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Hyperplasien W. Gstöttner und H.-P. Zenner Adenoide, Rachenmandelhyperplasie Adenoide Vegetationen sind lymphoepitheliales Gewebe im Nasen-Rachen-Raum mit physiologischer Abwehrfunktion. Bei Verlegung des Nasen-Rachen-Raumes und Komplika- tionen wie behinderter Nasenatmung, Ronchopathie, OSAS (obstruktives Schlafapnoe-Syndrom), Seromukotympanon und rezidivierenden Infekten ist die Adenotomie indiziert. Therapie Adenotomie: Die Adenotomie wird am hängenden Kopf (Abb.16-1) durchgeführt, um eine Blutaspiration bei gege- benenfalls nicht geblocktem Tubus zu vermeiden (s. Patien- teninformation „Adenotomie, Parazentese, Paukendraina- ge“). Operiert wird meist im Kindesalter, nach der Pubertät bilden sich die Adenoide zurück. Fremdgewebe im Epipha- rynx bei Erwachsenen muss zwingend histologisch abge- klärt werden. Postoperative Nachsorge s. Meth. 16-1, S. 334. Bei OSAS (s. S. 354) ist postoperativ eine stationäre Über- wachung in einem Überwachungsraum indiziert. Das Vorliegen von Gaumenspalten einschließlich submu- köser Gaumenspalten (ob operativ verschlossen oder nicht) ist eine relative Kontraindikation. Ein präoperatives phoni- atrisches Konzil zur Frage der Indikation und speziellen Operationstechnik (z.B. laterale Adenotomie) ist zwingend erforderlich. Postoperative Komplikationen: Nachblutungen sind häu- fig durch Adenoidreste bedingt und erfordern eine soforti- ge Revision mit Readenotomie. Extrem selten sind Verlet- zungen der Tubenöffnungen und Schäden der HWS. Rhinolalie: Bei bleibender Rhinolalie kann ein logopädi- scher Therapieversuch unternommen werden. Nicht selten ist sie auf eine schmerzbedingte Schonhaltung zurückzu- führen, die das Kind nach Ausheilung beibehält. Prognose Adenotomie: Nach einer Adenotomie ist die Prognose gut. Zumeist tritt eine sofortige Besserung des Allgemeinzustan- des bis hin zum Verschwinden der Komplikationen auf. Re- zidive sind bei Kleinkindern möglich und machen bei er- neutem Auftreten von Komplikationen die Readenotomie erforderlich. Extrem selten sind Verletzungen der Tubenöffnungen und Schäden der HWS. Postoperative Blutungen und Aspiration: Diese sind sehr selten und fast immer auf zurückgebliebenes adenoides Ge- webe zurückzuführen. Eine Nachblutung ist an häufigen Schluckbewegungen des Kindes erkennbar, nur selten an einer Hämoptoe. Die beste Kontrolle ist eine routinemäßige postoperative Racheninspektion. Als weitere Therapiekom- plikation tritt selten eine Rhinolalie auf. Sie ist fast immer vorübergehend. Eine erhöhte Rhinolaliegefahr besteht bei einer Gaumenspalte einschließlich einer submukösen Gau- menspalte (Gaumen austasten). Ohne Therapie oder bei konservativer Therapie ohne Adenotomie: Es droht eine schwerwiegende Sprachent- wicklungsstörung als Folge einer Schallleitungsschwer- hörigkeit mit späterer Benachteiligung in der Schule auf- grund der Sprach- und Hörstörung. Fehleinschulungen in eine Sonderschule sind beschrieben. Die Schallleitungs- schwerhörigkeit ist Folge der adenoidinduzierten Tuben- ventilationsstörung, welche kurzfristig zu einem Seromuko- tympanon (s. Kap.10, S. 166), bei längerer Dauer zu seiner bindegewebigen Organisation mit Residuen und Trommel- felladhäsionen führt. Ein Übergang in eine chronische Mit- telohrentzündung ist möglich (s. Kap. 8, Abschn. Entzün- dungen, S. 95, und Kap. 10, S. 166). Es können häufig akute Mittelohrentzündungen mit Fieber, Bettlägerigkeit und Schulunfähigkeit auftreten. Möglich ist auch eine Pseudo- demenz mit schlechten Leistungen in der Schule durch Schlafhypoxie und Hyperkapnie sowie durch häufige Schlaf- unterbrechungen mit nachfolgender Müdigkeit und Apa- thie oder auch kompensatorischem hyperaktivem Verhalten (sog. „verhaltensgestörtes“ Kind) tagsüber in der Schule. Beim Kleinkind kann eine Ernährungsbehinderung auf- treten. Anders als Erwachsene atmen Säuglinge und Klein- kinder während der Nahrungsaufnahme durch die Nase. Bei insuffizienter Nasenatmung erfolgt eine Mundatmung zuungunsten der Nahrungsaufnahme. Die Eltern beobach- ten daher Appetitlosigkeit und Gedeihstörungen. Darüber hinaus ist die Ausbildung eines kindlichen OSAS (s. S. 354) möglich. Entzündungen der abhängigen, in der Belüftung gestörten Organe sind neben der Erkrankung des Ohrs häufig. Es können eine chronisch eitrige Rhinitis, Sinusitis (s. Kap.14.4, Abschn. Entzündungen, S. 274), Laryngitis (s. Kap. 17, Abschn. Entzündungen, Laryngopathien, S.368), Tracheitis (s. Kap. 18, Abschn. Entzündungen, S. 400) und/oder Bron- chitis auftreten. Bei lang dauernder erzwungener Mundat- mung sind ein Fehlwachstum des Oberkiefers und Zahn- stellungsanomalien beschrieben, da der für die korrekte Kieferentwicklung erforderliche Kontakt zwischen Ober- und Unterkiefer durch die ständige Mundatmung unter- brochen wird. @ Patienteninformation „Adenotomie, Parazentese, Paukendrainage“ Entfernung der Rachenmandel mit sogenannter Pau- kendrainage (Adenotomie, volkstümlich auch: Polypen- entfernung im Kindesalter): Eine vergrößerte Rachen- mandel sitzt hinter der Nase und führt bei Kindern zu vielfachen Störungen wie Mundatmung, Dauerschnup- fen, Mittelohrentzündungen, Appetitlosigkeit, unruhi- gem Schlaf oder fehlerhafter Zahn- und Kieferstellung. 16 332 16 Erkrankungen des Pharynx

332 16 Erkrankungen des Pharynx fileunterbrechungen mit nachfolgender Müdigkeit und Apa-thie oder auch kompensatorischem hyperaktivemVerhalten (sog.„verhaltensgestörtes“ Kind)

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Hyperplasien

W. Gstöttner und H.-P. Zenner

Adenoide, Rachenmandelhyperplasie

Adenoide Vegetationen sind lymphoepitheliales Gewebe imNasen-Rachen-Raum mit physiologischer Abwehrfunktion.Bei Verlegung des Nasen-Rachen-Raumes und Komplika-tionen wie behinderter Nasenatmung, Ronchopathie, OSAS(obstruktives Schlafapnoe-Syndrom), Seromukotympanonund rezidivierenden Infekten ist die Adenotomie indiziert.

TherapieAdenotomie: Die Adenotomie wird am hängenden Kopf(Abb. 16-1) durchgeführt, um eine Blutaspiration bei gege-benenfalls nicht geblocktem Tubus zu vermeiden (s. Patien-teninformation „Adenotomie, Parazentese, Paukendraina-ge“). Operiert wird meist im Kindesalter, nach der Pubertätbilden sich die Adenoide zurück. Fremdgewebe im Epipha-rynx bei Erwachsenen muss zwingend histologisch abge-klärt werden.Postoperative Nachsorge s. Meth. 16-1, S. 334.Bei OSAS (s. S. 354) ist postoperativ eine stationäre Über-wachung in einem Überwachungsraum indiziert.Das Vorliegen von Gaumenspalten einschließlich submu-köser Gaumenspalten (ob operativ verschlossen oder nicht)ist eine relative Kontraindikation. Ein präoperatives phoni-atrisches Konzil zur Frage der Indikation und speziellenOperationstechnik (z.B. laterale Adenotomie) ist zwingenderforderlich.Postoperative Komplikationen: Nachblutungen sind häu-fig durch Adenoidreste bedingt und erfordern eine soforti-ge Revision mit Readenotomie. Extrem selten sind Verlet-zungen der Tubenöffnungen und Schäden der HWS.Rhinolalie: Bei bleibender Rhinolalie kann ein logopädi-scher Therapieversuch unternommen werden. Nicht seltenist sie auf eine schmerzbedingte Schonhaltung zurückzu-führen, die das Kind nach Ausheilung beibehält.

PrognoseAdenotomie: Nach einer Adenotomie ist die Prognose gut.Zumeist tritt eine sofortige Besserung des Allgemeinzustan-des bis hin zum Verschwinden der Komplikationen auf. Re-zidive sind bei Kleinkindern möglich und machen bei er-neutem Auftreten von Komplikationen die Readenotomieerforderlich.Extrem selten sind Verletzungen der Tubenöffnungen undSchäden der HWS.Postoperative Blutungen und Aspiration: Diese sind sehrselten und fast immer auf zurückgebliebenes adenoides Ge-webe zurückzuführen. Eine Nachblutung ist an häufigenSchluckbewegungen des Kindes erkennbar, nur selten aneiner Hämoptoe. Die beste Kontrolle ist eine routinemäßige

postoperative Racheninspektion. Als weitere Therapiekom-plikation tritt selten eine Rhinolalie auf. Sie ist fast immervorübergehend. Eine erhöhte Rhinolaliegefahr besteht beieiner Gaumenspalte einschließlich einer submukösen Gau-menspalte (Gaumen austasten).Ohne Therapie oder bei konservativer Therapie ohneAdenotomie: Es droht eine schwerwiegende Sprachent-wicklungsstörung als Folge einer Schallleitungsschwer-hörigkeit mit späterer Benachteiligung in der Schule auf-grund der Sprach- und Hörstörung. Fehleinschulungenin eine Sonderschule sind beschrieben. Die Schallleitungs-schwerhörigkeit ist Folge der adenoidinduzierten Tuben-ventilationsstörung, welche kurzfristig zu einem Seromuko-tympanon (s. Kap. 10, S. 166), bei längerer Dauer zu seinerbindegewebigen Organisation mit Residuen und Trommel-felladhäsionen führt. Ein Übergang in eine chronische Mit-telohrentzündung ist möglich (s. Kap. 8, Abschn. Entzün-dungen, S. 95, und Kap. 10, S. 166). Es können häufig akuteMittelohrentzündungen mit Fieber, Bettlägerigkeit undSchulunfähigkeit auftreten. Möglich ist auch eine Pseudo-demenz mit schlechten Leistungen in der Schule durchSchlafhypoxie und Hyperkapnie sowie durch häufige Schlaf-unterbrechungen mit nachfolgender Müdigkeit und Apa-thie oder auch kompensatorischem hyperaktivem Verhalten(sog. „verhaltensgestörtes“ Kind) tagsüber in der Schule.Beim Kleinkind kann eine Ernährungsbehinderung auf-treten. Anders als Erwachsene atmen Säuglinge und Klein-kinder während der Nahrungsaufnahme durch die Nase.Bei insuffizienter Nasenatmung erfolgt eine Mundatmungzuungunsten der Nahrungsaufnahme. Die Eltern beobach-ten daher Appetitlosigkeit und Gedeihstörungen. Darüberhinaus ist die Ausbildung eines kindlichen OSAS (s. S. 354)möglich.Entzündungen der abhängigen, in der Belüftung gestörtenOrgane sind neben der Erkrankung des Ohrs häufig. Eskönnen eine chronisch eitrige Rhinitis, Sinusitis (s. Kap. 14.4,Abschn. Entzündungen, S. 274), Laryngitis (s. Kap. 17,Abschn. Entzündungen, Laryngopathien, S. 368), Tracheitis(s. Kap. 18, Abschn. Entzündungen, S. 400) und/oder Bron-chitis auftreten. Bei lang dauernder erzwungener Mundat-mung sind ein Fehlwachstum des Oberkiefers und Zahn-stellungsanomalien beschrieben, da der für die korrekteKieferentwicklung erforderliche Kontakt zwischen Ober-und Unterkiefer durch die ständige Mundatmung unter-brochen wird.

