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49. J ahrgang H eft 1 /2007 A5173F D as Argumen Z eitschrift für P h ifo so ph ie UND SOZIAFWISSENSCHAFTEN Dialektik des Antikapitalismus

49. Jahrgang H Das Argumen - Wolf-Dieter Narr - Dialektik der... · 2021. 1. 22. · 35 Wolf-Dieter Narr Dialektik der Antikapitalismen Anstöße zur Diskussion Spes contra spem -

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49. J a h r g a n g H eft 1 /2007 A517 3F

DasArgumen

Z e i t s c h r i f t f ü r P h i f o s o p h i e

U N D S O Z I A F W I S S E N S C H A F T E N

Dialektik des Antikapitalismus

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Das A rgument 269 49. J ahrgang H eft 1 / 2007

I

Editorial; InkriT; Verlagsmitteilungen .........................Frigga Haug Erinnerung an Jutta H eld .......................Nachrichten aus dem Patriarchat (Christine Lehmann) Gerhard Schoenbemer D a s a lte Zeichen .....................

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Dialektik des Antikapitalismus

Wolfgang Fritz HaugZur D ia lek tik d es A ntikapita lism us ..................................................... 11

Wolf-Dieter NarrD ialek tik d e r A ntikapitalism en. A nstöße zu r D iskussion ................ 35

Ewald LienenR adikale Transform ation a ls (Ver-)LernprozessD ie D ia lek tik d es A ntikapita lism us an den B eispielen L inksparteiund G 8-M obilisierungen ..................................................................... 48

Christina KaindlA ntikapita lism us von rechts ................................................................. 60

Daniel BensaidU topisch es M om ent und stra teg isch e N eugründung ........................ 72

Francisco Femändez BueyD er Sozia lism us d es 21. Jahrhunderts und w ir E uropäer ............... 85

F o rtse tzu n g a u /S . I I

Redaktion dieser AusgabeIngar Solty und Jan Rehmann (Koordination).Wolfgang Fritz Haug, Christina Kaindl,Julian Müller, Alban Werner sowie Darko Suvin (beratend)

Gesamtkoordination Vanessa Lux

RedaktionsbüroReichenberger Straße 150 • D -10999 Berlin Tel. +49-(0)30-6114182 • Fax -61142 70 [email protected] • www.inkrit.org

Rezensionsredaktionen Mario Candeias (Ökonomie) Claudia Gdaniec (Frauenredaktion) Wolfgang Fritz Haug (Philosophie) Richard Heigl (Geschichte)Peter Jehle (Literatur)Erwin Riedmann (Soziologie)Ingar Solty (Soziale Bewegung Thomas Weber (Kultur)Gerhard Zimmer (Pädagogik)

Buchhandelsauslieferung Prolit Verlagsauslieferung Tel. +49-(0)641 -43071, Fax -42773

Einzelbestellungen und Abonnementsverwaltung Argument Versand

ichenberger Straße 150 • D-10999 Berlin^49<<0)30-61139 83 • Fax -61142 70

,and@ argument.de

DAS ARGUMENT 269/2007 C

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Wolf-Dieter Narr

Dialektik der Antikapitalismen

A nstöße zur D iskussion

Spes contra spem -Hoffen, wenn alle Hoffnung vergangen ist

I.

K ap ita listisch e V erg ese llsch a ftu n g ist se lb stverstän d lich . W ie im m er m an sie belob igen oder b ew ein en m ag. D as ist e s , w as sich im 20. Jahrhundert über alle Katarakte h in w eg, te ilw e ise m it H ilfe d ieser Katarakte herausgepaukt hat: d ie von Marx schon kapitallogisch begriffene W eltordnung.

Schon zu früheren Z eiten , besonders seit dem A usgang des 19. Jahrhunderts hat das m achende A usm aß g lobalisierter R ealität erstaunt. G lobalität als zuständliche Größe und w eitere G lobalisierung als dynam ische Veränderung sind jedoch seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts derart vorangetrieben worden, dass nun erstm als allen grabentiefen U ngleichheiten zum Trotz von einer kapitalistisch involvierten Welt gesprochen werden m uss. D iejen igen Länder oder fast ganze K ontinente w ie A frika (D ick B arnet sprich zurecht vom »forgotten con tin en t« ), d ie noch nicht oder nicht m ehr >mitkommen< w erden ihren kapita listisch m arginalisierten , dem S cheine nach autochthonen G ew altbalgereien m it UN-Tränen überlassen. D as ist der hauptsächliche Grund - zusam m en m it dem dam it einhergehenden Ende »real­sozia listischer« H errschaftsversuche - , der Eric H obsbaw m dazu veranlasste, vom kurzen 20. Jahrhundert zu reden, eingeklem m t zw isch en den Ausbruch des 1. W elt­kriegs und die den Zerfall konstatierende Selbsttoterklärung der Sow jetunion 1991. Es wird durch die restlose Kehre zur etablierten und sich verfeinernd ausfällenden G lobalisierung beendet. D ieser g lo b a le , in se in en Inklusionen exk lud ierende, in seinen E ingrenzungen ausgrenzende K apitalism us ist jedoch kein gnädig toleranter >Sieger<, der d iverse politisch ökonom isch herrschende »Glaubensarten« zuließe. Er ist m idasgem äß unerbittlich, unersättlich und selbst ohne andere C hance. Sprich: kapitalistische V ergesellschaftung ist im G egensatz zu ihren politisch ökonom ischen , m eist ihren polito log ischen Schönrednern strikt anti-plural. S ie ist. A lso expandiert sie. K onsequent so ll sie w eiter gelten . Tertium non datur.

D iese ink lusive E xklusivität zeichnet sich im H inblick au f die Schar ihrer m eist zerstreuten und randständigen Kritikerinnen und Kritiker unter anderem dadurch aus: - dass ihre verschieden m ächtigen Repräsentanten quer durch alle Institutionen, die im engeren Sinne ö k o n o m isch em nicht einm al an erster S telle , von ihrem gese tzes­förm igen Naturcharakter überzeugt und in d iesem S inne a ls T h eo lo g en , notfa lls auch inquisitorisch w eltw eit aktiv sind. Es gibt nur e ine Wahrheit als Resultante des hoch verm achteten, von kollektiven Quasiakteuren sichtbar betriebenen Weltmarkts

