Upload
others
View
4
Download
1
Embed Size (px)
Citation preview
Barbarus quid significaverit
Vom Umgang mit Fremdvölkern an Traians- und Marcussäule
Inaugural-Dissertation
in der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie
der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
vorgelegt von
Christiane Müller
aus Erlangen
D29
Tag der mündlichen Prüfung: 07.09.2009
Dekan: Universitätsprofessor Dr. Jens Kulenkampff
Erstgutachterin: Prof. Ulla Kreilinger
Vorwort
Zur Entstehung dieser Arbeit haben Viele beigetragen. Mein Dank gilt an erster Stelle
meinen Betreuern Ulla Kreilinger und Stefan Ritter, nicht nur wegen ihrer zahlreichen
Anregungen und der mit großer Regelmäßigkeit vorgebrachten Kritik, die mich immer
wieder dazu veranlasste, lieb gewonnene Thesen aufzugeben und durch neue zu
ersetzen. Ihre ständige Ermutigung, fachlich und persönlich, hat maßgeblich dazu
beigetragen, dass ich die vorliegende Arbeit zu Ende führen konnte.
Des Weiteren möchte ich Rebecca Suttner und Ulrich Weickhmann danken, die sich der
Korrektur des Textes angenommen haben und in denen ich auch während der
Abfassung immer diskussionsfreudige Zuhörer fand. Für Anregungen danke ich
außerdem Hendrik Obsieger und Rita Amedick.
Die Finanzierung der Arbeit wurde ermöglicht durch eine Förderstelle des Frauenbüros
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie ein Stipendium des
Elitenetzwerkes Bayern. Auch an diese beiden Stellen ergeht mein herzlichster Dank.
Dass ich über all dies niemals den Mut verloren habe und zu großen Teilen meine gute
Laune bewahrt habe, verdanke ich Laura, Luca und Uli. Ihnen ist diese Arbeit
gewidmet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 1
2. Forschungsgeschichte 3
2. 1. Das Barbarenbild in der philologischen und althistorischen Forschung 3
2. 2. Das Barbarenbild in der archäologischen Forschung 6
3. Eigener Ansatz und Methodik 19
4. Von der Wandlungsfähigkeit der Barbaren in den römischen Schriftquellen 23
4. 1. Die Darstellung des Bataver-Aufstands bei Tacitus 23
4. 2. Die Darstellung der Donaukriege Marc Aurels bei Cassius Dio 33
5. Zur Terminologie 42
6. Die Begegnung zwischen dem Kaiser und Vertretern fremder Völker:
Komposition, Gestus, Habitus und Kontext 44
7. Feindliche Barbaren 45
7. 1. Die Vorführung von Gefangenen an der Traianssäule 45
7. 2. Die Vorführung von Gefangenen an der Marcussäule 51
7. 3. Weitere Darstellungen feindlicher Barbaren an der Marcussäule 64
8. Unterlegene Barbaren 70
8. 1. Unterlegene Barbaren an der Traianssäule 70
8. 1. 1. In Bedrängnis kapitulierende Barbaren an der Traianssäule 71
8. 1. 2. Unterwerfungen an der Traianssäule 82
8. 1. 3. Einzelne Barbaren vor Traian 95
8. 1. 4. Zusammenfassung: Unterlegene Barbaren an der Traianssäule 102
8. 2. Unterlegene Barbaren an der Marcussäule 106
8. 2. 1. In Bedrängnis kapitulierende Barbaren an der Marcussäule 106
8. 2. 2. Eine Unterwerfung an der Marcussäule 117
8. 3. Zusammenfassung: Unterlegene Barbaren an Traians- und Marcussäule 123
9. Friedliche Fremdvölker 128
9. 1. Schutz Suchende an Traians- und Marcussäule 128
9. 1. 1. Schutz Suchende an der Traianssäule 128
9. 1. 2. Schutz Suchende an der Marcussäule 132
9. 1. 3. Zusammenfassung: Schutz Suchende an Traians- und Marcussäule 137
9. 2. Weitere Darstellungen friedlicher Fremdvölker an Traianssäule 138
9. 2. 1. Huldigungsszenen an der Traianssäule 139
9. 2. 2. Gesandtschaften an der Traianssäule 143
9. 2. 3. Der Empfang des Kaisers und das gemeinsame Opfer
an der Traianssäule 152
9. 3. Weitere Darstellungen friedlicher Fremdvölker an der Marcussäule 155
9. 3. 1. Gesandtschaften an der Marcussäule 155
9. 3. 2. Die Landtags-Szene an der Marcussäule 164
9. 4. Zusammenfassung: Friedliche Fremdvölker an Traians- und
Marcussäule 168
10. Die Integration friedlicher Fremdvölker an der Marcussäule 174
11. Schlussbetrachtung 182
Abkürzungs- und Literaturverzeichnis 198
Abbildungsnachweis 202
Abbildungen 203
1
1. Einleitung
Eine der frühesten Monographien, die sich mit der Darstellung von Fremden in der
Antike (allerdings ausschließlich in den griechischen Schriftquellen) auseinander setzt,
trägt den einfachen Titel Barbaros quid significaverit1. Was mag der Begriff Barbar
bedeutet haben? Allein der Überblick über die Arbeiten, die seit A. Eichhorns Werk
zum Thema – sowohl im philologisch-historischen, als auch im archäologischen
Bereich – erschienen sind2, lässt erahnen, dass die auf den ersten Blick so einfach
wirkende Frage bis heute keine allseits befriedigende Antwort gefunden hat. Grund
genug also, sich erneut mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Die Fragestellung, die der hier vorgelegten Arbeit zugrunde liegt, hat sich indes kaum
verändert. Was macht den Fremden zum Barbaren? Für eine erneute Annäherung an
dieses Thema habe ich mich für einen Zeitraum entschieden, der sich – nicht nur was
die schriftliche Überlieferung anbelangt, sondern vor allem im Hinblick auf die
bildlichen Zeugnisse – durch eine Überfülle an Darstellungen fremder Völker
auszeichnet, nämlich das 2. Jh. n. Chr. Die Geschichtsschreibung dieser Zeit ist reich an
Schilderungen von (kriegerischen oder nichtkriegerischen) Begegnungen Roms mit
fremden Völkern. Einer der prominentesten Vertreter seiner Zunft, Publius Cornelius
Tacitus, hat allein den Germanen ein ganzes Werk gewidmet3. Doch steht die bildende
Kunst der Literatur in nichts nach, denn das 2. Jh. n. Chr. hat zwei der monumentalsten
Werke der römischen Staatskunst hervorgebracht, die von dem großen Interesse zeugen,
das der Thematik zu dieser Zeit entgegengebracht wurde, die Traians- und die
Marcussäule, deren Behandlung auch im Zentrum der folgenden Untersuchung steht.
Barbarus quid signfiicaverit. Das Bild, das uns gerne von den Fremdvölkern, die an den
Grenzen des Imperium Romanum beheimatet sind, vermittelt wird, ist das des wilden,
grausamen, raubgierigen und angriffslustigen Barbaren. Das Römerreich habe, so
schrieb A. Alföldi 1950, in den ersten vier Jahrhunderten n. Chr. „Millionen von
Menschenleben und enorme Kulturwerte durch die barbarische Mord- und Raublust
verloren und konnte von den Gegnern jenseits der Grenze nur Heuchelei, Betrug und
Hinterlist erwarten, erbarmungslose Grausamkeit befürchten.“4 Doch konnte ein Reich,
dessen Ausdehnung von der nördlichsten Spitze Europas bis nach Afrika, von Spanien
bis weit in den Osten der heutigen Türkei reichte, es sich tatsächlich leisten, einen
1 A. Eichhorn, Barbaros quid significaverit (Leipzig 1904).
2 s. die Ausführungen zur Forschungsgeschichte, Kap. 2.
3 Tac. Germ.
4 Alföldi 1950.
2
Großteil seiner Bewohner ebenso wie die Bevölkerung im Grenzbereich als raffgierige,
mordlustige Barbaren abzutun? Was macht den Barbaren aus, und ist eigentlich jeder
Fremder ein Barbar? Welche außenpolitische Strategie verfolgte das Imperium
Romanum gegenüber den fremden Völkern an seinen Grenzen und wie lässt sich dies in
den uns überlieferten bildlichen und schriftlichen Quellen fassen? Einigen dieser Fragen
möchte ich in der vorliegenden Arbeit nachgehen.
Vorab seien aber noch einige Bemerkungen zur Materialbasis gestattet. Sämtliche
Darstellungen fremder Völker des 2. Jhs. n. Chr. zusammenzutragen und zu überblicken
ist nicht nur schier unmöglich, sondern auch keineswegs sinnvoll. Daher werde ich
mich im Rahmen meiner Untersuchung auf einige ausgewählte Werke dieser Zeit
beschränken. Für die Bildkunst sind dies, wie gesagt, die Traians- und die Marcussäule,
da sie aufgrund ihrer narrativen Struktur eine große Bandbreite unterschiedlicher
Darstellungen erwarten lassen. Im Bereich der Schriftquellen habe ich mich dafür
entschieden, die Analyse auf jeweils eine Passage der Autoren Tacitus und Cassius Dio
zu beschränken, da hierdurch die zeitliche Nähe zu den behandelten Monumenten
gewahrt bleibt: Tacitus veröffentlichte seine Historien in einem Zeitraum, der in etwa
mit der Errichtung der Traianssäule zusammenfällt; Cassius Dio, dessen Schaffenszeit
noch bis ins 3. Jh. n. Chr. hinüberreicht, wurde etwa zehn Jahre vor dem
Regierungsantritt Marc Aurels geboren.
Was die bildlichen Zeugnisse betrifft, so werde ich mich im Folgenden auf solche
Darstellungen konzentrieren, die den Kaiser im kommunikativen Austausch mit
fremden Völkern zeigen, da davon auszugehen ist, dass hier die Haltung, die die beiden
Parteien zueinander einnehmen, am deutlichsten zu Tage tritt. Wenig aufschlussreich
für das Verhältnis zwischen dem Imperium Romanum und den grenznahen
Fremdvölkern sind dagegen Schlachtdarstellungen, da in diesen eine klare
Rollenverteilung vorherrscht. Szenen des Kampfes werden daher nicht berücksichtigt.
Für den Gesamtüberblick über die jeweiligen Monumente verweise ich auf die
schematischen Darstellungen der Traians- und Marcussäule im Abbildungsteil (Abb. 1.
2), für Aufnahmen der einzelnen Szenen auf die Standardwerke von Cichorius [C.
Cichorius, Die Reliefs der Trajanssäule II und III (Berlin 1896-1900)] und Calderini u.
a. [G. Calderini – E. Petersen – A. von Domaszewski (Hrsg.), Die Markussäule auf
Piazza Colonna in Rom (Rom 1896)], denen ich auch in der Zählung der Szenen folge.
3
2. Forschungsgeschichte
Die Darstellung von Barbaren in der römischen Kaiserzeit, sei es in schriftlicher oder
bildlicher Form, ist seit langem ebenso Gegenstand der historischen und philologischen
wie auch der archäologischen Forschung gewesen5. Eine Zusammenfassung sämtlicher
Ergebnisse des weiten Feldes der „Barbarologie“6 kann daher weder angestrebt werden
noch scheint sie meines Erachtens an dieser Stelle sinnvoll. Dennoch ist es notwendig,
der vorliegenden Arbeit die wichtigsten Forschungsstränge für die hier zu
untersuchenden Aspekte voranzustellen.