@ Patienteninformation „Adenotomie, Parazentese,Paukendrainage“

Entfernung der Rachenmandel mit sogenannter Pau-kendrainage (Adenotomie, volkstümlich auch: Polypen-entfernung im Kindesalter): Eine vergrößerte Rachen-mandel sitzt hinter der Nase und führt bei Kindern zuvielfachen Störungen wie Mundatmung, Dauerschnup-fen, Mittelohrentzündungen, Appetitlosigkeit, unruhi-gem Schlaf oder fehlerhafter Zahn- und Kieferstellung.

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Beatmungs-tubus

Zungengrund

Tonsillen-schnürer

Uvula

kaudal

kraniala b

c d

Abb. 16-1 Adenotomie, Tonsillektomie und Tonsillotomie. a Ade-notomie mit Beckmann-Messer. b Tonsillektomie: Nach extrakap-sulärer Lösung der Tonsille Abtragung mit der Schlinge am Über-gang zum Zungengrund. c Tonsillotomie: Der ins Pharynxlumen

hineinragende Anteil der Tonsille wird von der Resttonsille abge-löst. d Resttonsille bei Ende einer Tonsillotomie. Alle Eingriffe er-folgen am hängenden Kopf, um eine Blutaspiration zu vermei-den.

�Die vergrößerte Rachenmandel wird in einer kurzenNarkose durch den geöffneten Mund des Kindes mög-lichst vollständig entfernt. Eine Nachblutung ist sehr sel-ten und erfordert gegebenenfalls eine Nachoperation.Falls nach Entlassung eine Blutung auftreten sollte, müs-sen Sie mit dem Kind wieder die Klinik aufsuchen.Paukendrainage: Eine große Rachenmandel stellt imNasenrachen des Kindes eine Quelle immer wiederkeh-render Infektionen dar. Da im Nasen-Rachen-Raumauch eine offene Verbindung vom Mittelohr zum Ra-chen endet, die sogenannte Eustachische Röhre, kommtes häufig auf diesem Weg zu Entzündungen des Mittel-ohrs mit Sekretansammlungen hinter dem Trommelfell(sog. feuchter Tubenmittelohrkatarrh). Diese Flüssigkeitim Mittelohr (Paukenerguss) muss unbedingt abgelassenwerden, da sie sonst eindickt und Narben in der Pauken-höhle bildet, aus denen dann eine chronische Mittelohr-entzündung mit vielleicht bleibender Schwerhörigkeitentstehen kann. Um dies zu verhindern, wird ein kleinerSchnitt ins Trommelfell gemacht, in den für einige Wo-

�chen ein Goldröhrchen eingelegt wird (= Paukendraina-ge), was praktisch keinerlei Beschwerden verursacht.Eine Verletzung der Gehörknöchelchenkette ist dabei un-wahrscheinlich. In vielen Fällen stößt sich dieses Röhr-chen von selbst in den äußeren Gehörgang ab; andern-falls wird das Drainageröhrchen in einer Kurznarkoseambulant wieder entfernt. Das Trommelfell verschließtsich danach fast immer spontan in wenigen Tagen. Wäh-rend das Röhrchen im Trommelfell liegt, muss strengdarauf geachtet werden, dass kein Wasser in den Gehör-gang gelangt (Haare waschen usw.), da sonst eine akuteMittelohrentzündung entsteht.Es versteht sich von selbst, dass die aufgeführten Eingrif-fe, falls erforderlich, in ein und derselben Sitzung vorge-nommen werden. Nach der Operation sollte das Kind5 Tage lang weiche Kost essen, unter Aufsicht sein undnicht herumtoben. Nach 5 Tagen darf es die Schule wie-der besuchen, am Sport aber erst 2 Wochen nach derOperation wieder teilnehmen.

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333Hyperplasien

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�Falls Sie 4 Wochen nach der Operation feststellen, dassIhr Kind noch „durch die Nase spricht“, stellen Sie es bit-te erneut vor. Es ist sehr wichtig, dass dann bestimmteSprachübungen durchgeführt werden; andernfalls kanndas sogenannte „Näseln“ bestehen bleiben.Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass eine Impfung ge-gen Kinderlähmung (Polio-Schluckimpfung) nicht 2 Wo-chen vor und nach der Operation stattfinden sollte; beisogenannten Lebendimpfungen (z.B. Masern, Mumps,Tuberkulose, Röteln) erhöht sich der genannte Zeitraumauf 4 Wochen vor und nach der Operation. Diese Anga-ben gelten nur für Impfungen, die bei vorausgegangenenImpfterminen außerhalb der genannten Zeiträume be-reits einmal komplikationslos verlaufen sind.

Meth. 16-1 Nachbehandlung bei AdenotomieArbeitsunfähigkeit/Sport: Nach 1 Woche ist der Besuchdes Kindergartens bzw. der Schule wieder möglich.Schulsport muss für 2 Wochen unterbleiben.Nachblutung: Beim Auftreten einer Blutung aus Naseund/oder Mund erfolgt die sofortige Überweisung in dieHNO-Abteilung.Nachsorge: Eine routinemäßige Nachkontrolle findetam 8. postoperativen Tag statt, bei noch persistierendernasaler Schleimsekretion können Nasentropfen ordiniertwerden (Rp. 16-1).Bei weiter bestehender Mundatmung werden die Kinderzum Mundschließen angehalten.

Rp.16-1 NasentropfenSilbereiweißacetyltannat 0,10Otriven® 0,1 % 10,00Aqua dest. ad 20,00D. S. Nasentropfen mit Pipette

Tonsillenhyperplasie,Gaumenmandelhyperplasie

Große Tonsillen sind nur im Kleinkindesalter physiolo-gisch. Sie tragen bis etwa zum 3., 4. Lebensjahr immunbio-logisch vermutlich zur B-Zell-Reifung sowie zur Ausbil-dung des für die Schleimhaut zuständigen MALT („mucosaassociated lymphoid tissue“) bei. Dieses ist zuständig fürdie Formation und Auswanderung von Gedächtniszellen(„memory cells“) in benachbartes adenoides Gewebe (lym-phatischer Rachenring), aus welchen später IgA-J+-produ-zierende Immunzellen entstehen. IgA-J+-Antikörper kön-nen in der Nasenschleimhaut an eine Sc-Kette (Sc = „secre-tory chain“) gekoppelt und als funktionsfähige sekretori-sche IgA-Antikörper in das Nasenlumen zur Immunabwehreindringender Antigene (z.B. nasale Zellprotektion gegenInfluenza-Viren) abgegeben werden. Nach Ausreifung desB-Zell-Systems sowie nach Auswanderung der MALT-Ge-

dächtniszellen haben die Gaumenmandeln keine Schlüssel-funktion mehr. Mit fortschreitendem Lebensalter (Einzel-heiten s. Meth. 16-2, S. 335) kommt es zur Involution, kli-nisch an der massiven Verkleinerung zu erkennen.Eine pathologische Hyperplasie, deren ausgeprägteste Formbei Berührung der Tonsillen in der Medianlinie vorliegt(„kissing tonsils“), hat ein Atem- und Schluckhindernis zurFolge. Folgen können Gedeihstörung, obstruktive Dyspha-gie, obstruktive respiratorische Störungen, Schnarchen oderein OSAS sein. Folge eines OSAS kann eine Pseudodemenzmit schlechten Schulleistungen durch Schlafhypoxie undHyperkapnie sowie häufige Schlafunterbrechungen mit Mü-digkeit und Apathie tagsüber in der Schule sein. Eine andereschulische Reaktionsform ist das sogenannte „verhaltensge-störte Schulkind“, das tagsüber durch eine motorische Hy-peraktivität zur Kompensation der nächtlichen Schlaf- undAtemstörung gekennzeichnet ist. Eine pathologische Hyper-plasie der Gaumenmandel ist fast immer mit einer pathologi-schen Hyperplasie der Rachenmandel (Adenoide) verbunden.

TherapieTonsillektomie, eventuell Tonsillotomie: Bei Kindernkann man bis zum 6. bzw. 8. Lebensjahr unter bestimmtenBedingungen (entzündungsfreie Hyperplasie plus Zusatzin-dikation) statt einer Tonsillektomie auch eine Tonsillotomiedurchführen. Die eingeschränkte Indikation zur Tonsilloto-mie einschließlich der zugrunde liegenden Immun- undAbszesshypothesen werden in Meth. 16-2 (S. 335) und Ta-belle 16-1 dargestellt. Bei der Tonsillektomie wird die Ton-sille vollständig, bei der Tonsillotomie partiell entfernt. Beider Tonsillotomie erfolgt deshalb die Schnittführung durchdie Tonsille unter Schonung des vorderen und hinterenGaumenbogens. Die medialen hyperplastischen Tonsillen-anteile werden entfernt, der lateral zwischen den Gaumen-bögen liegende Tonsillenanteil bleibt erhalten (s. Abb. 16-1).Grundsätzlich werden die Tonsillotomie und die Tonsillek-tomie beidseits durchgeführt. Bei (extrem seltenem) Mali-gnomverdacht kann ausnahmsweise eine einseitige Tonsill-ektomie in Betracht gezogen werden.Bei älteren Kindern und Erwachsenen ist nur eine Ton-sillektomie indiziert.Epipharyngoskopie: Tonsillektomie und Tonsillotomiewerden mit einer Nasopharyngoskopie kombiniert, sodassbei Adenoiden auch diese entfernt werden (Elterninforma-tion, s. Meth. 16-2, S. 335, und Patienteninformation Ton-sillektomie, S. 336).Bei gleichzeitig bestehendem Paukenerguss s. Kap. 8, Ab-schn. Tubenventilationsstörungen, S. 88, und Kap. 10, S. 166.Bei Gaumenspalten (korrigiert, nicht korrigiert oder sub-mukös) und/oder Uvula bifida: Hier wird das operativeVorgehen in Zusammenarbeit mit dem Phoniater geplant.Nach Operationen bei OSAS erfolgt die stationäre Nach-sorge in einem Überwachungsraum.Bei Gerinnungsstörungen: Vorrangig ist eine Ursachenab-klärung der Gerinnungsstörung und gegebenenfalls eine

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Tab. 16-1 Differenzialindikationen Tonsillektomie/Tonsillotomie.

Indikation Tonsillektomie Tonsillotomie

� chronische bzw. rezidivierende Tonsillitis + –� Fokus (Chorea minor, Endokarditis, rheumatisches Fieber, Gelenkrheuma) + –� akute, nekrotisierende bzw. obstruktive Tonsillitis (z.B. bei M. Pfeiffer) + –� Peri- bzw. Paratonsillarabszess + –� Tumor(-verdacht) + –� Tonsillenhyperplasie mit obstruktiven Beschwerden (s.o.) bei Patienten älter als 6−8 Jahre + –� Tonsillenhyperplasie mit obstruktiven Beschwerden (s.o.) bis zum 6.−8. Lebensjahr;

Entscheidung zwischen beiden Methoden unter Berücksichtigung der Elternaufklärung(s. Meth. 16-2)

+ +

entsprechende Therapie. Bei entsprechender Indikation istgegebenenfalls die Tonsillotomie einer Tonsillektomie vor-zuziehen.Nachblutungen: Die postoperative Blutungsrate bei Ton-sillotomie ist geringer als nach Tonsillektomie. Zur Reduk-tion des Nachblutungsrisikos sind alternative Tonsillekto-miemethoden in der Diskussion (s. Meth. 16-3, S. 342). Beikleineren Blutungen: Eiskrawatte, Mundspülung mit Eis-wasser (evtl. mit Privin®-Zusatz), Einsprühen mit Privin®1 :1000. Im Falle einer stärkeren Nachblutung erfolgt dieBlutstillung mit der bipolaren Kaustik (vorher einsprühenmit 1 :1-Gemisch aus Privin® 1 :1000/Pantocain 2 %) oderes wird zunächst ein konservativer Versuch mit Umsprit-zen des Blutungsherdes mit Epinephrin (z.B. Xylocain®1 %/-2 % mit Adrenalin 1 :200 000 Injektionslösung) unter-nommen. Bei starker Nachblutung ist eine Revisionsopera-tion mit intraoperativer Koagulation oder Umstechung derblutenden Gefäße (Cave: atypischer Verlauf von A. carotisinterna, A. maxillaris und A. lingualis) indiziert. Bei Persis-tenz einer diffusen Blutung wird zu deren Stillung ein Hä-mostyptikum (z.B. TABOTAMP) verwendet, über dem dieGaumenbögen verschlossen werden. Im Extremfall mussdie A. carotis externa unterbunden werden. Postoperativkönnen Blutungen auftreten, insbesondere wenn das Ton-sillengewebe nicht vollständig entfernt wurde.