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und seiner »trickle dow n e ffects« b is hinunter zur F ülle der Lokalitäten und ihrer m enschlichen A tom e; - dass kapitalistische Entwicklung als antiutopische U topie für die übergroßen Mehrheiten aller G esellschaften >glaubwürdig< und verhaltenswirksam vertreten w erden kann: a ls w ürden kapitalistischer A rbeitsm arkt-, kapita listische Sozial-, B ildungs- und Entwicklungswidersprüche samt ihrer eingelagerten Konflikte und einer w eltw eit verteilten G eopolitik der Armut über kurz oder lang qua überall exerzierten M arktöffnungen und über kurz oder länger eintretenden W achstum s­schüben ebenso behebbar sein w ie behoben werden. In d iesem Sinne wirken gerade die habend Herrschenden den nichthabend Nichtherrschenden gegenüber vorbildhaft positiv. S ie zeigen, dass wir »in the long run« nicht, w ie K eynes kundig bemerkte, alle tot sind, sondern, koste es, was es w olle, au f einer dicker werdenden H um usschicht des W ohlstands zu leben verm ögen (und an den >Kosten< verrecken im m er die anderen); - dass der K apitalism us ohne A lternative d ie aufgeherrschte M obilität und F lex i­bilität habituell verinnerlichen m acht. K onkurrierendes Versagen im m ehrstufigen W ettlauf w ird a ls e ig en es V ersagen erfahren. E s führt dazu, das e ig en e ch an cen ­gerin ge T rim m -dich noch in tensiver zu betreiben, a u f dass e in e E ntpolitisierung im S in n e d es G eg en te ils der B ild u n g von A sso z ia tio n en und der T eilnahm e an G egenaktionen die R egel wird; - dass die G egenaktionen >von untern in der R egel bald stecken b leiben und - w ich tig genug - a llen fa lls d ie harten R eibungsverluste kapitalistischer K onkurrenz oder des M an gels an M öglich k eiten , daran auch nur teilzunehm en, von verstreuten lokalen Gruppen gem ildert werden. Versuche, kapi­ta listisch e H errschaftsökonom ie >von oben< zu ändern, w enn es g elu n gen ist, für alternativ akzentuierte Gruppen und E inzelne R egierungsbeteiligungen zu ergattern, werden im Rahm en vom W eltmarkt und >Zwängen< rasch m ehr oder m inder restlos kooptiert.

D as antikapitalistische E ngagem ent wird von den herrschenden kapitalistischen V erhältn issen und ihren d iversen Saugnäpfen geradezu m ü h elos e in g em ein d et. N och op p osition elle A rgum ente und Versuche w erden kapitalistisch eingem eindet. Das gesch ieh t nicht autom atisch. Überall au f dem ungleichen G lobus sorgen interes­sierte Gruppen dafür sam t ihren m eist staatlich, notfalls auch p o lizeilich geförderten Interessen, dass d ie B ildung von A ssozia tion en gehem m t, blockiert und m öglichst d issozia tiv entbildet w erde. D ass keine gegen h egem on ia len Ideen m ehr und m ehr M enschen ergreifen können, ln d iesem Sinne g ibt e s w eltw eit, staatlich und lokal ein hegem onia les M anagem ent a u f mehreren Ebenen. D ie W irkungen antikapitalis­tischer Erneuten und V erhaltenssplitter sind nicht zu unterschätzen. G leich erw eise aber wäre e s töricht, gering zu achten, w ie verhaltensw irksam die w eith in abstrakt vorgegebenen Strukturen und Institutionen definieren. D ie negative V ergesellschaf­tung >lebt< zum einen gerade von ihrer d issoz ia tiven Kraft. Z um anderen gew innt sie eine unendliche Kette von M otiven daraus, dass E rfolge nicht ausbleiben: in der Konkurrenz im E inzelnen und den K lassen der H abenden und H errschenden je nach Ländern k o llek tiv versch ieden . D as L eistu n gsm otiv von schon vor der W iege bis nach der Bahre und seine p ositiven Sanktionen für d iejen igen , d ie e s schaffen , macht das Paradoxon der nicht gesellsch aftlich en G esellschaft m öglich . Es handelt sich um e in e a llgem ein e »V ersportlichung« (darum ist, nebenbei gesagt, das, w as im längst

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kapitalistisch professionalisierten Sport bis hinunter zum Kindersport passiert, alles andere als nebensächlich). D ie »Objektivität« kapitalistischer Verhältnisse macht die m enschlichen Subjekte durchgehend zu abhängigen Variablen. A lso versteht sich die kapitalistische V ergesellschaftung von selbst. Überall besteht sie. A lles durchdringt sie. D as, w as ihr antikapitalistisch entgegensteht, kann nur im kapitalistisch gesetzten Rahm en in schier verschw indenden M inderheiten antreten; dem davon bestim m ten Spielfeld und seinen R egeln.

II.

N ötige antikapitalistische Lernprozesse. So llen Lernprozesse nicht von vornherein k ap ita listisch absorbiert w erden m it tö d lich em A u sgan g für a lle a u f radikale A lternativen b ezo g en e K onzeptionen und/oder P rotestform en, sind F olgerungen erforderlich. S ie sind im m er erneut zu erproben, a) A m A nfang steht das Erfordernis zusätzlicher A nalyse. G äbe e s das m antsche Werk nicht, man m üsste es neu erfinden. D am it man verstehe, w as kapitalistisch der Fall ist. Z ugleich aber gilt: man m uss mit verbessertem , Brechts V erfrem dungstechnik verstärkenden eth n o log isch em B lick die G egenw art kapitalistischer Vergesellschaftung w ahm ehm en. Sonst w iderspräche man all dem , w as historisch materialistische Analyse ausm acht.

b) D ie B edeutung der Erstreckungen und Quantitäten. Jeder Spatz pfeift e s seit 2 0 0 Jahren im m er kecker und kreischender von den R innsteinen: K apitalism us, m oderne Verkehrswirtschaft, w ie M ax W eber sich auszudrücken beliebte, zeichnet sich durch seine »econ om ies o f scale« , durch seine Produktions-, Zirkulations- und R eproduktionsprozesse au f großer Stufenleiter aus. D ie Stufenleitern werden länger und länger, vermittelter und vermittelter. Massenproduktion; produktivistische Expan­sionen der tendenziellen >A11-Ver-Warung<, Große M aschinerien - siehe Marx dazu besonders einsichtsvolle Faszination in den Grundrissen - , nationale, internationale, globale M ärkte ... w er nennt d ie A usdehnungen, bezeichnet ausufernde V ergegen­ständlichungen und vergegenständlichte M enschen, die kapitalistisch jeden Tag neu Zusammenkommen?! Im Kapitalism us nichts N eues also? N ein und ja. D ie Kontinua sind prägsam . D ennoch m acht e s mehrere D ifferenzen um s G anze, ob die G lobali­sierung eine inhärente Tendenz darstellt. Ob beisp ielsw eise britische Kapitalisten und Staat Hand in Hand im seinerzeit ersten »w orkshop o f the w orld« - trefflich dazu H obsbawm s Büchersequenz - Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts fast singulär, über ein höheres N iveau von Fdl (= Foreign direct investm ents) verfügten oder ob im letzten Schub seit den S iebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Form der Globalität erreicht wird, die die gesam te bewohnte Erde zu ihren Rhythmen Tanzen macht.

c) G lobalisierung, W achstum und Introversion. G lobalisierung bedeutet Zunahm e der Abstraktion. A uch für d iese B eobachtung gilt, dass A bstrahierung, a lso Abstrak­tion als ein Prozess kapitalistischer V ergesellschaftung eign et - fast im O xym oron ausgedrückt: das M erkm alslose w ird M erkm al. D as >Uneigentüm liche< wird zur E igentüm lichkeit. D as latein ische Verbum abstrahere bedeutet zunächst dies. Abstra- here heißt »absehen von« oder »berauben«. B eid es meint: absehen von B esonderem oder, deutlicher, des E igentüm lichen berauben. D as abstrakte M ittel nim m t seiner-

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seits m ehrere Funktionen an. A us ein em M ittel w ird w en igsten s ein M it-Subjekt versachlichter Art. S ein N am e m it (fast) allen M öglich k eiten im R ucksack: G eld - vgl. erneut d ie G eldkapitel in den Grundrissen als erste Einführung.