2. 1. Das Barbarenbild in der philologischen und althistorischen Forschung
Die frühen philologischen Forschungen zum römischen Barbarenbild behandelten das
Thema insbesondere unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen untersuchten sie die
Übernahme des Begriffs „Barbar“ aus der griechischen Hellenen-Barbaren-
Dichotomie7, zum anderen wurde versucht, die Veränderungen in der Bedeutung des
Terminus zu klären, die dieser im Laufe der römischen Herrschaft erfuhr8. Durch diese
zunächst rein begriffsgeschichtlichen Untersuchungen geriet auch bald das Wesenhafte
der Barbaren in den Blickpunkt der Forschung. Neben der Zuordnung spezifischer
Attribute wie Tracht, Bewaffnung und Kampftaktik zu bestimmten historischen Völkern
und Stämmen wurden ständig wiederkehrende und scheinbar allen Barbaren
gemeinsame Eigenschaften wie Wildheit, Grausamkeit und Hinterlist ausgemacht,
gesammelt und einander gegenübergestellt9, wobei man sich der topischen Züge dieser
Charakterisierungen allzu häufig nicht bewusst war10
.
G. Walser gelang es jedoch, am Beispiel der Werke des Tacitus nachzuweisen, dass die
Anwendung dieser Attribute auf auswärtige Völker als rhetorische Topoi entlarvt
5 Ausführliche Bibliographie s. RAC Suppl. 1 (2001) 811-894 s. v. Barbar I (Opelt – Speyer); RAC
Suppl. 1 (2001) 895-962 s. v. Barbar II (Schneider); Ferries 2000. 6 Neologismus bei Dauge 1981, 9 mit Anm. 27 (Definition).
7 So lautet auch der Titel einer der frühesten Monographien zum Thema „Hellenen und Barbaren“: J.
Jüthner, Hellenen und Barbaren (Leipzig 1923). 8 s. z. B. H. Werner, Barbarus, Neue Jahrbücher für das klassische Altertum 21, 1918, 389-408.
9 Exemplarische Bibliographie, sortiert nach Völkern bzw. Stämmen: Dauge 1981, 14 Anm. 41. Zu den
Eigenschaften selbst s. RAC Suppl. 1 (2001) 837 f. s. v . Barbar I (Opelt – Speyer) und Dauge 1981, 413-
466, jeweils mit Quellen. 10
s. z. B. Alföldi 1950, 44: „Angefangen von dem durch Mithridates angestifteten großangelegten
Ausrottungsversuch der Römer in Kleinasien, oder dem vom ethischen Standpunkt aus unverzeihlichen
Verrat des Cheruskerführers Arminius am allzu gutgläubigen Quinctilius Varus, bis hin zu den ersten
Einfällen der Germanen, Daker und Sarmaten in die Rhein- und Donauprovinzen, hat das Römerreich in
den ersten vier Jahrhunderten unserer Zeitrechnung Millionen von Menschenleben und enorme
Kulturwerte durch die barbarische Mord- und Raublust verloren und konnte von den Gegnern jenseits der
Grenze nur Heuchelei, Betrug und Hinterlist erwarten, erbarmungslose Grausamkeit befürchten.“
4
werden können, die dazu dienten, ein Gegenbild zu den römischen Eroberern,
insbesondere aber der Person des tugendhaften Feldherrn, zu konstruieren: „Für die
besprochenen ethnographischen Schilderungen ist es kennzeichnend, daß die einzelnen
völkerkundlichen Angaben nicht aus sachlichem Interesse, um ihrer selbst willen,
gemacht werden, sondern zur bildhaften Kontrastierung von barbarischer und römischer
Art benutzt sind.“11
Wie wichtig und bedeutsam dieser gedankliche Schritt ist, zeigt sich nicht zuletzt darin,
dass A. Alföldi noch 1950 die Grenzlinie zwischen Imperium Romanum und den
benachbarten Gebieten als „ethnische Grenzscheide am Limes“12
bezeichnete und sie
als „Scheidewand zweier wesensfremder Welten“13
beschrieb.
Die Erkenntnis, dass das in den Quellen gezeichnete Barbarenbild von der
zeitgenössischen Rhetorik überprägt ist, eröffnete hingegen Möglichkeiten, sich dem
tatsächlichen Verhältnis zwischen Römern und Barbaren erneut und über rein
begriffsgeschichtliche Betrachtungsweisen hinaus zu nähern. K. Christ erweiterte mit
seiner Untersuchung „Römer und Barbaren in der hohen Kaiserzeit“14
in der Folge die
bislang fast rein philologisch angelegte Forschung um die Einbeziehung historischer
und archäologischer Aspekte, wie etwa der Außenpolitik des Imperium Romanum
einschließlich der Rekrutierungsgewohnheiten, der Handelsbeziehungen an den
Grenzen sowie der bildlichen Darstellung von Barbaren. Auf der Grundlage dieser zwar
in erster Linie das 2. Jh. n. Chr. betrachtenden, aber durchaus Entwicklungstendenzen
berücksichtigenden Studie gelangte er zu dem Ergebnis, dass „eine dem Gegensatzpaar
Hellenen – Barbaren adäquate und absolute polare Scheidung zwischen Römern und
Barbaren historisch nicht wirksam war. Es konnte sie nicht geben, weil sich Rom selbst
aus der Barbarenkategorie gelöst hatte, der Begriff Barbaren längst relativiert und sein
Inhalt an die Peripherie der Oikumene verlagert war. Und es konnte eine solche
Scheidung von römischer Seite aus offiziell auch deshalb nicht geben, weil sie der
Vielschichtigkeit römischer Ordnungsstruktur in jener Epoche ebenso widersprach wie
der bewussten Ausbildung indirekter Herrschaftsformen, dem unbedenklichen Einsatz
barbarischer Kräfte im Dienste des Reiches und der konstanten Differenzierung der
11
Walser 1951, 82. 12
So der Titel seines Aufsatzes von 1950 (Alföldi 1950). 13
Alföldi 1950, 37. An gleicher Stelle heißt es: „Und während der Imperialismus Roms, vergeistigt und
mit edleren philosophischen Elementen durchdrungen, die Unterjochten zu sich zu heben vermochte,
waren seine primitiven Gegenspieler nicht imstande, ihre Lebensformen aufzugeben oder zu sublimieren,
bis am Ende des Altertums das Christentum den fundamentalen Gegensatz aufhob.“ 14
Christ 1959.
5
Gegner, aber auch dem Volumen und der Intensität des Fernhandels und des
alltäglichen Austauschs.“15
Als „reine Motivgeschichte“16
bezeichnete zuletzt auch D. Timpe die
begriffsgeschichtlichen Untersuchungen zum Barbarenbegriff, da sie sich darauf
beschränkten, allein die Übernahme rhetorischer Topoi zu klären, ohne den spezifischen
Kontext signifikanter Veränderungen in der Verwendung des Begriffs und der damit
verbundenen Vorstellung von Fremden einzubeziehen. „Zwischen Motivgeschichte und
sozialanthropologischen Konstanten sollten die historischen Konturen des antiken
Barbarenverständnisses stärker zur Geltung kommen und der Neigung zum Klischee
entgegenwirken. Dafür dürften konkrete Kontakte und geschichtliche Erfahrung mit
Fremden insgesamt wichtiger sein als zeitlose Muster des Verhaltens, signifikante
Veränderungen der Anschauungen von Fremden deshalb mehr Beachtung verdienen als
die topischen Züge der Überlieferung.“17
Wie von Timpe18
nachgewiesen, definiert sich
die Unterscheidung von Römern und Barbaren innerhalb der römischen Gedankenwelt
vorrangig nicht durch Sprache und Abstammung, sondern vielmehr durch Bildung und
moralische Werte. So erklärt Laelius bei Cicero (Cic. rep. 1, 58), Romulus habe
Barbarenkönig heißen müssen, wenn man auf die lingua, nicht auf die mores sein
Augenmerk richte. Damit erscheint die Andersartigkeit der Barbaren gerade nicht als
wesenhaftes Merkmal. Sie ist kulturell bzw. politisch-moralisch bedingt, selbst wenn
die Lehren der Klimatheorie19
das Wesen der Barbaren als klimatologisch beeinflusst,
also physisch festgelegt betrachten. Dass diese physische Festlegung jedoch nicht
zwingend als endgültig betrachtet wurde, lässt sich möglicherweise aus einer Passage
des römischen Schriftstellers Florus ablesen, wenn er schreibt, die römische Herrschaft
mache sogar den Himmel milder (Flor. 2, 30, 27). Damit „traute sich [das Imperium
Romanum, Anm. der Verf.] also zumindest theoretisch zu, auch die physischen
Konstanten zu ändern.“20
Timpe erklärt dieses Phänomen aus dem römischen
Herrschaftsverständnis heraus wie folgt: „Römische Herrschaft über den orbis terrarum
begriff sich als Lohn der pietas oder virtus, aber mit leichter, griechisch beeinflusster
Modifikation auch als Zivilisierungsaufgabe und Domestikationsprozess. Die humanitas
der römischen Ordnung sollte die feritas und immanitas der Barbaren besiegen und
15
Christ 1959, 286 f. 16
Timpe 2000, 206. 17
Timpe 2000, 207. 18
Zum folgenden s. Timpe 2000, 223-226. 19
s. z. B. Vitr. 6, 1, 1-12. 20
Timpe 2000, 226.
6
verwandeln, setzte also voraus, dass sie nicht nur besiegbar, sondern auch wandelbar
seien.“21
Gerade die Idee von Wandelbarkeit der Barbaren, die sich bei einem genauen
Blick auf die antiken Schriftquellen vielerorts nachweisen lässt22
, hängt unmittelbar mit
der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit an den Grenzen des
Imperium Romanum zusammen, denn „die römische Kontrolle der Grenze brauchte im
eigenen Interesse willige und sichere Partner, sie bezog überall und ständig die Fremden
in die eigene Sozialordnung ein, integrierte ihre Oberschichten und war deshalb – trotz
gelegentlicher Äußerungen mit ganz anderer Tönung – in der Praxis auf realistische
Symbiose, auf skeptisch bejahte Assimilationspolitik eingestellt.“23
Ziel dieser Arbeit wird sein, das vorliegende Material, also diejenigen Bilder und
Szenen, in denen eine Interaktion zwischen dem Kaiser als bedeutendstem Vertreter des
Imperium Romanum und Personen nichtrömischer Herkunft stattfindet, daraufhin zu
untersuchen, ob sich die gerade geschilderte, differenzierte Haltung gegenüber
Fremdvölkern und das Bewusstsein von der Notwendigkeit einer wenn auch römisch
dominierten, friedlichen Kooperation in den Darstellungen niederschlägt.
2. 2. Das Barbarenbild in der archäologischen Forschung
Die archäologische Forschung zum römischen Barbarenbild ist naturgemäß an ihr
Material gebunden. Während in republikanischer Zeit Darstellungen von besiegten und
unterworfenen Völkern vor allem in der Münzprägung Verwendung fanden, da Münzen
sich aufgrund des hohen Verbreitungsgrades gut zur Propagierung außenpolitischer
Erfolge eigneten, so begegnen Barbaren seit der frühen Kaiserzeit in nahezu allen
Gattungen der römischen Kunst24
.