PrognoseOhne Operation einer pathologischen Gaumenmandel-hyperplasie oder bei verlangsamter Rückbildung ist miteiner verzögerten Spontaninvolution im Verlauf eines Jahr-zehntes zu rechnen. Die Folge ist ein mechanisches Atem-und Schluckhindernis mit Gedeihstörung.Bei einer Tonsillotomie/Tonsillektomie bzw. zumeistAdenotonsillotomie/Adenotonsillektomie ist in der Regeleine auffällige Sofortbesserung des Allgemeinzustandes desKindes mit einer Normalisierung des Appetits und nachfol-gender Normalisierung der Körperentwicklung zu beob-achten. Die Manifestationshäufigkeit von Infekten der obe-ren Luftwege wird gesenkt und entspricht der Infekthäufig-keit in einem Normalkollektiv.

Eine gelegentliche Rhinolalie kann durch eine ursprüng-lich durch den postoperativen Wundschmerz ausgelösteSchonhaltung des Gaumensegels ausgelöst werden. Sie istfast immer vorübergehend. Bei mehrwöchigem Anhaltensollte ein Phoniater zur Frage der Übungstherapie hinzuge-zogen werden.

Meth.16-2 TonsillotomieNeben der Tonsillektomie gehört heute auch die Tonsil-lotomie zum operativen Arsenal zahlreicher, aber nichtaller HNO-Chirurgen.Immunhypothese: Vertreter der Tonsillotomie lassensich von dem Gedanken der Tonsillen als immunkompe-tentes Organ des MALT („mucosa associated lymphoidtissue“) leiten, die für die Ausbildung der humoralen(antikörperabhängigen) Immunantwort in den erstenLebensjahren von Bedeutung sind. Die natürliche Invo-lutionsatrophie der Tonsillen ist ein klinisches Zeichen,dass die Bedeutung für die Generation der humoralenImmunantwort allerdings zeitlich befristet ist. Vermu-tungen gehen daher davon aus, dass deren Einfluss nachdem 3. Lebensjahr zurückgeht, andererseits lassen sichjedoch Anstiege der Antikörperproduktion bis zum10. Lebensjahr finden. Darauf beruhen Empfehlungen,vor dem 3. Lebensjahr keine Tonsillektomie durchzufüh-ren, aber auch Überlegungen, Tonsillengewebe möglichstlange zu erhalten.Abszesshypothese: Auf letzterer Überlegung beruht dieTonsillotomie, die es im Gegensatz zur Tonsillektomieerlaubt, die Tonsillen unter Erhalt von Tonsillengewebezu verkleinern. Ablehnende Haltungen gegenüber derTonsillotomie gehen vor allem von der Befürchtung aus,dass mit einer Tonsillotomie das Risiko eines späterenPeri- bzw. Paratonsillarabszesses erhöht würde.Weder für die die Tonsillotomie stützende Immunhypo-these noch für die die Tonsillotomie ablehnende Abszess-hypothese gibt es prospektive klinische Langzeitstudien,die die jeweilige Auffassung klinisch stützen würden.Indikationen: Nach Scherer ist eine Tonsillotomie be-schränkt auf Kinder bis zum Alter von 6 bis 8 Jahren

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�und bei diesen auf die Indikation „entzündungsfreieTonsillenhyperplasie“, wenn zusätzlich eine oder meh-rere der nachfolgenden Beschwerden bzw. Indikationenhinzukommen:� Gedeihstörung,� obstruktive Dysphagie,� obstruktive respiratorische Störung,� Schnarchen, OSAS (bei OSAS keine ambulante The-

rapie),� Gerinnungsstörung,� kraniofaziale Missbildungen.Bei 4- bis 6-jährigen Kindern, die eine akute Tonsilli-tis/Jahr durchgemacht haben, kann im Intervall vonentzündungsfreien Tonsillen ausgegangen werden,sodass im Falle einer Tonsillenhyperplasie mit oben ge-nannten Beschwerden bzw. Indikationen eine Tonsilloto-mie angezeigt sein kann.Gegenüber einer Tonsillektomie hat eine auf diese engenIndikationen beschränkte Tonsillotomie folgende medi-zinische Vorteile:� reduziertes Nachblutungsrisiko,� Schmerzreduktion,� kürzerer stationärer Aufenthalt, ambulante Opera-

tion,� Erhalt der Immunfunktion.Kontraindikationen:� Patienten älter als 6−8 Jahre: Bei Patienten mit Be-

schwerden und älter als 6−8 Jahre haben sich nachScherer zumeist bereits erste Veränderungen einerchronischen Tonsillitis entwickelt, weshalb die Indi-kation zur Tonsillotomie in der Regel überschrittenist und im Falle einer OP-Indikation dann eine Ton-sillektomie angezeigt ist;

� Tonsillenhyperplasie ohne Beschwerden;� Zustand nach Tonsillitiden (Ausnahme: eine akute

Tonsillitis/Jahr bis zum 4.−6. Lebensjahr);� Entzündungen (einschl. pathologisch erhöhtem Anti-

streptolysintiter);� Tumoren bzw. Tumorverdacht.Operationsmethoden: Folgende Methoden stehen füreine Tonsillotomie zur Verfügung:� Laser (CO2, Nd-YAG, Dioden);� Plasmakoagulation;� Shaver;� Tonsillotom;� schneidende Hochfrequenz-(HF-)Koagulationsinstru-

mente (monopolar, bipolar, Radiofrequenzinstru-mente).

Unter dem Hauptgesichtspunkt des Erhaltes einer ton-sillären Immunkompetenz ist für die aufwendigen Ver-fahren wie Laser und Plasmakoagulation kein Vorteil ge-genüber einfachen Operationsverfahren mittels Tonsillo-tom oder dem in Operationssälen häufig vorhandenenHF-„Messer“ zu erkennen. Letztere Verfahren sind damitausreichend.

�Elternaufklärung Tonsillotomie: Da für die Indikationzur Tonsillotomie grundsätzlich auch die Tonsillektomieinfrage kommt, ist es ratsam, die Eltern stets über dieVor- und Nachteile beider Verfahren aufzuklären und ih-nen die Entscheidung zu überlassen. Dies gilt auch dann,wenn der aufklärende Arzt nur eine der beiden Metho-den vertritt und bei Elternwunsch gegebenenfalls denPatienten einem Arzt zuweist, der die jeweils andere Me-thodik vertritt.

Hyperplasie der Zungengrundtonsillen

Man sieht eine auffällige, zum Teil blumenkohlartige Auf-treibung des Zungengrundes einseitig oder beidseitig, beimKind symptomlos, beim Erwachsenen verbunden mit Glo-busgefühl, Schnarchen, Schlafapnoe-Syndrom (s. S. 354).Eine Hyperplasie der Zungengrundtonsillen tritt gehäuftbei behinderter Nasenatmung auf.

TherapieKeine Therapie bei Symptomfreiheit.Bei Beschwerden: Zungengrundtonsillektomie mittelsElektrokauterisation, Shaver, RF-Laser- oder Kryochirurgie.Bei behinderter Nasenatmung: Behandlung der Nase (s.Kap. 14.3, Abschn. Entzündungen, Rhinopathien, S. 230).Bei OSAS s. S. 354.Siehe auch Patienteninformationen „Tonsillektomie (Ent-fernung der Gaumenmandeln)“ und „Verhaltensmaßregelnnach Mandeloperation (Tonsillektomie)“.

@ Patienteninformation „Tonsillektomie(Entfernung der Gaumenmandeln)“

Chronisch entzündete oder häufig kranke Mandeln sindein ständiger Infektionsherd. In den tiefen Buchten derMandeln bilden sich Eiterverhaltungen, die den Körperschwächen und andere Krankheiten hervorrufen können(z.B. Nierenentzündungen, Herzklappenentzündungen,Gelenkrheuma). Nachteile durch den Verlust der Man-deln entstehen nicht, da genügend ähnliches Gewebe ananderen Stellen des Körpers bleibt, das die Aufgabe derGaumenmandeln übernimmt. Bei der Mandelausschä-lung werden die Mandeln vollständig entfernt. Auch beisorgfältigster Operation können Nachblutungen auftre-ten. In einem solchen Fall sollten Sie sofort – auchnachts – den Arzt benachrichtigen. Häufiges Schluckendeutet auf eine solche Blutung hin.Bis zur vollen Arbeitsfähigkeit (Schulfähigkeit) vergehennach der Operation etwa 14 Tage. Da bei der Entlassungdie Operationswunden noch nicht verheilt sind, könnenSie noch einige Tage Schluck- und Ohrenschmerzen ha-ben. Meiden Sie in dieser Zeit harte, heiße und saureSpeisen, insbesondere ist der Genuss von frischem Obst(auch von Bananen) oder von Fruchtsäften untersagt.Falls es nach der Entlassung zu einer Blutung kommt,

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336 16 Erkrankungen des Pharynx

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�setzen Sie sich mit Ihrem Arzt in Verbindung. Eventuellmüssen Sie die Klinik wieder aufsuchen. Sehr seltenkommt es nach der Operation zu länger anhaltendenBeschwerden beim Schlucken und Sprechen.Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass eine Impfung ge-gen Kinderlähmung (Polio-Schluckimpfung) nicht2 Wochen vor und nach der Operation stattfinden sollte;für Mehrfachimpfungen und sogenannte Lebendimp-fungen (z.B. Masern, Mumps, Tuberkulose, Röteln) er-höht sich der genannte Zeitraum auf 4 Wochen vor undnach der Operation. Diese Angaben gelten nur für Imp-fungen, die bei vorausgegangenen Impfterminen außer-halb der genannten Zeiträume bei Ihnen bereits einmalkomplikationslos verlaufen sind.

@ Patienteninformation „Verhaltensmaßregeln nachMandeloperation (Tonsillektomie)“

� Essen: Zu meiden sind scharf gewürzte, saure, heißeund harte Speisen. Keinen Fisch, keine Nüsse, keinKrokant, keine Bonbons. Frisches Obst (auch Bana-nen) wegen der Fruchtsäure meiden.

� Trinken: Keinen Bohnenkaffee oder Alkohol wegender Kreislaufbelastung. Keine sauren und kohlensäu-rehaltigen Getränke, keine Fruchtsäfte.

� Kein Nikotin.� Jede körperliche Anstrengung vermeiden, nicht

schwer heben, nicht bücken, kein Sonnenbad. Auchlange Spaziergänge in praller Sonne sind zu meiden.Sport, Schulsport und Schwimmen sind 3 Wochennach der Operation wieder erlaubt.

� Verzichtet werden muss außerdem auf ein heißesVollbad sowie Haarewaschen und Gurgeln.

� Bei anhaltendem Husten, Räusperzwang oder er-schwertem Stuhlgang sind entsprechende Medika-mente angezeigt.

Die oben angeführten Verhaltensmaßregeln sollten min-destens bis zum 10. Tag, brauchen im Allgemeinen je-doch nicht länger als bis zum 14. Tag nach der Operationeingehalten zu werden.

