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32 April/Mai 11 AYURVEDA Die Prinzipien von Vastu gelten unabhängig von Zeit- alter, dem Klima und der Kultur, und der Einfluss dieser Lehre reicht über die Grenzen Indiens hinaus. Das alte Wissen findet in der heutigen Zeit wieder grossen An- klang. Denn man ist sich bewusst, dass das Energiefeld eines Hauses einen entscheidenden Einfluss auf das Wohlergehen seiner Bewohnerinnen und Bewohner hat. Text: Sandra Memmo*

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32april/Mai 11 ayurVEda

Die Prinzipien von Vastu gelten unabhängig von Zeit-alter, dem Klima und der Kultur, und der Einfluss dieser Lehre reicht über die Grenzen Indiens hinaus. Das alte Wissen findet in der heutigen Zeit wieder grossen An-klang. Denn man ist sich bewusst, dass das Energiefeld eines Hauses einen entscheidenden Einfluss auf das Wohlergehen seiner Bewohnerinnen und Bewohner hat.

text: Sandra memmo*

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Vastu – Wohnen im Einklang mit der natur

bereits in der Caraka Samhita, einer bedeutenden Sammlung des Ayurveda, wird erwähnt, dass ein Gebäude die Bewohner nicht nur vor schädigen-

den Einflüssen wie Rauch, Sonne, Wasser und Staub schützen sollte, sondern auch vor unerwünschten Gerü-chen, Ansichten und Kontakten (Caraka Samhita: Su-trasthana, Kap. 15, Vers 16).

Die vedische ganzheitliche Architekturlehre vom Bau-en, Wohnen und Leben in Harmonie mit den Gesetzmäs-sigkeiten der Natur und dem Kosmos wird Vastu genannt, der Begriff stammt vom Sanskritwort Vasa ab, ein «Ge-lände zum Erbauen einer Residenz». Vastu vereint eine Vielzahl von Themenkreisen: die Architektur und das In-genieurwesen, die Astrologie und die Astronomie.

Die Lehre von Vastu stützt sich auf das jahrtausende Jahre alte Wissen der Veden ab (Veda = Wissen), ebenso finden sich im Ayurveda bedeutende Hinweise auf die Re-geln dieser Bau- und Wohnkultur. Zielsetzung des Vastu ist, Wohn- und Arbeitsräume zu schaffen, die unsere Ge-sundheit unterstützen und unser Wohlbefinden stärken. Dazu sollten die Wohnbereiche in Harmonie mit den na-türlichen Gesetzmässigkeiten stehen und so einen Gleich-klang von Raum und Umwelt erzeugen. Die wichtigsten Faktoren, um dies zu erreichen, sind die Form und die Lage eines Baugrundstückes. Dazu kommt die Geometrie eines Gebäudes und dessen Ausrichtung an den Him-

melsrichtungen. Ebenso wird die Umgebung des Gebäu-des berücksichtigt. Es sind nicht nur einzelne Gebäude, die nach diesen Regeln der Baukunst errichtet wurden – ganze Städte wurden so erbaut.

Die Energien harmonisierenLaut der Vastu-Lehre wirken auf unserem Planeten ver-schiedene Energien: die Strahlen der Sonne, des Mondes und der anderen Planeten. Ebenso wirken auf der Erde selbst Magnet- und Strahlenfelder. Dies alles ist uns in unserem Kulturkreis nicht fremd: Immer mehr Menschen lassen sich von einem Rutengeher bera-ten, gleichen mit Symbolen Elektrosmog aus oder kaufen sich zum Schutz Magnetfeldmatten. Doch das Prinzip von Vastu greift tiefer. Weitere naturgegebene Gesetz-mässigkeiten, die Vastu berücksichtigt, sind die Eigen-schaften der fünf Elemente, wie wir sie aus dem Ayurveda kennen: Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde.