Für die Untersuchung des Barbarenbildes erwiesen sich aber vor allem die
großplastischen Werke der Staatskunst als geeignet, also Statuen unterworfener und
gefangener Barbaren, wie die augusteischen Orientalen- und traianischen Dakerstatuen
einerseits25
, sowie andererseits die Gattung der so genannten historischen Reliefs. Unter
diesen nehmen die beiden großen, narrativ angelegten Werke, die auch im Zentrum der
21
Timpe 2000, 225. 22
s. u. Kap. 4. 23
Timpe 1996, 42. 24
Ausführliche Zusammenstellung in RAC Suppl. I (2001) 895-962 s. v. Barbar II (Schneider). Eine
Ausnahme bildet einzig die Wandmalerei, die bemerkenswert wenige Barbarendarstellungen aufweist.
Aus der Gattung der in den Quellen reichhaltig belegten Triumphmalerei ist leider nicht ein einziges
Werk erhalten. Zusammenstellung der literarischen Erwähnungen für die Zeit der Republik bei O.
Vessberg, Studien zur Kunstgeschichte der römischen Republik (Lund 1941) und G. Zinserling, Studien
zu den Historiendarstellungen der römischen Republik. WissZJ Jena 9, 1959-60, 403-448. Kaiserzeitliche
Quellen bei E. Künzl, Der römische Triumph (München 1988) unter Testimonia. 25
Hierzu immer noch maßgeblich: Schneider 1986.
7
vorliegenden Arbeit stehen, nämlich die Traianssäule aus dem frühen 2. Jh. n. Chr. und
die Marcussäule aus der zweiten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr., eine Sonderstellung ein, da
die Bandbreite der Szenen, in denen Fremdvölker dargestellt werden können,
naturgemäß größer ist als bei den Reliefplatten eines Bogens oder gar bei einzelnen
Statuen, wie den bereits angesprochenen Orientalen und Dakern. Der nachfolgende
forschungsgeschichtliche Überblick beschränkt sich daher weitgehend auf die
Forschung zu diesen beiden Monumenten26
.
In deutlich historisch-philologischer Tradition stehen die frühen umfassenden
Publikationen zu den beiden Reliefsäulen27
und damit auch die Untersuchung der dort
dargestellten Fremdvölker. Durch das Fehlen zeitgenössischer literarischer Quellen
angeregt, interpretierten die frühen Bearbeiter der beiden Monumente die Darstellungen
auf den Säulen als Abbilder der Wirklichkeit und betrachteten die Bildwerke als
Möglichkeit, Lücken in der historischen Überlieferung zu schließen. Für die auf den
Säulen dargestellten Kriegszüge liegt in beiden Fällen als Quelle vorrangig die in
Exzerpten überlieferte Römische Geschichte des Cassius Dio vor28
, und so lag der
Versuch nahe, die abgebildeten Szenen mit den bei Dio beschriebenen Ereignissen in
Einklang zu bringen. Die beiden Bildwerke wurden quasi als „steingewordene
commentarii“ betrachtet29
. Dabei nahm die Traianssäule gegenüber ihrem späteren
Pendant aufgrund eindeutig stilistisch bedingter Präferenzen30
und der komplexen
Struktur der Marcussäule eine gewisse Vorrangstellung ein, die letztlich bis heute
26 Bibliographie zur Traianssäule s. Galinier 2007, 273-294; zur Marcussäule s. Pirson 1996, 177-179. M. Bergmann, in: E. Gabba - K. Christ (Hrsg.), L‟impero romano fra storia generale e storia locale (1991)
201-224 (Bezug auf die Gegner). 27
Die ersten mit einer ausführlichen photographischen Dokumentation versehenen Werke sind für die
Traianssäule Cichorius II. III. (1896-1900), für die Marcussäule Calderini u. a. 1896. Interessanterweise
handelt es sich sowohl bei C. Cichorius als auch bei A. von Domaszewski, dem Mitherausgeber der ersten
umfassenden Publikation der Marcussäule, um Historiker. Über E. Petersen, der die bis heute gültige
Szeneneinteilung der Marcussäule vornahm, urteilte 1977 W. Gauer, er habe sich gegen Cichorius allzu
gerne des Arguments der archäologischen Autorität bedient „um dann doch in den Fußstapfen des
Historikers zu bleiben“ (Gauer 1977, 3). 28
Für die Kriege Marc Aurels s. außerdem SHA Aur. 29
Neben Cichorius und Petersen s. auch Birt 1907, 269-315; zuletzt urteilte noch G. Seelentag: „Die
innovative Darstellungsart der Traianssäule war die monumentale Überführung der literarischen in eine
bildliche Ausdrucksform“ (Seelentag 2004, 371). 30
A. Philippi bezeichnete die Marcussäule 1874 als „vielleicht das stilwidrigste Erzeugnis der ganzen
römischen Kunst“ [A. Philippi, Über die römischen Triumphalreliefe und ihre Stellung in der Kunstgeschichte, Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Königlich Sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften (Leipzig 1874) 280].
8
Bestand hat, überblickt man die Anzahl der zu den beiden Werken publizierten
Arbeiten31
.
Während das Augenmerk bei der Betrachtung der beiden Monumente in dieser frühen
Phase also deutlich auf dem Bemühen lag, die jeweils dargestellten Kriegszüge mit den
überlieferten historischen Ereignissen in Einklang zu bringen bzw. durch bislang
unbekannte, da in den Quellen fehlende Fakten zu ergänzen, konzentrierte sich die
Forschung zu den dargestellten Fremdvölkern primär auf die Identifizierung der
Zugehörigkeit zu einem bestimmtem Stamm oder Volk oder auch des sozialen Status
der Einzelfiguren.
Für die Traianssäule schien die Frage der Zugehörigkeit der dargestellten Barbaren
schnell geklärt: Da aufgrund der Überlieferung bei Cassius Dio32
als Hauptgegner
Traians in Dakien ein geeintes dakisches Volk unter einem König Decebalus postuliert
wurde, wurde die Mehrheit der Fremdvölker aufgrund des mehr oder weniger
einheitlichen Gewandes als Daker eingestuft33
. Eine Unterscheidung verschiedener
dakischer Stämme wurde also nicht angestrebt34
, da solche bei Cassius Dio auch nicht
belegt waren. Hingegen trennte Cichorius, wiederum aufgrund der Überlieferung35
, die
Daker nach ihrem sozialen Status: Die langhaarigen, ohne Kopfbedeckung abgebildeten
comati seien als einfaches Volk zu interpretieren, die mit einer Kappe versehene pileati
gehörten dem gehobenen Stand an36
. Aufgrund physiognomischer Details glaubte
Cichorius, in einigen Szenen sogar den Dakerkönig Decebalus zu erkennen37
. Doch
31
Ausnahmen bilden hier nur einzelne Szenen der Marcussäule. Allein zwischen 1894 und 1949
erschienen acht Arbeiten zum Regenwunder, während sich vier Untersuchungen ausschließlich den in den
Reliefs abgebildeten Hütten der Barbaren widmeten, vgl. die Bibliographie bei Caprino u. a. 1955, 9-11
sowie den Überblick über die frühe Forschung zum Thema bei Huet 2000, 107-123, bes. 121 f. 32
s. z. B. Dio 68, 6, 1 f. 33
Die gegnerischen Barbaren der ersten im Fries dargestellten Schlacht (Szene TS 24) beschreibt
Cichorius wie folgt: „Sie tragen die bekannte dakische Tracht, das langärmelige, um die Hüften mit
schmalen Riemen gegürtete Untergewand, Hosen und den Mantel und haben am linken Arme den ovalen
Rundschild […].“ (Cichorius II, 113). Bei der Interpretation der Szene hebt Cichorius insbesondere die realistische Gestaltung der Daker hervor: „Unter den Dakern finden sich gleichfalls die prächtigsten
Typen, die sicher nach dem Leben, wohl nach Gefangenen, wiedergegeben sind.“ (Cichorius II, 120).
Weitere, von den Dakern zu unterscheidende Fremdvölker sind nach Cichorius auf gegnerischer Seite die
sarmatischen Rhoxolanen (Cichorius II, 150) sowie im Verband mit dem römischen Heer kämpfende
bosporanische Bogenschützen, balearische Schleuderer (Cichorius II, 310 f.) und maurische Reiter
(Cichorius II, 294). Keine Zuweisung wagt Cichorius hingegen für die später gemeinhin als Germanen
identifizierten Fremden (Cichorius II, 311). 34
Anders zuletzt Coulston, der aufgrund von Bewaffnung und Gewand insgesamt vier Typen
unterscheiden will (Coulston 2002, 399-403). 35
Dio 68, 9, 1. 36
Cichorius II, 113 mit Anm. 1. 37
Zu der bereits erwähnten Szene TS 24 schreibt Cichorius: „[…] weiter zurück befinden sich noch andere Daker im Walde, die, wie ihre ruhige Haltung zeigt, vorläufig noch gar nicht in das Gefecht
eingreifen. Unter diesen hebt sich deutlich die hohe Gestalt des Pileatus 62 links ab, dessen von langem
Bart umwalltes Gesicht, wie bereits in der Beschreibung hervorgehoben wurde, weit edlere Züge zeigt als
9
bleibt festzuhalten, dass sämtliche Unterscheidungen, Identifizierungen und
Zuweisungen, die Cichorius trifft, primär durch seinen Ansatz begründet sind, die
Reliefs als historisch-realistische Zeugnisse der traianischen Dakerkriege zu betrachten,
wodurch die inhaltliche Deutung von Szenen, die Barbaren oder Personen
nichtrömischer Herkunft gegenüber dem Kaiser zeigen, in der Zuweisung an historisch
wahrscheinliche Situationen der Begegnung stehen blieb38
.
Zwar gingen auch die ersten Herausgeber einer photographischen Gesamtausgabe der
Marcussäule, G. Calderini, E. Petersen und A. von Domaszewski, von einem
philologisch-historischen Standpunkt aus, doch liegt ihrem Werk zusätzlich der
verklärende, deutsch-nationale Blick der Kaiserzeit zugrunde. Die Kaiser Wilhelm II.
gewidmete Publikation ist durchwegs geprägt von der romantischen Sehnsucht nach den
gemeinsamen Wurzeln einer geeinten deutschen Nation. In den auf der Marcussäule
dargestellten Barbaren glaubten die Verfasser, die deutschen Urahnen wieder zu
erkennen. Die Unterscheidung der dargestellten Stämme war daher für Petersen und von
Domaszewsi von herausragender Bedeutung, wie Petersen auch in der „Beschreibung
der Bildwerke“ darlegt: „Wichtiger, ja für uns das Wichtigste ist, die Gegner der Römer
zu betrachten und nach ihrer Charakteristik zu unterscheiden.“39
Noch bedeutsamer
erschien die Differenzierung dadurch, dass die antiken Quellen nicht nur die Germanen
als Gegner Marc Aurels überliefern, sondern daneben auch sarmatische oder „slavische“
Stämme40
, von denen es sich abzugrenzen galt. Allein in dieser Scheidung tritt aber
erneut und unabhängig von jedem deutschtümelnden Interesse der von der schriftlichen
Überlieferung geprägte Ansatz hervor41
, der dem Bild als eigenständige Quelle mit
eigenständigen Möglichkeiten sowie dem propagandistischen Zug der Gattung keinen
oder nur wenig Platz einräumt.
Eine bewusste Abkehr von der auf historische Erkenntnis ausgerichteten Interpretation
vollzog 1926 K. Lehmann-Hartleben mit seiner Arbeit über die Traianssäule, die sich in
erster Linie mit Fragen nach Stil und Komposition der Reliefs sowie der Herleitung
alle übrigen Daker und der, ohne sich selbst am Kampfe zu betheiligen, aufmerksam nach links blickt,
den Gang der Schlacht beobachtend.“ (Cichorius II, 121). 38
Als Beispiel mag Szene TS 61 dienen: Cichorius verband sie mit einer Textstelle bei Cassius Dio (68,
9, 2), in der Decebalus Gesandte an Traian schickt, um den Kaiser um Friedensverhandlungen zu bitten.