Entzündungen

Akute Entzündungen

Akute Tonsillitis (Angina lacunaris,Angina tonsillaris)Die akute Tonsillitis ist eine durch A -hämolysierende Strep-tokokken (seltener Pneumokokken, Staphylokokken, Hae-mophilus influenzae) induzierte Entzündung. KlinischeSymptome sind beidseitige Rötung und Schwellung derGaumentonsillen, verbunden mit gelben Stippchen, starkeHalsschmerzen und hohe Temperaturen, eventuell auchSchüttelfrost.

TherapieAntibiotische Behandlung: Penicillin (z.B. Penicillin V-ratiopharm® oder Isocillin® 1,0−1,5 Mega, 3 × 1 Tbl./d, beiKindern z.B. Penicillin V-ratiopharm® TS Trockensaft; 1.−2. Lj.: 3- bis 4-mal ½ Messl./d, 2.−4. Lj.: 3- bis 4-mal1 Messl./d, 4.−8. Lj.: 3 × 1−1½ Messl./d, 8.−12. Lj.: 3 × 1½−2 Messl./d; Tab. 16-2).Bei Penicillin-Allergie: Erythromycin (z.B. Erythromycin-ratiopharm 500 Filmtabletten, 3 × 1 Tbl./d bis 3 × 2 Tbl./d,bei Kindern z.B. Erythromycin-Wolff®, Tagesdosis bis 8. Lj.25−50 mg/kg KG in 3−4 Einzeldosen verabreichen), alter-nativ Clindamycin (Sobelin® Kapseln/-Granulat; Kinder4. Wo.−14. Lj. 8−25 mg/kg KG/d in 3−4 Einzeldosen).Bei Therapieresistenz (u.U. A -Laktamase bildende Be-gleitkeime): Umstellung auf Amoxicillin plus Clavulan-säure (z.B. Augmentan®, 2 × 1 Tbl./d oder 3 × 1 Tabs/d, beiKindern z.B. Augmentan®-Trockensaft, entsprechend Al-ter und KG dosiert) oder Clindamycin (Sobelin®-Kap-seln/-Granulat) für Kinder 8−25 mg/kg KG in 3−4 Einzel-dosen).Bettruhe, Analgetikum, Antipyretikum (z.B. Paracetamol),weiche Kost, heiße Halswickel (z.B. Enelbin®).Bei Atemnot durch Kehlkopfödem: Micronephrin-Spray,Micronephrin-Vernebler, Privin® einsprühen, beim Kindfeuchte Kammer (Gitterbett mit feuchtem Tuch zuhängen).Nur im Notfall Intubation.

PrognoseIn der Regel gut. Ohne Antibiotikatherapie (s. Tab. 16-2)Gefahr von Retrotonsillarabszess (s. Abschn. TonsillogeneKomplikationen, S. 344) und eitriger Parotitis (s. Kap. 14.6,Abschn. Entzündungen, S. 316) mit Gefahr von Halsphleg-mone, Halsabszess, Thrombophlebitis der V. jugularis inter-na mit Sepsis sowie Mediastinitis (Lebensgefahr; s. Abschn.Tonsillogene Komplikationen, S. 344).Weiterhin ist die Entstehung einer Orbitalphlegmone,Meningitis, Kavernosusthrombose, eines Hirnabszesses (s.Kap. 14.4, Abschn. Komplikationen bei Nasennebenhöhlen-entzündungen, sinugene Komplikationen, S. 282) möglich.Darüber hinaus kann ein Begleitödem des Kehlkopfes mitAtemnot auftreten.

Epipharyngitis (Angina retronasalis)Bei einer Epipharyngitis handelt es sich um eine Entzün-dung der Rachenmandel entsprechend der Angina lacuna-ris oder virogen.

TherapieBei bakterieller Entzündung wie bei Angina lacunaris.

Angina lingualisDie Angina lingualis ist eine akute Entzündung der Zun-gengrundtonsillen. Ihre Entstehung entspricht der einerAngina lacunaris oder virogen.

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337Entzündungen

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Tab. 16-2 Antibiotikatherapie von Mund und Pharynx (nach: Federspil P et al. Antibiotikatherapie der Infektionen an Kopf und Hals.In: Ganzer U, Arnold W [Hrsg]. AWMF-Leitlinie HNO. 2004).

Diagnose Häufigste Erreger MikrobiologischeDiagnostik

Therapeutische Mittelder Wahl

Alternativen

Tonsillitisacuta

Viren:� Streptococcus pyogenes(bei Penicillinversagen u.a. anHaemophilus influenzae, Staphylo-coccus aureus denken)

bei Therapie-versagen

� Penicillin V über 10 TageBemerkung: Cave bei Mono-nukleose, Aminopenicillinekontraindiziert

� Cephalosporin 1 (2)� Makrolid� Ketolid ab 12 Jahre� Clindamycin

Scharlach � Streptococcus pyogenes in unklaren Fällen � Penicillin V über 10 Tagebei Therapieversagen:� Cephalosporin 1 (2)� Makrolid� Clindamycin

� Cephalosporin 1� Makrolid� Clindamycin

Diphtherie � Corynebacterium diphtheriae zwingend erforder-lich (Direktpräpa-rat und Kultur)

� Penicillin GBemerkung: Antitoxin bereitsbei Verdacht! Krankenhausein-weisung, Isolierung, Verdachtmeldepflichtig! Tonsillektomiebei den seltenen persistieren-den Bakterienträgern

� Erythromycin

Erysipel � Streptococcus pyogenes bei unklarerDiagnose Blut-kultur

� Penicillin G � Cephalosporin 1 (2)� Clindamycin� Makrolid

Epiglottitisacuta

Kinder:� Haemophilus influenzae Typ BErwachsene:� Streptokokken� Haemophilus influenzae Typ B� Staphylococcus aureus� Streptococcus pneumoniae

ggf. Blutkulturerforderlich

� Cefotaxim� CeftriaxonBemerkung: sofortigeKrankenhauseinweisung inIntubationsbereitschaft

� Aminopenicillin + Be-talaktamaseninhibitor

� Cephalosporin 2bei Nachweis vonS.aureus

Sialadenitis � Staphylococcus aureus� Streptokokken

empfehlenswert � Cephalosporin 1 (2) � Clindamycin� Aminopenicillin + Be-

talaktamaseninhibitor

Aktinomykose � Actinomyces israelii(häufig mit Staphylococcus aureusund Anaerobiern kombiniert)

erforderlich � Aminopenicillin + Beta-laktamaseninhibitor

� Penicillin G/V ± Metroni-dazol

� Aminopenicillin ± Metro-nidazol

Bemerkung: Therapiedauermindestens 4 Wochen

� Clindamycin� Doxycyclin + Metro-

nidazol

Plaut-Vincent-Angina

aerob-anaerobe Misch-infektion:� Fusobakterien, Treponemata

Direktpräparat � OralpenicillinBemerkung: bei leichtem Ver-lauf lediglich Lokaltherapie

� Cephalosporin 1 (2)� Clindamycin

Mundboden-phlegmone(meistodontogen)

� Streptococcus pyogenes� Staphylococcus aureus� Anaerobier

erforderlich ausWundsekret oderEiter und mög-lichst Blutkulturbei fieberhafterAllgemeinreaktion

� Aminopenicillin + Beta-laktamaseninhibitor i. v.,ggf. + Aminoglykosid

Bemerkung: Krankenhaus-einweisung wegen Ausbrei-tungsrisiko und obligaterchirurgischer Behandlung

� Clindamycin� i. v. Penicillin G +

Metronidazol-� Cephalosporin 1/2

+ Metronidazol, ggf.+ Aminoglykosid

� Imipenem

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338 16 Erkrankungen des Pharynx

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TherapieBei bakterieller Entzündung wie bei Angina lacunaris.

PrognoseEin Begleitödem des Kehlkopfes mit Atemnot bis zur Ersti-ckungsgefahr ist gehäuft möglich (s. Kap. 1.2, S. 5), ebenfallskann ein Zungenabszess auftreten (s. Kap. 14.5, S. 292).

Pharyngitis lateralis (Seitenstrangangina)Der Entstehungsmechanismus einer Pharyngitis lateralisverläuft wie bei Angina lacunaris. Sie ist gehäuft bei tonil-lektomierten Patienten zu beobachten.

TherapieWie bei Angina lacunaris.

ScharlachanginaKlinisches Symptom einer Scharlachangina ist eine durchA -hämolysierende Streptokokken der Gruppe A induzierte,düsterrote Schwellung der Gaumenmandel mit Himbeer-zunge, Petechien (Rumpel-Leede-Test) und fleckigem Gau-menerythem.

TherapieAntibiotische Behandlung: Penicillin (z.B. Penicillin V-ratiopharm® oder Isocillin® 1,0−1,5 Mega, 3 × 1 Tbl./d, beiKindern z.B. Penicillin V-ratiopharm® TS Trockensaft; 1.−2. Lj.: 3- bis 4-mal ½ Messl./d, 2.−4. Lj.: 3- bis 4-mal1 Messl./d, 4.−8. Lj.: 3 × 1−1½ Messl./d, 8.−12. Lj.: 3 × 1½−2 Messl./d; s. Tab. 16-2).Bei Penicillin-Allergie: Erythromycin (z.B. Erythromycin-ratiopharm 500 Filmtabletten, 3 × 1 Tbl./d bis 3 × 2 Tbl./d,bei Kindern z.B. Erythromycin-Wolff®, Tagesdosis bis 8. Lj.25−50 mg/kg KG in 3−4 Einzeldosen verabreichen), alter-nativ Clindamycin (Sobelin® Kapseln/-Granulat; Kinder4. Wo.−14. Lj. 8−25 mg/kg KG/d in 3−4 Einzeldosen).Bei Therapieresistenz (u.U. A -Laktamase bildende Begleit-keime): Umstellung auf Amoxicillin plus Clavulansäure(z.B. Augmentan®, 2 × 1 Tbl./d oder 3 × 1 Tabs/d, bei Kin-dern z.B. Augmentan®-Trockensaft, entsprechend Alterund KG dosiert) oder Clindamycin (Sobelin®-Kap-seln/-Granulat) für Kinder 8−25 mg/kg KG in 3−4 Einzel-dosen).Bettruhe, Analgetikum, Antipyretikum (z.B. Paracetamol),weiche Kost, heiße Halswickel (z.B. Enelbin®).

DiphtherieKlinische Symptome einer Diphtherie sind die durch Cory-nebacterium diphtheriae ausgelöste rote Schwellung derTonsillen mit weißgrauen pseudomembranösen Belägen,Blutung bei Entfernung der Beläge und Acetonfötor. DerBefall des gesamten Rachens einschließlich Larynx und Na-se ist möglich. Als akute Infektionskrankheit ist die Diph-therie bereits bei Krankheitsverdacht meldepflichtig. Nicht-erkrankte können Dauerausscheider sein.

TherapieAntiserum: Bereits bei begründetem Verdacht Serum-Bank(zumeist im nächsten Krankenhaus der Maximalversor-gung, z.B. internistische oder pädiatrische Infektionsabtei-lung) zur Abgabe von Antiserum anrufen. Zunächst Intra-kutan- oder Konjunktivaltest zur Prüfung auf eine even-tuelle Überempfindlichkeit. Die Dosierung erfolgt nachdem Schweregrad. In ausgewählten Fällen kann eine pro-phylaktische Gabe von 3000 i. m. angezeigt sein. Ansonsten250−2000 IE/kg KG je nach Schwere des Falles teilweise i.v.teilweise i. m. unter antibiotischem Schutz.Bei Diphtherie-Krupp 10 000 IE Gesamtdosis, Antibiose,Sedierung (z.B. Atosil®), feuchte Kammer.Antibiotische Behandlung: Bettruhe, antiseptische Mund-pflege (z.B. Hexoral®), Dampfinhalation. Penicillin (z.B.Penicillin V-ratiopharm® oder Isocillin® 1,0−1,5 Mega, 3 ×1 Tbl./d, bei Kindern z.B. Penicillin V-ratiopharm® TSTrockensaft. Alternative: Erythromycin.Falls nicht möglich: Verlegung des Patienten in ein ent-sprechend ausgerüstetes Zentrum.Keine Tonsillektomie bei Diphtheriekranken!Ausnahmen:� Bei Patienten mit Pseudomembranen, welche nicht über

die Tonsillen hinausreichen, kann man zur Tonsillekto-mie raten (Herdsanierung).