Möchte man nach dieser Lehre bauen oder gestalten, erstellt man eine Vastuanalyse, denn um in einem ausge-glichenen Energiefeld leben zu können, sollte man die ge-nannten Faktoren berücksichtigen. Beim Grundriss des Baulandes achtet man darauf, dass dieser möglichst regel-mässig ist. Die Lehre besagt, dass sich auf einem recht-eckigen oder auf einem quadratischen Grundstück ein harmonisches Energiefeld bildet.

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Weiter ist es wichtig, jede Himmelsrichtung zu stärken. Als Beispiel nehmen wir den Nordosten: Er wird dem Wasserelement zugeordnet. Hier sollte das Grundstück möglichst rein, sauber und ordentlich gehalten werden. Abfall hat hier nichts zu suchen. Vorteilhaft ist es, wenn dieser Bereich leicht und offen gehalten und bestenfalls mit

einem Teich oder Springbrunnen unterstützt wird. Zudem fliesst die Lebensenergie aus nordöstlicher Richtung.

Gelehrt wird, dass alles, was in dieser Himmelsrichtung nicht dem belebenden Charakter der Energie entspricht, den zentralen Energiefluss in Wohnung oder Haus hemmt und damit die Gesundheit seiner Bewohner schwächen kann. Deshalb plant man im Nordosten idealerweise we-der fensterlose Räume noch Abstellkammern oder Toilet-ten. Auch auf grosse Einbauschränke sollte man hier ver-zichten. Optimal wäre es, wenn dort keine oder weit genug entfernte Nachbarhäuser stünden. Geländeerhe-bungen in Nordost-Richtung sind ebenfalls nicht erwünscht.

Das Universum im QuadratNahezu alle Vastu-Prinzipien beziehen sich auf das soge-nannte Vastu Purusha Mandala – ein Quadrat, in dessen Innerem der Körper des Vastu Purusha eingeschlossen ist. Das Mandala ist exakt ausgerichtet nach den vier Haupt-himmelsrichtungen und stellt den besten Grundriss für jedes Bauwerk dar. Weil es als Symbol für absolute Voll-kommenheit gilt, empfiehlt Vastu, das ganze Gebäude nach einem quadratischen Grundriss zu errichten. Puru-sha nimmt dabei im Quadrat eine diagonale Lage ein. Das Quadrat symbolisiert das Universum als Mikrokos-mos und ist stark und stabil. Das bietet optimalen Schutz vor äusseren Einflüssen.

Genauso wie der Mittelpunkt eines Kreises, ist der Brahmasthan das Zentrum des Hauses, auf den alle Teile bezogen werden. Durch diese Beziehung entsteht etwas Neues. Pursusha wird liegend und zur Erde blickend dar-gestellt. Purusha stellt die Seele dar, bzw. wird als Seele übersetzt und gedeutet. So sollte man beim Einrichten darauf achten, dass man keine schweren Möbel auf die Herz- und Kopfgegend von Purusha stellt. Dieser Bereich sollte auch frei sein von störenden Einflüssen wie Stützen oder Wänden. Ebenso sollte in jedem Raum die Mitte frei bleiben. Dazu kann man zwei Diagonalen von den gegen-

