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Bild Der Wissenschaft - Januar 01, 2014

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Die 1. Ausgabe des Bild der Wissenschaft im März 2014

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Weitere Themen: Harappa + Ägypten + Levante + Kleinasien + Steppenvölker + Asien + Maya + Andenkulturen

FRIEDERIKE FLESSDeutschlandsChef-Archäologinim Interview

MINOER

MESOPOTAMIENRevolution imfruchtbaren Halbmond

ANGKOR WATDie Tempelstadtder Khmer

Wiege der Zivilisation

GEHEIMNISVOLLEHOCHKULTUREN

Erste europäischeHochkultur

Ausgabe 01/2014Verstehen, was dahinterstecktSPEZIAL

Mit dem Themenheft „Geheimnisvolle Hochkulturen“ startet das Magazin bild der wissenschaft eine völlig neue Sonderheftreihe. Die Erstausgabe erläutert in zehn spannenden Etappen, wie Weltreiche einst entstanden sind, was man heute über sie weiß und an welchen Rätseln Archäologen sich immer noch die Zähne aus-beißen. Die Bandbreite des Sonderheftes reicht vom alten Ägypten bis zu den mysteriösen Steppenstädten Zentralasiens, von der Megacity Angkor im Dschungel des heutigen Kambodschas bis zur Ingenieurskunst der Maya in Mittelamerika. Wenn Sie die opulent ausgestat-tete Sonderausgabe gelesen haben, wissen Sie bestens Bescheid über die Wiegen unserer Zivilisation.

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Verlag: Konradin Medien GmbH, Ernst-Mey-Str. 8, 70771 Leinfelden-Echterdingen, Geschäftsführer Peter Dilger, Amtsgericht Stuttgart HRB 222257Abo-Vertrieb: Zenit Presseservice GmbH, Julius-Hölder-Str. 47, 70597 Stuttgart, Geschäftsführer Joachim John

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(Das Porto übernehmen wir für Sie).

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Die Annäherung zwischen Iran und den westlichen Staaten ist ein Grund zur Freude. Durch die Wahl von Hassan Rohani zum Staatspräsidenten im Juni 2013 kommt Bewegung in die seit Jahrzehnten verhärtete Front. Hoffen wir, dass auch die im Oktober 2013 in Genf wieder aufgenommenen „Atomge -spräche“ ein präsentables Ergebnis hervorbringen und die Welt sicherer ma-chen. Die beginnende Öffnung des Landes ist für uns Anlass, eine Leserreise

in das traditionsreiche Land anzubieten. Sie führt ab 15. September 2014 an die prächtigsten und interessantesten Orte in der westlichen Lan-deshälfte. Und sie bringt die Reisegruppe zu der archäologischen Ausgrabung in Gohar Tepe am Kaspischen Meer, die ein Deutscher in den jüngsten Jahren maßgeblich vorangetrieben hat: Dr. Christian Piller. Der Münchner Archäologe begleitet uns während der gesamten 20-tägigen Reise in den Iran (mehr darüber ab Seite 72). Wie Sie, liebe Leserinnen und Leser, es von bisherigen bild der wissenschaft-Reisen ken-nen, sind die von uns ausgewählten wissen-schaftlichen Begleiter in zweifacher Hinsicht exzellent. Zum einen durch ihr Wissen – und

zum anderen bei der Wissensvermittlung. Beispiele dafür sind: Die deutschsprachige US-Geophysikerin Dr. Peggy Hellweg, die schon zwei Reisegruppen geowissenschaftlich begleitete. Prof. Günther Hasinger, der deutsche Direktor des Institute of Astronomy, der soeben auf Hawaii eine bdw-Lesergruppe begeisterte. Prof. Friedemann Schrenk, der in Malawi 28 Leserinnen und Leser an die Fundstellen von 2,5 Millionen Jahre alten Hominiden führte. Dr. Achim Weiß, den wir bei unseren Reisen immer wieder gern als Experten dabeihaben, weil er astronomische Sachverhalte eindrucksvoll schildert. Ich bin überzeugt: Auch Christian Piller, den ich selbst mehrfach getroffen habe, wird bei den Iran-Reisenden in bester Erinnerung bleiben. Exklusiv für unsere Abonnenten enthält diese Ausgabe eine besondere Zugabe: ein bild der wissenschaft plus zur Technologie in Deutschland. Zusammen mit der Fraunhofer Gesellschaft, der größten Einrichtung der angewandten Forschung in Europa, schildern wir in einem guten Dutzend Beiträgen, wo-hin und wie sich der Technologie-Gigant Deutschland entwickelt.