� Bei den seltenen persistierenden Bakterienträgern (s.u.).Bei Dauerausscheidern: Mehrfache Therapieversuche mitAntibiotika und lokalen Desinfizienzien. Bei frustraner An-tibiotikabehandlung nicht erkrankter Dauerausscheider:Tonsillektomie und (bei Kindern) Adenotomie zur Teilent-fernung infizierten Gewebes.

PrognoseGeneralisierte toxische Diphtherie möglich mit Herz- undKreislaufversagen, hämorrhagischer Nephritis, Nephrose,Stenose der Luftwege durch die pseudomembranösen Belä-ge mit Erstickungsgefahr (Krupp), Polyneuritis mit Gau-mensegellähmung und Tod.

ProphylaxeDiphtherieschutzimpfung! Eine Impfung schützt vorKrankheitsmanifestation. Ein Geimpfter kann jedoch Über-träger sein! Daher sind Umgebungsuntersuchungen durchdas Gesundheitsamt notwendig. Es kann Dauerausscheidergeben. Diese werden durch Abstriche erkannt: falls dreimalhintereinander negativ, kein Dauerausscheider mehr.

Plaut-Vincent-Angina(Angina ulceromembranacea)Eine Plaut-Vincent-Angina ist eine mit Spirillen und fusi-formen Stäbchen (Abstrich) assoziierte, zumeist einseitigetiefe Nekrose oder ein Ulkus mit weißlichem Belag auf einerTonsille. Der Patient klagt über sehr starke Schmerzen, zeigtjedoch ein auffallend gutes Allgemeinbefinden. Das Über-greifen auf die Nachbarschaft der Tonsille möglich.

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339Entzündungen

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TherapieBei kleineren Läsionen: Ätzen mit Silbernitratlösung 10−30 % nach vorhergehender Oberflächenanästhesie (Xyloca-in®-Spray).Antibiotische Behandlung: Penicillin (z.B. Penicillin V-ratiopharm® oder Isocillin® 1,0/1,2 oder 1,5 Mega, 3 ×1 Tbl./d, bei Kindern z.B. Penicillin V-ratiopharm® TS-Trockensaft; 1.−2. Lj.: 3- bis 4-mal ½ Messl./d, 2.−4. Lj.: 3-bis 4-mal 1 Messl./d, 4.−8. Lj.: 3 × 1−1½ Messl./d, 8.−12. Lj.:3 × 1½−2 Messl./d; s. Tab. 16-2).Bei Penicillin-Allergie: Erythromycin (z.B. Erythromycin-ratiopharm 500 Filmtabletten, 3 × 1 Tbl./d bis 3 × 2 Tbl./d,bei Kindern z.B. Erythromycin-Wolff®, Tagesdosis bis 8. Lj.25−50 mg/kg KG in 3−4 Einzeldosen verabreichen), alter-nativ Clindamycin (Sobelin® Kapseln/-Granulat; Kinder4. Wo.−14. Lj. 8−25 mg/kg KG/d in 3−4 Einzeldosen).

PrognoseGut.

Angina agranulocytoticaKlinische Symptome einer Angina agranulocytotica sinddurch Agranulozytose (arzneimittelbedingt, z.B. Noval-gin®, durch berufliche oder sonstige Intoxikation, Kno-chenmarkstumor) induzierte Nekrosen und tiefe Ulzera anTonsillen und Rachen mit Halsschmerzen und Foetor exore. Es besteht eine schwere Reduktion des Allgemeinzu-standes mit Fieber.

TherapieKarenz und Elimination: Bei Gold, Arsen, Quecksilberund andere Metalle enthaltenden Arzneimitteln als Auslö-ser, Gabe von 2,3-Dimercaptopropanol (Rp. 16-2; SulfactinHomburg, bis 2,5 mg/kg KG/d) zur schnelleren Elimina-tion. Die antibiotische Behandlung schließt unter Umstän-den je nach Schweregrad die systemische Behandlung mitBreitbandpenicillinen und die Darmdekontamination ein.Sie muss im individuellen Fall mit dem Hämatologen bzw.dem Pädiater abgesprochen werden.Hämatologische Therapie: Hinzuziehung des Hämatolo-gen, gegebenenfalls Blutfraktionstransfusionen, Bluttrans-fusion, Knochenmarkstransplantation.

PrognoseVon Ursache abhängig.

Rp. 16-2 Bei akuter Metallvergiftung:Dimercaprol (BAL)(Sulfactin Homburg)1./2. Tag 2,5 mg/kg KG alle 4−6 hab 3./4. Tag 100 mg alle 6 hab 5./6. Tag 100 mg alle 12 hab 7. Tag 1 × 100 mg/d

HerpanginaEine Herpangina wird induziert durch Coxsackie-Viren.

TherapieLokales Desinfiziens (z.B. Hexoral®, H2O2 3 %), Analgeti-kum (z.B. Paracetamol).

Infektiöse Mononukleose(Pfeiffer-Drüsenfieber)Zeichen einer infektiösen Mononukleose sind eine vermut-lich durch den Epstein-Barr-Virus (IgG-Antikörper gegenEpstein-Barr-Virus-Antigene im Serum erhöht) induziertestarke Schwellung der Gaumenmandeln mit Fibrinbelägensowie die Schwellung weiterer lymphatischer Organe(Lymphknoten, Milz). Zusätzliche Symptome sind Rhino-pharyngitis, Halsschmerzen und ein deutlich reduzierterAllgemeinzustand mit hohem Fieber bis 39° C.

TherapieEine kausale Therapie ist nicht möglich. Antipyretikum,z.B. Paracetamol (Paracetamol, 3 × 1000 mg/d), i.v. Flüssig-keitssubstitution, körperliche Schonung, Sportverbot fürmehrere Wochen bei Hepatosplenomegalie (Cave: Milz-ruptur!).Bei ausgeprägten Ulzera: Indiziert ist die Verabreichungeines Antibiotikums, z.B. Penicillin (Penicillin V AL 1 M/-1,5 M, 3 × 1 Tbl./d). Ampicillin ist wegen Exanthemgefahrkontraindiziert!Bei mechanischer Obstruktion (Atemnot, Schluckunfä-higkeit): Hier ist die Tonsillektomie angezeigt, die jedochden Krankheitsverlauf ansonsten nicht verkürzt.Bei Erstickungsgefahr: In diesem Fall ist die sofortige In-tubation, gegebenenfalls eine Tonsillektomie, erforderlich.Nur bei protrahiertem Verlauf mit drohender Langzeitintu-bation ist eine Tracheotomie indiziert.

PrognoseMöglich sind Fazialisparese, Glossopharyngeusparese, Me-ningitis, Enzephalitis, Myokarditis, hämolytische Anämie,Blutungen in Magen-Darm-Trakt, Mundrachen und Haut,Hämaturie, Milzruptur. Eine mechanische Verlegung derLuftwege mit Erstickungsgefahr kann auftreten.

Lues, Angina specificaEinzelheiten s. Kap. 8, Abschn. Spezifische Entzündungen,Mittelohrlues, S. 105.

TonsillentuberkuloseEinzelheiten s.u.

Retropharyngealabszess des KleinkindesDer Retropharyngealabszess des Kleinkindes ist eine post-infektiöse abszedierende Lymphadenitis retropharyngealerLymphknoten, welche in den ersten beiden Lebensjahrenauftritt.

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340 16 Erkrankungen des Pharynx

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TherapieIndiziert ist die transorale Spaltung der Rachenhinterwandan der Stelle der stärksten Vorwölbung.Antibiotische Behandlung: Penicillin G (z.B. Penicillin„Göttingen“, Penicillin „Grünenthal“, 200 000−400 000 E/d,verteilt auf 3 Einzelgaben), Breitspektrumpenicilline, z.B.Amoxicillin (Amoxi-Wolff®-Saft 10 %, 50−100 mg/kg KG/din 3−4 Einzeldosen).Bei Penicillin-Allergie: Erythromycin (z.B. Paediathro-cin® Trockensaft, Tagesdosis bis zum 8. Lj.: 30−50 mg/kg KG, auf 3−4 Einzeldosen verteilt); bei schweren Krank-heitsbildern Betalaktamaseninhibitoren, wie z.B. Augmen-tan®-Trockensaft, entsprechend Alter und KG dosiert.

PrognoseKehlkopfödem oder Pseudokrupp (s. Kap. 17, Abschn. Ent-zündungen, Laryngopathien, S. 367) und Mediastinitis (s.Abschn. Tonsillogene Komplikationen, S. 346, und Kap. 20,Abschn. Entzündungen der Halsweichteile, S. 423) könnenauftreten. Bei rechtzeitiger kombinierter operativer undkonservativer Therapie ist die Prognose jedoch gut.

Retropharyngealabszess beim ErwachsenenDer Retropharyngealabszess beim Erwachsenen ist zumeistein kalter und damit vielfacher tuberkulotischer Abszess,ausgehend von der Halswirbelsäule. Selten handelt es sichum einen Senkungsabszess (warm), vom Felsenbein ausge-hend (Pyramidenspitze, s. Kap. 8, Abschn. Entzündungen,S. 104; Otitis externa necroticans, s. Kap. 7, Abschn. Entzün-dungen, S. 70; Mastoiditis, s. Kap. 8, Abschn. Entzündun-gen, S. 93).

TherapiePunktion zur Materialgewinnung (Mikrobiologie, Zytolo-gie).Falls eine Eiterung vorliegt: Transorale Spaltung der Ra-chenhinterwand, gegebenenfalls Operation des Ausgangs-punktes des Abszesses im Felsenbein und antibiotische Ab-deckung mit Amoxicillin plus Clavulansäure (Augmentan®,3 × 1,2−2,2 g/d) oder Cefotaxim (z.B. Claforan®, 3- bis6-mal 2 g/d), kombiniert mit Tobramycin (z.B. Gerneb-cin®, Dosierung nach Serumspiegel), oder Mezlocillin (z.B.Baypen®, 3- bis 4-mal 2−5 g/d) plus Tobramycin (z.B. Ger-nebcin®, Dosierung nach Serumspiegel). Falls eine Anaero-bierinfektion nicht sicher ausgeschlossen ist, zusätzlich Me-tronidazol (z.B. Clont®, 1,5−2 g/d).Nach Erhalt des Antibiogramms gegebenenfalls Umstellungder Medikation.Bei ausgedehntem Abszess: Gegebenenfalls Abszessdrai-nage mit operativem Zugang von außen.Bei Verdacht auf Tuberkulose: Tuberkulostatische Thera-pie, Vorstellung beim Orthopäden, Meldung an das Ge-sundheitsamt.

Akute Pharyngitis, akuter RachenkatarrhBei einer akuten Pharyngitis handelt es sich zumeist umeine virale Infektion des Pharynx, fast immer auch der ge-samten oberen Luftwege (Nase, Pharynx, Kehlkopf) mitHauptsymptomatik im Mesopharynx. Häufig ist eine bak-terielle Sekundärinfektion, seltener eine primäre bakterielleInfektion (Streptokokken, Pneumokokken, Haemophilusinfluenzae) zu beobachten. Weitere Mechanismen: Verbrü-hung, Verätzung usw., Prodromalstadium von Masern, Rö-teln, Scharlach etc.

TherapieBei variabler Infektion (und damit in der Mehrzahl derFälle) ist keine kausale Therapie möglich. Linderung wirddurch heiße Milch mit Honig, Halswickel und anästhe-sierende Lutschtabletten (z.B. Anaesthesin®-Pastillen) er-reicht.Bei Mitbeteiligung von Nase und/oder Kehlkopf: Ab-schwellende Nasentropfen (z.B. Otriven®, Nasivin®) 4 ×täglich und Kamilleninhalation oder Inhalation mit äthe-rischen Ölen (Tropfen nach Koburg, Rp. 14.4-1, S. 270)1 × täglich. Antibiotikagabe nur bei sicherer bakterieller In-fektion.

