es dann sein, dass eben dieser auf die Fahne geschriebene Punkt mit der eigenen Arbeit und dem Reglementieren und vor allem dem Institutionalisieren und Industrialisieren ad absurdum geführt wird. Für mich bedeutet Ultras als wahrer Stil, von seinen Wurzeln heraus auch etwas Chaotisches, natürlich innerhalb eines gewissen Organisierungsgra-des, aber dennoch freiheitlich und eben auch nicht gezwungen in ein Korsett der Selbstkasteiung. Wenn von Verantwortung gesprochen wird, die dem Umgang mit Pyrotechnik ohne Frage zu Grunde liegt, so ist es doch viel mehr in der Verantwortung der handelnden

Personen innerhalb ihrer Szenen die Leute zu bilden und für die Ursprünge und die Ideale der Ultras zu sensibilisieren. Natürlich gab es zwischen dem Idealbild und der Praxis zweifelsfrei immer Unterschie-de und diese wird es immer geben, aber auch fernab vom sogenannten Ultra`-Manifest der AS Roma-Ultras ist eine aktive Zusammenarbeit mit den Behörden und Verbänden fernab der Regelung des Spielbetriebs oder Ausnahmesituationen in Frage zu stellen, denn wie sie über kurz oder lang aussehen wird, sieht man an den Ausführungen des Deutschen Fußballbundes, als es mit der Kampagne scheinbar anfing, ernst zu werden und bei den wöchentlichen Heularien der Gewerk-schaften der Polizei. So darf es, allen Sachzwängen zum Trotz, niemals Teil der Arbeit der Ultras sein, Institutionen zu gefallen und sich in deren Organismus

Eine sicherlich sehr kontroverses State-

ment seitens der Contra-Fraktion.

Selbiges muss natürlich nicht unkommen-

tiert bleiben, weswegen wir euch an

dieser Stelle dazu einladen, eure Meinun-

gen und Kommentare loszuwerden.

Gern leiten wir diese auch an den Autor

weiter, evtl. entsteht so ja gar eine Art

Diskussion, die wir selbstverständlich in

der nächsten Ausgabe für alle sichtbar

zur Verfügung stellen. Meldet euch einfach

unter: [email protected]

einzufügen, denn dann kann die Konsequenz, nur das in Frage stellen der Bezeichnung Ultras, sein. Genau das kann einem aber generell in den Sinn kommen, öffnet man die Liste der Initiatoren und Unterstützer auf der Homepage der Kampagne. Dort stehen neben einigen der besten und auch für mich am meisten respektiertesten Gruppen Deutschlands, eben solche, welche den Namen Ultras tragen und diesen Titel nicht mit der ihm nötigen Vehemenz und Kontinuität am Leben erhalten. So findet eine Solidarisierung statt, mit Personen und Zusammenschlüssen, welche den eigenen Namen und damit auch den eigenen Anspruch verfälschen und in ein schlechtes Licht rücken, weil sie eben keine Ultras im eigentlichen Sinne sind oder sogar öffentlich gegen die eigene Geschichte hetzen und damit den Medien gleich, andere kriminalisieren. Gleiches gilt für den politischen Gehalt und so finden sich in der Aufzählung, munter zusammengewürfelt, sogenannte unpolitische, neben antirassistischen Gruppen und dazwischen immer wieder Bands, die vorsichtig ausgedrückt, rechtsoffen sind. Brisanter wird dies dann noch auf Kampagnentreffen, wenn eben dieser nicht so recht passende Haufen zusammensitzt. Sicher wird man hier von der großartigen Leistung des Erwachsenwerdens schwafeln und von dem Zeichen, eine Bewegung geworden zu sein, doch die eigenen Prinzipien und damit auch den Wert der eigenen Gruppe umzuwerfen, nur im Namen der Solidarität einer Sache und eines nicht erreichbaren Zieles, das damit letztendlich keines sein kann, wirft die Frage nach der Ernsthaftigkeit auf (wenn auch nicht in absoluter Generalität), der täglichen Arbeit in den Stadien und an den Treffpunkten. Solidarität und damit verbundene Zusammenarbeit muss ein Privileg bleiben und darf nicht im Gießkannenprinzip verteilt werden. Die Kampagne beansprucht für sich bestimmte Erfolge. Das ist sicher ihr gutes Recht und so ist ein zentraler Punkt dieser, dass in den Stadien wieder mehr gezündet wird. Das ist natürlich richtig und es ist gut, wichtig und schön zu sehen, wie viel in den letzten Wochen und Monaten gezündet wurde. Doch hier muss sich die deutsche Szene auch in ihren Grundfesten fragen lassen, warum es erst einer Kampagne bedarf, um sich nach (zumindest vereinzelt) sehr langer Abstinenz, wieder einem der grundlegenden Stilmittel der eigenen Kultur zu bedienen. Dass dies nicht von selbst heraus erfolgt, unterstreicht die These der auf Institutionen und Organisation angewiesenen Akteure.

Des Weiteren bekommt die Thematik durch die Arbeit eine andere Aufmerksamkeit und medial wird sich mehr und mehr damit auseinandergesetzt. Zum Teil geschieht dies auch differenziert, doch nichtsdesto-trotz fallen die bekannten Schlagwörter des Negativen auch immer wieder im Zusammenhang mit der Kampagne und ihrer Berichterstattung – manchmal auch ganz subtil im Unterton. Hier wird wieder deutlich das ein Umdenken innerhalb der Medienlandschaft zum Teil nicht gewollt ist, aber zum Teil auch nicht gewollt sein kann. Wem nützt ein differenzierter Artikel über Pyrotechnik, wenn in der nächsten Ausgabe, z.B. nach emotionalen Ausfällen oder Auseinandersetzun-gen, die dazu gehören und von denen man sich nicht distanzieren darf, dennoch über die „ewig Unbelehrba-ren“ berichtet wird. Hier greift erneut die Fragestellung der Arbeit mit Einrichtung außerhalb der eigenen Szene und der ihr zugrunde liegenden Medien, fernab vom Voranbringen des eigenen Vereins. Dem im Text oft vorkommenden Begriff der Kultur der Ultras, liegen bestimmte Werte aus den Ursprüngen der Entwicklung zu Grunde. Natürlich sind nicht mehr alle aktuell und die Bedingungen haben sich über die Jahre (manchmal auch zum Glück) verändert, aber dennoch ist Konsequenz ein maßgeblicher Bestandteil von Ultras und muss dies auch bleiben, denn auch 34.000 Unterstützer bei Facebook helfen mir eben nicht, wenn die Polizei versucht meine Kurve zu durchsuchen oder Leute rauszuziehen und festzunehmen. Das ist übrigens ein Faktum der sich nicht geändert hat. Hier gilt es doch eher an den Strukturen vor Ort zu arbeiten und durch Bildung sowohl auf Probleme in der Makro- aber auch der Mikroebene aufmerksam zu machen und den Begriff Ultras zu vermitteln und sich auf Grundlagen der Radikalität und Rebellion des Ausgangspunktes zu besinnen. Dies ist ein schwieri-ger, vielleicht langwieriger Prozess aus einer derzeitigen, idealisierten Sicht, doch auch wenn natürlich in den Zusammenhängen, in denen ich mich bewege, nicht alle mein Denken teilen, bin ich zum einen froh, dass meine Gruppe aus den beschriebenen und anderen Gründen nicht an der Kampagne teilgenommen hat und ihr Name niemals ein Worte in der Liste von vielen sein soll, denn das kann nicht der Anspruch einer guten Gruppe sein. Zum anderen ist es eben das Wort Ultras, welches diese idealisierte Sicht hervorruft, denn dieses Wort in seiner Bedeutung lässt nicht anderes zu... - Golem

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Ultras in KASACHSTANINTERVIEW: ARNE LORENZ / FOTOS: REDAKTION & TO MY KIBICE

BFU: Die kasachische Ultra-bewegung ist in Deutsch-land völlig unbekannt,

wir müssen deshalb bei Null anfangen. Wann schwappte die Ultrawelle nach Kasachstan über? Woher kamen die Einflüsse und was waren das für Leute, die die Gruppen gegründet haben? Dias: Man könnte sagen, dass die Fanbewegung in Kasachstan schon zu

Zeiten der UdSSR begann. Kairat zum Beispiel hatte eine Fangruppe namens „South Cross“. Sie reisten herum und feuerten Kairat an. Aber ich würde die nicht wirklich Ultras nennen. Ein paar andere Vereine hatten auch schon recht früh Fanclubs. Irtysh aus Pavlo-dar hatte in den 90ern eine Fangruppe namens „Pavlodarskii Front“, aber die existiert heute auch nicht mehr. Arshat: Wenn wir von richtigen Ultras

reden, dann fing alles 2006 in Aktöbe an. Bei dem Datum denkt man vielleicht an die Weltmeisterschaft in diesem Jahr, aber die hatte keinen Einfluss. Ich kam in diesem Jahr aus der Türkei zurück nach Aktöbe. Ich hatte dort sieben Jahre in Eskesehir, das ist zwei Stunden von Istanbul entfernt, studiert [Anm: Türkisch und Kasachisch sind beides Turksprachen und sich ziemlich ähnlich] und war Mitglied der UltrAslan

Wenn es Ultras in der kasachischen Steppe gäbe, wir hätten ein Foto davon. Aber dort gibt es keine, deshalb müssen wir es bei den Städten belassen. Wir haben uns mit Arshat und Dias unterhalten. Beide gehören zu den Ultras von FK Aktöbe, Sector 13. Arshat ist der Gründer der Gruppe und Vater der kasachischen Ultrabewegung. Sie leben mittlerweile in der Hauptstadt Astana, Arshat arbeitet dort als Webdesigner (und betreibt nebenbei die Gruppenseite (http://www.13sector.kz), Dias ist Administrator für den Anteil der Gasgesellschaft KazMunaiGaz an einem Joint Venture mit ExxonMobile und Chevron.

von Galatasaray. Die UltrAslan haben eine Untergruppe für Studenten, die UltrAslan Uni, da war ich dabei. Mir gefielen die Organisation als Gruppe, der Support und auch die Besuche der Auswärtsspiele. Das kannte ich aus Kasachstan nicht, der Ultra-Stil war hier völlig unbekannt, es gab nur ein paar normale Fans. Aber so etwas wie bei Galatasaray wollte ich in auch Aktöbe haben.

BFU: Jetzt bin ich etwas über-rascht, ich hätte aufgrund der Geschichte Kasachstans mit einem starken russischen Einfluss gerechnet. Arshat: Den gab es natürlich auch. Es gab bei uns einen Typen, der Schlachter genannt wurde, das ist der russische Spitzname für Anhänger von Spartak Moskau. Er hatte in St. Petersburg ge-lebt, war aber Anhänger von Spartak. Er brachte den russischen Support-Stil mit nach Aktöbe. Die Einflüsse aus beiden Ländern verschmolzen zu unserem Stil, den wir Hooltras nennen. Wir waren übrigens ziemlich überrascht, dass es den Begriff auch in Deutschland gibt, für uns war er einmalig, eine Mischung aus der türkischen Aggressivität und dem russischen Support. Wobei man viel-leicht noch sagen sollte, dass wir nicht nur russische Lieder singen, sondern uns auch in der Türkei inspirieren las-sen. Aber wie dem auch sei, auf dieser Grundlage der Hooltras haben wir die Gruppe Sector 13 gegründet. Am Anfang bestand die Gruppe aus fünf oder sechs Personen, beim ersten Heimspiel waren wir etwa 20 Leute im Sector.

BFU: Das ist eine ziemlich interes-sante Entstehungsgeschichte. Wie ging es denn nach der Gründung der ersten Ultragruppe des Landes weiter? Mittlerweile gibt es ja in einigen anderen Städten auch Ult-ragruppen, das Internet hat dabei doch sicherlich auch eine Rolle gespielt oder liege ich da schon wieder daneben?Arshat: Nein, nein, das Internet hatte natürlich schon seinen Anteil. Es gab um diese Zeit, 2006, herum eine offene Internetsei-te, bzw. ein Forum, in dem Fans miteinander diskutieren konnten, am Anfang ging es nur um die Spiele an sich, aber mit der Zeit spielte auch der Support eine wichtige Rolle. Heute gibt es ein Forum für die kasachischen Ultras, eine Ultra-Liga (www.ultras.kz). Jede Grup-pe hat dort ein oder zwei Vertreter, die nach dem Spiel die wichtigsten Daten zu ihren Spielen liefern. Die Anzahl der Fackeln gibt ebenso Punkte wie die Anzahl der Papptafeln. Bei Doppelhal-tern und Zaunfahnen zählt die Größe, handgemalte Zaunfahnen bekommen die doppelte Punktzahl. Bei Auswärts-

spielen werden diese Punkte doppelt, bei europäischen Spielen vierfach gezählt. Ein anderer Teil der Ultraliga berechnet die Punkte für Auswärts-spiele, das ist recht einfach, die Anzahl der Gästefans multipliziert mit der Entfernung zwischen den Städten. Wir sehen das nicht als Schwanzvergleich, sondern als Anreiz und zur Förderung der kasachischen Ultrabewegung an sich.

Dias: In Astana war einer der Auslöser für die Entwicklung der Gruppe Legion die Teilnahme ihres Clubs an der Champions League 2007. Aus einigen Gründen musste ihr Team seine Heimspiele in einer anderen Stadt aus-tragen, Kostonai. Der Club hat einen Bus für die Anhänger organisiert, dabei haben sich die Fans kennengelernt und angefangen, zusammen zu Heimspie-len zu gehen und ihre Mannschaft

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Ultras in KASACHSTAN

Bevölkerung: 16,5 Mio.Davon unter 15 Jahren: 24% (Deutschland: 13%)Ethnische Zusammensetzung: Kasachen 63,1%, Russen 23,7%, Andere 13,2%Landessprachen: Kasachisch und RussischWichtige Industriezweige:Öl, Kohle, Eisen (und andere Metalle) und StahlDurchschnittseinkommen: ca. 1000 $/Monat

Entfernungen zwischen Aktöbe, Astana, Almaty in km und Stunden mit dem Bus, bzw. Zug• Aktöbe – Astana, 1500km, 24h Bus, 28h Zug• Aktöbe – Almaty, 2200km, 42h Zug. Für den Bus ist es zu weit. Man kann die Strecke mit dem Auto in 30 Stunden schaffen,

aber da muss man non-stop durchfahren.• Astana – Almaty, 1200km, 15h Bus, 20h Zug (12h mit dem Schnellzug)

FACTS OF KASACHSTAN

ENTFERNUNGEN

ZAHLEN

Aktöbel Karagandal

Petropavlovsk Ust-Kamenogorost

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Taraz l

„Das weiteste Match ist Ust-Kamenogorsk, da war glaube ich noch nie ein Auswärtsfan.“

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anzufeuern. Für Kasachstan allgemein gesprochen waren Ultragruppen halt etwas Neues für unsere Leute, viele ha-ben vorher ausländische Ultragruppen im TV oder Internet gesehen. Es war spannend und aufregend, mitzuma-chen und es in echt auszuprobieren.Und zum Thema Internet fällt mir auch noch eine lustige Anekdote ein: 2006 wurde Astana, also das richtige Astana, Meister. Allerdings hatte Aktöbe die bessere Saison gespielt und Astana war nur aufgrund der Be-vorteilung durch den Verband vor uns. Wir haben dann beim Heimspiel

in der nächsten Saison ein fünf mal fünf Meter großes Transparent gezeigt: „Astana komm zurück und gib uns unsere Goldmedaillen wieder“ (bei uns gibt es Goldmedaillen für die Meister-schaft) und dazu ein paar Karikaturen. Daraufhin begann Astana ein Internet-Battle mit uns, aber sie reagierten auch im Stadion mit einem Transparent beim Rückspiel. Das war der Beginn der Legion, der Ultras von Astana. Danach sind wir

übrigens Freunde geworden. Aber um noch mal auf deine Frage zurück-zukommen, die meisten Gruppen wurden ein oder zwei Jahre nachdem sie uns das erste Mal gesehen haben gegründet, also so in den Jahren 2007, 2008.

BFU: Wie hat sich eure Gruppe, bzw. die kasachische Bewegung denn nach dieser Startpha-se weiterentwickelt? Gibt es Meilensteine, an denen ihr diese Entwicklung festmachen könnt?Arshat: Nach der Gründung unserer Gruppe bekamen wir immer mehr Mitglieder. Das hatte auch mit unseren Auswärtsfahrten zu tun, für die wir Werbung gemacht haben. Es gibt da einen von uns, der hat wegen unserer Werbung eine Auswärtsfahrt mitgemacht, und dann noch eine, und dann noch eine, der wollte gar nicht

mehr aufhören. Außerdem wurde es eine Art von Mode, zu uns zu kommen wegen unseren Gesängen und auch wegen der Fackeln. Viele Leute wollten auch Fackeln halten, aber es gab auch ein paar, die mithelfen wollten Fahnen zu malen.

BFU: In Deutschland gibt es das Phänomen, dass manche Leute 5-10 Jahre mit vollem Eifer dabei sind und dann auf einmal aus der Bahn

geworfen werden und nie wieder im Stadion auftauchen.

Kennt ihr das auch? Arshat: Ja, wir haben auch Probleme mit Leuten, die rausfallen wenn sie er-wachsen sind und heiraten. Bei uns in Kasachstan heiratet man so mit Anfang Zwanzig und dann kommt in der Regel ein Jahr später auch das erste Kind zur Welt, wir haben also viele junge Leute zwischen 18 und 21. Die Älteren verlassen dann aber nicht die Gruppe an sich, sondern das, was wir den Kern nennen. Der Kern sind diejenigen, die auswärts fahren, die Orga machen und viel in die Gruppe investieren. Schau mich an, ich bin kein Ultra mehr, ich bin nicht mehr im Kern. Ich besuche nur noch ein paar Auswärtsspiele, leiste meinen finanziellen Beitrag zur Gruppe und administriere unser Forum. Dias: Es ist aber auch schwer, so etwas jetzt schon zu beantworten. Sector 13 ist die älteste Gruppe in Kasachstan und uns gibt es gerade einmal seit fünf Jahren. Wir brauchen wahrscheinlich noch etwas Zeit, um sagen zu können, wohin uns der Weg wirklich führt.