Z um einen:einsichtotalisierenderW elt->M arkt<-d ie w eniger ironisch als kognitiv nötigen A nführungszeichen sind im m er m itzudenken - bedarf auch im K ontext des expansiven >Real<- oder Industriekapitals und seiner w eltw eiten Produktionsstätten e in es abstrakten M itte lz ie ls (fast einer aristotelischen Form ursache ähnlich), das dieser aktuell höchsten aller irdisch realisierbaren Abstraktion korrespondiert: das ist das vollends aller irdischen Schw ere, allem Eigenw ert ledige virtuelle G eld. D ieses G eld aber, das nun eine allein globalkapitalistisch erträgliche L eichtigkeit des Seins gew onnen hat, kann gerade aufgrund seiner selbst innerkapitalistischen A bgehoben- heit, seinen quasisubjektiven Funktionen als O rientierungs- und R egulierungseinheit eine E igendynam ik entw ickeln , die aller üblichen H aushaltspolitik entfleucht.

D ie extrem e D issoziation , von Ulrich B eck und anderen Toren »Individualisie­rung« genannt (mit der im pliziten A nnahm e, bei diesen abstrakten Individuen handele es sich um gehfähige, m it allen Organen ausgestattete, bew usstseins- und en tschei­d u n gsfäh ige P ersonen), schafft e in e neue g lobal v ereinzelte Interessenbindung, einen in ihr steckenden a-sozial-abstrakten gesellschaftlichen Zusam m enhalt. V iele w ichtigen Untersuchungen habe ich nicht zur Kenntnis genom m en, die diesen Fragen im Z usam m enhang kapitalism uskritisch, nicht kapitalism usm im etisch nachgehen. So hoffe ich w enigstens vermuten zu dürfen. A u f m einem unzureichenden Stand des W issens scheint es mir jedoch ein beträchtliches D efizit, w ie w enig die Kapitalanalyse nach Marx Anstrengungen eines g ew iss nicht sim plen Begriffs der spezifischen E igen­arten dieses globalen Kapitalism us unternimmt - M arx sah diese Entwicklungen erst anheben. Der fragmentarisch gebliebene Dritte Band des Kapitals drückt das u.a. aus.

Z um anderen: G lobale Entgrenzung findet am G lobus ihre G renze. D as bedeutet im U nterschied zu den »alten« Im perialism ustheorien der vorletzten Jahrhundert­w ende, die noch eher krisensüchtig K olonialisierungen durch kapitalistische Länder im Sinne der Externalisierung kapitalistisch angelegter Krisen zu begreifen suchten, dass a lle E xternalisierung nur noch in Form der Internalisierung erfo lgen kann (s. ein w enig ausführlicher von mir in der ProKla, 2003). Nun werden die noch nicht durch d ie »open door p o lic ies« herrschender Ö konom ien g eöffn eten Länder dem >Markt< restlos zugänglich zu m achen gesucht. D iese m ehrdim ensionale kapitalisti­sche Durchdringung, ein e A ufhebung aller gesellschaftlichen B ereiche in Form der D issoziation und der V erengung auf sich »rechnende« Interessen, kann als tenden­z ie ll unbegrenzte Sub lim ierung kap ita listischer A bstraktion verstanden w erden. Zusätzlich drängt die Frage, w as d iese E ntw icklung über d ie hum anen K osten hinaus an veränderten K onlliktpotenzialen in sich berge.

d) A us dem Ruder gelaufen: (gesellschaftliche) Statik und D ynam ik. E in augen­öffnender A ufsatz Adornos (1962) handelt von diesen beiden w idersprüchlichen, aber nicht d ichotom en gesellschaftlichen Aggregatzuständen und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. U nschw er einzusehen ist, dass eher statisch verharrende G esellschaften, in denen der lokale/regionale R aum bezug dom iniert, der V örm odem e zuzuordnen sind, eher dynam ische, a lso linear zeitlich in d ie Zukunft gerichtete der M oderne.

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Sow ohl primär statisch w ie primär dynam isch akzentuierte G esellschaften haben ihre Gefahren, die in Sachen »statisches G esellschaftskonzept« dann katastrophal aktuell w erden, w enn eine »m oderne V erkehrsgesellschaft« statisch vorwärts gezw ungen werden soll. Der N azism us mit seinen dynam ischen Instrumenten, von der Partei als »B ew egung« an bis zur »Endlösung« als m enschensäubem der Raumnahme »blut- und bodenverhafteter Arier«, fand darin seine hauptsächlichen terroristischen Eigenarten. Von »M oderne« zu reden, heißt auch, von Erfindungen sprechen. Karl M annheim hat in den dreißiger Jahren die m oderne Sequenz durch ein e V erbenfolge kurzzufassen gesucht: »finden, erfinden, planen.« (M annheim 1958, 175ff) John M cD erm ott hat später an Stelle des kapitalistischen Marktprinzips im 19. Jahrhundert, laissez faire, laissezaller, das gesetzt, w as M annheim unter »planen« verstanden hat: laissez innover (M cDerm ott 1975). Verführe man inhaltsanalytisch quantitativ, ließe sich feststellen, dass der Ausdruck »Innovation« tatsächlich die Schlüsselgröße der letzten Jahrzehnte darstellt. Zum wiederholten M ale trifft zu: die Bedeutung strikt technischer, neuerdings technologischer Innovationen mit erheblichen gesellschaftlichen Effekten ist kapitalis­m usalt - siehe ebenfalls erneut M arx zur Großen M aschinerie in den Grundrissen. W ollte man beschreiben, w ie sich Herrschaft vergrößert, in alle m enschlichen R egionen gedrungen, beschleunigt und intensiviert hat, man könnte es an ihren kom m unikativen Schüben tun: vom ersten Straßenbau, der E isenbahn, dem Straßen- und Autobau gegenwartwärts bis zu den heute defnierenden Inform ations- und K om m unikations­technologien. Nur bei prinzipiell >unberührter< Kapital-Herrschaft werden die sozialen Voraussetzungen und Folgen schier enthem m t produziert, d ie T echnologien, also nicht nur als Instrumente begrenzte Techniken, als ihre sozialen Bedingungen benötigen. D ie Quadriga der Arbeitsmarkt-, der Forschungs-, der B ildungs- und der Sozialpolitiken, w ie sie in den letzten Jahrzehnten unbeschadet aller Varianten nicht zuletzt von den kapitalistisch und m ilitaristisch führenden Staaten gefahren wird, dem onstriert die rücksichtslose Instrumentalisierung der Unterworfenen (= Subjekte) techno-logischen Kapitals. D ie w ieder enger verfingerten Vorkehrungen innerer und äußerer Sicherheit sollen u.a. dafür sorgen, die dissoziierten, w enngleich quantitativ m assenhaften Verluste technolog ischen Fortschritts, s o ’s nottut, in präventiver R epression zu entsorgen. D ie funktionale Superabstraktion erm öglicht die T echnologien . O hne sie wären die globalisierten Tatsachen - als die faits sociaux d'aujourd’hui! - heute nicht wirksam und nanotechnologisch w eiterzuentwickeln. Hinzu kom m t erneut die Veralltäglichung technologischer N euerungen als Sozialersatz bis in den Intimbereich.

