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Leserdienst 122mit
architheseBarkow Leibinger Trumpf Baar
Bearth und Deplazes ÖKK Landquart
Burkhalter Sumi Sulzer Winterthur
Diener&Diener PowerTower Baden Nord
Galfetti Könz Universität Lugano
Gigon/Guyer Pflegiareal Zürich
Herzog&deMeuron Helvetia Patria St.Gallen
Hotz Paninfo Brüttisellen
Jörg + Sturm Museum Gertsch Burgdorf
Jüngling und Hagmann Würth Chur
Meili, Peter und Staufer &Hasler RiffRaff Zürich
Morger&Degelo Gemeindezentrum Reinach
von Ballmoos Krucker Stöckenacker Zürich
1.2003
Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Revue thématique d’architecture
Swiss Performance 03
archithese 1.2003
Januar/Februar
Swiss Perform
ance 03
3
Jean Nouvel:Monolith in Murten,2002(Foto: HubertusAdam)
Swiss Performance 03
Nun schon zum dritten Mal: der Rückblick von archithese auf Gelungenes, Dis-
kussionswürdiges und Spektakuläres im Schweizer Baugeschehen des Vor -
jahres. Erneut stellen wir bemerkenswerte Bauten und Projekte des vergange-
nen Jahres vor. Manches, was in diesem Zusammenhang vermisst werden mag,
haben wir schon in vergangenen Heften präsentiert, so dass sich auch ein Rück-
blick auf den Jahrgang 2002 lohnt. Anderes mag durch unseren Raster gefallen
sein oder uns nicht erreicht haben. Wir beanspruchen keine Objektivität, weil
es diese für eine Architekturzeitschrift nicht geben kann: Spektren bestimm -
ter Regionen interessieren uns nicht, weil wir – statt alles zu zeigen – lieber
Akzente setzen. Wir sind aber auch keine populären Zauberer, die Hasen oder
Kaninchen aus dem Hut springen lassen.
Wie immer ist auch in diesem Heft das Panorama breit: Es reicht vom Einfa-
milienhaus bis zur grossstädtischen Siedlung, von der Bar bis zum Museum,
vom Kino bis zum Business Center, vom Verwaltungsgebäude bis zum Univer-
sitätscampus . . .
Die Frage, warum bei einem Jahresrückblick auf 2002 die Schweizer Expo
ausgespart bleibt, ist schnell beantwortet: Zu unserer geplanten Meinungs-
umfrage zur Expo unter Architekten, die nicht gebaut oder mitgeplant haben,
mochte sich niemand äussern. Diese Sprachlosigkeit spricht für sich; wir
arbeiten aber weiter unverdrossen daran, dass der helvetische Diskurs über Ar-
chitektur nicht gänzlich einschläft.
Die gewohnte Aufteilung in thematische Beiträge, Architekturkritik und Rub -
riken wurde auch bei dieser Swiss Performance zugunsten eines möglichst
breiten Fächers von aktuellen Beispielen vorübergehend aufgehoben. Als
Einleitung findet sich in diesem Heft ein Interview, in dem ein prominenter Ver-
treter der Profession über seine Einschätzung des Standes der Dinge Aus -
kunft gibt. Wer die von der archithese gewohnten theoretischen Beiträge ver-
misst, sei auf die kommenden Ausgaben vertröstet: Heft 2 beschäftigt sich mit
modularen Bauweisen, Heft 3 mit dem Thema Hochhäuser.
Der bewährte Inhalt präsentiert sich ab 2003 in neuer Form: Das gewohnte
Erscheinungsbild der archithese wurde von unseren Grafikern Jürg Schönen-
berger und Urs Bernet unter fachlicher Beratung von Urs Stuber überarbeitet
und modernisiert. Die archithese ist etwas breiter geworden – liefert somit
noch mehr Information und bietet ein bilderfreundlicheres Layout. Neben neuer
typografischer Gestaltung gibt es eine ansprechendere und lesefreundlichere
Seitenaufteilung. Aber entdecken Sie selbst – für Ihre Anregungen und Mei-
nungen sind wir dankbar.
Wir begrüssen auch weiterhin die Abonnentinnen und Abonnenten der
Schweizer Baudokumentation. Unsere Zusammenarbeit hat sich bewährt und
wird fortgesetzt. Sie finden deren Informationen in ausführlicherer Form im Rub -
rikenteil, nun allerdings direkt unter dem Logo der Baudokumentation und
nicht wie bisher unter dem Namen Baudoc Bulletin.