Chronische Entzündungen

Chronische Tonsillitis, subakute TonsillitisUrsache einer chronischen bzw. subakuten Tonsillitis ist einpartieller oder vollständiger Verschluss der gangartigenKrypten mit Entzündung des davon abhängigen OrgansTonsille. Die Entzündung kann Ursache und Folge desKryptenverschlusses sein (Circulus vitiosus). Eine bakteriel-le Beteiligung von A -hämolysierenden Streptokokken derGruppe A ist möglich, gegen diese Erreger werden physiolo-gisch erwünschte Antikörper produziert. Bei einer Subpo-pulation der Patienten können diese Antikörper (erhöhterAntistreptolysintiter) jedoch zu rheumatischem Fieber,akuter Glomerulonephritis und Endocarditis rheumaticaführen (postanginöse Komplikationen).Weniger klare Hinweise auf eine Fokusassoziation bestehenfür Pustulosis palmaris et plantaris, chronische Urtikaria,Iridozyklitis, Thrombangitiden und Vaskulitiden.

TherapieBei Manifestation einer Erkrankung des rheumatischenFormenkreises: Hier ist eine Tonsillektomie (s. Patienten-information „Tonsillektomie [Entfernung der Gaumen-mandeln]“, S. 336) unter perioperativer Penicillintherapie(z.B. Penicillin „Göttingen“, Penicillin „Grünenthal“, 3 ×10 Mio. E/d bis 3 × 20 Mio. E/d, Kinder 200 000−400 000 E/d,verteilt auf 3 Einzelgaben) indiziert. Zuvor sollte gegebe-nenfalls eine konservative Akutbehandlung der postanginö-sen Komplikation erfolgen.

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341Entzündungen

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Bei sonstigen Fokusbeziehungen: Es besteht nur eine re-lative Indikation zur Tonsillektomie. Die Indikationsstel-lung erfolgt in Kooperation mit Kinder-, Haut- bzw.Augenarzt.Bei gleichzeitig bestehender Gerinnungsstörung: In die-sem Fall ist neben der optimalen Einstellung der Gerin-nung eine mikrochirurgische Dissektionstonsillektomie (s.Meth. 16-3), intraoperativ gegebenenfalls die zusätzlicheLokalapplikation von Humanfibrinkleber und Verschlussder Gaumenbögen indiziert.Postoperative Blutungen: Bei kleineren Blutungen: Eiskra-watte, Mundspülung mit Eiswasser (evtl. mit Privin®-Zu-satz), Einsprühen mit Privin® 1:1000.Im Falle einer stärkeren Nachblutung erfolgt die Blutstillungmit der bipolaren Kaustik (vorher einsprühen mit 1 :1-Ge-misch aus Privin® 1 :1000/Pantocain 2 %) oder es wird zu-nächst ein konservativer Versuch mit Umspritzen des Blu-tungsherdes mit Epinephrin (z.B. Xylocain® 1 %/-2 % mitAdrenalin 1 :200 000 Injektionslösung) unternommen.Bei starker Nachblutung ist eine Revisionsoperation mit in-traoperativer Koagulation oder Umstechung der blutendenGefäße (Cave: atypischer Verlauf von A. carotis interna,A. maxillaris und A. lingualis) indiziert.Bei Persistenz einer diffusen Blutung wird zu deren Stillungein Hämostyptikum (z.B. TABOTAMP) verwendet, überdem die Gaumenbögen verschlossen werden. Im Extremfallmuss die A. carotis externa unterbunden werden.Postoperativ können Blutungen insbesondere dann auftre-ten, wenn das Tonsillengewebe nicht vollständig entferntwurde.Zur Reduktion des Nachblutungsrisikos sind alternativeTonsillektomiemethoden in der Diskussion (s. Meth. 16-3).

PrognoseNach Tonsillektomie: Postoperative Blutungen (s. Abschn.Hyperplasien, S. 332): Diese sind besonders innerhalb derersten 4 Tage, jedoch auch bis zu 2 Wochen postoperativmöglich. Zur Reduktion des Nachblutungsrisikos sind al-ternative Tonsillektomiemethoden in der Diskussion (s.Meth. 16-3).Rhinolalie: Eine Rhinolalie kann bei operierten, nicht ge-deckten oder submukösen Gaumenspalten auftreten, daherist präoperativ ein Phoniater hinzuzuziehen. Bei Sängern isteine vorübergehende postoperative Veränderung des Reso-nanzraumes möglich.

Meth. 16-3 Alternative Tonsillektomiemethoden(H.-P. Zenner)Die folgenden Tonsillektomieverfahren wurden entwi-ckelt, um das Nachblutungsrisiko nach Tonsillektomiezu senken. Davon zu unterscheiden ist die nur einge-schränkt indizierte Tonsillotomie (s. Meth. 16-2, S. 335),die ebenfalls das Nachblutungsrisiko reduziert.Intrakapsuläre Tonsillektomie (ICT): Die sogenannteintrakapsuläre Tonsillektomie (ICT) ist ein noch nichtverbreitetes Verfahren, das das Risiko einer Tonsillen-nachblutung reduzieren soll. Das erkrankte lymphati-sche Gewebe wird unter Erhalt der der Muskulatur auf-sitzenden Pseudokapsel und damit unter Erhalt der ausder Muskulatur häufig in die Pseudokapsel eintretendenBlutgefäße entfernt. Methodisch wird nicht selten einShaver (Power-ICT) verwendet. Große kontrollierte Stu-dien, die die Reduktion des Nachblutungsrisikos signifi-kant demonstrieren, fehlen noch.Mikrochirurgische Dissektionstonsillektomie (MDT):Unter dem Operationsmikroskop wird am hängendenKopf die Tonsillenkapsel jeweils soweit „kalt“ von derMuskulatur abgespreizt, bis sich von der Muskulatur indie Pseudokapsel eintretende Blutgefäße darstellen. Die-se werden jeweils koaguliert und danach durchtrennt.Dadurch soll ein Rückzug blutender Gefäße in die Mus-kulatur vermieden werden.

Chronisch-rezidivierende Tonsillitis(chronisch-rezidivierende Angina)Als chronisch-rezidivierende Tonsillitis wird eine ein- bismehrmals jährlich auftretende akute Exazerbation einerTonsillitis mit Fieberschüben und Halsschmerzen beschrie-ben.

TherapieTonsillektomie (s. Patienteninformation „Tonsillektomie[Entfernung der Gaumenmandeln]“, S. 336).Bei postoperativer Blutung: Siehe Abschn. ChronischeTonsillitis, subakute Tonsillitis; S. 341.

PrognoseAkute Tonsillitiden mit Fieber werden postoperativ natur-gemäß nicht mehr auftreten. Die Zahl banaler Infekte deroberen Luftwege ändert sich hingegen postoperativ nicht.Weitere Einzelheiten s. Abschn. Hyperplasien, S. 332.

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Abb.16-2 SUSI-Einmal-instrumentengruppe(nach Mauz) (Fa. AESCULAPAG & Co KG).

Meth. 16-4 Instrumentenaufbereitung nachTonsillektomie und Adenotomie, EinmalinstrumenteChronische Tonsillitis und BSE: Seit dem Auftretenvon Erkrankungsfällen der neuen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nCJK) muss der mögliche Befall der Tonsil-len mit Prionen bei der Instrumentenaufbereitung be-rücksichtigt werden. Es wird davon ausgegangen, dassdie Übertragung der nCJK durch Operationsinstrumen-te, insbesondere nach Eingriffen am lymphatischen Sys-tem, möglich ist. Im lymphretikulären Gewebe des Kopf-Hals-Bereiches konnte die Expression von Prionen voreiner zentralnervösen Affektion nachgewiesen werden.Die Adenotomie und Tonsillektomie bergen daher in er-höhtem Ausmaß die Gefahr, durch Kontamination derchirurgischen Instrumente einen Übertragungsweg fürabnorme Prionen darzustellen.Aufbereitung von Instrumenten: Das Tonsillektomie-besteck und natürlich alle anderen Siebe sind maschinelloder manuell validiert alkalisch zu reinigen. Hieranschließt sich eine Dampfsterilisation von 134 °C miteiner Haltezeit von mindestens 5 Minuten an. Stehen va-lidierte, standardisierte Reinigungsverfahren nicht zurVerfügung, so wird eine Dampfsterilisation bei 134 °Cmit einer Haltezeit von 18 Minuten empfohlen. Wernicht bei 134 °C sterilisieren kann, kann auch bei 121 °Cfür 20 Minuten sterilisieren.Einmalinstrumente: Ausnahmen sind Skalpellklingen,Biopsienadeln oder -kanülen, Endotrachealtuben bei Ton-sillektomien bzw. Adenotomien. Hier sollten nur Ein-malprodukte genutzt werden. Einmalinstrumente sindauch eine Alternative für Adenotomie und Tonsillekto-mie (Abb. 16-2).

�Patienten mit erhöhtem CJK-Risiko (z.B. mit positiverFamilienanamnese) sollten nur mit Einmalinstrumentenoperiert werden. Ansonsten sind die verwendeten In-strumente zu entsorgen.

Chronische PharyngitisDie chronische Pharyngitis ist kein einheitliches Krank-heitsbild, sondern der Sammelbegriff für zumeist harmlose,leicht chronische Entzündungs- und Reizzustände sehr un-terschiedlicher und im Einzelfall häufig nicht aufklärbarerGenese, die für den Patienten sehr lästig sein können. Esbesteht häufig ein Globusgefühl (s. Abschn. Dysphagien,Globus, Neuralgien, S. 350) oder eine Karzinophobie. Diechronische Pharyngitis kann auch im Klimakterium, beiDiabetes mellitus, chronischen Bronchialerkrankungen,Lungeninsuffizienz oder Hypothyreose auftreten. Einewichtige Ursache ist möglicherweise ein gastroösophagealerReflux (s. Kap. 19, Abschn. Entzündungen, Funktionsstö-rungen, S. 410).

TherapieMalignomausschluss: Zunächst sicherer Ausschluss einesMalignoms (Endoskopie mit Hopkins-Optiken, Röntgen-Breischluck) und beruhigende Aufklärung.Kausale TherapieBeseitigung erkennbarer möglicher Ursachen (Gase, Stäu-be, plötzliche Temperaturschwankungen und Hitze, insbe-sondere am Arbeitsplatz, Nikotin und erhöhter Alkohol-konsum).� Bei nächtlicher Mundatmung unterschiedlicher Ge-

nese (erfragen): Nasen- und Nasennebenhöhlenpatho-

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343Entzündungen

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logie, vor allem Septumdeviation (s. Kap. 14.3, Abschn.Septumpathologien, S. 248), Muschelhyperplasie, Hyper-reaktivität (s. Kap. 14.3, Abschn. Entzündungen, Rhino-pathien, S. 235) abklären und adäquat behandeln. Ok-kulte Ethmoiditis (s. Kap. 14.4, Abschn. Entzündungen,S. 277), Bursitis pharyngealis (s.u.), HWS-Erkrankung(s. Kap. 21, S. 436) und Plummer-Vinson-Syndrom (s.Kap. 14.5, S. 297) ausschließen oder behandeln.

� Bei gastroösophagealem Reflux s. Kap. 19, Abschn.Entzündungen, Funktionsstörungen, S. 410.

Symptomatische Therapie� Bei hyperplastischer, granulierender Pharyngitis:

Touchieren und Gurgeln mit jodhaltiger Lösung (z.B.Lugolsche Lösung nach DAB oder Schechsche Lösungnach DAB unverdünnt zum Touchieren, 1 × pro Wo.; einEsslöffel auf ein Glas Wasser zum Gurgeln, 1- bis 3-maltgl.), Rachenspülung mit Salbeiextrakt, Vermeidung vonsauren, würzigen Nahrungsmitteln.

� Bei Pharyngitis chronica simplex (nicht hyperplas-tisch und nicht atrophisch): Symptomatische Therapiewie bei granulierender Pharyngitis.