Ist angesichts der kapitalistisch bestim m ten D ynam ik der T echnologisierung in Form und Funktion der sozia listisch w eith in vertretene produktivkräftige T echnik-/ T echnolog ieg laube noch angebracht? Kaum ! A u f den Zauberm eister G oeth es, der den inkom petenten L ehrling ab löst, w ird m an nicht m ehr zurückgreifen können dürfen. D ie T echnologien sind nicht kapitalism usfrei zu haben.

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III.

M arx’ Bem erkung, dass >das K a p ita l eine soziale B eziehung darstelle, ist bekannt­lich k eine randständige Fußnote. S ie ist für d ie Kritik der politisch en Ö konom ie zentral. A us d ieser em phatisch p olitisch -sozia len E insicht gegen alle naturalistischen F etischisierereien sind jedenfalls in R ichtung des globalisierten K apitalism us unzu­reichende K onsequenzen g ezogen worden. W ie unzureichend d iese sind, ist au f den ersten B lick daran zu erkennen, w ie d ie innere A usdifferenzierung kapitalistischer G esellschaftsform ation, mit Bourdieu ausgedrückt, in ökonom ische, politische und kulturelle K apitalverhältn isse, a ls handele es sich um e ig en e G rößen, verdinglicht und system atisiert worden ist.

Erste K onsequenz: nicht im Sinne der reich lich analysearm en und in d ie herr­sch en d e G ese llsch a ft w oh l e in gep ack ten akadem ischen F ächer verstanden , hat alle Kritik politischer Ö konom ie (vom unerreichten A dam Sm ith b is zu den hinter m athem atisierenden Form eln verborgenen neoklassischen Ideologen) als e in e Kritik der politischen Soziologie zu b eg in n en und zu verfahren. Sprich: durchgehend sind M acht- und H errschaftsverhältn isse, ist d ie nicht anthropologisch zu natura­lisierende, aber h istorisch anthropologisch a llem al naheliegende Suche und Sucht nach ind iv iduellen und kollek tiven Oberhänden in der im m er erneuerten Struktur gesellschaftlicher U ngleichheiten wahrzunehm en und in allen alternativen Form en zu beachten. Dauernde M acht- und H errschaftsverhältnisse w erden schon m it den ersten A rbeitsteilungen installiert: die A rbeitsteilung zw isch en Männern und Frauen und, noch durchgehender, d ie T eilung zw isch en eher kopfarbeitenden und eher handarbeitenden T ätigkeiten . D er n icht angeborene, aber überaus nahe liegen d e Drang >oben zu wohnen< erklärt, warum in aller R egel unter den ungleichen g ese ll­schaftlichen B edingungen , in denen alle sozialisiert w erden, U ngleichheit selbst für die nicht zum Skandal w ird, d ie >unten w oh n em , w o sie >die schw eren Ruder der Schiffe< b ew egen m üssen. N ahezu alle Form en der A nerkennung, das dichte G espinst positiver und negativer Sanktionen w eben m it dem M ittel der U ngleichheit. N icht sozia le G leichheit, sondern U ngleichheit versteht sich in nahezu allen G esellschaften fast von selbst: U n g le ich h eit ist Trum pf. A m penetrantesten ist d ies oh n e Frage in der kapitalistischen G ese llsch aft der Fall. Ihr A lpha und O m ega sind u ngleiche gesellschaftliche Verhältnisse, deren R eproduktion und deren neue Produktion. W ill man sozialistisch-anarchistisch prinzipielle G leichheit der L ebensbedingungen, den ersten Grund m öglicher D em okratie, erreichen, bedarf e s , w ie d ie u ngew öhnliche A narchistin S im one W eil trefflich bem erkte, nicht allein besonderer A nstrengungen der Begründung. Es bedarf auch unablässig eigener organisatorischer A nstrengungen (K ram er/Sigrist 1978). Pierre Clastre hat so lche A nstrengungen schon an Jäger- und H irtengesellschaften beobachtet. S ie scheinen >gewusst< zu haben, dass alle Herr­schaft m aterielle U n g le ich h eiten im w eiten S inne nur zusp itzt. K ein e W eise der V ergesellschaftung beruht von der ersten Präm isse an, ich w iederhole m ich, so sehr auf U n gleich h eit, der Produktion von U n gleich h eit und dem vergesellschaftenden Kitt von U n g le ich h eit w ie d ie kapita listische. D iese durchgehende Charakteristik g ilt für d ie neoliberal dom inierte G lobalisierung der aktuellen Stufe am m eisten .

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S ie ist gerade n icht >ökonom isch< im S in n e en g zw eck ration a ler E ffiz ien z zu begreifen, sondern als M acht- und Herrschaftstatsache an erster Stelle. D as A djektiv »n eo lib era l« darf fre ilich n icht dazu verführen , an zu n eh m en , e s habe sich zu »altliberalen« Z eiten oder zu Z eiten , da sozia lp olitisch U nterschiede grosso m odo besser abgefedert wurden, prinzipiell anders verhalten. D ie V ergesellschaftung qua U n gleichheit ist e s zugleich (die sich in v ie le U ngleichheiten ausdifferenziert), die das Interesse an kapitalistischer V ergesellschaftung nicht nur >oben< anhält. Dort freilich zuerst und vor allem . D as ist es, w as all d ie v ie lfach en K onkurrenzen am Laufen hält: das Streben nach ungleichen P ositionen mit all ihren w en iger in-, als vielm eh r exk lud ierenden F o lgen . Nur w enn d ie v ie ld im en sio n a len P olitiken der Attraktion und D ifferenzierung qua U ngleichheit begriffen w erden - als efficient and dignified fanctions zu g leich - , ist d ie Stärke kapitalistischer V ergesellschaftung zu erm essen.

