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Bild auf Buchdeckel: August von Pettenkofen, Zigeuner- · Adalbert Stifter Abdias Pest 1853 Auf der Grundlage der Ausgabe bei Projekt Gutenberg-DE überarbeitet von Jürgen Beschorner

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BildaufBuchdeckel:AugustvonPettenkofen,Zigeuner-kinder(1855)

TextübertragenauseinerVorlagederBayerischenStaats-bibliothek(MünchenerDigitalisierungszentrum)

AdalbertStifter

Abdias

Pest

1853

AufderGrundlagederAusgabebeiProjektGutenberg-DE

überarbeitet

von

JürgenBeschorner

Berlin

2014

1.

Esther

Es gibtMenschen, aufwelche eine solcheReiheUnge-machausheitermHimmelfällt,dasssieendlichdastehenund das hagelndeGewitter über sich ergehen lassen: sowieesauchanderegibt,diedasGlückmitsolchemaus-gesuchten Eigensinne heimsucht, dass es scheint, alskehrten sich in einemgegebenenFalle dieNaturgesetzeum,damitesnurzuihremHeileausschlage.

AufdiesemWegesinddieAltenzudemBegriffedesFatumsgekommen,wirzudemmilderendesSchicksals.

Aber es liegt auch wirklich etwas Schauderndes indergelassenenUnschuld,womitdieNaturgesetzewirken,dassunsist,alslangeeinunsichtbarerArmausderWol-ke,und tuevorunsernAugendasUnbegreifliche.Dennheute kommt mit derselben holden Miene Segen, und

morgen geschieht das Entsetzliche. Und ist beides aus,dannistinderNaturdieUnbefangenheit,wiefrüher.

Dort,zumBeispiele,wallteinStrominschönemSil-berspiegel,esfällteinKnabehinein,dasWasserkräuseltsich lieblichumseineLocken, erversinkt–undwiedernacheinemWeilchenwalltderSilberspiegel,wievorher.––DortreitetderBeduinezwischenderdunklenWolkeseinesHimmelsunddemgelbenSandeseinerWüste:daspringt ein leichterglänzenderFunke auf seinHaupt, erfühlt durch seine Nerven ein unbekanntes Rieseln, hörtnoch trunken den Wolkendonner in seine Ohren, unddannaufewignichtsmehr.

DieseswardenAltenFatum,furchtbarletzterstarrerGrund des Geschehenden, über den man nicht hinaussieht, und jenseits dessen auch nichts mehr ist, so dassihmselberdieGötterunterworfensind:unsistesSchick-sal,alsoeinvoneinerhöhernMachtGesendetes,daswirempfangensollen.DerStarkeunterwirft sichaucherge-ben,derSchwachestürmtmitKlagendarwider,undderGemeine staunt dumpf, wenn dasUngeheure geschieht,odererwirdwahnwitzigundbegehtFrevel.

Aber eigentlichmag esweder ein Fatum geben, alsletzteUnvernunftdesSeins,nochauchwirddasEinzelneaufunsgesendet;sonderneineheitreBlumenkettehängtdurchdieUnendlichkeitdesAllsundsendetihrenSchim-merindieHerzen–dieKettederUrsachenundWirkun-

gen–undindasHauptdesMenschenwarddieschönstedieserBlumengeworfen,dieVernunft,dasAugederSee-le, die Kette daran anzuknüpfen, und an ihr Blume umBlume,GliedumGliedhinabzuzählenbiszuletztzuje-nerHand, inderdasEnderuht.Undhabenwirdereins-tens recht gezählt, und können wir die Zählung über-schauen:dannwirdfürunskeinZufallmehrerscheinen,sondern Folgen, kein Unglück mehr, sondern nur Ver-schulden; denn die Lücken, die jetzt sind, erzeugen dasUnerwartete, und der Missbrauch das Unglückselige.WohlzähltnundasmenschlicheGeschlechtschonausei-nemJahrtausendeindasandere,abervondergroßenKet-tederBlumensindnurerst einzelneBlätteraufgedeckt,nochfließtdasGeschehenwieeinheiligesRätselanunsvorbei, nochziehtderSchmerz imMenschenherzenausundein––oberabernichtzuletztselbereineBlumeinjenerKetteist?Werkanndasergründen?Wenndannei-ner sagt,warumdenn dieKette so groß ist, dasswir inJahrtausendenersteinigeBlätteraufgedeckthaben,diedaduften, soantwortenwir:Sounermesslich istderVorratdarum,damiteinjedesderkommendenGeschlechteret-wasfindenkönne,–daskleineAufgefundneistschoneingroßer herrlicher Reichtum, und immer größer immerherrlicherwirdderReichtum, jemehrdakommen,wel-chelebenundenthüllen–undwasnocherstdieWogeal-lerZukunftbirgt,davonkönnenwirwohlkaumdasTau-sendstel des Tausendstels ahnen. – – Wir wollen nicht

weiter grübeln, wie es sei in diesen Dingen, sondernschlechthin von einem Manne erzählen, an dem sichmanchesdavondarstellte,undvondemesungewiss ist,ob sein Schicksal ein seltsameres Ding sei, oder seinHerz. Auf jeden Fall wird man durch Lebenswege wieder seinezurFrageangeregt:»warumnundieses?«undman wird in ein düsteres Grübeln hinein gelockt überVorsicht,SchicksalundletztenGrundallerDinge.

EsistderJudeAbdias,vondemicherzählenwill.Wervielleichtvonihmgehörthat,oderweretwagar

noch die neunzigjährige gebückteGestalt einst vor demweißenHäuschenhatsitzengesehen,sendeihmkeinbit-teresGefühlnach–wederFluch,nochSegen,erhatbei-desinseinemLebenreichlichgeerntet–sondernerhaltesich indiesenZeilennocheinmal seinBildvordieAu-gen.Undauchderjenige,dernieetwasvondiesemMan-negehörthat,folgeuns,wennesihmgefällt,biszuEnde,da wir seinWesen einfach aufzustellen versucht haben,und dann urteile er über den JudenAbdias,wie es ihmseinHerznurimmereingibt.

Tief indenWüsteninnerhalbdesAtlassesstehteinealte, aus der Geschichte verlorene Römerstadt. Sie istnachundnachzusammengefallen,hatseitJahrhundertenkeinenNamenmehr,wielangesieschonkeineBewohnerhat,weißmannichtmehr,derEuropäerzeichnetesiebisauf die neuesteZeit nicht auf seineKarten,weil er von

ihr nichts ahnte, und der Berber, wenn er auf seinemschnellenRossevorüberjagte,unddashängendeGemäu-erstehensah,dachteentwedergarnichtandasselbeundandessenZweck,odererfertigtedieUnheimlichkeitsei-nesGemütesmiteinpaarabergläubischenGedankenab,bis das letzteMauerstück aus seinemGesichte, und derletzte Ton der Schakale, die darin hausten, aus seinemOhreentschwundenwar.Dannritterfröhlichweiter,undesumgab ihnnichts, alsdaseinsame,bekannte, schöne,lieb gewordene Bild der Wüste. Dennoch lebten außerdenSchakalen,derganzenübrigenWeltunbekannt,auchnochandereBewohner indenRuinen.EswarenKinderjenes Geschlechtes, welches das ausschließendste derWelt,starrbloßaufeineneinzigstenPunktderselbenhin-weisend,dochinalleLänderderMenschenzerstreutist,undvondemgroßenMeeregleichsamaucheinigeTrop-fenindieseAbgelegenheithineinverspritzthatte.Düstre,schwarze, schmutzigeJudengingenwieSchatten indenTrümmernherum,gingendrinnenausundein,undwohn-tendrinnenmitdemSchakal,densiemanchmalfütterten.Eswusste niemand von ihnen, außer die anderenGlau-bensbrüder,diedraußenwohnten.SiehandeltenmitGoldundSilberundmitandernDingenvondemLandeÄgyp-tenherüber,auchmitverpestetenLappenundWollenzeu-gen,davonsiesichwohlselberzuweilendiePestbrach-ten und daran verschmachteten – aber der Sohn nahmdannmit Ergebung undGeduld den Stab seinesVaters,

undwanderteundtat,wiediesergetan,harrend,wasdasSchicksal über ihn verhängenmöge.Ward einmal einervoneinemKabilenerschlagen,undberaubt,soheultederganzeStamm,derindemwüstenweitenLandezerstreutwar – unddannwar es vorüber undvergessen, bismanetwa nach langer Zeit auch den Kabilen irgendwo er-schlagenfand.

SowardiesVolk,undvonihmstammteAbdiasher.Durch einen römischen Triumphbogen hindurch an

zweiStämmenverdorrterPalmenvorbeigelangtemanzueinemMauerklumpen, dessen Zweck nicht mehr zu er-kennenwar–jetztwaresdieWohnungArons,desVatersdes Abdias. Oben gingen Trümmer einerWasserleitungdarüber,unten lagenStücke,diemangarnichtmehrer-kannte,undmanmusstesieübersteigen,umzudemLo-cheinderMauerzugelangen,durchwelchesmanindieWohnungArons hinein konnte. Innerhalb des ausgebro-chenenLochesführtenStufenhinab,dieSimseeinerdo-rischenOrdnungwaren,undinunbekannterZeitausun-bekanntemzerstörendenZufallehierhergefundenhatten.SieführtenzueinerweitläufigenWohnunghinunter,wiemansieunterdemMauerklumpenunddemSchuttevonaußennichtvermutethätte.EswareineStubemitmehre-renjenerkleinenGemächerumgeben,wiesiedieRömergeliebthatten,aufdemBodenaberwarkeinEstrich,oderGetäfel, oder Pflaster, oderMosaik, sondern die nackte

Erde,andenWändenwarenkeineGemäldeoderVerzie-rungen,sonderndie römischenBacksteinesahenheraus,undüberallwarendievielenPäckeundBallenundKrä-mereienverbreitet,dassmansah,mitwelchenschlechtenundmannigfaltigenDingender JudeAronHandel trieb.VorzüglichaberwarenesKleiderundgerisseneLappen,dieherabhingen,unddiealleFarbenundalleAlterhat-ten, und den Staub fast aller Länder vonAfrika in sichtrugen.ZumSitzenundLehnenwarenHaufenalterStof-fe. Der Tisch und die andern Geräte waren Steine, diemanausderaltenStadtzusammengetragenhatte.Hintereinem herabhängenden Busche von gelben und grauenKaftanenwareinLochinderMauer,welchesvielkleinerwar, alsdas,welchesdieStellederTürvertrat, undausdem Finsternis heraus sah, wie aus einer Grube imSchutte. Man meinte nicht, dass man da hinein gehenkönne.Wennman sichabergleichwohlbückteundhin-durchkroch,undwennmandenkrummenGangzurückgelegt hatte, der da folgte, so kam man wieder in einZimmer,umdasmehrereanderewaren.AufdemFußbo-denlageinTeppichausPersienundindenandernwarenähnliche oder gleiche, an den Wänden und in Nischenwaren Polster, darüber Vorhänge, und daneben Tischevon feinem Steine und Schalen und ein Bad. Hier saßEsther,AronsWeib.IhrLeibruhteaufdemSeidengewe-be von Damaskus, und ihre Wange und ihre Schulternwurdengeschmeicheltvondemweichstenundglühends-

tenallerZeuge,demgewebtenMärchenausKaschemir,sowieesauchdieSultanainStambulhat.UmsiewareneinpaarZofen,dieschöneTücherumdieklugenschönenStirnenhatten,undPerlenaufdemBusentrugen.HierhertrugAronalleszusammen,wasgutunddenarmenSterb-lichen schmeichelnd und wohltätig erscheint. DerSchmuckwaraufdenTischenherumgelegtundaufdenWändenzerstreut.DasLichtsandtenvonobenherabmitMyrrhenverrankteFenster,diemanchmaldergelbeWüs-tensand verschüttete, – aberwenn esAbendwurde unddie Lampen brannten, dann glitzerte alles und funkelteundwarhellundstrahlenreich.DasgrößteKleinodAronsaußerdemWeibeEstherwarihrSohn,einKnabe,deraufdemTeppichespielte,einKnabemitschwarzenrollendenAugenkugeln und mit der ganzen morgenländischenSchönheitseinesStammesausgerüstet.DieserKnabewarAbdias,derJude,vondemicherzählenwollte,jetzteineweiche Blume, aus Esthers Busen hervorgeblüht. Aronwar der reichste in der alten Römerstadt. Dies wusstendieandern,dienochmitihmdawohnten,sehrgut,dasieoftGenossenseinerFreudenwaren,sowieervonihnenauchalleswusste:abernieisteinBeispielerhörtworden,dassesdervorüberjagendeBeduineerfuhr,oderderträ-ge Bei im Harem: sondern über der toten Stadt hingschweigenddasdüstereGeheimnis,alswürdenieeinan-dererToninihrgehört,alsdasWehendesWindes,dersiemitSandfüllte,oderderkurzeheißeSchreidesRaubtie-

res, wenn die glühende Mondesscheibe über ihr stand,undaufsieniederschien.DieJudenhandeltenunterdenStämmenherum,manließsieundfragtenichtvielumih-renWohnort–undwenneinerihrerandernMitbewohner,ein Schakal, hinaus kam, so ward er erschlagen und ineinenGraben geworfen.Auf seine zwei höchstenGüterhäufte Aron alles, wovon er meinte, dass es ihnen gutseinkönnte.–Undwennerdraußengewesenwar,wenner geschlagen und von Wohnort zu Wohnort gestoßenwordenwar,undwennernunheimkam,undgenoss,wasdiealtenKönigedesVolkes,vornehmlich jenerSalomo,als die Freude des Lebens hielten, so empfand er einerechtschauerlicheWollust.–Undwennihmauchzuwei-lenwar,alsgäbeesnochandereSeligkeiten,dieimHer-zensind,someinteer,esseieinSchmerz,denmanflie-henmüsse, und er floh ihn auch, nur dass er dachte, erwolledenKnabenAbdiaseinesTagesaufeinKamelset-zenundihnnachKahirazueinemArztebringen,dasserweisewürde,wieesdiealtenProphetenundFührersei-nesGeschlechtesgewesen.Aberauchausdemistwiedernichts geworden, weil es in Vergessenheit geraten war.DerKnabehattealsogarnichts,alsdasseroftobenaufdemSchuttestand,unddenweitenungeheurenHimmel,den er sah, für denMantelsaum Jehovas hielt, der eins-tenssogaraufderWeltgewesenwar,umsiezuerschaf-fen,undsicheinVolkzuwählen,mitdemeraß,undmitdem er umging zur Freude seinesHerzens.AberEsther

rief ihnwieder hinab, und legte ihm ein braunesKleid-chenan,danneingelbes,undwiedereinbraunes.Sieleg-te ihm auch einen Schmuck an, und ließ die SchönheitderPerleumseinedunklefeineHautdämmern,oderdasFeuer des Diamanten daneben funkeln – sie legte einBandum seineStirne, streichelte seineHaare, oder riebdie Gliedlein und das Angesicht mit weichen, feinen,wollenenLappen–öfterskleideten sie ihnalsMädchenan,oderdieMutter salbte seineAugenbraunen,dass sierecht feineschwarzeLinienüberdenglänzendenAugenwaren,undhieltihmdensilbernengefasstenSpiegelvor,dassersichsähe.–

Nachdem die Jahre, eines nach dem andern vergan-genwaren,führteihnderVaterAroneinesTageshinausindievordereStube, legte ihmeinenzerrissenenKaftanan,undsagte:»Sohn,Abdias,gehenunindieWelt,unddaderMenschaufderWeltnichtshat,alswasersicher-wirbt,undwaser sich in jedemAugenblickewiederer-werben kann, und da uns nichts sichermacht, als dieseFähigkeitdesErwerbens:sogehehinund lernees.HiergebeichdireinKamelundeineGoldmünze,undbisdunicht selber so viel erworben hast, davon ein einzelnerMenschseinLebenhinbringenkann,gebe ichdirnichtsmehr,undwenndueinuntauglicherMannwirst,sogebeich dir auch nachmeinemTode nichts.Wenn du es tunwillst,undnichtzuweitentferntbist,sokannstdumichunddeineMutter inZeitenbesuchen–undwenndu so

viel hast, davon einMensch leben kann, so komme zu-rück,ichgebedirdazu,dasseinzweiterundmehrerean-dere auch zu lebenvermögen, dukannst einWeibbrin-gen, und wir suchen euch in unserer Höhle noch einenRaumzumachen,darinnenzuwohnenundzugenießenwaseuchJehovasendet.Jetzt,SohnAbdias,seigesegnet,gehe hin und verrate nichts von demNeste, in dem duaufgeäzetwordenbist.«

SohatteArongesprochen,unddenSohnhinausge-führtzudenPalmen,wodasKamellag.Dannsegneteerihn, und tastete mit seinen Händen auf dem lockigenScheitelseinesHauptes.EstherlagdrinnenaufdemTep-piche,schluchzte,undschlugmitdenHändendenBoden.Abdias aber, da nun der Segen vorüberwar, setzte sichaufdasvorihmliegendeKamel,dassich,sobaldesseineLast spürte, aufrichtete, und den Jüngling in die Höhehob,undwiedieserdasFächelnderfremdenwieausderFernekommendenLuftempfand, sosahernocheinmaldenVateran,undrittdanngehorsamvondannen.

Vonnunan ertrugAbdiasdasPeitschendesRegensund Hagels in seinem Angesichte – er zog Land aus,Landein,überWässerundStröme,auseinerZeit indieandere–erkanntekeineSprache,und lernte siealle, erhattekeinGeld,underwarbsichdasselbe,umesinKlüf-ten,dieerwiederfand,zuverstecken,erhattekeineWis-senschaft,undkonntenichts,als,wenneraufseinemha-

gernKamelesaß,diefeurigenAugenindiegroßeunge-heure Leere um sich richten und sinnen, er lebte sehrdürftig,dasseroftnichtsandershatte,alseineHandvolltrocknerDatteln,unddochwarersoschön,wieeinerje-nerhimmlischenBotengewesenist,dieeinstenssooftinseinemVolke erschienen sind.Sohat aucheinmal jenerMohamed, wenn er Tage lang,Wochen lang allein warbloßmitseinemTiere indemweitenSande,dieGedan-ken gesonnen, die dann eine Flamme wurden und überdenErdkreisfegten.SonstwarAbdiaseinDing,dasderblödesteTürkemit demFuße stoßen zu dürfen glaubte,undstieß.Erwarhartundunerbittlich,woesseinenVor-teilgalt,erwarhämischgegendieMoslimsundChristen– undwenn er desNachts sichmitten in derKarawaneaufdengelbenSandstreckte,solegteerrechtsanftseinHaupt auf den Hals seines Kameles, und wenn er imSchlummerundTraumeseinSchnaufenhörte,sowaresihmgutundfreundlich,undwennesirgendwowundge-drückt wurde, versagte er sich das liebliche Wasser,wuschdamitdiekrankeStelle,undbestrichsiemitBal-sam.

Über die Stättewar er gewandelt, wo die alte Han-delsköniginKarthagogestandenwar,denNilhatteerge-sehen,überdenEuphratundTigriswarergegangen,ausdemGangeshatteergetrunken–erhattegedarbtundge-wuchert, zusammen gerafft und gehütet – er hatte seineElternnicht ein einzigesMalbesucht,weil er immer so

weitweggewesenwar––undnachdemfünfzehnJahrevergangenwaren,kamerwiederzumerstenMaleindieverscholleneRömerstadt.ErkaminderNacht,erkamzuFuße,weilmanihmseinKamelgeraubthatte,erwar inganz zerrissene Kleider gehüllt, und trug Stücke einesPferdeaasesinderHand,umdavondenSchakalenzuzu-werfen, dass er sie von seinem Leibe hielte. Auf dieseWeisegelangteerzudemrömischenTriumphbogenundzu den zwei alten Palmenstämmen, die noch immer dastanden,und inderNacht schwarzeLinien indenHim-mel zogen. Er pochte an die aus Rohr geflochtene Tür,die dreifach vor demMauerlochewar, das denEingangbildete,erriefundnannteseinenNamenunddenseinesVaters–undermusstelangewarten,bisihnjemandhörteunddenaltenJudenweckte.EsstandenalleindemHau-seauf,alssiehörten,wergekommensei,undAron,alserdurchdieTürmitihmzuerstgeredethatte,öffnetediesel-beundließ ihnein.AbdiasbatdenVater,dasser ihn indenKeller führe,undals erdortdieRohrtürhinter sichverschlossen hatte, zählte er ihm goldeneMünzen allerLänderauf,dieersicherworbenhatte,einegroßeSum-me, die man kaum erwarten konnte. Aron sah ihmschweigendzu,biserfertigwar,dannschoberdieGold-stücke auf dem Steine zusammen, und tat sie wiederhandvollweise in den ledernen Sack, in dem sieAbdiasgebrachthatte,undlegtedenSackseitwärtsineinLoch,das zwischenMarmorfriesenwar. – – Dann, als bräche

dieRindeplötzlichentzwei,oderalshätteermitderVa-terfreudewartenmüssen, bis erst dasGeschäft auswar,stürzte ergegendenSohn,umarmte ihn,drückte ihn ansich,heulte,segnete,murmelte,betasteteihn,undbenetz-teseinAngesichtmitTränen.

Abdiasaberging,dadiesvorüberwar,wiederindieVorstubehinauf,warfsichaufeinenHaufenMatten,dieda lagen, und ließ den Quell seiner Augen rinnen – errann somildeund süß; denn seinLeibwar ermüdet biszumTode.

DerVater aber ließ ihn von seinenLumpen entklei-den,manlegteseinenKörperineinlinderndesreinigen-desBad,riebdanndieGliedermitköstlichenundheilsa-men Salben, und kleidete ihn in ein Feierkleid. DannwurdeerindieinnerenZimmergebracht,woEstheraufdenPolsternsaßundgeduldigwartete,bis ihnderVaterhereinführenwürde.Siestandauf,daderAngekommeneunter demVorhangedesZimmershereinging– aber eswar nichtmehr der süßeweiche schöneKnabe, den sieeinst so geliebt hatte, und dessenWangen das so sanfteKissen für ihre Lippen gewesen waren; sondern er warsehrdunkelgeworden,dasAntlitzhärterundhöherunddieAugenvielfeuriger–:aberauchersahdieMutteran–siewarnichtmindereineanderegeworden,unddasun-heimlicheSpielderJahrezeigtesichinihremAngesich-te.Sienahmihn,daerbisanihreSeitevorwärtsgekom-

menwar,anihrHerz,zogihngegensichaufdieKissen,unddrückte ihrenMundaufseineWangen,seineStirne,seinenScheitel,aufseineAugenundaufseineOhren.

DeralteAronstandseitwärtsmitgebücktemHaupte,und die Zofen saßen in dem Gemache daneben hintergelbseidenenVorhängenundflüsterten.

Die andern aber, die noch zu dem Hause gehörten,gingendraußenaneinanderesGeschäft,dasihnenanbe-fohlenwordenwar.Obgleich dieNacht von ihrerMittebereits gegenMorgen neigte, und die bekannten BilderderSterne,dieamAbendevonÄgyptenherübergekom-menwaren,schonjenseitsderHäupterstandenundgegendieWüste hinab zogen, musste noch die Ankunft nachder Sitte gefeiert werden. Man schlachtete bei Kerzen-scheine ein Lamm, briet es in derKüche, und setzte esaufdenTisch.Siegingenallehinzu,aßenalledavon,undmangabauchdemGesindezuessen.HieraufbegabensiesichzurRuheundschlummertenlangebisandenandernTag,dadieWüstensonneschonaufdieTrümmernieder-schien,wieeingroßer runderDiamant,der täglichganzalleinamleerenHimmelfunkelte.

Von da an waren Freudenfeste durch drei Tage. EswurdendieNachbarnherbeigerufen,dasKamel,derEselundderHunddesHauseswarennichtvergessen,undfürdieTierederWüstewurdeeinTeilindieentferntenGe-gendenderTrümmerhinausgelegt;dennesreichtendie

Mauerstückeweit in der Ebene fort, undwas dieMen-schen von ihnen übergelassen hatten, dazu kamen dieTiere,umSchutzzusuchen.

AlsdieFestevorübergegangenwaren,undnocheineZeit verflossen war, nahm Abdias aufs Neue AbschiedvondenEltern;dennerreistenachBalbek,umdieschön-äugigeDeborahzuholen,dieerdortgesehen,dieersichgemerkt hatte, und die mit all den Ihrigen zu seinemStammegehörte.ErreistealsBettler,undkamnachzweiMonaten dort an. Zurück ging er als bewaffneter Türkemitten in einer großenKarawane, denn dasGut, das ermit sich führte, konnte er nicht in Klüften verstecken,und,konntees,wennesverlorenginge,nichtwiederer-werben.DamalswarinallenKarawansereisdieRedevonder Schönheit des reisendenMoslim und der noch grö-ßernseinerSklavin;–aberdieRede,wieeinglänzenderStromgegendieWüste,verlorsichallgemach,undnacheinerZeitdachtekeinermehrdaran,wodiebeidenhinge-kommen wären, und es redete keiner mehr davon. SieaberwareninderWohnungdesaltenArons,eswurdenindenGewölben unter demSchutteZimmer gerichtet, dieVorhängegezogen,unddiePolsterundTeppichefürDe-borahgelegt.

Aron teiltemit dem Sohne seinGut, wie er es ver-sprochenhatte, undAbdiasgingnun indieLänderhin-aus,umHandelzutreiben.

Wieer einst gehorsamgewesenwar, so trug er jetztausallenOrtenzusammen,wasnachseinerMeinungdenSinnenderElternwohltunkönnte,erdemütigtesichvorden eigensinnigen Grillen des Vaters und litt das ver-nunftloseScheltwortderMutter.–AlsAronaltundblödegeworden war, ging Abdias in schönen Kleidern, mitschimmerndenundgutbereitetenWaffen,undermachtemit seinenKaufgenossendraußenEinrichtungen,wie esdiegroßenHandelsleuteinEuropatun.DadieElternun-mündigeKindergewordenwaren,starbensieeinesnachdemandern,undAbdiasbegrubsieunterdenSteinen,dienebeneinemaltenRömerknaufelagen.

VonjetztanwareralleinindenGewölben,dieunterdem hochgetürmten Schutte neben dem TriumphbogenunddenzweiStämmenderverdorrtenPalmensind.

Nun reiste er immerweiterundweiter,Deborah saßmit ihrenMägden zuHauseundharrte seiner, erwurdedraußenbekannterunterdenLeuten,undzogdieschim-mernde Straße des Reichtums immer näher gegen dieWüste.

2.

Deborah.

AlsnachdemTodeAronsundEstherseinigeJahrever-gangen waren, bereitete es sich allgemach vor, dass esnun anderswerden sollte in demHause neben den Pal-men. Das Glück und der Reichtum häuften sich immermehr.Abdiaswareifrig inseinemWerke,dehntees im-merweiteraus,undtatdenTieren,denSklavenunddenNachbarn Gutes. Aber sie hassten ihn dafür. DasWeibseinesHerzens,welchesersichgewählthatte,überschüt-teteermitGüternderWelt,undbrachte ihr,obwohl sieunfruchtbar war, aus den Ländern die verschiedenstenDingenachHause.DaerabereinmalinOdessakrankge-wordenwar,unddieböseSeuchederPockengeerbthat-te,dieihnungestaltetundhässlichmachten,verabscheuteihnDeborah,alserheimkam,undwandtesichaufimmer

vonihmab;dennnurdieStimme,diesiegekannthatte,hatteernachHausegebracht,nichtaberdieGestalt,––undwennsieauchoftaufdengewohntenKlangplötzlichhin sah – so kehrte sie sich doch stets wieder um, undgingausdemHause;siehattenurleiblicheAugenemp-fangen um die Schönheit des Körpers zu sehen, nichtgeistige,diedesHerzens.Abdiashattedaseinstnichtge-wusst; denn als er sie inBalbeck erblickte, sah er auchnichts,als ihregroßeSchönheit,unddaerfortwar, trugernichtsmit,alsdieErinnerungdieserSchönheit.Darumwar fürDeborah jetzt alles dahin. – Er aber, da er sah,wie es geworden war, ging in seine einsame Kammer,und schrieb dort den Scheidebrief, damit er fertig sei,wenn sie ihn begehre, die nun von ihm gehen würde,nachdemsiesovieleJahrebei ihmgewesenwar.Alleinsiebegehrteihnnicht,sondernlebtefortnebenihm,warihm gehorsam, und blieb traurig, wenn die Sonne kam,undtraurig,wenndieSonneging.DieNachbarnaberbe-lachten seinAngesicht,undsagten,das seiderAussatz-engel Jehovas, der über ihn gekommen wäre, und ihmseinMerkmaleingeprägthabe.