Der Iran öffnet sich – und bdw ist dabei

Wolfgang Hess, Chefredakteur

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ZUR SACHE

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Helfen Sie mit!“Eva Brenner, Dipl.-Ing. für Innenarchitektur, TV-Moderatorin von „Zuhause im Glück“

Spendenkonto: 2 4000 3000Commerzbank Köln (BLZ 370 800 40)

Taifun Haiyan

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TITEL_PARALLELE WELTEN Mehr Horizonterweiterung geht nicht: Neben unserem eigenen Universum gibt es unüberschaubar viele andere. Davon sind immer mehr Kosmologen über-zeugt. bild der wissenschaft hat ihre Argumente unter die Lupe genommen.

ACKERBAU IM 11. STOCK Mitten in den Megacitys der Entwicklungsländer könnten künftig Reis, Gemüse und Salat wachsen – in Farm-Hochhäusern. Auch der Wunsch nach erholsamem Grün lässt in Städten neue architektonische Ideen sprießen.

INHALT

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LEBEN & UMWELT

bdw NACHRICHTEN

8 Genial vernetztes Gehirn Einsteins dicker Balken 9 Viren gegen Krebszellen Parvovirus H1 weckt Hoffnungen 10 Kleine Rente – früher Tod Lebenserwartung in Ost und West 12 Verwandtschaft in Tirol Ötzis Gene sind nicht ausgestorben

16 SCHWERPUNKT GESUNDES LEBEN Spinat macht stark Popeye hatte recht – auch wenn er von Nitrat nichts ahnte 20 Brötchen sind böse Wem „glutenfrei“ wirklich nützt 24 Klimawandel – na und? Tierische Anpassungskünstler 28 Neue Runde im Kampf

gegen Krebs Zellgift an Antikörper gekoppelt 32 Achtung: Tollwut! Fledermäuse übertragen das gefährliche Virus

ERDE & WELTALL

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36 TITEL PARALLELE WELTEN 38 Unser Universum ist nicht

das einzige Die Hypothese vom „Multiversum“ 41 Was ist ein Universum? 42 Was ist die Kosmische Inflation? 45 Szenario I: Die Ewige Inflation

46 Szenario II: Die Stringlandschaft

48 Szenario III: Das wabernde

Quantenvakuum

50 Welche Probleme löst ein

Multiversum?

52 Ist das noch Wissenschaft? 54 Ackerbau im 11. Stock Von Farm-Hochhäusern und schwimmenden Erholungsparks

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32 32 ACHTUNG: TOLLWUT! Die Warnschilder sind verschwunden, die Gefahr jedoch nicht. Vorsicht: Keine Fledermäuse anfassen!

GÖTTER, GRÄBER UND GERÄTE Der neue Trend in der Archäo-

logie: zerstörungsfreie Fern-erkundung. Bodendenkmäler

bleiben unangetastet dort, wo sie sind – im Boden.

BRÖTCHEN SIND BÖSE „Glutenfrei“ steht auf vielen Lebensmitteln im Supermarktregal. Auch wenn einige Hollywood-Promis das behaupten: Schlank machen die Produkte nicht. Aber Magen-Darm-Geplagte können von ihnen profitieren.

