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Prof. Dr. Gerhard Bosch
Universität Duisburg Essen
Institut Arbeit und Qualifikation
Forsthausweg 2, LE, 47057 Duisburg
Telefon: +49 (0)203 / 379-1339; Fax: +49 (0)203 / 379-1809
Email: [email protected]; www.iaq.uni-due.de Inst
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Gerhard Bosch
Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Thüringen
Weimar 8. November 2017
Arbeit der Zukunft – den Wandel gestalten
Zwei Extreme in der Literatur zu Industrie 4.0- Horrorszenarien zu Beschäftigungsverlusten- Versprechungen einer schönen neuen Welt
Keines dieser beiden Szenarien glaubwürdig• Horrorszenarien unwahrscheinlich• berechtigte Ängste vor Abstieg - “löchrige
Arbeitsmarktinstitutionen”
Aufgabe der Wissenschaft, Probleme bei der Digitalisierung zu benennen und Lösungsvor-schläge zu entwickeln
Gliederung
1. Was ist Industrie 4.0?
2. Auswirkungen auf Beschäftigung
3. Auswirkungen auf Qualifikationen
4. Wachsende Ungleichheit
1.1 Was ist Industrie 4.0?
Mehrere Dimensionen
1. Selbststeuerung von miteinander kommuni-zierbaren Anlagen und Gegenständen
2. Vernetzung mit Kunden und Lieferanten
3. Produkt- und Arbeitsplattformen
4. Neue Geschäftsmodelle:
• Folge von Digitalisierung (on-line-Handel, 3D-Drucker … )
• andere Ursachen (Energiewende, Elektromobilität … )
1 – 4 unterschiedliche Herausforderungen: reichen von der Einführung und Beherrschung neuer Technologien, der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle bis zurKontrolle der Kundenzugänge
1.2 Industrie 4.0 – Smart Factory
Quelle: Bauer/ IAQ
1.4 Typen von Arbeitsplattformen
Quelle: F. A. Schmidt Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork
und Gigwork, FES : 7
2.1 Auswirkungen auf Beschäftigung
Technikzentrierte Horrorszenarien
- Osborne/Frey (2013): Schätzung von Rationalisier-ungspotentialen durch Robotikexperten
- Hohe Einsparpotentiale bei vielen Berufen - wie:• Köche in Restaurants 96%• Maler/Lackierer 92%• Dachdecker 90% • Frisöre 80%
- Prognose: Abbau von 47% aller Arbeitsplätze in nächsten 20 Jahren
- Aufbau neuer Beschäftigung nicht untersucht
2.2 Verteilung der Berufe nach der Wahrscheinlichkeitihrer Digitalisierung und ihre Anteile an der US-Beschäftigung
Quelle: Frey/Osborne (2013): The Future of employment: How susceptible are jobs to computerisation? S.. 37
2.4 Abnehmender Produktivitätszuwachs in den entwickelten Industrieländern
Quelle: Alexander Herzog-Stein u.a.: Wachstum und Produktivität im Gegenwind: Eine Analyse der Argumente Robert Gordons im Spiegel der
deutschen Produktivitätsschwäche, IMK-Report 124, März 2017 (Böckler Impuls 06/2017)
2.5 Auswirkungen auf Beschäftigung
Deutsche Prognosen zu I-4.0 zeigen: • Strukturwandel in Richtung Dienstleistungen• nur geringe Beschäftigungseffekte (IAB-Studie 2015 -
2025 – 60 000 Beschäftigte / bei minimalen Veränderungen der Annahmen positive Ergebnisse)
• Gefahren für DE: technologischer Rückstand + Verlust von Geschäftsmodellen
• Arbeitsplatzabbau im Strukturwandel (Produktivitätssprünge/Obsoleszenz von Geschäftsmodellen,
Kostensenkungsstrategien)
Probleme:- Abbau von guten tariflichen Arbeitsplätzen- Verdichtung der Arbeit- Übergänge in neue Arbeit risikobehaftet
(Lohnsenkungen, Dequalifizierung etc. )
3.1 Auswirkungen auf Qualifikation abhängig von Arbeitsorganisation
Quelle: Hirsch-Kreinsen (2016): Arbeit 4.0 – der Wandel ist gestaltbar.
3.2 Deutsches Qualifikationsmodell
Weltweit gleiche Technologien – aber Unterschiedein Qualifikationen:
- USA/UK/FR: Polarisierte AO und Qual.Struktur -DE/CH/DK: Fachkräfte und dezentrale AO
• Montage des Airbus mit Facharbeitern in DE und mitlangjährig Angelernten in UK, FR, ES
• Breite Maurer-Ausbildung in DE + DK, Kurz-Ausbildungin IT und UK ……..