ErsagtenichtsunddieZeitschleiftesohin.Erreistefort,wiefrüher,kamwiederheim,undreiste

wiederfort.DenReichtumsuchteeraufallenWegen,ertrotzteihnbaldinglühendemGeizezusammen,baldver-schwendeteerihn,undwennerdraußenunterdenMen-

schenwar, luderalleWollüsteauf seinenLeib.–Dannkam er nach Hause und saß an manchem NachmittagehinterdemhochgetürmtenSchutteseinesHauses,denergernebesuchte,nebenderzerrissenenAloe,undhieltseinbereitsgrauwerdendesHauptinbeidenHänden.Erdach-te,ersehnesichnachdemkaltenfeuchtenWeltteileEu-ropa, eswäregut,wennerwüsste,wasdortdieWeisenwissen,undwennerlebte,wiedortdieEdlenleben.––Dann heftete er die Augen auf den Sand, der vor ihmdorrte und glitzerte – und blickte seitwärts, wenn derSchattendertraurigenDeborahumdieEckeeinerMauer-trümmer ging, und sie ihn nicht fragte, was er sinne. –Aber eswaren nur flatterndeGedanken,wie einem, derauf demAtlaswandert, eineSchneeflocke vor demGe-sichtesinkt,dieernichthaschenkann.

WennAbdiasnur erstwiederhochaufdemKamelesaß,mitten in einem Trosse, befehlend und herrschend:dannwarereinandererundesfunkelteninLustdieNar-benlinien seines Angesichtes, die so unsäglich hässlichwaren, und daneben glänzten in Schönheit die früherenAugen,dieerbehaltenhatte,– jasiewurden insolchenZeitennochschöner,wennesumihnvonderWuchtderMenschen,Tiere undSachen schütterte –wenn sichdieGrößeundKühnheitderZügeentfaltete,undermitihnenziehenkonnte,gleichsamwieeinKönigderKarawanen;denn in der Fernewurde ihm zu Teil,wasman ihm zuHauseentzog:Hochachtung,Ansehen,Oberherrschaft.Er

sagtesichdiesesvorundübteesrechtoft,damiteressä-he–undjemehrerbefahlundforderte,umsomehrtatendie andern,was erwollte, alswäre es eben so, und alshätteereinRecht.Obwohlerfastahnte,dasseshierdasGoldsei,welches ihmdieseGewaltgebe,sohieltersiedochfestundergötztesichinihr.Daereinmaldenreich-gekleideten Herrn, Melek-Ben-Amar, den AbgesandtendesBei, den dieser zu ihm in die Stadt Bona geschickthatte, um ein Anleihen zu erzwingen, recht lange hattewarten,undrechtinständighattebittenlassen,biserihmwillfahrte,sowarerfastinseinemHerzengesättigt.Alser von da eine Reise durch Libyen machte, kostete erauchdasGlückderSchlachten.EswarenKaufleute,Pil-ger,Krieger,GesindelundLeuteallerArt,diesichzuei-nergroßenKarawanezusammengetanhatten,umdurchdie Wüste zu ziehen. Abdias war in seidenen KleidernundglänzendenWaffenunterihnen;dennseiterhässlichwar, liebteerdenGlanznochmehr.AmsiebentenTagedesZuges,daschwarzeFelsenumsiewaren,unddieKa-melemitdenFußsohlendieHügelweichenSandesgrif-fen,flogeineWolkeBeduinenheran.EhedieinderMit-te, wo das große Gepäcke war, fragen konnten, was essei, knallten schon amSaume derKarawane die langenRohre, und zeigten sich Sonnenblitze von Klingen. So-gleichwurdevondeneninderMitteeinGeschreiundeinJammern erhoben, viele wussten nicht, was zu tun sei,vielestiegenabundwarfensichaufdieKnieumzube-

ten.DaerhobsichderhagereJude,dergleichfallsinderMitte bei den großenWarenballen gerittenwar, auf sei-nem Tiere, und schrie Schlachtbefehle, die ihm einka-men. Er ritt gegen das Gefecht hinvor, und zog seinekrummeKlinge:dawarendieweißenGestaltenmitdeneingemummtenKöpfen, undmehrere derKarawanemitihnenimKampfe.Einerwandtesichsogleichgegenihn,mitderKlingeüberdenHalsdesKamelesnach seinemKopfeholend, aberAbdiaswusste indemAugenblicke,waszu tunsei:erducktesichseitwärtsandenHalsdesKameles, stieß sein Tier dicht an den Feind, und stachihn, dass einBlutbach über dasweißeGewand strömte,vondemSattel.Aufdienächsten feuerteer seinePisto-len. Dann rief er Befehle, die seine Nachbarn einsahenundbefolgten–undwiedieandernsahen,wieesgehe,wuchsihnenderMut,immermehrerekamenherbei,undwie nur erst der zweite und der dritte von den Feindenfiel, da flog einewildeLust heran, derTeufel desMor-densjauchzte,unddieganzeKarawanedrängtevor.Ab-diasselberwurdeemporgerissen,erhatteseinschwarzesAngesichthochgehoben,seineNarbenwarenFeuerflam-men, dieAugen in dem dunkelnAntlitzeweiße Sterne,derMundriefweittönendundinSchnelledietiefenAra-berlauteaus,undwieer,dieBrustgleichsaminSäbelblit-zetauchend,immertieferhineinritt,hatteerdendunklendürrenArm,vondemderweiteSeidenärmelzurückge-fallen war, von sich gestreckt, wie ein Feldherr, der da

ordnet. Im dünnen Schatten des Rauches, der sich baldverzogen,weilkeinermehrZeitzumLadenhatte,undindem Blitzen der fürchterlichen Wüstensonne, die obenstand, änderte sich nun schnell das Bild der Dinge: diefrüherangegriffenhatten,warenjetztdieBedrängtenundMitleidswürdigen.SiesahennachRettung.Einerdrücktezuerstdas langeGewehr sachtean seineGestalt,beugtesichvor,undschossinFluchtausdemKreise–einande-rerwarfdieWaffenweg,dieZügelaufdenNackenvor-wärts,undließseinHeildemedlenPferde,dasmitWin-desflugindieWüstetrieb–wiederandere,inVergessen-heitderFlucht,wurzeltenindemBodenundflehtenGna-de.Aberalleswarvergeblich.Abdias,derbefohlenhatte,konntenichtmehrlenken,dieFlutschwollüber,unddiefrühergebetethatten,tobtenjetzt,undstießendenen,dieaufdenKnienlagenundbaten,dasMesserindasHerz.––Abdias hielt, da endlich alles auswar, und die SiegerdieTotenundVerwundetenunddieSatteltaschenan ih-renTierenplünderten,aufseinemKamele,undwarfdenblutigenSäbelvonsichweg.EinTürke,derinderNähekauerte, missverstand die Bewegung, und sah sie füreinenBefehlan:erwischtedieKlingeanseinemeigenenKaftanab,undreichtesiedemtapfernEmirwieder.

AlsmannachdemGefechteweiterzog,undalleTagedaseinsameBildderWüstewar,dachteAbdias:wennernun denBei tötete,wenn er selber Beiwürde,wenn erSultanwürde,wennerdieganzeErdeeroberteundunter-

würfe–wasesdannwäre?–eswarenunbekannteDingeundstandenmitdüstermWinkeninderZukunft.––Al-lein erwurde nichtBei, sondern,wennwir uns so aus-drücken dürfen, auf jener ganzen Reise, die noch weitherumging, schwebte schonein traurigerdunklerEngelüber ihm.Manwarwieder indieblühendenLänderderMenschen gekommen, er hatte in vielen Richtungen zugehen,erschlosssichbaldandiese,baldanjeneKarawa-nean,undöfters–wieesnunMenschenmanchmalist–wennersoinderFernezog,fielihmplötzlichein:wennnurzuHausekeinUnglückgeschehenist–abererstraftediese Gedanken immer wieder selber, indem er sagte:»WaskanndennzuHausegeschehen?zuHauseistjagarkeinUnglückmöglich.«––UnderzoghieraufnochÖdeaus Öde ein, hatte Geschäfte abzutun und tat sie mitGlück, sahmancheGegendenundStädte, und eswarenmehrereMonatevergangen,bisernachalldenKreislini-en wieder einmal das Blau der Atlasberge schimmernsah,undhinter ihnenseineHeimatahnte.Erzog ihrzu.ErließseineschönenKleiderineinemDorfe,woineinerGrotte eineSynagogewar, und in einer schönenheiternSternennachtlösteersichvonderletztenKarawane,mitderergezogenwar,ab,undwandtesichseitwärtsgegendieEbene,überdiemanzudenBergen,undjenseitsder-selbenzuderaltenRömerstadtgelangenkonnte.

DaschwangsichderEngelvonseinemHaupte;denneswargeschehen,wasdasollte.DaAbdiasnämlichals

zerlumpterMannaufdemKamelereisendganzalleinimSanderitt,undsichbereitsdemZieleseinerWanderungnäherte, sah er eine schwache blaue Dunstschicht überderGeisterstadt stehen,gleichsameinenbrütendenWol-kenschleier,wiesieoftihrPhantomaufdieWüstewerfen–alleinerachtetenichtdarauf,daauchderandereHim-melsichmilchigzubeziehenanfing,unddieheißeSonnewieeinrotestrübesAugeobenstand,wasindiesenGe-genden immer das Herannahen der Regenzeit bedeutet.AberdaerendlichzudenwohlbekanntenTrümmernge-langte,und indiebewohntenTeilederselbeneinritt, saher,dassmandiezerstörteStadtnocheinmalzerstörthat-te;denndiewenigenelendenBalken,dieeinstvonwei-ten Landen herbei geschleppt und aufgerichtet wordenwaren, lagenherumgestreut,undrauchten–schmutzigeAschevonPalmenblättern, denDächernderHütten, lagzwischenschwarzenvonFeuergenässtenSteinen–errittschneller – und wie er zu dem Triumphbogen und denzweiverdorrtenPalmenstämmengekommenwar, so saher fremdeMänner,welcheDingeaus seinemHause tru-gen– ihreMaultierewarenschonsehrbepackt,undausdemSchlechten,wassie indenHändenhatten,erkannteer,dassesdasletztesei,wassietrugen.AndenPalmen-stämmenaberhieltMelek-Ben-AmarhochzuRosseundmehrereMännerwarenum ihn.AlsAbdias schnell seinTier zumNiederknien gezwungen hatte, abstieg, gleich-samwiezurettenherbeiliefunddenMenschenerkannte,

grinstediesermitdemAngesichteauf ihnherabund lä-chelte–Abdiasmitdemunbeschreiblichsteninbrünstigs-tenHohneundHassefletschteihmauchdieZähneentge-gen–abererhattejetztnichtZeit,sondernspranganihmvorbei indievordereStube,wodiealtenKleider lagen,um zu sehen – – aber hierwaren etlicheNachbarn, dieausSchadengierherbeigelaufenwaren,umsichzuwei-den––undwiediesejetztdenunvermutetherbeigekom-menen Abdias gewahr wurden, jubelten sie laut undschreiend,ergriffenihnsogleich,schlugenihn,spienihminsAngesichtundriefen:»Dabistdunun–dubistes,du,du!!––duhastdeineigenNestbeschmutzt,duhastdeineigenNest verraten und denGeiern gezeigt.Weil du inihren eitlen Kleidern gegangen bist, haben sie’s gearg-wöhnt,derGrimmdesHerrnhatdichgefundenundzer-malmt,undunsmitdir.Dumusstersetzen,wasgenom-menward,dumusstallesersetzen,dumussteszehnfachersetzen,undmehr.«

Abdias,gegensovieleHändeunmächtig,ließgewäh-ren,undsagtekeinWort.SiezerrtenihnwiedergegendieTür, und wollten neuerdings schreien und ihnmisshan-deln.DakamderAbgesandtedesBeimitmehrerenSol-datenherein und rief unter die Juden: »Lasst denKauf-mann fahren, sonstwird jeder von euch an einen Spießgesteckt,sowieerhiersteht.Wasgehteseuchan,dassereinHundist;dennihrseidesauch.–Wolltihrfahrenlas-sen,sag’ich?«

Daraufwichensiezurück.DieSöldnerMeleksdurch-suchtennunAbdiasKleider,undnahmenihmalles,wasihnengefiel–erlittessehrgeduldig–dannsagteMelekzuihm:»Duhastsehrübelgetan,Abdias-Ben-Aron,dassduindiesemVersteckedaHabeundAbgabenunterschla-genhast,wirkönntendichstrafen,aberwirtunesnicht.Lebewohl,edlerKaufmann,wenndueinmaldesWegesinunsereStadt bist, sobesucheuns,wirwerdendir diePfänderdeinerSchuldforderungzeigen,unddirdieZin-sen bezahlen. – Jetzt gebt ihn frei, dass er wieder an-schwelleundFrüchtetrage.«

UndmitLachenundmitSchreienließensievonihmab–erlittesauchsehrgeduldig,undhattesichnichtge-rührt, nurdass erbeidemHohnedieAugen scheu seit-wärts drehte, wie ein ohnmächtiger Tiger, der genecktwird. – – Aber wie sie draußen waren, aufstiegen, undüberdenHügelSandesdavonreitenwollten,sprangerei-nesSatzesnach,rissdiePistolenausdemHalfterseinesKameles,womansie,alsmandieanderenPacksäckeab-geschnitten,aufdemmagernverachtetenTierevergessenhatte,undfeuertebeideaufMelekab.Alleinerhatteihnnichtgetroffen.DakehrtenmehrereSoldatenum,schlu-genihnmitihrenSpießenüberdenRückenunddieLen-den,undließenihnfürtotliegen.DanngingderZugwie-der durch dieTrümmer fort gegen jeneSeite derEbenehinaus, diemit kurzem schlechten Grase bewachsen istund den nächstenWeg zu den bewohnten Ländern hat.

Abdias blieb auf demSand liegen und regte sich nicht.DamanaberkeineneinzigenLautvondemSchreienderFortreitenden mehr hören konnte, zog er sich von demBodenempor,undschütteltedieGlieder.ErgingwiederzudemKamele,dasnochaufdenKnien lag,nahmvonden tiefer gelegenenStellendes sehrgeflicktenHalfterszwei kleine Pistolen heraus, die dort verborgen waren,undbegabsichdamitinseineWohnung.Dortstandenso-wohlandenPalmen,alsauchinderStubenochmehrereseinesStammes,diezusammengelaufenwaren,undharr-ten,wasjetztzutunsei.ErgingsachtedurchdieTürhin-ein,drücktesichandieWand,undriefmitheisererStim-me: »Wer von euch nur noch einen Atemzug lang hierverweilet, jawer nurmit demFuße zuckt, alswollte erder letzte sein, der fort geht, den schieße ichmit dieserWaffenieder,undseinenNachbarnmitderandern–dannkanngeschehen,wasdawolle–gepriesenseiderHerr!«ErwarwährenddieserWortebis indieTiefederStubezurückgeschlichen, und hatte die Sterne des Sehens aufsie gerichtet. Sein hässlichAntlitz funkelte inmaßloserEntschlossenheit,dieAugenstrahlten,undeinigebehaup-teten,siehätteninjenemAugenblickeauchganzdeutlicheinenunnatürlichenScheinumseinHauptgesehen,vondemdieHaareeinzelnundgeradeemporgestandenwä-renwiefeineSpieße.Siezaudertennocheinwenig,undgingen dann einzeln zur Tür hinaus. Er schaute ihnennachundknattertemitdenZähnen,wieeineHyäneder

Berge. Als endlich der Letzte seinen Fuß über dieSchwellegezogenhatte,undunsichtbarwurde,murmelteer: »da gehen sie, sie gehen – warte, es wird eine Zeitkommen, Melek, dass ich mit dir auch noch rechne.«Draußenmochten sie überlegen:wenn er derMann sei,der sie insVerderben gebracht, so könne er ihnen auchwieder empor helfen, er muss ersetzen, sie wollen ihnsparenund inderZukunftzwingen.Erhörte ihreWorteherein und horchte mit den Ohren darauf hin. Aber siewurden immerweniger, undendlich ließ sichgarnichtsmehrvernehmen,einZeichen,dasssieallefortgegangenseinmochten.Abdias standnocheineWeileundatmetelange und tief.Dannwollte er nachDeborah sehen, dieihnjetztwiederdauerte.ErstecktediePistoleninseinenKaftan, stieg über denHaufenGewandes, das sonst vordem Eingange zu den innern Zimmern gehangen war,jetztaberaufderErdelag,griffsichdurchdenGang,inwelchemdieLampeherabgeworfenwordenwar,undtratindieGemächerhinein.DafieldasLichtdurchdieFens-teroben,diemitMyrtenumranktwaren,aufdenEstrichdes Bodens herab: allein es waren nun keine TeppicheundMattenmehr da, sondern die an allen Stellen nachSchätzen aufgewühlte Erde und die nackten Steine dertausendjährigenMauernsahenihnwieeineMördergrubean.ErfandwirklichDeborahindemgrößerenGemache,wosiesogewesenwar,und–siehe,wieseltsamdieWe-geundSchickungenderDingesind:siehatteihmgerade

indieserNachteinMägdleingeboren–ausSchreckderMutterwareszufrühgekommen,undsiehielt ihmnundasselbevondemHaufenlockererErde,aufdemsielag,entgegen.Er aber stand in demAugenblicke,wie einer,der von einem furchtbarenSchlagegeschütteltwird, da.NichtsalsdieeinzigenWortesagteer:»Sollichdennnunnichtnachreiten,unddasKindindieSpießederSolda-tenschleudern?!«

Nach einem kleinenWeilchen Harrens aber ging ernäher, hob es auf, und sah es an.Dannohne esweg zutun, begab er sich in das anstoßende Gemach, und sahlangeundscharfgegeneinenWinkelunddiedortgefüg-ten Steine, dann kam er heraus und sagte: »Ich habe esgedacht, ihr Toren, ich habe euch also genug heraußengelassen–oihrsiebenfachenToren!«

DannfieleraufdieKnieniederundbetete:»Jehova,Lob,PreisundEhrevonnunanbisinEwigkeit!«

Sodann ging er wieder zu Deborah, und legte dasKindzuihr.ErgriffmitdemFingerineinWasser,dasineinemNäpfchennichtweitvon ihrstand,undnetzte ihrdieLippen,weilkeineinzigerMensch,keineWehmutter,keinDienerundkeineMagdinderganzenWohnungwar.Undals erdiesgetanhatte, sahernochgenauer auf siehin, und streichelte, neben ihrem Haupte kauernd, ihrekranken, bereits alternden Züge – sie aber lächelte ihnseit fünfJahrenwiederzumerstenMalemitdemdüste-

rentraurigenAntlitzean,alsseidiealteLiebeneuzurückgekehrt – indes sah wieder der hässliche Kopf einesNachbars, der vielleicht dieGier amwenigsten zähmenkonnte,sogarbeidieserinnernhalbzerbrochenenTürher-ein,abererzogsichwiederzurück–Abdiasachtetenichtdarauf, es fiel ihm von denAugen herunter, wie dichteSchuppendecken, die darüber gelegen waren – es warihmmitteninderZerstörungnichtanders,alsseiihmdasgrößteGlückaufErdenwiderfahren–undwieernebenderMutter auf demnacktenBoden saß, undwie er denkleinenwimmerndenWurmmitdenHändenberührte,sowurdeihminseinemHerzen,alsfühleerdrinnenbereitsdenAnfangdesHeiles,dasniegekommenwar,undvondemerniegewussthatte,woeresdennsuchensollte–eswarnunda,undumUnendlichessüßerundlinderalsersichesjegedacht.DeborahhieltseineHand,unddrücktesieundliebkostesie–ersahsiezärtlichan–siesagtezuihm: »Abdias, du bist jetzt nicht mehr so hässlich, wiefrüher,sondernvielschöner.«

UndihmzittertedasHerzimLeibe.»Deborah,«sagteer,»es istkeinMenschda,derdir

etwasreichenkönnte,hastdunichtvielleichtHunger?«»Nein,Hungerhabeichnicht,«antwortetesie,»aber

Mattigkeit.«»Warte, ich will dir etwas bringen,« sagte er, »das

dich stärket, und ichwill dir auchNahrung reichen, die

dirvielleichtdochabgeht,undichwilldeinLagerbesserbereiten.«

Dann stand er auf, und musste sich erst ein wenigdehnen, ehe er fort gehen konnte; denn die SchmerzenwarenwährendderkurzenRuhe recht starkgekommen.Dann ging er hinaus und brachte von den schlechtenKleidern,diedraußen lagen,einenArmvollherein,undbereitetenebenihreinbesseresLager,aufdasersiehin-überhob,danndeckteernochseinvonseinemLeibewar-mesOberkleidaufsie,weilermeinte,esfrieresie;dennsiewarsobleich.SodanngingerzudemPlatze,wodieZündsachenlagen,diedientenumFeueranzufachen.Sielagenunberührtdort,weilsieschlechteDingewaren.Erzündete ein Kerzlein an, tat es in die Hornlaterne, undstiegdraußenübereineTreppeunterdieErdehinab,woderWeinzuliegenpflegte.Erwaraberallerherausgelas-senundverschüttet.AuseinerkleinenLake,dieaufderErde stehen geblieben war, brachte er ein wenig in einGefäß.DannholteerWasserausderZisterne.Denndasin demNäpfchenwar schon sehrwarmund auch etwasstinkendgeworden,undmitdemGemischevonWeinundfrischemWasser benetzte er ihre Lippen und sagte, siesollemitderZungedasNassnurwegnehmenundhinun-terschlucken,eswürdeihrfürdenAugenblickschonhel-fen.Alssiediesgetan,undmehrereMalewiederholthat-te,stellteerdieGefäßemitWeinundWasserwiederhin,und sagte, er wolle ihr nun auch Nahrung bereiten. Er

suchte aus seinen herumgestreuten Reisesachen eineBüchsehervor,indererstetsdenverdichtetenStoffeinergutenBrühemit sich führte.Dannginger indieKüchehinaus,umetwanacheinemBlechgefäßezuschauen,dasihmdienenkönnte.Undalsereinsolchesgefundenhatte,kamerwiederherein,tatWasserunddenStoffindassel-be, zündete eineWeingeistflamme an, und stellte es aufeinemGestelledarüber.ErbliebbeidemGefäßestehen,umzumerken,wiesichdasGanzeauflösenwürde.De-borah musste jetzt viel wohler und ruhiger sein; dennwennerhinblickte,saher,dasssieüberdieAugen,mitwelchensie ihmzuschaute,öfterdieLiederherabfallenließ, als wollte sie schlummern. In dem ganzen Hausewaressehrstille,weilalleZofenundDienerfortgelau-fenwaren.AlssichseinBrühstoff indemwarmenWas-ser vollends aufgelöst hatte, nahm er das Gefäßwiederweg,umalleseinwenigabkühlenzulassen.Erknietene-benihremAngesichteniederundsaßnachArtderMor-genländeraufseineFüße.

»Deborah,bistduschläfrig?«sagteer.»Jasehrschläfrig,«antwortetesie.ErhieltdasGefäßnocheinwenigzwischendenHän-

den, undda esgehörig laugewordenwar, reichte er ihrdenTrank,undsagte,siesolleschlürfen.Sieschlürfte.Esmussteihrauchwohlgetanhaben,dennsiesahnochein-mal mit den schlaftrunkenen Augen gegen sein Ange-

sicht,wieersonebenihrsaß,empor,undentschlummer-tedannwirklichsanftundsüß.ErbliebnocheineWeilesitzenundschautehin.DasKindleinmitdenweitenÄr-meln des Kaftans zugedeckt, schlummerte gut. DannstanderaufundstelltedasGefäßbeiSeite.

DieZeitdiesesSchlafeswollteerbenützen,umzuse-hen,wasdennnoch inderWohnung liegenkönne,dassmaneszueinerEinrichtunggebrauche,dieindererstenZeitforthelfe–auchwollteer,wennesanginge,draußenkurzumsehen,oberkeinesseinerDieneroderDienerin-nenerblickenkönne,dass sieeineWeilewachten, indeserfortgehe,undumNahrungwenigstensfürdienächstenAugenblickesorge.ErgingdurchdieZimmer,kamwie-derherauszuDeborah,undwieerherumsuchte,undim-meraufdasSchlossderTürhinsah,wieeresdennma-chensolle,dasserschließenkönne,wennerfortgehe–denn alles hing halb zerrissen und zerbrochen herab –krochseinabessinischerSklaveUramherbei.ErzogsichanderErdefort,undrichtetedieAugenfestaufAbdias,weil er eine furchtbare Züchtigung erwartete, da er, alsdie Plünderer kamen,mit den andern fort gelaufenwar.AberAbdias hatte ihm eher Lohn als Strafe zugedacht,indemerdererstewar,derwiedergekommen.

»Uram,«sagteer,»wosinddenndieandern?«»Ichweißesnicht,«antwortetederSklave,indemer

imNäherkriecheninnehielt.

»Seidihrdennnichtmiteinanderfortgelaufen?«»Ja,abereshabensichallezerstreut.Undwieichge-

hörthabe,dassduzurückgekehrtbist,binichwiederge-kommen, und habe gemeint, die andern werden auchschondasein,weilduunsschützenwirst.«

»Nein, sie sindnichtda,«sagteAbdias,»keineinzi-geristda.––KnabeUram,«fuhrerdannsehrsanftfort,»kommenäherundhöre,wasichdirsagenwerde.«

Der Jüngling sprang empor, und starrte Abdias an.Dieserabersprach:»Ichwerdedireinensehrschönenro-tenBundgebenmit einemweißenReigerbuschedarauf,ichwerdedichzumAufseherüberalleanderenmachen,wenndugenauausführest,wasichdirsage.Dumusst,solangeichfortbin–dennichwerdeeinwenigweggehen–deinekrankeHerrinunddiesesKindbewachen.SetzedichhierheraufdiesenErdhaufen–so–hierhastdueinGewehr,esisteinePistole–somusstdusiehalten––«

»Dasweißichschon,«sagtederKnabe.»Gut,« fuhr Abdias fort, »wenn nun einer herein

kommt,unddieschlummerndeFrauunddasKindanrüh-renwill,sosagihm,ersollegehen,sonstwirstduihntö-ten.Gehternicht,sohaltedieÖffnunggegenihn,drückeander eisernenZungeund schieße ihn tot.Verstehst dualles?«

Uram nickte und setzte sich in der verlangten Stel-lungaufdenBoden.

AbdiassahihnnocheinWeilchenan,undgingdanndenGriffderandernPistolemitseinerHandimKaftanehaltend durch denGang in die äußere Stube hinaus. Eslagallessoherumgestreut,wieeresverlassenhatte,undkeinMenschwar in derweitläufigenHöhle.Da er sichüberallumgesehenhatte,beschlosservollendshinauszugehen.ErmusstesichwegendervielenSchmerzenindenLenden noch einmal dehnen, und stieg dann über dieSchwelle der Tür zu den Palmen hinaus. Es war hierwirklichganzöde,wieer esvorausgedachthatte;denndie Nachbarn mochten in ihre entfernten Behausungen,oder wohin es ihnen sonst gefallen hat, gegangen sein.Als er zu demSandhaufen kam,wo ermit den Lanzengeschlagenwordenwar,wardasKamelnichtmehrda–siehattenessamtdenLumpenalsErsatzmitgenommen.ErbogumdenTriumphbogenundabgelegeneTrümmerherum,undalseraufdenhohenSchutthaufen,derüberseinemHauselag,gekommenwar,stiegeraufdennochhöheren hinan, der sich hinter demselben befand, woSand und weitgedehnte Blöcke lagen, und eine großeUmsicht auf alle Dinge und auf das Dämmerrund derWüste sich eröffnete. Dort hob er einen Stein auf, undzog einen goldenenRing unter demselben hervor.Dannstand er, und sah ein wenig herum. Die Sonne, welchefrüher ein trüber roterGlutpunkt gewesenwar,war nun

garnichtmehrsichtbar,sonderneinverschleiertergrauerheißerHimmelstandüberderGegend.Wirwürdeninun-sernLänderneinesolcheLuftsehrheißnennen,aberdortwarsieimVergleichemitTagen,wodieSonneunausge-setztniederscheint,bedeutendkühlergeworden.Abdiasatmete siewie eineLabung,und strich sichmitder fla-chenHand ein paarMal über dieSeiten seinesKörpersherab.ErschautedurchdasschweigendeGetrümmer,dasunterihmlag,undstiegdannhinab.Alserbeiderzerris-senenAloewar,begannenkleineTropfenzu fallen,undwas in diesem Erdstriche eine Seltenheit ist, ein grauersanfter Landregen hing nach und nach über der ganzenruhigenEbene;dennauchdasistselten,dassdieRegen-zeitsostille,undohnedenheftigenStürmenherannaht.