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TECHNIK & KOMMUNIKATION

88 Mit Ecken und Kanten Hendrik Weihs revolutioniert die Rückkehrtechnik für Raumschiffe 94 Cookies mit Code Digitale Technik täuscht den Geschmackssinn 98 Flotter Dreier Stabilitätswunder aus dem Saarland: der Trikopter

KULTUR & GESELLSCHAFT

3 Zur Sache

6 Bild der Wissenschaft

14 Leserbriefe

15 bdw-Preisrätsel vom Oktober:

Auflösung und Gewinner

15 Impressum

78 Nachlese Neue populäre Wissensbücher 103 Deutschland im Blick Zoo sucht Tier 104 Spieltrieb Preisrätsel: Heinrich Hemmes Cogito 105 Vorschau

106 Nachgehakt Was wurde eigentlich aus ...?

RUBRIKEN

62 Götter, Gräber und Geräte Warum Archäologen nicht mehr graben wollen 68 Erwachendes Persien Die politische Entspannung tut auch der Forschung gut 69 „Ich liebe den Iran“ Der Archäologe Christian Piller erlebt, wie das Land sich öffnet 72 Zeitreise in Persien bdw-Leserreise zu den Schätzen des Orients 74 Leid macht Kinder zu Greisen Was Misshandlungen anrichten 80 „Das Bauchgefühl ernst nehmen“ Markus Weißkopfs Zwischen bilanz für „Wissenschaft im Dialog“

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BILD DER WISSENSCHAFT

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Der Wal-Mann Reinste Knochenarbeit: Reenhard Kluge beim Zusammensetzen eines Zwergwalskeletts. Das Tier, das im August 2012 am Hindenburgdamm bei Sylt gestrandet war, vervollständigt jetzt die Walausstellung des Nationalparks Wattenmeer in Tönning. Die Präparation des Skeletts übernahm ein renommierter Experte auf diesem Gebiet, Reenhard Kluge. Er hat bereits mehr als 25 Wale für verschiedene Ausstellungen und wissenschaftliche Zwecke präpariert. Die Aufnahme gelang dem Hamburger Fotografen Olaf Tamm (*1963). Seine Arbeiten sind in mehreren Büchern publiziert und werden international ausgestellt.

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Diese Ausgabe bzw. ein Teil dieser Auflage enthält Beilagen von: RSD Reise Service Deutschland GmbH, Kirchheim.Wir bitten unsere Leser um Beachtung.

Wieso war Albert Einstein ein so großer Denker? Nach den Gründen suchen For-scher seit nahezu 60 Jahren im Gehirn des Physikers. Nachdem Einstein am 18. April 1955 im Alter von 76 Jahren in Princeton gestorben war, stahl der ame-rikanische Pathologe Thomas Harvey sein Hirn. Harvey schnitt das Organ in dünne Scheiben, die er in zwei Einweckgläsern konservierte. Erst 1997 – nach einer Odyssee durch die USA – übergab der Pathologe Einsteins Gehirn an dessen Enkelin. Zuvor hatte er es Wissenschaft-lern zur Verfügung gestellt, die es genau untersuchten und fotografierten. Eine schlüssige Erklärung für die herausragen-de Intelligenz des Nobelpreisträgers fan-den sie damals anhand der Bilder und an-

derer Daten jedoch nicht. Die Anatomen hatten sich bei den Untersuchungen vor-wiegend auf Gewebestruktur und Masse des Physikerhirns konzentriert.

Jetzt haben chinesische und ameri ka -nische Wissenschaftler einige der Auf-nahmen mit einem neuen Farbgebungs-verfahren genauer unter die Lupe genom-men. Und sie glauben, eine Erklärung für die Brillanz Einsteins gefunden zu haben. Wie das Team um Weiwei Men von der East China Normal University in Schang-hai feststellte, war Einsteins Corpus Cal-losum – der sogenannte Balken – außer-gewöhnlich dick.

Das Corpus Callosum, das aus Millio-nen von Nervenfasern besteht, verbindet die rechte mit der linken Hirnhälfte. Je

EINSTEIN

Genial vernetztes Gehirn dicker diese Hirnregion ist, desto mehr Nervenfasern enthält sie, und desto bes-ser sind die beiden Hirnhälften mitein -ander vernetzt. Dies soll sich signifikant auf das Zusammenspiel der für Intuition zuständigen rechten Hälfte mit der ratio-nal und analytisch arbeitenden linken Hälfte auswirken.