Z w eite K onsequenz: D ie Erörterungen über das »V erhältnis« von »Staat« und »K apital«, von »Ö konom ie« und »P olitik« sind L egion . S ie halten an. A nalytisch ärgerlich ist hierbei jed och nicht nur das »E ntitätengerede«. In d ie Irre führt m ehr noch d ie >ewige< sozia ldem okratische, soz ia lp o litisch e und m eist auch so z ia lw is ­senschaftliche A nnahm e, >der< Staat sei so w eitgehend eigenfundiert, unbeschadet seiner abhängigen E igenart a ls »Steuerstaat« , dass darauf zu setzen lohne, >ihn< zu b eein flu ssen , w en n n icht zu >erobern<. D ann könne e s g e lin g en , der prim är ök on om isch begriffenen kapitalistischen D ynam ik die sch lim m sten R eißzähne zu kappen. O hne luhm annesk ein ev o lu tio n istisch es G esetz m oderner A u sd ifferen ­zierung h o ch zu sch reib en , wäre e s fa lsch , den e ig en en funktionalen S tellen w ert der au sd ifferen zierten T andem partner zu verkennen , w ie s ie form ell privat a ls Ö k on om ie und fo rm ell ö ffen tlich a ls Staat zuerst a u sg efä llt w orden sind. D ie »Staat« genannten, a llen fa lls in ihren Frühzeiten personal einheitlich gebündelten Institutionen zeichneten sich , einm al etabliert, durch ihr blutig errungenes M onopol legitim er physischer G ew altsam keit, den darin b esch lossenen Anspruch allgem einer G eltung und die sie bew irkende a llgem eine L egitim ation aus. Darum wird bis heute auch >links< staatlich, ö ffentlich und a llgem ein b is zur neueren, neoliberal kom ple­m entären D ebatte um d ie »ö ffen tlich en G üter« a llzu oberfläch lich m iteinander g le ich g ese tz t. D ie L og ik der Interessen , d ie d ie b eiden nah, aber nicht aus einer W urzel entstandenen hauptsächlichen R ationalisierungsinstitutionen der M oderne ausdifferenziert entw ickeln m achte, sobald sie etabliert » siam esisch« wurden - ich lasse das »kulturelle Kapital« und seine Produktionsform en dazw ischen außer a c h t- , g ilt in veränderten Form en und F un k tion en in Z eiten g lo b a len K ap ita lism u s g le ich erw e ise . W ie im m er es jed o ch m it der b egrifflich fa lsch en » A u to n o m ie« staatlicher Institutionen ohne Autarkie sein B ew enden gehabt haben m ag, in d iesen Z eiten g lo b a l verd ich teter und verschärfter K onkurrenz an zu n eh m en , ohneh in ausgeleierte und vielfach porös gew ordene staatsbezogene P olitik ließe sich kapitalis­m ussubversiv oder auch nur hauchzart an tikap ita listisch um polen - e in e so lch e A nsicht schöner Illusion (und R ationalisierung im freudschen Sinne) lässt sich w irk­lich k eitsw issen sch aftlich nicht begründen. U m ein langes A rgum ent abzuhacken: w er K apitalism uskritik sagt und von Staatspolitik in ähnlich nötiger radikaler Kritik

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sch w e ig t, so llte auch erstgenannte v ergessen . D as, w as staatliche P o litik heute in den Ländern lange etablierter (N ation al-)S taaten a u szeich n et, ihr innen- und außenpolitisches K onkurrenzm anagem ent, ihre w eltw eiten sicherheitspolitischen A u sgriffe b is zum »n ation -b u ild in g« , ihre s ich erh eitsp o litisch en Form ierungen dessen , w as noch an »Innenpolitik« bleibt - e insch ließ lich härter gew ordener Inklu­sions- und E xklusionsform en - , die staatliche Politik »national« und »international« belegt, e in sch ließ lich des in seinen Form en entrechtlichten R echts, dass politisch staatliche Um strukturierungen w enigstens so um fänglich nötig wären w ie po litisch ­ökonom ische. B eide können nicht reform hom öopathisch sequenziert werden.

IV.

Vorsicht vor a llem vor g esch ich tsp h ilo so p h isch im prägnierten Identifikationen. E ine lange G esch ichte. Voll der A m bivalenzen. Zu vergessen, dass Identifikationen m it einem kollektiven Dritten, w ie der dauernd fehlende H elm ut G ollw itzer (1983) einm al hervorhob, ungeheure Kräfte freisetzen können und verändernde, wahrhaft um w älzen d e P olitik erst erm öglich en , wäre töricht. T öricht und unentschuldbar naiv wäre es g le ich erw eise , man beachtete nicht genau, w orauf sich d ie »projektive Identifikation« b e z ie h t - w ie Freud sich ausdrückte (vgl. u.a. Massenpsychologie und Ich-Analyse): ob a u f den autoritären N ationalstaat oder au f eine sozia listische Zukunft (Narr 1999). D arauf hob G ollw itzer vor a llem ab. N ach all den G eschehn issen des unsäglichen 20. Jahrhunderts, des deutschen N azism us und seiner »E ndlösung« an erster, abgehobener S telle ist jed och abgrundtiefes M isstrauen gegenüber allen Vari­ationen der G esch ichtsphilosophie angezeigt. S o lch es M isstrauen ist g le ich erw eise gegenüber Identifikationen angezeigt, d ie - und seien es die blütig versprechendsten B ew egungen , Theorien und K onzepte - , au f der A nnahm e übersozialer E volutionen und R evolutionen gründen. Hinter W alter B enjam ins T hesen »Ü ber den B egriff der G esch ich te« , w ie er sie kurz vor se in em Selbsttod angesich ts der internationalen N azih atz im grenznahen span ischen Portbou form ulierte (nach etlich en Jahren endlich mit einem D enkm al versehen), gibt e s für die »N achgeborenen«, d ie bessere C hancen hatten, kein Zurück. Dort heißt e s unter anderem: » D ie Vorstellung eines Fortschritts des M en sch en g esch lech ts in der G esch ich te ist von der V orstellung ihres e in e h o m o g en e und leere Z eit durchlaufenden F ortgangs n icht abzu lösen . D ie Kritik an der V orstellung d ieses Fortgangs m uss d ie G rundlage der Kritik an der V orstellung d es Fortschritts überhaupt b ilden« ( 1991 , 7 0 1 ). D ass e in e so lch e Fortschrittspauschale heute mehr denn je der antiutopischen U topie globalen K api­talism us in w eltw eit dissonantem Konzert zugrunde liegt, lohnt fast nicht w eiter zu erw ähnen. Für d iejen igen aber, d ie sich antikapitalistisch wähnen und engagieren, ist es unabdingbar, sich von keinem entfernt entw icklungsautom atischen G esum m se mehr betören und zum schuldigen Toren m achen zu lassen. Dazu gehört, dass e s nicht m ehr angeht - d ie Toten m ögen die Toten begraben, a lso keine b esserw isserisch e Fundam entalkritik nach hinten! - , sich a u f A u släu fer ein m al »rea lso z ia listisch « gezäum ter Parteien und der von ihnen durchherrschten Staaten im Sinne hoffender Spekulationen e inzu lassen . Von letzterem ist das aspekte- und inform ationsreiche