Redaktion
E D I T O R I A L
10 archithese 1.2003
Herzog & de Meuron: Erweiterung Hauptsitz Helvetia Patria,
St.Gallen, 1999 – 2002 Bauen im Kontext, das bedeutete ober halb
von St. Gallen, ein ästhetisch bescheidenes Ensemble der
gestaltlos gewordenen Spätmoderne zu ergänzen. Im Spannungs-
feld zwischen einer Villenstruktur und den bedeutenden Hoch -
schulbauten der Sechzigerjahre gelang es den Architekten gemein-
sam mit den Land schaftsplanern, eigene Zeichen zu setzen, ohne
die bestehende Substanz ins Abseits zu manövrieren.
GEBROCHENE WIRKLICHKEIT
Fusion der Helvetia und der Patria Versicherung zur Hel-
vetia Patria. Die ausgedehntere Geschäftstätigkeit, die an-
fänglich die weitere Sistierung des Vorhabens zur Folge
gehabt hatte, führte schliesslich dazu, dass die Basler Ar-
chitekten zumindest mit einer Teilrealisierung betraut
wurden. Während die beiden hangseitigen Riegel im
Süden und Osten inzwischen fertig gestellt worden sind,
hat der Bau des grossen Blocks auf der Nordseite gerade
begonnen. Er soll zukünftig nicht von der Versicherung,
sondern von der Hochschule genutzt werden. Hinfällig ge-
worden ist der Neubau im Eingangsbereich.
Facettenoptik
Die von Herzog & de Meuron 1989 vorgeschlagene Ge -
bäudeorganisation konnte nahezu unverändert übernom-
men werden, Veränderung hingegen erfuhr die Fassaden -
gestaltung. Zeigte der erste Entwurf noch eine durchge-
hende Verglasung, so experimentierten die Basler wäh rend
des Arbeitsprozesses mit Fensterbändern, verschiedenen
Verschattungselementen und Markisen. In Ge bäu den der
jüngsten Zeit stellten die Architekten eine Reihe von Lö-
sungen zur Diskussion – handle es sich um die Geschäfts-
häuser an der Münchner Herrnstrasse oder in Solothurn,
das Roche-Verwaltungsgebäude in Basel, die Theatiner-
strassen-Fassade der Münchner «Fünf Höfe» oder den
Wohnbau in der Pariser Rue de Suisse. Schliesslich kam in
St.Gallen eine neu entwickelte – und wiederum andere –
Konstruktion zur Anwendung, die auf intelligente Weise
auf die Serialität der Fassadenplatten des Altbaus rea-
giert.
Auch wenn der vorhandene Bestand zunächst aus dem
Blick gerückt scheint, zeigt sich bei genauerem Hinsehen,
dass Alt und Neu einander benötigen: Das Basler Büro übt
sich nicht in Unterordnung, inszeniert aber auch keine
denunziatorischen Gesten gegenüber der qualitativ zwei-
Text: Hubertus Adam
Die Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften,
über der Stadt St.Gallen auf dem Girtannersberg gelegen,
zählt zu den bedeutendsten Beispielen für die Architektur
der Sechzigerjahre in der Schweiz. In den 1960 – 1963 rea-
lisierten Sichtbetonbauten von Walter M. Förderer, Rolf
Otto und Hans Zwimpfer verband sich auf zeittypische
Weise der Gedanke der Standardisierung mit der Idee
skulpturaler Durchbildung. Die Qualität des Ensembles
ermisst sich im Vergleich mit dem in unmittelbarer Nach-
barschaft errichteten Hauptsitz der Helvetia Versicherung,
einem kreuzförmigen, beziehungslos am Hang platzierten
Baukomplex aus rosafarbenen Betonplatten.