Die Forscher überprüften die Einord-nung von Einsteins Corpus Callosum an-hand einer eigenen Statistik. Sie vergli-chen die Bilder mit Aufnahmen der Ge -hirne von 67 zufällig ausgewählten „nor-malen“ Menschen. Wie sich herausstell-te, war bei keinem dieser Gehirne die Verbindung zwischen den beiden Hälften so stark wie bei dem Begründer der Relati vitätstheorie.

Nach Albert Einsteins Tod wurde dessen Gehirn präpariert und zum Teil in Scheiben geschnitten (farbige Bilder). Jetzt erkannten Forscher anhand der Präparate, dass der „Balken“ in Einsteins Hirn besonders dick war. Sie sehen darin eine Erklärung für die Genialität des Physikers.

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Redaktion: Hans Groth, [email protected]

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Computer-Darstellung des Parvovirus H1, das Krebszellen befallen und töten kann.

Viren gegen Krebszellen Seit Jahren werden am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg Parvoviren erforscht – ins-besondere das Parvovirus H1. Es ist für Menschen ungefährlich und besitzt eine ganz besondere Fähigkeit: Es kann Krebszellen befallen und töten.

Wissenschaftlern des DKFZ um An-tonio Marchini ist es jetzt gelungen, dieses Potenzial so zu verbessern, dass eine Krebstherapie mit dem Par-vovirus H1 möglich erscheint. Das Team benutzte dazu das Medikament Valproinsäure. Die Substanz gehört zu den sogenannten HDAC-Inhibitoren, die dafür sorgen, dass durch chemi -sche Prozesse stillgelegte Gene wie-der abgelesen werden können.

Zunächst konfrontierten die For-scher im Laborversuch Zellen von Bauchspeicheldrüsen- und Gebär -mutterhalskrebs in Gewebekultur mit einer Kombination aus Parvoviren und Valproinsäure. Bei beiden Krebsarten regte die Säure die Vermehrung der Viren so signifikant an, dass diese die Tumorzellen stark reduzierten und teil-weise vernichteten. Der gleiche Effekt zeigte sich im Versuch mit Ratten. Bei Tieren, die nur mit Parvoviren behan-delt wurden, ließ sich der Krebs nicht zurückdrängen. Marchini ist über-zeugt: „Diese Kombinationstherapie hat das Potenzial, bei schweren Krebs-erkrankungen das Tumorwachstum aufzuhalten.“

Kompetente Beratung? Viele Ärzte können die Nebenwirkungen von Medikamenten nicht gut einschätzen.

Überschätzte Risiken „Zu Risiken und Nebenwirkungen fra-gen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“, heißt es immer nach der Werbung für Medikamente. Dass die Qualität der Antworten jedoch zu wünschen lässt, zeigt jetzt eine Studie von Forschern des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck.

Das Team um Andreas Ziegler hatte 600 Ärzten einen Fragebogen geschickt. Sie sollten einschätzen, was es bedeu-tet, wenn Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel eines Medikaments als „häufig“, „gelegentlich“ oder „selten“ angegeben werden. Die Begriffe sind vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte genau definiert: „Häufig“ bedeutet, dass Nebenwirkun-gen bei einem bis unter zehn Prozent der Patienten auftreten. „Gelegentlich“ heißt bei 0,1 bis unter 1 Prozent, und bei „selten“ gibt es Nebenwirkungen bei 0,01 bis unter 0,1 Prozent der Patienten.

Das Ergebnis der Befragung war für Ziegler ernüchternd: Nur wenige Ärzte konnten die Begriffe richtig zu -ordnen. Die größten Probleme gab es bei der Bezeichnung „häufig“. Lediglich 4 von 100 Medizinern lagen hier richtig, im Schnitt gaben sie eine Nebenwir-kungsrate von 60 Prozent an. Andreas Ziegler betont: „Das ist ein Problem: Wenn Patienten von ihrem Arzt falsch in-formiert werden, verzichten sie mögli-cherweise darauf, ein wichtiges Präpa-rat einzunehmen.“

PLUS UND MINUS

bdwNACHRICHTEN>> Mehr Informationen unter: www.wissenschaft.de/bdw-heft

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KURZ UND BÜNDIG

KÜNSTLICHER KEHLKOPF Erstmals haben Mediziner einem Men-schen erfolgreich einen künstlichen Kehlkopf implantiert. Das Team um Christian Debry von der Universität Straßburg führte die Operation an einem Mann durch, der Kehlkopfkrebs hatte. Der Patient kann inzwischen wieder nor-mal atmen, essen und sprechen.