BFU: Dieses Jahr feiert Kasachs-tan den 20. Jahrestag der Unab-hängigkeit, vorher war es Teil der Sowjetunion und die Bindungen an Russland sind auch heute noch sehr stark. Ethnische Russen machen knapp 25 Prozent der Bevölkerung aus, in den Städten

sind es eher noch mehr, Russisch hat neben Kasachisch den Status einer offiziellen Landessprache und so weiter. Bestehen solche Bindungen auch zur russischen Ultrabewegung? Arshat: Der russische Einfluss ist bei

allen Gruppen außer unserer sehr stark. Wir schauen sehr in die Türkei und nach Polen, Serbien, den ganzen Balkan. Uns fasziniert die Organisation in diesen Szenen. Da gibt es einen Capo und wenn der sagt, was zu tun ist, machen alle mit. Wir haben das

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Verein Durchschn. ZS 2011

Gruppen-name

Gruppen-größe

Größe des Sektors Rivalen Webseiten

FK Aktöbe 5.500 Sector 13 50 200 Tobol, Kairatwww.fc-aktobe.kz, www.13sector.kz

Astana 1964 4.800 Legion 40 40 Lokomotiv (Asta-na), Kairat

www-fcastana.kz, www.astana-legion.kz

Tobol Kos-tonai 4.100 River 20-30 100 Aktöbe

www.fc-tobol.kz, http://river-ultras.ucoz.kz

FK Atyrau 4.600 Westside 23.30 100 - www.rfcatyrau.kz, www.westside.kz

Kairat Al-maty 2.900 Kairat Ultras unbeständig dito Lokomotiv (Asta-

na), Astana 1964

www.fckairat.kz, www.kairat-ultras.com

Schachter Karaganda 5.700 Underground

(U-Ground) 30-50 30-50 Lokomotiv (Astana)

www.shahter.kz

Ordabasy Shimkent 3.500

X-Fans (nach dem „X“ auf dem Nummernschild

für Shimkent)

15 70 -www.fcordabasy.kz, www.xfans.kz

Lokomotiv (Astana)** 4.800 „Ultras“ Loko n.a n.a - www.fca.kz

** Astana (Lokomotiv): Der Club entstand aus der Vereinigung von zwei Clubs aus Almaty, Alma Ata und Megasport und wurde umgehend nach Astana verlegt. Dort trat der Club erst unter dem Namen Lokomotiv an, bevor im Jahr 2011 eine Umbenennung in Astana erfolgte. Der Verein wird aufgrund dieser (Nicht-)Historie von praktisch allen Fußballanhängern gehasst. Die ansässige Gruppe nennt sich zwar Loko Ultras, wird jedoch vom Verein unterstützt und von den anderen Ultras nicht ernst genommen. Hoffenheim made in Kasachstan… Webseiten: www.ultras.kz

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ganz vorne dabei. Aber das sind in den meisten Fällen Gloryhunters, die an „gutem“ Fußball interessiert sind. Es gibt viele Anhänger von Chelsea, ManU, Liverpool, Barca, Real, die spa-nische, englische und italienische Liga ziehen am meisten, schau doch nur am an die Wand [Anm: Wir sitzen in einem Wettcafé und neben jedem Fernseher hängt ein Wimpel von Chelsea, ManU oder Liverpool]. In Kasachstan haben wir ein Problem mit den Zuschauerzah-len, weil das Spielniveau so niedrig ist. Aktöbe ist da eine kleine Ausnahme, weil wir international erfolgreich spie-len, das heißt wir überstehen ein paar Qualifikationsrunden. Darum haben wir auch mit die höchsten Zuschauer-zahlen. Die hohe Zuschauerzahl, die du gestern bei unserem Auswärtsspiel in Karaganda gesehen hast [Anm: 8000 Zuschauer in der Meisterschaftsrunde] ist auch dadurch zustande gekom-men, dass Schachter erst kürzlich in diesem Jahr erfolgreich im Europapokal gespielt hat. Arshat: Was den Nachwuchs angeht, unser Sektor oder unser Standort in Aktöbe ist ursprünglich ein Kinderbe-reich, zu dem Jugendliche bis 12 oder 13 Jahren freien Eintritt haben. Wir ha-ben also viele Jugendliche um uns her-um, die versuchen, uns nachzumachen. Die bleiben dann auch. Wir haben eine Jugendgruppe innerhalb von Sector 13, den Young Sector. Die fangen mit 12, 13 Jahren an und wenn sie etwa 16 Jahre alt sind, kommen sie in die Hauptgrup-pe. Wir haben auch einen Ansprech-partner für den Nachwuchs, der ist zwar auch noch jung, aber schon erfahrener. Als Training schicken wir unsere Jungen zu den Spielen der zweiten Mannschaft, die immer am Vortag des Matches der ersten Mannschaft spielt. Sie malen dafür Transparente, zeigen Choreo-graphien und singen natürlich auch. Wenn sie innerhalb und außerhalb des Blocks aktiv genug sind, schaut sie sich der harte Kern genauer an, nimmt sie vielleicht mit zu den Auswärtsspielen und sie werden Schritt für Schritt Teil von Sector 13. Das ist bei uns ziemlich einfach, wir sehen ja alle und kennen jeden. Wir sehen, wer Leistung bringt und wer nicht. Wir bieten auch eine Art Unterstützung an und helfen, sagen also einem Kandidaten, wo er noch mehr machen könnte. Diese deutsche Entwicklung, von der du vorher erzählt hast, dass die Jungen in vielen Fällen eine andere Vorstellung haben und ei-gene Wege gehen wollen, hatten wir im Ansatz auch einmal. Aber wir waren da kompromisslos in unserer Einstellung und haben bei ihnen unsere Position durchgesetzt.

BFU: Welches sind denn die Merk-male der kasachischen Ultrabe-wegung heute? Ich denke an an

die Leute, die die Gruppen führen (Altersstruktur, beruflicher Hin-tergrund), das Standing der Ultras gegenüber den anderen Fans, den Vereinen und dem Verband, Besonderheiten des kasachi-schen Fußballs (Distanzen zu Auswärtsspie-len) und so ein Zeug.Arshat: Wir sind keine Studenten, sondern Arbeiter und Angestellte mit einem Einkommen. Wenn du zu Auswärtsspielen willst, brauchst du Geld. Die Distanzen bei Auswärtsspielen sind für uns natürlich ein Problem, um nach Almaty zu kommen, brauchst du von Aktöbe aus zwei Tage mit dem Zug. Du kannst natürlich auch das Flugzeug nehmen, aber das kostet richtig Kohle. Ein paar von uns warten auf den Spielplan und bereiten sich sehr lange darauf vor. Sie arbeiten wirklich hart und nehmen vor den Spielen keinen Urlaub. Nur für die Spiele. Die Spielansetzungen sind auch ein Problem in Kasachstan. Der wirklich dämliche Verband kann ein Spiel einfach so auf einem Montag an-setzen. Das TV hat daran keinen Anteil, die haben nichts damit zu tun. Welcher Verband setzt Spiele auf einem Montag an? Wir wissen es selbst nicht, bei uns waren das am Saisonende so acht bis zehn Spiele. Wir haben das auch mit einem Transparent kommentiert, das war ein Wortspiel mit „calendar“ (= Ka-lender) und „calenduri“ (= Dummheit), da mussten wir nur einen Buchstaben austauschen. Da gab es hinterher auch einen Artikel auf einer Sportseite im Internet und in einer Sportzeitung.Dias: Die Beziehungen zwischen Ultras und anderen Fans sind weder gut noch schlecht. Einige Leute mögen, was wir machen, die Auftritte, die Fahnen. Aber es gibt auch alte Leute, die vom Lärm unserer Trommeln genervt sind, wenn sie in der Nähe sitzen.Das Verhältnis zu den Vereinen ist auch nicht wirklich schlecht. Vereinsoffiziel-le haben uns, bzw. den Fans manchmal geholfen, z.B. als wir Probleme mit der Polizei hatten oder auch als sie die acht Busse für den Supercup in Astana bereitgestellt haben (wir hatten unseren Bus, den neunten, selbst organisiert). Aber es ist ziemlich schwer, den Leuten im Verein klar zu machen, was wir tun und warum wir es tun. Ich glaube, das Niveau des Managements im kasachischen Fußball muss noch entwickelt werden, ebenso wie die Qualität der Spieler und der Mannschaften.Wer auch ein schlechtes Verständnis von Ultras hat ist der Fußballverband,

der oft von Ultras aber auch von normalen Fans kritisiert wird. Meine persönliche Einschätzung ist, dass die Köpfe im Verband keine Ahnung

davon haben, was sie machen sollen und fürs Nichtstun be-zahlt werden. Es gibt eine Menge Gründe, diese Leute zu kritisie-ren, sie mögen den einen Club und den anderen nicht, sie treffen

dämliche Entscheidungen, es gibt keine TV-Übertragungen, weder von der Nationalmannschaft noch von der Meisterschaft und was weiß ich noch. Da will ich mich echt nicht zu lange mit aufhalten.

BFU: Ultras streben nach Auto-nomie und Selbstbestimmung, damit stehen sie immer abseits des Mainstreams in der Gesell-schaft. Auch wenn es in Staaten wie Usbekistan und Turkmenistan noch viel schlimmer ist, so hat Kasachstan doch einen schlechten Ruf als autoritärer Staat, der sich stark in den Alltag der Bevölke-rung einmischt. Wie wirkt sich das auf das Leben der kasachi-schen Ultras aus? Welches sind eure (spiel-)täglichen Erfahrungen mit der Polizei und vielleicht auch der Staatssicherheit?Arshat: Die Polizei mag natürlich die Fackeln nicht und versucht, sie aus dem Sector zu holen. Sie betreten den Block, nehmen die Fackeln weg und schmeißen sie fort. Normalerweise versuchen ein bis zwei Polizisten, an die Fackeln zu kommen. Aber wir haben ein paar wirklich kräftige Jungs um diejenigen mit den Fackeln herum, die blockieren einfach den Weg. Wir hatten aber auch andere Erlebnisse, wie zum Beispiel in der letzten Saison: Wir hatten ein „Golden Match“, das andere Team schoss in der letzten Minute ein Tor und wir waren sehr enttäuscht. Das Team war auch am Boden zerstört und verschwand ohne einen Gruß an die Kurve. Wir sind dann weiter im Block geblieben und haben auf die Mannschaft gewartet, fast alle anderen Zuschauer waren schon gegangen, aber wir haben immer noch die Namen der Spieler gesungen. Auf einmal kam die OMON [Anm: So eine Art BFE in Russland und den zentralasiati-schen Staaten] ins Stadion und hat uns verprügelt und versucht, uns aus dem Stadion zu vertreiben. Ich hab an dem Tag ein paar Schrammen von den Gummiknüppeln davongetragen. Aber insgesamt lässt sich das wohl nicht mit dem vergleichen, was du über

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„Schau mich an, ich bin kein Ultra mehr, ich bin nicht mehr im Kern. Ich besuche nur noch ein paar Auswärtsspiele, leis-te meinen finanziellen Beitrag zur Gruppe und administriere unser Forum“

übernommen und mittlerweile stehen sogar ein paar Leute bei uns am Rand, die darauf achten, dass alle ihre Hände hochnehmen. Wenn jemand nicht mitzieht, gibt‘s eine Abreibung. Aber wir verschonen die Mädchen (lacht). Was die russische Bewegung angeht, wir lesen russische Webseiten und Magazine. Der Macher des eingestell-ten russischen Mags Ultras Life kommt ursprünglich aus Aktöbe. Unsere Casuals haben Kontakte über‘s Internet und kaufen ihre Klamotten in Russland. Der typische Stil sind weiße Sneaker und rote Shirts. Unsere Jüngeren tra-gen auch so Sachen wie Ninja-Zipper und Sturmhauben, das ist russischer Einfluss. Dias: Und wir bekommen unsere Fackeln aus Russland. Es gibt eine Fabrik in Chelyabinsk, da werden die Dinger hergestellt. Wir bestellen die Fackeln in Moskau, die kommen dann mit dem Zug nach Kasachstan. Jemand, den du kennst, fährt aus welchen Grün-den auch immer nach Russland und du fragst ihn, ob er etwas für dich mit

nach Kasachstan nehmen kann. Das Risiko, bei der Grenzkontrolle erwischt zu werden, ist natürlich vorhanden, aber gerade in den Zügen wird das Gepäck nur oberflächlich untersucht.

BFU: Nationalismus an der Grenze zum Faschismus scheint in der russischen Bewegung ziemlich salonfähig zu sein. Welche Rolle spielt Nationalismus denn unter kasachischen Fans im Allgemei-nen und kasachischen Ultras im Speziellen? Und wie stehen kasachische Ultras zur National-mannschaft?Dias: Wir sind ein multinationales Land, bei uns gibt es das nicht. Sector 13 ist nicht politisch im klassischen Links-Rechts-Schema, Offenheit ist einer der Werte unserer Gruppe. Politik interessiert in Kasachstan aber ohne-hin kaum jemanden. Alles wird von ein paar wenigen bestimmt und es gibt auch keine wirklichen Parteien. Eigent-lich gibt es nur eine, die nennt sich Nur Otan [Anm: Nur ist der Sonnenstrahl

und Otan das Vaterland] und macht das, was der Präsident sagt. Richtige Politiker haben wir nicht.Arshat: Was die Nationalmannschaft angeht: Einige von uns verfolgen die Spiele und gehen teilweise ins Stadion, allerdings ohne zu supporten. Die meisten Spiele finden heute in der neuen Hauptstadt Astana statt, da organisiert die Legion den Support.

BFU: Welchen Stellenwert hat denn der Fußball in der Gesell-schaft? Sind die Kasachen fuß-ballverrückt und wenn ja, zeigt sich das nur durch die Zuneigung an die großen internationalen Teams wie Barca, Real und ManU oder gibt es auch einen „Trickle down“-Effekt in den kasachischen Fußball, sprich geht die Jugend dann auch zu Spielen von kasa-chischen Teams und findet so den Weg zu den Ultras?Dias: Kasachen schauen viel Fußball, die Welt- und Europameisterschaften und die Champions League sind da

„Das ist meiner Meinung nach das Problem in der Entwicklung des kasachischen Fußballs. Die Vereinsoffiziellen denken nicht daran, wie man Geld mit Fußballmann-schaften verdienen kann“

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Deutschland erzählst. Es filmt zum Beispiel keiner, oder vielleicht ein paar, aber nicht so viel.

BFU: In Ägypten waren die Ultras eine der wenigen, wenn nicht sogar die einzige gesellschaftli-che Gruppe, die die Herausforde-rung und Konfrontation mit der Staatsgewalt mehr oder weniger regelmäßig erlebte. Diese Erfah-rung zahlte sich in der Revolution von 2010/2011 aus, als Ultragrup-pen wie die White Knights von Zamalek Kairo an der Spitze der Demonstrationen standen. Ist so etwas auch in Kasachstan denkbar?Arshat: Die kasachische Ultrabewe-gung ist nicht auf dem Level, dass die Polizei die Ultras als außerstaatliche Aktivisten betrachtet, um die man sich „kümmern“ muss. Ich bin mir aber si-cher, dass die Sicherheitspolizei Listen mit den Köpfen der jeweiligen Szenen hat und vorbereitet ist, wenn doch mal „etwas“ anfängt.Dias: Aber wie gesagt, die Kasachen sind sehr unpolitisch, da ist nicht mit ägyptischen Verhältnissen zu rechnen. Was den Club angeht, ist unsere Haltung klar: Wir bitten den Verein um nichts, wir sind kein Fanclub sondern Ultras. Wir kümmern uns nicht um deren Probleme. Es gibt Strafen für Pyrotechnik. Am Anfang waren sie ziemlich hoch, wie zum Beispiel beim „Golden Match“ in Almaty. Aber wenn selbst der schlechteste Spieler noch 7.000-10.000$ pro Monat verdient, sind das letztendlich auch nur Peanuts. Arshat: Außerdem sind im Manage-ment ohnehin nur Nullen („zeros“).Dias: ...weniger als das... („below zero“)

Arshat: ...es gibt keinen Wettbewerb um die Positionen, wie überall in Ka-sachstan auch. Bis letztes Jahr haben die noch nicht mal Merchandising auf die Reihe gekriegt. Wir hatten noch vor dem Club Merchandising. Ich habe 2005 den ersten Satz Schals gemacht, 300 Stück mit der Aufschrift FK Aktöbe. Die habe ich aus eigener Tasche be-zahlt. Im nächsten Jahr hatten wir ein anderes Design, aber auch das war von uns initiiert. Heute haben wir Probleme mit dem Logo, das gehört dem Verein. Wir haben dann die Farbe an einer klei-nen Stelle im Wappen verändert, jetzt können wir es wieder verwenden.

BFU: Und was hast du mit dem Gewinn gemacht?Arshat: Von dem Geld, das ich damit verdiene, geht ein Teil an die Gruppe. So läuft das bei uns, jedes Mitglied gibt freiwillig einen Beitrag, wie hoch, kann jeder selbst entscheiden, Studen-ten und Schüler leisten in der Regel keinen Beitrag.Dias: Und dann gibt es noch die Stadionverwaltung. Die gibt uns Rabatt auf unsere Tickets, so 40-50%. Das ist nicht vom Verein, die Stadionver-waltung und der Verein sind zwei ver-schiedene Dinge. Bei uns verdienen die Vereine kein Geld mit Eintrittskarten, das läuft alles über die Stadionverwal-tung. Der Verein selbst hat eigentlich gar nichts, deshalb fliegen nur die Topteams zu Auswärtsspielen, die anderen Teams nehmen den Zug und fahren vielleicht Bus.BFU: Wie finanzieren sich den dann die Vereine, wenn nicht über die Eintrittskarten und das Merchandising?Dias: Beinahe alle Vereine in Kasachs-tan werden von den örtlichen Behörden

und Regierungen, auf Kasachisch heißen die Akimat, gesponsert. Ein Teil der Sponsoreneinnahmen kommt von großen Unternehmen. Soweit ich weiß, gibt es keine privaten Clubs in Kasachstan, wenn überhaupt dann ein paar kleine. Das ist meiner Meinung nach das Problem in der Entwick-lung des kasachischen Fußballs. Die Vereinsoffiziellen denken nicht daran, wie man Geld mit Fußballmannschaften verdienen kann.

BFU: Gehen wir mal eine Ebene höher. Dank des klientelistischen Systems der UEFA-Wettbewerbe, das ganz offen die Vereine aus den (finanz-)starken westeuropä-ischen Ligen bevorzugt, schaffen es kasachische Clubs selten wei-ter als zur zweiten Qualifi-kationsrunde der Cham-pions League oder der Euro League. Wie wichtig sind für eure Gruppe die internatio-nalen Spiele? Fahren Gruppen aus West-europa eigent-lich nach Kasachstan und wenn ja, wie sind ihre Auftritte?Arshat: Für uns sind interna-tionale Spiele natürlich etwas Besonderes. Die Zuschauerzahlen sind

deutlich höher, das ist eine zusätz-liche Motivation, außergewöhnliche Vorstellungen zu liefern. Das betrifft insbesondere den Support. Dieses Jahr haben wir in der dritten Runde gegen Alaniya aus Russland gespielt. Das war einer unserer besten Auftritte, so ein Roar. Selbst unsere Spieler und der Trainer haben das erwähnt. Als wir ein Tor schossen, war das ganze Stadion am Brüllen, einer unserer Spieler sagte danach in einem Interview, dass er zit-terte. Das liegt auch daran, dass unser Stadion sehr eng ist, wir haben das einzige Stadion ohne Laufbahn. Aus dem Ausland waren einige Fanszenen präsent. Aus Alaniya waren etwa 50 Leute da, die waren von unserem Sup-port sehr überrascht. Aus Kecskemet (Ungarn) waren ein paar Fans da. Wir hatten auch Spiele gegen israelische Teams, Maccabi Haifa und Hapoel Tel Aviv. Die Ultras Hapoel waren so etwa 20-30 und ich erinnere mich, dass sie ein großes Banner gegen Maccabi Tel Aviv dabei hatten. Viel gerissen haben die auswärtigen Fans alle nicht. Wir haben für solche Fälle nämlich auch noch ein Ass in der Hinterhand, das sind unsere Militär-Supporter. In Aktöbe gibt es eine Militärakademie, in der Piloten ausgebildet werden. Die sitzen direkt neben den Auswärts-fans und sind so gut organisiert, die machen auch Stimmung und sind damit lauter als die Gästefans. Manchmal tun wir uns mit ihnen zusammen, z.B. mit dem Wechselgesang „Vpiriot Aktöbe“ - „Vpiriot Aktöbe“, was so viel wie „Auf geht’s, Aktöbe“ bedeutet.

BFU: Nach eurer eigenen Ein-schätzung seid ihr die besten Ultras im Land. Woran macht ihr das fest? Und welche Gruppen

respektiert ihr dennoch?Arshat: Vorstellung, Qualität und Quantität. Quantität messen wir zum Beispiel durch die Beteiligung an Choreographien oder unseren Auswärtszahlen. Zum Supercup 2009 (der Supercup ist das Spiel des Pokalsiegers gegen den Meister) sind neun Busse nach Astana gefahren, einer von unserer Gruppe und acht mit anderen Fans (und Unterstützung des Vereins). Bei Choreos geht es uns aber nicht nur um Quantität, sondern auch um die Qualität und die Aussage, eine gute Aussage an die Spieler und die anderen Tribünen ist viel wert. Dias: Wobei wir bei der Gestaltung der Choreos noch nachlegen können. Wir haben niemanden bei uns, der gut zeichnen kann. Und wen wir noch res-pektieren, gute Frage. Spontan würde ich sagen, unsere Freunde von der Legion Astana, die halten ihrem Team auch in den unteren Ligen die Treue.

BFU: Dass die Distanzen zu Auswärtsspielen riesig sind, habt ihr ja schon erwähnt, das geht ja normalerweise über Tage. Wie organisiert ihr eure Auswärts-fahrten, welche Rolle spielen die Auswärtigen, wie fahrt ihr, wie viele seid ihr und wie finanziert ihr das? Welches Standing haben die Mitglieder, die auswärts fahren, werden die bewundert oder werden sie nur besonders respektiert?Arshat: Wenn es nicht gerade nach Almaty geht, organisieren wir Busse. Unsere Anzahl ist vom Spieltag und der Bedeutung des Spiels abhängig, das variiert zwischen 10 und 450, das war die größte Anzahl an Auswärts-fahrern ever. In einer normalen Saison

machen wir Busse nach Kostonai und wenn eine Mannschaft aus Uralsk erstklassig spielt auch dorthin, in die nahen Städte eben. Das weiteste Match ist Ust-Kamenogorsk, da war, glaube ich, noch nie ein Auswärtsfan. Dahin gibt es nicht mal einen Direktflug von Aktöbe. Dias: Auswärts nehmen wir alle mit, die hin wollen. Was zählt, ist der Wille, nicht so sehr die Kohle. Gestern zum Beispiel bin ich mit meinem Auto von Astana nach Karaganda gefahren. Ich habe zwei, drei Leute gefragt, ob sie mitwollen, aber sie hatten kein Interesse. Aber es gab einen, der organisiert die Radioübertragungen und kommentiert die Spiele, der hat in meiner Wohnung in Astana übernach-tet. Er bekommt nicht genug Geld vom Radio, also helfen wir aus. Arshat: Für die ganz fleißigen, aktiven Auswärtsfahrer haben wir einen besonderen Schal, den Hooltras-Schal. Anfangs war er für diejenigen mit mehr als zehn Auswärtsspielen, das war zu einer Zeit, als jeder nur ein oder zwei Auswärtsspiele hatte. Mittlerweile gibt es den Schal nur noch für den harten Kern. Den Leuten, die viel auswärts fahren, wird Respekt gezollt, aber sie werden nicht vergöttert. Seine Anzahl an Auswärtsspielen weiß natürlich trotzdem jeder. Ich habe 20, das gehört zur Spitze in Kasachstan.