Traian sendet zwar seinen Vertrauten Licinius Sura sowie den Praetorianerpraefecten Claudius Livianus
mit einer Antwort zu Decebalus, doch kommt kein Friede zustande (Cichorius II 275-277). Zu Szene TS
61 s. u. S. 95-99. 39
Calderini u. a. 1896, 46. 40
Calderini u. a. 1896, 46. 41
Calderini u. a. 1896, 46: „In der That, wie das frühere Bellum Germanicum und das spätere
Sarmaticum zwei Hauptnamen der Gegner gibt, so sind auch zwei Hauptvolkstypen an der Säule
genügend kenntlich.“
10
bestimmter Bildschemata aus der Kunst des Hellenismus und der frühen Kaiserzeit bzw.
dem Verhältnis zur spätantiken Kunst beschäftigte. Dabei lag seiner Untersuchung der
Gedanke zugrunde, dass die Darstellungen in den Reliefs nicht allein als Abbild realer
Geschehnisse zu beurteilen seien, sondern auch als (künstlerischer) „Ausdruck ihres
Zeitalters“42
: „Nur zu natürlich suchte man für eine Epoche, in der fast alle literarische
geschichtliche Überlieferung fehlt, diese umfangreiche Darstellung geschichtlicher
Ereignisse als primäre historische Quelle auszunutzen. Allein hier lag eine große
Gefahr, da ganz vergessen wurde die Vorfrage zu stellen, welchen stilistischen
Bindungen oder künstlerischen Freiheiten denn das Reliefwerk als solches unterliege
und wo denn die Grenzen einer solchen Quelleninterpretation für uns liegen müssen.“43
Gerade aufgrund der Beschränkung auf stilistische und kompositorische Fragen lag es
jedoch nicht oder nur wenig im Interesse Lehmann-Hartlebens, sich mit der Darstellung
der Fremdvölker im Einzelnen oder den dahinter stehenden Vorstellungen vom
Fremden im Allgemeinen zu befassen. Zwar bemühte er sich im Kapitel über Gesandte
und Gefangene um eine präzise inhaltliche Trennung der verschiedenen Szenen, in
denen Barbaren oder Personen nichtrömischer Herkunft dem Kaiser gegenübergestellt
sind, doch galt seine Aufmerksamkeit eben nicht ihrer inhaltlichen Bedeutung, sondern
vielmehr der kompositorischen Variation der von ihm ausgemachten Grundthemen
Gefangenenvorführung, Unterwerfung und Gesandtschaft. Die Darstellung der Barbaren
42
Lehmann-Hartleben 1926, 154. Wie der Untertitel seiner Publikation („Ein Römisches Kunstwerk zu
Beginn der Spätantike“) bereits andeutet, sieht Lehmann-Hartleben die Traianssäule als eine Art
Bindeglied zwischen der hellenistisch-römischen und der spätantiken Kunst: „Dieser Geist [des beginnenden 2. Jhs. n. Chr., Anm. der Verf.] ist der Träger der reichen hellenistischen Kultur, er ist der des römischen Weltreiches, in ihm aber nahen zugleich Vorboten einer neuen Stellung zur Welt: der
Spätantike. Diese drei Grundelemente beherrschen das Werk. Hellenistisch ist: die souveräne
Beherrschung des Materials und sichere Kunstübung; die menschliche Gestalt als Träger der Handlung im
sieghaften Übergewicht über das Beiwerk; der reiche zur Verfügung stehende Typenschatz der
figürlichen Motive, der aus den verschiedensten Quellen wohl vor allem im Strome der Triumphmalerei
hierher geleitet ist; ein klar gegliederter Aufbau des Ganzen und die gesetzmäßigen Mittel der
Bildkomposition; das feste Lineament und die Vorliebe für Abwechslung; endlich die räumliche
Tiefenwirkung. Römisch aber ist: das riesige Ausmaß des Ganzen; die Sammlung der Figuren zu
einheitlicher Masse und die Vorliebe für das Massenhafte überhaupt; das Eindringen von Landschaft und
Architektur ins monumentale Relief; der Sinn für das Porträt und das Interesse am Exotischen; das stark
Verstandesmäßige im Ganzen und Einzelnen; die repräsentative Geste und das Effektvolle in einer
gewissen Äußerlichkeit; eine zeitgeschichtliche Aktualität und das Tendenziöse. Anzeichen aber einer
neuen spätantiken Geisteshaltung sind: ein gewisses Erlahmen der Formkraft zu einem nüchternen
Reliefstil; der offen aufgedeckte Zwiespalt zwischen Mensch einerseits, Architektur und Landschaft
andererseits; die Zerschlagung der bisherigen Einheit von Inhalt und Form durch rein formale
Verwendung des Überlieferten; das starre geometrische Gesetz als Herrscher der Bildgestaltung; die
Aufgabe der perspektivischen Sehform und der schichtenmäßigen Reliefbehandlung“ (Lehmann-
Hartleben 1926, 154). 43
Lehmann-Hartleben 1926, VII.
11
sah er geprägt von einem „Interesse an Gestalt, Gesicht und Tracht“44
, ohne jedoch auf
die Bedeutung dieser Merkmale einzugehen45
.
Eine umfassende inhaltliche Deutung der Szenen der Interaktion zwischen Kaiser und
Barbar konnte, sofern sie überhaupt von Lehmann-Hartlebens angestrebt wurde, jedoch
allein deshalb nicht gelingen, weil er die Darstellungen als völlig aus ihrem narrativen
Kontext gelöste Einzelbilder betrachtete, und weil er die Bedeutung des
Gesamtmonuments als repräsentatives, politisches Werk nicht berücksichtigte. Als
Leistung Lehmann-Hartlebens ist in jedem Fall dennoch die sorgfältige Unterscheidung
von Szenentypen sowie die Erkenntnis hervorzuheben, dass „die Reliefs die von den
Historikern überlieferten Tatsachen gar nicht oder so verallgemeinert darstellen, daß sie
niemand wieder erkennen kann.“46
Die Beschränkung auf rein stilistische und
kompositorische Fragen führte jedoch dazu, dass er die politisch-ideologische
Dimension der Reliefs und damit auch der Darstellung der Fremdvölker ebenso wenig
berücksichtigte wie seine Vorgänger.
Eine Art Synthese von historischer und stilistischer Interpretation strebte rund 50 Jahre
nach Lehmann-Hartleben W. Gauer an. Als einer der ersten betrachtete er die
Traianssäule als ein Denkmal mit repräsentativer Funktion, dessen Gestaltung einem
vom Auftraggeber vorgegebenen Programm folgte, das als Leitfaden für die
gedankliche und gestalterische Konzeption der Reliefs im Hintergrund wirksam war. So
bemerkt er in der Einleitung zu seiner Monographie: „Wir dürfen von vorneherein
voraussetzen, daß den Meistern, die dieses Denkmal schufen, ein ausführliches
Programm vorgelegen hat, das die historischen und politischen Aspekte des Werkes bis
in die Einzelheiten festlegte.“47
Durch den Vergleich mit Werken der griechischen
Repräsentationskunst wie dem Parthenonfries oder dem Pergamonaltar kam er zu dem
wichtigen Ergebnis, dass „[sich die Aufmerksamkeit des Auftraggebers, Anm. der
Verf.] bei den historisch-politischen Denkmälern der Kaiserzeit mehr auf die politische
Symbolik und das Zeremoniell der forensischen und höfischen Repräsentation
[verlagerte, Anm. der Verf.].“48 Das von ihm postulierte Programm trennte Gauer in drei
Aspekte: „Das Darstellungsprogramm entwickelt sich in drei Stufen: in dem
topographischen Programm, das den fortlaufenden Reliefbericht an bestimmten
44
Lehmann-Hartleben 1926, 56. 45
Das „Interesse am Exotischen“ gilt für Lehmann-Hartleben als allgemeines Merkmal der römischen
Kunst, s. o. Anm. 42. 46
Lehmann-Hartleben 1926, 55. 47
Gauer 1977, 5. 48
Gauer 1977, 5 f.
12
Knotenpunkten örtlich fixiert, in dem historischen Programm, das den Fortgang der
Handlung von Szene zu Szene vorzeichnet und in historisch sinnvolle Abschnitte
gliedert, und in dem politischen Programm, das die Stellung des Kaisers, seiner
Offiziere, der Armee und, auf der anderen Seite der Daker in diesem Bericht festlegt.“49
Doch obwohl Gauer sich in seinem Vorwort mit bisweilen großer verbaler Schärfe von
seinen Vorgängern abzugrenzen suchte, gelangte er im Hinblick auf das von ihm
untersuchte historische Programm zu einem Ergebnis, das letztlich die Sichtweise von
Cichorius stützte: „Die enge Übereinstimmung zwischen den Darstellungen der
Trajanssäule und des Cassius Dio lässt sich kaum anders erklären, als daß beiden die
gleiche Quelle zugrunde liegt. Es kann kaum eine Frage sein, um welche Quelle es sich
handelt. Beide müssen auf die Commentarii Trajans zurückgehen.“50
Allerdings gestand
er der bildlichen Darstellung insofern eine gewisse Eigenständigkeit zu, als dass er die
Betonung repräsentativer Szenen als primär der Bildkunst eigenes Merkmal betrachtete.
Für eben jene repräsentativen Szenen konnte Gauer erstmals vertikale Korrespondenzen
ausmachen, also nachweisen, dass die Szenen nicht nur eine rein lineare Gliederung
aufweisen, sondern dass auch Sinnbezüge zwischen chronologisch weit entfernten
Szenen bestehen51
. Zur Klärung des den Darstellungen der Traianssäule zugrunde
liegenden Barbarenbildes konnte Gauer hingegen nur wenig beitragen, da er sich
letztlich darauf beschränkte, den dakischen Anführer Decebalus im Fries auszumachen
und ihm eine Stellung innerhalb seines „historischen“ und „topographischen“
Programms zuzuweisen52
. Der Großteil der Daker war für Gauer überhaupt nur als
Gegner der römischen Armee interessant, die Szenen, in denen eine Begegnung
zwischen dem Kaiser und Vertretern fremder Völker stattfinden, versuchte er lediglich
in einen historisch bzw. narrativ sinnvollen Kontext zu setzen. Eine Einordnung in das
von ihm selbst postulierte politische Programm erfuhren diese Szenen jedoch nicht.
49
Gauer 1977, 6. 50
Gauer 1977, 53 f. 51
Gauer 1977, 9-12. 48. Abb. 1. 52
Gauer 1977, 65-67. Was die Einordnung in das „historische“ Programm anbelangt, so hält Gauer sich
wie bereits erläutert eng an die Überlieferung des Cassius Dio: „Die königliche Gestalt der Szene
CXX/XXI scheint nicht der Decebalus des Darstellungsprogramms zu sein. Angesichts der
problematischen Deutung dieser Szene könnte man sich zu der Vermutung gedrängt sehen, daß wir hier,
in dem Verteidiger der Festungen, einen anderen dakischen Führer vor uns haben, einen Mann, den
Trajan im Gegensatz zu Decebalus als seinen wahren Gegner geachtet habe. Aber die Überlieferung bietet
diesem Verdacht keine Stütze.“ (Gauer 1977, 66). In topographischer Hinsicht kommt er letztlich zu einer
fast banalen Einsicht: „Auch die Person des Dakerkönigs ist an ihren Ort gebunden. Er tritt immer dann
auf, wenn sich die Handlung seiner Königsstadt oder den Festungen im Herzen des Dakerlandes nähert.“
(Gauer 1977, 67).