� Bei trockener, atrophischer Pharyngitis: Hier bestehtdas Therapieprinzip aus Anfeuchten des Pharynx sowiedem Lösen von Krusten und zähem Sekret. Geeignetsind Nasenduschen, Mundspülen und Gurgeln mit salz-haltiger Lösung (z.B. Emser-Sole®), 1- bis 3-mal täglich.Luftbefeuchter zu Hause, feuchte Dampfinhalation, auchfeuchte Sauna. Vermeidung trockener und heißer Luft,besonders im Urlaub und am Arbeitsplatz. Gegebenen-falls Berufswechsel, Ortswechsel. Urlaubsempfehlung:Meeresklima (z.B. Nordsee oder Solebad). Bei Mitbefalldes Hypopharynx: Inhalation von salzhaltiger Lösung(z.B. Emser-Sole®), 1- bis 3-mal täglich mittels Inhala-tionsgerät zu Hause (z.B. Pari-Boy®).

� Bei Globusgefühl s. Abschn. Globus, S. 350.� Bei Sprechberufen und Sängern: Zusätzliche phoniat-

rische Abklärung, gegebenenfalls Stimmhygiene und/oder logopädische Therapie.

PrognoseWechselhafter Beschwerdeverlauf mit Linderung unter derTherapie, häufig keine dauerhafte Beschwerdefreiheit.

Bursitis pharyngealis(Tornwaldt’sche Krankheit)Die Bursitis pharyngealis ist eine selten vorkommende Ent-zündung der Bursa pharyngea, einer Tasche am Rachen-dach, mit Detritusbildung und Entzündungsneigung, even-tuell Fötor.

TherapieOperative Abtragung und Verödung.

PrognoseGut.

Pharyngitis ulceromembranacea(Pharyngitis ulcerosa)Eine Pharyngitis ulceromembranacea ist gekennzeichnetdurch Rötung, Schwellung, Druckschmerz, später oberfläch-liche, zum Teil auch tiefe Ulzeration der Mund-, Zungen-und Gingivaschleimhaut. Weitere Details, auch zu Therapieund Prognose, s. Stomatitis ulcerosa, Kap. 14.5, S. 294.

Chronische Pharyngitis/Ösophagitisbei Plummer-Vinson-SyndromBei einer chronischen Pharyngitis handelt es sich wahr-scheinlich um eine eisenmangelinduzierte Atrophie derSchleimhaut von Rachen, Ösophagus und Zunge (s. Plum-mer-Vinson-Syndrom, Kap. 14.5, S. 297) mit schmerzhafterDysphagie. Es sind vorwiegend Frauen zwischen dem 40.und 70. Lebensjahr betroffen.

TherapieEisensubstitution (kontrollieren), ungewürzte, säurearmeSpeisen und Getränke (sonst schmerzhaft).

Tonsillogene Komplikationen

Peritonsillarabszess, Peritonsillitis

Der bei einer chronischen Tonsillitis bestehende Verschlussder Tonsillenkrypten führt zur Ausdehnung der Entzün-dung über die Tonsille hinaus. Zunächst bestehen eine Peri-tonsillitis, nachfolgend ein Peritonsillarabszess oder Retro-tonsillarabszess (s.u.).

TherapieBei Peritonsillarabszess: Abszessspaltung. Nach Oberflä-chenanästhesie (Xylocain®-Pumpspray) zunächst Punktiondes Abszesses (Abb. 16-3), Einstich an der Stelle der stärks-ten Vorwölbung. Eröffnung der Schleimhaut mit dem Skal-pell neben der liegenden Nadel und anschließend stumpfeSpreizung in die Tiefe zur Vermeidung von Gefäßverletzun-gen.Beidseitige Tonsillektomie im Intervall (s. Patientenin-formation „Tonsillektomie“, S. 336): Nach dem Abklingender Aktutsymptomatik.Hoch dosierte antibiotische Behandlung zusätzlich(niemals als Alleintherapie): Penicillin G (z.B. Penicillin„Grünenthal“, 3 × 10 Mio. E/d, Kinder 200 000−400 000 E/d,verteilt auf 3 Einzelgaben). Breitspektrumpenicilline, z.B.Amoxi-Wolff® 500 oder Amoxicillin-ratiopharm® 500; beiErwachsenen 1,5−3 g in 3−4 Einzeldosen, bei KindernAmoxi-Wolff® Saft 10 %, 50−100 mg/kg KG/d in 3 Einzel-dosen.

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344 16 Erkrankungen des Pharynx

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a b

Abb. 16-3 Abszessspaltung bei Peritonsillarabszess. a NachOberflächenanästhesie Punktion und Aspiration in der Mitte derVerbindungslinie zwischen Weisheitszahn und Uvula, um eineaberrierende A. pharyngea oder A. carotis interna nicht zu ver-letzten. b Anschließend Inzision nur der Schleimhaut. c Dieeigentliche Abszessspaltung erfolgt mit stumpfem Instrument inder Tiefe (z.B. mit Kornzange). c

Bei Penicillin-Allergie: Erythromycin (z.B. Erythromycin-ratiopharm 500 Filmtabletten, 3- bis 4-mal 1 Tbl./d, beiKindern z.B. Paediathrocin®-Trockensaft, Tagesdosis biszum 8. Lj.: 30−50 mg/kg KG, auf 3−4 Einzeldosen verteilt),alternativ Clindamycin (z.B. Sobelin®).Bei schweren Krankheitsbildern Betalaktamaseninhibito-ren wie z.B. Augmentan®, 2 × 1 Tbl./d, bei Kindern z.B.

Augmentan®-Trockensaft, entsprechend Alter und KG do-siert.Bei Peritonsillitis: Punktion zum Ausschluss eines Peri-tonsillarabszesses, Antibiotikatherapie wie oben beschrie-ben und tägliche Kontrolle zum Ausschluss eines Abszesses.Im Intervall beidseits Tonsillektomie.

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345Tonsillogene Komplikationen

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Bei Kehlkopfödem: Epinephrin lokal (z.B. Micronephrin-Spray oder Vernebler) oder ⁄ -Sympathomimetikum lokal(z.B. Privin®, Otriven®-Spray oder Vernebler) und beimKind feuchte Kammer (Gitterbett mit feuchtem Tuch ab-decken).

PrognoseEine Kieferklemme oder ein Begleitödem des Kehlkopf-eingangs mit Atemnot und Erstickungsgefahr sind möglich.Bei fehlender adäquater Soforttherapie (z.B. bei Antibio-se ohne Abszessspaltung) kann es zu Halsphlegmonen mitnachfolgender Thrombophlebitis der V. jugularis, Sepsis,Mediastinitis, Arrosion der A. carotis, eitriger Parotitis (beijeder eitrigen Parotitis Peritonsillarabszess als Ursache aus-schließen), Orbitalphlegmonen, Meningitis, einer Kaverno-susthrombose und einem Hirnabszess kommen.Falls eine Tonsillektomie im Intervall unterlassen wird,entsteht mit großer Wahrscheinlichkeit ein erneuter Peri-tonsillarabszess oder eine Peritonsillitis innerhalb von Mo-naten bis Jahren.

Retrotonsillarabszess

Bei einem Retrotonsillarabszess handelt es sich um eine be-sonders gefährliche Sonderform des Peritonsillarabszessesmit Eitereinbruch in den retrotonsillären, parapharyngea-len Raum mit akuter Gefahr einer abszedierend-phlegmo-nösen Entzündung des Halses bis zum Mediastinum, ein-schließlich Thrombophlebitis oder V. jugularis, Sepsis undArrosion der A. carotis.

TherapieObligate Soforttonsillektomie.Antibiotische Behandlung: Penicillin G (z.B. Penicillin„Grünenthal“, 3 × 10 Mio. E/d, Kinder 200 000−400 000 E/d,verteilt auf 3 Einzelgaben). Breitspektrumpenicilline, z.B.Amoxi-Wolff® 500 oder Amoxicillin-ratiopharm® 500; beiErwachsenen 1,5−3 g in 3−4 Einzeldosen, bei KindernAmoxi-Wolff® Saft 10 %, 50−100 mg/kg KG/d in 3 Einzel-dosen.Bei Penicillin-Allergie: Erythromycin (z.B. Erythromycin-ratiopharm 500 Filmtabletten, 3- bis 4-mal 1 Tbl./d, beiKindern z.B. Paediathrocin®-Trockensaft, Tagesdosis biszum 8. Lj.: 30−50 mg/kg KG, auf 3−4 Einzeldosen verteilt),alternativ Clindamycin (z.B. Sobelin®).Bei schweren Krankheitsbildern Betalaktamaseninhibitorenwie z.B. Augmentan®, 2 × 1 Tbl./d, bei Kindern z.B. Aug-mentan®-Trockensaft, entsprechend Alter und KG dosiert.

PrognoseWie beim Peritonsillarabszess, jedoch erheblich höhereKomplikationsrate.

Tonsillogene Sepsis (Angina septica,postanginöse Sepsis)

Zeichen einer tonsillogenen Sepsis ist ein bakterieller Ein-bruch in die Blutbahn, ausgehend von den Tonsillen, einemPeritonsillarabszess oder einer ihrer Abszesskomplikationen(Retrotonsillarabszess, Thrombophlebitis oder V. jugularis,Arrosion der A. carotis, Mediastinitis, Orbitalphlegmone,Meningitis, Hirnabszess, Kavernosusthrombose).

TherapieTonsillektomie (s. Patienteninformation „Tonsillektomie“,S. 336) zur Herdentfernung und Abszesseröffnung, Ab-strich, mehrfach Blutkulturen im Fieberanstieg, zusätz-lich operatives Vorgehen je nach Art der Komplikation (s.dort).Antibiotische Therapie: Cephalosporin (z.B. Claforan®,3- bis 6-mal 2 g/d, oder Rocephin®, 1 × 1−2 g/d) plus Ampi-cillin, ggf. in Kombination mit einem Aminoglykosid, z.B.Tobramycin (Gernebcin®, 3 × 40−80 mg/d, Dosierung nachSerumspiegel) plus Metronidazol (z.B. Clont®, 1,5−2 g/d).Alternativ als Reserveantibiotikum: Imipenem (ZIE-NAM®, 3- bis 4-mal 0,5−1 g/d) bei Lebensgefahr.Nach Erhalt des Antibiogramms gegebenenfalls Umstellungder Medikation.

PrognoseLetaler Verlauf möglich. Bei kombinierter operativer undantibiotischer Therapie günstige Prognose.

Tonsillogene Kavernosusthrombose

Eine tonsillogene Kavernosusthrombose kann sehr seltendurch eine hämatogene Überleitung von den Tonsillen oderals Folge einer tonsillogenen Komplikation (Peritonsillar-abszess [s.o.], Parotitis [s. Kap. 14.6, Abschn. Entzündun-gen, S. 316], Thrombophlebitis der V. jugularis interna, Sep-sis [s.o.], Orbitalphlegmone [s. Kap. 14.4, Abschn. Kompli-kationen bei Nasennebenhöhlenentzündungen, sinugeneKomplikationen, S. 283]) über die Venen der Fossa pterygo-palatina, die V. jugularis interna und die V. ophthalmica in-ferior entstehen und induziert einen (evtl. pulsierenden)Exophthalmus.

TherapieAntibiotische Therapie: Cephalosporin (z.B. Claforan®,3- bis 6-mal 2 g/d, oder Rocephin®, 1 × 1−2 g/d) in Kombi-nation mit Ampicillin und ggf. mit einem Aminoglykosid,z.B. Tobramycin (Gernebcin®, 3 × 40−80 mg/d, Dosierungnach Serumspiegel), plus Metronidazol (z.B. Clont®, 1,5−2 g/d).Alternativ als Reserveantibiotikum: Imipenem (ZIE-NAM®, 3- bis 4-mal 0,5−1 g/d) bei Lebensgefahr.

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Nach Erhalt des Antibiogramms gegebenenfalls Umstellungder Medikation.Operation: Obligate Tonsillektomie sowie gegebenenfallsOperation der auslösenden Komplikation (z.B. bei Throm-bose der V. jugularis interna; s. Kap. 8, Abschn. OtogeneKomplikationen, S. 103).Bei fortgeschrittenem Krankheitsprozess: Eventuell ope-rative Entlastung des Sinus cavernosus durch den Neuro-chirurgen.Heparinisierung: Zur Frage der postoperativen Heparini-sierung s. Kap. 8, Abschn. Otogene Komplikationen, S. 103.