BFU: Die Auswärtsfahrten meiner Gruppe dauern selten länger als 2, 3 Stunden. Auswärtsfahrten von 48 Stunden würde bei uns völlig ausarten. Wie muss ich mir denn eine Auswärtsfahrt mit euch vorstellen?Arshat: Ich habe nicht so viele Auswärtsfahrten mit der Gruppe mitge-

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„Ich sehe keine Probleme zwischen der Familie und dem Sektor. In der Familie kannst du tun was immer du willst, bei den Ultras bekommst du gesagt was zu tun ist.“

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macht. In Aktöbe habe ich in der Kreis-verwaltung gearbeitet und bin zu den Auswärtsspielen geflogen. Aber wenn man mal mit der Gruppe unterwegs ist, dann ist es Freiheit, neue Emotionen. In einer neuen Stadt mit deinen Freunden zu sein. Wir trinken dann halt, drei Stunden trinken, dann schlafen, dann wieder trinken. Erst Bier und dann was halt verfügbar ist... (lacht).BFU: Wie wichtig sind euch die Melodien und Texte der Lieder, denkt ihr viel darüber nach? Lasst ihr euch von traditioneller Musik inspirieren (entweder

Lieder oder benutzt ihr vielleicht typische Instrumente) oder holt ihr euch Anregungen aus anderen Ländern? Singt ihr in Kasachisch oder Russisch und ist euch, bzw. den anderen Gruppen die Wahl wichtig? Versucht ihr euch bei der Wahl eurer Lieder von anderen Gruppen durch den Rhythmus oder die Texte abzugrenzen?Arshat: Wir haben Lieder aus der Türkei und aus Russland, manche auch aus Griechenland. Ich kenne die Lieder zum Teil aus der Türkei, aber natürlich auch von YouTube. Wir übersetzen dann die

Texte, wobei wir darauf achten, dass wir die richtigen Worte zur Melodie finden. Wenn der Rhythmus nicht passt, verzichten wir darauf. Aktöbe hat zum Beispiel drei Silben, das passt nicht immer. Dias: Gestern in Karaganda haben die Ultras unsere Lieder gesungen, die haben nur den Text ein bisschen verändert. Du kannst ja mal auf unserer Website vorbeischauen, da gibt es ein paar Audioaufnahmen.

BFU: Würdet ihr sagen, dass eure Lieder in Kasachstan etwas Besonderes sind?Arshat: Nein, die Lieder ähneln sich alle. Wahrscheinlich führen wir sie ein und die anderen übernehmen sie dann. Im Großen und Ganzen singen wir aber die Top Charts der europä-ischen Ultras: zum Beispiel Horto Magico von Pao, Ole Ola von Spartak Moskau und den berühmten Zigeu-nersong [Anm: Gemeint ist „Milord“ von Edith Piaf aka „Da hat das rote Pferd sich einfach umgedreht“] und Misirlou, das ist gerade in der Türkei ziemlich angesagt

BFU: Covert ihr auch kasachische Popsongs?(langes Schweigen)Arshat: Naja, es gibt da ein sehr

berühmtes russisches Lied aus dem Zweiten Weltkrieg, Katyusha, da haben wir den Text kaum verändert. Aber das singt ja eigentlich auch jeder.

BFU: Die italienische Ultrabewe-gung ist untrennbar mit Gewalt verbunden, ein Umstand, den ich als maßgeblich für den Nieder-gang der dortigen Bewegung in der letzten Dekade sehe. In Deutschland wurde der gewalt-tätige Part traditionell von den Hooligans ausgeübt, in den letzten Jahren wurde Gewalt aber auch von (einigen) deutschen Gruppen offensiv vertreten. Was ist eure Haltung zu Gewalt? Unter welchen Umständen habt ihr zu Gewalt gegriffen oder würdet ihr zu Gewalt greifen? Laufen kör-perliche Auseinandersetzungen in Kasachstan kodifiziert ab oder gibt nur die Regel, dass es keine Regeln gibt? Werden z.B. Waffen benutzt?Arshat: Bei uns gibt es keine Trennung von Hooligans und Ultras, bei uns steckt das ja schon im Namen. Der Gebrauch von Waffen ist geächtet, du zeigst damit, dass du kein Mann bist, dass du keinen Respekt hast. Manch-mal schmeißen dumme Leute Steine oder Flaschen. In Kostonai und Atyrau

kann es gefährlich sein, ich habe ein paar Wunden von dort. Aktöbe ist auch eine gefährliche Stadt für die anderen. Vor und nach dem Spiel sind Späher unterwegs, üblicherweise die Jüngeren. Wir greifen alle an, insbesondere die Kairat Ultras, die sind scheiße, das sind keine Ultras, die gehören einfach verprügelt.Dias: Und ihr Anführer ist ein russischer Faschist, ein Skinhead [Anm: An dem Punkt schaltet sich mein ansonsten mit Bier trinken beschäftigter Reisebegleiter ein und versucht den Unterschied zwischen Skinhead und Boneheads klar zu machen – vergeblich]. Die haben die russische Imperialistenfahne gezeigt und wurden dafür von den richtigen Astanafans, der Legion, angegriffen. Karaganda hat auch gegen die gekämpft, ebenso unsere Sektion in Almaty, West Wind, das war ein Sechs gegen Sechs.

BFU: Wo ihr gerade eine Sektion in Almaty erwähnt, gibt es noch andere Sektionen, vielleicht in

Astana? Und wie ist eure Gruppe organisiert? Woher stammen die Mitglieder, sowohl geogra-phisch wie auch sozial? Habt ihr bestimmte Sektionen, die sich um einzelne Aspekte der Gruppe, Auswärtsfahren, Choreographien, Merchandise und so, kümmern?

Dias: In Astana haben wir keine Sektion, es gibt nur die in Almaty, das sind alles Studenten oder ehemalige Studenten, die dann der Arbeit wegen geblieben sind. Kürzlich hat Aktöbe in Almaty gespielt, da waren

200 Gästefans da, die meisten von ihnen Studenten. Die haben die Kairat Ultras ziemlich übel zugerichtet, wenn unsere Leute den Mob nicht gestoppt hätten, wäre es wohl übel ausgegan-gen.Arshat: Es gibt interne Sektionen, aber ziemlich lose. Wenn jemand in der Druckerei arbeitet, fällt für die Gruppe etwas ab. Aber eigentlich machen immer die gleichen fünf, sechs Leute die Arbeit, aber ich glaube das ist überall so. Wir hatten auch mal eine

„Außerdem wurde es eine Art von Mode, zu uns zu kommen, wegen unseren Gesängen und auch wegen den Fackeln. Vie-le Leute wollten auch Fackeln halten, aber es gab auch ein paar, die mithelfen wollten Fahnen zu malen“

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eigene Bar, da haben wir zum Beispiel Transparente gemalt. Aber es gab Pro-bleme mit der Verwaltung und deshalb war leider Schluss. Heute hat einer von uns, Rama, ein Café, da treffen wir uns und trinken und diskutieren. Als Führer musst du natürlich zu den Auswärtsspielen fahren, aber auch aktiv sein, dich zeigen und dir Respekt verschaffen.

BFU: Die Beziehungen innerhalb einer Familie sind in Kasachstan bedeutender als in vielen westeu-ropäischen Ländern. Der Onkel in hoher Position sorgt dafür, dass die Angehörigen nicht vergessen werden (was dann manchmal dazu führt, dass eine totale Niete am Arbeitsplatz sitzt, die für den Job völlig unqualifiziert ist, aber nicht gefeuert werden kann, weil er der Neffe von Soundso ist). Wie sind denn die Beziehungen inner-halb eurer Gruppe? Betrachtet ihr euch als Alternative zu den übli-chen sozialen Netzwerken, eine Alternative, die auf Überzeugun-gen und Einstellungen und nicht auf Blut beruht? Gibt es Konflikte zwischen beidem?Dias: Ich sehe keine Probleme zwi-schen der Familie und dem Sektor. In der Familie kannst du tun, was immer du willst, bei den Ultras bekommst du gesagt, was zu tun ist. Ich habe eine Freundin, die weiß, dass sie mit mir am Spieltag nicht rechnen kann.Arshat: Mein zweiter Sohn wurde erst kürzlich geboren, vor zehn Tagen, und ich konnte trotzdem zum Auswärts-spiel. Natürlich schraubst du nach der Hochzeit die Erwartungen zurück, schließlich wird von dir ein Jahr später das erste Kind erwartet. Aber wenn der Typ ein Ultra ist, dann gibt es keine Probleme mit der Familie. Ich habe den Fußball in meinem Leben, das ist mein Stil.

BFU: Kasachstan ist eine ziemlich konservative Gesell-schaft mit islamischem Einfluss. Spielt Religion in eurer Gruppe irgendeine Rolle? Und was ist mit weiblichen Ultras? Gibt es „echte“ weibliche Ultras oder ist das mehr der „Die-Freundin-von“-Typ?Arshat: Ich mag keine Frauen im Sec-tor, die gehören nicht zum Fußball. Die Mädchen sind nur im Sector bis sie heiraten und danach siehst du sie nie wiederDias: Und weil Mädchen mit 23-26 heiraten drängt sich der Verdacht auf, dass sie nur da sind, um den Jungs nachzuschauen.

BFU: Dias, du warst tief in die Gruppe involviert, bis du kürzlich wegen eines neuen Jobs von Aktöbe in die Hauptstadt Astana (30h mit dem Zug) gezogen bist. Jetzt arbeitest du im Manage-ment eines Joint Ventures von KazMunaiGas, Chevron, LukOIL und Exxon Mobile. Wie unter-scheidet sich Astana denn von Aktöbe? Und wie gehst du mit der Entfernung zur Heimatstadt um?Arshat: Das hast du nicht richtig verstanden. Eigentlich habe ich seit meinem Schulabschluss kaum in Aktöbe gelebt. Ich habe fünf Jahre in Almaty studiert und anschließend meinen Master in Irland gemacht. In dieser Zeit habe ich die Heimspiele von Cork City besucht und mich am Support der dortigen Ultragruppe, Commandos 84, beteiligt. Bevor ich nach Astana gezogen bin, habe ich im Ölfeld Tengiz im Westen Kasachstans gearbeitet, da war ich 28 Tage im Feld und hatte danach 28 Tage frei. Ich hab mich also daran ge-wöhnt, weg von meiner Heimatstadt

zu wohnen. Meine Kommunikation mit der Gruppe lief eigentlich immer über die Webseite und das Forum. Die Distanz zwischen Astana und Aktöbe ist natürlich ein Problem, aber ich arbeite jetzt nun mal in Astana und akzeptiere das. Klar, ich hab weniger Möglichkei-ten, die Heimspiele zu besuchen, aber auf der anderen Seite ist es auch eine Herausforderung, jetzt mehr Auswärts-spiele zu fahren. Ich bin der jüngste Sohn, eigentlich sollte ich bei meinen Eltern wohnen [Anm: In Zentralasien ist es üblich, dass der jüngste Sohn im Elternhaus bleibt und auch seine Frau dort einzieht], aber was soll‘s.

BFU: Angesichts ihres Organi-sationstalents, der Möglichkeit Interessen und Fähigkeiten in

selbstbestimmten Strukturen zu finden und nicht zuletzt ihrem Selbstbewusstsein ist es für mich kein Wunder, dass Ultras auch im Berufsleben keine Verlierer sind. Seht ihr das auch so? Welchen Einfluss hat Ultra auf eure Arbeit?Arshat: Ich bin mir nicht sicher. Meine Lifestyle berührt meine Arbeit eigentlich gar nicht, außer wenn ich nach Urlaub frage. Unsere Chefs wissen, dass wir Fußballfans sind und an Spieltagen gibt es kein Problem mit der Arbeit. Bevor ich geheiratet habe, habe ich meiner Frau gesagt, dass Fußball mein Leben ist und das hat sie akzeptiert. Auf der Arbeit, ich bin Webdesigner, habe ich meinem Chef gesagt, dass ich Fußballfan bin und am

Spieltag ins Stadion muss. Das hat er auch hingenommen.

BFU: Es ist mittlerweile ziemlich spät geworden, wenn ihr mich nicht zum Essen eingeladen hättet, wäre ich von dem ganzen Bier schon umgekippt. Bevor wir Schluss machen, habe ich aber noch eine letzte Frage: Was wisst ihr über die deutsche Ultrabewe-gung und wie nehmt ihr sie wahr? Und seid bitte ehrlich...Arshat: Mein erster Gedanke ist Borus-sia Dortmund, das ist, glaube ich, das Topteam in Deutschland. Ich mag an Dortmund, dass die Spieler nach jedem Spiel zur Tribüne kommen und Kontakt zu den Fans haben. In Kasachstan ist

das anders, da zeigen sich die Spieler kurz, klatschen. Da ist keine Interakti-on. In der Türkei zeigen die Spieler den Respekt auch nur vor dem Spiel, die haben da ein besonderes Ritual, bei dem jeder Spieler besungen wird und anschließend die Kurve grüßt, aber danach ist nie etwas. Und ich kenne die Story von den Ultras von Bayern München und dem Torwart Manuel Neuer, da war das Problem, dass Neuer ein Ultra von Schalke ist.Dias: Ich bin nicht informiert, ich verfolge nur die Spitzenvereine gelegentlich. Ich weiß nur von zwei kasachischen Spielern in Deutschland, der eine ist Sergej Karimov, der andere heißt Sergei Schmidtgal oder so, der spielt bei Rot-Weiß Irgendwas.

Horto Magico in der Version von Sector 13

Oh Aktöbe, vsegda s toboi (Oh Aktöbe, immer mir dir)Segodnya smelyh i otvazhnyh slava jdet (Heute gibt es Ehre für die

Tapferen und Mutigen) Segodnya ty, ty pobedish, svoi cveta seodnya snova otstoish

(Heute gewinnst du, kämpfe für deine Farben)

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USA – Ultras sind (wo)anders!

In den Semesterferien ging es für mich in die USA - genauer gesagt nach Kalifornien, wo meine Verwandten leben. Im Vordergrund meines Aufenthaltes sollten Sportveranstaltungen stehen. Insgesamt sind es 7 Baseballspiele in San Francisco, Los Angeles, Anaheim und San Diego und ein Fußballspiel bei der LA Galaxy geworden.

Fan- und Stimmungs-technisch ist von den Baseballspielen nicht sonderlich viel zu berichten. Da ein Baseballspiel bis zu 4 oder mehr Stunden dauern kann und ein Team in der Regular Season alleine 162 Spiele bestreitet, ist das wirklich konstante Interesse über die Season hinweg nur einigen hartnäckigen Fans vorbehalten. Jedenfalls würde ich das so deuten, denn das Publikum in den Stadien setzt sich zum größten Teil aus Leuten zusammen, die aus der Region kommen, das Team mögen und einen angenehmen Ort zum gemütlichen Essen mit Freunden suchen. Unvorstellbar, wie sehr das Verzehren von Zuckerwatte, Knoblauchpommes und/oder itlaienischen Bratwürsten dort im Vordergrund stehen. Für den gewöhnlichen Stadionbesucher ist es dort keine Seltenheit und auch keine Schande, wenn man mal ein Drittel oder mehr des Spieles wegen Beschaffung von Getränken und Essen verpasst… Für diejenigen, denen das Laufen zu den etlichen Ständen im Stadion zu anstrengend ist, haben sich die Stadionbetreiber natürlich gesorgt. Während des Spieles laufen nämlich etliche Bauchladen-Verkäufer durch die Ränge und preisen ihre Hot-Dogs, Süßwaren oder Erdnüsse durch lautes, nerviges Rumgeschreie an. Scheinbar hat aber nur mich das gestört…Europäer halt. Supportmäßig konnte ich demnach nicht viel erwarten, denn wie bitte soll man sein Team anfeuern, wenn man in der rechten Hand einen Hot Dog hat, in der linken einen Jumbo-Becher Pepsi hält und dazu auf Erdnüssen kaut?!

Aber um die Stimmung nicht ganz so leise zu halten, ist den Stadionbetreibern natürlich wieder etwas eingefallen: Zum Einen werden diejenigen Zuschauer, die nicht mit Essen und Getränken vollgepackt sind, via Anzeigetafel dazu animiert, zu klatschen oder zu singen. Das heißt, auf den Anzeigetafeln steht plötzlich: Make some noise! oder Let’s go Giants – und tatsächlich funktioniert es! Der „digitale Capo“ animiert die Leute tatsächlich zum Klatschen… wenn auch nur für wenige Minuten, denn der Magen soll ja nicht leer bleiben und das Klatschen

ist ja relativ anstrengend… Zum anderen wird in den USA aus jedem MLB-Spiel versucht, ein spektakuläres Event zu machen – sogenannte Promotions sind das. Da wurde mir tatsächlich in Los Angeles bei dem Hello-Kitty-Promotion-Day eine Pappkrone von Hello Kitty beim Betreten des Stadions geschenkt… Vielen vielen Dank!!! In San Francisco hingegen wurde es etwas männlicher: Das Spiel gegen die Arizona Diamondbacks wurde zum „Star-Wars-Day“ hochgepusht, sodass Kinder als Yodas und Skywalkers mit Lichtschwertern ins Stadion marschierten. Das Sahnehäubchen auf dieser Aktion war, dass die Spieler der Heimmannschaft von Troopers auf dem Spielfeld empfangen wurden und das Maskottchen (eine Art…ähm…Hund?) samt Umhang und Lichtschwert auf einem Golfcaddy durchs Stadion gefahren wurde… Unfassbar! Ich musste mir sofort vorstellen, wie dieses Szeniaro wohl in der Bundesliga ausgesehen hätte… Volles Müngersdorfer Stadion, die Spieler laufen auf das Spielfeld, das mit Troopern und Robotern gefüllt ist und Hennes wird, eingekleidet in Mantel und Helm, auf einem Wagen durch das Stadion gefahren… Selbst in Köln würde man das nicht mitmachen, da bin ich mir sicher!

Kommen wir nun zum Wesentlichen: Nämlich die Stimmung beim Fussball! Die Heimmannschaft LA Galaxy empfing die Gäste aus Colorado. Spitzenreiter gegen unteres Tabellenmittelfeld. Früh wurden schon vor dem Stadion diverse Aktionsstände aufgebaut, um die Fans von unglaublichen Angeboten zu überzeugen. Servus, Kommerz! Naja, mal sehn wie’s im Stadion wird, denke ich mir und reihe mich in die Schlange ein. Ich bereite mich schon mal innerlich auf das obligatorische Abtasten vor – doch halt! Was machen die Leute denn vor mir? Befinde ich mich schon wieder am Flughafen? Nein! Im schönen „Home-Depot-Center“ wird auf das Abtasten verzichtet – dafür aber auf Erfahrungen von Flughäfen gesetzt… Heißt: Gegenstände aus Taschen und Co in einen Behälter, der durch ein Röntgenstrahl-Gerät transportiert wird! Zudem darf ich durch einen Metalldetektor marschieren und mich von anwesenden Cop begutachten lassen…

Angekommen im Stadion, dann endlich mal wieder ein Gefühl von „Heimat“ – nämlich Fussball, Fussballfans, Tore, ein rechteckiges Spielfeld etc. Wunderbar! Das Stadion ist übrigens ganz nett, kein Meisterwerk, aber nicht verkehrt! Im Vorhinein habe ich mich erkundigt, ob es bei der Galaxy sowas wie Ultras geben könnte. Und

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80 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

in der Tat kann man zwei Gruppen als ultra-orientiert beschreiben: Zum einen die Angel City Brigade und zum Anderen die Galaxians. Im Internet bin ich auch auf die LA Galaxy Riot Squad gestoßen – konnte sie aber im Stadion nicht fest ausmachen. Der erste riesengroße Unterschied war, dass es keinen wirklichen Gästesektor gibt. Aber bei den Entfernungen, die die Gästefans zurücklegen müssten, hat mich das nicht gewundert. Die Fans der Vancouver Whitecaps beispielsweise müssten schlappe 2.060 Kilometer reisen, um ein normales Liga-Auswärtsspiel in Los Angeles zu sehen – da sind die sogenannten „Nord-Süd-Schlager“ in Deutschland ja ein Witz gegen. Naja, jedenfalls habe ich auch keine Fans aus Colorado wahrnehmen können, sodass das gesamte Stadion zu seinem Heimteam gehalten hat. Im Gegensatz zu den Baseballspielen herrschte hier aber in der Tat Stimmung! Zu meiner Rechten konnte ich die „Heimkurve“ erkennen, welche die Angel City Brigade und die Galaxians füllten. Seltsamerweise gibt es in dem Stadion aber nochmal einen Support-Bereich, der sich von mir aus in der Linken Ecke befand. Welche Gruppe(n) dort aktiv ist/sind, konnte ich nicht ausmachen, da keine Zaunfahnen etc. vorhanden waren, die auf eine Gruppe hindeuten konnten. In froher Erwartung, mal ein Spiel ohne lästiges Anpreisen von Hot Dogs zu erleben, begab ich mich auf meinen Platz. Es dauerte keine 2 Minuten, da stand schon der erste Verkäufer 2 Reihen vor mir und verkaufte eine Art Zimtgebäck… na wunderbar!