1989 gewann das Basler Büro Herzog & de Meuron
einen Wettbewerb für die Erweiterung des Versiche-
rungsgebäudes. Die Architekten hatten einen Plan vorge-
legt, das Kreuz weitgehend in seinem Originalzustand zu
belassen und an seinen Armen lediglich durch Anbauten
zu erweitern: durch zwei längliche, parallel zueinander
stehende Riegel im Süden und Osten, einen ebenfalls dazu
parallelen, grossen T-förmigen Riegel zur Anhöhe hin im
Norden und einen weiteren tischförmigen, auf Stützen ste-
henden Bau als neuen Eingangsbereich im Westen. Dieses
Konzept wies mehrere Vorteile auf: Zum einen drängte es
den ästhetisch befriedigenden Kernbau ins Abseits, zum
anderen gelang es, die durch die Kreuzform überspielte
Hangsituation durch die höhenversetzt gestaffelten Riegel
deutlicher zu artikulieren, und schliesslich ergaben sich –
gleichsam beiläufig – vier nach Westen oder Osten geöff-
nete Hofbereiche. So überzeugend der bis zur Quartier -
planung ausgearbeitete Vorschlag auch sein mochte,
zunächst wanderte er in die Schublade.
Erst 1999, also nach zehn Jahren, wurde das Konzept
wieder aufgegriffen. Vorangegangen war nicht nur eine
Situation weltpolitischen Umbruchs, sondern vor allem die
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22 archithese 1.2003
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sieht unerbittlich, wer sich über das Glatttal der Kernstadt
von Zürich nähert. Der Bau für Paninfo zeigt die mögliche
Alternative: ein Gebäude, das durch seine architektoni-
sche Prägnanz und Präsenz ins Auge sticht. Es ist nicht
«decorated shed», weil weniger der Firmenschriftzug als
die architektonische Gestalt die Aufmerksamkeit der
Autofahrer erregt; und es ist nicht «duck», weil in der Zeit
einer zunehmend auf Minimierung zielenden und sich da-
mit entsinnlichenden technischen Entwicklung für ein Un-
ternehmen, das als Hard- und Softwareproduzent tätig
ist, eine allgemein verständliche «architecture parlante»
ohnehin nicht zur Verfügung steht.
Geschlossene Form
Beim Vorbeifahren fällt der Blick auf das Parallelogramm
der dem Hang folgenden Fassade, die von einer Stirnseiten
und Dach gleichermassen überziehenden Haut aus ver-
zinntem Kupfer gerahmt wird. Rundungen verschleifen die
Unterschiede von Fassade und Dachkonstruktion; eine
Idee, für die zeitgenössische Architekturen in den Nieder-
landen Vorbild sein mögen. Auch die Längsfassaden ent-
sprechen nicht mehr dem klassisch-tektonischen Aufbau,
sondern wirken wie gläserne Vorhänge, welche thermi-
sche Funktion besitzen und darüber hinaus das Innere des
Gebäudes offenbaren: Hinter den der Autobahn zuge-
wandten Scheiben ist die vierfach gestufte Treppenkas-
kade der Erschliessungszone und schliesslich das Stahlbe-
tonskelett der Geschosse zu erkennen.
Die Groborganisation der inneren Struktur zeigt sich ab-
gestimmt auf den Ort: Eine sechsteilige Stahlplastik von
Matias Spescha passierend, betritt man das Innere durch
eine kleine Tür am unteren Ende des Gebäudes. Gerade-
aus staffelt sich die Treppe sukzessive in die Höhe, links
geht es in die auf fünf Ebenen angeordneten Arbeitsberei-
che. Indem der Erschliessungsbereich nicht nur als ther-
mischer, sondern auch als akustischer Puffer dient, bleiben
die Büros und Konferenzräume vom Verkehrslärm unbe-
einträchtigt.
Der Eindruck der Transparenz stellt sich auch in den
zurückhaltend gestalteten Innenräumen ein, da aufgrund
der Skelettkonstruktion nichttragende und zu Teilen eben-
falls verglaste Querwände zur Unterteilung genutzt wer -
den konnten. Wo nicht die beiden in das Dach einge-
schnittenen Terrassen eine visuelle Zäsur bilden, ergeben
sich Perspektiven durch das Gebäude, die dessen spezifi-
sche Grossform im Inneren ebenfalls erlebbar werden las-
sen.
