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Abruzzen Montepulciano

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Montepulciano - leckerer Rotweine zu moderaten Preisen. WEINWELTEN von Maus und Bassler, unterhaltsame Texte und künstlerische Fotos

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montepulciano aus den abruzzen

Verlässliches Multitalent

montepulciano heißt ein einsamer stern am weinhimmel über den abruzzen. wo andere regionen mit dutzenden einheimischen rebsorten unterschiedlichste weine hervor­bringen, kennt die mittelitalienische region nur einen roten. der ist dafür aber eine art multitalent, was geschmack und stil angeht. die charmanten tröpfchen schmeicheln jedem gaumen, und die preise sind gemäßigt − manchmal auch die qualität. so sind die weichen weine aus dem entlegenen bergland zu exportschlagern geworden.

„Dir bleib ich immer treu“, beteuern zwei große Hundeau-gen, die abgerissenen Eselsohren des Plakats nehmen ihnen fast die Sicht. Besser könnte man den Montepulciano d’Abruzzo kaum beschreiben. Egal, ob er aus dem Regal ei-nes Weinfachgeschäfts oder eines Getränkemarkts stammt, Montepulciano ist eigentlich immer ein verlässlicher Trink-wein und das zu vertretbaren Preisen.

Viel Frucht, gemäßigte Säure, wenige Bittertöne und günstige Einstiegspreise machen ihn zur Idealbesetzung jeder Gartenparty und sorgen nebenbei für weitreichende Konsensfähigkeit. Er schmeckt fast jedem. Der Montepul-ciano hat keine Feinde, doch gerade das hat ihn auch nie zu einem Kultwein gemacht. Es gibt keine Super-Abruzzeser und keine Adelsdynastien, die ihre Weinbautradition bis ins Mittelalter zurückführen. Montepulciano ist ein Kon-sumwein aus einer Gegend, die bis heute kaum ein Italien-reisender auf dem Schirm hat.

Irgendwo zwischen Adriaküste und Rom liegen die Abruzzen. Anders als in anderen Regionen gibt es innerhalb des Weinbaugebietes kaum Unterzonen, die verschiedene Stile repräsentieren. Eine der wenigen sind die Hügel um die Stadt Teramo. Dort im Norden der Abruzzen und oft bis fast ans Wasser der Adriaküste wachsen die Weine auf kalkhaltigen Böden unter Einfluss des Seeklimas.

Ein anderer Ausnahmefall ist die Gemeinde Controguer-ra, eine kleine Enklave, die eine ganze Reihe Rebsortenwei-ne keltert, unter denen Montepulciano fast untergeht.

Das Klima hier an der Nordgrenze des Anbaugebietes pro-fitiert von den kalten Fallwinden des Gran-Sasso-Massivs. Im Süden, dort wo das Anbaugebiet an die Mini-Region Molise stößt, gibt mediterranes Klima den Ton an. Das Gros der Reben aber steht auf den Hügeln im Inland, eini-ge 100 Meter über dem Meeresspiegel.

Die Tage werden mittags nicht so heiß wie an der Küs-te, nachts kann es dafür kühler werden. Aber die Böden sind fruchtbar, eher zu ertragreich als zu karg, was die Chancen auf guten Wein etwas verringert. Die Rebsorten sind norditalienisch wie in den Marken, wo Montepul-ciano Teil des Rosso Conero ist. Der allgegenwärtige Trebbiano, der neutrale Weiße Italiens, wächst beiderseits des Tronto.

Überquert man aber das Flüsschen, das beide Regionen trennt, zeigt nur ein unauffälliges Verkehrsschild an, dass hier zwei Provinzen aneinandergrenzen. Auch das träge Wasser unter der Asphaltdecke lässt kaum auf eine Demar-kationslinie schließen.

Wirtschaftswunder statt Dritte-Klasse-TicketKulturell gesehen fährt man aber vom vornehmen Nord-italien in den schlichten Mezzogiorno, den tiefen heißen Süden. Die traditionelle Aufteilung der Abruzzen an Großgrundbesitzer und mittellose Kleinbauern, von denen viele emigrierten, hat auch und gerade dem Wein nicht gut getan. Mit dem Abfluss der Arbeitskraft und moderni-sierungsunwilligen Padrones gingen die meisten Entwick-lungen des italienischen Weins an den Abruzzen spurlos vorüber. Noch heute wechseln sich bestockte Gärten mit brachgefallenen Weinbergen ab, und dazwischen kurven Tanklaster über die engen Sträßchen.