Die Mannschaften liefen in das relativ gefüllte Stadion ein – begleitet von einer großen USA-Fahne. Wie vor jedem Sport-Spiel wurde auch hier die Nationalhymne gesungen. Und hierbei sollte ich schier Unglaubliches erleben! Wo wir in Deutschland durch Pyro-Verbote im Unterstützen unserer Mannschaften eingeschränkt werden, war ich nämlich solches nicht gewohnt: Nicht die Ultras, sondern der Verein machte sich an Pyrotechnik zu schaffen und begleitete die Nationalhymne mit etlichen Raketen, die auf dem Spielfeld platziert wurden. Zudem wurden mehrere Rauchtopf-artige Gegenstände abgefackelt, sodass man die Spielfläche kaum noch sehen konnte! Stark! Das war dann auch scheinbar das Startsignal für die Angel City Brigade, die ihre Kurve durch Werfen von verschiedenfarbigen Rollen schmückte! Begleitet wurde dies durch diverse

Schlachtgesänge! Na, das war doch mal ein Anfang!

Das Spiel war relativ flott und die Heimmannschaft konnte durch Landon Donovan das 1:0 in der ersten Halbzeit erzielen. Der darauf folgende Torjubel wurde frenetisch mit Konfetti gefeiert!

Zur Stimmung während des Spiels ist mir sehr negativ aufgefallen, dass die Gruppe „Galaxians“, welche nach meinem Empfinden lediglich aus einem kleineren Haufen besteht, nahezu ununterbrochen ihre Trommeln benutzten. Soweit eigentlich kein großes Problem – aber die trommelten einfach ihr Ding durch, ohne auf die Gesänge der Angel City Brigade zu achten und zerstörten diese somit sehr oft. Anstatt Gesängen war also oftmals ein seltsames Gewirr aus Gesang und wildem Getrommel zu vernehmen. Sehr sehr schade – könnten beide Gruppen doch durch ein Absprechen eine wirklich gute Stimmung erzeugen… Ob die Gruppen irgendwie befeindet sind, konnte ich nicht erkennen, da sie sich nebeneinander befinden und es nicht den Eindruck machte, als zerstörten sie mit Absicht gegenseitig ihren Support.

Achja, jetzt wundert sich manch einer vielleicht, wieso beim Fussball aktiv supportet wird und beim Baseball eher gefuttert wird. Na, das ist relativ einfach zu erklären. Da Los Angeles relativ nahe der mexikanischen Grenze liegt, besuchen sehr viele mexikanisch- oder spanisch-stämmige Leute, die von Natur aus ja Fussballfans und support-willig sind, die Spiele und sorgen dort für die Stimmung. Mit Baseball können sie wohl nicht so viel anfangen. Dass die LA Galaxy ein ziemlich kommerziell geprägter Verein ist, der sich nahtlos in die Hollywood-Attitude einreiht, ist den Fans scheinbar ziemlich egal. Jedenfalls wurden keine Spruchbänder gezeigt, die den Kommerz kritisierten oder in einer Form gegen den Kommerz protestiert. Die Eindrücke aus den USA nehme ich natürlich sehr gerne mit und teile sie auch gerne mit euch. Trotz super Wetter, überragenden Shopping-Möglichkeiten und perfektem Strand… es gibt einfach nichts Besseres als die Heim- und Auswärtsspiele meines Vereins in Deutschland. Wir sind immer für dich da – Fussballclub Colonia!

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Falubaz Zielona Gora vs. Unia LesznoMeisterschaftsfinale 1. Liga Polen - 2011/12

© fotobytula.net

Speedway zählt in Polen zu einer der populärsten Sportarten und hat(te), was die Zuschauerzahlen in den Stadien betrifft, dem Fußball die Nase weit voraus. Die polnische Liga ist nicht nur die stärkste Europas, sondern hier liegt auch die traditionelle Wiege des Sports. Dementsprechend existieren auch heute noch zahlreiche Traditionsvereine, v.a. in Westpolen oder Pommern, wo Speedway am beliebtesten scheint. Aber wie läuft eigentlich so ein „Spiel“ ab? Pro Durchgang (deren es insgesamt 15 gibt) gehen jeweils 2 Fahrer pro Team an den Start. Der Sieger bekommt vier Punkte, der Zweite drei Punkte usw. Das ist eigentlich auch schon alles. Dabei entsteht ein Höllenlärm, denn die ohne Bremse und Schaltung ausgestatteten Maschinen bringen es auf meist 130km/h auf den Geraden. Völlig unbegreiflich ist es da für viele Außenstehende, wie sich bei solchen Veranstaltungen eine aktive Hooligan/Ultra/Fanszene entwickeln konnte. Doch es gibt sie und das schon seit den 80iger Jahren. In Polen gibt es die sogenannten „klassischen Speedway-Städte“, wie Zielona Gora oder Leszno. Hier konnte sich der Fußball nie durchsetzen, stattdessen dominiert bis heute der Motorsport. Die auf den Bildern dargestellte Szene des Vereins Falubaz Zielona Gora gehört heute definitiv zur stärksten und aktivsten Fanszene des Landes. In vielen anderen Städten dagegen besteht eine Rivalität zwischen den Fans der Speedway- und Fußballvereine, auch wenn es hier logischerweise niemals zu einem Aufeinandertreffen im Stadion kommen kann. In Bydgoszcz kämpfen die Hooligans von Polonia (Speedway) gegen Zawisza (Fußball), in Gorzow Stal (Speedway)gegen Stilon (Fußball) und in Torun ging die Fanszene des Fußballvereins Elana sogar aus der ursprünglichen Anhängerschaft von Apator Torun hervor. Heute sind sich beide Seiten spinnefeind, pflegen aber eine Freundschaft zu Ruch Chorzow, deren Anfänge noch aus „gemeinsamen“ Zeiten stammen. Eine friedliche Co-Existenz herrscht dagegen in Gdansk zwischen Wybrzeze und Lechia sowie auch in Wroclaw zwischen Sparta und Slask. Resümierend bleibt festzuhalten, dass die Speedway-Szene in Sachen Qualität weit unterhalb der des Fußballs rangiert und in den Stadien ein größeres Familienpublikum anzutreffen ist. Dem gegenüber stehen aber dennoch oftmals großflächige Choreographien und imposante Pyroshows. Wer also mal die Möglichkeit haben sollte, in den Genuss eines solchen Rennens zu kommen, der sollte sich dies nicht entgehen lassen. Für Unbedarfte stellen diese Veranstaltungen ein fast schier unglaubliches Spektakel dar, bei dem man sich nicht nur einmal schmunzelnd, aber trotzdem respektvoll an den Kopf greift.

Bei den hier abgedruckten Fotos handelt es sich um das Meisterschaftsfinale 2011, das in Hin-und Rückspiel ausgetragen wird. Aufsehen erregte die Aktion der Falubaz-Fanatiker, die der weltgrößten Jesus Christus-Statue (in Swiebodzin) einen überdimensionalen Schal in den Vereinsfarben umhingen. Zu einer Tragödie kam es dann nach dem Rückspiel in Zielona Gora, als ein Fan von einem Polizeiwagen überfahren wurde. Die Randale im Anschluss waren den Medien zahlreiche Sensationsmeldungen wert, doch die eigentliche Ursache ist bis heute unbekannt und so wird der Vorfall seitdem von den Medien totgeschwiegen. (mo)

SPEEDWAY (POLN. ZUZEL)

Nach dem großen Erfolg unseres Erstling-Übersetzungs-werkes „Tifare Contro - Eine Geschichte der italienischen Ultras“, wurde, auch aufgrund der tollen Zusammenarbeit mit dem Übersetzer Kai Tippmann (altravita.com), direkt das nächste Projekt anvisiert. Nach langen Wochen und Monaten mühevoller Arbeit ist es nun genau ein Jahr später wieder soweit. „Cani Sciolti“ von Domenico Mungo (-> siehe Biographie im Kasten) ist ab sofort über unseren Onlineshop (beachtet hierbei unser Promo-Angebot!) , Amazon und auch im Buchhandel erhältlich.

Es ist kein gewöhnliches Buch. Es ist ein Buch über Ultras. Ultras in Italien. Und genau das macht es so faszinierend. Wir lesen und verstehen wie Ultras in Italien denken, fühlen, sich selbst sehen und beschreiben. Und das wird zur wohl bösen Überraschung für einen Großteil der deutschen Leser. Es wird nicht seitenweise über Malabende, oder mit viel Pathos die Sozialisierung innerhalb unserer Gruppenkosmen erzählt. Nein, vielmehr rückt die Affinität zur Gewalt in den Vordergrund und scheint Dreh- und Angelpunkt im Leben der „Cani Sciolti“.

Domenico Mungo ist ein Ultra. Ein richtiger, lebendiger Ultra. Keine Phantasiegestalt oder einer dieser Ultras aus Italien, wie wir ihn uns jahrelang selbst gebacken haben. Angerührt in den letzten Monaten sogar häufiger durch die Medien, die uns Ultras aus Deutschland dazu aufriefen, sich doch wieder auf die eigentlichen, damals aus Italien importierten (kopierten?) Charakteristika der Ultras zu besinnen. Schöne Choreographien, bunte Kurven und was noch so alles ins Kli-scheebild passt. Cani Sciolti wird euch schockieren und wachrütteln. Vielleicht eine ganze Welt einstürzen und mit anderen Augen sehen lassen. Wäre das Buch aus England, es würde wohl schon im vorab ohne große Beachtung in der Ecke landen. „Nicht schon wieder... die x-te Neuauflage großartiger Heldenstories aus den 80iger Jahren.“

In eigener Sache möchte ich, v.a. die Köpfe der deutschen Gruppen/Szenen, um eine differenzierte Betrachtungsweise bitten. Wir haben das Buch nicht übersetzt, um auf irgendeine Art und Weise ausufern-de Gewalt zu verherrlichen, krasse Krawallstories an den Leser zu bringen oder gar dem normalen Kurvengänger/Ultra ein falsches Bild liefern zu wollen. Derartiges wurde uns in der Vergangenheit nämlich leider schon vorgeworfen und das „Vorgängerbuch“ bewusst nicht in so manche Kurven getragen, beworben und vor Nachwuchsleuten unter Verschluss gehalten. Das Buch ist ein Ausschnitt der Ultras in Italien. Wir sind also weder Autoren, noch geistige Brandstifter, sondern lediglich die Übersetzer eines wahrheitsgetreuenen Stückes Italien aus den 80/90iger Jahren. (mo)

STREUNENDEKÖTER [CANI SCIOLTI]

84 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 85

DOMENICO MUNGO (*Turin, 1971)Journalist, Autor, Essayist, Videomaker, Leh-rer für Literatur und Geschichte, Ultra der Fiorentina. Musik- und Literaturkritiker. Ex-Direktor des Magazins Supertifo. Von ihm wurden die Bücher Sensomutanti (2003), Cani Sciolti (2008), The Final (2010), Aveva-te ragione voi (Gedichte, 2010), Stadio Italia (2010), Noi odiamo Tutti (2010). publiziert. Experte für die italienische Ultrabewegung und systemkritische Strömungen. Derzeit erscheinen von ihm eine Sammlung von Erzählungen zum G8-Gipfel in Genua 2001 sowie eine Biografie von Kurt Cobain.

Domenico Mungo - Streunende Köter

für die deutsche Fassung:© 2011 Burkhardt & Partner VerlagISBN 978-3-940159-09-0

Originaltitel erschienen bei:© 2008 Boogaloo Publishing

Preis: 11,90 EUR - 320 Seiten - ab 15.11.2011

Jetzt in unserem Onlineshop unter www.blickfang-

ultra.de bestellen und Ende Februar/März BFU 23

kostenlos frei Haus geliefert bekommen. Das Ange-

bot gilt bis 31.12.2011.

ANGEBOT

“Die Ultràs sind böse. Sie sind die dunkle Hemisphäre des Fußballs. Das obszöne Grauen der Zivilgesellschaft. Die Ultràs sind der Blitzableiter der Gutmenschen, des Bürgertums, der Krämerseelen, der Hausfrauen, der armseligen Journaillie und der Bullen auf Opfersuche. Die Ultràs sind die of-fene Güllegrube der Stadien. Symbol der blinden und irrationalen Gewalt.”

Domenico Mungo ist vieles, Anarchist, Skinhead, Gewalttäter, Journalist, Phi-losoph, Musiker, Dichter, Drogenkon-sument, Hausbesetzer, hochrangiger Ultrà der Fiorentina und vor allem eines: ein unglaublich guter Autor. “Cani Sciolti” ist mit einigem Abstand das beste Buch, das mir zum Thema Ultràs jemals zwischen die Finger ge-langt ist. Nicht nur, weil hier jemand aus der ersten Reihe der italienischen Ultrà-Bewegung das Wort ergreift, sondern weil es Mungo wie praktisch niemand anderes versteht, sich vor keinerlei Karren spannen zu lassen und keinerlei Blätter vor den Mund zu

nehmen und das gesamte noch mit ei-nem erzählerischen Talent verbindet, das eigentlich für den literarischen Kanon reichen sollte. Würde er denn nur “das richtige” schreiben. “Cani Sciolti” ist in erster Linie ein wahres Buch und schildert die Welt der Ultràs der 80er und 90er Jahre fotorealis-tisch – nicht etwa, wie sie Ultràs oder deren Gegner gern hören würden: Nichts wird beschönigt, mythisiert, überhöht, erniedrigt, verklärt oder auch nur erklärt. “Cani Sciolti” ist hingegen dreckig, gewalttätig, ungerecht und eindeutig subjektiv. Oder wie Lorenzo Contucci es im Vorwort so treffend formuliert: „Cani sciolti’ lässt sich in einem Satz zusammenfassen: ‘Die Wahrheit mag

nicht revolutionär sein, aber sie geht gehörig auf den Sack.“

“Es klingelt an der Tür. Es ist ein Bulle. Er erkennt ihn am Aftershave und an seinen Schuhspitzen. Er sieht ihm nicht ins Gesicht. Das würde der nicht aushalten. Er sieht ihm nicht ins Gesicht, denn ins Gesicht schaut man nur Männern. Keinen Wachhun-den. Es ist 7.00 Uhr morgens. Zwei Monate waren vergan-gen…”

Technisch gesehen fasst der Autor chronologisch geordnet Texte aus der Welt der Kurven zusammen, das Buch ist als

eine Art Bibliothek zur Erhaltung einer vergessenen Welt angelegt. Weil es die Ultrà-Bewegung verdient, eine Stimme und eine Erzählung zu haben.

Ein Großteil der Kapitel stammt aus Beziehungen des Autors zu anderen Vertretern italienischer Kurven, die man während eines forcierten Exils in der Schweiz (wohin man sich vor der Verfolgung im Nachgang zur Tötung Gabriele Sandris flüchtete) zusammentrug. Ein Manifest einer untergegangenen Bewegung. Stück-haft, stilistisch kaum einzuordnen, unstrukturiert – aber aus erster Hand. Hier findet man den Inhalt einer Unterhaltung mit einem Mitbegründer der Fossa dei Leoni aus dem Inneren des eingekesselten Gästesektors der Milanisti nach dem Tod Vincenzo Spagnolos, wie der Barbour-Parka des Täters den Besitzer wechselte und wie die blutige Tatwaffe entsorgt wurde. Hier findet man ein Interview mit dem Mörder von Vincenzo Paparelli, das dieser während seiner Flucht in der Schweiz gegeben hatte. Hier kann man lesen, wie “Pompa”, Begründer des CAV (Colettivo Autonomo Viola), sein Banner im Mailänder San Siro

MEHR ALS NUR EINE REZENSIONVON KAI TIPPMANN

Kai Tippmann & Domenico Mungo.

praktisch im Alleingang gegen eine Übermacht der Brigate Rossonere und Fossa dei Leoni verteidigte, blutüber-strömt durch eine Schnittverletzung die später durch 42 Stiche genäht werden musste. Der Hintergrund dessen also, was Jahre später zum Banner “Ehre dem Pompa” in der Mai-länder Curva Sud führen sollte. Hier wird berichtet, wie die völlig durchge-knallten Florenzer “Alcool Campi” mit einem geklauten Fiat 500 gefüllt mit Mollis den Zug aus Bologna abfackel-ten und dabei einen 15-jährigen Fan für sein Leben entstellten. Hier findet man den Bericht eines Juventus-Ultràs aus dem Brüsseler Heysel-Stadion. Hier findet man den Autor selbst, der in einem Moment der Unachtsamkeit zwischen die Reihen der gegnerischen Polizei und gegnerische Brescia-Ultràs gelangt, was gern auch einmal tödlich ausgehen kann. Wobei Mungo immer darauf beharrt, dass er sein Leben nicht “riskiert” – sein Leben ist von vornherein außerhalb dessen angelegt, was die Mehrheit als Leben definiert. Da gibt es überhaupt nichts zu verlieren, er ist von vornherein vom Mehrheitsleben ausgeschlossen. Er hat sich von vornherein ausgeschlos-sen.

“Wir stiegen geschlossen aus den Bussen aus und machten alles platt, was uns vor die Fäuste kam, Gegner, die paar Bullen im Einsatz, Ticketver-käufer, Getränkehändler. Die Tore des Auswärts-sektors wurden regelrecht zerlegt. Tränen-gasgra-naten und Bengalos regneten von allen Seiten. Wer nach uns mit dem Bus eintraf, glaubte ein Kriegs-gebiet in irgendeiner Stadt im Mitt-leren Osten oder Ex-Jugoslawien zu erreichen. Müllcontainer in Flammen, Tränengasnebel und viele viele Viola-Ultràs, die überall herumstreunten.”

Eine Sammlung von Augenzeugenbe-richten der kritischsten und weniger

kritischen Momente der Ultrà-Bewe-gung also. Gefüllt mit CS-Granaten, Projektilen, Klingen, Koks, Heroin, Amphetaminen, Blut, Toten, Knochen-brüchen, Scherben, Schweiß. Man erfährt von Reisen in vollgekotzten und vollgepissten Zugabteilen, von praktisch ausra-dierten Autobahn-raststätten, von hunderten bren-nenden Autos und verwüsteten Innen-städten, von durch Papierbomben zerfetzte Händen, von im Auge steckenden Signalraketen, von kiloweise verschlungenen Drogen jedweder Art, von gebrochenen Rippen, Nasen, Kiefernknochen, von Schweiß, Sperma, Blut, Zahnsplittern, von CS-Gasgranaten und Schlagstö-cken aus Edelstahl. Und Achtung: “Cani Sciolti” eignet sich nicht dazu, sich auf der Wohnzimmercouch mal so richtig wohlig einen kühlen Schauer den Rücken herunterrieseln zu lassen: Bei Mungo gibt’s direkt in die Fresse! Als eine Art stummer Archivar stellt Mungo fremde Texte unkommentiert neben eigene, nichts wird dabei erklärt oder auch nur zu beschönigen versucht. Keine über sich selbst – als Außenseiter – hinausgehende Philo-sophie, keine Utopie und vor allem keine Hoffnung auf Besserung. Mungo macht es sich nicht zur Aufgabe,

die Welt der Ultràs vom Sessel aus nachvollzieh-bar zu ma-chen – er will sie lediglich wiedergeben. Mungo macht es sich nicht zur Aufgabe, die Welt als solche zu

verändern – er will lediglich seinen Platz verteidigen. Praktisch niemals ist von ideologi-schem Ballast die Rede.

“Wir sind Ultràs aber wir sind nicht so ignorant, wie ihr das glaubt. Denn unsere Gewalt erlaubt keine Ignoranz. Wer uns nicht kennt und unsere Bewe-gung nicht in ihrem Inneren lebt, kann

das Gefühl eines sich langsam mit Menschen aufheizenden, überfüllen-den und überkochenden Sektors nicht kennen. Menschen deren Gesichter man von Außen nur durch Schals

vermummt und hinter einem Vorhang aus Rauch wahrnimmt, während wir gerade Knüppel und Ketten aufteilen und die Zwillen ausprobie-ren, mit denen wir Stahlkugeln auf Bullenjeeps schießen

werden.”