Architekt: Theo Hotz, Zürich, mit WolfgangWerner und Peter BergerMitarbeiter: Marc LyonTragwerksplanung: Basler & Hofmann AG,ZürichBauherr: Paninfo Immobilien AG (Kurt D. Weber)
1 VorangehendeSeite: Gesamt -ansicht von derAutobahn (Fotos: MarkusFischer)
2 Situationsplan
3 Stirnseite mitPlastik von MatiasSpescha
4 Erschliessungs-zone auf der Seiteder Autobahn
5 + 6 GrundrisseEingangsebene und 1. Obergeschoss1: 750
7 Aufriss
3 4
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44 archithese 1.2003
Diener & Diener Architekten: PowerTower, Baden, 1999 – 2002
Roger Diener hat nicht nur den Entwicklungsrichtplan für das
«Innenstadt Nord» titulierte ehemalige ABB-Areal in Baden
entwickelt, sondern inmitten des Areals auch ein grosses Enginee-
ringgebäude realisieren können. Der PowerTower gibt sich mit
seiner Fassadengestalt modern und bildkräftig, ist aber dennoch
ein Musterbeispiel kontextuellen Bauens.
SUBTILE DIFFERENZEN
1
1 Blick durch einender Innenhöfe; imHintergrund dasKonnex-Gebäudevon Theo Hotz(Fotos: Ruedi Walti)
2 Situationsplan
3 Foyer mit Durch-blick in Restaurantund Atrium
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Text: Hubertus Adam
Beinahe ein Jahrhundert lang war das Industrieareal der
BBC nördlich des Bahnhofquartiers von Baden gleichsam
eine verbotene Stadt – von der das Gelände querenden
Bruggerstrasse abgesehen unbetretbar für alle, die dort
nicht ihrer Arbeit nachgingen. Der Wandel von der indus -
triellen zur Dienstleistungsgesellschaft liess den Standort
sukzessive zur Brache werden, denn für die neuen Anfor-
derungen boten die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts
entstandenen Werkshallen nicht mehr das geeignete Am-
biente. Mit der Fusion von BBC und Asea zur neuen ABB
hatte sich das frühere Produktionsunternehmen in einen
Engineering- und High-Tech-Konzern verwandelt: Den im
Blaumann malochenden Arbeitern folgten Ingenieure mit
Anzug und Krawatte. Grundeigentümer und städtische
Behörden, gleichermassen an einer Restrukturierung in-
teressiert, begannen 1988 gemeinsam mit der Entwick-
lung des zentrumsnahen und daher attraktiven Areals.
«Kooperative Planung» lautete das Stichwort für ein Ver-
fahren, das nahezu zeitgleich und aufgrund ähnlicher Stra-
tegien auch beim «Zentrum Zürich Nord» in Oerlikon zur
Anwendung gelangte. Aus den Ergebnissen eines Projekt-
wettbewerbs, der von dem Basler Büro Diener & Diener ge-
wonnen wurde, resultierte schliesslich die «Entwick-
lungsrichtplanung Chance Baden Nord 2005», die 1994
und in revidierter Form 1999 vom Einwohnerrat genehmigt
wurde und damit in Kraft trat. Ziel ist ein neues Stadt-
quartier «Innenstadt Nord», in dem Wohnen und Arbeiten
vereint sind; der Masterplan von Diener & Diener steckt
Perimeter, Gebäudehöhen und Volumina ab, ohne indes
Nutzungen festzuschreiben. Damit ist ein baurechtliches
Planungsinstrument geschaffen, das auf die Unwägbar-
keiten des Transformationsprozesses flexibel reagieren
kann.
Das Gesamtareal unterteilt sich in drei Bereiche: die
einstigen ABB-Areale westlich und östlich der Brugger-
strasse sowie die vorwiegend dem Wohnen vorbehaltenen
Verenaäcker jenseits der Bahntrasse. Um dem durch die
schützens- und erhaltenswerten Altbauten vorgegebenen
Charakter des Quartiers gerecht zu werden, sieht der Ent-
wicklungsrichtplan vor, neue nichtindustrielle Nutzungen
in Hof- oder Blockrandbebauungen von fünf bis sechs Ge-
schossen zu organisieren. Es geht also um typologische
Fortschreibung, nicht um konkrete Gestaltungsvorgaben.
Funktionswandel
Die vor dem Inkrafttreten der von Diener & Diener erarbei-
teten Strategien bestehende Grundordnung bildete die
planerische Basis des erst später in die Entwicklungs-
richtplanung integrierten Engineeringgebäudes «Kon-
nex», das als erster Neubau auf dem Areal entstand. Aus
einem von der ABB ausgeschriebenen Studienauftrag war
das Büro von Theo Hotz 1992 siegreich hervorgegangen.