BLUTIGES FOSSIL Das älteste Fossil einer Stechmücke, die mit Blut vollgesaugt ist, haben US-Forscher um Dale E. Greenwalt vom National Museum of Natural History in Washington entdeckt. Es ist 46 Millionen Jahre alt und stammt aus der Sammlung

eines Insektenkundlers, der es im US-Bundesstaat Montana gefunden hatte. Das Blut könnte von einem Vogel stam-men, meint Greenwalt. Zu beweisen sei dies allerdings nicht, weil sich daraus keine DNA mehr gewinnen lässt.

ZU VIELE MAILS Nur an drei Tagen in der Woche arbeiten Angestellte in deutschen Büros wirklich produktiv. Das besagt eine Studie von Forschern um Daniel Markgraf von der AKAD Hochschule in Leipzig. Für die mangelnde Effizienz sei vor allem die wachsende Zahl von E-Mails verantwort-lich, die bearbeitet werden müssen. An zweiter Stelle liegen Besprechungen.

HOCH HINAUS Einen Ausflug an die Grenze des Weltalls mit einem Hightech-Ballon will das US-Unternehmen World View Enterprises 2016 anbieten. Eine Kapsel soll acht Passagiere in 30 Kilometer Höhe beför-dern. Der Trip mit dem helium gefüllten Ballon dauert fünf Stunden und kostet pro Kopf 75 000 Dollar.

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Wie Schimpansen feste Freundschaften schließen, haben Wissen-schaftler um Jorg J. M. Massen von der Universität Wien und Sonja E. Koski von der Universität Zürich erforscht. Sie beobachteten dafür jahrelang in Zoos, welche Schimpansen besonders häufig Körper-kontakt miteinander hatten. Dies gilt als deutliches Zeichen für eine enge Beziehung. Außerdem erstellten sie mit Verhaltensexperimen-ten Persönlichkeitsmuster der Tiere. „Wir fanden heraus“, erläutert Massen die Ergebnisse, „dass die geselligsten und mutigsten Indivi-duen die Gesellschaft von anderen sehr geselligen und mutigen Tie-ren bevorzugen. Schüchterne Schimpansen verbringen die meiste Zeit mit ähnlich scheuen Artgenossen.“

Das Verhalten der Affen entspricht dem sogenannten Ähnlichkeits-Effekt bei Menschen. Auch wir tendieren dazu, Freunde danach aus-zusuchen, ob sie unserer eigenen Persönlichkeit entsprechen.

LEBENSERWARTUNG

Kleine Rente – früher Tod

2008 lebten 65-jährige Männer mit einer hohen Rente (65 Rentenpunkte und mehr) im Schnitt noch 20 Jahre, ihre Altersgenossen mit einer niedrigen Rente (30 bis 39 Renten-punkte) dagegen nur noch knapp 15 Jahre. Das zeigt eine Studie unter Federführung von Vladimir Shkolnikov und Domantas Jasilionis vom Max-Planck-Institut für demografi-sche Forschung in Rostock. Innerhalb der beiden Einkom-mensgruppen gleicht sich die Lebenserwartung in West- und Ostdeutschland zwar seit Mitte der 1990er-Jahre an, gleich-zeitig klafft jedoch die Schere zwischen armen und reichen Rentnern immer weiter auseinander. 1995 lebten Bezieher hoher Renten gut 3 Jahre (West) beziehungsweise 3,5 Jahre (Ost) länger als diejenigen, die niedrige Renten bekamen. 2008 war der Unterschied der beiden Gruppen auf 4,8 Jahre im Westen und 5,6 Jahre im Osten gestiegen.