Dass es Mungo trotz alledem schafft, nicht nur ein präzises und unverstell-tes Bild der teilweise haarsträuben-den Gegebenheiten in italienischen Stadien der 80er und 90er Jahre zu zeichnen, sondern dass er es trotz-dem eben auch schafft, die Leiden-schaft, den Geist und die Kraft jener Jahre zu übermitteln und trotz allem nachvollziehbar zu machen, ist Beleg für die literarische Wucht dieses Au-toren. Indem er gerade auf Deutungen und Interpretationen verzichtet, dem Leser keinen Bewertungsvorschlag anbietet, sondern die Geschehnisse nur möglichst echt wiedergibt, gelingt es Mungo, der Kurve eine Stimme zu geben und womöglich sogar Diskus-sionen anzuregen. Denn jede Bewer-tung setzt immer zuerst die Kenntnis des Geschehenen voraus – und wer könnte dies besser als Mungo, der knapp 3 Jahrzehnte an vorderster Front stand. Die Bewertung ist ihm auch egal, Ultrà ist keine Revolte, Ultrà ist Ablehnung des Gegebenen. Ultrà ist das Setzen eigener Regeln und die Befolgung dieser. Ultrà ist, sich lieber alle Knochen brechen zu lassen als auch nur einen Schritt zurückzuweichen – gerade weil dies in den Augen jedes Nicht-Ultràs völlig sinnlos erscheint. Na und? Ist es denn sinnvoller, für eine Hand voll Lire in Turin vom Baugerüst zu fallen? Dem Chef für’s 13. Monatsgehalt die übrigen 12 Monate in den Arsch zu kriechen? Dem Schatzi ein Goldkett-chen zu kaufen? Alles gleich bescheu-ert, alles gleichermaßen arbiträr, antwortet Mungo, aber wenigstens ist Ultrà echt. Jenseits der verkommenen Moral, der korrupten Politik, der “legi-timierten gesellschaftlichen Gewalt”,

der Diktatur der Mehrheitsmeinung. Jenseits von Gut und Böse – durchaus in Nietzsches Sinne: Moral als gesell-schaftliche Konvention für die dumme Masse, die ihre Ur-Instinkte in Kate-gorien einteilen muss und so letztlich abtötet. Alles zivilisatorischer Dreck, der das Chaos der animalischen Pri-märinstinkte überzu-ckert. In Wirklichkeit geht es um Solidarität, Verlässlich-keit, Freund-schaft, Treue, Re-vierverhal-ten und, ja, Männlichkeit. Und wenn es um Schmerz geht, dann gehört der eben auch dazu. Eindeutig verlaufen demzufolge bei Mungo auch die Grenzlinien: “Professionelle Ultràs“, wie er sie nennt, die ihr Geschäft im Ticketverkauf oder der Unterstützung politischer Parteien machen und Youtube-Ultrà-Kiddies, die sich vor ihren Schlachterzählungen Internet einen runterholen, bei denen sie niemals verloren haben und niemals weggerannt sind, stehen bei ihm auf einer Stufe mit der Staatsmacht, dargestellt von Sklaven in Uniform mit blauem Helm.

“Du kannst sagen, dass es völlig bekloppt ist, für einen Fetzen Stoff sein leben zu riskieren, auf dem CAV steht, aber hier ist das so. Unter uns gibt es so etwas wie einen Ehrenkodex mit denen der anderen Mannschaften, unter uns Alten kennen wir uns alle persönlich, man erzählt miteinander und am Ende weißt du doch ganz genau, dass das Leute sind, die genau wie du ticken, da gibt es absoluten Respekt. Die neuen hingegen, die jün-geren, die wissen doch nicht einmal, was sowas überhaupt bedeutet…”

Es geht dem Autor wie gesagt überhaupt nicht darum, Verständ-nis zu wecken oder irgendetwas zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Die Charaktere von “Cani sciolti” sind Anti-Helden im völlig unromantischen Sinn: dreckig, stinkend, versoffen, be-kifft, zugekokst und latent gewalttä-tig. “Streunende Köter” eben. Mungo ist sich durchaus bewusst, dass sein

Ultrà-Sein aus jeglicher Außenper-spektive völlig irrational erscheint, keinerlei Maßstäben irgendeiner Zivilgesellschaft entspricht. Und trotz-dem. Und trotzdem vermittelt er die Leidenschaft jener Jahre und ich mei-ne, man kann seine sehr persönlichen Beweggründe durchaus gefahrlos

verallge-meinern: Mungo ist Anti. Gegen einen Staat, dessen Gesellschaft immer weniger wirklichen Freiraum

zulässt, auf der anderen Seite aber hunderttausende von Simulationen anbietet: Man schreibt sich SMS statt zu kommunizieren. Mungo reist mit seinen Leuten 12 Stunden an den Arsch der Welt, um ein Auswärtsspiel zu besuchen. Gewalt ist geächtet und wird in filmische Darstellungen oder Videospiele verlegt. Mungo beschreibt, wie sein zerschundener Körper sich lebendig anfühlt, nicht

trotz, sondern gerade weil 3 Rippen und das Jochbein gebrochen sind. Dem postmodernen Relativismus aller Werte setzt Mungo die 100%ige Treue zu den Farben und seiner Stadt entge-gen, Freundschaft, Verlässlichkeit und rückhaltlosen Einsatz. Natürlich klingt es in den Ohren der meisten absurd, sein Leben einer Fußballmannschaft zu widmen, aber Mungo macht an mehr als einer Stelle überdeutlich, wie absurd er es findet, sein Leben

der Büroarbeit, den Weihnachtsein-käufen oder dem Mittelklassewagen zu opfern.

“Ihr seid die Ignoranten! Ihr, die ihr nur die Ruhe eines Spaziergangs mit der Freundin kennt, das Sonntagses-sen bei den Eltern. Genau an jenem Sonntag, dem ihr die Magie einer geilen Massenschlägerei absprecht, eines Steinhagels gegen die gegne-rischen Busse und eines Angriffs auf die Bullen! Wer ignorant ist, kann zu-dem nicht wissen, dass hinter diesem Banner und hinter diesen Jungs, die sich mit Gleichaltrigen prügeln, die Streifenwagen demolieren und Sta-dionränge in Flammen setzen, mehr als ein Vierteljahrhundert Geschichte der Gruppe steht, der Curva und eines Teils der Stadt!”

Ultràs sind per se marginalisiert und illegal, praktisch nichts von dem, was sie tun, lässt sich mit dem Werteka-non einer westlichen Industriegesell-schaft in Einklang bringen. Und also überhöht der Autor das Außenseiter-dasein: Wenn ich die Gesellschaft als unecht, zerstörerisch und inhuman

ablehne, dann verfolge ich eben konsequent grund-sätzlich alles, was diese Gesellschaft ablehnt. Das ist die Rolle, die das Itali-en zehntausenden seiner Jugendli-chen zugesteht? Also nehmen wir uns diese Rolle und füllen sie mit Le-ben, tun wir alles, was der “normale” Bürger sowieso in uns sieht: Unnö-tige Pestbeulen am Arsch der

Gesellschaft, gewalttätig, drogengeil und auch sonst kriminell. Ultrà als das dunkle Spiegelbild dessen, was es in der Zivilisation gar nicht geben dürfte und das deswegen konsequent ignoriert, ausgeschlossen, bekämpft, unterdrückt und marginalisiert wird. Eben weil es – in schönster Hegel-scher Dialektik – zur Gesellschaft gehört; einer Gesellschaft, die es auf den Tod nicht ausstehen kann, mit dem chaotischen, triebhaften und

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animalischen in sich konfrontiert zu werden.

“An einem Punkt merke ich, wie so ein Stück Scheiße in Blau sich mit dem Schlagstock in der Faust von hinten an D. ran-schleicht. Ich sprinte los und strecke ihn mit einem Tritt in den Arsch nieder, wie wir ihn aus den Bud Spencer-Filmen kennen. Die anderen Bullen umringen mich nun und mein Opfer zieht seine Knarre und zielt auf mich. Einer mei-ner Turiner Freunde, der mit uns war schafft es, mich beiseite zu ziehen, in Richtung der Aufgänge. Wie ein Aal entwinde ich mich zwei oder drei mal aus seinem Griff und gehe immer wieder af die Bullen los. Ich wollte dieses elende Stück Scheiße, das die Dienstpistole auf mich gerichtet hatte. Ich sah nichts anderes mehr. Ich wollte den bei lebendigem Leib auffressen.”

Und trotzdem ist ein Ultrà für Mungo jemand, der immer und absolut die selbstgesetzten Regeln beherzigt. Jemand, auf den man sich 100%ig verlassen kann. Jemand, der einem ohne zu zögen den Arsch rettet. Ein Moment, das nach Mungo eben auch die Ultràs verschiedener Kurven letztlich eint: Natürlich gibt man als Viola-Ultrà den Brescia-ni auf die Fresse, teilt aus, steckt ein, bricht sich die Knochen und beschießt sich mit ausgesuchter Pyro-technik. So sind die Regeln. Aber man akzeptiert sich als seinesgleichen,

man respektiert sich, man weiß im Grunde, dass der Typ da drüben mit dem hellblauen Schal vor dem Gesicht genau dein Leben lebt, dass der Typ da drüben genauso bescheuert ist wie du. Ein Respekt, den Mungo den

wohlmei-nenden Famili-envätern beim Aus-flug nach IKEA nicht zugesteht, denn die-se stehen innerhalb der Ge-sellschaft.

Aus dem bekannten Motto “Wir wer-den nie so, wie ihr uns haben wollt” wird bei Mungo: “Wir sind genau das, was ihr uns zugesteht”. Appunto, Ultràs werden als Abschaum ge-sehen, also ver-halten sie sich auch so. Oder wie Francesio in “Tifare Contro” den Taylor Report zitiert: “Wenn ihr nicht wollt, dass sie sich wie Vieh benehmen, dann hört

auf, sie wie welches zu behandeln.”

“Du wirst sagen: ‘Was hast du denn an Stelle ei-nes Gehirns?’ Ich habe kein Gehirn! In meiner Welt zählt das nicht. Es zählen die Fäuste, um Respekt zu erlangen! Das Gehirn ist wichtig für die Jungs vorn am Geländer, wel-che die Gesänge starten und über das Was, Wann und Wie entschei-den. Ich bin etwas anderes. Ich bin

ein Arbeitsloser, ein Drogensüchtiger, ein Einwohner des Planeten Müll!”

Dass der Autor auch noch seinen persönlichen Wunsch nach Grenz-überschreitung durch die Zeilen schimmern lässt, macht das Buch nur interessanter, ändert aber nichts am oben gesagten. Für Mungo sind Gesetze, Grenzen und Regeln nur ar-biträre Konstrukte einer in sich verrot-teten Gesellschaftsordnung. Selbstge-setzte Stromzäune einer gigantischen dämlich blökenden Schafherde. Deren Ablehnung ist an sich schon ein Akt der Selbstermächtigung. Auch über seinen Körper: Wenn es gesellschaft-lich akzeptierte Norm ist, dass man frisch geduscht das Haus verlässt, kei-nerlei Tätowierungen zeigt, sich die Haare ordentlich scheitelt, fein duftet, gepflegt kommuniziert und bei jedem Zipperlein den Arzt aufsucht, dann bricht er eben direkt nach einer in ei-

ner besetzten Fabrikhalle durchgera-veten Nacht auf, kuriert Brüche durch Zähne zusammen-beißen, setzt Drogencock-tails gegen die Müdigkeit

ein und schließt noch den letzten freien Fleck am Körper mit einem neuen Tattoo. Aber er kennt echte Leidenschaft, echten Zusammenhalt, echte Freundschaft, echte Liebe und echten Schmerz. Und während sich der wohlinteg-rierte Bürger am Montag über den Polizeibericht echauffiert und der Möchtegern-Widerständler wohlige Gefühle in der Körpermitte verspürt, brüllt ihm Mungo entgegen: “Ich war dabei!” Wirklich und Wahrhaftig!

“Wir sind Ultràs. Wir sind die Sonn-tagskrieger, die aus ihren Existenzen ausgebrochen sind. Wir sind die unterirdischen Flüsse, die im großen Strom der Helden ohne Gesicht inei-nanderfließen. Wir sind die Rowdies, die Unangepassten, Kinder einer ge-walttätigen und kranken Gesellschaft. Wir sind all das, was es für euch gar nicht geben sollte, das aber trotz allem im Ghetto der Stadiongewalt weiterlebt”

DIE ALCOOL CAMPI

Dies ist der Geschichte der extremsten Gruppe, unruhig und verrückt wie die Esel, die jemals der Fiorentina durch die Welt gefolgt ist. Eine ebenso schöne wie verdammte Gruppe, wie es nur Helden sein kön-nen, deren Schicksal es ist, jung zu sterben. Dies ist die flüchtige, tragische und prächtige Geschichte der Alcool Campi.

Die auf ihrem Banner Andy Capp hatten mit dem Bierseidel in der ei-nen und dem Knüppel in der anderen, und bluttriefende Buchstaben. Die an diesem Sonntag Anfang November 1986 gegen Ascoli vom obe-ren Teil der Curva herunterkamen und den Jungen der Fiesole-Kurve an den Kragen gingen, die nicht auf der Höhe der älteren Ultras wa-ren. Sie putzten sie in kaum mehr als einem Augenblick einfach weg. Aufgeschlagene Lippen in der Fresse und Tritte in den Arsch. Und fort war das Banner der GdF, die einen auf Leader machen wollten, es aber nicht schafften, sich mit mehr als ein paar wenigen Elementen in Turin gegen die gobbi zu zeigen. Während die anderen Gruppen wie die CAV und eben die Alcool Campi massenhaft Präsenz zeigten und sich vor allem im Kampf und den Unruhen vor, während und nach dem Spiel hervortaten. Sie hatten sich im Sommer 1986 ge-gründet und waren alle aus Campi Bisenzio. Sie wurden von Marco, Pizza und den Brüdern Secondo (Domenico, Vito und Carlo) ange-führt. Dann gab es noch Marina „die Rote“, Valdarno. Sie waren nicht viele, aber dafür kompakt und hart wie eine Faust aus Granit. Sie hatten vor nichts und niemandem Angst. Sie zeigten sich auf jeder Auswärtsfahrt mit dieser überheblichen Unverschämtheit, die es nur bei denen aus Campi gibt. Arrogant, gewalttätig, streitsüchtig wie das Symbol ihrer Stadt (ein knurrender Köter): treu und mit ganzem Herzen Florenz ergeben, mit dem blauen Blut der Krieger-Aristokra-tie, von der sie abstammten.

Sie wollten die Kurve nicht anführen, obwohl sie durchaus das nötige Charisma und die moralische und physische Kraft dafür hatten. Sie wollten nur sie selbst sein und diese Mentalität der Haltung hoch-halten, die nie wieder eine andere Gruppe nach ihnen haben sollte. Geboren unter dem charismatischen Einfluss Pompas, erbten sie von diesem die Unnachgiebigkeit, die Reinheit, aber auch diesen fröhli-chen Geist der Pionierzeit der Ultras.

Da war Pizza, der eine Sache dachte und hundert anpackte. Da war Nappone, der Pappschilder und Aufkleber gestaltete, auf denen das Bild eines städtischen Indianer-Punks prangte, mit Iro und dem auf den Arm tätowierten Symbol der Hausbesetzer. Sie betraten in Bre-scia erstmals die Bühne. Ein Sonntag, der selbstverständlich geprägt war von ausufernden Kämpfen mit den Carabinieri im Auswärtsblock und wiederholtem Handgemenge mit den Brescia-Leuten vor dem Stadion. Der Bus der Alcool Campi war für 53 Personen zugelassen, sie fuhren mit 70. Mit ihrem eigenen Banner, das von den blauen Geländern des Rigamonti-Stadions grüßte. Das Erinnerungsfoto ist immer noch auf unsere Augenlider gepinnt. Alle sind dabei. Karierte Caps im 80er Jahre-Stil, Nietenjacken, Röhrenjeans und Unterhem-den, Ray-Bans, Lederhandschuhe, jede Menge Stimme und Ignoranz, aber vor allem ein Alkoholpegel, der zum sofortigen Führerschein-entzug gereicht hätte. In diesem Bus wurden 400 Dosen Bier und zwei Ballons Chianti geleert!!! Und das war nur ihr erster Auftritt!

Wie es so schön heißt: Feuchtes Debüt, gelungenes Debüt. Und in der Tat mussten die Jungs, die sich um das Banner der Alcool ge-schart hatten und nichts davon wissen wollten, den von Pizza & Co. vorgegebenen Gesängen zu folgen, eine kolossale Massenpisserei auf ihre Köpfe über sich ergehen lassen!!! Sie fuhren nach Mailand gegen Milan und verbreiteten im zweiten Oberring Angst und Schrecken. Nach dem zweiten Tor, mit dem die Fiorentina von Diaz und Baggio das von Sacchi geführte Milan der Holländer vergewaltigte, das spä-ter Italien und Europa dominieren sollte, gingen sie auf Milanisti,

Carabinieri und Polizisten los. Der zweite Oberring des Meazza-Sta-dions wurde von gewalttätigen Zusammenstößen und donnerndem Ausrasten der Menschenmenge erschüttert. Sie verbreiteten Angst unter den Rossoneri und verließen das San Siro ohne Polizeibeglei-tung. Sie marschierten wie eine Gruppe Milan-Ultras im Block durch Mailands Straßen, Milan-Schals, -Fahnen und -Käppis im Überfluss. Das waren Kriegstrophäen! Sie fuhren nach Rom, und während des Spiels tauchten sie plötzlich inmitten der fassungslosen Romanisti auf und starteten Sprechchöre für Florenz und die Fiorentina und gegen die Roma. Natürlich riskierten sie, gelyncht zu werden, bevor die orientierungslosen Carabinieri sie in Gewahrsam nehmen konn-ten, aber willst du das mit dem Adrenalin und der Schmach für die Römer vergleichen?

In Cesena, während des berühmten Spiels mit Kämpfen auf dem Spielfeld, der Flucht der Cesena-Ultras und der Verwüstung der ganzen Stadt, kletterte Pizza auf das Absperrgitter und zeigte ganz Italien seinen Arsch. Ein Jahr geht schnell vorbei, und die Alcool machen ihre Streifzüge durch ganz Italien. Ihr Ruhm überschreitet jede Grenze. In Turin werden sie Protagonisten der unvergesslichen Kämpfe vor der Filadelfia-Kurve, die in einer chaotischen Flucht der Gobbi enden. Dann in der Curva Maratona, als die Gobbi noch auf die Öffnung der Einlasstore warteten, schlichen sie sich heimlich hinein, um die Viola-Banner zu holen.

Jede Menge Gobbi rollten das Parterre hinunter. Trotzdem schaffen sie es, das Banner der CAV Valdarno abzuziehen. Aber nur, weil der Träger dieses Banners den Sack fallen lässt und sich dem Mob ent-gegenwirft, als er die Gobbi ankommen sieht!!! Anstatt ihn zu vertei-digen und abzuhauen. Völlig verrückt! Das waren andere Zeiten und andere Köpfe!!! Aber was für Köpfe!!! Die Alcool kamen fünf Minuten vor Anpfiff in die Kurve. Aber niemand wagte es, ihren Platz in der Kurve einzunehmen.Die Alcool organisierten nur ein einziges Benefiz-Abendessen, und natürlich war bei diesem Fest die GANZE Fiorentina dabei. Baggio tanzte die Tarantella auf den Tischen, Dunga, besoffen wie ein Affe, stürzt sich auf alle weiblichen Schönheiten des Restaurants, Mattei und Borgonovo stehen auf den Stühlen und brüllen Gesänge, die zur Gewalt im Stadion und gegen juve und Milan aufrufen!!! Eine solche Gruppe fürchtete sich vor niemandem, und kein menschliches We-sen konnte ihnen die Stirn bieten. Und in der Tat brauchte es etwas Unmenschliches, um sie aufzulösen, zu zersplittern, zu schwächen. Mit derselben schleichenden Heimtücke, mit der diese Scheiße das Immunsystem seiner Opfer angreift. Das Heroin begann unter eini-gen Mitgliedern der Gruppe herumzugehen, und die Kompaktheit der Gruppe begann darunter zu leiden.Viele endeten in Heimen, andere im Knast. Das Geld wurde immer weniger. Pizza und Bambolo gestalten das alte Banner neu, im Hin-terzimmer des Restaurants von Pizzas Vater. Es gab kein Geld, ein neues zu machen. Sie wollen vom Verein Fiorentina kein Geld anneh-men. Sie sind Ultras und unabhängig. Pizza und Pitone versuchen, Aufkleber und Shirts zu drucken, um die Gruppe zu subventionieren. So kam das Jahr 1989: ein annus horribilis für die italienischen Ul-tras. De Falchi starb in Mailand, und eine Woche später hatte auch Florenz seinen schwarzen Sonntag.