Abdias stieg auf der entgegengesetzten Seite, als erheraufgegangenwar,hinab,wandertedurchallerleiwohl-bekannteIrrgängeundWindungenderTrümmerundhat-teziemlichweitzugehen,biserdasZiel,wohinerwoll-te, erreichte, nämlich die Wohnung des vorzüglichstenseinerNachbarn,woerglaubte,dasseraucheinigeande-re antreffenwürde.Wirklichwarenmehrere da, und alssichdasGerüchtverbreitete,erseiüberdieSchwelledesGaalhineingegangen,kamennochimmermehrereherbei.

Er sagte zu ihnen: »Wenn ich durch die schönerenKleider,dieichtrug,unddurchdengrößerenHandel,denichtrieb,unsernAufenthaltverraten,diePlündererherge-

lockt,undeuchSchadenverursachthabe,sowillichauchdenselbenersetzen,sogutichkann.Ihrwerdetnichtallesverlorenhaben;dennihrseidweise,undhabtKleinodiengeborgen. Bringet ein Papier oder Pergament und Tinteherbei.IchhabemancheSchuldforderungendraußenaus-stehen, diemirmeineFreundebezahlenmüssen, sobalddieZeitumist.Ichwerdesieeuchhieraufschreiben,undwerdedieErlaubnisdazuschreiben,dassihrdasGeldalseuerEigentumeinnehmendürfet.«

»Werweiß,obeswahr ist,dasser etwaszu fordernhat,«sagteeinerderAnwesenden.

»Wenn es nicht wahr ist,« antwortete Abdias, »sohabtihrmichimmerhier,undkönntmichsteinigen,odersonstmitmirtun,waseuchgefällt.«

»Dasistrichtig,lasstihnnurschreiben,«riefenande-re,währenddasherbeigebrachtePergamentunddieTintehingeschobenwurden.

»EristsoweisewieSalomo,«sagtendiejenigen,wel-cheihnheuteammeistenverschimpftundverspottethat-ten.

UndalseraufdemPergamenteeinelangeReiheauf-geschrieben, sie ihnen dargereicht, und sie alle gesagthatten,dasssieeinstweilenzufriedenseinwollen,bisersicherholthabeundauchdasandereersetzenkann,zoger den Ring aus seinemKaftan hervor, und sagte: »Du

hasteineMilcheselin,Gaal,wenndumirdieselbeablas-senwillst,sobinichgeneigt,dirdiesenRingdafürzuge-ben,dereinengroßenWerthat.«

»DenRingbistdualsErsatzschuldig,wirwerdenihndirnehmen,«riefensogleichmehrere.

»Wenn ihrmir denRing nehmt,« antwortete er, »sowerde ich denMund zuschließen, und euch in Zukunftniemals mehr sagen, wo ich Geld habe, wer mir etwasschuldigist,woichimHandeletwaserworbenhabe,undihrwerdetniemehretwasvonmirbekommen,daseucheurenSchadenvermindernkönnte.«

»Dasistwahr,«sagteeiner,»lasstihmdenRing,und,Gaal,gibihmdieEselindafür.«

DenRinghatten sie unterdessen angeschaut, unddasieerkannthatten,dasservielkostbarersei,alsderPreisder Eselin beträgt, sagte Gaal, er werde ihm die Eselingeben,wennerzudemRingenocheinStückGeldhinzulegenkönne.

»Ichkannnichtsmehrhinzulegen,«antworteteAbdi-as, »denn siehabenmir allesgenommen,wie ihr selbergesehenhabt.GibmirdenRing,ichwerdeohnedieEse-linfortgehen.«

»LassedenRing,«sagteGaal,»ichwerdedirdieEse-linsenden.«

»Nein,« antwortete Abdias, »du darfst siemir nichtsenden, sondern du musst mir einen Riemen geben, anwelchemichsiefortführenwerde.OdergibdenRing.«

»IchwerdedenRiemenunddieEselingeben,«sagteGaal.

»Sogleich,«sagteAbdias.»Sogleich,« antworteteGaal. »Gehhinaus, Jephrem,

undführesieausderGrubeherauf,inwelchersiesteht.«Während der Diener ging, um die Eselin zu holen,

fragteAbdiasdieLeute,obsiekeinenseinerDieneroderkeine der Zofen seinesWeibes gesehen haben; »denn,«sagteer,»siesindallefortgegangen.«

»SindalledeineDienerfort?«fragteman,»nein,wirhabensienichtgesehen.«

»Istvielleichteinesdavonbeidir,Gad,oderbeidir,Simon,oderbeieinemandern?«

»Nein,nein,wirsindselberallefortgelaufen,undha-bennichtsvonihnengesehen.«

IndessenwarJephremmitderEselingekommen,Ab-dias trat aus derSchwelle derHöhleGaals heraus,mangabihmdenRiemenindieHand,underführtedieEselinüber den Schutt davon. Aus den Fenstern steckten sichdieKöpfe,undschautenihmnach.

ErgingdurchdieWegederTrümmer,undgedachteeineStelle aufzusuchen, die abgelegenwar, die er rechtwohlkannte,unddieöfteralsZufluchtsortgedienthatte,oberdennnichteinsoderdasandereseinerDienerdortfindenkönnte,wohinsiesichvielleichtgeflüchtethabenmöchten. Der Regen hatte unterdessen überhandgenom-men, undwar zwar fein geblieben, aber ganz allgemeingeworden. Er ging durch den Brei des Sandes, oder anden Schlinggewächsen vorbei, die aus verschiedenenSpaltenhervorkamen,unddieliegendenBaustückeüber-wuchsen, er ging neben nickenden Aloeblüten und antriefendenMyrtenvorüber.KeinMenschbegegnete ihmaufdemWegeundeswarkeinMenschringsumzusehen.AlserandieStellekam,dieersichgedachthatte,gingerdurchdieniedrige,flachePforte,diebisaufihreMitteimSandestand,hinein,undzogdieEselinhintersichher.ErgingdurchalleRäumedesverstecktenGewölbes;abererfandesganzleer.Danngingerwiederheraus,undstiegnochaufeinMauerstück,umsichumzusehen,oberviel-leichteineserblickenkönnte–abereswarnichtszuse-hen,alsüberalldasselbeBilduralterTrümmer,überwel-cheallseitigundemsigdasfeinehiersokostbareWasserrieselte,dasssiewieineinemdüsterenFirnisseglänzten;er sah keinen einzigen Menschen darin, auch hörte ernichts,alsdassanfteRieselnderrinnendenGewässer.Erwollte seine Stimme nicht erheben, um zu rufen; dennwollte ihm eins eine Antwort geben, das ihn höre, so

konnte es ja auch denWeg in seine Behausung finden,unddortseineAnordnungenerwarten.SiewerdengewissbeieinemderLeuteverstecktsein,dersienichtverratenwill.Erdachtesich,siemögenihnnunfüreinenBettlerhaltenundihnfliehen–undererkanntediesBenehmenalsnatürlich.ErstiegwiedervondemMauerstückeher-ab,nahmdenRiemenderEselin,denerunterdessenumeinenKnauf gewunden hatte, und trat denWeg zu demTriumphbogenan.Obwohler,daerdasOberkleidabge-legthatte,umesaufDeborahzubreiten,ganzdurchnässtwar, so achtete er nicht darauf, und zog das Tier hintersichher.AlserzuHauseangekommenwar,gingerdurchdieTürindieVorderstube,führtedieEselinmitundbandsiedortan.ErhatteinderStubeniemandengefunden.ImHineingehen durch den schmalenGang dachte er,wenndrinnenauchnochniemandsei,sowerdeerselberDebo-rahsDiener sein, und siepflegen, soweit er es in seinerjetzigenLagekönne.

AbersiehatteeinerPflegenichtmehrNot;denndaeraußerHausewar, hatte sie nicht geschlummert, sondernsiewargestorben.DasunerfahreneWeibhattesich,wieein hilfloses Tier verblutet. Sie wusste es selber nicht,dasssiesterbe,sonderndaihrAbdiasdiestärkendeBrü-hegegebenhatte,tatsie,wieeines,dasrechtermüdetistund sanft einschläft. Sie schlief auch ein, nur dass sienichtmehrerwachte.

AlsAbdiaseintrat,wardasGemachnochimmerein-sam, es war auch hierher noch niemand zurückgekehrt.Uram,wie einBild aus dunklemErze gegossen, saß anDeborahsLagerundwachtenochimmer,AugenundPis-tolengegendieTürgerichtet; sie aber lag,wie einBildvonWachs,bleichundschönundstarrhinterihm–unddasKind lagan ihrerSeite, schlummerte süß,und regteimTraumediekleinenLippen,alssaugees.––AbdiastateinenfurchtsamenBlickhinundschlichnäher;–miteins wurde ihm die Gefahr klar, und er dachte an das,worauf er früher vergessen hatte – er stieß aus Überra-schungeinenschwachenSchreiaus–dannabernahmerdasOberkleid, das er früher auf sie gebreitet hatte, undandereLappen,dieda lagen,weg,umzu sehen: eswardeutlich,aufwasernichtgeachtet,undwassiegarnichtgewussthatte.ErzupfteauseinemKleideeineFaserher-aus,dieso feinund leichterwar,alseseineFlaumfederseinkonnte,undhieltsievorihrenMund:–abersierühr-tesichnicht.ErlegtedieHandaufihrHerz;erfühlteesnicht.ErgriffihrenacktenArmean:siebegannenschonkühlerzuwerden.ErhattebeiKarawaneninWüstenundim Hospitale Menschen sterben gesehen, und erkanntedasAngesicht.Erstandauf,undgingindennassenKlei-dern,dieanseinemKörperklebten, inderStubeherum.DerKnabeUrambliebingleicherStellungaufdemBo-den sitzen, und ließ dieAugen denBewegungen seinesHerrn folgen. Dieser ging endlich in die Zimmer dane-

ben,warfdienassenKleidervonseinemLeibeaufeinenHaufen,undsuchtesichausdenDingen,dieherumwa-ren,einenAnzugzusammen.DanngingerindieVorder-stube hinaus, nahm von der Eselin etwasMilch in eineSchale, trug die Milch herein, wickelte einen kleinenLappenzusammen,tatihnindieMilch,dassersichans-auge, und brachte ihn dann an den Mund des Kindes.Diesessaugtedaran,wieesamBuseneinerMuttergetanhätte.AlsesdieLippenimmerschwächerregte,aufhörte,undwiederfortschlief, legteereswegvonderSeitederMutterineinBettlein,daserausKleidernineineMauer-nischegemachthatte.DannsetzteersichaufeineBanknieder, welche von Steinen gebildet wurde, die zufälligausderMauereckehervorstanden.Wieersaß,flossenausseinenAugenTränen,wie geschmolzenesErz.Es standnämlichDeborahvorihm,wieersiezuerstinBalbekge-sehenhatte,daerzufälliganihremHausevorüberging,unddasGolddesAbendsnichtnurumdieZinnenihresHauses,sondernauchumdieallerübrigenfloss.Vonei-nemweißenMauerstückeflogeinParadiesvogelauf,undtauchteseinGefieder indiegelbeGlut.Wieer siedannabgeholthatte,wiesievondenIhrigenüberdieTerrasseherabgeleitet,gesegnetwordenwar,undwieersiedannvonallenAngehörigenweggenommen,undaufseinKa-melgehobenhatte.– Jetztwird siebei ihremverstorbe-nenVatersein,und ihmerzählen,wieesbeiAbdiasge-wesenist.

Erblieb immerfortaufdenSteinensitzen,aufdieersichniedergelassenhatte.EswarindemstillenGemacheniemandbeiihmalsUram,derihmzuschaute.

Da endlich dieserTag zurNeige ging und es in derHöhle allgemach so dunkel geworden war, dass mankaummehr etwas sehenkonnte, stand er auf und sagte:»Uram, lieberKnabe, lege dieseWaffeweg, es ist hierniemandzubewachen,sondernzündedieHornlaternean,gehe zu den Nachbarinnen und Klageweibern, sage ih-nen, dass deineHerrin gestorben ist, und dass sie kom-mensollen,umsiezuwaschen,undmitandernKleidernanzukleiden.Sageihnen,dass ichnochzweiGoldstückehabe,dieichihnengebenwerde.«

Der Knabe legte die Pistole auf die lockere Erde,stand auf, suchte die Zündsachen auf dem ihmwohlbe-kanntenPlatze,zündetedieLaternean,dieAbdias,alseraus dem Keller gekommen war, hingestellt hatte, undginghinaus.DerLichtstreifendermitgenommenenLater-nezogsichdurchdenGangdavon,undeswarhierinnenjetzt finsterer, als es früher gewesen ist, weil das LichtdenGegensatzerzeugthatte.Abdiaszündete sichnichtsan, sondern suchte nach derWange desWeibes, knietenieder,undküsstesiezumAbschiede.Abersiewarjetztschon kalt. Dann ging er zu dem Zündplatze, wo einStück einer Wachskerze lag, fachte dieselbe an, undleuchtetegegendasWeib.DasAngesichtwardasNämli-

che,mit demsie ihn angesehenhatte, als er ihrLabunggereicht, und mit dem sie dann eingeschlafen war. Ermeinte,wennernurgenauerhinschaute,somussteerse-hen,wieessichregte,unddieBrustsichimAtmenhebe.Aberesatmetenichts,unddasStarrender totenGliederdauerte fort. Auch das Kind regte sich nicht, als sei esgleichfallsgestorben.Ergingzudemselbenhin,umdar-nachzusehen.AbereslagimtiefenSchlafeundsehrvie-le kleine Tröpflein standen auf der Stirne desselben. Erhatte es nämlich ausÜbervorsicht zu starkmit Tüchernbedeckt.Dahernahmeretwasdavonweg,umdieHülleleichterzumachen.Währenderdiesestat,fielseinlangerSchattenvonseinemRückenwegüberdieLeichedesto-ten Weibes. Vielleicht schaute er auf das kleine Ange-sichtchen, ob er in demselben nicht Spuren von ZügenderVerstorbenenentdeckenkönnte.Abererentdecktesienicht,denndasKindwarnochzuklein.

Der Sklave Uram kehrte sehr lange nicht zurück,gleichsam als fürchtete er sich und wolle nicht mehrkommen, aber da schon das Stück Wachskerze fast zuEndegebranntwar,undAbdiasbereitseinanderesange-zündethatte,näherte sichderTüreinverworrenesMur-melnundRufen,undUramtratanderSpitzeeinesMen-schenhaufensindasZimmer.ErbestandgrößtenteilsausWeibern.Einigedavonwarengekommen,umzuklagenundzujammern,wieesihrGeschäftwar,andere,sichandemUnglückezuerregen;undwiederandere,umesan-

zuschauen. Unter den Angekommenen war auchMirta,dieLeibdienerinDeborahs,diesieimmerammeistenge-liebthatte,unddersievollendsalleihreNeigungzuwen-dete,dasiedieselbeihremManneabgewendethatte.SiewarebenfallsausFurchtdavongerannt,wiedieandern,als die Plünderer hereingebrochenwaren, undwar dannausHassgegenAbdiasnichtmehrzurückgekehrt.Alssieaber amAbendegehörthatte,dass ihreHerrineinKindgeborenhabe,unddanngestorbensei,schlosssiesichanden Menschenhaufen an, den man neben einer Laterneauf den regendurchweichten Wegen durch die dichtenTrümmergegendieBehausungdesAbdiashingehensah.Siewollte sehen, obbeideDingewahr seien.Als sie indemGemacheangekommenwar,unddenGebieterihrerHerrin stehen sah, drang sie schreiendundweinend ausdemHaufenhervor,warfsichvorihmnieder,umschlangseine Füße und verlangte Bestrafung von ihm. Er abersagtenichts,alsdieWorte:»Steheauf,undachtenuraufDeborahsKind,undbeschützees,dadasselbedort liegtundgarniemandenzurPflegehat.«

Als sie sich auch von der Leiche der Herrin aufge-richtet,undsicheinwenigberuhigthatte,nahmersieanderHandundführtesiezudemKindehin.Sie,dieAu-genimmeraufihngerichtet,setztesichnebendemselbennieder, um es zu beschützen, und sie deckte seinAnge-sichtmit einemTuche zu, damit es keine bezauberndenAugenanschauenkönnten.

DieandernLeute,dieherbeigekommenwaren,riefendurcheinander:»AchderJammer,–achdasElend–achdasUnglück!«

Abdiasaberschrieihnenzu:»Lasstsieruhen,diesienichts angeht; – ihr aber, derenBeschäftigungdieseSa-che ist,klagetumsie,badet sie, salbet sie,undgebt ihrihrenSchmuck. –Aber sie hat keinenSchmuckmehr –nehmtnur vondem,wasdaherum liegt dasBeste, undkleidetsiean,wiesiebegrabenwerdensoll.«

Diejenigen,die sichüber siegebeugthatten,undsiean allen Stellen betasten wollten, gingen auseinander –aber die andern legten Hand an sie, um ihre Pflicht zutun,derentwillensiehergekommenwaren.AbdiassetztesichindemSchattennieder,denderMenschenknäuelindiehintereEckewarf;dennmanhattezweialteLampenangezündet, um zuAllem besser sehen zu können,wasmanzutunhatte.

»DasisteinverstockterMann,«murmelteneinigeun-tereinander.

DieTotenweiberhattenindessendieoberflächlichstenKleider von der Leiche getan, hoben sie dann auf, undtrugensieindasGemachnebenan,umsievollendsent-kleidenzukönnen.DannholtensieWasserausdenvondem heutigen Regen angefüllten Zisternen, machten inderKücheFeuer,umeszuwärmen,tatenesdannineineWanne, und badeten und wuschen mit demselben den

Leichnam,dernochnichtstarrwar,undnamentlichinderWärmedesWassersdieGliederaufgelöstherniederhän-genließ.Alserreinwar,legtensieihnaufeinTuch,undsalbtenihnüberallmitSalben,diesiezudiesemZweckemit sichherbeigebrachthatten.Dann rissensieausdenoffenenSchreinenundlasenvondemBodenauf,wasdagebliebenwar, und kleideten die Leiche vollständig an.Was nach diesemGeschäfte vonHüllen noch übrig ge-bliebenwar, packten sie zusammen und trugen es nachHause.

DieLeichewarwiederindasGemach,indemsiefrü-hergewesenwar,herausgetragen,undaufdieErdeniedergelegtworden.Deborahlagnunda,angekleidetwiedasWeibeinesarmenMannes.EsbildetensichGruppen,umin der Nacht zu wachen, die Totenweiber waren auchwieder zurückgekehrt,mancheMenschen gingen in dennächtlichenTrümmerwegenzuAbdiasHöhleabundzu,undindemVorgemache,dasnachAuswärtsführte,klag-ten und heulten dieWeiber, die umLohn herbeigekom-menwaren.

Am andern Tage begrub Abdias sein Weib in demsteinernen Grabe, und zahlte die zwei versprochenenGoldstücke.

SiehattewenigGlückindieserEhegehabt,undalsesangefangenhätte,musstesiesterben.

Die Nachbarn segneten sie mit ihren Lippen in dasGrabhinein,alsdasselbemitdennämlichenSteinenge-schlossenwurde,unterdenenAronundEstherschliefen,undsagten:Abdiasseieseigentlichgewesen,dersieumdasLebengebrachthabe.

3.

Ditha.

Als Deborah begraben worden war und sich der letzteSteinüberihremLeibezudemNachbarsteinegefügthat-te, gleichsamals lägen sie zufälligda,undbärgennichtsokostbareDinge,wiedieKörperverstorbenerAngehö-riger,unddasieauchsoschwerbefundenwordenwarenundsofestaufeinanderlastend,dasskeineetwabegierigschweifendeHyänedieGlieder auszuscharren vermoch-te: gingAbdiasnachHause, und standvordemkleinenKinde.MirthahatteineinemanderenGemacheeinebes-sereundtiefereMauernischeausgefunden.Siewareins-tensmitSeideausgefüttertundmitseidenenPolsternbe-decktgewesen.EstherhattegernedasschöneKindAbdi-asdaraufgelegt,damitsichseinsüßesLächelnrechthei-ter von der schönen dunklen grünen Seide hervorhebe.

JetztwarenaberkeinesolchenDingeinderNischevor-handen;denndieVorhängeundÜberzügeausSeidewa-renherabgerissen,undaufSaumtierenverpacktworden,dieKissenlagenalleindaundwarenzerfetzt,sodassdas,womit siegefülltwaren, einzartesdünnesGras,gleich-samdasHaarderWüste,herausquoll,wiedasInnereei-nesmenschlichenKörpers.Mirtha zog dieses feineGe-füllselgarheraus,lockerteesmitihrenFingernauf,undpolstertedamitdennacktenvonspitzigenSteinenunter-brochenenBodenderNische.DannsuchtesieunterdenherumliegendenLumpen etwas zusammen,was sie dar-auf breitete, um das Kind auf dieses Bettlein legen zukönnen.VonLinnenwarüberhauptwenig inderWüste,und das Beste diesesWenigen hatten die Reiter mitge-nommen.Dahermachte sie ausWolle, aus andernStof-fen, ja aus seidenenLappen, derenFarbenichtmehr zuerkennenwar,Windel,undlegtesieaufeinenHaufenne-bendieNische.DadasneugeborneMädchenaufdiesemBettleinschlief,wares,dassAbdiasvondemBegräbnis-seheimkam,undsichvordasselbehinstellte.

»Es ist so gut,« sagte er, »Mirtha; wir müssen nunweitersorgen.«

Erginghinaus,und führtedieEselin,dieergekaufthatte,unddienochimmerindemGemacheangebundenwar,indemersiegelassenhatte,herein.Erstelltesie,da-mit sie recht gut verwahrt sei, in dasGewölbe,welches

sonstdasPrunkgemachEsthersgewesenwar,undindasvon oben herab durch das vergitterte Fenster das Lichtfiel.Dortbandersiesorgsaman,undrichtetedenhölzer-nenRiegel,mitwelchemdieTürinwendigversehenwar,wiederher,dassmanihnnachts,damanherinnenschlief,immervorschiebenkönne.VondemVorratedürrenWüs-tenheues,mitdemersonstimmerseineKamelegefütterthatte,wargenugvorhanden,indemdasHeunichtinsei-ner Behausung, deren Äußeres, in so ferne es brennbarwar, von den Soldaten abgebranntwordenwar, sondernin einer nicht weit davon befindlichen trockenen HöhlederTrümmeraufbewahrtwordenwar.DiePlündererhat-ten eswohlgefunden,hatten auchversucht es anzuzün-den,aberwegenMangelanLuftzug,undweilessodichtgepacktwar,hatte esnicht inFlammengeratenkönnen.Sie rissen daher so viel heraus, als ihnen der Übermuteingab,nahmenmit,was sie fürdienächstenAugenbli-cke brauchten, und auf ihren Tieren unterbringen konn-ten,undließendasübrigezerstreutliegen.AlssichAbdi-as des Heues und seiner Brauchbarkeit versichert hatte,gingerwiederinseineWohnungzurück,undsuchtedortsehr langeunteralldemvielenPlunderdie reinstenundwomöglichausLinnenverfertigtenLappenheraus,damitsie demKinde zumSaugendienten,wennman ihmdiefrische, warm aus dem Körper der Eselin kommendeMilchzurNahrunggab.DieseLappenlegteeralleaufei-nem Steine zusammen, der sich in dem Gemache des

Kindesbefand.SodannsahernachdenZisternen.Erhat-teinfrühererZeithinterdemhohenSchutte,deraufsei-nerWohnunglag,dort,woeinsehrgroßesFriesunddar-aufliegendeFelsenstückeimmerwährendenSchattenga-ben,zweiZisternengrabenlassen.Gewöhnlichaberwarnur ineinerderselbenWasser,die anderewar leer.Diesrührtedaher,weildieZisternemittelsteinesSchlauches,den man absperren konnte, mit einer Wassergrube imKeller, die künstlich eingesäumt und dicht gepflastertwar,inVerbindungstand,inwelcheGrubeAbdiasimmergrößere Wasserteile, wenn sie sich oben sammelten,abließ, damit dasWasser imKeller frischerwerde, undkeine so große Menge durch Verdünstung verliere, alswennesobeninderwarmenLuftgestandenwäre,deresnochdazueinegrößereOberflächedarbot,alsimKeller.BeideZisternen fandAbdias nachdemgestrigenRegenganzvollunder ließdieeine,wiegewöhnlichunterdieErdeablaufen.

Dasdürre, schlechteKamel, aufwelchemergesterngekommenwar,daseraufdemSandevorseinemHausegelassenhatte,hatteerganzvergessen.Ererinnertesichjetzt desselben und wollte darnach sehen. Es war zwarnichtmehraufderStelle,aufwelcheresnochkniete,daAbdias die Pistolen heraus gerissen hatte, aber es wardochschonindemStalle.DerKnabeUramhatteesdemManne,deresgestern,gleichsamumsichfürseinenVer-lusteinwenigzuentschädigen, fortgeführthatte,wieder

genommen, er hatte es durch dieMauertrümmer fortge-führt, hatte es zu einer gelben Lake, die er recht wohlwussteunddieerniemandenanderngönnte,geführt,ließes die ganze Lake austrinken, damit das Wasser nicht,wennwiederdieheißeSonnekäme,verlorenginge,dannhatteeresindenStallgebracht,nachdemerihmnochzu-vor das Geschirr und Riemzeug, welches noch auf ihmwar,herabgenommenhatte.IndemStallefandesAbdiasstehen.Eswardaseinzige,wonochvorkurzemmehrereundweitedlereundbesseregestandenwaren.Eshatteeinwenig von dem durch die Plünderer herum gestreuten,halb versengten Heue vor sich, und fraß begierig vondemselben.AbdiasließetwasMais,davonaucheinVor-ratdagebliebenwar,hinzugeben,undvonderHöhlefri-scheresHeuholen.DannsagteerzuUram,denerindemStalle getroffen, und durch den er diese letzterenDingehattebesorgenlassen:»Uram,gehenochheute,solangedieSonnescheint,hinausüberdenSandkamm,undsuchedieHerde, siemussdortherumwosein–undwenndusiegefundenhast,sozeigedichdemHirtenrichterundsa-ge,dasserdirvondemAnteiledesEinwohnersAbdiaseinen mit dessen Namen gezeichneten Hammel gebe.Diesen nimm an den Strick, und führe ihn noch vorAbendhierher,dasswirihnschlachten,etwasbraten,undetwas durchMeersalz aufbewahren, damit wir so langedurchkommen, bis dieKarawane, diemorgen fortgehenwird,wiederzurückkehrt,undsovielmitbringt,dasswir

das gewöhnliche Leben zumTeilwieder anfangen kön-nen.WenndudieHerdenichtbaldfindest,sosuchenichtsehrlange,sondernkehreumundkommenochbeiTagenachHause,dasswirumetwasanderesumsehenkönnen.Hörstdu?Hastdualleswohlverstanden?«

»Ja,« sagte derKnabe, »ichwerde dieHerde schonfinden.«

»Hastduaberauchetwaszuessen?«fragteAbdias.»Ja, ich habe in der obern Stadt ein Täschchen voll

Weizengenommen,«antwortetederKnabe.»Nungut,«sagteAbdias.NachdiesenWortenlangteUrameinenStrickvonei-

nem Haken des Stalles herunter, wo er gewöhnlich zudem Behufe des aufgetragenen Geschäftes hing, nahmnoch einen langen Stab von sehr schwerem Holze undliefüberdasTrümmerwerkdavon,dasingroßenHaufenvondemStalledesAbdiasgegendieWüstehinausging.

AbdiassahihmeinWeilchennach,biserdiehüpfen-deGestaltnichtmehrerblickenkonnte.Dannwendeteersichumundbegabsichwieder in seineWohnung.ZumMittagmalenahmereinpaarHändevollMaiskörnerundtrankvondemwarmenWasserderoberenZisterne.Mir-thaließereineSchalevollMilchvonderEselinnehmen,undgabihrvondemdürrenBrote,dasdawar;denndasbessere war zum Teile weggenommen, zum Teile ver-

schleppt und verschleudert worden, auch konnte wegendemzustarkenAustrockneninderheißenWüsteniemalseingroßerVorrataufeinmalgebackenwerden.