Bei dem von der Bruggerstrasse im Westen und der BBC-
Strasse im Norden und Osten begrenzten Planungsgebiet
handelte es sich um das nordwestliche Viertel des Ge-
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70 archithese 1.2003
Bearth & Deplazes Architekten: ÖKK-Hauptsitz Ostschweiz,
Landquart, 2002 Graubünden mag primär als ruraler Kanton
verstanden werden, doch auch hier gibt es eine Reihe urban ge-
prägter Bereiche. Im Bahnhofsquartier von Landquart haben
Bearth & Deplazes ein Gebäude realisiert, das sich von der verna-
kulären Grundierung der neuen Bündner Architektur dezidiert
absetzt. Entstanden ist ein in räumlicher und klimatechnischer
Hinsicht vorbildlicher Verwaltungsbau.
FARBE UND GLAS1
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Text: Ahmed Sarbutu
Einfamilienhäuser und Schulbauten, die für die neuere
Bündner Architektur charakteristischen Bauaufgaben, ha-
ben mitunter vergessen lassen, dass es keineswegs allein
die Landschaft ist, welche im grössten Schweizer Kanton
den Referenzrahmen abgibt. Vrin und Vals sind Orte in ab-
gelegenen Talschaften, welche heute das Bild von der
Baukultur in Graubünden massgeblich bestimmen. Peter
Zumthors Therme, aber auch Gion Caminadas kontinuier-
liche Initiativen zur Dorferneuerung von Vrin können als
Interventionen gelten, die auf einen spezifischen Ort ab-
gestimmt sind und dort überaus gut funktionieren – aber
auch nur dort. Hatte das Konzept einer «analogen Archi-
tektur» ein wichtiges theoretischen Fundament für die
Blüte der Architektur der Neunzigerjahre in Graubünden
gelegt, so scheint die Gefahr nicht gebannt, dass auf die
Ära der Innovation jene der Repetition folgt. An die Stelle
einzigartiger Lösungen treten vermehrt vernakuläre Pla-
giate mindertalentierter Adepten. Die Situation ist nicht
unähnlich jener in den Siebzigerjahren, als die in ihrer
Kombination von Tradition und Moderne eigenständigen
Bauten von Rudolf Olgiati ebenso hemmungs- wie niveau-
los imitiert wurden.
Flucht aus der vernakulären Falle
Valentin Bearth und Andrea Deplazes zählen zu den Ar-
chitekten, die sich der Gefahr drohender Vereinnahmung
und Verwässerung bewusst sind und ihr mit diversen Stra-
tegien souverän entgegenzusteuern vermögen. Beim höl-
zernen Haus Willimann-Lötscher in Sevgein liessen sie
das Innere durchgehend weiss tünchen, um mit dem in
Graubünden obligaten Naturholzfetischismus zu brechen.
Das in einem monolithisch eingesetzten Porenbeton reali-
sierte Wohnhaus Meuli in Fläsch wirkt wie eine expressiv
verformte, anamorphotische Skulptur und bezieht damit
eine dezidierte Gegenposition zum platonischen Essenzia-
lismus einer auf Einfachheit zielenden neuen Schweizer
Architektur. Mit der Carmenna-Bahn in Arosa schliesslich
entstand ein Hochleistungssessellift, dessen grellbunte
Stationsgebäude in einer weissen Schneelandschaft dezi-
diert als antithetische Setzungen verstanden werden wol-
len.
Daneben beschäftigen sich Bearth & Deplazes vermehrt
mit urbanen Bauaufgaben – also mit Projekten, bei denen
der rurale Charakter des Kantons nicht von Belang ist. Auf
den naturwissenschaftlichen Flügel des Lehrerseminars
folgte nun der Ostschweizer Hauptsitz der Öffentlichen
Krankenkassen (ÖKK) in Landquart. Den meisten Reisen-
den dürfte der Ort vornehmlich als Umsteigestation oder
Autobahnabfahrt bekannt sein: Vom Rheintal aus gelangt
man hier ins Prättigau und von dort aus weiter nach Davos
oder vermittels des Vereinatunnels ins Unterengadin.
Diese topografische Lage hat Landquart zu einem Chur
benachbarten Subzentrum werden lassen; Verwaltungs-
bauten prägen das Ortsbild. Der Neubau der ÖKK befindet
sich an exponierter Lage in der Flucht der Bahnhofstrasse
2
1 Gesamtansichtaus RichtungBahnhof(Fotos: RalphFeiner)
2 Strassenansichtmit ausgefahrenenSonnenstoren