die Legende des Vastu Purusha

gh./sm Der Legende nach entstand Vastu Purusha durch den Streit von Andhakasura, einem extrem mächtigen Riesen (Rakshasa), mit den Halb-Göttern, den Devatas.Diese mythologische Sage besagt, dass sich der grosse Gott Shiva in diesen Disput von Andhakasura und den Devatas einmischte und den Andhasasura bezwang und tötete. Während dieses Krieges schwitzte Shiva aber so sehr, dass durch den Schweiss eine neue Gestalt, eben besagter Vastu Purusha, entstand. Kaum war dieser aber geboren, verschlang er kurzerhand alles um ihn herum. Dadurch verängstigte er die Devatas so sehr, dass sie zu Brahma beteten.Brahma riet den Devatas, diesen zerstörerischen Dämon zu bezwin-gen, indem sie ihn mit dem Gesicht zur Erde auf den Boden drücken und ihn in dieser Lage behalten. So machten sich 45 Devatas auf und überwältigten Vastu Purusha, so dass dieser von Nord-Ost bis Süd-West mit seiner ganzen Grösse auf den Boden zu liegen kam. In sei-ner misslichen Lage betete nun Vastu Purusha zu Brahma und bat ihn um Vergebung. Dieser segnete Vastu Purusha und machte bekannt, dass das Leben, die Konstruktion auf der Erde nur dann erfolgreich ist, wenn Vastu Purusha angebetet und respektiert wird. Durch diese Güte inspiriert, versprach Vastu Purusha den Bewohnern des Hauses «Erde» und den Landbewohnern, sich um sie zu kümmern.Vastu Purusha ist ein Mann, welcher mit seinem geneigten Rücken nach oben und seinem Kopf nach Nordosten auf der Erde liegt.Die Richtung und die einzelnen Körperteile dieses Riesen ordnen dem Land ihre Aufgaben, ihren Nutzen zu: Die Ellenbogen richten sich nach Nordwest und nach Südost. Die Knie sind angewinkelt und be-rühren die Ellenbogen, sie zeigen also ausschliesslich in die Richtung der Ellenbogen. Seine Füsse respektive Fusssohlen sind miteinander verbunden und weisen in die Richtung Südwest.Vastu Purushas Nabel ist als Mitte und Zentrum des Landes, des Rau-mes, des Hauses zu definieren. Er wird als Brahma Sthan bezeichnet und gilt als glücklichster und meistversprechender Ort.

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überliegenden Ecken ziehen, der Schnittpunkt muss frei sein: Deckenlampen also möglichst an einem anderen Ort befestigen.

Die Tür zu Ruhm und StärkeDie Haustür vermittelt uns beim Eintreten den ersten Eindruck und beeinflusst die Atmosphäre des Hauses. Im Vastu ist die Lage der Wohnungstür von grosser Bedeu-tung. Ebenso die Himmelsrichtung, der sie zugewandt ist. So sollte die Haustür die grösste Tür des Hauses sein. Nach Osten gewandt bringt sie Ruhm und Stärke und erfüllt die Wünsche der Bewohner. Eine nach Norden weisende Tür verspricht Erfolg und Fruchtbarkeit.

Vorteilhaft ist auch eine Treppe, die zur Tür hinauf führt. Zu beachten gilt, dass die Haustür möglichst nicht in der Mitte einer Wand liegt. Ideal ist eine Tür, die sich den Besuchern und Bewohnern in der Nähe der Nordost-Ecke öffnet.

Türen sollten sich nicht gegenüber liegen, das gilt für Türen in Wohnungen genauso wie für Eingangstüren von Häusern. Falls man sich in einem dauernden Streit mit seinen Nachbarn befindet, könnte man einmal auf die Platzierung der Eingangstüren achten: Befinden sie sich gegenüber, vereinigen sich die kosmischen Energien und dies kann die Bewohner nervös machen.

All diese Prinzipien spielen auch bei einem Anbau eine Rolle. Wenn man weiss, welche Folgen daraus resultieren können, plant man vielleicht entsprechend. So wird man nicht überrascht, wenn sich bei einer Erweiterung des

Hauses im Nordosten plötzlich Nachwuchs ankündigt oder Wohlstand eintritt. Wenn der Ausbau im Nordwes-ten geplant wird, sollte man sich bewusst sein, dass dies die Geselligkeit und den Erfolg fördert. Hat man einen Frauenhaushalt, könnte man die Erweiterung im Südos-ten planen, denn das begünstigt die Gesundheit und die Harmonie der Frauen im Haus.

Natürlich muss niemand sein Haus abreissen, um völlig neu planen und bauen zu können. Nicht jedem ist es möglich, seinen Lebensraum komplett nach der Vastu-Lehre zu gestalten oder umzufunktionieren, ebenso un-möglich ist für viele das vertiefte Studium dieser Lehre. Aber es gibt im Buchhandel bereits Fachbücher, die sich dieses Themas angenommen haben. Darin findet man einfache Tipps, denn oftmals helfen schon kleine Ände-rungen, eine bessere Atmosphäre zu schaffen. So können zum Beispiel für ein gesundes Wohnen die Elemente in ein harmonisches Zusammenspiel gebracht werden.