13
Ein wirklicher, tiefgreifender Wandel in der Betrachtungsweise der so genannten
historischen Reliefs, insbesondere der Traianssäule, sowie auch in der Wahrnehmung
der dort dargestellten Fremdvölker trat letztlich erst in den 80er Jahren des 20. Jhs. mit
den Arbeiten T. Hölschers ein, der die Bildwerke der römischen Staatskunst als Teil
eines umfassenden semantischen Systems begriff, innerhalb dessen bestimmte
Bildthemen spezifische Wertbegriffe der römischen Gesellschaft beispielhaft zum
Ausdruck bringen53
. Diese Bildthemen, die mitunter eine außergewöhnlich große
zeitliche Konstanz aufweisen, dienen, so Hölscher, der Visualisierung staatstragender
Ideen. So kann beispielsweise die pietas eines Kaisers durch eine Opferszene, seine
virtus durch eine Jagdszene, seine Verbundenheit mit dem Heer durch eine Ansprache
an die Soldaten zum Ausdruck gebracht werden54
. Hölscher formuliert
zusammenfassend: „Damit wird man vom einzelnen Bild auf allgemeinere Phänomene
verwiesen: von der spezifischen formalen Gestalt zur allgemeinen Formensprache; vom
dargestellten einmaligen Vorgang und seiner Bedeutung zu den zugrunde liegenden
Strukturen und Systemen von Staat, Gesellschaft, Religion, ideellen Leitvorstellungen
etc.“55
Besonders deutlich trete dieses semantische System in der Münzprägung hervor,
da hier die verwendeten Bildformeln mitunter durch ergänzende Legenden erläutert
wurden. Über die auf Münzen der späten Republik verwendete Bildsprache, die die
Grundlage auch für die spätere systematische Verwendung von Bildern in der Kaiserzeit
bildete, schreibt Hölscher: „Dabei ist insbesondere der Umstand von Bedeutung, daß
hier nicht vereinzelte bildliche Formulierungen einzelner ideeller Vorstellungen benutzt
wurden, sondern daß eine große Zahl politischer Verlautbarungen in rascher Folge in
53
Für die Traianssäule im Speziellen sind hier zudem die Arbeiten von S. Settis zu nennen. Die stark
typisierten Szenen des Frieses (Ansprachen, Opfer, Unterwerfungen etc.) betrachtet er als exempla, also
als beispielhafte Darstellungen der Tugenden des Kaisers und seiner Truppen (Settis 1985, 1155; Settis
1988, 188-202. 241-255; Settis 1991, 196). Darüber hinaus gelang ihm die Zusammenfassung mehrerer
horizontal oder vertikal aneinander anschließender Szenen zu thematischen Einheiten (Settis u. a. 1988,
163-187. 202-219; Settis 1991, 196). 54
Hölscher greift hier inhaltlich auf einige grundlegende Vorarbeiten zurück. Die Verbindung von
politisch-ideologischen Wertbegriffen mit bestimmten Darstellungsschemata hatte bereits G. Rodenwaldt
mit Blick auf die antoninischen Feldherrn-Sarkophage vollzogen, s. Rodenwaldt 1935, 3-6. Doch
übertrug er diesen Gedanken nicht auf die Darstellungen der Traians- und der Marcussäule, da er den
narrativen Aspekt der Reliefs wichtiger einschätzte als den symbolischen: „In dieser [Welt des historischen Reliefs, Anm. der Verf.] können wir zwei formal und inhaltlich getrennte Traditionen verfolgen: die in der volkstümlichen Malerei gepflegte Geschichtschronik, deren Übertragung in das
Relief uns an der Traianssäule und der Säule des Marcus vorliegt, und das symbolisch-politische Relief,
dessen besterhaltenes Beispiel der Traiansbogen in Benevent bietet.“ (Rodenwaldt 1935, 4). Hölscher
selbst führt die Arbeiten zu eben jenem Traiansbogen von Benevent als grundlegend für die eigene
Theoriebildung an, s. Hölscher 1980, 269 Anm. 11. 55
Hölscher 1980, 267 f.
14
Umlauf kam. Dadurch wurde sehr schnell ein dichtes Netz von Bildformeln geschaffen,
die den gesamten Bereich politischer Ideale nahezu lückenlos abdeckten.“56
Für das Verständnis der Bildsäulen war dieser Schritt ähnlich bedeutsam wie die
Erkenntnis der philologisch-historischen Forschung, dass die in den antiken Quellen
getroffenen Aussagen über Barbaren größtenteils als rhetorisch überprägt aufzufassen
seien. Denn die Interpretation der Darstellungen als primär politisch-ideologisch
motiviert ließ den Realitätsgehalt der Reliefs in neuem Licht erscheinen. Im konkreten
Fall der Traianssäule gelang es L. Baumer, T. Hölscher und L. Winkler, die
Wechselwirkungen zwischen der Darstellung des historischen Ereignisses und der
Visualisierung politischer Leitbegriffe sichtbar zu machen: „[…] es [ist, Anm. der Verf.]
grundsätzlich verfehlt, historische Information und ideologische Tendenz als
Alternativen der Deutung zu betrachten: Die historische Realität der Kriegszüge wird
ausschließlich durch den Filter des politischen Denkmals erkennbar, und die politische
Ideologie manifestiert sich ausschließlich am exemplum der konkreten Geschichte.“57
Als entscheidenden Faktor der ideologischen Filterung konnten die Autoren die
Selektion, also die Auswahl der abgebildeten Szenen ausmachen: „Die überwiegende
Zahl der Szenen schildert typisierte Vorgänge, die im Sinne einer Ereignisgeschichte
wenig Bedeutung zu haben scheinen, die jedenfalls in jedem beliebigen Krieg immer
wieder in ähnlicher Weise vorkamen und daher kaum besonderer Hervorhebung wert zu
sein scheinen: Opfer, Ansprachen des Kaisers an das Heer, Beratungen, Bau von
Straßen und Befestigungen, Vorführung einzelner Gefangener, Unterwerfungsakte
kleinerer dakischer Bevölkerungsgruppen etc. Es war zweifellos verfehlt, wenn man
darin vielfach „realistisches‟ Interesse für die alltäglichen Vorgänge des Krieges
gesehen hat, im Gegenteil haben diese Szenen durchweg hohe ideologische
Bedeutung.“58
Nicht weniger ideologisch wirksam sei darüber hinaus die Stellung der
Szenen im Fries: „Die Szenen des Reliefbandes bilden nicht eine beliebige Folge von
ideologischen Bedeutungen, die sich zwangsläufig aus der realen Folge der
dargestellten Ereignisse ergäbe; sondern sie sind durchweg in höchst überdachter Weise
nach ihrer ideologischen Botschaft im Kontext des gesamten Bildberichts eingesetzt
und aufeinander bezogen. Sie haben jeweils ihren „systematischen Ort‟. Das ist seit
langem an der zeremoniellen Szenenfolge zu Beginn der drei regulären Feldzüge
erkannt worden (Szenen 1 – 10. 48 – 54. 101 – 106), wo die Profectio als exemplum für
56
Hölscher 1980, 281. 57
Baumer u. a. 1991, 262. 58
Baumer u. a. 1991, 264.
15
virtus, der Kriegsrat für consilium und providentia, die Lustratio für pietas und fides,
die Adlocutio für fides und concordia steht.“59
Für die Szenen, die eine Interaktion des Kaisers mit Barbaren oder Personen
nichtrömischer Herkunft darstellen, blieb eine derartige Rezeption der Säule in
zweierlei Hinsicht nicht ohne Folgen. Zum einen wurde die Begegnung von oberstem
Feldherr und Barbar nicht länger als durch den Fortgang der Ereignisse begründetes,
sondern als ideologisch motiviertes Bild mit spezifischer politischer Aussage erkannt.
Zum anderen führte aber insbesondere der Vergleich mit der Münzprägung zu einer
überraschend monotonen Interpretation dieser Szenen als Ausdruck von virtus und
clementia des Kaisers.
Bereits 1980 hatte Hölscher im Zusammenhang mit Bildern der Unterwerfung, die
einen stehenden oder sitzenden Kaiser gegenüber einem knienden Barbaren zeigen, auf
einen Sesterz sowie ein Bronzemedaillon aus der Zeit des Marc Aurel hingewiesen, die
die Legende CLEMENTIA AVG tragen60
, das Bild also mit der Milde des Kaisers
gegenüber sich unterwerfenden Völkerschaften in Verbindung bringen. Diese Deutung
erweiterte R. Bode 1992, indem er die Szenen, die Gefangenenvorführungen,
Gesandtschaften oder Unterwerfungen zeigten, als bildliche Wiedergabe des bei Vergil
in der Aeneis überlieferten Grundsatzes parcere subiectis – debellare superbos (Verg.
Aen. 6, 853) interpretierte61
: „Es ist zweifellos richtig, wenn Lehmann-Hartleben
Gesandtschaften, Gefangenenvorführungen und Unterwerfungen auf den Friesreliefs
einer großen ikonographischen Gruppe zuordnet. Und es ist wohl auch nicht verfehlt,
für alle drei Handlungsmotive eine gemeinsame Grundkonnotation zu suchen. Wenn auf
dem Fries dem Kaiser unmittelbar Daker gegenübertreten, so geschieht das ausnahmslos
in einem der drei Sujets, die jedes Mal, wie es Ikonographie, Komposition und
Detailgestaltung deutlich machen, eine Überlegenheit der römischen virtus,
exemplifiziert durch die besondere dignitas bzw. gravitas ausstrahlende Kaisergruppe,
gegenüber den ganz im Sinne des konventionellen Barbarenbildes der Römer wild und
unbeherrscht gezeichneten Barbaren zeigen.“62
Einige Absätze weiter konkretisiert
Bode unter besonderer Berücksichtigung der Szenen TS 27 und 28: „So klar, wie die
vorangegangene Szene (Szene TS 27) das debellare superbos in Aussicht stellte,
verwirklicht sich hier das parcere subiectis. Wenn dort virtus der zentrale Werbegriff
59
Baumer u. a. 1991, 265 mit Verweis auf Settis 1985, 1154 f. 60
Hölscher 1980, 286 mit Anm. 62. Abb. 18. 61
Zum Vergleich der Vergil-Stelle mit Szenen der Unterwerfung vgl. aber bereits Speidel 1971, 170.
Gauer 1977, 72. Gabelmann 1984, 171. 62
Bode 1992, 139.