DenganzenNachmittagbrachteAbdiasdamitzu,dieWohnungineinensolchenStandzusetzen,dasssievonaußenvor jedemnicht gar zu gewaltigenAngriffe gesi-chert war. Er schleppte die Lappen und was von gutenDingen zerrissen herum lag in zwei Gemächer zusam-men,die jetztzurWohnungbestimmtwaren,dasandereverrammelteerzumTeile,zumTeilebanderesmitvor-gefundenenStrickenzusammen,sodasseshieltunddieEingänge,dieetwazudenGemächernseinkönnten,ver-wahrt waren. Teilweise hatte er auch ganz neue Riegelangebracht,erhattedieKlammernundArbenmitgutenNägelnangenagelt.Alserfertigwar,saßeraufderStein-bankundruhteeinkleinesWeilchen.

DieSchmerzen,welchevondergestrigenMisshand-lungdurchdieSoldatenherrührten,warenheutevielhef-tiger geworden, als sie gestern in der ersten Aufregungwaren,undhattendenKörperweitungelenkergemacht.Er war einige Male in den Keller gegangen, hatte vondem kostbaren kalten Wasser eine Schale voll genom-men,hatteeinTucheingetaucht,undsichmitdemselbendieLendenundandereschmerzendeStellenbefeuchtet.

GegenAbendkameinBote,welchervondenDienernundDienerinnen,diesonstinAbdiasHausewaren,abge-

sandtwar.UramundMirtawarendieeinzigen,die sichwiedereingefundenhattenundbeiAbdiasdenTagübergebliebenwaren.DerBoteforderteimNamenderLeute,deren Kennzeichen er mitbrachte, den rückständigenLohn,den sie trotzigbegehrten,weil siemeinten, er seinunmehreinBettler.AbdiassahdieForderungenan,undgabdanndemBotendasGeld,daserinlautersehrklei-nenMünzenausdemschlechtenKaftanezog,denernunanhatte.Ersagte,dasserdieNachbarngrüßenlasse,unddasser,wennsiewollten,nocheinigeschlechteseideneDinge um sehr billiges Geld zu verkaufen hätte, siemöchtenmorgenkommen,wennes ihnengenehmwäre,etwasdavonzuerstehen.

DerBotenahmdasGeld,ließdiePapiere,welchevonSeite der Diener den Empfang bestätigten, in AbdiasHandundgingfort.

Als schon die in jenenLändern sehr kurzeDämme-rungeingebrochenwar,undalsAbdias,welcherrechtgutwusste,wieschnelleinesehrfinstereNachtaufsiefolge,bereitsmehrereMaleüberdieTrümmernachUramaus-geschaut hatte, dessen Verirren in der gegenstandlosenWüsteer fürchtete,kamderKnabe, alsnochdie letztenschwachenStrahlenleuchteten,hinterdendunkelnMau-erstücken,durchherabhängendesBuschwerknochdunk-ler gemacht, hervor, den Hammel, welcher Widerstandleistete,mehrhintersichherzerrend,alsihnführend.Ab-

dias gewahrte ihn bald, trat zu ihm hinzu und geleiteteihnzudemEingangedesäußerenGemaches,dasinseineWohnung führte. Dort ward der Hammel angebunden,undnachdemUrambelobtwordenwar,wurdeihmferneraufgetragen, dass er wieder die Hornlaterne anzündenund nach einemManne, etwa dem Fleischer Asser, su-chenmöchte,welchergegenGelddenHammelschlachteundteile.AbdiaswarnämlichwegendervielenSchmer-zen,dieer inseinemLeibehatte,unddiedenselbenim-mer ungefügigermachten, gleichsam als rieben sich dieMuskeln, die er bewegenwollte, schmerzhaft an einan-der,oderalsstrotztensie,nicht leicht imStandebeiderSachezuhelfen,nochwenigeraber,sieselberzuverrich-ten,wieerwohlsonstöftergetanhatte.DerKnabezün-detedieLaterneanundeilte fort.Nachnichtgar langerZeitkamerwiederzurückundführtedenFleischerAssernebensich.Dieser tratzuAbdiasein,undalsmannacheinigem Handeln einig geworden war, erklärte er sich,dasserdenHammelschlachten,ausziehenundnachdergesetzmäßigenArt teilenwolle.AbdiasnahmdieLater-ne,leuchtetegegendenHammelhin,umdessenZeichenzusehenundsichzuversichern,dasserderseinesei,undernichtetwaeinenfremdenschlachte.Nachdemerüberdiesen Punkt in Richtigkeit war, sagte er, das Geschäftmögebeginnen.DerFleischerbandsichdasTier,wieeresbrauchte,legteesgegeneineGrube,indiedasBlutab-fließen konnte, und tötete es. Dann zog er die Haut ab

und teiltedasFleisch inTeile,wie esbedungenwordenwarundwieesbeidenBewohnernderverwüstetenStadtinGebrauchgekommen.DerKnabemussteihmmiteinerKerze, die angezündet worden war, leuchten. Nachdemalldasverrichtetwar,undderFleischer,wiemanausge-machthatte,dieEingeweidegenommenundseinenLohnerhalten hatte,musste ihnUramwiedermit derHornla-terne inseineWohnungzurückgeleiten.Alservondie-sem Gange abermals nach Hause gekommen war, ver-scharrtenerundAbdiasdieblutigeGrubemitErde,tatendannWasser,ReisundeinStückFleischnebstSalzundKräuternineinenTopf,machtenFeuer,undkochtendasGanzebeiKamelmistundeinigenRestenvonMyrtenrei-sigbündeln, welche nicht verbrannt worden waren. AlsdieseSpeisebereitetwar,aßenAbdiasundderKnabeda-von, und trugen auch Mirtha, welche immer innen beidemKindesitzengebliebenwar,einenTeilhinein.ZumTrinken bekamen sie Wasser aus der oberen Zisterne;denn das in dem Keller wurde gespart. Nachdem allesdiesesvorüberwar,gingAbdiaszudemäußernEingangederWohnungundverwahrte undverschloss ihnvon in-nen,undnachdemermitdemKnabennochdieRestedesFleischesteilseingesalzen,teilsfrischzummorgigenGe-brauche in die tief unter die Erde gegrabeneGrube ge-bracht hatte, die zur Aufbewahrung von derlei Gegen-ständendawar,verschlossundverbanderauchalleübri-genTüren,die inderBehausungwaren,von innen,und

dieBewohner dieserGemächer begaben sich zur Ruhe.Wo sonst beinahe ein Gewühl vonDienern und Leutengewesenwar,schliefennunstattvielerMenschenAbdias,derKnabeUram,dieMagdMirthaunddaskleineKindDitha. Judith war es nach EsthersMutter genannt wor-den;Mirtha hatte es aber den ganzen Tag übermit derVerkleinerungDithaangeredet.AbdiashattesichaufdemBodendesGemachesgebettet,indemdasKindwar,Mir-thaschliefnebenderNische,inderDithalag,eineLam-pe brannte in demZimmer, und imNebengemachewardieeingekaufteEselin.UramlagdraußenimVorgemacheintrocknenPalmenblättern.

AlsamandernTagedieSonneaufgegangenwar,ka-menvieleNachbarnundwolltenvonAbdiasdieseidenenSachen, von denen er ihnen hatte Meldung tun lassen,kaufen.Er lagvordenvielenSchmerzenseinesKörpershalbzurückgelehnt ineinemHaufenWüstenstroh.Uramhatte alle die Lappen, die ihmAbdias bezeichnet hatte,herbeigetragenundhatte sie aufeinander geschichtet.Eswaren teils alteKleider,welche von noch älteren völligunbrauchbarenherausgesuchtwordenwaren,teilswarenesÜberreste in größerenundkleinerenStückenStoffes,mit demer sonst gehandelt hatte, teils endlichwaren esFetzenseinereigenenGeräteundMatten,welchevondenPlünderernzerrissenundwegenihrerUnbedeutendheitsowiedieStoffrestehingeworfenwordenwaren.DieNach-barn handelten um alleDinge, selbst die unbedeutends-

ten, und kauften alle Flecke, die ihnenAbdias vorlegte,ein. Als nach vielem Handeln und Herabdrücken derPreisealleSachenverkauftunddiedafürausgedungenenPreisegezahltwaren,nahmendieKäuferihrErstandeneszusammen und gingen fort. Der übrige Teil des TagesvergingwiedergestrigeunterVerrichtungenzurVerbes-serung der Lage. Abdias stand zu Mittage wieder auf,gingzudemLandesfleckenebenseinerWohnunghinaus,woersonstseineGemüsestehenhatte,undsahnach.Eswarmanchesda,mancheswarwegenNichtbeachtungzuGrunde gegangen. Was am besten den Himmelsstrichvertragen konnte, wollte er stehen lassen und besorgen.ErkargtesicheinwenigWasservonderoberenZisterneab,undbefeuchtetedieammeistenbedürftigendamit.Erglaubteesumsoeher tunzukönnen,weildieRegenzeitbevorstand,undwiederWasserbringenwürde.DieEselinversorgteerselbermitHeu,welcheserausderMittedesStockes heraus nahm, wo es am wenigsten von demBrandgeruche des Hauses eingesaugt hatte. Er gab ihrWasser,woruntersogareinTeildeskühlenausdemKel-lergemischtwurde;er ließsiedurchUramAbendshin-ausindieLuftführen,undwährenderselberdabeistand,vondenverschiedenenGräsern,DistelnundGesträuchenfressen,dieindemSande,demLehmeunddemSchuttedesTrümmerwerkswuchsen.DasschlechteKamel,wel-chesalleinindemStallestand,versorgteUram.DraußeninderHerde,welchegemeinschaftlich inderWüstege-

haltenwurde,warennocheinigeaberwenigeTieresein,diejenigen,welche indenWohnungenderTrümmerwa-ren,warenvondenPlünderernfortgetriebenworden.

NachwenigenTagenkameinTeilderfortgegangenenKarawanezurück,undbrachtesolcheDingeundSachenmit,welchezudemtäglichenVerkehregehörten,undda-zudienten,dasssiedasLeben,wieesvordemEinbruchederPlünderergeherrschthatte,wiedernachundnachan-fangen konnten. Abdias kaufte in den darauf folgendenTagenallgemachein,waserbrauchte,undinkurzerZeitstelltesichdastäglicheHin-undHerhandelnwiederein,welches unter Menschen in einer Gemeinde notwendigist,dasssiegeselligleben,undihrenZustand,erseinochsoniedrig,wieerwill,einrichtenkönnen.DieNachbarnwunderten sich nicht, dass Abdias Geld habe und zwarmehr, als er durch denVerkauf derWaren gelöst habenkonnte; denn sie selber hatten ja auch eins, das sie imSandevergrabengehalten.

SoverginggemacheineZeitnachderandern.Abdiaslebtestillfort,anjedemTagesowieandemvorhergegan-genen.DenNachbarnfielesauf,undsiedachten,erwar-te nur auf seine Zeit, welche den Augenblick bringenwürde,andemersichfürallevergangenenUnbildenrä-chen könnte. Er aber stand in seinerWohnung und be-trachtete das kleine Kind. Es hatte winzige Fingerchen,die es noch nicht zu regen verstand, es hatte kleine un-

kennbare Züge in dem unentwickelten Angesichtchen,das sich nochkaumzu entfalten begann, und in diesemAngesichtchenhatteesblaueAugen.DieseAugenstan-den in der sehr schönen Bläue offen, aber regten sichnoch nicht, weil sie noch das Sehen nicht verstanden,sondern dieAußenwelt lag gewaltig, gleichsamwie eintotgebornerRiese,darauf.DieblauenAugenwarenDithaalleineigentümlich,dawederAbdiasnochDeborahblaueAugenhatten,sonderntiefschwarze,wieesihremStam-me und jenem Lande, in dem sie lebten, eigen zu seinpflegt. Er hatte nie vorher besonders Kinder betrachtet.Diesesaberbetrachteteer.Erreisteauchnichtfort,wieersonstgetanhatte,umHandelzutreibenundzuerwerben,sondern blieb immer da. Er dankte oft Jehova, dass ereinen solchen Strom sanften Fühlens in das Herz desMenschenzuleitenvermöge.WennesNachtwar,saßerzuweilen wieder, wie er es früher auch getan, auf demhochgetürmtenSchutteseinesHauses,dort,wodiezerris-seneAloe stand,undbetrachtetedieGestirne,die tiefenfunkelnden Augen des Südens, die hier täglich zahllosundfeurigherniedersehen.Abdiaswussteausseinenun-zähligen Wanderungen sehr gut, dass im fortlaufendenJahreimmerandereSterneamHimmelprangen,derein-zige Schmuck, der in derWüste,wo keine Jahreszeitensind,indemeinenJahrehinumsicherneuert.

Endlich,nachsehr langerZeit,kamauchderzweiteÜberrestdergleichnachderZerstörungindieWelthin-

ausgeschicktenKarawane.Dieverbranntenundzerlump-ten Leute derselben brachten alle Dinge, die man nochvollendsbrauchte;siebrachtenWarenundKleinode,umwiederdamitzuhandeln,undendlichbrachtensieandieEigentümerjenenTeildervonAbdiasabgetretenenSum-me,der ebenzurZeit desKarawanenzuges fälliggewe-senwar.DieNachbarnwarennunzufrieden,sieachtetenihrenGenossenAbdias,unddachten,wennerwiederhin-ausgingeundHandeltriebe,sowürdeerbaldwiedersoreich sein, dass er ihnen allenSchaden ersetzen könnte,den sie erlittenhatten,unddener ihnendocheigentlichnur allein durch sein unvorsichtiges und kühnes Lebenzugefügt hatte. Sie rüsteten baldwieder einenZug, undgaben ihmallesmit,was zurEinrichtungeinesHandelsundTausches,wiesie ihnvorderPlünderungzu führengewohntwaren, nötigwar. Abdias hatte an demUnter-nehmenkeinenTeilgenommen.Esschien,alsschützeernurdaskleineWesen,welchesnochkeinMensch,janochnichteinmaleinTierwar.

DieRegenzeithattesichindesseneingestellt,undwieesalljährlichbeiderselbenderBrauchwar,verkrochsichalles in seineHäuserundHöhlen,wasnichtunmittelbarvondemLosegetroffenwar,hinausindieFernezumüs-sen,umdieGeschäftezubesorgen.DieZeitdesRegens,wusstensie,sovorteilhaftsieihrenwenigenGemüsestel-len, dann den Gesträuchen und den Weideplätzen derWüsteist,sonachteiligistsiedenMenschen,underzeugt

dieinihrerLageundihremWohnorteohnedemsogernehereinbrechendenKrankheiten. AuchAbdiasmit seinenwenigenUntergebenenhieltsichsogutalsmöglichver-schlossen.

DieZisternenfülltensichundgingenüber,dieeinzi-geQuelle,welche in der Stadt in einem tiefenBrunnenfloss, und zu der alle Bewohner ihre Zuflucht nahmen,wenndielangeDürreherrschteundjedeZisterneversiegtwar, rauschte, und füllte fast denBrunnenbis oben; dieGesträuche und Gräser und Palmen troffen, und wennwiederdieeinzelnenunsäglichheißenBlickederSonnekamen, freuten sich die Gewächse, wuchsen in einerNachtinsUnglaubliche,undsieschauertenundzittertengleichsam inWonne, wenn das furchtbare Krachen desHimmels über ihnen rollte, und sich fast täglich undstündlichinmehrerenabwechselndenStärkenwiederhol-te.Der Schutt der Trümmerwurde zuBrei, die Felsen-mauernwurdenabgewaschen,odersie,sowiediekahlenund sandigenHügel, überzogen sichmitGrün, dass sienichtmehrzuerkennenwaren.

Nach einer Zeit hörten diese Erscheinungen allmäh-lichwiederauf.SiehörtenindiesemTrümmerwerkeum-so eher auf,weil dasselbe in derWüste gelegenwar, inwelchersonstdervieleringsherumliegendeSandausdenStrahlen der Sonne eine solcheWärme brütete, dass siejedeWolke,wennsienichtübermäßigdichtundwasser-

reichwar,aufsaugte,undinunsichtbarenDunstlöste.Diedichten,hängenden,grauenMassen,auswelchennurzuZeitenweiße,wässerige,schimmerndeStellenleuchteten,unddiediegeschlungenenfurchtbarenBlitzejenesHim-melsstriches brachten, wurden nach und nach höher,trennten sich, dass einzelneBallen amHimmel standen,diesichdunklerundblauer färbten,weißeschimmerndeRänderhatten,unddenklarenÄtherunddiescheinendeSonne in immer längeren Zeiträumen herabblicken lie-ßen, – endlichwar schonüber demTrümmerwerke undder Wüste ganz heiterer Himmel, nur dass am RandedraußennochdurcheinpaarWochenausDunkelblauundWeiß gemischte Ballen und Massen zogen, aus denenBlitzeleuchteten;bisauchdiesesallgemachaufhörteundderbeginnendeundnunfortdauerndereineHimmelunddiereineSonneleerundgefegtüberdemfunkelndenGe-schmeidedesregendurchnässtenLandesstand.

DieScheibederSonneunddieewigenSternelöstensichnuntäglichab.AnderOberflächedesBodenswarendie Wirkungen des Regens bald verschwunden, er wardürrundstaubig,dassdieBewohnerandenRegenwieanein Märchen zurückdachten; nur die tiefer gelegenenWurzelnundBrunnenempfandennochdieGütederun-endlichen,zueinemaufzubewahrendenSchatzehineinge-sunkenenMenge desWassers. Aber auch das mindertesichimmermehrundmehr,diekurzlebendengrünenHü-gelwurdenrötlich,undanvielenStellenblickteWeißaus

ihnen hervor, was den täglich heiteren Himmel immerdunkler und blauer, und die Sonne immer geschnittenerundfeurigermachte.

Abdias lebte zu dieser Zeit in seinemHause immerfortwie seither.DerAugenblick zurRache schien nochnichtgekommenzusein.

Als aber seit demRegen schon eine langeZeit ver-gangen, als die flachen Hügel Sandes auch nicht mehrrot, sondern weiß waren, als die Hitze gleichsam blen-dend über dem Sande stand, trüber rötlicher Schein andem Gesichtskreise schwebte, jedes Lüftchen draußen,wenndasAuge indieFernedringenwollte,densanftenundurchdringlichen Höhenrauch des Staubes führte, alsdie Trümmer, dieMyrthen und Palmen grauwaren, dieLufttäglichheiter,alssolltedasewigwähren,unddieEr-detrocken,alsseiWassereinindiesemLandeunbekann-tesGut–dadasMädchenDitha rechtgesundundstarkwar:gingAbdiaseinmalhinterseinHausumdieverdorr-tenPalmenunddenTriumphbogenherumzueinerStelle,die neben schwarzen, gleichsamversengtenSteinen lag,undgrub in derAbgelegenheit derFelsen,wo erwenigerblicktwerdenkonnte,miteinerHandkelleimSandundinderErde.Eskamen,daergeschicktarbeitete,mehrereGoldstücke zum Vorscheine, und dann wieder mehrere.Erzähltesie.Danngruberwieder,undfandnochman-che. Als er sie, auf seinen Füßen sitzend endlich noch

einmal alle gezählt hatte und wahrscheinlich genügendfand, hörte er zu graben auf, undwühlte den trockenenSandwiederüberdieflacheneinzelnennichtgargroßenSteine,unterdeneneigentlichdasGoldgelegenwar,bisdieStelleaussah,alswärenurjemandzufällighiergewe-senundhättezufälligdenSandmitseinenFüßeninUn-ruhegebracht.ErtratnochaufderStellemitseinenSoh-lenhinundher,wiewenn jemandgestandenwäre, sichumgekehrt und nach verschiedenen Richtungen hinausgeschauthätte.DanngingerfortundgingziemlichweitvonhierzueineranderenStelle,aufwelchereresebensomachte.ZuMittaggingernachHauseumetwaszues-sen. Dann ging er sogleich wieder hinaus, suchte nochmehreresolchePlätze,undtatanjedemwieandemers-ten.Wo ihmder Sand, von demWinde angeregt, großeHügelüberdenSchatzgelagerthatte,gruberimmerfort,wievielZeitauchdabeivergehenmochte,erhäufteBer-geSchuttnebensichan,knietetiefindemselbenundsahnach–undüberallkamihmdasedle,vonkeinemRosteangegriffeneGoldentgegen,wieereszurAufbewahrunganvertrauthatte.GegenAbendkamerrückwärtsumdenhochgetürmtenSchuttaufseinemHause,vondemwiröf-ter gesprochen. Er stieg auf den Gipfel hinauf und sahherum–undnachdemerdieunendlicheLeere,gleichsamalsmussteervoneinemParadiesescheiden,langeange-schaut hatte, stieg er nieder, ging in seineGewölbeundbegabsichbaldzurNachtruhe.

Am andernTage, als das Licht anbrach, sagte er zuUram:»LieberKnabe, gehehinaus in dieWüste, obdunichtdieHerdefindenkannst,zähledieHammelunddieandernTiere,diemeingehören,undkommedannundsa-ge,wievielichnochhabe.«

DerKnaberichtetesichundgingfort.Abdiasaber,alserdenKnabennichtmehrsah,begab

sichindasGemach,inwelchemDeborahgestorbenwar,und inwelchem sie ihmdiekleineDithageborenhatte.Dort sperrte er sich ein, so gut er konnte, dass Mirthanichthereinkäme,undauchkeinNachbarihnetwazufäl-ligbesuchte.Alsersichsoversicherthatte,gingerindieanstoßendeHöhle–denndasGewölbewareigentlicheinDoppelgemach–zogkleine,spitzigeeiserneBrechwerk-zeugeausseinemBusenheraus,nähertesicheinerEckederMauer,undbeganndort einenderSteineaus seinenFugenzulösen.Alsihmdiesesgelungenwar,zeigtesichhinter dem herausgenommenen Steine in dem dickenMauerwerkeeineHöhlung, inwelcher ein flachesKäst-chenausKupferstand,ganzmitGrünspanüberzogen.Ernahm das Kästchen heraus und öffnete den Deckel. ImInnernlagen,inSeideundWolleeingewickelt,einigePa-piere. Er nahm sie heraus, setzte sich nieder und zähltesieeinzelnaufseinenKaftan.Sodannlegteersiezusam-men auf eine Stelle hin, zog eine hölzerne Büchse ausseinerTasche,inwelcherderStaubeinesgeschmeidigen

seifenförmigenSteineswar,undriebmitdemStaubeje-desPapiersolange,bisesnichtmehrrauschte.Danntater sie einzeln jedes in ein flachesTäschchen von feinerwasserdichter Wachsseide und nähte die Täschchen anverschiedenenStellen seinesKaftans ein, dermit vielenundallerleiFleckenbedecktwar.AlserdiesesGeschäftzuEndegebracht hatte, legte er das leereKästchen, dieBrechwerkzeugeunddieBüchse,inderdergeschmeidigeStaubgewesenwar,indieHöhlungderMauer,undfügtedenherausgenommenenSteinmitseinenHändenwiederein. Die Fugen verklebte er mit einer eigenen Art vonMörtel, der sehr schnell trocknete, die Farbe derMauerhatteundmachte,dassmandiebestricheneStellevonje-derandernnichtunterscheidenkonnte.

DadieseDingevollendetwaren,machteerdieTürenwiederaufundginghinaus.DieZeitneigte sichbereitsgegenMittag.Er aß einwenig und gab auchMirtha zuessen.HieraufbegabersichindasGemach,inwelchemdieEselin stand,undschirrtedieselbevollständigzuei-nerReisean.ErerklärtedannMirtha,dasserfortziehenwolle,umeinenandernWohnplatzzusuchen,siemöchtesich richten und zu der Reise in Bereitschaft sein. DasMädchenwilligteeinundbegannsogleich,weilersagte,dassesseinmüsse,sichunddasKindzudemZugesozurichten,wie sie es am zweckdienlichsten erachtete.Dashagere Kamel hatte Abdias schon mehrere Tage vorherverkauft, damit seine Nachbarn nicht glaubten, dass er

Geldhabe.ErzogalsonacheinerStundedieEselinher-vor, hob Mirtha, die sich vollständig ausgerüstet hatte,aufdieselbehinauf,gabihrdasKind,undführtesiefort.Sie zogen durch verschiedene Teile der Trümmerstadt,dienichtbewohntwaren,hinundher,anhohenKlumpenvorüber, von denen Kräuter und dürre Stängel herabschauten, bis sie endlich an demRande der Stadt anka-men.DortführtesieAbdiasübergraueRasenundStep-pen,dannüberFlächen,undendlichineinergeradenLi-nieindasebeneLand,inwelchemkeinGraswarundun-endlichvielekleineSteinchenamBodenlagen.Hierginger darüber, und bald hatte sie die rote goldene Sandluftder Wüste eingeschlungen, dass sie von der Trümmer-stadt nichtmehr hätten gesehenwerden können, sowiesiedengrauenStreifenderStadtnichtmehrsahen.

AbdiashattesichSohlenaufdieFüßegebundenundleitetedieEselinandemledernenRiemenhintersichher.FürsichundMirthahatteerdieBüchsemitdemverdich-teten Brühstoffe eingesteckt, nebst Weingeist und Ge-schirre,umzukochen:dasTiertrugWasserundseinFut-ter.DenursprünglichweißenArabermantel,deraberjetztvom Schmutze völlig vergilbt war, nahm er selber aufseine Schultern, ebenso trug er einen Bündel gedörrterFrüchte, damit die Eselin nicht zu sehr überladenwäre.SeitensMirthas,aufderGegenseite,damitdasGleichge-wichtdesSattelshergestelltsei,wareinKörbchenange-bracht,darineinBettleinwar,dassmandasKind,wenn

es fürMirtha zu schwerwürdeundderselbendieArmeweh täten, hinein legen könne.Über dasKörbchenwareinSchirmtuchzuspannen.

DieEselinginggeduldigundgehorsamindemSan-de, der ihre Hufe röstete. Abdias reichte ihr mehrmalsWasser, auch musste sie einmal, da die mitgenommeneMilch inderHitzedesTagessichzusäuernbegann, fürDithagemolkenwerden.

So zog man fort. Die Sonne senkte sich nach undnachdemRandederErdezu.Mirtharedetenichts,dasiedenMannAbdias hasste,weil er seinWeibumgebrachthatte.ErschwiegauchbeständigundgingvorderEselinher,dassihmdieHautvondenwundenFüßenhing.Zu-weilensahernurindasKörbchenhinein,inwelchemdasKindschlief,undsah,obnochderSchattenaufdemGe-sichtchendesselbenwäre.

Als esAbendwurde und die Sonne als eine riesen-große blutrote Scheibe an demRande der Erde lag, diesich gleichfalls als ein vollkommenes flaches Rund ausdem Himmel schnitt, wurde Halt gemacht, um dieNachtruhezugenießen.AbdiasbreiteteeingroßesTuchaus,welchesunterdemSattelaufdemRückenderEselinlag, ließ sich Mirtha auf das Tuch setzen, stellte dasKörbchenmitdemKindedaneben,undgabdenweißenMantel her, dass sich beide damit zudecken könnten,wenn dieNacht gekommenwäre und sie schlafenwür-

den. Dann tränkte er die Eselin und legte ihr Heu vor,auch einigeHändevoll Reis hielt er in Bereitschaft, umsieihrspäterzugeben.HieraufpackteerseineKochvor-richtungenaus,dasheißt,eineWeingeistlampe,eineWas-serkanneunddenBrühestoff.Alserangezündet,WassergehitztunddieSuppebereitethatte,gaberMirthazues-sen, aß selber, trank von dem schlechten lauen WasserdesSchlauchesundgabMirthazu trinken.ZumNachti-schewurdeneinigedergetrocknetenFrüchteausdemSa-ckegenommen.Daallesdiesesgeschehenwar,legtesichMirthazurRuhe,beschwichtigtedasimganzenheutigenTage erst jetzt zum erstenMaleweinendeKind, und inKurzemschliefenbeidefestundgut.Abdiasbenützte,alsergegessenhatte,dennochkleinenÜberrestderTages-helleumeinigevondenGoldstücken,welcheergesternaus demSande ausgegraben hatte, in die Pistolenhalfterund in den Sattel, der einige kleine Höhlungen in demHolzehatte,zutunundzuzunähen.ErtatdieMünzeningehöhlteStellen,wosiesichnichtrührenundnichtklap-pernkonntenundheftetealteLederfleckedarauf,oderertrenntehieunddadas schonvorhandeneFlickwerkundschob die Geldstücke hinein, worauf er das Getrenntewieder herstellte. Als bei diesem Geschäfte die Nachthereinbrach und schnell ihre in jenen Ländern so tiefeDunkelheit auf dieErde breitete, legte er alles seitwärtsund rüstete sichzurRuhe.Erbreitetevorerstnochganzeinhüllend denMantel über Ditha undMirtha, dass sie

von den giftigen Dünsten derWüste beschützt würden.Sodann legte er sich selber aufdenbloßenSandnieder,denKaftan,denerausgezogenundmitdemersichzuge-deckt hatte, über sein Gesicht ziehend. Um den einenArmhatteerdenRiemenderEselingeschlungen,welchemüdewarundsichgleichfallsschonindemSandeniedergelegthatte.AndemandernlagenhandrechtzweiPisto-len, jede vierläufig, die unter Tags in dem Halfter ge-stecktwaren,unddieeraufalleFällezusichnahm,ob-wohlindiesemweitenSandewederTiereundkaumauchMenschenzufürchtenwaren.