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C hina-H eft, das als fü lliger Argument-Rand gerade erschienen ist, nicht frei. M eine G enossinnen und G enossen m ögen verzeihen. D ass niem and so arrogant sein darf, genau zu w issen , w as kom m en wird, ist eines. In d iesem Sinne ist aller Zukunft eine g ew isse Plastizität oder, im sozia lw issenschaftlichen Jargon, eine g ew isse K ontin­gen z e igen . Ein anderes ist e s aber, just d ie gegenw ärtige herrschaftsvolle, hum an e x zess iv kostenreiche D urchkapitalisierung C hinas und seine g lob a le R o lle noch anders zu verbuchen, als w ir d ies , w enn d ieser einvernehm ende Plural der ersten Person gestattet ist, mit anderen Länder- und K ontinentexem peln der globalen Durch­kapitalisierung tun. V ersch iedene, b e isp ie lsw e ise lateinam erikanische Varianten >nachholenden< A n sch lu sse s an d ie w e ltw e ite K ap italdynam ik m ü ssen g e w iss genau beobachtet werden. M ir hat es vor a llem B oliv ien angetan. M it antikapitalis­tischen B rechungen hat d ies aber nichts zu tun. D as ist das M erkzeichen globalen K apitalism us heute, b is zum W ehtun nüchtern zu konstatieren: dass die kapitalisti­sche D ynam ik O pfer um O pfer produziert, aber keine »B ew egu n g« aus sich entlässt, die sie im Sinne qualitativ anderer E ntw icklung zu überw inden verm öchte. D ieses w eltdeckende factum brutum sch ließ t im Z uge einer Kritik der politischen S o z io ­logie ineins m it einer Kritik der politischen Ö konom ie die Kritik an undurchdachten A nnahm en e in , d ie a u f e inen tech n o lo g isch en oder ö k o lo g isch en A utom atism us setzen . A ls könne aus der Inform ations- und K om m u n ik ation stech n o log ie - der prätentiös-hohle Sch inken Empire von N egri/H ardt m acht A ndeutungen in d ieser R ichtung - soz ia listisch radikaldem okratische W eltgestaltung gew on n en w erden. A ls führten die ökolog ischen K atastrophen, nicht zuletzt die K äm pfe um ausrinnende R essourcen irgendwann doch fast naturwüchsig zu transkapitalistischen, w enn nicht sozia listisch en G esellsch aftsform en (E lm ar A ltvater, dem ich v ie le E insichten im Verlauf seiner jahrzehntelangen K apitalism usanalyse verdanke, scheint mir in d iese R ichtung trügerischer H offung zu tendieren). Irrige A nnahm en, unter ö k o lo g isch E ngagierten nicht selten , bestünden auch um gekehrt darin, es geh e primär darum, sparsam er m it den R essourcen um zugehen , das K yoto-P rotokoll und seine daraus fo lgenden Praktiken zu intensiv ieren und andere E nergien b e isp ie lsw e ise aus der Sonne zu nutzen, d ie b is jetzt noch ohne negative externe E ffekte ge lten , danach fo lg e e in e andere V ergesellschaftung fast von a llein . S o oft ich selbst d ie au f d ie w u n d ervolle R osa L uxem burg zurückgehende, ihr jed en fa lls in der R eg e l z u g e ­schriebene D rohaltem ative zitiert habe - an d ie W and der G egenw arten geschrieben: Entweder Sozia lism us oder Barbarei - , so sehr m uss zum einen konstatiert werden, dass au f die sch lim m ste aller Barbareien, den N azism us, seine »E ndlösung«, seinen Z w eiten W eltkrieg und anders den so w jetisch en K ulackenm ord, d ie M oskauer P rozesse, G ulag u.a. nicht m ehr gewartet werden m uss und darf - von den täglichen barbarischen A kten , vom liberalen W esten inszen iert und/oder gedu ldet nicht zu reden. Z um anderen darf d ie luxem burgische Schreck- und W arnungsform el nicht ihrerseits g esch ich tsp h ilo so p h isch a u sg e leg t w erden. A ls gäbe e s doch so etw as w ie »W eltgerechtigkeit« und stellten sich notfa lls M enschen über M enschen den selbstverschuldeten U ntergängen, den »norm al accidents« (Charles Perrow) und den a-normal ones entgegen.

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V.

K ein e au sg em a lten A ltern ativen , aber fo r tg ese tz te h istorisch erfahrene P han­tasien n ich t-k a p ita lis tisch er V erg ese llsch a ftu n g sfo rm en tun not. S o früheren so z ia lis t isc h e n und k o m m u n istisch en B e w eg u n g en sin n v o ller W eise , um des e ig en en L ernens w ille n , >Vorwürfe< gem ach t w erden k önnen , so ist Kritik vor allem an deren nicht zufälliger Form blindheit zu üben (s ie g ilt w eith in auch für die G esch ich te m oderner U top ien und ihrer d ivers vorgestellten hom unculi). Inhalte zählen. D as m it gutem Grund. A u f d ie Z ie le kom m t e s an erster S telle an. B leiben die Inhalte jed o ch ohne d ie an gem essen en Form en (Instrum ente, O rganisations­w eisen , H abitus u .ä .m .), dann fä lschen u n geeign ete M ittel und V erhaltensw eisen die ed elsten A bsich ten . D er M ateria lism us, der praktisch den A u ssch lag g ib t, ist also der M aterialism us der Form en oder Institutionen. E ine der raren A usnahm en ist R osa L uxem burg in ihren len in -k ritisch en Ä ußerungen schon zu Z eiten der »O rganisationsfragen der russischen Sozialdem okratie« , von ihrer seinerzeit nicht ersch ien en en Kritik an L enin und Trotzki und deren Art, d ie O ktoberrevolution zu gesta lten , im Frühjahr 1918 ganz zu sch w eig en . D ort findet sich d ie zu R echt berühm te, m eist unzureichend zitierte Freiheitsbestim m ung. D as m eist m angelhafte V erständnis anarchistischer Ä ußerungen durch S ozia lis ten /K o m m u n isten hängt m it ihrer Form blindheit zusam m en. A n erster S te lle kann die Z ielverkehrung am Instrument kollektiver G ew alt beobachtet w erden. Hier ankert der große Irrtum des unverändert lesensw erten B uches von Frantz Fanon (Die Verdammten dieser Erde) und des fahrlässigen Vorworts von Jean Paul Sartre.