Zunahme der Betriebszugehörigkeit in DE: Lernenin der Arbeit von Stammbelegschaften
Kommunikation zwischen Akademikern und Facharbeitern auf Augenhöhe: FachkräfteGeheimnis deutscher Wettbewerbsfähigkeit
Quelle : Böckler Impuls 20/2016
3.4 Neue Qualifikationsanforderungen
1. Trend: Wandel einfacher Arbeit: • Von einfacher „Muskelarbeit“ zu technikge-
stützter und kommunikationsintensiver Arbeit2. Trend: Vom Spezialisten zur flexiblen Facharbeit:
• Breiter Qualifikationszuschnitt - Verknüpfung von fachlichen mit IT-Kenntnissen und sozialen Qualifikationen, wie Teamfähigkeit
3. Trend: Bedarf an „dualen Fähigkeiten“ • Kombination von theoretischen mit analytisch-
praktischen Kenntnissen (über Aufstiegsfortbildung,
duales Studium oder Berufsausbildung + Studium)
4. Trend: Bedarf an höherer Berufsfähigkeit von Hochschulabsolventen
Quelle: IAB. Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten. 2016 (Eigene Darstellung)
1) Ab 2006 Fachschul,- Meister-, Technikerausbildung, Daten aus Mikrozensus
0,0
5,0
10,0
15,0
20,0
25,0
30,0
1975 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 2014
Ohne Ausbildung
3.5 Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten in Deutschland 1975 – 2015
Fachschul-, Meister-, Technikerausbildung
3.6 Was ist zu tun?
1. Überangebot an gering Qualifizierten veringern
– Halbierung des Anteils Jugendlicher ohne Berufs-und Schulabschluss
– Nachqualifizierung der ca. 1 Million junger Erwachsener (25 – 34 Jahre) ohne Berufsausbildung
2. Modernisierung der Berufsausbildung
- Eher in alten „Hüllen“ als neue Berufe
- Modernisierung der Berufsschulen und Stärkung der überbetrieblichen Ausbildung für KMU‘s
- Diffusion von I 4.0 in KMU‘s über „Köpfe“
- Bessere Bezahlung von Facharbeitern
3.7 Was ist zu tun?
3. Investive Arbeitsmarktpolitik (AMP):
- 2003 geriet Weiterbildung in Verdacht, von Arbeitsplatzsuche abzuhalten
- Teilnehmerbestand abschlussbezogener FbW
- 2002 152 000
- 2007 33 000
- 2016 64 000
- Finanzielle Anreize für 1-Euro Jobs höher als für FbW
- Seit 2007 wieder stärkere Förderung von FbW -Korrekturen nicht ausreichend
- Fachkräfteengpässe erfordern Paradigmenwechsel
- Weiterbildung muss durch ein eigenes UHG, das deutlich über ALG I/II attraktiver gemacht werden
4.1 Wachsende soziale Ungleichheit
- In der Ökonomie Ursache in neuen Technologien gesehen: skill-biased technological progress
- Hauptgründe liegen aber in der politischen Schwächen sozialstaatlicher Institutionen (Tarif-, Steuer und Sozialsystem, öffentliche Aufgaben)
- Neue Technologien erleichtern die Fragmentierung von Unternehmen und Beschäftigung
„Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir
gewinnen“Warren Buffett
4.2 Wachsende soziale Ungleichheit - Beispiel Ent-wicklung des realen Bruttostundenlohns von abhängig Beschäftigten nach Dezilen (1995-2015)
Quelle: Bundesregierung, Armuts- und Reichtumsbericht 2017 auf Basis SOEP v32.
4.3 Starke Länderunterschiedede: Hohe Korrelationzwischen Tarifbindung und Anteil von Niedriglöhnern in der EU 2014
Quelle: Visser 2015, Eurostat, eigene Berechnungen.
DE
LU
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FR
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RO
UK
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PL
DK
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NL
SK
PT
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20
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0 5 10 15 20 25 30
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%
Anteil der Niedriglohnbezieher in %
Korrelation: - 0,82
4.4 Was ist zu tun?
- Fragmentierte Unternehmen und Arbeitsverhältnisse brauchen starken Regulierungsrahmen
- Mindestlohn wichtig, aber nicht ausreichend –Hauptaufgabe Stärkung der Tarifbindung:
- Auch im Interesse von Unternehmen – erleichtert die Rekrutierung und Bindung von Fachkräften
- Ansatzpunkte:- Weitere Erleichterung der AVE- Echte Tariftreuegesetze (gesamtes Tarifgitter)- Equal Pay für alle Arbeitsformen (Leiharbeit, Mini-jobs,
entsandte Wertvertragsnehmer)- Erschwerung des Ausstiegs aus der Arbeitgeberverant-
wortung (Uber)- Sozial verantwortliches Nachunternehmermanagement von
Großunternehmen
Schlussfolgerungen
- Starke innovative Industrie – gute Vor-aussetzungen zur Nutzung von Industrie 4.0
- Deutsches Qualifikationsmodell Standort-vorteil
- Panikszenarien übertrieben –Beschäftigungswirkungen gestaltbar
- Bildungspolitik gewinnt an Bedeutung -größte Problem am unteren Rand
- Soziale Ungleichheit größte Bedrohung –neues inklusives Sozialmodell mit anständigen Löhnen notwendig
Es ist schlimm, rief Eduard,
dass man jetzt nichts mehr für sein
ganzes Leben lernen kann.
Unsere Vorfahren hielten sich an
den Unterricht, den sie in ihrer
Jugend empfangen; wir aber
müssen jetzt alle fünf Jahre
umlernen, wenn wir nicht ganz aus
der Mode kommen wollen.
J.W. Goethe,
Die Wahlverwandtschaften Erstveröffentlichung
1809
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