DieNachtvergingruhig,undmitAnbruchdesnächs-ten Tages wurde die Reise fortgesetzt. Abdias war, alssichderersteSaumdesleerenHimmelsinOstenanzün-dete,aufgestanden,hattedasHeuunddieLappen,dieeraufdasRiemwerkgebreitethatte,dassessichnichtnässeunddanninderHitzeleide,weggeräumtundgesammelt,worauferdannKola,dieEselin,sattelteundallediean-dernDingeanihrenPlatztat.NachdemerundMirthage-gessen hatten, und Ditha mit der Milch des Tieres ge-tränktwordenwar,brachmanauf.EhenocheinkleinerTeildiesesihreszweitenReisetagesvergangenwar,stan-den schon die blauenBerge,Abdias nächstes Ziel, sehrgroßunddeutlichandemRandederWüste,abersiestan-den stundenlange so klar und deutlich da, ohne dass esschien,dassmansich ihnennurzollbreitgenäherthätte.Abdias hatte für seinen Zweck mit Absicht einen Weg

eingeschlagen, der zwar ein bedeutend längererwar, alsjederandere,aberdenVorteilhatte,dasserkürzereZeitin derWüste führte, indem er nur eineBucht derselbendurchschnittundgegendiebenanntenblauenGebirgezu-lief.Abdiashattediesesgetan,umdieWüstenluftzuver-meiden, dieMirtha und Ditha noch nie geatmet hatten.Aber nicht bloß durch einige Stunden standen diewun-derschönen blauen lockenden Berge aufrecht vor ihnenamRandederEbene,gleichsamzumGreifennahe,son-dernsiestandendenganzenTagso,obwohlmansichih-neningeraderRichtungnäherte,undändertenwederihreFarbenochihreGröße.ErstdadaskurzeAbenddämmernjenesHimmelsstricheskam,erreichtemanzwarnichtsieselber,wohl aber ein grünesEiland, gleichsam einVor-landderselben,aufwelchemfürKola,dieEselin,frischePflanzen, für alle drei aber eine klare Quelle war. AlsmansichaufdieInselbegebenunddort,wassiebot,na-mentlich das kühleWasser, genossen hatte, zog Abdiasdie Reisegesellschaft wieder zurück gegen die Wüste,und ließ sie auf einemPlatze zumNachtlager stillehal-ten,aufwelchemSandwarundDistelnundKaktuspflan-zen in großenZwischenräumen zerstreut standen.Er tatdieses des Taues willen, der auf Wüsteninseln in sehrgroßer Menge zu fallen pflegt, und für diejenigen, diedort unter freiem Himmel schlafen, ungesund ist. Ermachte genau die nämlichen Vorbereitungenwie in dervergangenenNacht, undverbarg dennochübrig geblie-

benenRestderGoldstückeinjeneStellendesSattels,derGurtenunddesandernGeschirresderEselin,welchezudiesem Zwecke noch da waren. Einen Teil des Goldesaber steckte er zu sich in verschiedene Fächer seinerKleider,dass,wennRäuberüberihnkämen,siedasselbefänden,undinderMeinung,dassesseingesamtesGeldsei,nichtweitersuchten.WieindervergangenenNacht,legteersichwiederaufdenbloßenSandundschlief.

Da derMorgen dämmerte, wurde er, der heute vielbessergeschlafenhattealsgestern,durchseltsameTönegeweckt.Eswarihm,alsträumteersichumdreißigJahrezurück, als läge er mit seinem Haupte wieder an demHalseseinesKamelesundhöredasSchnaufendesselbenmitten in der ringsum ruhenden Karawane liegend. ErriebsichseinevondemfeinenWüstensandeschmerzen-denAugen,unddaersieöffnete,saherwirklicheinKa-melvorsichstehen,dasderMorgenglutderWüsteentge-gen schnaufte, und seinen kleinen Kopf hoch gehobenhatte.AucheinenMannerblickteer,einenSchlafgenos-sen,densieinderNachtbekommenhabenmussten.Der-selbe lag auf dem Boden im tiefsten Schlafe begraben,unddenRiemendesKamelesumseinenArmgeschlun-gen,wieesAbdiasgernemachte.Abdiassprangempor,gingnähergegendieGruppederzweiWesen,dieineinerkleinenEntfernungvonihmwar,unddaerhinzugekom-men,trauteerseinenAugenkaum–eswarderfurchtbarabgehetzteKnabeUram,derdavordemKameleaufdem

Bodenlag.DerselbeschliefaufdemRückenliegendunddas Antlitz gerade gegen den Himmel empor zeigend.DiesesAntlitz, das sonst so jugendlichheiter und frischwar,waraberjetztsoentstellt,alsseiderKnabeindiesenzweiTagenumzehnJahreältergeworden.AlsihnAbdi-as aufgeweckt hatte und die inzwischen aufgestandeneMirtha auch herzu gekommenwar, erfuhrman den Zu-sammenhangderSache.DaderKnabedieHerdegefun-denundunterdenvielenTieren,diedenBewohnernderTrümmerstadt gehörten, die des Juden Abdias gezählt,und um keine Irrung zu begehen, noch einmal gezählthatte,gingerwiedernachHause,indemeraufdemWegedasBrotunddieDattelnaß,dieersichalsMittagsmahlmitgenommenhatte,unddieherausbekommeneZahl,da-mit er sie nicht vergäße, immerwiederholte. ZuHause,wo er Nachmittag angekommen war, habe er seinenHerrnAbdiasgesucht–ersuchteihninallenGewölben,in demStalle, bei demHeue, bei den Zisternen, an derAloe–undfandihnnicht;erst,alserauchbemerkte,dassMirtha undDitha ebenfalls fehlen, und die Eselin auchnichtda sei, sei ihmAbdiasAuswanderungklargewor-den. Er habe nun dem Juden Gad ein Kamel gestohlenund sei nachgejagt. Zuerst hat er die Spuren der Eselingesucht, und dieselbenwirklich in denTälern zwischendenTrümmerngefunden,wiesieinUmwegengegendieWüstehinausgingen.DannersthaterdasKamelgenom-men, ist darauf gestiegen, und zu dem Punkte in aller

Schnelligkeithingeritten,wodieSpurindieWüstemün-dete.AlleinsodeutlichdieTrittedesHufes,dessenklei-neGestalterrechtgutkannte,indemTrümmerwerkeundvorzüglichauflockeremGrasbodenwaren,sosehrwarensie in demweichenSandederWüste verschwunden.Ersah gar nichtsmehr, das einemTritte ähnlichwar, son-dernnurdiefeinenSchneidendesgewehtenSandes,unddamussteergegendiemutmaßlicheRichtungzubeidenSeitenimmerhinundherjagen,oberaufderfahlenFlä-che, die da schimmerte und noch unzählig viele andereSternchen und Flimmerchen hatte, die glänzten, nichteinen schwarzen Punkt sähe, der dieHinziehenden vor-stelle, oder etwa zufällig die Reisespurenwieder fände.Dann sei er so durstig geworden und so erhitzt, dass ernichtsmehrsehenkonnte,weilderBodenvorseinenAu-genzuwallenangefangenhabe.Hieraufhabeersichmitbeiden Händen an dem Kamele gehalten, weil es dochviel stärker gewesen sei, als er – und dieses sei heutenachtsgeradenWegeshierhergerannt.EsmussdieRei-sendenoderdieQuellegewitterthaben;denneshat,ehesich beide zur Ruhe begeben, eine ungeheure MengeWasserausderQuellegetrunken.

Abdias streichelte die Haare und das Angesicht desJünglingsundsagte,erdürfenunschonbeiihmbleiben.DannbereiteteerdieSuppeundgabihmzuessen.Auchvon den Früchten reichte er ihm einen kleinenTeil undsagte, er solle wenig essen, dass es ihm nicht schade;

dennnachseinerRechnungmusstederKnabeanfünfzigStunden nichts genossen haben. Dann ließ Abdias diebeidenTiere,dasKamelunddieEselin,vondemfrischenFutter,welches auf der Inselwar, so viel fressen, als erglaubte,dassihnenzuträglichsei,dieeigentlichmehrandas trockene Futter gewohnt waren. Von diesem tro-ckenen Futter bekamen sie dann noch einen geringenRest; denn esmusste jetzt geschontwerden,weilUramgarkeinenVorratmitsichgenommenhatte,unddasLandunddieGebirgenochfernewaren,womanwiedereinenbekommenkonnte.

»Hast du denn nicht daran gedacht, dass dasKamelmatt werden und dich nichtmehrweiter tragen könnte,eheduunsfändest?«fragteAbdias.

»Freilich habe ich daran gedacht,« antwortete derKnabe,»deshalbhabe ichesso lange trinken lassen,alsesnurwollte,eheichfortritt,auchhabeichihmvondenKörnernzufressengegeben,dieinunsererWohnungla-gen,undwovondueinenTeilausgeschüttethast.«

»HastdueinemunsererNachbarngesagt,dassdudieMeinung gefasst hast, dass ich fortgezogen sei?« fragteAbdiasweiter.

»Nein, ich habe keinemMenschen einWort gesagt,dasssieunsnichtnachfolgen,undunsetwafinden,«sag-tederKnabe.

»Gut,« antwortete Abdias, indem er an der Aufzäu-mungderEselinweiterarbeitete.

Uram hatte indessen die elendeAusrüstung, die dasKamelhatte, indenStandgesetzt,dessen sie fähigwar.MantrafdieVerabredung,dassAbdiasundderKnabe,jenachdemeineroderderanderevon ihnenmüderwürde,inderBenützungdesKameles abwechseln sollten.Mir-tha undDithawurden auf derEselin untergebracht,wiegewöhnlich.AlsallesinOrdnungwar,brachensieauf.

SozognundieaufdieseWeisevergrößerteReisege-sellschaftweiter,undwiedieerstenzweiTagegewesenwaren,warenallefolgenden.NachdemmanvonderInselwegnochdreivolleTagegezogenwar,kammanerst infruchtbares Land und in das gegen sie heranschreitendeGebirge.AbdiashattehierineineinzigesschlechtesDorfabgelenkt, um sich dortmit allemNötigen zu versehen,wasmanbrauchte,undwasauszugehendrohte.DannbogerwiedergegendieEinödenab,diehierganzanderswa-ren,alsinderWüste,abergewissnichtminderschön,er-haben und furchtbar.DieMenschen,Hütten undDörfermeidend zog man weiter, entweder durch Schluchten,oder auf einsamen Bergrücken, oder gegen sachte stei-gendesmitwürzigemGrase versehenesStaffelland.DieVorsichten,welchemanimWeiterziehenundhauptsäch-lich beimNachtlager anwendete,waren jetztweitmehr,alsinderWüste.AbdiashatteauchdenKnabenbewaff-

net;dennerhatteindemRüstzeugederEselinweitmehrWaffen inFächern angebracht, als die zweivierläufigenPistolen,dieerbisherinderWüstebeiseinemNachtlagerimmeranseinerSeitegehabthatte.ErtrugjetztbeiTagevierPistolen inseinemGürtelundhatteeinenschuhlan-gen Dolch in der Gürtelscheide stecken. Dem Knabengab er drei Pistolen, und ebenfalls einen Dolch. JedenMorgenwurdendieLadungenneuuntersuchtundneuge-macht. Bei der Nachtruhe lagen die Pistolen neben denSchlafenden; die Kleider blieben, wie natürlich ist, aufdem Leibe. Auch wurde jetzt alle Nacht zur Verscheu-chungderLöwenund andererTiere einFeuer gemacht,wozudieBrennstoffemühseligunterTaggesammelt,undaufdemKameleweiterbefördertwurden.ZurUnterhal-tungdesFeuersundzurWachemusstenAbdiasundderKnabe abwechseln, und immer einer aufrecht an demFeuersitzenundherumschauen.

AberestrafkeinedergefürchtetenGefahrenein.DieNächte vergingen still und lautlos, mit den feurigenscharfen Sternen aus dem dunkelblauen Himmel jenesLandesherniederschauend;dieTagewarenschimmerndund heiter, und jeder so schön und wolkenlos, oderscheinbar noch schöner und klarer, als sein Vorgänger.DieGliederderGesellschaftwarenwohl,diekleineDi-thawar gesund, unddie freieLuft,welche immerunterdem Tüchelchen ihres Körbchens strich, rötete ihreWänglein,wieaneinemzartenApfel.Manhatteaufdem

ZugewederMenschennochTieregesehen,manchenein-samenAdlerausgenommen,derzuweilen,wiesieweitergingen, hoch über ihnen in den leeren Lüften hing. Eshatte sie ein schönesGlück geleitet, gleichsam als zögeeinglänzenderEngelüberihrenHäupternmit.

AmfrühenMorgendesneunundzwanzigstenTagesihres Zuges, da sie über eine strauchlose sachte anstei-gendeFlächezogen,rissplötzlichdieFarbedesLandes,dielieblichdämmernde,diesienunsovieleWochenge-sehen hatten, ab, und am perlenlichten Morgenhimmeldraußen lag ein unbekanntes Ungeheuer. Uram riss dieAugenauf.Eswareindunkelblauer,fastschwarzerStrei-fen, in furchtbar gerader langer Linie sich aus der Luftschneidend,nichtwiediegeradeLiniederWüste,dieinsanfter Schönheit, oft in fast rosenfarbner DämmerungunerkennbarindemHimmellag;sonderneswarwieeinStrom,undseineBreitestandsogeradeempor,alsmuss-teeraugenblicklichüberdieBergehereinschlagen.

»DasistdasMittelmeer,«sagteAbdias,»jenseitsdes-sendasLandEuropaliegt,inwelcheswirziehen.«

SeinezweiGefährtenstauntendasneueWunderwerkan,undjeweitersiekamen,destomehrentfaltetesichdervorherschmalscheinendeStrom,FarbenundLichterspie-lewaren auf ihm, und amMittage desselben Tages, alssie an demRande des Tafellandes angekommenwaren,rissdie festeErde jähab,siestürztevor ihnenhinunter,

undlegteinderTiefedieFlächedesMeeresvorihreFü-ße. Ein dunkler waldreicher Streifen der afrikanischenKüste lief an dem nassen Saum hin, eine weiße Stadtblickte aus ihm auf, und unzählige weiße Punkte vonLandhäusernwarenindemGrünzusehen,gleichsamSe-gel, die aus demGrün ebenso,wie die andern aus demschreckhaftdunklenBlaudesMeeresleuchteten.

SoschönistderScheidegruß,dendastraurigeSand-land seinem Sohne nachruft, der es verlässt, um diefeuchtenKüstenEuropasaufzusuchen.

Abdias stiegmit denSeinigen in die Stadt hinunter,abernichtindereigentlichenStadthieltersichauf,son-dernweiterdraußen,woeinweißerDammindieblauenWogen lief, vieleSchiffe standen, und ihrStangenwerk,wie die Äste eines dürren Waldes, in die Lüfte hoben.Hiermieteteersich ineinHäuschenein,umzuwarten,biseinSchiffreisefertigwäre,nachEuropazugehen,undihnmitzunehmen.Ergingfastgarnichtaus,außerwennersichindemHafenerkundigte,undUrambliebimmerbei ihm. Das Kamel hatten sie verkauft, weil es ihnenfortanunnützwar,dieEselinabermusste indemHäus-chenuntergebrachtwerden.Solebtensiesehrabgeschie-den dreiWochen, bis einesTages einSchiff ausgerüstetwar,undimBegriffestand,nachEuropaabzugehen,undzwarnachdemPunkte,wohinAbdiasammeistenzielte.ErhattemitdemHerrndesselbeneineÜbereinkunftge-

troffen, und inFolge derselben schiffte er sichmit demKinde,mitUramundmitderEselinaufdasFahrzeugein.MirthahatteihneinerLiebehalber,diesieinderweißenStadtgefundenhatte,verlassen,undwarnichtzubewe-gengewesen, ihmzufolgen.AucheineandereWärterinhatte er nicht bekommen; denn wie große Angebote erauchmachte, die er in Europa zahlen wolle, sobald sieangekommen sein würden, mochte doch keine einzigemit ihmgehen,weil sie ihmnicht traute.Selbst aufdasSchiff,woerdannGeldzuzahlenversprach,folgte ihmkeine,undaufdemLandeGeldzuzeigen,hielterselbernichtfürgut;auchwussteerrechtwohl,dassesnurdazugedienthätte,dassihndannnureinsolchesWeibverratenhätte,ohnedochmitzugehen,weilerdieseLeutekann-te,dasssieanihremFleckeAufenthaltes,wieschlechtersei, haften, und in keinen andern, am wenigsten in dasverdächtigeundgehassteEuropagehen,wodieUngläu-bigenwohnen.AlsostiegeralleinmitUramzuSchiffe.

Als endlich der Zeitpunkt der Abfahrt gekommenwar, und als sie beide auf dem schwimmenden Hausestanden,wurdennundiegroßeneisernenAnkerausdemWasser hervorgezogen, dieWaldesküste begann vor ih-nenzuschwankenundzurückzusinken.Wiesieimmermehrhinausrückten,kamweiteruntennocheinKüsten-strichzumVorscheine,auswelchemdasweißeHausMe-leks leuchtete. Abdias schaute darauf hin, aber wie derStreifenderKüste immerweiterundweiterzurückwich,

das Land endlich gleichsam wie ein törichtes Märcheneingesunken war, und um das ganze Schiff sich nichtsregte, als die Wellen, wie unzählige glänzende Silber-schuppen: saßerniederundversenktedieAugen indieZügeseinesKindes.

Das Schiff ging nun fort und fort – und er saß undhielt das Kind in seinen Armen. So oft diejenigen, dienochmitreisten,hinblickten,sahensiedasselbeBilddesMannes,wieersaßunddasKindaufseinenArmenhielt.Erstandbloßdannaufundgingabseits,wenneresnähr-te,oderreinigte,oderdenLappen,indieeseingewickeltwar, eine andereLage gab, dass es leichter liege.Uramlag zwischen hingeworfenen hölzernenGeräten und ne-beneinemgerungenenkreisförmigenHaufenvonTauen.

EsgibtMenschen,dievielerleiliebenundihreLiebeteilen–siewerdenvonvielenDingensanftgezogen:an-derehabennureines,undmüssendasGefühldafürstei-gern,dasssiedieübrigentausendlindenSeidenfädendesWohlesentbehrenlernen,womitdasHerzderersterntäg-lichsüßumhülletundabgezogenwird.

Abdias und Uram waren immer auf dem Verdecke.Die Fahrtwar sehr schön, derHimmel stets heiter, undeinsanfterZugspielteindenSegeln.WenneinWölkleinan dem Himmel erschien, sahen die Reisenden daraufhin, ob es nicht einen Sturm bringen werde – aber esbrachtekeinen,dasWölkleinverschwandimmerwieder,

einTagwar so ruhigwie der andere, dieWellenwarenkleinalsdientensiebloß,dieFläche,diesonstebenwäre,zuunterbrechenundheiterzubeleben––undsolagei-nesNachmittagsdieschimmerndefreundlicheKüsteEu-ropasaufdemblauenWasser–dieKüsteEuropas,nachwelchem Lande Abdias sich einst gesehnt hatte. MitschmeichelndenWogen trugderOzeandasSchiff,wäh-rend die Sonne gemach nachWesten sank, dem nördli-chen Lande immer näher und näher – ein glänzenderPunktnachdemandernhobsichausderdunkelnFläche,leuchtendeStreifenstandenendlichaufwärts,undalsdieSonnezuletzthinterdenWestrandgesunkenwar,lageinganzer Gürtel von Palästen um die schwarze Bucht ge-schlungen.

DasSchiffmusstenunvorseinenAnkernliegendhar-ren,undseineMenschenundseineSachenbehalten,bisdieZeitumwäre,inderessichzeigensollte,dasseskei-neböseSeuchegebrachthabe.

AlsnundieseZeitvergangenwar,unddieMenschenund dieWaren gelandetwurden,wunderten sich einige,undandere lachten, als einhagererhässlicher JudeüberdasBrettdesBootesschritt, stattPackenvonWareneinkleines Kind an seinem Busen tragend, und wie hinterihmeinfastnacktergelenkerKnabe,gleichsameinschö-nesdunklesErzbild folgte, einehalbverhungerteEselinnach sich ziehend: – auf allen dreien lag dasselbeGrau

derWüsteundderFerne,wieaufdenTierenderWildniseine fremde verwitterte Farbe zu liegen pflegt. – EinenAugenblick staunten die vielen, die da standen und zu-schauten,dieFremdlingean–imnächstenwarendiesel-benvondemStromedesmenschenwimmelndenWelttei-les verschlungen und in seinenWogen fortgeführt. DasBild zeigte wieder sonst nichts, als was es den ganzenTagzeigt: eineunruhigedurcheinandergehendeMenge,dienachihremVorteil,nachihrerLustodernachandernDingenrennt,umstandenvondenruhigen,großen,glän-zenden,oftprachtvollgebautenHäusern.

Wir aber wollen den fremden Ankömmlingen einenAugenblick vorauseilen, um die Stelle anzuzeigen, wowirsiewiederfindenwerden.

EsliegteinsehrvereinsamtesTalineinemfernenundabgelegenenTeileunsersschönenVaterlandes.SehrvielewerdendasTalnichtkennen,daeseigentlichnichtein-mal einenNamenhat, und,wiewir sagten, so sehrver-einsamt ist.Es führtkeineStraßedurch, aufderWägenund Wanderer kämen, es hat keinen Strom, auf demSchiffe erschienen, eshatkeineReichtümerundSchön-heiten, um die Reiselust zu locken, und so mag es oftJahrzehntedaliegen,ohnedassirgendeinirrenderWan-dererüberseinenRasenginge.AbereinsanfterReizderÖdeundStille liegtdarüberausgegossen, ein freundlichSpinnenderSonnenstrahlenlängsdergrünenFläche,als

schienensiemitvorzugsweiserLiebeundMildeaufdie-senOrt,daergegenMitternachtdurcheinenstarkenundbreiten Landrücken geschützt ist, und so die Strahlengünstigaufnimmt.ZurZeit,da sichdaszutrug,waswirhiererzählthaben,wardasTalganzundgarunbewohnt:jetztstehteinnettesweißesHausaufseinemWeidegrun-de,undeinigeHüttenringsherum,sonstistesnochfastsoödewievorher.EinstwarnurderweicheRasengrund,beinahe ganz ohne Bäume, nur hie und da von einemgrauen Steinblocke unterbrochen. Der RasengrundschwingtsichzueinersanftenWiegeherum,die,wiewirsagten, gegen Mitternacht durch einen ansteigendenLandrückengeschlossenist,aufdessenHöheeinFöhren-wald,wieeinmattesBandamHimmelhinzieht;imMit-tageaberhateseineAussicht,diedurchdashereinschau-endeBlauentfernterBergeumschlungenist.SonstbietetdieWiegeaufihremGrundenichtsdar,alsdasGründesBodens und das Grau der Steine; denn die schmaleSchlangedesBaches,derinihrerTiefefließt,istdembe-trachtenden Auge von mäßiger Entfernung aus nichtmehrsichtbar.

An der Mitternachtseite dieses Tales, jenseits desFöhrenwaldes, beginnen wieder die von Menschen ge-pflegtenGegenden,namentlichstehendieFeldergerneingroßen Strichen hinmit der blauenBlume des Flachsesbepflanzt.AuchgegenMittaginnichtgargroßerEntfer-nungsindwiederbebauteFluren.NurdieTalwiege,wie

das oft bei Landbebauern geschieht, weil sie in der TatdemAnbaue größereHindernisse entgegen setzte, standimRufedergänzlichenUnfruchtbarkeit.EswardnieeinVersuchgemacht,zuergründen,obsichdieserRufbestä-tige,sondernmannahmihnvonvornehineinalswahran,und so lag die Wiege Jahrhunderte hindurch unbenütztda.Esgingnureinsehrschmaler,andenmeistenStellenbloß durch das niedergetretene Gras erkennbarer PfaddurchdasTal,aufwelchemPfaderegelmäßigimFrühlin-ge und Herbste einzelne Bewohner eines ziemlich ent-ferntenBergdorfeszueinerweitjenseitsdesTalesliegen-den Gnadenkirche pilgerten, weil zur Kirche durch dasunfruchtbareTaldernächsteWegging.

AlsAbdiasinsehrvielenLändernEuropasherumge-wandertwar,umeineStellezufinden,anderersichnie-derlassenkönnte,undzufälligauchindasobenbeschrie-beneTalkam,beschlossersogleich,hierzubleiben.Wasdiemeistenabgeschreckthatte,dasTalzurWohnungzunehmen,dieÖdeundUnfruchtbarkeit:daszog ihnviel-mehran,weileseineÄhnlichkeitmitderLieblichkeitderWüstehatte.Vorzüglicherinnerteihnunserebeschriebe-neWiegeaneinenTalbogen,derimGraseMossulsseit-wärts jenerStelleherumging, anderderSagenachdieuralte Stadt Ninive gestanden haben soll. Der TalbogenhatteebenfallswieunsereWiegenurGrasohneBäume,nur dass in dem Talbogen Mossuls auch nicht einmalgraueSteineausdemGraseherausragtenunddieeinzige

dämmerndeFarbedesselbenunterbrachen,unddassauchkein so schönesBergesblau hereinblickte,wie in unsereWiege.

Abdias hatte sich vonmehreren Fürsten undHerrenBriefeverschafft,welcheihmerlaubten,inihrenLändernzureisenundsichindenselbenaufzuhalten.ErhatteaucheinenHandelsfreund,denerbishernichtvonAngesicht,sondernnurdurchBriefegekannthatte.Ersuchtedensel-benauf,undverabredetemitihmdenPlan,dass,wennersichgerneeinenFleckLandeserwürbe,aufdemerseinekünftige Wohnung gründen möchte, der Handelsfreunddazu den Namen geben würde, als hätte er selber dasLand gekauft, als bebaute er es selber, als führe er eineWohnungauf,undalsließeernurgegenEntgeltdenJu-denimGenusseallerdieserDinge.Umdennochmögli-chenMissbrauchdesKauf-undEintragbriefeszuvermei-den,würdeAbdiasseinenFreunddurcheineausgestellteGegenforderung gleichen Wertes binden, die er gegendenselbengeltendmachenkönnte.Alser indasödeTalgekommenwar,beschlosser,dazubleiben,sicheinHauszubauen,etwasFelderanzulegenundsicheinzurichten.Er nahm sich deshalb vor, den noch übrigen Rest derGoldstückeausdemRiemzeugederEselinzulösen,unddieenglischenPapiere,welchesogutindenwasserdich-tenWachsseidentäschchen verborgenwaren, aus seinemKaftanzuschneiden.Erwolltealles rechtwohlherrich-ten, und in Gang bringen, damit, wenn er nach Afrika

reiste,umMelekeinMesserindasHerzzurennen–undwenneretwadabeierwischtundumgebrachtwürde,Di-thaversorgt sei.Ermusste sievorheraucheinBisschenerziehen,dasssiegroßgenugwäre,undsichschonselberforthelfenkönne,wennernichtmehrerschiene.