TRINKWASSER

Schnelle Kontrolle

bdwNACHRICHTEN

SCHIMPANSEN

Ziemlich beste Freunde

Eine Methode, die Qualität von Trinkwasser im Wasser-werk zu überprüfen, haben Wissenschaftler des Fraun-hofer-Instituts für Angewandte Festkörperphysik IAF in Freiburg entwickelt. Die Forscher um Frank Fuchs benut-zen dazu einen sogenannten Quantenkaskadenlaser. Dieser spezielle Infrarotlaser bestimmt in Kombination

mit der Molekülspektro-skopie die Bestandteile des Wassers. Die optischen Spektren der darin enthal-tenen Moleküle sind für je-de chemische Verbindung einzigartig. Mit dem Laser ist es möglich, gesund-heitsgefährdende chemi -sche Schadstoffe im Was-ser innerhalb weniger Mi -nu ten zu identifizieren. Bis-her waren dazu aufwendi-ge Analysen im Labor nötig. Das Messsystem ist nur wenig größer als ein Schuh-karton und muss selten ge-wartet werden. Erste Tests hat ein Prototyp erfolgreich absolviert.

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Schere zwischen arm und reich

Ein spezieller Laser kann die Trinkwasserqualität sicher überwachen. Gleich und gleich gesellt sich gern – auch bei Schimpansen.

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Umstrittene Cyborg-Schabe Auf einer Konferenz in Detroit war sie kürzlich einer der Stars: eine Schabe mit einem seltsam aussehenden Mini-Rucksack auf dem Rücken. Das Insekt krabbelte durch die Gegend, bog mal nach rechts und mal nach links ab. Doch wohin das Tier sich wendete, bestimmte es nicht selbst – es wurde über die in seinen Rücken eingepflanzte Elektronik ferngesteuert. Das Ganze soll jetzt mitsamt lebender Schabe als Do-it-yourself-Bausatz verkauft werden, was für heftige Diskussionen sorgt. bit.ly/1f3zNqY

World Wide Cells Sie teilen sich selbst unter widrigsten Bedingungen, wachsen in Kulturschalen auf der ganzen Welt heran, und viele Krebs-studien wären ohne sie nicht möglich gewesen: die sogenann-ten HeLa-Zellen. Bis vor wenigen Jahren wusste keiner, woher diese ubiquitäre Zelllinie eigentlich stammt. www.scinexx.de/wissenswert-62-1.html

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Videos und Informationen auf wissenschaft.de und scinexx.de, dem Kooperationspartner von bdw, die Sie sich nicht entgehen lassen sollten.

HIGHLIGHTS IM INTERNET

Maus frisst Skorpion Der Stich des Kleinen Texas-Sandskorpions ist extrem schmerz-haft. Dennoch gibt es eine Mausart, die sich das Spinnentier zur Leibspeise erkoren hat. Und obwohl der Nager beim Fangen und Töten des Skorpions meist mehrfach gestochen wird, scheint ihm das nichts auszumachen. Warum das so ist, haben US-Forscher jetzt herausgefunden. Was sie dabei entdeckten, könnte bei der Entwicklung neuer Schmerzmittel sehr hilfreich sein. bit.ly/17sO7d1

Das Geheimnis des Silvesterfeuerwerks

Ein Silvester ohne Feuerwerk? Das ist für die meisten Deut-schen undenkbar. Um Mitternacht knallt und donnert, zischt und pfeift es nahezu an jedem Haus und an jeder Straßen-ecke. Immer wieder faszinierend sind die Farben, mit denen die Raketen die erstaunlichsten Formen an den Nachthimmel malen. Was macht ein Feuerwerk eigentlich so bunt? www.scinexx.de/wissenswert-63-1.html

Äffisches Gähnen Gähnen ist ansteckend. Das gilt für Menschen und auch innerhalb einiger Tierarten. Dass das sogar über Artgrenzen hinweg funktioniert, kannte man bisher nur von Hunden, die auf menschliches Gähnen reagieren. In einem Video be-legen nun schwedische Forscher erstmals, dass dies auch bei Schimpansen und Menschen der Fall ist. bit.ly/1hsZkvR Gab es den Stern von Bethlehem wirklich? Angeblich entdeckten die drei Weisen aus dem Morgenland einen neuen Stern, folgten ihm und kamen kurz nach Jesu Geburt in Bethlehem an. Aber gab es den Stern wirklich? Astronomen wie Johannes Keppler, Edmond Halley und Isaac Newton haben versucht, das herauszufinden – ohne Erfolg. Die Lösung des Rätsels ist erstaunlich kompliziert. www.scinexx.de/wissenswert-64-1.html