Keine Weinbautempel wie ein paar Kilometer weiter in der Toskana, keine Zypressenalleen, keine High-Tech-Weingüter, die mit Mini-Erträgen Spitzenweine produ-zieren. Statt dessen Selbstversorger, die neben Oliven und Gemüse nur wenig mehr Trauben anbauen, als sie selbst verarbeiten können.

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Um Wein zu machen, braucht es mehr als nur Trauben. Die Beeren müssen in eine Presse, möglichst nachdem sie eine andere Maschine von den Stielen gezupft hat. Nur in sauberen Großbehältern gärt der Most zu fehlerfreiem Wein. Bessere Tropfen wollen außerdem später im Fass ge-lagert werden, von der Abfüllung auf Flaschen später ganz zu schweigen. Diese Ausstattung geht ins Geld, und wer danach nicht die geeignete Menge Trauben und Abnehmer für seine Weine hat, holt die Kosten nicht wieder herein. So entstanden nach dem II. Weltkrieg Genossenschaften, die die Trauben von den Bauern kauften, die notwendige Technik für alle verwendeten und damit den Kostendruck nahmen. „Man konnte auswandern oder investieren“, erklärt Ivano d’Alicandro von der Cantina des Orts Tollo. Zuerst waren es ein paar Dutzend Bauern, die im Herbst ihre Trauben auf die Waage der Genossenschaft legten und so ihre Ernte zu Geld machten. Doch es wurden immer mehr. Die Genossenschaft produzierte große Mengen preis-wert und schaffte schließlich ein kleines miracolo economico.

Inkognito im Kultwein

Die Hallen sind längst mit Technik im großen Stil zuge-stellt. Pressen, Filter, Pumpen, alles computergesteuert,

Zentrale ist das Labor. Hier laufen die Fäden bei einigen Chemikern zusammen, die ihren Job mit naturwissen-schaftlicher Präzision erledigen. An den Tanks auf dem Hof führen Wendeltreppen in die Höhe. Oben übersieht man eine Welt von Rohren und Stegen, Ventilen und Stutzen. „50 Millionen Kilo Trauben im Jahr“, sagt Ivano und macht eine Handbewegung über die Tanks, die auch in einer Ölraffinerie stehen könnten. Von Rebenromantik ist hier keine Spur. In den Büroräumen sitzen Fachleute, die sich um Marketing und Kostenmanagement kümmern.

Zur treuesten Stammkundschaft zählten Kollegen aus der Toskana, die die Nachfrage in den achtziger Jahren nicht stillen konnten. Obwohl dort mit Sangiovese eine andere Rebsorte vorgeschrieben ist, glichen sie die Lie-ferengpässe kreativ mit Montepulciano aus. Gerade ihre Neutralität machte diese Rebsorte jetzt zum gefragten Gut. Einige Chiantis schmeckten verdächtig nach Weinen aus der Nachbarregion, und hinter vorgehaltener Hand kannte jeder mindestens einen toskanischen Winzer, der in den Abruzzen zukaufte. Beweismethoden gab es zu der Zeit noch nicht. Doch selbst einer der besten Önologen Italiens gab unter vier Augen zu: „Ich will den besten Wein machen – von mir aus auch mit Montepulciano.“

Der Chianti-Boom ist vorbei, und wenn Ivano heute Wein verkauft, klingelt das Telefon oft in einer Großstadt

Riesenweintanks blitzen zur Begrüßung, wenn man bei der Cantina Tollo vorfährt, und die Werbung sagt: „Dir bin ich immer treu.”

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an der amerikanischen Ostküste, von wo Einfuhrhändler den amerikanischen Markt versorgen. Oder auch in einem Dörfchen wie Bernkastel-Kues. Dort ordert der Einkäufer eines Importeurs mit dem weichen Akzent der Moselaner vielleicht 100.000 Liter, manchmal auch 250.000.