EswundertensichdieBewohnerdesentferntenBerg-dorfes,alseinmaleinerdurchdasunfruchtbareTalzuderGnadenkirchewallfahrtenging,unddieNachrichtzurückbrachte,dassaneinemPlatzedesTalesdasLandaufge-rissensei,undBalkenundSteine,undVorrichtungenher-umlägen,alswürdehierzueinemHäuserbauegeschrit-ten. Und wie wieder einmal ein anderer zu der Kircheging, stand schon Mauerwerk und es arbeiteten Leutedaran.Ein fernerer brachteNachricht vondemweiterenFortschreitendesBaues,manchegingennurdieserneuenSachewegenindieKirche,dasiesonstvielleichtzuei-nerandernZeitgegangenseinwürden–man redeteda-von, bis endlich ein blankes weißes Haus von mäßigerGrößeausdemGründesBodensschimmerte,unddane-benderAnfangeinesGartensgelegtwurde.AufdieFra-gen,wie undwas das sei, kam immer dieAntwort: einfremder,absonderlichundseltsamaussehenderMannlas-sedasallesbauenundhabedenGrunddanebengekauft.

AlsdasweißeHauseinmallängerstand,alsderGar-tenfertigwarunddiehohenfestenPlankenumdenselbenherumliefen,gewöhntensichdieseltenenVorübergehen-

dendaran,alsaneinDing,daseinmalsosei,insbesonde-redaderBesitzerniezuihnenhinauskam,undmitihnenredete,siealsoauchnichtsvonihmzuredenhatten–undsiesahendieDingesoan,wiedieSteine,diehieunddaausdemGrasehervorstanden,oderwiedieGegenstände,diezufälligandemWegelagen.

Abdiasgingnundaran,dadasMauerwerkfertigundnachdemRateseinesBauherrnvollständigausgetrocknetwar,dasInneredesHauseseinzurichten.ErließdoppelteRiegelhinteralleTürenmachen,erließstarkeEisengittervordieFensterstellen,underließstattderfrüherenPlan-ken sogar noch eine hohe feste Mauer um den Gartenführen.DannkamenGeräte,wiesieinEuropagebräuch-lichwaren,unddaruntermischteerEinrichtungen,wieersieinAfrikagehabthatte;erlegtenämlichüberallTeppi-che nicht bloß auf denBoden, sondern auch auf solcheGeräte,diefürkeineverfertigtwaren,ermachteausTep-pichenundweichenFellen,dieerkaufte,BettenzumRu-hen,unddassmandaraufinderKühlederZimmersitzenkönne. Um diese Kühle zu erzeugen, ließ er, wie er esebenfalls inAfrika gelernt hatte,Gemächermit sehr di-ckenMauernverfertigen,indenGemächernhatteernurin großen Zwischenräumen ein paar kleine Fenster, diedoppelte gegliederte Fensterbalken der Art hatten, dassihreDächelchenübereinandergelegt,oderzurHereinlas-sung von mehrerem Lichte waagrecht gestellt werdenkonnten.ErhattedieseBalkeninEuropakennengelernt,

undwendetesiestattderMyrtenan,welcheinderWüs-tenstadt sein oben gelegenes Fenster umrankt und über-wucherthatten,dassdiebrennendenStrahlenderdortigenSonnenichteindringenkonnten.DiekleinenFensterderGemächerabergingennichtunmittelbarindiefreieLuft,sondernineinenandernRaum,derebenfallseineArtGe-mach oderVorhaus bildete, und durch dicke Türen undebenfalls durch gegliederte Fensterbalken zu schließenwar,damitdieStrahlenderSonneundderDurchzugderäußernheißenLuftabgehaltenwürden.LauterAnstalten,die er in Europa nicht nötig hatte. Was ihn schier ammeistenfreute,wareinBrunnen,denihmeinMeisteraneinem stets schattigen Teile seines eigenen Hofes ge-machthatte,womannuraneinemMetallknopfehinundherzuziehenbrauchte,dasskristallhelleseiskaltesWas-serindassteinerneBeckenherausfloss.AnfangswollteerdashäufigeZiehennichtzulassenunddengroßenVer-brauch desWassers hindern, dass es nicht vielleicht zuschnellzuEndegehe,aberdadasWasserdurchzweiJah-reunvermindertundgleichfrischdemZugedesMetall-knopfesfolgte,erkannteer,dasshiereinSchatzsei,denmannichtleeren,densiehiernichtschätzenkönnen,unddenmaninderWüstenstadtfürdashöchsteGutgehaltenhätte.ÜberhauptwarenerundUramindererstenZeitih-resWandernsinEuropaüberdieprächtigenQuellen,dieeshat,entzückt,wundertensich,wiedieLeute,diedale-ben,sichnichtsdarausmachten,undtrankenoft,vorzüg-

lich,wennsieimGebirgewaren,undeinrechtglasklarerStrahlausSteinenhervorschoss,mitLustunddemWas-ser zu Ehren, selbst wenn sie nicht durstig waren. Siepriesen dieWässer des Gebirges vor denen der Ebene,wennihnenauchdasGebirgeselbernichtbesondersge-fiel, da es sie beengte und ihnen dieWeite undUnend-lichkeit benahm, an die sie gewohnt waren. ImGarten,denerbereitsmiteinerhohenMauerumfangenhatte,warabernochnichts,alsGras;alleinaufkünftigenSchattenbedacht, ließerBäumepflanzen,undnahmsichvor,sieselberzupflegenundzubetreuen,dasssieschnellwüch-sen,unddochinwenigenJahrenschonSchattenaufdenRasenundaufdieweißeMauerdesHauseswürfen.FüreineAbteilung,woGemüseundanderenützlicheDingewüchsen, würde er in der Zukunft schon sorgen, jetztmüsseer,dachteer,nurdasNotwendigstezuerst indenvollkommenenStandsetzen.

Die inneren Gemächer waren nun alle eingerichtet,dasHauswar fertig, undvon außengegenAngriffe ge-schützt.DienerundDienerinnenhatteervondemVolkeseinesGlaubensbekommen.

AlsderganzeBauinwohnlichemZustandewar,wo-zu er beinahe drei ganze Jahre gebraucht hatte, ging erdaran,ihnzubeziehen.ErnahmDithaausdemhölzernenHäuschen, welches mit doppelten Holzwänden für dasKindundihnalsNotwohnungerrichtetwordenwar,her-

aus,undließesindiesteinerneWohnungindasfürdas-selbeeigenseingerichteterindemHolzhäuschengehabthatte,mitsichnahm.DasHäuschenwurdenunsofortab-gerissen.

EinZiel,welcheserindemLandeEuropaangestrebthatte,hatteernunerreicht,nämlicheinenWohnplatz.IndiesemsaßernunmitDithaganzallein;dennUramwarschon im Verlaufe des ersten Jahres ihrer europäischenWanderung,obwohlervermögeseinerJugendalles,wasihm aufgestoßen war, mit Neugierde und oft mit Ent-zücken betrachtet hatte, an dem fremden Klima ver-schmachtet.AbdiassaßmitDithaallein.DieserwollteernunalleAufmerksamkeitzuwenden,dasssie,wieersichvorgenommenhatte,einwenigerzogenwürde, indemerbisher,daereineWohnungfürsiebaute,nichtvielZeitgehabthatte,sichnachihrumzusehen,undauchdieDie-ner, die ihr beigegebenwordenwaren, sie bloßnährten,pflegtenundschützten,undimAndernsieliegenließen,wie sienurwollte.Siewaraberübrigens in ihremKör-perchengesundundblühend.Undsolagsienunvorihmda,einehrwürdigRätsel,ausseinemWesenhervorgegan-gen,undeinerunbekanntenEnthüllungharrend.

AbdiasgingnunmitdemselbenEifer,mitdemerbis-her alles betrieben hatte, daran, sich mit Ditha zu be-schäftigen, obwohl er eigentlich nichtwusste,wie er esanfangensollte,siezuentfaltenundvorwärtszubringen.

Erhielt sich schier immer in ihremZimmer auf.Er be-rührtesie,erredetemitihr,ersetztesieinihremBettchenauf,ersetztesieaufdenTeppichdesFußbodens,erstell-tesieaufihreFüße,erversuchte,obsiegehenkönne,erwolltesehen,obsienichteinekleineStreckelaufe,wennerihreinenlockendenGegenstandvorhalte,undsehrvie-leDingedergleichenArt:abersehrbaldsaher,dassdasMädchennichtsei,wieesseinsollte.ErgabdieSchuldaufdiezweiDienerinnen,dieer inEuropabloßzudemeinzigenDienstefürDithagenommenhatte,undwelchenur für ihren Körper gesorgt hatten, dass er gesund seiundgedeihe,fürdiesonstigeEntwicklungabernichtsge-tanzuhabenschienen.

Das Kind war jetzt schon um vier Jahre herum alt,aber es hatte nicht dieArt undWeise einesvierjährigenKindes. Sein Angesichtchen war unsäglich lieb undschön,undesentfaltetesichtäglichmehralsdasreizendeEbenbilddesVaters,wieeraussah,daernochjungundschöngewesenwar; nurwar dieKraft desVaters durchleiseZügederMutter gemildert, die in derBildungdesAngesichteszumVorscheinkamen.DerKörperwarfastder eines vierjährigen Kindes, nur schien er viel zarterund nicht so stark zu den Bewegungen zu sein, welcheKinderindiesemAlterschonzumachenpflegen.AbereslagenauchdieseBewegungennichtinihrenGliedern,derVater wusste nicht, wegen bisheriger Vernachlässigungderselben,oderweil sieüberhauptnochnichtdawaren.

Sie konnte noch nicht gehen, und zeigte auch keinenDrangdazu,wieersichdochsonstschoninvieljüngerenKindernäußert,wennsienachGegenständenihresWohl-gefallenshin streben. Ja sogar sie kroch auchnicht ein-mal,wiedochdieunentwickeltstenKinderversuchen,so-bald sie sich nur sitzend zu erhalten vermögen. WennmansieaufdenBodenniedersetzte,sobliebsieaufdem-selben Platze sitzen,manmochte noch so reizendeGe-genständeoderNaschwerk,dassiesehrliebhatte,inihreNähelegen.Stehenkonntesieschon,aberwennmansieaufdieFüßestellte,bliebsieunbeweglichstehen,klam-mertesichandiesiehaltendeHand,undwennmandieseweg zog, stand sie einsam in der Luft da, strebte nachkeinerRichtungweiter,ihreFüßchenzitterten,undindenMienen sprach sich Angst und die Bitte um Hilfe aus.WennmanihrdanndieHandgab,unddamiteinenihrerFingerberührte,sohieltsiesichschnelldaran,fasstemitbeidenHändchendarnach,undzeigteNeigung,niederzusitzen.Wennman ihr aber das verweigerte, so blieb siestehen, sich an der dargereichtenHand festhaltend, undnichtsweiterversuchend.Amvergnügtestenschiensiezusein,wenn sie in ihremBettchen lag.Da fühlte sie denmeistenHaltumsich,war,wieessonstauchihreWeisewar, sehr fromm, fast nie weinend, langte nach nichts,sondernhieltgerneeineHand inderandern,und tasteteund spieltemit den Fingern der einen in denen der an-dern.AuchdasAngesichtchenzeigtenochnichtdieEr-

regtheit,diesonstKinderhaben,wennsiedurchdieers-tenundvermöge ihreshilflosenKörperchens sehrhefti-gen Verlangungen bewegt werden. Nicht einmal, wennderVater,densierechtgutkannte,mitihrredete,sielieb-kosteoder streichelte, zeigte siedieBelebung,die sonstdie kleinstenKinder haben. Die Züge des unaussprech-lichschönenAngesichtesbliebenimmerruhig,dieAugenmit dem lieblichsten, von Abdias oft so bewundertenBlaustandenoffen,gingennichthinundher,undwarenleerundleblos.DieSeeleschiennochnichtaufdenschö-nenKörperheruntergekommenzusein.IhreZungerede-teauchnochnicht,sondernwennessehrgutging,lalltesieseltsameTöne,diekeinerdermenschlichenSprachenähnlich waren, und von denen man auch nicht wusste,wassiebedeuteten.

Abdias konnte sich nicht helfen, er musste denken,dassDithablödsinnigsei.

Nunwar er eigentlich ganz allein in seinemHause;dennDithawarnochniemand,undUramwargestorben.ErhatteDithanachEuropagebracht, umsie zubergen.SiewareineLüge–ewigmitderselbenreglosenMiene,undmitdenruhigenAugen.Erdachtesich,erwerdevie-leJahresobeiihrsitzen,dannwerdeersterben,ihreZü-gewerdensichauchnichtregen,dennsiewirdnichtwis-sen, dass jemand gestorben ist – undwenn seinAntlitzstarr geworden, dannwird erst recht der alte tote Vater

der jungen schönen Tochter gleichen, so wie sie jetztschon ferne der sanften vor Jahren gestorbenen Muttergleicht.

ErwolltewenigstensausdemblödsinnigenKörpersovielentwickeln,alsausihmzuentwickelnwäre.Erdach-te, wenn er den Körper recht gesund und recht starkmachte,wennerihnzuaußerordentlichenTätigkeitenrei-ze–vielleichtkönnteereineArtSeelehervorlocken,wiejetztjagarkeinevorhandensei.

Er brachte Ditha in eine andere Räumlichkeit; dennsiewarbisherineinemjenerkühlenGemächergewesen,wiewirsieobenbeschriebenhaben.DieneueWohnungwarluftigundlicht,siebestandauszweiZimmern,derenFenster geradezu in das Freie gingen, und deren TürensichaufGängeöffneten,dievieleFensterhatten.ErließnunoftganzeStrömeLuftherein,ließsiedurchdieZim-merstreichenundsetzteDithadarein,dassalleTeileih-resKörpersdiese labendeFlüssigkeitgenießenkönnten.ErreichteihrihreNahrungselber,undbestimmteimmer,worin sie zubestehenhätte.Erwollte sie nämlich rechtleicht und nährend haben, und siemusste in einer ganzbestimmtenOrdnung fertigwerden.DieKleider, die sieanhabensollte,gaberebenfallsselbstan,siesolltenkei-nenTeil desKörpersdrücken, solltennicht zuheißundnichtzukühlsein,unddenZutrittderLuftundderSonnenichtzustarkhemmen.Sooftesnurwegendesindiesen

Ländern so ungleichen Wetters anging, musste sie insFreiegebrachtwerden,undoftganzeTagedarinzubrin-gen.ErnahmsieanderHand, er führte sieherum,undhörtenichteherauf,alsbiseran ihrer immermehrundimmer schwerer anziehenden Hand merkte, dass sieschonsehrmüdegewordensei,undnurmehrdenKörperarmselig schleppe.Wenn die Strahlen derMittagssonnezwarnichtsteilrecht,wieesinseinemVaterlandejährlicheinmal beinahe genau der Fall gewesen war, aber dochsehrwarmherniederschienen,wurdesieleichtbedecktindasGrasdesGartensunterdenScheinderheißenSonnegesetzt,undlangedagelassen,dassaufdemAngesichte,aufderStirneundaufdemNackengroßeTropfen stan-den, und das feine Linnen, das gerne ihren Körper be-deckte, anzuklebenbegann.Dannward sieandersange-kleidet,indieZimmergebracht,unddortgingermitihr,sieanderHandhaltendherum,sieauchöfterindenlan-genGang hinaus führend, und dort auf und ab ziehend.DieFüßchen–dassaherbald–wurdenzunehmendstär-ker.IhrAngesichtmusstetäglichmitSeifeundfrischemWasser gewaschen werden, die schönen blauen AugenbekamenjedenMorgeneinBadvonreinemBrunnenwas-ser,unddieHaare,sogelbundklarwiegoldenerFlachs,musstengekämmtundgebürstetundgewaschenwerden,dassaufdemBodendesHauptesnichteinStäubchenundnicht ein Faserchen vonUnrat lag, sondern dieHaut soreinundebenglänzte,wieaufdemBugedessanfthinab

gehendenNackens.WenneroftimGartenodersonstwovor ihr auf den Knien kniend sich heiser rief: »Dithakommeher–Dithakommeher!«sowardsiedannineinkaltesBadgetan,dessenWassermanimAugenblickeerstausdemBrunnengeschöpfthatte.IhreentkleidetenGlie-derwurdenvonderreinenFlut,dieineinemmarmornensehrgroßenBeckenspielte,umflossen,nasseTücherrie-ben den Körper, und in den hinaufgebundenen gelbenHaarenhingendieklarenTropfenwieDiamanten.Wennes ihrmanchmal zukalt gewordenwar, oderwennmansiezustarkgebürstethatte,dasieherausgestelltwordenwar,sozittertenihreGlieder,unddasAngesichtchenver-zogsichsanftzumWeinen.

SovergingeineZeit,Abdiaswar fastunablässigbeiihr,undbeobachtetedieÄußerungenihresKörpers.

DiemeisteRegungeinerSeele,jaeigentlichdieein-zige, glaubte er, gebe sie gegenKlänge; denn er redeterecht oft undMannigfaltiges zu ihr. Er hatte ein feinesSilberglöckchen – dieses brachte er herbei, und ließ esleise vor ihrenOhren tönen. Siemerkte darauf hin, dassahmandeutlich.UndwiemandenKlangdieTagefortöftervorihrenOhrenwiederholte,lächeltesie–undim-merdeutlicherundimmersüßerwurdediesesLächeln,jeöftermandenschmeichelndenKlangvorsiebrachte.Jaspäterbegehrtesieihnsogarselber;dennsiewardunru-hig, und sprach ihre unbekanntenWorte, bis er begann:

Dannwardsiestille,undeinDing,wieFreude, jasogarwieeinsehrverstandesvollesMienenspiel,schimmerteinihrenZügen.

AbdiaskambeidieserEntdeckungaufeinenGedan-ken, der sichwie einBlitz,wie eine leuchtendeLufter-scheinung durch sein Haupt jagte, er dachte: das arme,gemarterteKindkönnebloßblindsein.

Sogleichbegann er, als ihmdieserGedankegekom-menwar,Versuche, um zu prüfen, ob eswahr sei, odernicht.ErließdasMädchenleichtgekleidetaufseinBett-chenlegen.DannholteereinelangesehrspitzigeNadel,und mit derselben stach er sie in die Hand. Die Handzuckte zurück. Er stach wieder, und sie zuckte wieder.DannberührteerbloßdieHandmitderSpitzederNadel,und siehe, sie zog sich auch zurück. Das Kindmusste,wennessah,nundieNadelkennen,undmusstewissen,dassdie feineSpitzederselbendasSchmerzendesei.ErnähertenundieNadelspitzedemschönengroßen,blauenAugapfel–immermehr–immermehr–fastbiszurBe-rührung:eserfolgtekeineRegung,inruhigemVertrauenstanddasAugeoffen.ErholtenunnochausderKücheeineglühendeKohle,nahmsieineineZangeundnähertesiedemAuge–erschwangsiestilleaberdichtvordemAntlitzeinKreisen,dasssieflammendeLinienzog:abereserfolgteebenfallskeineBewegungindemAngesichte,welchezeigte,dassdasKinddiefeurigenKreisegesehen

hatte. In derselben sprachlosen Ruhe blieb das schöneAuge.Erversuchtenocheins: er schlugmit seinenFin-gerspitzen sehr schnell aber lautlos nahe oberhalb derWimperndurchdieLuft,beiwelchemVerfahrenfastalleMenschenundumsovielmehrdieKinderblinzenmüs-sen:aberDithawusstenichts,dassdieseBewegungensonaheanihrenAugenliedernvorsichgingen.

Es war für ihn nun richtig, und alle bisherigen Er-scheinungen an demMädchen waren ihm klar. Es warblind.InderandauerndenNachtwardiejunge,verkann-te,überdasWesenderWeltahnungsloseSeelebloßhilf-losgebundengewesen,undhattenichtgewusst,was sieentbehre.

Noch in demselben Augenblicke, als Abdias dieseEntdeckung gemacht hatte,wurde in die entfernte Stadtum denArzt geschickt. Er kam erst am nächsten Tage,und bestätigtemit seinenKenntnissen,wasAbdias ver-mutet hatte. Sofort wurde nun wieder ein ganz anderesVerfahrenmitdemKindeeingeschlagen.Eswurdewie-der in ein Zimmer verbannt, es wurde ihm ein kleinerSesselgemacht,aufdessenLehneesdasHauptzurückle-gen konnte, dass dieAugen, die schönen aber unnützenAugen, aufwärts gerichtetwären, dass derArzt und derVaterindieselbenhineinschauenkonnten.Abdiasschau-teofthinein,abernichtdasGeringste,nichtdiekleinsteKleinigkeitwarzuentdecken,wodurchsichdieseAugen

vonanderngewöhnlichenMenschenaugenunterschieden,außer, dass sie schöner waren, als andere, dass sie klarundmildwaren,wiemanseltenmenschlicheAugenfin-denwürde.

Esbegannennun,obwohlderArztgesagthatte,dasserwenigHoffnunggebenkönnte,mehrereVersuche,dieAugenzuheilen,undwurdenlangeZeitfortgesetzt.Ab-diastatallespünktlich,wasderArztvorschrieb,undDi-thalittschierallesgeduldig,obwohldasKindkeineAh-nunghabenkonnte,wasmanmitihmvorhatte,undwel-cheKleinodemanihmzugebenbemühtwar.AlsendlichderArzterklärte,dassseineMittelerschöpftseien,underdas wiederholen musste, was er gleich Anfangs gesagthabe, dass nämlich das Kind wahrscheinlich nie würdehergestelltwerden,sonderndieZeit seinesLebensblindbleibenmusste:belohnteAbdiasdenArztfürseinebishergehabten Bemühungen, und nahm einen andern. AlleinauchdiesertatnacheinigerZeitdieselbeErklärung–undsokameindritter,einvierter,undmehrere.Daalleüber-einstimmten,demKindeseidasLichtderAugennichtzugeben,dadieRatschlägederverschiedenstenMenschen,dievondemÜbelhörtenundsichherzudrängten,verge-bens angewendet wurden, da Abdias bei jedem neuenfehlgeschlagenenVersucheseineHoffnungaufeinetiefe-reStufeherabstimmte:gaberdenRestderselbenendlichganz auf, insbesondere da keine Ärztemehr waren, diemanfragenkonnte,undselteneinMenschkam,dereinen

Ratschlagerteilte,oderwennesgeschah,derselbeschonvonvornehereinalleSpurenderUnvernunftanderStir-netrug.Ergewöhntesichdaran,undnahmdenGedankeninseinEigentumauf,dassereinblindesKindhabe,unddassdasselbeblindbleibenmüsse.

StattnuneineErziehungzubeginnen,diesovielanGeistundLebenentwickelthätte,alsnur immerzuent-wickeln war, verfiel Abdias auf einen ganz andern Ge-danken, nämlich einen ungeheuren Reichtum auf dasKind zu laden, damit es sich durch denselben einstens,wennerstürbe,Händekaufenkönnte,dieespflegen,undHerzen, die es lieben würden. Einen großen Reichtumwollte er aufdasKindhäufen,dass es sichdereinstmitjedem Genusse seiner andern Sinne umringen könnte,wennesschondendeseinenentbehrenmusste.

InFolgediesesEntschlusseswurdenunAbdiasgei-zig.ErentließalleDienerbisaufeineMagd,eineWärte-rinDitas, und einenWächter desHauses.Er selbst ver-sagtesichallesundjedes,erginginschlechtenKleidern,nährtesichschlecht,jawieeinstinseinerfünfzehnjähri-genLehrzeitfingerjetztbeigrauenHaarenanzulernen,wiemanwiederGeldundGuterringenkönne,erfinganzujagenundzurennen,undGewinnundZinsenzusam-meln,erfinganzuwuchern,namentlichmitderZeit,unddies alles um so mehr, gleichsam mit der Angst einesRaubtieres,daihnderGedankeanseinAlterundansei-

nennahenTodverfolgte.ErließsichdaherkeineRuhe–das Geschäft, welches er kannte, und welches ihm inAfrikaReichtümereingetragenhatte,nahmerwiedervor,nämlichdenHandel,ertriebihnso,wieerihninAfrikagetriebenhatte–undwennesinmancherNachtstürmteundtoste,dassderHundinseineHüttekrochundderIl-tis in seinenBau,dasskeinMenschaufderStraßewar,gingdergebeugteschwarzeSchattendesJudenüberdieFelder,odererklopfte,wennersichverirrthatte,aneinkleinesFenster,umeinNachtlagerbittend,dasmanihmoft widerwillig gab, öfter verweigerte; denn, da er jetztvielunterdieMenschenkam,lerntemanihnkennen,under ist einGegenstand desHasses und desAbscheus ge-worden.DasUnglück, inwelchemseinMädchengefan-genwar, schriebman dem gerechtenUrteile Gottes zu,derdenmaßlosenGeizdesVatersstrafenwollte.DieDie-ner,welcheerausseinemVolkegenommenhatte,hieltenesnichtfürgefehlt,wennsieihnbetrogen,undsiehättendieses,wennernurnichtsoscharfsichtiggewesenwäre,gerneinnochgrößeremMaßstabegetan.

Wenn er zuHausewar, saß er immer inDitasZim-mer,sobaldernurseineRechnungenundseineGeschäfteabgetanhatte.DerkleineSesselmit derHinterlehne fürihr schönes Haupt war ihr lieb geworden, sie saß jetztgernedarinnen,obwohlerfürdieaufblühendenundem-porstrebendenGliederzukleingewordenwar.Dakauer-te der Jude auf einem kleinen Schemel neben ihr, und

sprach immerwährend zu ihr.Er lehrte sieWorte sagen,deren Bedeutung sie nicht hatte – sie sagte die Wortenach und erfand andere, welche aus ihrem inneren Zu-standegenommenwaren,dieernichtverstand,unddieerwiederlernte.Sosprachensiestundenlangemiteinander,und jedeswusste,wasdas anderewollte.Sie streichelteöftermitihrenkunstreichenHänden,nachdemsieeinwe-nig inderLuft gesucht hatte, seinehartenWangen, undseineschlichtendünnerwerdendenHaare.ZuweilenlegteerGeschenkeinihreHand,einStückchenStoffzueinemKleide,dessenFeinheitsiegreifenkonnte,undverstand;namentlich Linnen, das sie sehr liebte, dessen Glätte,Weiche und Reinheit sie besonders zu beurteilen ver-stand,unddas,weilsienieunterMenschenkamundPutzbrauchte, nicht nur das ihrem Körper zunächstliegende,sondernmeistensaucheinzigeKleidungsstückwar.WennsieihrlinnenesÜberkleidüberdasunteregetanhatte,umdamit imHausezusein, legtesieseineFaltensoschön,undmachtevornedieSpangezu,dassSehendegeglaubthabenwürden, sie hätte dasWerk vor dem Spiegel ge-macht.UnddannstrichsiemitderHandlängsdesStof-feshinab,undfassteihnzwischenDaumenundZeigefin-ger,undsagte:»Vater,dasistnochweicher,alsdasande-re.«

DieFüßchen,andenenSchuhewaren,stelltesiene-beneinander auf den Schemel, und griff die Weichheitdesselben. Manchmal gab er ihr Esswaren, die er ge-

bracht,Früchteunddergleichen–undwennsiedenKernoder anderes, dasweg zu legenwar, zwischen denFin-gernhielt, suchtesienachderdanebenstehendenTasse,damitjanichtsbeschmutztwürde.

Ihr Gliederbau bildete sich allgemach höher, undwennsieindemGrasedesGartensging,oderdieweißeGestaltnebenderweißenMauerdesselben,sogabsiedasBildeineserwachsendenMädchens.UnterdensehendenWesenwarAsu,derHund,vondemAbdiasammeistengeliebtwurde.Erhatteihneinstens,weilmanseineMut-ter erschlagen hatte, und er noch blind war, aufgelesenunderzogen.DieserHund,daererwachsenwar,begleite-teAbdiasüberall,undwennerhalbeTagelangbeiDithaindemZimmer,odermanchmalauch indemGrasedesGartenssaß,sosaßderHundimmerdabei,wendetekeinAuge von den beiden, als verstünde er, was sie sagten,und als liebte er sie beide.WennAbdias nachts in seinZimmerging,umzuschlafen,legteerdemHundeunterdemTischeseinenTeppichzurecht,undrichteteihn,dasserweichsei.

Mit diesem Hunde hatte Abdias ein Unglück, alswenn es mit dem Manne immer hätte so sein müssen,dass sich dieDinge zu den seltenstenWidrigkeiten ver-ketten.