Irgendjemand hatte es mir an jenem Sonntagabend im Juni erzählt. Einer, der den Jungs nahestand, die diese Scheiße gebaut hatten.Gegen viele der Gruppe wurde ermittelt, aber nur einer nahm die gesamte Verantwortung allein auf sich, Pitone. Domenico weilt nicht mehr unter uns, aber diese Geste gereicht ihm immer noch zur Ehre.

„Über den Tod hinaus, für immer bei uns. Ciao Domenico!!“

FOLLOW THE BEST, FORGET THE REST!

LE

SE

PR

OB

E

90 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

Streetart

ArmadaRijeka

// 91

Graffiti in Rijeka hat eine lange

Tradition und einige der Writer

der Stadt sind aktive Mitglieder

unserer Gruppe.

Anfangs malten sie einige Bilder,

unser Choreographien und Banner

sowie illegale Graffiti in der Stadt.

Es gibt auch eine Art Sektion

innerhalb unserer Gruppe, die

sich um unsere Optik (Design

von Merchandise, Bannern,

Choreographien, Fahnen etc.)

kümmert, die sogenannten

„Stylists“. In jüngster Zeit haben

sie eine Menge Anstrengungen

unternommen, um Graffiti in

der Stadt, den Vororten und

loyalen Städten in der Region

anzubringen. In letzter Zeit ist

eine Art Wettbewerb zwischen

verschiedenen Stadtteilen

ausgebrochen, wer die besten,

größten oder schlicht die meisten

Graffiti zu bieten hat. Die Bilder,

die wir für euch ausgewählt

haben, sind im Wesentlichen

neue Werke, die in den letzen

Jahren entstanden sind. Einige

von ihnen sind im klassischen

Graffiti-Style mit Sprühdosen

erstellt worden, andere mit

Pinsel und Farbe, oder eine

Mischung aus beidem .

Die größeren Pieces sind

überwiegend legal oder

halblegal, es gab also keine

offizielle Erlaubnis, aber es hat

sich auch niemand beschwert

als sie gemalt wurden.

Wer mal unser Stadion Kantrida

besucht hat, wird die bemalten

Wände sicherlich gesehen

haben. Aber wir wollen mehr.

Unsere Absicht ist es, Graffiti in

der ganzen Stadt anzubringen.

Wir wollen unsere Farben

auf so vielen Wänden wie

möglich anbringen, um das

Bewusstsein für unseren

Verein, die Stadt und die

Region zu stärken. Dabei ist

es ziemlich schwer, legale

Stellen im Zentrum zu finden,

eine Menge Gebäude stehen

unter Denkmalschutz, vor

allem in der Altstadt. Die

Graffiti sind in verschiedenen

Teilen der Stadt zu finden

und repräsentieren unter

anderem Skurinje, Drenova,

Turnic, Vezica, Campetto,

Rujevica, Matulji, Crikvenica

etc... Andere sind zum Ruhm

unsere Vereins, der Stadt

und des Landes gemalt.

© Armada Stylists

92 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 93

?Man muss sich schon blind durch die deutsche Ultras-szene bewegen, um nicht zu erkennen, dass wir in den vergangenen Jahren Zeugen einer Entwicklung wurden, die sich quer durch die Szenen des Landes zieht. Die Zeiten, in de-nen Kurven über eine einzelne Gruppe verfügen, scheinen wohl vorbei zu sein und immer wieder hört man von neuen Gruppen respektive Abspal-tungen. Szenen, die etwas auf sich halten, haben mittlerweile mindestens zwei Ultrasgrup-pen in der Kurve bzw. der Szene und es scheinen immer mehr zu werden. Wie konnte es dazu kommen und was ist passiert? Ein Trend oder eine logische Entwicklung? Fluch oder Segen? Zufall?

Diese Fragen zu beantworten ist sehr schwer und auch nahezu unmöglich. Wir alle wissen, dass die deutsche Szene sehr heterogen und daher auch kaum zu fassen ist. Die Gruppen sind so unterschiedlich und verfügen über teils sehr unterschiedliche Auffassungen zum Ultrasgedanken, sodass es unmöglich ist, hier alle über einen Kamm zu scheren. Das Tun und Handeln in der einen Stadt löst in einem anderen Teil des Landes oftmals Kopfschütteln aus und Diskussionen branden auf, ob das noch Ultras ist

und die viel zitierte Mentalität wird dann oftmals in Frage gestellt oder in anderen Fällen der entsprechen-den Gruppe gänzlich abgesprochen. Diese Diskussionen sind so alt wie die Bewegung (in Deutschland) selbst und drehen sich nicht nur immer wieder im Kreis, sondern führen auch zu nichts. Eine allgemein gültige Abhandlung, warum immer mehr Personen in der Szene sich dazu entschließen sich abzuspalten und ihr eigenes Ding zu machen, kann somit nicht geliefert werden. Damit würde man den Grup-pen und auch der deutschen Szene nicht gerecht werden und ihr Unrecht tun. Dieser Aspekt macht es auch schwierig, die vielen Abspaltungen in letzter Zeit zu greifen, denn genauso wie die Gruppen sind auch die jewei-ligen Gründe sehr differenziert und von Stadt zu Stadt unterschiedlich zu betrachten. Dennoch lässt es sich nicht verhehlen, dass heutzutage eine größere Bereitschaft dazu besteht, die lange bekannten Strukturen zu ver-lassen und etwas eigenes aufzuziehen.

Warum ist das so? Es scheint, als stünden die Ultras am Scheideweg. Die Bewegung ist in Deutschland den Kinderschuhen entwachsen. Die allermeisten Gruppen bestehen schon mehrere Jahre und haben ihren Stil, ihre Mentalität gefunden und handeln danach. Oftmals wirken diese Strukturen verkrustet und eingerostet, während wieder andere sagen, dass

die jeweilige Gruppe ihren Weg gefun-den hat und strikt danach handelt. Ein zweischneidiges Schwert also, denn durch die Tatsache, dass die jeweilige Gruppe über viele Jahre ihren Stil ent-wickelt hat, haben es neue Mitglieder und Strömungen schwer den einge-schlagenen Weg zu ändern bzw. neue Einflüsse in die Gruppe zu bringen. Die Mitglieder der ersten Stunde sind in der Regel keine 20 mehr, leiten die Geschicke zum Teil schon zehn Jahre und nutzen ihre Erfahrungen dazu, die Gruppe in Anbetracht der jeweiligen Gegebenheiten bestmöglich zu führen. Viele Erfahrungen und Aktionen der vergangenen Jahre haben die Gruppe und ihren Weg geprägt, es sind Erfahrungswerte hinzugekommen, die in die Beurteilung der Lage und in die Diskussion zur Ausrichtung mit einflie-ßen und völlig zu Recht werden diese Personen gehört und bestimmen den Weg. So etwas nennt man Hierarchie, ohne die es in vielen Städten nicht geht, und es wäre auch vermessen und würde an Frechheit grenzen, wenn diese Personen von jüngeren Mitgliedern ständig in Frage gestellt werden würden. So läuft es einfach nicht und die jüngeren haben sich an die älteren und erfahrenen Mitgliedern zu halten bzw. zu orientieren. Ob gut oder schlecht, muss jeder für sich selbst entscheiden, allerdings bringen nur wenige den Mut auf, gegen die vor-herrschenden Strukturen aufzubegeh-ren und fügen sich in die Gruppe ein,

DIE ULTRAS (-GRUPPEN) AM SCHEIDEWEG?

VON BENJAMIN GIEBENRATH

schwimmen im Strom mit, gehen dabei unter oder kämpfen und werden selbst nach einiger Zeit zu tragenden Säulen der Gruppe und bekommen nach und nach mehr Einflussmöglichkeiten und können ihre eigenen Vorstellungen von Ultras einfließen lassen. Dieser Weg ist gerade bei großen und alten Gruppen ein sehr langer und auch steiniger, denn die jahrelangen Mitglieder haben klare Vorstellungen davon, wie die Gruppe aussehen soll, was sie tut und wie sie sich zu bestimmten Themen positioniert. Hier muss sich dann also jeder selbst die Frage stellen: Gehe ich diesen Weg mit, bringe mich ein, mache meine Erfahrungen und mit der Zeit wird sich das alles schon ergeben und ich selbst kann eines Tages diesen Weg mitbestimmen? Oder schnappe ich mir Personen, die genauso denken wie ich, deren Ultrasgedanken mit meinem übereinstimmt, verlasse die Hauptgruppe und mache mein eigenes Ding und lebe Ultras ganz nach meinen Vorstellungen aus? Welcher Weg ist dabei der richtige, ist es gar feige und schwach, sich dann zu lösen und sein eigenes Ding zu machen? Entscheidet selbst, denn eine Antwort wird dieser Text nicht liefern, da weder der eine noch der andere Weg ein leichter ist, was die vielen Abspaltungen in der letzten Zeit gezeigt haben.

Dass sich die Frage nach einer eigenen Gruppe derzeit vermehrt stellt, ist ein Zeichen der heutigen Zeit. Die Zeit des Experimentierens, insbesonde-re in den älteren Gruppen, scheint vorbei zu sein. Viele Erfahrungswerte bestimmten den Weg und gerade heutzutage hat sich eine Ultrasgruppe ganz klar zu positionieren. Egal ob es um die Pyrotechnik-Kampagne, das eigene Mitgliedersystem, das ewige Gewaltthema, die Zusammenarbeit und Solidarität mit anderen Szenen, Pro Fans, Umgang mit der Polizei und das ewige Dauerthema Liedgut geht, die Ultras finden ihren Weg und die verschiedenen Erfahrungen schaffen ein ganz klares Profil der Gruppen und bestimmen den Weg, der eingeschla-gen wird. Indem sich die Gruppen positionieren, entstehen Diskussio-nen, denn in größeren Vereinigungen ist nahezu unmöglich, die Wünsche und Neigungen der verschiedenen Mitstreiter zu vereinen, geschweige denn auch nur Ansatzweise unter ei-

nen Hut zu bringen. Der eine will jedes Wochenende boxen, während andere Mitglieder sich vor dem Spiel mit dem Gegner treffen, um Fanzines zu verkaufen oder um eine gemeinsame Spruchbandaktion zu besprechen bzw. vorzubereiten. Wieder andere haben kein Problem damit, mit anderen, auch verfeindeten Gruppen auf einer Demo zu laufen, während andere dies völlig ablehnen und bei dem Gedanken daran am Abdrehen sind. So entstehen innerhalb der Gruppen verschiedene Strömungen und Pole, die dafür sorgen, dass Konflikte entstehen. Hier besteht die große Aufgabe darin, die Mitglieder alle unter einen Hut zu brin-gen und auf einen gemeinsamen Weg einzustimmen und dafür zu sorgen, dass ein jeder mit diesem leben kann und all seine Kraft und Motivation diesem Weg unterordnet. Hier müssen die verschiedenen Parteien bereit sein und einen Weg zueinander finden. Gelingt dies, kann die Gruppe gestärkt daraus hervor gehen, gelingt dies nicht, kann eine Abspaltung folgen. Ein Generationen-Konflikt? Vielleicht! Ältere Mitglieder, die die Gruppe über Jahre geprägt haben, viel Zeit, Energie, den Job und die Beziehung gefährdet oder auch geopfert haben, lassen sich nur ungern ihr „Lebenswerk“ von Jün-geren oder Dissidenten in Form einer Minderheit im großen Kollektiv kaputt machen. Zu Recht? Die Antwort ist in den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort zu finden und kann nicht pauschal beantwortet werden! Fakt ist, dass die heutige Zeit den Gruppen abverlangt, klare Grenzen zu ziehen und es ist fast logisch, dass hierbei Mitglieder zu-rückbleiben, die mit dem eingeschla-genen Weg nicht leben können.Konflikte und Meinungsverschieden-heiten sind keine Begleiterscheinung der heutigen Zeit, sondern gab es schon immer und waren auch schon immer ein Teil von Ultras bzw. einer jeden Bewegung. Gerade in der An-fangszeit kam es schon zu Abspal-tungen und Brüchen innerhalb der Szene, doch stehen solche Vorgänge, insbesondere in Anbetracht der medialen Revolution, mehr denn je im Fokus. Heutzutage scheinen Personen eher bereit zu sein, ihren eigenen Weg zu gehen und die gestandenen Struk-turen zu verlassen. Woran das liegt? Einerseits ist dies sicherlich dem Alter geschuldet. Je älter man wird, desto

mehr entwickelt man in der Regel ein eigenes Bewusstsein und eigene Vorstellungen. Andere fügen sich mit der Zeit in gewachsene Strukturen und entwickeln einen Tunnelblick, bzw. können sich mit der Gruppe auf eine solche Art und Weise identifizieren, dass diese über allem steht. Andere können einen bestimmten Weg nicht mehr mitgehen und suchen einen Ausweg bzw. einen Weg für sich, um mit den Gegebenheiten zu leben. Sie bleiben also in der Gruppe, brechen komplett weg oder gründen etwas eigenes. Gerade letzteres scheint in den vergangenen Jahren mehr denn je eine Option zu sein. Hierbei ist an-zuführen, dass Beispiele von anderen Szenen hier als Vorbild dienen können, respektive den entsprechenden Personen diese Alternative erst auf den Schirm gebracht haben. Dieser Punkt ist sehr diskussionswürdig, doch ertappen sich wohl nicht wenige dabei, selbst an diesen Weg zu den-ken, wenn sie von einem vermeintlich positiven Beispiel einer Abspaltung in einer anderen Szene hören/lesen. Ein positives Beispiel bringt die Möglichkeit einer eigenen Abspaltung erst in das Bewusstsein, gerade dann, wenn die eine neue Gruppe plötzlich mit einem klaren, eigenen Profil besticht und in ihrer (unvermeidlichen) Stellungnahme Punkte anspricht, mit denen man sich selbst identifizieren kann und man sich denkt: „Das ist ja wie bei uns!“, bzw. „Genauso sehe ich das auch!“. „Vorbilder“ sorgen zwar nicht dafür, dass sich Konflikte in den Gruppen entwickeln, allerdings zeigen sie den betroffenen Mitgliedern eine Alternative auf, die sie vorher vielleicht nicht auf der Rechnung hatten.

Fluch oder Segen? Auch dies lässt sich nicht abschließend und allgemeingül-tig beantworten, dazu ist die Bewe-gung in Deutschland zu jung und die „Abspaltungswelle“ noch zu aktuell, um abschließend dazu etwas sagen zu können. Die bisherigen Erfahrungen zeigen aber, dass es sich bei diesem Thema um ein verdammt heißes Eisen handelt und die Szenen, in denen das Ganze fast lautlos vonstatten ging, eine Rarität sind und fast als Exoten im deutschen Ultraskosmos dastehen. Der Mensch kann nur schwer mit Trennungen umgehen und in den seltensten Fällen sorgen sie bei allen

94 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 95

!Beteiligten für positive Gefühle. Das ist ganz normal und lässt sich schlicht-weg nicht vermeiden. Hier kommt es immer darauf an, wie ein Trennung verläuft, doch spaltet sich erst mal eine Gruppe ab, dann hat die jeweils andere Strömung ein Gesicht und die Konflikte, die vorher innerhalb der Gruppe stattfanden, sind nun greifbar und für alle klar ersichtlich. Dazu fällt die Hemmschwelle, denn unter dem Dach einer Gruppe herrscht trotz aller Unterschiede noch eine gewisse Soli-darität. Bricht das gemeinsame Dach ein, treten nicht nur die Unterschiede noch deutlicher zu Tage, sondern wird aus der anderen Gruppe schnell ein Feind. Dazu kommen persönliche Belange, der Trennungsschmerz und während der Abspaltung zerbrochenes Porzellan und schon entsteht eine explosive Mischung. Aus jahrelangen Mitstreitern und sogenannten Freun-den wird plötzlich der Feind in der eigenen Kurve, der neben dem Gegner auf der anderen Seite des Stadions ebenso argwöhnisch betrachtet wird. Aktuell erweisen sich die Abspaltun-gen der jüngeren Zeit in Deutschland

eher als Fluch, denn es gibt wohl kaum eine Szene, die dadurch stärker gewor-den ist. (Persönliche) Kleinkriege und unterschiedliche Auffassungen von Ultras sorgen in der Szene für neue Baustellen, die unnötig erscheinen, aber anscheinend doch nicht zu vermeiden sind! Das ist fast schon fatal, denn es gibt für die Ultras mehr als genug Feinde und Stolpersteine. Egal ob der Staat, bzw. die Polizei, der katastrophale Ruf in den Medien, die Pyro-Thematik, der Kampf um Freiheiten, der eigene Verein oder der Erzfeind, es gibt wahrlich genug zu tun und mehr als genug Baustel-len, die die verschiedenen Gruppen zu beackern haben. Zwar würden viele Gruppen diesen Umstand nicht einräumen und zugeben, dass eine Schwächung erfolgte, doch erscheint der hausgemachte Konflikt unnötig und doch unvermeidlich. Ein Zeichen der Zeit also? Gewiss und die Zeit wird zeigen, wie die verschiedenen Szenen damit umgehen und ob manche am Ende nicht doch gestärkt daraus hervorgehen.

Dieser Text kann unmöglich alle Antworten darauf liefern, wie mit der aktuellen Situation zu verfahren ist, bzw. wie und warum es zu den verschiedenen Abspaltungen kommen konnte. Fakt ist, das alles ist kein Zufall und es werden in Zukunft eher noch mehr Spaltungen dazu kommen, als dass sich Gruppen wieder zusam-menschließen, denn eine Abspaltung ist ein „One Way-Ticket“ raus aus der Gruppe und im schlimmsten Fall gar raus aus der Szene! Die Ultras-Bewegung in Deutschland ist hierbei gefordert, ihren Weg zu finden, um mit der Situation umzugehen. Welcher Weg das sein wird und ob dies gelingt, werden wir in der Zukunft erfahren. Eine Prognose abzugeben ist dabei unmöglich, denn aktuell scheint der Trennungsschmerz in den verschie-denen Städten noch zu frisch und die neuen Gruppen stehen alle nahezu am Anfang ihres Daseins. Es bleibt jeden-falls spannend zu sehen, wie sich die Situation weiter entwickeln wird und welche Rückschlüsse und Konsequen-zen die Kurven diesen Landes daraus ziehen werden!

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Hier wollen wir euch einen kleinen Überblick über stattgefundene Abspaltungen in der deutschen Sze-ne liefern. Dieser erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und möchte weder Partei ergreifen noch eine Position beziehen, sondern lediglich der Information dienen.

Nach internen Querelen beschloss die Wilde Horde 2009 eine Neuausrichtung der Gruppe, weshalb sich einige Mitglieder entschlossen, diese zu verlassen und fortan als „Sektion Mün-gersdorf“ zu fungieren. Dabei handelte es sich um Personen, die der WH lange angehörten und zum Teil auch in der Führung die Geschicke der Gruppe lenkten. Rasch brachten sie das Fanzine „Kallendresser“ heraus, welches in der deutschen Fanzine-landschaft mit tiefgründigen und „erwachsenen“ Texten und Gedanken für Aufsehen sorgte und verpasste so – ganz nebenbei – der neuen Formierung ein klares Profil. Wenig später folgte die Umbenennung in Coloniacs. Die CNS war in der Kölner Südkurve in unmittelbarer Nähe zur Horde anzutreffen und setzte ihr eigenes Material in Form von Zaunfahnen, Schwenkfahnen und Doppelhaltern ein. Die Coloniacs wechselten zur aktuellen Sai-son in den Block „S4“, direkt neben den Standort der WH.

1. FC KÖLN: WILDE HORDE - COLONIACS

Dass auch vergleichsweise kleine Szenen von dieser Thematik nicht verschont bleiben, zeigt das Beispiel Babels-berg. Hier kam es innerhalb des Filmstadt Infernos zu einer Abspaltung und zur Gründung der Ultras Babelsberg. In der Nordkurve kam es daraufhin immer wieder zu Querelen und offen ausgetragener Abneigung. Mit dem Umbau des Karl-Liebknecht-Stadions beruhigte sich die Situation einigermaßen, denn während die Ultras und die Gruppe „Sportlich Elegant“ in den neuen „Ostblock“ zogen, verweilt das Filmstadt Inferno weiterhin in der Nordkurve, somit besteht zumindest eine räumliche Trennung. Dennoch kommt es immer wieder zu Sticheleien und größeren und kleineren Vorfällen innerhalb der Szene.

SV BABELSBERG 03: FILMSTADT INFERNO - ULTRAS BABELSBERG

Im Herbst 2010 kam es in Nürnberg zum großen Knall. Lange schwelende Konflikte und persönliche Probleme untereinander brachten das Fass zum Überlaufen und ein gutes Dutzend mehr oder weniger aktiver Mitglieder verließen UN. Schnell wurde bekannt, dass die Ausgetretenen den Weg einer neuen Gruppe gehen würden. Ebenso schnell verfügte die damals noch namenlose Vereinigung über eigene Räumlichkeiten in einem Nürnberger Stadtteil. Die neue Gruppe wechselte den Block und agiert nun neben dem Ultrasblock „911“ im Block 7. Mittlerweile „Banda di Amici“ genannt organisieren sie eigene Busse zu den Auswärts-spielen, bringen ihren Kurvenflyer „Bandarole“ in einer Auflage von 1.500 Exemplaren heraus und setzen seit Beginn dieser Saison auch eigenes Tifomaterial ein, beteiligen sich aber auch den Gesängen aus dem Block 911.