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BEUTELTIERE

Tödlicher Sex mit zu vielen Weibchen

„Physiker denken nicht über Gott nach, weil er ein wenig langweilig ist.“ Fotini Markopoulou-Kalamara, Physikerin

GROSSE WORTE

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VORSCHAU AUF HEFT 2/2014

Das bdw-Jubiläums-Gewinnspiel

Seit 1964 gibt es bild der wissenschaft – bereits ein halbes Jahrhundert lang. Das feiert die Redaktion am liebsten mit besonderen Leistungen für die Leser. In der Jubi läumsausgabe 2/2014, dem offiziellen 50-Jahre-Heft mit erweitertem Umfang, gibt es eine Menge Neues. Etwa das Jubiläums-Gewinnspiel rund um rätselhafte Entdeckergeschichten: Hier sind Ihr Wissen und Ihr detektivischer Spürsinn gefragt. Wer kam auf eine lukrative Idee, als ein Schokoriegel in seiner Tasche schmolz? Wem fiel im Traum eine langgesuchte chemische Formel ein? Welcher verschollene Expeditionsleiter hinterließ ein eingeritztes „L“ in einem Affenbrotbaum? Eingestreute Hinweise in den Entdeckergeschichten können Ihnen als Fährten weiterhelfen. Unter allen, die das korrekte Lösungswort ein-senden, verlost die Redaktion 50 wertvolle Preise. Verpassen Sie es nicht – das bdw-Jubiläumsheft 2/2014!

ÖTZI

Verwandtschaft in Tirol

Ein bizarr anmutendes Paarungsverhalten haben australische Forscher bei zwei Beuteltierarten beobachtet: Männliche Breitfuß-Beutelmäuse und Pinselschwanz-beutler haben so ausdauernd Sex mit den Weibchen, dass sie am Ende vor Erschöp-fung sterben, berichten Wissenschaftler um Diana O. Fisher von der University of Queensland in St. Lucia. Die Männchen paaren sich 12 bis 14 Stunden lang am Stück mit vielen Weibchen, weil diese nur zu einer bestimmten Jahreszeit und nur für wenige Tage empfängnisbereit sind. Für die männlichen Beuteltiere bedeu-tet dies extremen Wettbewerbsstress, der dadurch verstärkt wird, dass sich die

Weibchen von mehre-ren Partnern begatten lassen. Der Sex-Mara-thon löst bei den Männchen eine derart große Ausschüttung von Stresshormonen aus, dass ihr Kreislauf schließlich zusammen-bricht.

bdwNACHRICHTEN

Männliche Breitfuß-Beutelmäuse treiben es 14 Stunden lang – bis zum Kollaps.

Rekonstruktion von Ötzi, der vor rund 5250 Jahren starb. Forscher haben entdeckt, dass es noch 19 lebende Verwandte des Mannes aus dem Eis gibt.

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Forscher der Medizinischen Universität Innsbruck haben lebende Verwandte der Gletschermumie Ötzi gefunden. Das Team um Walther Parson hatte die DNA von 3700 Männern analysiert, die in Tirol Blut gespendet hatten. Dabei entdeckten sie bei 19 Spendern eine eindeutige Über-einstimmung mit dem Erbgut des Man-nes, der vor etwa 5250 Jahren auf dem Similaun-Gletscher starb.

Parson erklärt: „Es gibt Teile der menschlichen DNA, die generell unverän-dert vererbt werden. Bei Männern liegen sie auf dem Y-Chromosom, bei Frauen in den Mitochondrien. Etwaige Veränderun-gen kommen lediglich durch Punktmuta-tionen zustande, die dann auch weiter-vererbt werden. Menschen mit den glei-chen Mutationen fasst man in sogenann-ten Haplogruppen zusammen.“ Ötzi ge-hörte der Haplo-Untergruppe G-L91 an – genauso wie die 19 Blutspender, die offenbar mit ihm verwandt sind. Von ihrem berühmten Vorfahren wissen sie allerdings nichts. „Wir haben die Männer nicht informiert“, schmunzelt Parson.