PrognoseSehr ernst.

Rheumatische Komplikationen

Ursache einer chronischen bzw. subakuten Tonsillitis ist einpartieller oder vollständiger Verschluss der gangartigenKrypten mit Entzündung des davon abhängigen OrgansTonsille. Die Entzündung kann Ursache und Folge desKryptenverschlusses sein (Circulus vitiosus). Eine bakteriel-le Beteiligung von A -hämolysierenden Streptokokken derGruppe A ist möglich, gegen diese Erreger werden physiolo-gisch erwünschte Antikörper produziert. Bei einer Subpo-pulation der Patienten können diese Antikörper (erhöhterAntistreptolysintiter) jedoch zu rheumatischem Fieber,akuter Glomerulonephritis und Endocarditis rheumaticaführen (postanginöse Komplikationen).

TherapieSiehe Abschn. Chronische Entzündungen, S. 341.

Dysphagien, Globus, Neuralgien

Zenker-Divertikel,HypopharynxdivertikelZenker-Divertikel sind Pulsionsdivertikel oberhalb desÖsophagusmundes im Laimerschen Dreieck, einem Locusminoris resistentiae zwischen Ösophagusmund und Hypo-pharynxmuskulatur.

TherapieTherapie der Wahl ist die Divertikelabtragung von au-ßen, in der Regel von der linken Seite, einschließlich Myo-tomie der Divertikelschwelle (Killianscher Schleudermus-kel; Abb. 16-4; s. Patienteninformation „Divertikeloperation[Zenker-Divertikel]“).Endoskopische Schwellendurchtrennung: Sie ist aller-dings komplikationsträchtiger (Blutung, Emphysem, Abs-zess), da diese Komplikationen endoskopisch nicht immerbeherrscht werden können.

PrognoseOhne Operation nimmt die Schluckstörung zu und eskönnen ein Halsabszess, eine Halsphlegmone und eine Me-diastinitis im Rahmen einer perforierenden Entzündungauftreten.Operative Komplikationsmöglichkeiten sind Rekurrens-parese, Halsabszess und Mediastinitis. Allerdings ist dasoperative Risiko geringer als das nichtoperative.

@ Patienteninformation „Divertikeloperation(Zenker-Divertikel)“

Um die krankhafte Ausstülpung des Schlundes operativbeseitigen zu können, muss der Hals von außen eröffnetund die Ausstülpung dargestellt werden. Im Halsbereichlaufen wichtige Nerven und Gefäße, die in Ausnahmefäl-len geschädigt werden können. Hier müssen insbesonde-re die tiefe Halsvene, die Halsschlagader und der Nervusrecurrens genannt werden. Manchmal kommt es zueiner vorübergehenden Störung der Funktion des Ner-vus recurrens, was Heiserkeit zur Folge hat, die sich inder Regel zurückbildet, in seltenen Fällen jedoch auchbleibend sein kann. Weiterhin kann es nach der Opera-tion zu Schwellungen im Kehlkopfbereich kommen, wasebenfalls Heiserkeit, manchmal auch Schluckstörungenund Atemnot mit sich bringt. Meist genügen für die Be-handlung solcher Zustände abschwellende Medikamen-te, in seltenen Fällen ist jedoch vorübergehend ein Luft-röhrenschnitt notwendig.Nach der Operation wird eine Magensonde in die Speise-röhre eingelegt, über die Sie etwa 8−10 Tage lang ernährtwerden müssen. Bitte nehmen Sie keinesfalls Nahrungneben der Sonde zu sich und entfernen Sie die Magen-sonde nicht vorzeitig, da Sie damit das Operationsergeb-nis gefährden und Komplikationen verursachen können.In seltenen Fällen kann es als Spätfolge der Operation zueiner Engstelle im Schlund kommen, manchmal kommtes auch wieder zu einer Aussackung, sodass erneuteMaßnahmen notwendig werden.

Eagle-Syndrom, verlängerterProcessus styloideus, Stylalgie

Durch einen verlängerten Processus styloideus (länger alsca. 3 cm) kommt es zu einer mechanischen Irritation be-nachbarter Nerven und Gefäße mit neuralgischen oder dys-phagischen Beschwerden in der Tonsillenregion und imKieferwinkel, bis zum Ohr und in die Schläfengegend aus-strahlend.

TherapieEnorale Neuraltherapie am unteren oder/und oberhalbdes oberen Tonsillenpols (Xylocain® 1 % mit Adrenalin1:200 000-Injektionslösung, 1 × 1 ml pro Woche; s. Kap. 2.1,Abschn. Leitsymptom Kopfschmerz, S. 20) oder operative

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347Dysphagien, Globus, Neuralgien

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Schnittführung am Hals

Divertikel

Schilddrüse

Ösophagus

a

b

Abb. 16-4 Entfernung eines ZenkerschenDivertikels. a Schnittführung am Hals (an derlinken Halsseite). Darstellung des Divertikelsnach Rotation des Kehlkopfes zur rechtenSeite. Zur Druckentlastung des HypopharynxMyotomie des Killianschen Schleudermuskels(mod. nach Theissing). b IntraoperativerBefund.

Teilexstirpation des Processus styloideus transoral mit Ton-sillektomie oder transzervikal von außen oder endoskopi-sche Infrakturierung (Gefahr der Fazialisparese).

Halsrippe

Beim Halsrippen- bzw. Skalenussyndrom handelt es sichum meist vom 7. Halswirbel ausgehende, oft beidseits rudi-mentär angelegte Rippenstümpfe, die bei ca. 1 % der Bevöl-kerung auftreten. Oft findet sich auch ein pathologischerAnsatz des M. scalenus anterior (Skalenussyndrom). Einzel-heiten s. Kap. 20, Abschn. Muskuloskelettale Defekte, S. 433.

Vertebragene Dysphagien

E. Biesinger

Funktionelle StörungenDie ventrale Halsmuskulatur wird innerviert aus demSegment C0/C1. Funktionelle Störungen dieses Segmen-tes können zu Muskelspannungen führen, welche ihrer-seits Missempfindungen im Kehlkopfbereich, wechselhafte

Schluckstörungen und gelegentlich neuralgiforme Be-schwerden im Kehlkopfbereich auslösen können. Kenn-zeichnend ist dabei, dass die Beschwerden entsprechend ih-rer funktionellen Genese einen stark wechselhaften Charak-ter aufweisen.

TherapieIndiziert ist die Verordnung von krankengymnastischerÜbungsbehandlung (s. Kap. 12, Meth. 12-1, S. 182), eventu-ell manuelle Therapie.Bei der funktionellen Behandlung steht die Beseitigungvon Haltungsfehlern im Vordergrund. Fehlhaltungen amArbeitsplatz sollten korrigiert werden.Eine weitere Maßnahme ist die gezielte Infiltrationen vonLokalanästhetika (z.B. Xylocain® 1 %) an druckempfind-liche Muskelansätze (Zungenbein!).Bei Somatisierung einer Stresssituation sind Stressab-bau, Krankengymnastik und zusätzlich häusliche Übungennach dem Becker-Arold-Schema (s. Meth. 16-5, S. 352) an-gezeigt.

PrognoseDurch den wechselhaften Charakter der Beschwerden pro-trahierter Verlauf und häufig nach längerer Zeit spontane

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348 16 Erkrankungen des Pharynx

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Besserung. Abkürzung der Beschwerdedauer durch die funk-tionelle Behandlung der Halswirbelsäule.

HWS-DegenerationIm Gegensatz zu den funktionellen Störungen führen aus-geprägte degenerative Veränderungen an der Ventralseiteder Wirbelkörper C4−C6 infolge ihrer mechanischen Ver-drängung des Ösophagus zu permanent vorhandenenSchluckstörungen, vor allem auch beim Leerschlucken.

TherapieZunächst sollte ein Versuch mit krankengymnastischenÜbungsbehandlungen unternommen werden (s. Kap. 12,Meth. 12-1, S. 182).In besonders ausgeprägten Fällen ist gelegentlich an eineoperative Beseitigung des Schluckhindernisses durch denNeurochirurgen zu denken (ungewöhnlich). Hierbei mussunter Umständen eine Fusion der betreffenden Wirbelsäu-lenabschnitte durchgeführt werden.

PrognoseSobald der Patient über die Harmlosigkeit der zugrundeliegenden Störung aufgeklärt ist, lässt der Leidensdruck oftnach. Bei nachgewiesener mechanischer Ursache kann eineechte Besserung nur durch den operativen Eingriff erreichtwerden.

Neurogene Dysphagien

M. Schrader

Nervus accessorius und Nervus hypoglossusEine häufige Form der neurogenen Schluckstörung ist dieBulbärparalyse. Sie ist definiert als eine Störung des 2. peri-pheren motorischen Neurons der kaudalen Hirnnerven(N. glossopharyngeus, N. vagus). Gelegentlich ist auch derN. facialis beteiligt.Das Krankheitsbild ist durch eine progrediente Schluckstö-rung mit häufiger Aspiration und manchmal auch durcheine zusätzliche Störung der Gesichtsmimik gekennzeich-net. Zusammen mit neurogenen Schluckstörungen tretenoft Sprechstörungen auf (s. Kap. 17, Abschn. Funktionsstö-rungen, S. 371).Mithilfe der Schluckendoskopie (Abb. 16-5) lässt sich derSchweregrad gut bestimmen.Ursache einer neurogenen Dysplagie können eine Entzün-dung (z.B. Poliomyelitis, Lues), eine Gefäßerkrankung imHirnstamm (z.B. Durchblutungsstörung oder Einblutung)oder eine Degeneration (z.B. amyotrophe Lateralsklerose)sein.Differenzialdiagnostisch auszuschließen ist eine Schädigungvon N. glossopharyngeus, N. vagus, N. accessorius und N. hy-poglossus in ihrem extrakraniellen Verlauf (z.B. durch Trau-ma, entzündlich oder durch Tumorkompression bedingt).

Abb. 16-5 Schluckendoskopie. Unter transnasaler Endoskopiedes Larynx, Hypopharynx und Ösophagus schluckt der Patientauf Kommando Flüssigkeit oder Götterspeise. Beurteilt werdenvorzeitiger Übertritt, Residuen, Penetration (Larynxeingang) undAspiration des Speisebreis im Pharynx sowie Gas- und Flüssig-keitsreflux aus dem Magen.

TherapieDie Behandlung der Grunderkrankung des ZNS erfolgtdurch den Neurologen. Zusätzliche Therapie bei folgendenSymptomen:Schluckunfähigkeit: Es sollte eine enterale Ernährung, ge-gebenenfalls durch Magensonden, erfolgen (bei voraussicht-lich längerer Liegezeit nur Silikonsonden verwenden) oder,falls möglich, eine perkutane endoskopische Gastrostomie(PEG) durchgeführt werden. Eine parenterale Dauerernäh-rung ist unzweckmäßig.Aspiration: Wegen der Aspirationsgefahr ist oft eine Tra-cheotomie mit geblocktem Niederdrucktrachealtubus (z.B.Kamen-Wilkinson®) und regelmäßiger Tracheobronchial-toilette notwendig. Lang anhaltende oder irreversible Be-schwerden sind eine Indikation zur krikopharyngealenMyotomie, um die Aspiration zu reduzieren. Bessert sichdie Schluckstörung, so erfolgen Decanulement und Trache-ostomaverschluss als letzter Therapieschritt. Die Aspirationkann der Kranke nämlich erst dann kontrollieren, wenn ervorher ausreichend Gelegenheit hatte, sich ohne Sonde zuernähren. Dies kann nach Ziehen der Nährsonde noch Wo-chen und Monate in Anspruch nehmen. In dieser Zeit kön-nen physiotherapeutische Schluckübungen hilfreich sein.Sprechstörung: Aphasie und/oder Dysarthrie erforderneine ärztlich indizierte logopädische Übungsbehandlung (s.

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349Dysphagien, Globus, Neuralgien