1.FC NÜRNBERG: ULTRAS NÜRNBERG - BANDA DI AMICI

Vergleichsweise ruhig und friedlich verlief eine Abspaltung innerhalb der Schickeria München. Als sich im Jahr 2002 die Schickeria gründete, waren auch die Mitglieder des Inferno Bavaria mit an Bord und waren seither innerhalb der SM aktiv. Im Jahr 2008 spitzten sich persönliche Differenzen und Diskussionen rund um die Ausrichtung der Hauptgruppe derart zu, dass eine Abspaltung unvermeidlich erschien. Einige Austritte folgten und so wurde im Jahr 2010 das Inferno Bavaria neu strukturiert und wiederbelebt. In München scheint man mit dem eingeschlagenen Weg gut leben zu können, denn nach eigener Aussage stehen die Mitglieder beider Gruppen in enger Freundschaft zueinander und arbeiten auf breiter Basis zusam-men. Das Inferno ist seit jeher mit eigener Zaun-fahne in der Südkurve vertreten und fügte sich somit nahtlos in die Ultrasszene der Roten ein.

BAYERN MÜNCHEN: SCHICKERIA - INFERNO BAVARIA

Die Vorgänge in Münster galten in der Szene lange Zeit als Paradebeispiel für eine Spaltung in Deutschland. Im Jahr 2008 verließen einige Personen die Curva Monasteria und gründeten die Deviants. Interne Streitereien und eine unterschiedliche Auffassung der Materie „Ultras“ sorgten für den großen Knall. Fortan existieren in Münster sowohl zu Hause als auch Auswärts zwei Kurven, die jede für sich ihr eigenes Ding durchzogen und somit für große und ver-wunderte Augen bei Hoppern und Interessierten sorgten. Eigene Lieder, ein anderer Standort und eine offen gelebte gegenseitige Abneigung waren bis dato ein Novum in Deutschland. Nach Auflösung der Curva Monasteria sind die Deviants derzeit die einzige nennenswerte Ultrasgruppe in Münster.

PREUSSEN MÜNSTER: CURVA MONASTERIA - DEVIANTS

Auch bei Dynamo kam es zu internen Differenzen und dem Austritt einiger Mitglieder. Das Ganze geschah im Herbst 2010 und mündete in der Gründung von Solo Ultrà SGD. Wie anderswo auch wurde davon gesprochen, dass unterschiedliche Ansichten zum Thema Ultras den Ausschlag gaben. Anfangs standen die SU SGD neben den ULTRAS DYNAMO im unteren Dresdner K-Block. Doch da-mit war es nicht getan, denn zu Beginn der neuen Saison eskalierte die Situation und die neue Gruppe wurde im Rahmen eines Heimspiels gegen Union Berlin am Stadion attackiert, auch von einem versuchten Materialklau ist dabei die Rede. Aktuell besteht gar ein „Kurvenverbot“ als Gruppe und somit verbringen die Mitglieder von Solo Ultrà SGD die Spiele der ersten Mannschaft entweder gleich abseits des Stadions, oder als Einzelpersonen im Block. Ein Auftreten als Gruppe ist derzeit weitgehend unmöglich! Um den Bezug zum Fußball und Dynamo nicht zu verlieren und ihre Vorstellung von Ultras ausleben zu können, besuchte die Gruppe zuletzt ein Jugendspiel.

DYNAMO DRESDEN: ULTRAS DYNAMO - SOLO ULTRÀ SGD

!Eine etwas andere Abspaltung spielte sich in der Kaiserstadt ab. Im Juli 2010 gründete sich mit der Karlsbande eine neue Ultrasgruppe. Interne Streitereien bei den Aachen Ultras sorgten dafür, dass die Gruppe in zwei Lager gespalten war, eine Trennung war wohl unvermeidlich. Mit der Gründung der Karlsbande wurden andere (gruppenlose) Ultras in Aachen aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt und schlossen sich der neuen Gruppe an. Das führte dazu, dass die Karlsbande bereits nach kurzer Zeit eine relativ hohe Zahl an Mitgliedern hatte und im Stadion einen größeren Mob stellte als die ACU. Diese zogen ihre Konsequenzen, verließen die Heimkurve und ließen sich isoliert vom Rest der Kurve in einem Nebenblock unter dem Dach nieder. Das Verhältnis beider Grup-pen ist sehr angespannt, was sich auch daran zeigte, dass beim Auswärtsspiel in Dresden die Fäuste flogen!

ALEMANNIA AACHEN: AACHEN ULTRAS - KARLSBANDE

Den Anfang an der Ostsee machte der Austritt der „Hinter dem Zaun“-Redaktion bei den Suptras. Die noch lose Zusammenkunft agierte anfangs unter dem inoffiziellen Namen „Independet Ultras“ und brachte relativ zeitig das HDZ, das vormals der Kurvenflyer der Suptras war, als eigenständiges Fanzine heraus. Eigenes Material ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten und im Juli 2010 wurde die neue Gruppe mit der Gründung der Unique Rebels offiziell. Ein knappes halbes Jahr später gaben die UR ihre Auflösung bekannt. Aus der Rostocker Szene schlug der neuen Gruppe blanker Hass entgegen: Überklebte Aufkleber, Verbot des eigenen Materials inkl. Zaunfahne, körperliche Angriffe, ein Verbot des HDZ und ein Kurvenverbot machten es den UR unmöglich weiter zu existieren. In einer Erklärung seitens der Unique Rebels zur Auflösung hieß es: „Bedauerlich ist es, dass nach Jahren der Repression die eigene Kapitula-tion aus szene-internen Problemen hervorging.“ In Rostock betrachtet man die Angelegenheit als Durchsetzung von Hierarchie und Abweisung eines für unpassend empfundenen Stils.

HANSA ROSTOCK: SUPTRAS - UNIQUE REBELS

98 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 99

Dass dieses Thema die Szene spaltet und polarisiert, wie kaum eines zuvor, zeigt, dass es sich bei dem Thema „Abspaltungen“ um ein

sehr heißes Eisen handelt, welches noch lange nicht gegessen ist und uns wohl noch einige Zeit beschäftigen wird. Eigentlich war an-

gedacht, im Rahmen dieses Artikels verschiedene Gruppen zu Wort kommen zu lassen und den Parteien die Möglichkeit zu geben, im

Rahmen eines Statements ihre Sicht der Dinge darzulegen. Die ersten schüchternen Anfragen bei den Szenen zeigten jedoch schnell,

dass die Zeit dafür noch nicht reif zu sein scheint, denn die wenigsten Gruppen waren dazu bereit. Die einen wollten nicht noch mehr

Öl ins Feuer gießen und die anderen sich einfach nicht äußern bzw. überhaupt daran beteiligten. Aufgrund der in diesem Zuge gesam-

melten Erfahrungen wurde manch eine Szene gar nicht erst gefragt und von diesem Vorhaben schnell Abstand genommen. Schade,

aber derzeit eben nicht zu ändern und es muss wohl noch einige Zeit ins Land gehen, damit man dieses Thema umfassend mit allen

bzw. vielen Beteiligten aufarbeiten und behandeln kann.

Die Abspaltungen in der jüngeren Vergangenheit sind noch zu frisch und die Szenen gerade dabei, die neuen Gegebenheiten zu

ordnen, zu verarbeiten und ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Manche befinden sich derzeit mittendrin und haben durchaus schon genug

Probleme, als dass sie sich mit einem eventuellen Beitrag im BFU die Situation noch schwerer machen.

Als vermeintlich „Außenstehender“ war dies anfangs in dieser Deutlichkeit nicht ersichtlich, kann aber nach den Erfahrungen und

einigen Gesprächen verstanden und natürlich auch akzeptiert werden. Wer will schon einen derartigen Vorstoß wagen und dem Ge-

genüber (in der eigenen Szene!) eine Steilvorlage für eine neue Stufe der Eskalation liefern? Niemand, auch wenn der Eindruck besteht,

dass es manch einem gehörig unter den Nägeln brennt.

Nach persönlicher Ansicht handelt es sich bei diesem Thema um einer sehr trauriges, wenn auch nicht vermeidbares Kapitel der Ult-

rasbewegung. Wir leben in einer Zeit, in der die staatliche Überwachung immer neue Ausmaße erreicht, in der die Kommerzialisierung

vielen die Luft zum Atmen nimmt, in der die Presse immer neue, verbale Amokläufe gegen Ultras startet, in der die Bewegung mit dem

Rücken zur Wand steht und gerade dabei ist, sich so zu sortieren und aufzustellen, dass ein Überleben gelingt und auch realistisch ist.

Oberflächlich betrachtet, scheint es dabei paradox, dass aus den eigenen Reihen Widerstände kommen und den Gruppen und allen

Beteiligten das Leben noch schwerer gemacht wird. Ist das Egoismus? Hat ein Ultras wirklich alles seiner Gruppe unterzuordnen?

Auch seinen eigenen Willen, sein Denken, sein Verhalten und seine gesamte Ideologie? Ein schwere Frage, die von zehn Befragten

wohl zehn Mal unterschiedlich beantwortet würde. Was man hierbei auch nicht vergessen darf, ist die Tatsache, dass Ultras (bei vielen)

natürlich einen großen, wenn nicht den größten Teil des Lebens ausmacht und das Leben in der Gruppe oftmals neben anderen

Verpflichtungen wie Arbeit, Schule, Studium, Freundin und den diversen gesellschaftlichen Zwängen stattfindet. Wir leben alle derart

fremdbestimmt und viele stürzen sich auch in ihrer Freizeit in eine Umgebung der Fremdbestimmung und folgen blind ihrer Gruppe

und deren Idealen. Der eine geht diesen Weg mit und erfreut sich seines Daseins in der Gruppe und genießt diesen Umstand wohl

auch, während andere gerade in diesem Bereich ihres Lebens nach höchstmöglicher Selbstbestimmung streben und das auch in

ihrer Gruppe und im Stadion ausleben wollen. Beides ist falsch und beides ist richtig, beides ist gut und schlecht! Jeder muss für sich

den optimalen Weg finden und dazu stehen, auch wenn dieser dazu führt, dass es zu Spaltungen, Enttäuschungen und Ärger kommt.

Ultras beansprucht für sich eine freie, wilde, zügellose und auch eine Bewegung der Individuen zu sein. Ist das so ohne weiteres

möglich bzw. zu erreichen? Wohl kaum, sowohl in einer Hauptgruppe, als auch in einer Abspaltung. Ultras ist daneben nämlich auch

eine Bewegung, die von ihren Aktiven eine gehörige Portion Verständnis, Reflektionsfähigkeit und Solidarität erfordert. Nur gemeinsam

stark? Sicherlich, aber nicht zwingend unter einem Dach, unter dem einer oder beiden Parteien die Luft zum Atmen fehlt! Wichtig ist

dabei nur, dass man sich selbst und auch den anderen ins Gesicht schauen kann und dabei nicht vergisst, dass Ultras auch bedeutet,

alles für seinen Verein und seine Kurve zu tun. Nur wenn das alle Beteiligten verinnerlichen und auch leben, kann eine Spaltung im

Laufe der Zeit für alle Beteiligten nicht nur zu verkraften, sondern auch von Vorteil sein!

EIN KOMMENTAR:

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100 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 101

Pisa vs. Livorno

Aus zeitlichen Gründen mussten wir leider die Arbeiten am bereits in der letzten Ausgabe angekündigten Bildband mit Fotographien aus 10 Jahren Italien auf Eis legen. Aufgeschoben ist jedoch nicht aufgehoben und so hoffen wir, euch dann im Frühjahr endlich das bis dahin fertige Resultat präsentieren zu können. Als kleinen Bonus gibts diesmal erneut einige Schmankerl aus dem reichhaltigen Fundus von Fotograph Josef Gruber.

Pisa vs. Livorno

Udinese vs. Livorno2005/06

// 103102 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

Pisa vs. LivornoAlle Bilder: Josef Gruber

1. FC heidenheim

Heidenheim… ja, was beziehungsweise wo ist eigentlich Heidenheim? So ungefähr ging bis vor Kurzem noch jedes Gespräch mit uns. Den großen Bekanntheitsschub

bekamen wir nämlich nicht nach dem Aufstieg in Liga 3, sondern erst vor ein paar Wochen, beim DFB-Pokalspielsieg gegen den Erstligisten aus Bremen. Nichtsdestotrotz wollen wir heute einmal ganz vorne anfangen, sogar noch vor den Zeiten des Heidenheimer Fussballclubs.

Wir schreiben das Jahr 2004. Ein kleiner Verbandsligist von der Ostalb kämpft sich durch den normalen Ligabetrieb vor gut 300 Zuschauern. Trotz des niederklassigen Spielbetriebes fanden sich rund fünf Fans des Heidenheimer Sportbundes, kurz HSB, die selbigen nicht nur optisch sondern auch akustisch unterstützen wollten. Noch vor dem Aufstieg in die Oberliga gründete man dann die Hellenstein Supporters. Der Grundstein für die heutige Szene wurde gelegt. Am Ende der Saison stieg man dann in die Oberliga Baden-Württemberg auf. Die kleine Ansammlung Aktiver, die damals noch vor der heutigen Gegengerade sang, wurde dank des Aufstiegs natürlich größer. Mittlerweile konnte man bei Heimspielen zehn, bei guten Spielen auch mal bis zu 20 Supportwillige motivieren. Zu dieser Zeit begann man dann, dem HSB auch auswärts zu folgen und pilgerte folglich durch ganz Baden-Württemberg. Als nächstes müssen wir kurz die Szene ignorieren und auf unseren Verein eingehen. Nachdem man sich in der Oberliga überraschend erfolgreich etabliert hatte, begann man mit den Planungen für den Sprung in die Drittklassigkeit. Damals, 2007, stand man dann leider vor einem unüberwindbaren Problem: den strengen Auflagen des DFB. Die Auflagen wären als HSB nicht zu bewältigen gewesen und aus diesem Grund spaltete sich die Fußballabteilung ab und gab sich den Namen 1. FC Heidenheim 1846. Der 1. FC, weil es zum einen der erste reine Fußballclub unserer Stadt war und 1846 um die Tradition der HSB-Zeit zu bewahren.

Nachdem man nun vier Jahre um den Aufstieg gespielt hatte, schaffte man es als FCH im Jahre 2008 endlich, die Oberliga hinter sich zu lassen. Mit der neuen Spielklasse und den damit verbundenen neuen Tribünen bekam unser mittlerweile fast 30 Aktive umfassender Haufen dann auch einen neuen Standort. Eine neue Fangruppierung hatte sich im Jahre 2007

ebenfalls gegründet: Inferno Heidenheim. Sie hielt leider nicht lange und so gründeten ein Großteil der Inferno-Mitglieder die heutige führende Ultrà-Gruppierung: Fanatico Boys. Außerdem zog man auf die Stehplatzränge auf der andere Seite des Spielfelds um. Dort erlebte man dann auch das erste Heidenheimer DFB-Pokalspiel gegen den späteren deutschen Meister Wolfsburg.

In der Regionalliga konnte man dann, natürlich auch durch den sportlichen Erfolg, einen regen Zuwachs verzeichnen. Man marschierte auf geradem Weg in Richtung 3. Liga und sang folglich immer öfter mit einem Block, der gut 30 Mann fasste.Nach dem Durchmarsch in Liga 3 war man gezwungen, ein 10.000 Zuschauer fassendes Stadion in Heidenheim vorzuweisen und so fingen die erneuten Umbauarbeiten des

kleine Szenen vorgestellt

Albstadions an. Mit den Stehplatzrängen an der Seitenlinie musste dann auch der aktive Kern seine Position erneut ändern. In kürzester Zeit wurden zwei Hintertortribünen aus dem Nichts gestampft, wovon eine dann unser neues Zuhause werden sollte. Nach reichlicher Überlegung entschied man sich, die Mannschaft ab sofort von der „Hintertortribüne Ost“ zu unterstützen. Pünktlich zum Anpfiff des ersten Drittligaspieltags hatte sich die aktive Szene also über einem Aufgang der Ost platziert. Der Block genau hinter dem Tor, den wir eigentlich beziehen wollten, war damals leider noch von

¨:

104 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

einem Zaun versperrt.Nachdem unsere Ost dann endlich ein Dach hatte und somit als fertig gestellt galt, konnte man den Verein davon überzeugen, den Zaun zu verschieben und so zog die Szene ein letztes Mal um. Bis heute ist die Mitte des Hintertors Ost unser Standort. Auch in der dritthöchsten Spielklasse des deutschen Fußballs konnte man sich gut einleben und so wuchs die Szene stetig weiter. Am Ende der Saison, als wir zu unser aller Überraschung auf einem einstelligen Tabellenplatz standen, konnte man von circa 50 Supportwilligen sprechen. Außerdem konnte man am letzten Spieltag die erste Choreographie über die komplette Tribüne, unsere bis dato größte Choreo, hochziehen.

In der darauf folgenden Saison gründete sich eine weitere, heute ziemlich aktive Gruppe, Flavia Heidenheim. Außerdem mussten wir – leider – die allgegenwärtige „Sektion Stadionverbot“ eröffnen. Natürlich konnte man mit einem solchen Wachstum der Szene auch auswärts besser auftreten und so schafften die Fanatico Boys es, in dieser Saison erstmals einen Szenebus auf die

Beine zu stellen. Was vor gut einem Jahr bei Heimspielen nur mit Mühe und Not erreicht wurde, konnte man jetzt sogar bei Spielen in Dresden auf die Beine stellen.

Leider muss jeder Höhenflug einmal ein Ende haben und so endete auch unsere, scheinbar

unendliche Geschichte, sehr abrupt als uns Anfang Mai die Mitteilung eines schrecklichen Autounfalls ereilte. Unser Vorsänger, der auch der Gründer und Kopf der Fanatico Boys war, und ein weiterer Mitstreiter und enger Freund verstarben viel zu früh. Drei weitere Insassen, die alle Teil der Fanatico Boys und somit auch unserer Szene sind,

wurden verletzt, einer davon schwer.Kurz darauf gewann man den WFV-

Pokal, der uns dazu berechtigte, in den DFB-Pokal einzuziehen. Weder bei

diesem, noch bei dem letzten Ligaspiel in Braunschweig fand ein organisierter

Support statt. Viel zu schwer lag der Schatten der Ereignisse über uns. Trotz dieser für uns sehr schweren Situation musste es weitergehen und so zog man in der Sommerpause das „Hammerlos“ im DFB-Pokal: Werder Bremen. Und so kam es, dass man kurz nach dem Beginn der aktuellen Drittligasaison den schwer angeschlagenen Erstligisten in die Schranken wies und in die zweite Runde einzog.Kurz darauf schaffte man es an einem Freitagabend, zu den Amateuren aus Stuttgart erstmals zwei Szenebusse zu stellen. Man muss der Fairness halber erwähnen, dass es sich hier um gerade einmal 90 Minuten Busfahrt handelt, nichtsdestotrotz ein

stuttgart

reutlingen

aalen

ulm

freiburg

karlsruhe

heidenheim

Heidenheim:

Einwohner: 48.000Fläche: 107,1 km²Regierungsbezirk: StuttgartKfz-Kennzeichen: HDH

// 105

großer Schritt für uns. Aktuell im hier und heute kann man von rund 100 Aktiven, bei einem harten Kern von circa 40 Leuten bei Heimspielen sprechen. Bei „guten Spielen“ wie dem Derby gegen Aalen beispielsweise ziehen, wie üblich, auch mal mehr mit. Gegliedert ist das alles in eigentlich vier aktive Fangruppierungen: Fanatico Boys, Flavia, Hellenstein Supporters und Red Force. Ein Problem ist, dass es in Heidenheim keine „alte Generation“ gibt und wir uns deshalb praktisch nicht orientieren können. Auswärts stellen wir regelmäßig unseren Szenebus.

Ziele der SzeneMan könnte meinen, dass die Ziele bei uns in Heidenheim recht verschieden sind. Zum einen haben wir unsere führende Ultrà-Gruppierung, die Fanatico Boys, eine Gruppe, die in Richtung Ultrà tendiert, Flavia, und die reinen Supporter, Hellenstein Supporters & Red Force. Jede Gruppierung arbeitet natürlich individuell auf ihre Ziele hin aber dennoch schaffen wir es als Szene stets geschlossen in eine Richtung zu agieren.