U nbeschadet lernender Kritik aber, aus der v iel Erfahrung und Vorstellungskraft gew o n n en w erden kann, kom m t es heute an erster S te lle darauf an, überlegend auszukundschaften , w ie d ie riesigen G rößenordnungen und E xtensitäten ö k o n o ­m isch, politisch , kulturell organisiert werden könnten, um ca. 6 M illiarden M enschen zu behausen , zu ernähren, ihr so z ia les G esch ick verstehen zu m achen und sie an dem selben teilnehm end m itbestim m en zu lassen. Einen technologischen Ersatz, die durch d ie Inform ations- und K om m u n ik ation stech n o log ien erm öglich ten , B üro­kratien übertreffenden Superabstraktionen g ibt e s dafür nicht. D ie kapita listische G igantom anie unserer T age, d ie R iesenaggregate, genannt N ationalstaaten, all das G eschw ätz von »global governance«, das dann auch noch euphem istisch vorw eg mit dem A djektiv »good« versehen wird, all d iese und andere Form en, d ie Ulrich B eck (1 9 8 8 ) trefflich d ie »organisierte U nverantwortlichkeit« genannt hat, an der EU nah zu dem onstrieren, s ie m achen d ie exp erim en toffen e S uche nach Form en anderer, human verantwortbarer und das heißt im m er radikaldem okratischer, a lso prinzipiell übersehbarer O rganisation zum ersten G ebot unserer Zeit. W er im m er sich antikapi­talistisch geriert, sie und er so llten in die Kritik am K apitalism us im m er die grob und fe inziselierte Kritik an den O rganisationsform en an vorderste S telle rücken (es sei denn der »A ntikapitalism us«, vgl. Christina K aindl in d iesem H eft, sei blubo-orien- tiert). Darüber hinaus bedeutete e s nicht, undem okratisch kom m enden G enerationen die Butter vom Brot klauen zu w ollen oder einen stellvertreterpolitischen Paterna­lism us alt abdankender L eute zu betreiben, w enn w ir Kritiker all unsere Phantasie

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noch und noch stim ulierten, über eine K osm opolis nachzudenken, die radikal plural organisiert wäre: ein e konfliktreiche, aber in ihren A ggressionen sublim ierte N ach­barschaft der E igentüm lichkeiten und A ndersartigkeiten!

VI.

D ie sse its und jen se its K ritischer T heorie. Selbstredend so llten A ntikap ita listen in Form und Inhalt an A ktivitäten teilnehm en und/oder d iese fördern, d ie darauf ausgehen , globalisierungskritisch zu m obilisieren und zu dem onstrieren (vg l. den B eitrag von E w ald L ienen in d iesem H eft). S o lch e »E rneuten«, w ie s ie M arx/ E ngels in der Deutschen Ideologie am E xem pel der L ehrlinge m itten im Spätfeu- dalism us/Frühkapitalism us genannt haben, haben an sich selbst Sinn. S ie bewahren D enk- und V örstellungsm öglichkeiten; sie lassen Kritik w en igsten s ze itw e ise zum Habitus werden. D ie 11. Feuerbachthese g ilt anhaltend w enigstens zusätzlich: »[...] es köm m t darauf an, sie zu verändern«, d ie kapitalistischen V erhältnisse näm lich. Ein schlechter Theoretiker, w er sich rein vom D reck aller Praxis hält. Schm utzige H ände sind unverm eid lich . S ie sind theoretisch nicht zu säubern. Nur dann wäre das vorstellbar, w enn Theorie »rein« zu sein , a lso ohne A m bivalenzen auskom m en zu können behauptete, ohne das R isiko, au f der herrschafts- und ungleichheits- und a u sb eu tu ngsgen eig ten G le itfläch e auszurutschen . O hne die P ostu late in d iesen Ü berlegungen zu negieren, g ilt jed o ch , dass d ie W unde aller au f Praxis erpichten T heorie heute n icht m ehr andauernd verbunden, vor a llem , dass sie nicht geh eilt w erden kann. Kants hübscher A ufsatz , »Ü ber den G em einspruch: das m ag in der Theorie richtig sein , taugt aber nichts für d ie Praxis«, kann nicht mehr ungebrochen nacherzählt werden. W enn die unoriginelle E insicht in d ie gegebenen B edingungen kapitalistischer Herrschaft, ihre Totalisierungen und ihre D ynam ik zutrifft - und man verkennte d iese Herrschaft historisch m aterialistisch an freien m enschlichen G ese l­lungen orientiert, ersähe man stehaufm ännchengleich L ücken und sich >altemativ< selbstaufhebende W idersprüche oder >system wandelnde< K onflikte - , dann sind alle praktischen Versuche aufs dringendste zu w ünschen und von jedem von uns zu verlangen. U nd m ögen sie nur e in igen Sans Papiers helfen , Studierenden w enigstens brosam enhaft einen L ernprozess m it se lb stb ew u sstem A u sgan g erm öglichen oder dem T aylorism us der A lten p fleg eh eim e bei e in igen v orzeitig dem ent gem achten alten M en sch en zuw iderhandeln . S ch on zu stu d en ten b ew egten Z eiten , da M arx von m anchen Grüppchen w eith in nur halb, näm lich dogm enfetischbedürftig rezi­piert worden ist, habe ich m ich darüber verwundert, dass m anche ihr sozia listisches Verhalten solange aufschieben w ollten , bis sich S ozia lism us ereigne. So lange w ollten sie sich munter und selbst undiszipliniert im Pfuhl kapitalistischer W onnen wälzen. Ein V erhältnis von T heorie und Praxis jed o ch , das an tikap ita listische G ese llu n g nicht nur analytisch und in ihren notw endigen Form en durchdächte, sondern zeigte, w ie d ie kapitalistischen W idersprüche und K onflikte au f ein e andere G esellsch aft drängen, d ie »nur« noch m obilisierend durchgesetzt w erden m uss, ist nicht m ehr m öglich . W eder aufgrund analytisch unerbittlicher T heorie, noch in fo lg e u m w äl­zender Praxis, auch w enn man der Drehbühnenm etapher der R evolution , d ie schon