EswarzueinerZeit,dasichebeninvielenTeilenderGegendFällevonHundswutergebenhatten,dassAbdias

eine Reise nach Hause machte, und zwar auf einemMaultierereitend,undwiegewöhnlichvonAsubegleitet.IneinemWalde,dernurmehreinigeMeilenvonseinemHauseentferntwar,undderLängenachgegenjenenFöh-renwaldmündete, vondemwir obengesprochenhaben,merkteerandemTiereeinebesondereUnruhe,diesichihmaufdrang,weilersonstnichtvielhingeschauthatte.DerHundgabunwilligeTöne,erliefdemMaultierevor,bäumte sich, undwennAbdias hielt, so kehrte er plötz-lichum,undschossdesWegesfort,wohersiegekommenwaren.RittAbdiasnunwiederweiter,sokamdasTierineinigenSekundenwiederneuerdingsvorwärts,und triebdasalteSpiel.DabeiglänztenseineAugensowiderwär-tig,wieAbdiasesniegesehenhatte,sodassihmängstli-cheBesorgnisseaufzusteigenbegannen.ÜbereineWeilekamen sie zu einem kleinen flachen Wässerlein, durchwelches man hindurch reiten musste. Hier wollte derHundnungarnichthinein.AnseinenLippenzeigtesicheinleichterSchaum,erstelltesichvor,undmitheiseremSchluchzenschnappteernachdenFüßendesMaultieres,daesdieselbeninsWassersetzenwollte.Abdiasnahmei-neseinerberberischenPistolenausdemHalfter,hieltdasMaultier einenAugenblick zurück, unddrückte dasGe-wehrgegendenHundab.Er sahdurchdenRauch,wiedasTiertaumelteundblutete.DannritterinderVerwir-rung durch dasWasser und jenseitsweiter.Nachdem ereinehalbeStundeWegeszurückgelegthatte,bemerkteer

plötzlich,dassereinenGürtelmitSilbermünze,denerzudiesemZwecke immerumhatte,nichtmehrhabe–undererkanntedenungeheurenIrrtuminHinsichtdesHun-des.ErhattedenGürtel aneinerWaldstelle, anwelcherer sich eineWeile aufgehalten hatte, hingelegt, und sahnun,dasserihndortvergessenhabe.Sogleichjagteerzu-rück. In Schnelligkeitwar dasWässerlein erreicht, aberAsuwarnichtdort,erlagnichtanderStelle,aufwelcherer erschossen worden war, sondern es zeigten sich nurBlutspurenda.Abdias jagteweiterzurück,undaufdemWegesaherüberallBlut.EndlichkamerandieWaldstel-le,erfanddortdenGürtel–unddensterbendenHundvordemselbenliegend.DasTiermachtevorFreudeunbehol-feneVersuchezuwedeln,undrichtetedasgläserneAugeauf Abdias. Da dieser auf den Hund niederstürzte, ihmLiebkosungen sagte, und dieWunde untersuchte,wolltedas Tiermitmatter Zunge seineHand lecken – aber eswarnichtmehrmöglichundnacheinigenAugenblickenwar es tot. Abdias sprang nun auf, und wollte sich dieweißenHaareausraufen–erheulte–erstießungeheureVerwünschungenaus–erliefgegendasMaultierhinundrissdiezweitePistoleausdemHalfter,undkrampftesei-ne Finger darum. Nach einer Weile warf er sie in dasGrasdesWaldes.DenGürtelnahmerzehnmalauf,warfihnzehnmalhin,und stampfte ihnmitdenFüßen.End-lichalsschonbeinahedieNachthereingebrochenwar,daerdochdenHundkauminderHälftedesNachmittages

erschossen hatte, nahm er den Gürtel mit Dithas Geldewiederaufundbandihnum.ErsuchtediehingeworfenePistoleindemGrase,undstecktesieindasHalfter.DannbestiegerdasMaultier,undschlugwiederdenWegnachHauseein.DaschondasMorgengrauenaufdasödeTalnieder schien, kam er an seinemHause an, alleKleidermit dem Blute des ermordeten Tieres besudelt; denn erhatteesbeinaheinseinenSchoßgelegt,alserdieWundeuntersuchte.ErhattewohlwenigGlaubenandieRettunggehabt, da erwusste,wie gut er in derWüste schießengelernthatte.DenTag,alserangekommenwar,gönnteersichRuhe,amandernabermieteteersichzweiMänner,reistemitihnenzuderWaldesstelle,undsiemusstendenHundvorseinenAugenindieErdeverscharren.

DannkamerzurückundbetriebseineGeschäftefort,wieersievordembetriebenhatte.

EinigeZeitnachdiesemEreignisseverfieler ineineKrankheit.Manweißnicht,war es dieErregung, die ervon dieser Tatsache hatte, oder war es der ihm unge-wohnte feindselige Landstrich, was ihn darnieder warf:genug,dieKrankheitwargefährlich,underkonntesehrlangenichtvonderselbengenesen.

Aber gerade in dieser Krankheit, wo man meinte,dassallesineinfacherRuhenunfortgehenwerde,gesch-ah es auch wieder, dass eine jener Wendungen in demGeschickediesesManneseintrat,wiewirschonöfterGe-

legenheithattensieinseinemLebenzubemerken.Esge-schaheinewundervolleBegebenheit–eineBegebenheit,diesolangewundervollbleibenwird,bismannichtjenegroßenverbreitetenKräftederNaturwird ergründet ha-ben,indenenunserLebenschwimmt,undbismannichtdasLiebesbandzwischendiesenKräftenundunsermLe-benwirdfreundlichbindenundlösenkönnen.Bishersindsieunskaumnochmehralsbloßwunderlich,undihrWe-senistunsfastnochnichteinmalinAhnungenbekannt.

Ditha war beinahe völlig herangewachsen – einschlankesMädchenmitblühendenGliedern,diesichaus-zubildenversprachen, und eine großeSchönheit zu hof-fen berechtigten. Abdias war während seiner KrankheitnichtzuihrinihrZimmergekommen;aberauchsiewarindieserZeitnichtgesundgewesen:einseltsamesZitternwar an ihrenGliedern, das öfter verschwand, öfter kamund anhielt, zu verschiedenen Zeiten erschien, und na-mentlich, wenn heiße dunstige Tage waren. Der Arztkonnteesnichtrechterkennen,undsagte,esseivondemWachsen,weil sie in letzter Zeit ganz vorzüglich in dieHöhegegangensei,undsichdieGliederwiderVermögengedehnt hätten.Bis sie sichvoller rundeten,würdendieErscheinungen verschwinden. Abdias war in den TagenderWiedergenesung,womanschonindenZimmernundindenGrenzendesHausesherumgehenkann,abernochnichtweiterfort,undseinenBeschäftigungennichtnach-zukommenvermag.Alser indiesemZustandeeinesTa-

gesauf seinerStube saß,undmitRechnungenundEnt-würfenbeschäftigetwar,insbesonderedarübernachdach-te, wie er es beginnen müsse, um die Zeit, die er jetztkrankwar,hereinzubringen,dasssieimganzenVerlaufenichtzumNachteilewäre:geschahes,dasseinGewitterheraufzog.Erachtetenichtweiterdarauf,dadieGewitter,dieerhiererlebthatte,sichnichtvonFerneanHeftigkeitund Stärke mit denen vergleichen ließen, die er in derWüstenstadtundsonstinAfrikagesehenhatte.AbermiteinemMale,wieerwiedersorechnete,unddaderRegennochkaum leiseaufdieDächerniederträufelte,geschahein schmetternder Schlag, von Feuer begleitet, das dasganzeHausineinenblendendenScheinsetzte.Abdiaser-kannteaugenblicklich,dassderBlitzinseinHausgefah-rensei.SeinersterGedankewarDitha.Obgleich indenGliedern noch ermüdet, eilte er sogleich in ihr Zimmer.DerBlitzwardurchdasselbegegangen,erhattedieDe-ckeunddenBodendurchgeschlagen,dassdickerStaubinderStubewar,erhattedieeisernenDrähtedesKäfigs,indem das Schwarzkehlchenwar, dessen SingenDitha soerfreute, niedergeschmolzen, ohne den Vogel zu verlet-zen;dennderselbesaßgesundaufseinenSprossen–auchDithawar unbeschädigt; denn sie saß aufrecht in ihremBette,indassiesichgelegthatte,weilsieheuteganzbe-sonders mit dem Zittern behaftet gewesen war. Abdias,der gewitterkundigeWüstenbewohner, sah das allesmiteinemBlicke,erstießnunschnelleinFensterauf,umden

heftigenwidrigenPhosphorgeruchzuverscheuchen,dannsah er gegen Ditha – und wie er genau hinblickte, be-merkte er, dass eine fürchterliche Erregung auf ihremAntlitzelag,wieEntsetzen,wieTodesschreck.Alsernä-herging,umzusehenwieessei,kreischtesie,alsdrohtesich einUngeheuer über sie zu legen, und sie regte dieHändewieabwehrendentgegen–eswardasersteMal,dasssiedieHändenachetwasgeradezuausstreckte.––Eine wahnsinnige Vermutung stieg in Abdias auf: erranntenachdemHerde,aufwelchemmanebeneinFeuerhatte, risseinenglühendenStumpfheraus, lief inDithasZimmerund schwang ihnvor ihrenAugen.Sie aber tatwieder einen Schrei, arbeitete dann heftig mit den Ge-sichtszügen,alswolltesieetwasbeginnen,wassienichtkonnte–endlich,alshättesieesplötzlichgefunden,reg-tensichmiteinmalihreAugenimHaupte,indemsiedenfunkelnden Kreisen des Feuerbrandes folgten. Der Arztwarnichtanwesend.AbdiasranntenachdemHauswäch-ter,undsagte,ergebe ihmhundertGoldstücke,wennerreite, was ein Pferd zu rennen vermöge, und den Arztbringe.DerWächterzogeinPferdausdemStalle,satteltees in Schnelligkeit, und ritt davon.Abdias sah ihm voneinem Fenster aus, das er schnell aufgerissen hatte, zu.Indessen der Mann das Pferd sattelte, hatte Abdias dieEingebunggehabt, alle Fensterbalken inDithasZimmerzuzumachen,undnochdazudieVorhängeherabzulas-sen,damitdieAugenvorerstinderihnenholdenFinster-

nisblieben,undvondemplötzlicheindringendenLichtenicht verletzt würden. Als er dieses getan hatte, wobeiDitha immer stille gewesenwar, hatte er, wiewir obensagten,dasFensterdesGangesaufgerissen,umdemab-reitendenBotenzuzusehen,dannginger leisewieder inihr Zimmer zu ihremBette, setzte sich zu ihr, und fingübereineWeilezuredenan.DieStimmewardasGewis-seste,wassieanihmkannte,undsieübtenachundnachihren gewöhnlichen Einfluss aus.Das geschreckteKindberuhigte sich nach einiger Zeit – und in der FinsternisvergaßesgemachdenfurchtbarherrlichenSturmdesers-ten Sehens.NachmehrerenAugenblicken fing es sogarselberzuredenan,underzählte ihmvonfernenbohren-denKlängen, die da gewesen, von schneidenden, stum-men, aufrechten Tönen, die in dem Zimmer gestandenseien.Erantworteteihraufalles,undsagterechtfreund-licheWortederLiebe.Bisweilen,wenneinkurzerStill-standdesGesprächeswar,standerauf,ranginderFins-ternis dieHände über seinemHaupte, oder er krampftesieineinander,wiemaninHolzoderEisenknirscht,umdie innere Erregung abzuleiten. – Dann setzte er sichdochwiederzudemBette,undblieblängereZeitsitzen,indem er sich mehr und mehr beruhigen lernte. Ditha,welchezuderStimmenocheinanderesMerkmalhinzugebenwollte,fasstenachseinenHänden,undalssiedie-selbenhatte,streicheltesiedarüberhin,umsichzuüber-zeugen,dassereswirklichsei,densiehabe.Erbliebnun

ganzbeiihrsitzen,undsiefingnachundnachan,diege-wöhnlichenDinge,wiesiebeiihralleTagevorkamen,zureden.Sieschienhierbeiimmermüderzuwerden,insbe-sondere,dasie ihmauf seinBefragenerzählte,dassdasZitternganzaufgehörthabe,wasrechtgutsei.NacheinerWeilesagtesiegarnichtsmehr,nachdemsienocheinigezutrauliche unzusammenhängende Worte geredet hatte,richtete ihrKöpfchen auf demKissen zu rechte, und esschlossensichimSchlafedieAugenliederüberdieneuengeradeerstbekommenenundvonihrnochnichtgekann-tenJuwelen.Abdiaslöste,alssieruhigschlief,sachtesei-neHandausderihrigen,undgingindenGartenhinaus,umzuschauen,wiedennjetztderTagdraußenbeschaf-fenwäre.EswarAbend.DasselbeGewitter,welchesDi-thasehendgemachthatte,hatteihmmitHageldasHaus-dachundseinenNachbarndieErntezerschlagen–eraberhattedavonnichtsgemerkt.Jetzt,daer imnassenGrasestand,warallesvorüber.DieGegendwarsehrstille,dieSonnegingeben im tiefenAbendunter,undspannte imMorgen,wohinebendasGewitterhinauszog,einenwei-tenschimmerndenRegenbogenüberdemganzendunkelnGrunddesselben.

NachMitternacht kamendlich der ersehnteArzt.Erhieltesabernichtfürgut,dassanftschlummerndeMäd-chen zuwecken, sondern ordnete an, dass dieUntersu-chungerstbeiTageslichtezugeschehenhabe.Erbilligteübrigens,wasAbdiasgetanhatte.

Als amandernMorgendieSonne aufgegangenwar,wurdeDithasZimmernurinsoweitgelichtet,dassmandenVersuchmitihranstelle,obsiesehe,odernicht;dennihrdasvolleLichtzugeben,hieltmanfürschädlich.DerVersuch war kurz, und der Arzt erklärte, dass sie sehe.Manbeschlossnun,dassdasZimmer,das sienichtver-lassen durfte, nur allmählich gelichtet werde, damit siesichandieGegenstände,dienachundnachhervortauch-ten,gewöhne,unddasAugedurchallzugroßenundun-gewohntenLichtreiznichterkranke.Mansagteihr,sieseiunwohlundmüssedasZimmerhüten,aberdieKrankheitwürdebaldvorübergehen,unddannwürdesiemitihrenAugen sehen. Sie wusste nicht, was sehen sei, aber siebliebgeduldigaufihremkleinenSesselsitzen,lehntedasHaupt auf die Lehne desselben zurück, und hatte einengrünenSchirmüberdenAugen,densiebloßgriff.EineVerhüllungnachderandernwurdevondenFensternzu-rückgetan,einRaumkamnachundnachumsiezumVor-scheine, siewussteabernicht,wases sei–dieFenster-balkenwurdenallgemachgelichtet–endlichwurdendieletztenVorhängederFensteremporgezogen––unddieganze großeErde und der ungeheureHimmel schlug indaswinzigkleineAugehinein.––Sieaberwusstenicht,dassdasallesnichtsiesei,sonderneinanderes,außerihrBefindliches,dassiezumTeilebishergegriffenhabe,unddassieauchganzgreifenkönnte,wennsienurdurchdie

RäumeinunendlichvielenTagendahinzugelangenver-möchte.

Abdias fingnunan,Dithasehenzu lehren.ErnahmsiebeiderHand,dasssie fühle,dassdasdieselbeHandsei,diesiesooftanderihrigenimZimmeroderimGar-tenherumgeführthatte.ErhobsievondemkleinenSes-selempor.DerArztunddiedreiDienerdesHausesstan-den dabei. Er führte sie einen Schritt von dem Sesselweg,dannließersiedieLehnegreifen,dieihrsoliebge-wordenwar,danndieSeitenarmedesStuhles,dieFüße,undanderes–undsagte,dassei ihrSessel,aufdemsieimmergernegesessensei.DannhoberdenSchemelem-por, und ließ sie ihn fühlen, und sagte: hierauf habe siedieFüßegehabt.DannließersieihreeigeneHand,ihrenArm,dieSpitzeihresFußessehen–ergabihrdenStab,dessen sie sichgerne zumFühlenbedient hatte, ließ sieihn nehmen, und die Finger sichtbar um ihn herumschlingen– er ließ sie seinGewandgreifen,gab ihr einStückchenLeinwand, führte ihreHanddarüberhin, undsagte,dasseidasLinnen,welchessiesoliebeundgernebefühlthabe.DannsetzteersiewiederindenSesselzu-rück, kauerte vor sie hin, zeigtemit den zweiZeigefin-gernseinerHändeaufseineAugen,undsagte,dasseiendieDinge,mitdenensienunalles,wasumsieherumsei,sehe,wennauchhundertArmeaneinandergefügtzukurzseien,eszugreifen.ErließsiedieAugenliederschließen,undmitihrenFingerndiedurchsieverhülltenÄpfelgrei-

fen.SiekanntedieKugelngarwohl,diesieöfteransichbefühlthatte–tataberdieFingerschnellwegundöffnetedieLiederwieder.Erwiesihrnun,dasiesaß,alleDingedesZimmers,diesiesehrgutkannte,undsagte ihr,wiesiedieselbengebrauchthabe.UmihrdanndenRaumzuweisen, führte er das widerstrebendeMädchen, weil esanzustoßenfürchtete,durchdasZimmerzudenverschie-denen Gegenständen, von einem zu dem andern, undzeigte,wiemanZeitbrauche,umzujedemzugelangen,obgleichsiealleaufeinmalindemAugeseien.ErbliebdenganzenTagbeiihrindemZimmer.DieäußerenGe-genständedesGartensundderFlurenwollteerihrnochnichtzeigen,damitsienichtmitzuvielaufeinmalüber-ladenwerde,undesihrschade.BeimEssenzeigteerihrdieSpeisen,nannteihrdenLöffel;dennMesserundGa-belhattesiebisherniegehandhabt,undsiefuhrebensoungeschickt zumMunde, wie sie es getan, da sie nochblindgewesenwar.

AmAbende diesesTages hatte dasKind ein bedeu-tendheftigesFieber.ManbrachteeszuBette.

Als es immer dunkler geworden, und endlich dieNachthereingebrochenwar,meintedasKind,esseiwie-derblindgeworden,undsagteesdemVater.Dieseraberantworteteihm,dasseidieNacht,wo,wiesieeswissenmüsse,sichbisherimmerallezuBettegelegthatten,umzu schlafen,weil dasTageslicht, bei demalleindieAu-

gensehen,vergangensei,understnacheinigerZeitwie-der kommen würde, während welcher sich die Augenschließen,unddieMenschenschlummern.Dasssieabernichtblindsei,könneerihrgleichzeigen.Erzündeteei-negroßeLampean,undstelltesieaufdenTisch.SofortzeigtensichwiederalleGegenstände,aberandersalsbeiTage, grell hervortretend und von tiefen und breitenSchattenunterbrochen.DieFlammederLampeerinnerteDithaandenBlitz,und sie sagte, ein solcherHauch seibeiihrgewesen,alsesgesternsogekrachthabe,undderVater dann zu ihrem Bette herein gestürzt sei. AbdiaslöschtedieLampewiederaus,setztesichzuihremBette,nahm sie bei derHand,wie in denTagen derBlindheitund redete mit ihr, bis sie, wie gewöhnlich entschlum-merte.

AlssieamandernTageruhigundgestärkterwachte,unddieDinge imZimmer schonmitvielmehrFassungbetrachtete,alsgestern, ließersieankleiden,unddage-gendieHälfte desVormittags hinderTau auf denGrä-sernvergangenwar,führteersieindenGarten,undnichtnur in denGarten, sondern auch in dasFreie hinaus, indas Tal. Er zeigte ihr hier denHimmel, das unendlichetiefe Blau, in dem die silbernen Länder, die Wolkenschwammen,undsagteihr,dasseiblau,dasweiß.DannzeigteeraufdieErde,wiedie sanfteweicheWiegedesTales so von ihnen hinaus ging, und sagte, das sei dasLand,aufdemsiewandeln,dasWeicheunterihrenFüßen

seidasgrüneGras,dasBlendende,dasihreAugennichtvertragen,unddasnocheinschneidender sei, alsgesterndieLampe,seidieSonne,dieLampedesTages,dienachdemSchlummerimmerkomme,denTagmache,unddenAugendieKraftgebe,allessehenzukönnen.DannführteersieindenHofzudemBrunnen,zogvorihrenAugenandemMetallknopfe,dassderStrahlhervorschoss,undzeigte ihr das ihm somerkwürdigeWasser, und ließ sievon der hellen, kristallenen, frischen Flut einen Trunktun,denermiteinemGlaseschöpfte.ErzeigteihramTa-ge hinüber die Bäume, die Blumen, er erklärte ihr dieFarben,wasnamentlicheinganzNeuesfürsiewar,undwas sie beim Nachsagen nicht nur durcheinander warf,sondern auch ganz unrichtig anwendete, insbesonderewennFarbenundKlängezugleich sich in ihremHauptedrängten.ZwischendenGräsernwarenoftTierchen,dieer ihr zeigte, undwenn einVogel durch dieLuft strich,suchteerihreAugenaufihnhinzulenken.AuchdasGe-henmussteerihrerstbeibringenundangewöhnen,wennsiesovondemGartenwegaufdenAngerdesödenTaleshinauswandelten;dennsiegriffdenBodengleichsammitden Fühlfäden ihrer Füße, und getraute sich nicht dieSpitzeschnellundsichervorsichindasGraszusetzen,weil sie nichtwusste,wie groß oder klein derAbgrundzwischendiesemunddemnächstenTrittesei,wodurcheskam,dasssiejetztimSehenweitunsichererging,alsfrü-her inderBlindheit;denndahattesiedenFuß jederzeit

imBewusstseindesfestenBodens,densiebisherimmergegriffen,vorwärtsgestellt,undhattenichtgewusst,wel-cheungeheureMengevonGegenständenaufdemnächs-tenSchritteliege.Dithahatteanallem,wassiesah,Freu-de, schaute immerherum,undbewunderte insbesonderedasHaus,indemsiewohnten,daseinzigemerkwürdigsteDingdieserArt,dassieaufdemödenGrundedesGraseserblickte. Sie wollte beinahe nicht in die Stube gehen,dasssiedasBlaudesHimmels,dasihrbesondersgefiel,unddaslangeimmerfortgehendeGründesGrundesnichtverliere.Sieschauteineinemfort,undbegriffnicht,wieihreinBaum,einStückMauerdesGartens,odereinflat-ternderZipfeldesGewandesihresVatersgleicheinensogroßenTeilderWeltnehmenkönne,undwiesiemitderkleinenHand,wenn sie sie unter dieStirne lege, gleichalles,allesbedecke.

DerAbend kamwie am vorigen Tagemit Erschöp-funginseinemGeleite,undderVaterschläfertedieToch-terwiegesternein,ummorgen indembegonnenenGe-schäftefortzufahren.

Abdias gab nun denHandel, den er die Zeit her soeifrigbetriebenhatte,auf,undbeschäftigtesichbloßmitDitha,sieindemneuenReichedesSehensfortzuführen.

Was den andern Eltern weit auseinander gerückt,gleichsam inMillionenAugenblicke verdünnt erscheint,daswurdeihmjetztgewissermaßenaufeinmalzugeteilt.

ElfJahrewarenDithasAugenzugehülltgewesen,elfJah-rewarsieaufderWeltgewesen,undhatteaufdasSehenwartenmüssen, nachdem ihr dieseWelt schon auf einerandernSeite,aufderSeitedesengen,dunkeln,einsamenTastenswar zugeteilt gewesen: aberwieman von jenerfabelhaftenBlumeerzählt,dievieleJahrebraucht,umimöden grauen Kraute zu wachsen, dann aber in wenigenTageneinenschlankenSchaftemportreibt,undgleichsammitKnallen ineinemprächtigenTurmvonBlumenauf-bricht:–soschienesmitDitha;seitdiezweiBlumenih-resHauptesaufgegangenwaren,schosseinganzandererFrühling ringsum sieherummitBlitzesschnelle empor;aber nicht allein die äußereWeltwar ihr gegeben, son-dern auch ihre Seele begann sich zu heben. Gleichsamwie dieFlatterflügelwachsen, dassman sie sieht,wennderjungeVogelnochanderStellesitzt,anwelchererausderPuppegekommenwar,diedieFitticheso langeein-gefaltetgehaltenhatte,sodehntedasjungeInnereDithasdieneuenebenersterhaltenenSchwingen–denndieSe-kundenflogenmitKleinodienherbei,aufdenAugenbli-ckenlagenWeltteile,undjederTagendetemiteinerLast,die er ihr auflud.Sowunderbar ist dasLicht, dass auchihrKörperinsehrkurzerZeiteinandererward;dieWan-gen wurden rot, die Lippen blühten, und nach wenigenWochenwarsieinihrenGliedernvollerundstärker.Ab-diashattelauterweißeHaare,seinGesichtwarschwarz,von gekreuzten Narben durchzogen, und in den Zügen

war Verfall eingegraben. So ging er neben der Tochter,diejetztschonschlankundsicherwandelte;dennsiewa-ren schier immer imFreien, dasDitha so liebte, und ernichtminder.

Aber nicht nur schöner ward das Antlitz des Mäd-chens,sondernesbegannauchzuleben,undsichtlichim-mermehrdasSchönstezuzeigen,wasderMenschver-mag,dasHerz.

Wie Abdias vor mehreren Jahren angefangen hatte,plötzlich geizig zu werden, so wusste man jetzt nichtmehr, ist er es noch, oder nicht. Er ging immer nebendem Mädchen. Alle, die den Juden hassten, sahen mitsichtbarlichenWohlgefallenindasunschuldigeAngesichtseinerTochter.

Auch die Augen, die einst so starren unheimlichenBilder,wurdennunmenschlichliebundtraulich;dennsiefingen zu reden an, wie Menschenaugen reden – undFröhlichkeitoderNeugierdeoderStaunenmaltesichdar-innen – auchLiebemalte sich,wenn sie plaudernd undschmeichelndaufAbdiasZügeschaute,dienurihralleinnichthässlicherschienen;dennwasdieAußenweltfürih-reAugenwar,daswarerfürihrHerz–jaerwarihrnochmehr, alsdieAußenwelt;dennsieglaubte immer,er seies,derihrdieseganzeäußereWeltgegebenhabe.

SovergingderSommer,soderfürdasMädchensehrtraurigeWinter,undwiedereinSommerundeinWinter.

Dithagediehimmermehr,undblühteimmerschöner.InzweiDingenwarsieeigentümlichundvondenge-

wöhnlichenMenschenabweichend.DaserstebetrafeinNaturwunder,daswohlzuweilen,

aberseltenvorkommt.AbdiashatteesinjüngerenJahrenauchgehabt,abermitdemAlterhatteessichallmählichverloren.ManbemerktenämlichanDithaseitdemTage,anwelchemderBlitzinihrZimmergeschlagen,undihreNerven umgestimmt hatte, dass sie an Gewittertagen,oder auch nur an solchen,woGewitter drohten, und andementferntenGesichtskreisehinauszogen,ganzbeson-ders lebhaft, sogar heiter und freudig gestimmt sei, un-ähnlichdenandernMädchenundFrauen,welcheGewit-ter gewöhnlich fürchten. Sie liebte dieselben, undwenneineswoimmeramHimmelstand,gingsiehinaus,umzusehen, ob es komme. Einmal in der Dämmerung einersehrgewitterschwülenNacht,dasieebenandemoffenenFensterstandunddementferntenBlitzenzusah,bemerkteAbdias,derhinterihrineinemStuhlesaß,dasseinleich-ter, schwacher, blasser Lichtschein um ihr Haupt zuschwebenbeginne,unddassdieEndenderSeidenbänd-chen, womit ihr Haar gebunden war, sich sträuben undgerade empor ständen. Er erschrak nicht, denn geradedieseswarauchdieErscheinunggewesen,diebeiihminder Jugend öfters ohne Veranlassung und in späterenmännlichenJahrenbeistarkerErregungwahrgenommen,

undihmvonseinerMuttermehralseinmalerzähltwor-denwar.Eristgewöhnlich,wiedieMuttersagte,zusol-chenZeiten sehr heiter gewesen, oder ist sehr stark ge-wachsen. EinenNachteil aber hatte die Erscheinung fürseinenKörperniegehabt.AbdiasbliebganzstillehinterDithaindemStuhlesitzen,undsagteihrnichtsvondem,waseranihrsehe.ErhatteohnedemgleichnachdemTa-ge,anwelchemderBlitzinDithasZimmergefahrenwar,ihreSchlafstelle in einanderesGemachverlegt, jetztdaerdieseErscheinungwahrgenommenhatte, ließer auchsogleichBlitzableiteraufdasHaus setzen,wieer sieanmehrerenOrtenEuropasgesehenhatte.Ererinnertesichjetztauch,dassihmeinmalimMorgenlandeerzähltwor-denwar,dasswennesNachtsandemHimmelblitzeundein Gewitter nicht auszubrechen vermöge, die Blumenuntenmanchmal eine leichte Flamme aus ihremKelcheentlassen,oderdassgareinfesterruhigerScheindarübersteht,dernichtweichtunddochnichtdieBlätterunddiezarten Fäden verbrennt. Ja diese Blumen sind dann gardieschönsten.