Die Absprachen drehen sich meist um Termine, Zoll- und Zahlungsmodalitäten. Gerechnet wird dabei mit spit-zem Bleistift. Bei den Mengen ist jeder gesparte Cent pro Flasche eine stattliche Summe. Das Material wird später im Tanklaster geliefert. Flaschen und Etiketten besorgt der Im-porteur je nach Wunsch des Kunden und seiner Zielgruppe.

Oft ist die Verpackung gar nicht so wichtig, denn viele dieser Weine landen schließlich in der Gastronomie. Da, wo die Wände mit plastischem Putz ein bisschen Capri-Grotten-Atmosphäre versprühen, die Kellner dicke Liter-karaffen auf den Tisch stellen und jeder blonden Signorina schwören, dass das der Wein aus ihrem Heimatdorf ist. Neutralität ist eben öfter von Vorteil. Den Montepulciano machte sie zeitweise zum meistexportierten Wein Italiens.

Schnelle Karriere als Comic-Star

Heute erfüllt Ivano Wünsche maßgeschneidert. „Letztens waren Chinesen da. Die gaben nur vor, wie das Etikett aussehen sollte.“ Viel Lärm gab es um Farben und Abbil-dungen, die in China oft mit verschiedenen Glücksvorstel-lungen verbunden sind. Am Ende bestellten die Asiaten dann 10.000 Flaschen, „ohne auch nur einen Schluck vorher zu verkosten“.

Weinberge mit dem Gran Sasso am Horizont im Gebiet Colline Teramane.

Der bescheidene Allrounder läuft bei jedem Grillfest zu Hochtouren auf. Selbst die einfachen Qualitäten schmei-cheln den Röstaromen von Steaks und Lammkoteletts mit ihrer charmanten Fruchtigkeit und vertragen sich sogar noch mit den frischen Salaten auf dem Buffet, solange die nicht im Essig schwimmen. Edelversionen nehmen es auch mit einem Braten und dichter Sauce auf. Im Sommer und draußen am besten leicht unter Zimmertemperatur ins Glas bringen! Einen akzeptablen Montepulciano findet man mitunter schon im Supermarkt bei den preiswerte-ren Modellen. Ein paar Euro mehr sind aber fast immer gut angelegt. Am besten bei einem kompetenten Fach-händler oder im Internet-Shop.

genusstipp

Mausempfehlungen für ungetrübte Trinkfreude

Barba www.fratellibarba.it Barone Cornacchia www.baronecornacchia.it Cantina Tollo www.cantinatollo.itFarnese Vini www.farnesevini.it Illuminati www.illuminativini.it La Valentina www.fattorialavalentina.it Masciarelli www.masciarelli.it Nicodemi www.collineteramane.com Villa Medoro www.villamedoro.it

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Der Wein eines Kollegen tauchte letztens unversehens in einem Manga-Comic auf. Seit einiger Zeit bekommen im-mer wieder Weine die Bedeutung eines Rätsels oder einer Weissagung. Das Geschäft mit den ostasiatischen Manga-Fans brummte über Monate „nur wegen ein paar Pinselstri-chen in einem Wegwerf comic“. Den ersten Container hat er per Luftfracht geliefert. Wer die Nachfrage nicht sofort befriedigt, für den ist das Geschäft gelaufen. Ivano macht so etwas auch nach Jahren im Geschäft noch nachdenklich.

Wie viele Weine seine Genossenschaft heute abfüllt, weiß er nicht auf Anhieb, auch sein Assistent nicht, der muss fragen gehen. Dann sind es über 40 verschiedene, vor allem Rosés sind in der letzten Zeit gefragt. Ihre Frucht ist so knackig. „Montepulciano kann viele Wünsche bedienen“, erklärt Ivano, er verkauft 40 Millionen Liter Wein pro Jahr.

Die preiswertesten Weine stehen für zwei Euro im Re-gal und schmecken ein bisschen nach schwarzen Kirschen, weich und unspektakulär. Die Sorte Wein, die nicht wirklich schlecht, aber nach dem Essen schnell wieder vergessen ist.