Die Elemente stärkenAlles, was das Element Erde stärkt, findet seinen Platz im Südwesten. Hier sollte das Elternschlafzimmer sein. Aber auch wenn sich hier das Studierzimmer befindet oder gar ein Lager eingerichtet ist mit schweren grossen Schrän-ken, passt es in die Vastu-Lehre. Auch eine Garage wäre hier nicht falsch.

Das Element Wasser stärkt man im Nordosten. In die-ser Ecke könnte man ein Schwimmbad oder einen Win-tergarten planen. Aber auch ein Zimmerbrunnen oder ein

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Aquarium tut seinen Dienst. Hier ist der ideale Platz für ein Kinderzimmer oder einen Meditationsraum.

Das Element Feuer ordnet man dem Südosten zu. Ein offenes Feuer, ein Kamin, Kerzen oder elektrische Anla-gen sind hier richtig. Man kann auch rote und orange Farben benutzen. Hier ist der richtige Platz für die Küche oder auch eine Sauna.

Das Element Luft wirkt im Nordwesten. Hier wäre der passende Bereich für ein Gästezimmer, das Bad oder das Büro. Wenn nicht gerade ein kalter Wind über die Land-schaft fegt, sollte man hier immer gut lüften und mög-lichst oft die Fenster öffnen. Sitzt man gerne in einem Schaukelstuhl, um sich an den feinen Bewegungen eines Mobiles zu erfreuen, oder mag man den Klang eines Windspiels, ist hier der Platz dafür.

Das Element Äther findet man im Zentrum und im Nordosten. Dieser Bereich sollte möglichst offen sein, denn dieses Element beansprucht viel Platz. Das wäre auch der Platz für einen lichtvollen Innenhof, wie wir es als Atrium kennen, oder für ein offenes Wohnzimmer.

Hin zu einem tiefen SchlafFür einen tiefen und gesunden Schlaf sind nach der Vas-tu-Lehre nicht nur die richtigen Matratzen verantwort-

lich, sondern auch die Ausrichtung der Betten. Leidet man unter schlaflosen Nächten, sollte man diese überprü-fen: Den erholsamsten Schlaf findet man, wenn der Kopf Richtung Süden zu liegen kommt. Auch sollten über ru-henden Hausbewohnern weder Betonpfeiler noch Metall-balken verlaufen. Einzig wenn man in einer Lernphase steckt, kann man auch mit dem Kopf gegen Osten schla-fen, denn dies soll die intellektuellen Fähigkeiten anregen.

Bei der Einrichtung eines Therapie- oder Praxisraumes macht es Sinn, die Vastu-Prinzipien einfliessen zu lassen. Denn darin werden Menschen begleitet, die bereits ge-schwächt sind. Ist die Umgebung harmonisch und im Einklang mit den Naturgesetzen gestaltet, fühlt man sich gut aufgehoben. Das hilft, die Genesung nachhaltig zu unterstützen.

Natürlich gilt es auch bei der Vastu-Lehre, den gesun-den Menschenverstand walten zu lassen. Gewiss sind viele Dinge möglich, aber oft helfen schon ganz kleine Ände-rungen, damit wir wieder voller Freude durch unsere Räume lustwandeln können.

* Die Autorin ist dipl. Klinische Ayurveda-Spezialistin seit 1994. Sie leitet ihr eigenes Ayurveda-Schulungsinstitut in Oberbayern, bietet Ayurveda-Kuren in Südtirol und Sri Lanka an und ist regelmässig in der Schweiz tätig. www.ayurvedanet.net

Süden

Ätherelement

Norden

OstenWesten

Wasserelement

FeuerelementErdelement

Windelement

NordosteckeNordwestecke

SüdosteckeSüdwestecke