16
war, so ist es hier und bei allen weiteren Gesandtschafts- und Unterwerfungsszenen
clementia, wobei freilich in der Folge die Daker immer unterwürfiger gezeigt werden
und seitens der Römer immer deutlicher das Machtpotential demonstriert wird.“63
Die
Darstellungen der Interaktion von Kaiser und Personen nichtrömischer Herkunft, sei es
nun in Form der Gesandtschaft, der Unterwerfung oder der Gefangenenvorführung,
erfuhren damit eine Reduktion auf die dem Kaiser zugeschriebenen Wertbegriffe virtus
und clementia bzw. iustitia64
. Dabei hatte bereits Hölscher 1980 darauf hingewiesen,
dass eine Szene, sei sie auch noch so typisiert, zwar ein „klares Bedeutungszentrum“
besäße, aber dennoch nicht in einem einzigen verbalen Begriff aufgehe, da den Bildern
auch immer ein gewisser Bezug zum tatsächlichen Vorgang innewohne: „Die
Phänomene entsprechen sich offenbar: auf der einen Seite der ausgeprägte Sinn für
Dinglichkeit und Realität der dargestellten Gegenstände und Szenen – auf der anderen
Seite, da die Bildmotive nicht völlig chiffrenhaft in einzelnen abstrakten Begriffen
aufgehen, vielfach ein gewisser Spielraum der ideellen Interpretierbarkeit und ein
relativ weiter Konnotationshorizont.“65
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, eben jene Reduktion der Interaktionsszenen auf
einige wenige Leitbegriffe erneut zu untersuchen und damit nicht nur den von Hölscher
erwähnten Spielraum der Interpretierbarkeit auszuleuchten, sondern möglicherweise
auch zu klären, ob durch gesellschaftliche und politische Wandlungsprozesse der Kanon
an traditionellen ideologischen Schlagworten und Bildern aus der späten Republik und
frühen Kaiserzeit erweitert wurde. Notwendig erscheint eine erneute Untersuchung
meines Erachtens vor allem deshalb, weil die Betrachtung der Interaktionsszenen und
damit die Untersuchung des ihnen zugrunde liegenden Barbarenbildes in verschiedenen
Punkten zum Stillstand gekommen ist: Zum einen richtet sich das Forschungsinteresse
meist fast ausschließlich auf den Kaiser und die mit seiner Person verbundenen
Wertbegriffe; die Rolle der Fremdvölker als Kommunikationspartner, deren Verhalten
sich nicht weniger als das des Kaisers auf die Bedeutung der Szene auswirkt, wird nur
selten berücksichtigt. Zum anderen beschränkt sich die Forschung, sofern das
Barbarenbild überhaupt in den Blickpunkt des Interesses gerückt wird, auf den Barbar
63
Bode 1992, 143 f. 64
Rodenwaldt 1935, 17 interpretierte die Szenen, die einen knienden Barbaren vor einem stehenden
Feldherrn zeigen, als Ausdruck der clementia, während er in Darstellungen eines knienden Barbaren vor
einem sitzenden Offizier iustitia versinnbildlicht sah. Gegen eine solche Trennung aber bereits
Gabelmann 1984, 132 f. Zu den Feldherrnsarkophagen zuletzt Muth 2004. Sie argumentiert, dass der
Feldherr durch die Annahme der Unterwerfung als Träger eines imperiums ausgewiesen wird und richtet
das Augenmerk damit stärker auf die Rollenfunktion des Verstorbenen im öffentlichen Leben. 65
Hölscher 1980, 302 f. mit Verweis auf variierende Legenden auf Münzen mit mehr oder weniger
gleichem Bild.
17
als Gegner. Dies gilt insbesondere für die Arbeiten zur Marcussäule, deren Bilder seit
jeher vor allem wegen der dort dargestellten Grausamkeiten gegenüber Fremdvölkern
die Aufmerksamkeit auf sich zogen.
So konzentrierte sich die ältere wie neuere Forschung zur Marcussäule vornehmlich auf
Szenen der Gewalt gegenüber Barbaren, wenn auch unter ganz unterschiedlichen
Prämissen66
. Autoren wie P.G. Hamberg sahen in den Szenen ein neuartiges
Bewusstsein der römischen Gesellschaft für die Schrecken der von den Römern
geführten Kriege67
, während N. Hannestad die expressive Darstellung von Gewalt als
Datierungskriterium heranzog: Marc Aurel könne einer derartigen Darstellung seiner
eigenen Person wohl niemals zugestimmt haben, weshalb das Monument in die Zeit des
Commodus zu datieren sei68
. Zu einem differenzierteren Ergebnis kommt F. Pirson69
. Er
sieht die dargestellten Grausamkeiten sowie den expressiven Stil der Reliefs durch die
Notwendigkeit begründet, in einer Zeit der Krise eindeutige und die Sicherheit und
Überlegenheit Roms demonstrierende Bilder zu finden70
: „The image of war presented
by the Aurelian Column is a reaction to the situation of the Empire during the reign of
Marcus. In frequent invasions, German and Sarmatian tribes not only penetrated the
provinces, but even devastated parts of northern Italy. […] The subsequent wars, which
aimed to restore order, were not at all as effortless as the column might suggest, but
involved heavy losses. […] Not surprisingly, such menacing circumstances demanded
different images. In order to restore lost confidence in Roman power, the annihilation of
the foe now had to appear as clear as possible.“71
Doch beschränkt auch Pirson sich auf
die Behandlung solcher Szenen, die Gewalt gegenüber Barbaren darstellen. Die
friedliche Begegnung zwischen dem Kaiser und den Vertretern fremder Völker berührt
er nur am Rande, wobei er auf die bereits etablierte Interpretation derartiger Szenen als
Ausdruck der clementia zurückgreift: „Besides the cruelty and violence which have
been studied here in detail, Marcus is also shown on his column practising clementia
towards the barbarians (for instance in scene XVII). One is tempted to speculate that in
a different historical situation, he would perhaps have appeared much as his adoptive
66
Gute Zusammenfassung bei Pirson 1996, 139-141. 67
Hamberg 1945, 178. 68
Hannestad 1986, 244. 69
Pirson 1996. 70
Die Prämisse, dass konkrete historische Ereignisse sich auch in Bildern manifestieren, ist allerdings
gerade in letzter Zeit mit Recht in Zweifel gezogen worden, s. Muth 2008 und u. S. 187. mit Anm 354.
192 f. 71
Pirson 1996, 174.
18
father Antoninus Pius did, who made clementia the central theme of his self-
representation.“72
Während sich auch bei Pirson die bereits erwähnte Konzentration auf die Person des
Kaisers zeigt, bemüht sich I. M. Ferries in seiner Arbeit über römische
Barbarendarstellungen eher um die Klärung des den Szenen zugrunde liegenden
Barbarenbildes. Doch auch seine Beurteilung der auf der Marcussäule dargestellten
Barbaren orientiert sich ausschließlich an Szenen der Gewalt: „This brief, selective
discussion of the Column of Marcus Aurelius may appear to be biased towards the
discussion of battle, cruelty and death. However, it nevertheless represents a true
reflection of the overall message of the monument. […] On the Aurelian Column, the
barbarian has simply become a body, dehumanised pieces and fragments of bleeding
and battered flesh, whose fate was dictated by Roman imperial authority.“73
Durch den Überblick über die Arbeiten zu den beiden Reliefsäulen und insbesondere zu
den Szenen, in denen Barbaren oder Angehörige fremder Völker dem Kaiser
gegenübergestellt sind, werden somit insgesamt einige Tendenzen deutlich, die im
Folgenden kurz zusammengefasst seien.
Im Allgemeinen lässt sich eine Entwicklung von einer rein historischen Interpretation
der Reliefsequenzen, die sich an der literarischen Überlieferung zu den jeweiligen
Kriegen orientiert, hin zu einem Verständnis der Bildwerke als politisch-repräsentative
Denkmäler erkennen, deren Darstellungen einerseits geprägt sind durch die Stilformen
ihrer jeweiligen Entstehungszeit, die andererseits aber insbesondere der Visualisierung
staatstragender Ideen dienen. Diese Entwicklung machte es möglich, die Säulenreliefs
nicht länger als Illustration verlorener commentarii zu betrachten, sondern ihre
Bedeutung als Träger politischer und gesellschaftlicher Wertbegriffe zu erkennen und
zu erörtern. Das Verständnis der Darstellungen als durch ein semantisches System
geprägt ermöglichte darüber hinaus die Zuordnung bestimmter Szenen zu spezifischen
ideologischen Begriffen.
72
Pirson 1996, 177. 73
Ferries 2000, 98. Die Liste der Autoren und Arbeiten, die den Sinngehalt der Säule auf die
Demonstration von Macht und Kompromisslosigkeit der römischen Armee im Allgemeinen und des
Kaisers im Besonderen gegenüber einem als verbrecherisch und jedenfalls unterlegen dargestelltem
Gegner reduzieren, ließe sich an dieser Stelle beliebig fortführen. Vgl. z. B. P. Zanker über die
Darstellung von Frauen und Kindern der Barbaren auf der Markussäule: „Aber daß es auf der
Marcussäule im Gegensatz zur Trajanssäule nicht nur um Sieg, sondern auch um die Vernichtung
zumindest eines Teiles der Völker an den Nordgrenzen geht, scheint mit evident. Marcus selbst, der
feinfühlige „Philosophenkaiser‟, agiert dabei ganz entsprechend seiner Rolle als Schützer des Reiches und
Vernichter der Barbaren.“ (Zanker 2000, 172).
19
Für die Szenen, die eine Begegnung des Kaiser mit Barbaren oder Vertretern fremder
Völker darstellen, bedeutete die häufig zu konsequente Anwendung der Idee des
semantischen Systems letztlich aber eine Bedeutungseinengung auf wenige,
vornehmlich der Münzprägung entnommene Leitvorstellungen wie virtus, dignitas,
clementia und iustitia. Variationen des Schemas Kaiser – Barbar wurden entweder nicht
wahrgenommen oder nicht erschöpfend behandelt, weshalb man den Szenen eine
„gemeinsame Grundkonnotation“74
zuschrieb. Dabei ist diese Reduktion des
Sinngehalts auf einen oder wenige feststehende Begriffe nicht auf einen Mangel des
Theorems an sich, sondern auf eine zu enge Auslegung durch die jeweiligen Autoren
zurückzuführen75
.
Im speziellen Fall der Marcussäule kommt noch erschwerend hinzu, dass aufgrund des
erheblichen Anteils von Szenen, die Gewalt gegenüber Barbaren zeigen, solche
Darstellungen, die eine friedliche Begegnung der beiden Parteien zeigen, als weniger
bedeutsam und durch die Anlehnung des Monuments an den Vorläufer Traianssäule
bedingt betrachtet wurden, was letztlich dazu führte, dass Ferries in seiner Arbeit die
„Entmenschlichung“ des Barbaren zur Zeit Marc Aurels postulieren konnte76
.
3. Eigener Ansatz und Methodik
Aus dem Überblick über den Forschungsstand leiten sich einige Grundsätze für die
vorliegende Arbeit ab, die sowohl das Barbarenbild als gedankliches Konstrukt als auch
seine Spiegelung in den so genannten historischen Reliefs betreffen. Denn um über die
bislang auf dem Gebiet der „Barbarologie“ erzielten Ergebnisse hinauszukommen, ist es
notwendig, einige der traditionellen Deutungsschemata aufzugeben, die sich sowohl in
der Textanalyse als auch in der Bildwissenschaft zum Thema etabliert haben.
Zunächst ist eine Neubewertung der historischen Quellen vorzunehmen, auch wenn dies
nicht den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bilden soll. Als Grundlage für die
Beurteilung des römischen Barbarenbilds erweisen sich meines Erachtens die Arbeiten
von Christ und Timpe als tragfähig, da sie für die Aufgabe der von der Rhetorik
74
Vgl. oben S. 15 mit Anm. 62. 75
s. hierzu die „mahnenden Worte“ Hölschers mit Verweis auf variierende Münzlegenden, die mit einem
ähnlichen oder gleichen Bildschema kombiniert werden können: „Von daher wird man sich hüten, die
Bildprogramme kaiserlicher Repräsentationskunst auf Systeme von eindimensionalen Schlagworten zu
reduzieren, die Denkmäler gewissermaßen zu Trägern von Spruchbändern zu machen. Es kann gewiß
kein Zweifel bestehen, dass bei bestimmten Szenen und Figuren jeweils bestimmte ideelle Vorstellungen
im Vordergrund stehen: beim Opfer pietas, bei der Profectio virtus etc.; […] Aber es handelt sich dabei nicht um eine reine bildliche Chiffrierung isolierter abstrakter Begriffe, sondern die Szenen bewahren in
der Regel eine konkrete Qualität, die ihnen in vielen Fällen einen relativ weiten Bedeutungsrahmen
sichert“ (Hölscher 1980, 308). 76
Vgl. oben S. 17 f. mit Anm. 73.