Natürlich steht die akustische und optische Unterstützung immer an erster Stelle, aber dennoch liegt unser besonderes Augenmerk gerade auf drei anderen Punkten. Das sind zum einen der Erhalt der Fankultur, das restliche Stadion besser mit einzubeziehen und die Verankerung in der Stadt.Der Erhalt der Fankultur deswegen, da sich bei uns auf der Ostalb eine besorgniserregende Entwicklung abzeichnet. So werden wir bei Gastspielen in fremden Stadien immer mehr mit Verboten begrüßt, was im Fall Aalen sogar komplettes Materialverbot bedeutete. Den „Gerüchten“ zufolge soll dies beim Rückspiel wohl auch in unserem Gästeblock der Fall sein und genau das gilt es zu verhindern.

Wie oben bereits erwähnt, ist der zweite Punkt die Einbeziehung der restlichen Anhänger. Die Lage hat sich zwar bereits deutlich verbessert, aber man merkt immer noch recht deutlich, dass die Heidenheimer Anhänger den organisierten Support noch nicht gewohnt sind. Folglich wollen wir ihnen näher bringen, etwas mehr auf den Ruf der Kurve zu reagieren, wenn es beispielsweise heißt

„Steht auf…“ oder gemeinsam mit uns bei einem Freistoß einzuklatschen. Der dritte und letzte Punkt ist die Verankerung in der Region, der wohl am Stärksten von den Fanaticos vorangetrieben wird. Die Heidenheimer Zeitung berichtet leider maximal mit Boulevardzeitungsniveau und genau deshalb herrscht in Heidenheim der Irrglaube vom „bösen Gewaltäter-Ultrà“. Dem wollen wir natürlich entgegenwirken und versuchen deshalb immer wieder Aufklärungsarbeit zu leisten. Ziel ist es natürlich in einer Region zu wohnen, die geschlossen hinter dem Verein und natürlich auch den Fans steht. Beispielsweise treten die Fanatico Boys mit einem eigenen Stand am örtlichen Weihnachtsmarkt auf. Ansonsten kann man bei uns am Szenecontainer unter anderem Flyer von Amnesty International zu dem Thema „Kennzeichnungspflicht für Polizisten“ erhalten.

Freundschaften und FeindschaftenWirkliche Freundschaften gibt es in Heidenheim nicht. Hierbei handelt es sich lediglich um Einzelkontakte zu anderen Szenen, beziehungsweise meist anderen Einzelnen.Wir haben folglich auch, hingegen hartnäckiger Gerüchte, keine Fanfreundschaft mit Ingolstadt. Einzelpersonen der Hellenstein Supporters pflegen lediglich Kontakt zu Einzelpersonen der BRC Ingolstadt. Ansonsten pflegen die Fanaticos Kontakte mit der Fanszene Rot-Weiß Ahlen. In Sachen „Feindschaften“ gibt es eigentlich nur den SSV Ulm 1846! Leider gibt es keine Ligaspiele gegen die direkten Nachbarn mehr und so kann man nur jedes Jahr aufs Neue hoffen, die Spatzen im Pokal zu erwischen. Allerdings flacht die Rivalität, zumindest auf den Rängen, etwas ab, da eine wirkliche Ulmer Szene theoretisch nicht mehr existiert.

Der VfR Aalen ist entgegen vieler Meinungen kein wirklicher Feind von uns. Klar ist es ein sehr brisantes Spiel, unter anderem eben auch, weil hier die Rivalität aufgrund der regionalen Nähe etwas größer als beim Spiel gegen Bremen II ist.

106 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

Fotos und Text: Fanatico Boy`s

// 107

Gaziantepspor vs. Legia WarszawaUEFA-Cup Qualifikation - Runde III - 2011/12

© Jacek Wojcikowski / www.jp85.plNur eine Woche Zeit hatten die Fans des polnischen Hauptstadtvereins Legia Warszawa, um die Reise ins 55km von der türkisch-syrischen Grenze entfernt gelegene Gaziantep zu organisieren. Kurzerhand wurde ein eigener Tagesflieger mit 180 Plätzen gechartert, welcher zu einem erträglichen Preis von knapp 250 Euro angeboten werden konnte. Außerdem machte sich ein Kleinbus auf die 2.300km (einfach) lange Strecke, einige wenige sogar mit dem Zug und andere verbanden die Auswärtsfahrt mit einem Kurzurlaub an der türkischen Riviera. Insgesamt fanden sich schließlich 215 Hauptstädter (darunter 1 x Pogon Szczecin) im Gästeblock ein.

Die Ordnungskräfte hielten sich den gesamten Tag über dezent im Hintergrund. Lediglich am Eingang wurde sämtliches Kleingeld eingesammelt, welches letztlich aber in einen Topf geworfen und zugunsten der im Gefängnis sitzenden Freunde Verwendung finden wird. Der Heimblock umfasste rund 2.000 Fans, die mit den typisch türkischen Melodien aufwarteten. Oftmals stieg auch das restliche Publikum (12.000) mit in die Gesänge ein. (mo)

110 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin

03.10.2011 - ERC Ingolstadt vs. Augsburger EV - (c) www.kurvenblick1878.de.

// 111

MEDIENGEHÖRT, GESEHEN, GELESEN

Zu ihrem zehnten Geburtstag brachten die Jungs und Mädels von VAK410 ein 250 Seiten starkes Fotobuch auf den Markt, welches auf die letzten zehn Jahre von Ultra‘ in Amsterdam zurück blickt. Das Buch ist komplett in Farbe gehalten und beginnt auf den ersten Seiten mit einer kurzen Einleitung zur Ent-stehung der Gruppe, der 26.01.2001 wird dabei als offizielles Gründungs-datum geführt. Anschließend folgt eine kurze Erläuterung zum Tifo von VAK410, deren Choreographien und die Weiterentwicklung selbiger in den letzten zehn Jahren. Inspiriert wurden die Ultras aus Amsterdam am Anfang ihrer Gruppengeschich-te, wie viele andere auch, von Italien. Besonders angetan hatte es ihnen die Fossa die Leonie vom AC Mailand.Als nächstes folgt ein kleiner Blick auf den akustischen Part von VAK410. Auch hier haben sie sich in den Anfangsjahren von Italien inspirieren lassen. In der Saison 2003/2004 setzten sie erstmals ein Megaphon ein. Heute nutze sie, wie viele andere Gruppen in Europa, eine moderne Soundanlage und können damit ihren ganzen Block beschal-len. Außerdem orientieren sie sich heutzutage sehr an Südamerika und nutzen verschiedene Stilrichtungen aus Argentinien. Desweiteren folgen kurze Texte zu fünf Jahren VAK410 und den verschiedenen Heimza-unfahnen, angefangen mit „410 supporters Ajax“ bis zur heutigen Zehnjahres Zaunfahne. Zum Schluss folgen kurze Erläuterung zum

Blockwechsel und zur Organisation. VAK410 steht nicht mehr in 410, weil der Block für die Größe der Gruppe zu klein war, sondern nennt mittlerweile die Block 424 und 425 ihr eigen. Wie in vielen anderen Gruppen auch, sind die Aufgaben auf verschiedenen Arbeitsgruppen verteilt. So dass sich die einen ums Merchandise, die anderen um den Tifo und wieder andere um den Shop kümmern. Anschließend geht es endlich mit den Bilder los. Dabei wird chronologisch auf jede Saison mit den besten Block-, Choreo- und Pyrofotos zurück geblickt. Zwischen den Saisons gibt es immer mal wie-der extra Kapitel wie z.B. „Smoke and Pyro“ , Aktionsvorbereitungen oder

Streetart. Außerdem folgen noch kur-ze Texte zu den Idealen von VAK410 und den Auswärtstouren in Europa. Natürlich dürfen die dazugehörigen Bilder nicht fehlen. Den Abschluss des Buches bildet die Feierlichkeiten rund um den zehnten Geburtstag. Von Choreovorbereitung über den Corteo bis zur Action im Stadion ist alles auf Bild festgehalten und findet sich im Buch wieder. Die letzte Seite ist mit den obligatorischen Grüßen und Danksagungen versehen. Alles in allem, ein beeindruckendes Buch, welches mit sehr imposanten Fotos glänzen kann.Zu bekommen ist das Buch für 25 Euro + Porto im Webshop von VAK410.

>> GELESEN Eine Rezension von Rallo Radize

10 Jahre VAK 410Een decenium lang achter Ajax Amsterdam

>> 25,00 EUR250 Fotoseiten!

Unter dem Titel „Nur für diesen Verein“ bringt die „Violet Crew“ ihr zweites Machwerk ihrer nun bald zehnjäh-rigen Gruppenhistorie auf den Markt und liefert damit eine fast 75-minütige Vorstellung Osnabrücker Fankultur. Eine überraschend professionelle Aufmachung verbirgt sich hinter der Verpackung des Titels, welcher sich den Leitspruch des bekannten Vereinslieds „Wir sind alle ein Stück VfL Osnabrück“ zum Namenspaten gemacht hat. Neben einer für Veröffentlichungen dieser Art nicht immer standardisierten da gepressten Scheibe kommt auch das sechsseitige Booklet samt Hülle und Cover in einem schlichten aber dennoch aussagekräftigen Design daher, was sofort Lust auf mehr macht.

Der komplett selbst inszenierte Streifen beginnt zunächst mit einem dokumentarischen Abriss über die verschiedenen Anreisemöglichkeiten der Gruppe zu einem Spiel des VfL Osnabrück. So werden die ZuschauerInnen einige Minuten ZeugInnen, wie sich die „Fanszene Osnabrück“ auf Deutschlands Straßen-, Schienen- und Luftstraßennetz bewegt, ehe die ersten Support- bzw. Tifo-Sequenzen starten und eine bunte Abfolge diverser Auswärtsspiele ohne den Anspruch auf eine chronologische Rahmenordnung folgt. Bereits an

dieser frühen Stelle des Films fällt dem BetrachterInnen-auge die stark schwankende Qualität der einzelnen Ka-meraeinstellungen auf, was jedoch bereits im eingangs erwähnten Booklet mit der Begründung repressiver Auflagen für die Gruppe samt ihrem Filmteam erklärend abgehandelt wird und somit natürlich komplett aus der Wertung fließt. Wer nun glaubt, dass die OsnabrückerIn-nen zumindest bei Heimspielen in Ruhe ihrer Arbeit, der Herstellung des Films, nachgehen können, irrt gewaltig, denn auch hier greift die strenge Vereinsführung durch und reglementiert den Einsatz der Technik immens.

Die weiteren Kapitel, welche jeweils mit einer Art „Klap-pentext“, bekannt aus vergleichbaren Publikationen anderer Ultrasgruppen wie zum Beispiel aus Reutlingen, beginnen, bedienen sich vielerlei Aspekten der Bewe-gung Ultrá. So wird dem Subthema „Choreographien“ in etwa eine eigene Nische gewährt, in der sowohl die Herstellung als auch Durchführung exemplarisch aufge-zeigt wird, aber auch die im Oktober 2010 stattgefunde-ne Demonstration unter dem Motto „Für den Erhalt der

Fankultur“ oder jährlich von der Gruppe besuch-te „Freiheit statt Angst“-Demo, bei der sich die violetten Ultras jeweils mit der leidigen Überwachungs-thematik ausei-nandergesetzt haben, wurden mit der Kamera begleitet. Sons-tige Aktivitäten außerhalb der Stadien werden im weiteren Verlauf des Films aus mei-ner Sicht leider etwas zu kurz ergo oberflächlich angerissen, wenn es zum Beispiel darum geht, den ins Leben gerufenen „Ju-

gendtag“ oder diverse Fußballtur-niere und Partys für Außenstehende ausreichend darzulegen. An dieser Stelle hätten die MacherInnen sicherlich gut dran getan, einige ergänzende Audiokommentare für nicht szenekundige KäuferInnen mitzuliefern.

Stattdessen setzt der „Film von Fans für Fans“ lieber weiter auf

Spieltagsbilder, die aber durchaus abwechslungsreich mit Corteo- und Intro-Sequenzen daherkommen können, wobei die begleitende Musik ihren Teil dazu beiträgt, eine gelöste Grundstimmung zu transportieren. Ein nachdenklicher Part, der den harten Leidensweg der „Sektion Stadionverbot“ vor den Stadien begleitet, stellt für mich das wohl mit Abstand interessanteste, da vorher noch nirgendwo anders gesehene, Kapitel dar. Ob gemeinsamer Torjubel in der Kneipe oder die „Sektion SV bleibt im Spiel!“-Aktion an der Bremer Brücke – die Kamera ist vor Ort dabei!

Als Fazit bleibt eine uneingeschränkte Kaufempfehlung für all‘ diejenigen auszusprechen, welche einen Blick über den Tellerrand riskieren wollen, ohne die heimi-schen vier Wände zu verlassen. FreundInnen von aus-gepfeiltem Liedgut und innovativem Filmdesign bleibt der Sammelaspekt einer grundsoliden, reinen Ultrá-DVD, die mit fairen 10,- Euro plus Portokosten sicherlich keine Fehlinvestition darstellen wird. In beiden Fällen gilt daher, wie immer: Copy kills Ultrá!

>> GESEHEN Eine Rezension von Jan Milde

„Nur für diesen Verein“Ein Film der Violet Crew Osnabrück

>> 10,00 EURFilm von Fans für Fans

112 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 113

Der Titel des Bildbandes klingt verheissungsvoll, besonders für diejenigen, die bislang noch nicht das Vergnügen hatten sich im nicht zu unrecht als Welthauptstadt des Fuß-

balls betitelten Buenos Aires bewegen zu dürfen. Doch nicht nur dieser sicherlich verschwindend geringe Teil kommt beim Betrachten des Buches vollkommen auf seine Kosten. Coddou ist ein Profi und beweist Mut. Ersteres belegen seine hochwertigen Fotogra-phien, die trotz manchmal einfacher Motive schon fast als Kunstwerke bezeichnet werden können. Zweiteres die Tatsache, dass nicht unnötig viele Bilder lieblos zusammengeschustert wurden, sondern durch großflächige Darstellung (max. 1 Foto pro Seite)

scharf selektiert wurde. Das lässt jedes Bild als etwas ganz Besonderes erscheinen und ergibt in der Summeein mit viel Herzblut erstelltes Machwerk.All diejenigen, die bereits mal in Bu-enos Aires verweilen durften kommen somit an dem Titel nicht drumherum. Für andere, die auch mit einem Be-such auf der Südhalbkugel liebäugeln das ideale Geschenk. Einen großen Pluspunkt gibt’s noch für das Format und die hochwertige Verarbeitung. Kaufen!

>> GELESEN Eine Rezension von Mirko Otto

Buenos AiresDie Welthauptstadt des Fußballs

>> 25,00 EUREdition Panorama, 315 Seiten

114 - 116 // Blickfang Ultrà - Das Magazin // 115

Fast 3 Jahre des Wartens sind vergangen, seit Anfang 2009 ein vielversprechender Trailer im Internet kursierte. Was natürlich weniger förderlich für die eh schon skeptische Grundhaltung der „Sprüher-gemeinde“ war. Nichts desto

trotz ist das Endergebnis das was zählt und das kann sich nach vielen vielen dunklen Stunden im Keller, stres-sigen Sicherheitsvorkehrungen und vor allem viel Blut, Schweiß und Tränen bei den Akteuren sehen lassen. Entstanden ist ein Film bzw. 2 Filme, die mit der ersten

Version von 2009 nur noch wenig zu tun haben. Beson-deres Augenmerk verdienen hier vor allem die 4 deutschen U-Bahnsysteme, welche in einer Stunde und 20 Minuten ordentlich Farbe abbekom-men. Ausserdem mit dabei Rostock, Stuttgart, Wien, Mai-land, London, Paris, Marseille, Kopenhagen, Stockholm, Oslo, Helsinki, Athen, Prag, Bukarest und zu guterletzt New York

in selber Länge. Interessant für die BFU-Leser dürften dabei die vielen Hansa-Schmiererein sein. Die ersten Exemplare haben ausserdem ein 40seitiges Booklet mit Anekdoten und Situationen aus den einzelnen Städten beiliegen. Man darf auf das Resultat also durchaus gespannt sein. (mo)

>> GESEHEN / PREVIEW

„i love trains - the movie“Rostock, Erscheinungstermin: Dezember 2011

>> 24,90 EURfür die Doppel-DVD

Eine Rezension von Mirko Otto

Das Schöne am ehemals geteilten Deutschland ist unsere dadurch entstandene unterschiedliche Fuß-ballvergangenheit. Und das Schöne daran ist, dass man diese Ver-gangenheit heute noch immer spüren kann. Im Stadion, bei den Fans, in den Städten. Frank Willmanns Buch gibt dem Zonenfußball und seinen Facetten dafür mit seinem Buch einen schönen

Rahmen. Kurzgeschichten, Essays und Erinnerungen unterschiedlichster Fußballfans reihen sich aneinander. Es sind romantische Geschichten aus den Kindertagen, rebellische Fahrten mit dem Zug aus der Provinz in die Hauptstadt der Republik aber auch sehr aktuelle Texte, die dem Leser einen immer subjektiven Einblick in die Gedankenwelt des Ostens oder auch über den Osten

geben. Wunderschöne Texte aus der Alltagswelt der Autoren. Immer unterschiedlich in ihrer Sprache und Gedankenwelt, aber alle mit Liebe verfasst. Ich hatte zumindest das Gefühl, dass jeder ein bisschen von seinen Gefühlen und seiner Stimmung, die er für den Zonenfußball(wahrscheinlich eher allgemein für Fußball) empfindet auch an den Leser weitergibt. Der gut aus-gewählte Mix an Texten und Autoren schafft es auch, dass man sich nicht in einer wiederholenden Schleife aus alten Erinnerungen wiederfindet, auch Vertreter der Ultrabewegung sind im Buch vertreten. Es ist überhaupt gut, dass so viele Sichtweisen im Buch vereint sind. Allein dafür (und natürlich für die schön geschriebenen Geschichten) gibt es eine Kaufempfehlung. Der Blick über den Tellerrand geht für uns Ultras mal nicht nur in andere Ultrà-Szenen, sondern einfach in andere Fußball-szenen und Zeiten. Deswegen schließe ich mit einem Auszug aus dem Buch, der unsere Vergangenheit und Gegenwart ganz gut verbindet: „ Zweihundert Schlach-tenbummler zelebrierten „La Ola“, ein Plätschern eher, aber der Einsatz stimmte. Ingmar und ich saßen etwas

abseits und dachten nicht daran, uns mit lächerlich zu machen. Ein Fehler möglicherweise, denn nun wurde der gesamte Block auf uns aufmerksam. Fünf kräftige Männer lösten sich aus der Menge, kamen auf uns zu und kreisten uns ein. Mein Pullover leuchtete in einem Weinrot, das jedem BFC-Trikot zur Ehre gereicht hätte. Es sah nicht gut für uns aus. Ich versuchte die Skeptiker positiv zu beeinflussen, indem ich aufstand, die Faust reckte und laut „Aue“ rief. Es beeindruckte sie nicht. Stattdessen trat einer von ihnen auf uns zu und forderte uns ernsthaft auf, ihm unsere „Persos“, also unsere Per-sonalausweise zu zeigen. Ich dankte Gott, dass wir uns aus Faulheit noch nicht in Berlin angemeldet hatten.“

FIGHT FOR YOUR RIGHT TO PARTYDer Fußballplatz. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2011. Dies sind die Abenteuer des Zonen-fußballs, seit über zwanzig Jahren unterwegs auf der Suche nach Glück und Erfolg. Viele Lichtjahre dringt die Kunde seines Scheiterns in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

Verehrter Leser, glaube mir und schau auf das gegenwärtige deutsche Fußballland. Überall ver-

blühte Ostklubs im Meer west-germanischer Großkopfeten. In der ersten deutschen Spielklasse findet sich nicht ein Zonenklub wieder. In Liga zwo nagen Union Berlin, Erzgebige Aue, Dynamo Dresden, Hansa Rostock und Energie Cottbus an Schinkenkno-chen. In Liga drei sind Carl Zeiss Jena, Rot-Weiß Erfurt, Babelsberg 03 und der Chemnitzer FC anzu-

treffen. Gerade mal neun Klubs von sechsundfünf-zig dürfen sich Profiverein nennen.

Auf den folgenden Seiten erzählen wir euch, war-um das so ist (…)Was waren das für selige Zeiten, als man recht-schaffende Fußballer noch auf der Straße traf und ihnen in Ost und West ehrlich die Meinung geigen konnte. Heute ist hochklassiger Fußball zum fetti-gen Event verkommen. Kapital und Werbeindustrie diktieren uns den Spielplan (…)Verlogene Geschäftemacherei, soweit mein entzün-detes Auge blickt!Doch bedenke, früher waren auch alle gegen alle (…)

Haltet euch fest, KameradInnen: Beamen wir uns zurück in eine Zeit, als rote Brause in Strömen floss und bisweilen alles 7, 8, 9, 10, Klasse war.

[Aus dem Vorwort von Frank Willmann]

>> GELESEN Eine Rezension von Frankie Q.

„Zonenfußball“Von Wismut Aue bis Rotes Banner Trinwillershagen

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