Abdias beobachtete nun Ditha genauer, und sah dieErscheinungindiesemSommernochzweimalanihr.ImWinterwarnichtszubemerken.

Daszweite,wasDithaeigentümlichundvonandernMenschen abweichend hatte,warwohl nur eine natürli-che Folge ihrerVerhältnisse, die von allem verschieden

waren,wasMenschengewöhnlichbegegnenkann,eswardie Folge ihres früheren Zustandes und ihrer einsamenEntwicklung.WienämlichbeiandernMenschendasTag-undTraumlebengesondert ist,war esbei ihrvermischt.BeiandernistderTagdieRegel,dieNachtdieAusnah-me:beiihrwarderTagvielmehrdasAusgenommene.Ih-revergangene,lange,vertrauteNachtreichtenuninihrenTag herüber, und jene willkürlichen von andern Men-schennichtverstandenenBilderihrerinnernWelt,diesiesichdamalsgemachthatte,mischtensichnununter ihreäußeren,undsoentstandeinträumendsinnendesWesen,nur zuweilen von einem schnell handelnden unterbro-chen,wieeseigentlichAbdiasNaturwar;esentstandei-neDenk-undRedeweise,diedenandern,welchesiegarnichtkannten,sofremdwar,wiewennetwaeineredendeBlumevorihnenstände.SonsteinsaminihrerNachtsit-zendwarsieauchjetztgerneallein,odermitihremVater,dersiesehrgutverstand.AusjenerlangenNachtmochteesauchherkommen,dasssienichtdiebrennenden,son-dern die kühlen und dämmernden Farben vorzugsweiseliebte, und darunterwieder dasBlau.Als sie einmal et-wasweitvonihremHausewaren,durchdenFöhrenwaldgingen, von dem wir oben geredet haben, und jenseitsdesselben an einem großen blühenden Flachsfelde stan-den,riefsieaus:»Vater,siehnur,wiederganzeHimmelaufdenSpitzendiesergrünenstehendenFädenklingt!«

Sieverlangtehierauf,dasseinStückdavonnachHau-segenommenwürde.Eraberführtesienäher,zogeinigeFäden aus, zeigte ihr die feinen kleinen Blumen, undmachte ihr so klar, dass man nicht gleich ein ganzesStück von diesem Blau wegnehmen könne. Dafür ver-sprach er ihr, dass sie bald zuHause ein solches blauesFeldhabenwerde.

SosprachsieauchvonviolettenKlängen,undsagte,dass sie ihr lieber seien, als die,welche aufrecht stehenundwiderwärtigseien,wieglühendeStäbe.IhreStimme,die sie in der letzten Zeit ihrer Blindheit immer lieberzum Singen, als zum Sprechen erhoben hatte, wendetesichfrühzeitigeinemsanftenklarenAltezu.SolebtesieeineWelt aus Sehen undBlindheit, und sowar ja auchdas Blau ihrer Augen, so wie das unsers Himmels, ausLichtundNachtgewoben.

Als sie denGebrauch ihrerAugenbekommenhatte,und Abdias, wie wir schon oben bemerkten, aufgehörthatte,seineZeitdemHandelunddemHerumreisenzuzu-wenden, finger etwas anderes an.Erhatte zugleichmitdemPlatze,aufwelchemdasHausundderGartenstand,einennichtgarkleinenLandteildesunfruchtbarenTaleserworben. Er hatte diesen Teil bisher unbenützt liegenlassen,undnurwennermit seinenFüßendarüberwan-delte, gedacht: dies gehört mir. Jetzt fing er an, diesenTeilzubebauen,undwollteihnnachundnachinFelder

umwandeln,wie er hinter den verdorrtenPalmen in derWüstenstadtaucheinFeldgehabthatte,aufdemihmet-wasGemüseunddünn stehender niedrigerMaiswuchs.Er dingte Knechte, kaufte die gehörigen Gerätschaften,undfingan.ZumerstenUmgrabenundzurKlärungderErde,dasssieeineSaatannehme,hatteereinegroßeZahlTaglöhnerausentferntenGegendenkommenlassen.Zu-gleichfingerdenBauderScheuernundandererGebäudean,welchebestimmtwaren,dieErnte aufzunehmen.DaallesinzureichendemStandewar,entließerdiefremdenArbeiter,undführtedieSachedurchseineKnechte fort.IndemGartenhatteerwohlschonbeiseinerAnkunftdesSchattenswegenBäumegesetzt,nunabergabernochal-lerlei Gesträuche hinzu, er lockerte einen Teil des Bo-dens,der früherbloßmitGrasbewachsengewesenwar,auf, und legte Blumenbeete an. Auf einer andern SeitedesHauseswurdeErdefürGemüseaufgegraben.

Schon in dem ersten Frühlinge, an welchem Dithasah,wogteeinschönergrünerKornwaldaneinerStelle,an welcher früher nur kurzes fahlgrünes Gras gewesenwar, und graue Steine aus dem Boden hervor gesehenhatten. Als die Halme gelb geworden waren, standengleichsam für Ditha die blauen Cyanen darin. Abdiasgingunteralldemherum,undoftwenndermäßigeVor-mittagswind die reifenden Ähren zu silbernen Wogenmischte, standseineGestalt ausdemRohrfeldhervorra-gend da,wie er denweißen Turban um seine schwarze

Stirne geschlungen hatte, der dunkle Kaftan im Windesich regte, und der großeBart, der vomAntlitze niederhing,nochweißerwar,alsderTurban.

Gleich imerstenSommerwurdeeinStückFeldher-gerichtet,undmitFlachsbesät.Alserblühte,wurdeDi-thahinausgeführt,undAbdiassagte ihr,derganzeHim-mel,derdaaufdenSpitzendiesergrünenstehendenFä-denklinge,gehöreihr.DithastandnunrechtoftvordemblauenTuchedesFeldesundsahesan.AufdemHeim-wegepflückte sie sicheinenStraußvonCyanen,die imKornestanden.

Gegen dieMitte dieses Sommers ging ein mit demgelbenGetreidedesAbdiashochbeladenerWagenindieneugebauteScheuerundwiderlegtedenWahnderinderEntfernung wohnenden Nachbarn, dass das grüne mitSteinenbesäteWiegentalunfruchtbarsei.DiesemWagenfolgtebaldeinzweiter,eindritter–underwurdesolangebeladen,bisallesAusgesätealsErntezuHausewar.Aneinem andern Platzewurde schonwieder zurVergröße-rungderFelderfürdasnächsteJahrgereutet.

SolebteAbdiaswiederineinerandernihmvollkom-men neuen Tätigkeit, und er betrieb sie immer weiter.NachdemmehrereJahrevergangenwaren,hatteerschonallesLand,welchesihmeigengehörte,umgegraben,undersannbereitsdarübernach,anseinenHandelsfreundzuschreiben, dass er durch dessen Vermittlung wieder ein

neuesStückdazubekomme,welcheserbearbeitenwoll-te. SeinenGarten hatte er erweitert, und dieMauer umdasStückziehen lassen.DieGebäude,dieerzumWirt-schaftsbetriebeaufgeführthatte,wurdenzuklein,underbauteimmeranderErweiterung.AuchsannerüberneueDinge,die erunternehmen,undüberAnlagenundBau-lichkeiten,dieererfindenwollte.

Er hattewiedermehrereDiener undMägde genom-men.Das Innere desHauses richtete er fast so her,wiedieWohnungderWüstenstadtzurZeitderEsthergewe-senwar.ErlegteweicheTeppiche,erbautedurchBretterundseideneÜberzügeNischen,ließRuhebettenindiesel-benstellen,undgelbseideneVorhängevorsieniederhän-gen,diemanauseinanderziehenkonnte. InmehrereFä-chertaterDinge,dasssieeinstDitha,wennertotwäre,und siedieSchlüsselbekäme, findenmöge. ImHofrau-me, unddraußen imTale pflanzte erBäumchen, die ihrSchattengeben,wennsieeineMatroneseinwürde.WennernachArtdesAltersnichtschlafenkonnte,oderwennihmdie lange europäischeDämmerung zu langewurde,standerauf,undgingzuihremBette,indemsiemeistensrot und gesund, wie eine Rose schlummerte. Dann sahmanihnindemGartenherumgehen,unddiesundjenesanschauenundbefestigen.

AusBüchern lesen, oder sonst etwas lernen hatte erDitha nicht lassen; es war ihm nicht eingefallen. Von

fremdenMenschenkamnieeinerindasHausdesAbdiasherein, und wenn einWanderer in das Tal kam, so sahman ihnhöchstensmitderhohlenHandausdemBachetrinken,unddannweitergehen.DieKnechtedesAbdiasbearbeitetenseineFelder,tatenwieeranordnete,führtendasGetreideaufdenMarkt,undbrachtendasbestimmteGeldheim,dasAbdiasimmervorauswusste,wievielesseinmüsste,weilerdieMarktpreisekannte.SonstwarensiemeistensuntersichundindemGesindhause,dasamandernEndedesGartensstand;dennobwohlsiehierausdem Volke seines Glaubens genommen worden waren,hattensiedocheineScheuvorihmundseinemabenteu-erlichenWesen. So waren auch die andern Diener. DieZofeDithassaßschierimmerinderStube,weilmansiehatteausderStadtkommenlassen,sienähteKleideroderlas;dennsiehasstedieLuftunddieSonne.AbdiasundDithawarenimmerdraußen.AlserBäumegepflanzthat-te,damitsieSchattengeben,hatteerdenHimmelEuro-pas nicht gekannt, oder nicht auf ihn gedacht; denn siebrauchten hier kaum einen Schatten. Wenn eine heißeSonne schien, dass jedesWesen ermattetwar undWoh-nungoderKühlesuchte,saßDithagerneaufdemSand-wege des Gartens unter abgefallener Bohnenblüte, undließdieMittagsstrahlenaufsichniederregnen,indemsieleiseeineWeisesang,diesieselbererfundenhatte.Abdi-asaber,indemweitenTalare,mitdenfunkelndenAugen,weißemHaupteundBarte,saßaufdemBänkchenandem

Hause, und glänzte imMittagsscheine. So wuchs Dithaauf,gleichsamnebenErlen,WachholderundandermGe-sträuchederschlankeSchafteinerWüstenaloe–sowarensieallein,undaufdemTalelaggleichsameineödeafri-kanischeSonne.

ErhattenachEuropaverlangt,erwarnunda.InEu-ropawurdeernichtmehrgeschlagen,seinEigentumwur-deihmnichtgenommen,alleinerhattedenafrikanischenGeist und die Natur der Einsamkeit nach Europa ge-bracht.

Öfter saß Ditha oben an dem Getreideabhange, biswohinAbdiasganznaheandemFöhrenwaldeseineAn-lagen ausgedehnt hatte, und betrachtete die Halme desGetreides, oder derGräser, die darinwuchsen, oder dieWolken,dieandemHimmelzogen,odersieließGräser-samenüberdiegraueSeideihresKleidesrieselnundsahzu, wie er rieselte. Abdias kleidete sie nämlich gernereich,undwennsienichtindemvonihrnochimmersehrgeliebtenLinnenging,sogingsieindunkelfarbigerSei-de,entwederblau,odergrau,oderviolett,oderschwachbraun–aberniemalsschwarz.DerSchnitt ihresKleideswar wohl von Ferne dem europäischen ähnlich, da dieKleider von ihrerZofe gemachtwurden, aber ermussteimmer so sein, dass die Kleider weit und faltig um siehingen,dasievonihrerHeimatherankeinenDruckge-wöhntwar,undkeinenlitt.Öfterstandsieauf,wennsie

langeandemRandedesKornesgesessenwar,undwan-deltealleinandemSaumedesGetreidesdahin,dassihreGestaltweitindemTalegesehenwurde,wiesieentwederin Linnen leuchtete, oder schwach und unbestimmt inSeideglänzte.Abdiasholtesiedanngewöhnlichab,undsiegingenmiteinandernachHause.Erdachte, ermüssemitihrverständigreden,dasssieselberverständigwürde,und fortleben könnte,wenn er tot sei.Undwenn sie sogingen, redeteermit ihr: er erzählte ihr arabischeWüs-tenmärchen,dichtete ihr südlicheBilder,undwarf seineBeduinengedankengleichsamwieGeierdesAtlasses anihrHerz.ErbedientesichhierzumeistensderarabischenSprache,welchedieseinesVaterswar.Erhattewohl,wieer es in seinen jugendlichen Wanderjahren sich ange-wöhnthatte,sehrschnelldieSprachedesLandesgelernt,undhattesiemitdenen,mitwelchenerfrüherimHandelumgegangenwar, geredet, und redete siemit denen,dieer jetzt im Dienste hatte; aber mit Ditha sprach er amliebsten arabisch.Da er aber auch zuweilen eine andereSprache desMorgenlandes gegen sie gebrauchte, da sieauch sowohl von seinemMunde als auch von dem derDienstleute die Landessprache lernte: so kannte sie ei-gentlich einGemischvon allem, drückte sichdarin aus,undhatteeineGedankenweise,diedieserSpracheange-messenwar.

WennAbdiasnunsovorausdachte,wiealleswerdenwürde;wenneraneinenkünftigenBräutigamdachte,so

fiel ihm die schöne, dunkle, freundliche Gestalt Uramsein, dem er sie gegeben hätte – aber da Uram tot war,konnteersichnichtsandersdenken,alsdassDithaimmerschönerundblühenderwerdenundsofortlebenwürde.

UndinderTatschienes,dassdieserWunschinErfül-lunggehen sollte. Siewar in der letztenZeit bedeutendvollkommenergeworden.IhrKörperwarstärker,dasAu-gewardschöner,dunkler,sehnsüchtiger,dieLippereifer,und ihrWesenkräftiger,wiesiedennüberhaupt in ihrerArtdasTraumhafte ihrerMuttermitdemFeurigenihresVaters verband. Sie liebte diesen Vater unsäglich, undwennsieoftgedrängtwarvonderwildenungebändigtenLiebe,dannnahmsieseinealteHand,unddrücktederenFingergegenihreAugen,ihreStirne,ihrHerz–denKusskanntesienicht,weilsiekeineMutterhatte–erabergabnieeinen,daerhässlichwar.

WeilDithawährendihrerBlindheitfastimmergeses-senwar,oder ihreFüßenurschwachinBewegunghattesetzenkönnen,wennsieging,–jaweilsieeinenbeiwei-temgrößerenTeil ihrerZeit indemBettezubrachte, alsaußerhalbdesselben,sowarihreEntwicklungsehrlang-samgegangen,undobwohlsie,daihrdasLichtderAu-genzuTeilgewordenwar,schnelleralsfrüher,fortschritt,sokamdochdieZeitderReifebeiihrspäter,alssiesonstzukommenpflegt.SiewarschonsechzehnJahrealt,alssieanjenemZeitpunkteangelangtzuseinschien.Ihrfrü-

heresdrängendesWesenstilltesich,dasAugewurdemil-der und schmachtender, und die Glieder waren schlankundfreudig,wiebei jedemvollkommenenWesendieserErde.

AbdiastatsichabsichtlicheinenSchmerzan,odereropferteetwasLiebes,damitnichtdasSchicksaleinGrö-ßeresbegehre.

WiebeiallenMädchenindieserZeitgroßeVerände-rungenvorsichgehen,wienamentlichinDithasStammeeineruhigeSchlankheitdesLeibesundeinzartesScheu-endesBlickesdasHereintretendesJungfrauenaltersan-zeigen,sowardiesesbeiDithaganzbesondersderFall.Ihr körperliches Wesen schien in der Tat in einer ArtSpannungzusein,undobwohlsiefreudigundheiterundfastsokühnwar,wie früher, sowaresdoch,alsseieinAusdrucksüßenLeidensübersieausgegossen.

EswarebenSommerunddieZeitderErnte.DithagingzudieserZeitaneinemNachmittage,der

den andern Leuten recht heiß vorkam, über denHügel-saumeinesKornfeldesempor,dasderVateramTagevor-her hatte abmähen lassen. Sie ging so lange, bis sie andemoberenRandeangekommenwar;dennsiehattedorteinFeldmitFlachs,densiespätgesäthatte,zudemsiesonst,dadasKornstand,immermitUmwegenhattege-langenmüssen, und der jetzt alle Tage inBlüte zu bre-chen versprach. Siewar ganz allein durch die Stoppeln

emporgegangen,undstandganzallein,diehöchsteGe-stalt aufdemSaumederAnhöhe,wennmandenweiterdraußenstehendenFöhrenwaldausnimmt,dessenWipfelnoch näher an dem Himmel hinzuziehen schienen. AufdemKornfeldehattensiedieKnechtedesAbdiashinaufgehen gesehen, die eben über dasselbe Kornfeld nachHausekehrten,weilsieeinGewitterfürchteten.Sieküm-mertensichabernichtweiterumsie.Nureiner,daereinwenigspäterdenVater sah,derDithazusuchenschien,sagte,wennerseineTochtersuche,sieseiobenaufdemBühel.WirklichhattesieAbdiasgesucht;denndiezarteWolkenwandwardichtergewordenundschobsichüberdenHimmelempor,obgleichandemgrößerenTeiledes-selbennochdasreineBlauherrschte,unddieSonnenochheißer nieder schien, als früher.Er stieg also, da er vondemKnechtedieNachrichterhaltenhatte,überdasselbeKornfeld,daswirerwähnten,empor,sahDithaamRandedesFlachsesstehen,undgingganzzuihrhinzu.DasFeldwar über undüber in blauerBlüte, und auf den kleinenzitterndenBlättchen,überdiekeinLüftchenging,warei-negroßeAnzahlvonTierchen.

»Wastustdudennhier,Ditha?«fragteAbdias.»IchschauemeinenFlachsan,«antwortetedasMäd-

chen,»siehe,gesternwarkeineeinzigeBlumeoffen,undheutesindsiealleda.Ichglaube,dieStilleunddieWär-mehabensiehervorgetrieben.«

»SiehstdunichtdieWolkenamHimmel,sagteAbdi-as, siekommenherauf,undwirmüssennachHausege-hen,sonstwirstdunassundkrank.«

»Ich sehe dieWolken,« antwortete Ditha, »aber siekommennochnichtsobald,wirkönnenschonnochhin-unter gehen.Wenn sie aber auch eher kommen, als sieversprechen,sowerdeichdochnichtnass,dennichwillineinsolchesHaus,wiesiehierausGarbengemachtha-ben, hinein gehen,will dort nieder sitzen, und zusehen,wiediesilbernenRegenkugelnindieHalmeniederschie-ßen,davonvonjedemnureinabgemähtesStückchenem-porsteht.Beimirdrinnenaberwirdeswarmundtrockensein.«

AbdiasschautegegendenAbendhimmel,und inderTat schien die Vermutung des Kindes wahr zu werden,dass dieWolken eher kommenwürden, als sie verspra-chen; denn die gleiche und schwachfärbige Wand, dienochvorKurzemandemAbendhimmelstand,hattesichgelöst,undinBallengesondert,diemitweißenRändernüberhingen, und alle Augenblicke die Farbe änderten.Gegenunten,amGesichtskreisehin,warrötlichesGrau.

Abdiaserkannte,dasssievordemRegenkaummehrdasHaus erreichenwürden, und dass vielleicht der RatDithas der Beste wäre. Da er aber der Leichtigkeit desGarbenhausesnichttraute,wennetwaeinWindkäme,sofingeran,miteigenenHändennochmehrGarbenherbei

zu tragen.AlsDitha seineAbsichtbegriff, half sie ihm,biseinsolcherVorratbeisammenwar,dasserdieWetter-seitemit einer dichtenGarbenmauer besetzen, und demGanzeneinesolcheFestigkeitgebenkonnte,dassesnichtleicht vomWinde zu zerreißenwar.GegenMorgen hinließerdieÖffnungfrei,dasssieaufdasSpieldesRegenshinaussehen,undeineÜbersichtaufdenAbzugdesGe-wittershabenkönnten.DasObdachwurdeendlichfertig,aberesrührtesichnochimmerkeinLüftchen,undesfielkein Tropfen.Die gelben Stoppeln lagen vor ihnen, diezarten von dem Schirme der weggenommenen Halmeentblößten Gräschen regten sich nicht, und über demblauenFeldedesFlachseshochinderLuftsangeineLer-che, von dem fernen tiefen Donner zuweilen unterbro-chen.

DithahatteihreGewitterfreudigkeit,siewendetesichgegenAbend,undsagte:»Wieessoherrlichist,wieessounsäglichherrlichist.Weildununauchdabist,oVater,soistesmirnochlieber.«

SiestandenvorihrerausGarbenaufgebautenBehau-sung, schautendieWolken an, undwaren in jedemAu-genblicke bereit, wenn der Regen beginne, sich in dieHüttehineinzusetzen.IndenoberenTeilendesHimmelsmusste schon der Wind herrschen; denn die grauenSchleier,welchedemGewittervorherzugehenpflegen,liefen sichtlich dahin, sie hatten schon die Sonne über-

holt, standen bereits über denHäuptern der Zuschauen-denundeiltengegenMorgen.

AbdiashatteimInnerndesgebautenObdachesmeh-rereGarbenzueinemSitzezurechtgelegt,undsetztesichhinein.Ditha,mitderdenKinderneigentümlichenLiebezurHeimlichkeitsetztesichindemkleinengelbenHäus-chenzuihm.DervorihnengegenMorgenoffengelasse-neRaumnützte gerade so viel, dass sie zu ihrenFüßenein Teilchen Stoppelfeld sahen, dann ein StückchenFlachs, und oben die grauen luftigen Schleier, die amHimmelhinzogen,auchkonntensiedieLerchehören,dieoberhalbdesFlachsessang.DieDonnerwarennochim-mer ferne,obgleichdieWolkenschondenganzenHim-mel angefüllt hatten, und nicht nur über ihre Häupter,sondernauchschonweitgegenMorgenhinausgegangenwaren.

IndiesemVersteckesaßensieundsprachenmitein-ander.

»Glaubstdunichtauch,«sagteDitha,»dassdieWol-kengarnichtdichtsind,unddasssiegewissnichtgroßeundgar schwereTropfenwerden fallen lassen?Eswäremir leid,wennsiedie feinenschönenLinnenblütenher-abschlügen,dieheuteerstaufgebrochensind.«

»Ich denke, dass sogar schwere Tropfen die blauenBlätternichtabzuschlagenvermögen,weilsieerstheuteaufgeblühtsind,undnochstrengehaften,«sagteAbdias.

»Ich liebe die Flachspflanzen sehr,« fing nach einerWeileSchweigensDithawiederan,»eshatmirSaraaufmein Befragen vor langer Zeit, da noch das traurigeschwarze Tuch inmeinemHaupte war, vieles von demFlachseerzählt,aberichhabeesdamalsnichtverstanden.Jetztaberverstehe ichesundhabeesselbstbeobachtet.SieisteinFreunddesMenschen,diesePflanze,hatSaragesagt,siehatdenMenschenlieb.Ichweißesjetzt,dassessoist.ZuersthatsiedieschöneBlüteaufdengrünenSäulchen,dann,wennsietotist,unddurchdieLuftunddasWasserzubereitetwird,gibtsieunsdieweichensil-bergrauenFasern, aus denendieMenschendasGewebemachen,welches,wieschonSarasagte,ihreeigentlichsteWohnung ist, von derWiege bis zumGrabe. Siehst du,das ist auch wahr: – wie sie nur so wunderbar, diesePflanze,zudemweißenlichtenSchneezubleichenist–dannlegtmandieKinder,wennsierechtkleinsind,wieichwar,hinein,undhülltdieGliederzu– ihrerTochterhatSaravielLinnenmitgegeben,dasiefortzog,umdenfremdenMann zu heiraten, der sie wollte; sie war eineBraut, und je größere Berge dieses Schnees man einerBraut mitgeben kann, desto reicher ist sie – unsereKnechte tragen dieweißenLinnenärmel auf den bloßenArmen–undwennwirtotsind,hüllensiedieweißenTü-cherumuns,weißtdu.«––

Sie schwieg plötzlich. Ihmwar es, als hätte er seit-wärtsanderGarbeeinensanftenScheinloderngesehen.

Erdachte,siehabewiederihrenSchimmer;dennerhatteschon früher alle Spitzen vonBändchen undHaaren anihr aufwärts stehen gesehen. – Aber sie hatte ihrenSchimmernichtgehabt.Daerhinblickte,warschonallesvorüber.EswaraufdenScheineinkurzesheiseresKra-chengefolgt,undDithalehntegegeneineGarbezurück,undwartot.

KeinTropfenRegenfiel,nurdiedünnenWolkenrie-selten,wieschnellgezogeneSchleier,überdenHimmel.

DerGreisgabnichteinenLautvonsich, sondernerstarrtedasWesenvorsichan,undglaubteesnicht,dassdiesDingseineTochtersei.IhreAugenwarengeschlos-senundderredendeMundstandstille.

Erschütteltesie,undredete ihrzu––abersiesankausseinerHandundwartot.

ErselberhattenichtdiegeringsteErschütterungemp-funden.Draußenwares,alsseiauchnochkeinGewitteran die Stelle gekommen. Die folgenden Donner warenwieder ferne, esgingkeinLüftchen,undzeitweise sangnochdieLerche.

DannstandderMannauf,luddastoteMädchenme-chanischaufseineSchulterundtrugsienachHause.

ZweiHirten,dieihmbegegneten,entsetztensich,wiesie ihn so imWinde,dermittlerweileaufgestandenwar,

schreitensahen,undwiedasHauptundderArmdesKin-desrückwärtsseinerSchulterherabhing.

DasneueWunderundStrafgericht,wie sie esnann-ten,flogsogleichdurchdasLand.AmdrittenTagenachdem Unglücke kamen Brüder seines Volkes und legtendieLilieindieErde.

DasGewitter,welchesdemKindemitseinerweichenFlammedasLebenvondemHauptegeküssthatte,schüt-teteandemTagenochaufalleWesenreichlichenSegenherab,undhatte,wiejenes,dasihrdasAugenlichtgege-ben,mit einemschönenRegenbogen imweitenMorgengeschlossen.

Abdias saß nach diesem Ereignisse auf dem Bänk-chen vor seinem Hause, und sagte nichts, sondern erschautedieSonnean.ErsaßvieleJahre,dieKnechtebe-sorgten auf Anordnung des Handelsfreundes, von demwiröftergeredethaben,dieFelder–ausDithasGliedernsprosstenBlumenundGras–eineSonnenachderandernverging, ein Sommer nach dem andern – und erwusstenicht,wie langeergesessenwar,dennnachglaublichenAussagenwarerwahnsinniggewesen.

Aufeinmalerwachteerwieder,undwolltejetztnachAfrika reisen,umMelekeinMesser indasHerzzusto-ßen;abererkonntenichtmehr;dennseineDienermuss-tenihnamMorgenausdemHausebringen,undmittagsundabendswiederhinein.

Dreißig Jahre nach dem Tode Dithas lebte Abdiasnoch.Wielangenachher,weißmannicht.InhohemAlterhatteerdieschwarzeFarbeverloren,undwarwiederge-bleicht worden, wie er in seiner Jugend gewesen war.VieleMenschen haben ihn auf der Bank seines Hausessitzengesehen.

EinesTagessaßernichtmehrdort,dieSonneschienaufden leerenPlatz,undaufseinenfrischenGrabhügel,ausdembereitsSpitzenvonGräsernhervorsahen.

Wiealtergewordenwar,wusstemannicht.Manchesagten,esseienweitüberhundertJahregewesen.

DasödeTalistseitderZeiteinfruchtbares,dasweißeHausstehtnoch,jaesistnachderZeitnochverschönertundvergrößertworden,unddasGanzeistdasEigentumderSöhnedesHandelsfreundesdesAbdias.

SoendetedasLebenunddieLaufbahndesJudenAb-dias.

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byLucaCalcinai