20
geprägten Vorstellung der römischen Nachbarn plädieren. Daher werde ich mich im
Folgenden der These Timpes anschließen, dass die römische Außenpolitik gerade im 2.
Jh. n. Chr. „in der Praxis auf realistische Symbiose“ angelegt war und durchaus auch
darauf abzielte, die friedlichen Fremdvölker an den Grenzen ebenso wie diejenigen,
gegen die man Krieg führte, zu assimilieren, anstatt sie völlig zu eliminieren. Dieser
Gedanke setzt allerdings voraus, dass man die Wandlungsfähigkeit der Barbaren
anerkennt, ihnen also jenseits der in der römischen Literatur stereotyp wiedergegebenen
Eigenschaften Handlungs- (und Wandlungs-) Spielräume einräumt. Anhand
ausgewählter antiker Schriftquellen soll daher geklärt werden, ob sich möglicherweise
doch eine differenziertere Haltung der Römer zu den Barbaren erkennen lässt, als das
bislang vielerorts wahrgenommen wurde.
Auf der Grundlage eines differenzierteren historischen Barbarenbildes sollen dann in
einem zweiten Schritt aussagekräftige Szenen der Traians- und Marcussäule einer
gründlichen Betrachtung unterzogen werden. Dabei ist es dringend notwendig,
insbesondere was die Marcussäule anbelangt, den Blick nicht auf Szenen des Kampfes
und der Gewalt, sondern vielmehr auf solche Darstellungen zu richten, die fremde
Völker nicht als Gegner, sondern als Kommunikationspartner zeigen, da vor allem in
diesen Szenen das spezifische Verhältnis zwischen Rom und der Bevölkerung an den
Grenzen greifbar wird. Im Folgenden werde ich mich daher auf diejenigen Szenen an
den beiden Säulen beschränken, die einen wie auch immer gearteten Austausch
zwischen dem Kaiser als Repräsentant des römischen Volkes und Personen
nichtrömischer Herkunft vorführen. Kampfdarstellungen werden hingegen nicht
berücksichtigt, da sie einerseits keine Interaktion zwischen dem Kaiser und Vertretern
fremder Völker zum Inhalt haben (der oberste Feldherr nimmt an beiden Säulen in der
Regel nicht aktiv am Kampfgeschehen teil), andererseits hier das Bild des mit topischen
Wesensmerkmalen behafteten Barbaren dominiert.
Ein Desiderat, das dabei in der vorliegenden Arbeit behandelt werden soll, ist des
Weiteren die Wahrnehmung der Begegnung von Kaiser und Barbar als
Kommunikationssituation. Mit Blick auf Bilder, die die Ansprache des Kaisers an seine
Truppen zeigen, konnte J.-M. David zeigen, dass die Belegung derartiger Szenen mit
dem Begriff der adlocutio letztlich eine Verkürzung ihres Sinngehalts bedeutet, indem
er auf die wichtige Rolle der Soldaten im Rahmen der Ansprache des Kaisers hinwies:
21
„En fait, le terme par lequel les sources littéraires le désignaient, était celui de contio ou
d`εθθιεζία, celui-là même qui définissait les assemblées du peuple à Rome au cours
desquelles, anciennement, les magistrats présentaient les projets de loi ou les
accusations contre ceux qu`ils poursuivaient et sur lesquels les comices devraient voter.
Le mot se distinguait de celui d`adlocutio que l`on trouve sur les monnaies ou dans
quelques inscriptions en ce sens que ce dernier ne désignait que le discours de
l`empereur lui-même et non l´ensemble de la situation. Il marquait une continuité sur
laquelle on reviendra car elle signifie en fin de compte que les soldats était compris sous
ce terme comme des citoyens qui prenaient veritablement part à un rituel politique qui
garantissait la legitimité du Prince. Il prenait en compte l`ensemble des partenaires de la
scène. C`est donc lui qu`il faut employer sauf à prendre le risque de concentrer sous
celui d`adlocutio l`analyse sur la seule personne de l`orateur.“77
Ähnlich wie im Fall der
militärischen Ansprachen bedeutet die Belegung der Szenen, die eine Begegnung des
Kaisers mit Vertretern fremder Völker zeigen, mit Begriffen wie clementia oder iustitia
(oder gar virtus und dignitas) eine einseitige Beschränkung auf die Person des Kaisers.
Eine solche Beschränkung mag für Bilder, die den Kaiser z. B. beim Opfer zeigen, noch
zulässig sein, da hier keine Interaktion mit einem Gegenüber dargestellt ist. Erweitert
man den Blick bei den im Zentrum dieser Arbeit stehenden Bildern nicht auch auf die
dem obersten Feldherrn gegenübertretenden nichtrömischen Personen, so vernachlässigt
man den Aspekt der Kommunikation. Eine genaue Betrachtung der entsprechenden
Szenen wird meines Erachtens ergeben, dass ihre Bedeutung in hohem Maße durch das
Verhalten der Fremdvölker mitbestimmt wird: Während die Darstellung des Kaisers
recht stereotypen Regeln folgt, lassen sich bei der Wiedergabe der nichtrömischen
Personen Differenzierungen ausmachen, durch die ihnen unterschiedliche Rollen
zugeteilt werden, deren Bedeutung dann wieder auf die Person des Kaisers
zurückstrahlt. Daher werden in der vorliegenden Arbeit zur Unterscheidung
verschiedener Bildschemata insbesondere solche Kriterien herangezogen, die geeignet
sind, das Verhältnis zweier Parteien in einer Kommunikation deutlich zu machen.
Neben der Komposition gehören hierher auch Gestus und Habitus der an der
Begegnung beteiligten Personen.
Für die Interpretation ist neben der genauen Abgrenzung der Bildschemata voneinander
weiterhin eine gründliche Einordnung der ausgewählten Darstellungen in den jeweiligen
77
David 2000, 213 f.
22
szenischen Kontext notwendig. Wie Baumer, Hölscher und Winkler zeigen konnten,
besitzen die in den Relieffriesen der beiden Säulen gezeigten Szenen einen
„systematischen Ort“78
, was bedeutet, dass an vom Künstler oder Auftraggeber
festgelegten Stellen exemplarisch bestimmte Inhalte zum Ausdruck gebracht werden.
Daher erschließt sich der Sinngehalt der einzelnen Szenen nicht allein durch ihr
Darstellungsschema, sondern auch durch die Einbettung in ein räumliches (bezogen auf
die Stellung im Fries) und zeitliches (bezogen auf die Stellung in der Erzählung)
Gefüge79
. Im Folgenden werden die Szenen der Interaktion von Kaiser und
Fremdvölkern deshalb nicht isoliert, sondern zusammen mit den umgebenden Bildern
betrachtet. Zur leichteren Erfassung der szenischen Einbettung ist der Arbeit im
Anschluss je eine schematische Darstellung der Traians- und Marcussäule angefügt
(Abb. 1. 2).
Am Ende wird die Frage zu stellen sein, inwiefern sich aus dem Kontext erschlossene
Bedeutungen auch auf Bilder übertragen lassen, die ein ähnliches Grundschema
besitzen, aber in einen nichtnarrativen Zusammenhang gehören, wie z. B. die
Reliefpaneele vom Bogen des Marc Aurel in Rom.
Als Ergebnis der genauen Analyse hoffe ich zeigen zu können, dass die Entwicklung
der Darstellung von Fremdvölkern gerade nicht in deren „Entmenschlichung“ gipfelt,
sondern dass sich die römische Repräsentationskunst des 2. Jhs. n. Chr. vielmehr um ein
differenziertes Barbarenbild bemühte. Diese Entwicklung, die ihren Anfang mit den
Reliefs der Traianssäule nimmt, findet in der Zeit Marc Aurels einen Höhepunkt, der
sich auch durch die zugegebenermaßen erhebliche Anzahl von Gewaltdarstellungen nur
schwer wegdiskutieren lässt.
78
Baumer u. a. 1991, 264 f. 79
Das räumliche Gefüge ist insbesondere für die Vertikalkorrespondenzen bedeutend, die zumindest für
die Traianssäule gut nachgewiesen sind, s. Bode 1992, 168-173 mit Abb. 1. Die chronologisch sinnvolle
Anordnung macht die Friese hingegen erst als „Geschichte“ lesbar, wenn sie auch im Falle der
Marcussäule zugunsten der Expressivität der Einzelbilder mitunter aufgebrochen wurde, s. Pirson 1996,
142-147.
23
4. Von der Wandlungsfähigkeit der Barbaren in den römischen Schriftquellen
Die römische Geschichtsschreibung ist durch ihre Konzentration auf die militärischen
Erfolge des Imperium Romanum überaus reich an Beschreibungen von Fremdvölkern,
die häufig nicht nur Gegner, sondern auch Verbündete des Reichs sind. Ziel dieser
Arbeit kann es nicht sein, einen auch nur annähernd vollständigen Überblick über das
Verhältnis Roms zu den Barbaren oder die Vorstellung vom Fremden im Allgemeinen
zu geben. Vielmehr erscheint es mir sinnvoll, sich auf ausgewählte Autoren und
Textstellen zu beschränken, die die durchaus ambivalente Haltung der Römer
gegenüber den Barbaren und deren Wandlungsfähigkeit widerspiegeln.
Im Folgenden werde ich mich daher einerseits auf die Beschreibung des Bataver-
Aufstandes in den Historien des Tacitus, andererseits auf die Darstellung der
Donaukriege Marc Aurels bei Cassius Dio konzentrieren, wobei die herangezogenen
Textstellen, soweit geboten, durch andere Passagen aus dem Werk der beiden Autoren
ergänzt werden. Einer der Vorteile, der sich durch diese Auswahl ergibt, ist die
Tatsache, dass beide Autoren verhältnismäßig zeitnah zu den beschriebenen Ereignissen
tätig waren, so dass sich ihre Darstellungen wohl nicht ausschließlich auf ältere Quellen
stützen, sondern durchaus auch von ihrer Haltung zu den jeweiligen Vorgängen bzw.
den Vorstellungen ihrer Zeit geprägt sind80
. Vor allem aber ist bei einer solchen
Auswahl auch die zeitliche Nähe der Texte zu den bildlichen Darstellungen, die im
Zentrum dieser Arbeit stehen, gegeben. Der Bataver-Aufstand ereignete sich in den
Jahren 69 bis 70 n. Chr., also rund 40 Jahre vor der Errichtung der Traianssäule, wobei
die Veröffentlichung der Historien (ca. 105-110 n. Chr.) genau in die Bauzeit der Säule
fällt; die ausgewählten Stellen bei Cassius Dio beschreiben gar die gleichen Kriege, die
auch auf der Marcussäule dargestellt sind.