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1789 nicht stim m te und 1917 vollends scheiterte, längst entsagt hat. B estenfalls gälte B enjam ins U m form ulierung, dass R evolu tionen heute b esten fa lls a ls »G riff nach der N otbrem se« verstanden werden könne. Indes, selbst eine »N otbrem se«, die den globalen V ielfachzug kapitalistischer D ynam ik auch nur brem ste, ist nicht in Sicht. Ich für m einen T eil bin jedenfa lls über d ie Kritische Theorie von A dom o/H orkheim er nicht h inaus. M ich berührt auch d ie von H aberm as, H onneth und dergleich en geäußerte kritische Kritik am »N egativ ism us« A dornos nicht. D iese und andere Anti- N egativ isten , a lso bejahende P ositiv isten , tum m eln sich allzu w oh lgefä llig inmitten des »Projekts der M oderne«. In d essen Suchbild verirre ich m ich, e ines kapitalistisch gesp on n en en A riadnefadens bar. D er große Vorzug w eitergrabender »negativer D ialektik« bestünde nicht zuletzt darin, dass den Postulaten, die ich unter II. und III. andeutete, eher entsprochen werden könnte. Der große Vorzug ergäbe sich zusätzlich daraus, dass v ie le Selbst- und Frem dtäuschungen verm ieden werden könnten, die im naiven Immergrün dahinw elken. A llerdings m uss K ritische Theorie um ihrer selbst w illen , um w eiterw irken zu können, ein stückw eit überstiegen werden. Oder anders, sie m uss ihre im plizite U topie (e insch ließ lich von deren Praxis), die b e isp ie lsw eise gerade in der »N egativen D ialektik« ein e entscheidende, w enngleich fast verborgene R olle spielt - der B egriff »U top ie« und seine Aura kom m en durchaus v o r - , ungleich m ehr ex p liz ieren . D as, w as A dorno te ilw e ise erst in se iner »Ä sthetik« getan hat, näm lich sein e ig en es M aßverhältnis w en igstens zu nennen und zu begründen, das ist generell vonnöten. W ie sollten antikapitalistische U rteilsfähigkeit und dam it verbun­dene Vorstellungskraft w eiter betrieben, w eiter gelehrt, w eiter gelernt und w eiter dem onstriert w erden, w enn nicht im m er erneut d ie Z ielgrößen eingedacht würden, die allen Antikapitalism us von grundauf m otivieren und beflügeln? D ie Ekstase des aufrechten G angs, Naturrecht und m ensch liche W ürde, Krum m es H olz, aufrechter G ang, um B lo ch m it G o llw itzer und Kant zu m ixen . S ie sind in Inhalten nicht nur, sie sind in chancenreichen Form en kritisch-analytisch und praktisch vorwärts gew andt zu bedenken und zu erproben, w enn anders nicht d ie vergeb lich e Suche nach der im m er schon verlorenen sozia listisch radikaldem okratischen G esellschaft in erschlaffender Frustration stattfinden soll.

VII.

G efahr ist im Verzug, dass all d ie bald ze itw eilig m unteren, bald jedoch lahm enden A ntikapita lism en ein e in h eitlich es >Schicksal< erleiden: sie w erden kapitalistisch absorbiert. Von »B ew egu n gen « wi l l ich aktuell ohnehin nicht reden, ein Ausdruck, der N S-eingedenk vorsich tig und vorbehaltevoll benutzt w erden so llte . D ialektik des A ntikapitalism us hieße dann höchst banal, dass d ie Kurz- und F lachgriffe anti­kapitalistischen R äsonnem ents und seiner A ktivitäten besten fa lls a ls so etw as w ie besondere kapitalistische F itness-Studios wirkten. D ass dem so ist oder bis zur Wahr­heit d ie Gefahr droht, hat nicht nur dam it zu tun, dass die antikapitalistischen H asen sich angesichts der im m er schon präsenten kapitalistischen Igel totlaufen. M it ihrem K euchen können sie allein sich selbst überzeugen, U ngeheures ge le iste t zu haben. D ass dem so ist, tritt nahezu sachzw angartig so lange ein , w ie au f der bürokratischen

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Dialektik der Antikapitalismen Al

H öhe kapitalistischer O rganisationen ein sch ließ lich der N ationalstaaten »A lterna­tiven« gesucht werden (als andere M ärsche durch d ie Institutionen). Kann man die u nverm eid lich herrschaftlichen , M en sch en versach lich en d en G rößenordnungen nicht unterw andern, k lein sch lagen und von unten her ersetzen , dann g ilt M ax W ebers antibürokratisches Bürokratiegesetz: indem Bürokratien auf ihrer H öhe mit ihren Z ielen und Instrum enten reform iert w erden so llen , findet ein e bürokratische M im esis ihrer Kritiker und deren reformierter Vorkehrungen statt.

Ursprünglich w ollte ich d iese sieben thesenförm igen Erwägungen mit folgender Überschrift versehen: Objekt, Subjekt, Verzweiflung. Dam it w ollte ich ausdrücken, dass d ie kapitalistisch objektivierte >Welt< von weltmarkt->oben< bis zum Verhalten vereinzelter M enschen , d ie in einer F ülle heterogener Lokalitäten zerstreut leben, w ollte man sie denn ändern, V erzw eiflung hinterlässt (und w enn nicht, dann g eg en ­wärtige P athologien), ob man von solcher in eigener Person nun erfüllt ist oder nicht. Mir scheint: erst w enn man um den objektiven Charakter antikapitalistischer, soz ia ­listisch gerichteter Verzweiflung w eiß , sich nicht betrügt, erst dann ist subjektiv ein A nfang gegeben , zusam m en m it anderen, und seien es zunächst nur w en ige, aber mit a llgem ein em , sprich p o litisch em A nspruch im besten aristotelischen, m arxschen, sim on ew eilsch en und hannaharendtschen Verstände w ider d ie objektive V erzw eif­lung und ihren subjektiv resignativen U m sch la g aktiv und anhaltend, m it nicht endendem Hum or anzukäm pfen.

Literatur

Adorno, Theodor W., »Über Statik und Dynamik als soziologische Kagetorien«. in: ders., u. Max Horkheimer, So c io lo g ic a I I . Reden u nd V orträ g e , Frankfurt/M 1962,205-22 Beck, Ulrich, G egengifte. D ie o rg a n is ie rte U n v e ra n tw o rtlic h k e it , Frankfurt/M 1988 Benjamin, Walter, G esam m elte S c h rifte n , A bha nd lungen, Band 1-2, Frankfurt/M 1999,691-704Gollwitzer, Helmut, »Der Fieden als Menschenrecht«, in: F re ih e it und G le ichhe it. S t re itsc h r if t f ü r D em o­k ra tie und Menschenrecht, hgg. v. Komitee für Grundrechte und Demokratie, H. 4, Januar 1983,7-16Kramer, Fritz, u. Christian Sigrist (Hg.), G e se llsc h a fte n ohne Sta a t, Bd 1: G le ic h h e it u nd G egen­se it ig k e it , Frankfurt/M 1978Mannheim, Karl, M e nsch u nd G e se llsc h a ft, Darmstadt 1958McDermott, John, »Technologie: Das Opium der Intellektellen«, in: Wolf-Dieter Narr u. Claus Offe (Hg.), W o h lfa h rssta a t u nd M a sse n lo y a litä t , Köln 1975,283-303Narr, Wolf-Dieter, »Identität als (globale) Gefahr. Zum Unwesen eines leeren Wesensbegriffs und sei­nen angestrebten Befindlichkeiten«, in: Walter Reese-Schäfer (Hg.), Id e n titä t u nd In te re sse , Opladen 1999, 101-28Weil, Simone, O p p re ss io n and L ib e r ty , London 1958dies., Z e u g n is se f ü r das G ute, hgg. v. Friedhelm Kemp, München 1990

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