Etwas länger im Gedächtnis bleibt ein Bio-Wein. Im Bukett des tieflila Tropfens tummeln sich knackig rote Beeren. Auf der Zunge schmeckt man etwas Marzipan und einen schokoladigen Grundton. Jung, frisch, trinkreif – das sind die Qualitäten, die Montepulciano d’Abruzzo ausmachen und die nicht viele rote Rebsorten für sich in Anspruch nehmen können.

Ein Wein von handverlesenen Trauben aus einer einzel-nen Lage kitzelt schließlich das Mögliche aus der Rebsor-te. Aromen von Cassis bis Chrysanthemen mischen sich mit Zartbitter und Erdtönen. Die Tannine, die sonst oft stumpf und etwas plump erscheinen, haben sich nach drei Jahren im Fass zu kleinen Zungenschmeichlern rundge-schliffen. Mit seiner feinen Säure und einem Lederton zieht er dickflüssig durch die Mundhöhle und gäbe eine zünftige Begleitung für jeden Wildschweinbraten ab.

Familienbetriebe bleiben Einzelkämpfer

Um einem Wein so viel Substanz zu entlocken, braucht es kleine Weingüter, die man in den Abruzzen kaum findet. Eine Region ohne Image, eine Rebsorte mit wenig Wiedererkennungswert und Konkurrenz von mächtigen Billigheimern, das sind nicht eben die Standortfaktoren, die Edelwinzer zu schätzen wissen.

Aber es gab und gibt sie natürlich, die Dickköpfe und Qualitätsfanatiker, die wissen, dass Montepulciano eine der besten Rebsorten der Welt ist und man sie nur richtig behandeln muss. Edoardo Valentini war einer von ihnen.

Als er 2006 starb, hatte er vor allem gelernt, dass er seinen Weinen Zeit geben muss. Klingt selbstverständlich, aber wenn Winzer seinen Namen aussprechen, geht die Stimme immer eine Oktave nach oben, und die Vokale werden noch etwas länger gedehnt.

Ähnliche Bewunderung genießt auch Bruno Nicodemi. Er begann in seinen Weinbergen bei Teramo schon in den siebziger Jahren, die Erträge zu reduzieren. Heute führt seine Tochter Elena das Familien-Weingut und produziert Weine, die von der Seebrise und kühlen Nächten profitie-ren. Sie sind komplex und voll vibrierender Spannung.

Das Know-how dazu lieferte, genau besehen, die Kon-kurrenz. Die illustren Weinberater, die in den achtziger Jahren das Aushängeschild der Toskana-Winzer waren und sich mit Vorliebe in den Abruzzen eindeckten, ließen im Gegenzug ihr Wissen über marktgerechte Weine da.

Die Rebstöcke mit den besten und extraktreichsten Trauben hat schon Vater Bruno eigenhändig selektiert. Heute sind sie steinalt und darum noch besser. Dick und knorzig staken die Stämme fast zwei Meter hoch, die Triebe schießen waagerecht aus. Diese Pergola-Form kann man gut bearbeiten, führt aber oft zu hohen Erträgen, und nichts ist gutem Wein mehr Feind als Menge. In einem eigenen Forschungsprojekt hat Elena herausgefunden, dass zwei statt vier Triebe in Nord-Süd-Ausrichtung ideal sind.

Das Wichtigste hat der Vater bereits hinterlassen, darunter einige ältere Jahrgänge. Sie zeigen: Egal, ob der Montepulciano fünf, zehn oder fünfzehn Jahre alt ist, er hat immer noch seine fruchtige Frische. Wo andere ältere Semester erste Töne von Staub oder Sherry ansetzen, lässt sich der Montepulciano nichts anmerken. Vielschichtige Aromen, die große Weine durch Alterung entwickeln, sucht man allerdings meist auch vergebens. „Der Wein ist nicht ausgesprochen alterungsfähig“, erklärt Elena, „er steigert sich einige Zeit und bleibt ungefähr zehn Jahre auf dem Niveau.“ Auf Montepulciano ist eben Verlass. Wie auf einen treuen Hund. zig

Elena Nicodemi mit Edoardo, der nächsten Generation, im eigenen Weinkeller im Juni 2010.

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