4. 1. Die Darstellung des Bataver-Aufstands in den Historien des Tacitus
Der Darstellung des Bataver-Aufstands widmet Tacitus innerhalb des uns überlieferten
Teils der Historien insgesamt 62 Kapitel (Tac. hist. 4, 12-37; 4, 54-79; 5, 14-26), wobei
die Schilderung der Ereignisse im 26. Kapitel des fünften Buches unvermittelt abbricht,
das Ende der Revolte uns also nicht erhalten ist. Der Bataver-Aufstand, der nach Tacitus
als kleine Erhebung einiger germanischer Stämme unter dem batavischen Anführer
Iulius Civilis begonnen hatte, weitete sich während der Kämpfe um die Nachfolge
Neros im Jahr 69 n. Chr. auch auf Teile Galliens aus und stellte damit, so der Autor,
80
Ausführliche Diskussion des Verhältnisses des Tacitus zu seiner postulierten Vorlage Plinius d. J. bei
Timpe 2005, 156-160. Zu den Quellen des Cassius Dio s. Millar 1964, 28-32.
24
durchaus eine Bedrohung für die nördlichen Provinzen des Reiches dar81
. Ohne auf die
Ereignisse im Detail einzugehen (insbesondere die innenpolitische Problematik, also die
Verquickung der Revolte mit den Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des
Vitellius und jenen des Vespasian muss an dieser Stelle außen vor bleiben), lässt sich
aus den Schilderungen des Tacitus meines Erachtens trotz der rhetorischen Polemik des
Autors ein durchaus differenziertes Bild der nachbarlichen und reichsinternen
Fremdvölker gewinnen. Zwingend notwendig für eine genauere Beleuchtung des
Barbarenbildes, das der Beschreibung des Bataver-Aufstands zugrunde liegt, ist eine
Scheidung von feindlichen und nichtfeindlichen Barbaren bzw. die Klärung der Frage,
ob letztere überhaupt der Kategorie Barbar zugeordnet werden dürfen.
Zunächst jedoch zu den den Römern feindlich gesinnten Stämmen und Völkern. Dort,
wo Barbaren, das heißt im Falle des Bataver-Aufstands primär in Gallien ansässige
Germanen und sich ihnen anschließende Gallier, als Feinde dargestellt werden, folgt
Tacitus den üblichen Topoi seiner Zeit: Sie werden als grausam82
, wild83
, habsüchtig
und beutegierig84
beschrieben. Der von Rom mit der Niederschlagung der Revolte
betraute Feldherr Petilius Cerialis stellt die Germanen in seiner Rede an die gallischen
Treverer und Lingonen mit genau diesen Eigenschaften dar:
„Die Germanen haben immer die gleiche Ursache, nach Gallien herüberzukommen: Willkür,
Habsucht und Lust, ihre Wohnsitze zu wechseln, um ihre Sümpfe und Einöden zu verlassen und
diesen so fruchtbaren Boden und damit euch selbst in Besitz zu nehmen.” (Tac. hist. 4, 73, 3)
„Eadem semper causa Germanis transcendendi in Gallias, libido atque avaritia et mutandae sedis
amor, ut relictis paludibus et solitudinibus suis fecundissimum hoc solum vosque ipsos
possiderent: ceterum libertas et speciosa nomina praetexuntur.”
In der Schlacht erweisen sich die Barbaren zumeist als undiszipliniert und voll zielloser
Kampfeswut, wobei Tacitus diese Eigenschaften geschickt mit den Qualitäten der
römischen Soldaten kontrastiert85
:
81
Tac. hist. 1, 2, 1. Die Einschätzung der Bedeutung des Bataver-Aufstands wird von anderen Autoren
wie Cassius Dio oder Sueton nicht geteilt, die diese Rebellion kaum erwähnen; s. Timpe 2005, 156-160. 82
Tac. hist. 4, 61, 1; 4, 63, 1. 83
Tac. hist. 4, 32, 2; 4, 60, 3; 4, 64, 1; 4, 76, 2. 84
Tac. hist. 4, 23, 3; 4, 63, 1; 4, 78, 2. 85
Auszunehmen sind hier allerdings die im Rahmen der innenpolitischen Machtkämpfe meuternden
Soldaten. Tacitus schreibt das Fehlverhalten der römischen Legionäre der schlechten Führung durch ihren
Kommandanten Hordeonius Flaccus zu, der wiederum als Gegenbild zu Petilius Cerialis fungiert, der den
Aufstand beendet; s. Tac. hist. 4, 19, 1-3.
25
„Auch die Nacht setzte dem Kampf kein Ende: ringsum hatten sie [die Barbaren, Anm. der Verf.]
Scheiterhaufen angezündet – und eben noch beim gemeinsamen Schmaus, stürmten sie, wie jeden
der Wein erhitzt hatte, in sinnloser Verwegenheit zum Kampf; denn ihre eigenen Geschosse
verfehlten in der Finsternis das Ziel, die Römer aber richteten ihre Schüsse auf die deutlich
sichtbaren Reihen der Barbaren und auf jeden, der durch Kühnheit oder Waffenschmuck besonders
hervorstach. Als Civilis das merkte, ließ er die Feuer löschen und alles in ein Chaos von Finsternis
und Waffenlärm treiben: [...] Bei den Germanen unbesonnene Kampfeswut – der römische Soldat,
mit Gefahren vertraut, schleuderte eisenbeschlagene Pfähle, schwere Felsblöcke – und nicht aufs
Geratewohl.” (Tac. hist. 4, 29, 1-3)86
„Nec finem labori nox attulit: congestis circum lignis accensisque, simul epulantes, ut quisque
vino incaluerat, ad pugnam temeritate inani ferebantur. Quippe ipsorum tela per tenebras vana:
Romani conspicuam barbarorum aciem, et sie quis audacia aut insignibus effulgens, ad ictum
destinabant. Intellectum id Civili et restincto igne misceri cuncta tenebris et armis iubet. [...] Apud
Germanos inconsulta ira: Romanus miles periculorum gnarus ferratas sudes, gravia saxa non forte
iaciebat.”
Der batavische Anführer Iulius Civilis zeichnet sich allerdings durch eine für Barbaren
ungewöhnliche Intelligenz aus87
, was ihn, gepaart mit seiner Hinterlist88
, zum
gefährlichen Gegner macht. Die große Bedeutung, die der Autor der von Civilis
ausgehenden Bedrohung beimisst, hat gleich mehrere Ursachen: Der Stamm der Bataver
gehört zum Volk der germanischen Chatten, die Tacitus in der Germania als einen der
kampfkräftigsten germanischen Stämme beschreibt89
. Aufgrund eines Stammesstreits
jedoch siedeln sich die Bataver in Nordgallien an, es handelt sich bei ihnen also nicht
um einen äußeren Feind, sondern um einen Stamm, der innerhalb des Imperium
Romanum seinen Wohnsitz hat90
, aber aufgrund seiner Abstammung durchaus
Beziehungen zu den rechtsrheinischen Germanen pflegt91
. Die Gefahr, die von Civilis
ausgeht, ist umso größer, da er als einstiger Bundesgenosse eine römisch-militärische
Ausbildung genossen hat und eine durchaus kampferprobte Kohorte batavischer Reiter
kommandiert92
. Letztlich ist es die für Barbaren wiederum topisch verwendete
86
Vgl. außerdem Tac. hist. 5, 15, 2. 87
Tac. hist. 4, 13, 2. 88
Tac. hist. 4, 13, 2; 4, 14, 1; 4, 16, 1; 4, 16, 2. 89
„Andere kann man in den Kampf ziehen sehen, die Chatten in den Krieg.“ (Tac. Germ. 30)
„Alios ad proelium ire videas, Chattos ad bellum.“ 90
Tac. hist. 4, 12, 2. Tacitus äußert mehrfach, dass der Aufstand als innerer und äußerer Krieg zugleich
zu betrachten sei; vgl. Tac. hist. 1, 2, 1; 2, 69, 1; 4, 12, 1; 4, 22, 1. 91
Tac. hist. 4, 17, 1; 4, 28, 1. 92
Tac. hist. 1, 59, 1; dort auch Erwähnung der acht weiteren batavischen Kohorten, die sich dem
Aufstand anschließen; s. außerdem Tac. hist. 4, 13, 1 f. mit Hervorhebung des ruhmreichen Einsatzes der
Bataver in Britannien; Tac. hist. 4, 15, 1; 4, 20, 1.
26
Treulosigkeit93
, die ihren Abfall vom einstigen Bündnispartner Rom bewirkt und die
Revolte in Gang setzt. Die Beschreibung der Bataver und ihrer Verbündeten bewegt
sich damit in einem Spannungsfeld: Der Terminus Barbar ist für Bundesgenossen nicht
explizit überliefert, da offensichtlich der Moment des Übertritts in den Verband der mit
Rom verbündeten Völker mit einem Statuswechsel der jeweiligen Personen oder
Stämme verbunden war. Außer ihrer allgemeinen Nützlichkeit besitzen Bundesgenossen
keine übergreifenden (und von der Rhetorik festgelegten) Charakteristika wie Barbaren,
in der Regel werden von den römischen Autoren ausschließlich ihre spezifischen
Vorteile im Kampf erwähnt94
. Als Bundesgenossen besitzen sie Anspruch auf
römischen Schutz, sind ihrerseits aber zur Unterstützung und zur Treue gegenüber Rom
verpflichtet. Der Vorgang, der sich also beim Abfall der Bataver von Rom ereignet,
entspricht einer Art Rückfall in ihren ursprünglichen barbarischen Zustand, oder, wie
Timpe formuliert, einer „Wiederbelebung des barbarischen Substrats“95
.
Konsequenterweise nehmen die Bataver durch ihren Aufstand und trotz ihrer
Kenntnisse der römischen Kampftaktik erneut sämtliche Eigenschaften an, die den
Barbaren im Allgemeinen zugeschrieben werden, wie die bereits angeführte Stelle Tac.
hist. 4, 29, 1-3 verdeutlichen mag, in der eben jene Bataver, die sich in Britannien noch
erfolgreich in den römischen Heeresverband hatten integrieren lassen, nun jede
militärische Disziplin vermissen lassen.
Dass Barbaren treulos, Bundesgenossen hingegen per definitionem und per legem treu
sind, einstmals aber Barbaren waren und, wie der Fall des Bataver-Aufstands beweist,
mit sämtlichen negativen Eigenschaften wieder als solche agieren können, dieses
Paradoxons war sich offensichtlich bereits Tacitus bewusst; die Belagerung von Castra
Vetera durch Civilis und seine Anhänger mache, so der Autor, den Eindruck,
„[…] man habe es mit einem Krieg gegen Bürger und zugleich gegen äußere Feinde zu tun.“ (Tac.
hist. 4, 22, 2)96
„[…] mixta belli civilis externique facie.“
Was diese Überlegungen verdeutlichen sollen, ist die Tatsache, dass der entscheidende
Faktor für die Charakterisierung und Einordnung der Fremdvölker nicht ihre Herkunft
93
Vgl. auch Tac. hist. 4, 16, 2; 4, 33, 2; 4, 47, 4. 94
Für germanische Bundesgenossen werden in diesem Zusammenhang stets ihre Fähigkeiten als Reiter
und Schwimmer hervorgehoben; so auch im Falle der Bataver, s. Tac. hist. 4, 12, 3. 95
Timpe 1996, 46. 96
Vgl. außerdem o. Anm 90.
27
ist, sondern ihr Verhalten, im Falle der Bataver ihr feindliches Verhalten gegenüber
Rom. Die einst durch ihre Aufnahme ins römische Heer in den Reichsverband
eingegliederten Bundesgenossen geben ihren zivilisierten Habitus zugunsten der
Rebellion auf und fallen damit auf einen barbarischen Status zurück.
Doch beschreibt Tacitus auc