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NATURKATASTROPHE

Killervulkan endlich gefunden!

1257 gab es einen gewaltigen Vulkanausbruch. Hinweise da-rauf haben Forscher bereits vor einiger Zeit in Eisbohrkernen aus den Polarregionen gefunden. Denn bei großen Ausbrü-chen werden Staub- und Aschepartikel bis zu den Polen trans-portiert und lagern sich dort im Eis ab. Dadurch ist es möglich, die Stärke der Eruption zu bestimmen und sie zu datieren. Unklar war jedoch bisher, um welchen Vulkan es sich gehan-delt hat (bild der wissenschaft 10/2013, „Killer inkognito“). Jetzt hat ihn ein internationales Forscherteam um Franck Lavigne von der Universität Paris identifiziert: Es war der Samalas-Vulkan auf der indonesischen Insel Lombok. Die Er-kenntnisse der Wissenschaftler beruhen auf Untersuchungen im Gelände, historischen Aufzeichnungen und Altersbestim-mungen mit der C-14-Methode. Modellrechnungen des Teams zeigen, dass es sich bei dem „Samalas-Ereignis“ um die größ-te und stärkste Eruption der letzten 7000 Jahre handelte. Min-destens 40 Kubikkilometer Asche wurden in die Stratosphäre geschleudert, die Ausbruchsäule reichte 43 Kilometer hoch. In der Folge wurden das damalige Königreich Lombok und sei-ne Hauptstadt Pamatan vollständig vernichtet. Die Europäer litten noch jahrelang unter Missernten und Hungersnöten.

DIE LETZTE NACHRICHT

Das Gesetz des Pinkelns

Einer besonders investigativen Studie von US-Forschern verdanken wir Einblicke in eines der letzten Geheimnisse der Natur: Wie lange benötigen Säugetiere, um ihre Blase zu ent-leeren? Patricia Yang vom Georgia Institute of Technology in Atlanta hat mit ihren Kollegen monatelang Tiere bei der Ver-richtung ihrer Notdurft beobachtet und herausgefunden: Im Schnitt sind es 21 Sekunden, bis der Strom versiegt – egal, ob bei Elefanten, Ziegen, Hunden, Kühen oder Ratten.

Was auf den ersten Blick angesichts der Größenunterschie-de der Säuger unwahrscheinlich klingt, konnte Yang mit einer Art Formel belegen, die sie als „Gesetz des Pinkelns“ bezeich-net. Dazu setzte sie die Größe der Blase mit der Länge und dem Durchmesser der Harnröhre in Relation. Beim Elefanten beispielsweise ist die Harnröhre rund einen Meter lang und etwa zehn Zentimeter breit. Das hat laut Yang zur Folge, dass der Urin schwerkraftbedingt schneller und in größerer Menge abfließt als etwa bei einem Hund, dessen Harnröhre viel klei-ner dimensioniert ist. Doch da die Blase von Hunden ein kleineres Fassungsvermögen hat, gleicht das den Gravita -tionseffekt wieder aus, sodass beide Tierblasen nach den be-sagten rund 21 Sekunden entleert sind.

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liches hat sich nicht Zehntau-sende von Jahre erhalten. Falls die Neandertaler die tollsten Holz-Totems ge-schnitzt und an ihren Jagd-lagern aufge stellt hätten – wir würden nie etwas davon erfahren. Daher gehen mir diese gelehrten Dispute auf die Nerven. Wir wissen dazu nichts, und damit basta.

Mein zweiter Punkt: Es nervt, dass einige Wissen-schaftler es immer und ewig offenlassen müssen, ob der moderne Mensch oder der Neandertaler die schönen

Elfenbeinfiguren von der Schwäbischen Alb und die Flöten geschnitzt hat. Natür-lich waren moderne Men-schen die Schöpfer dieser Objekte! Muss sich denn der deutsche Idealismus immer wieder am armen, lange als minderbemittelt verleumde-ten Neandertaler ausleben?

Hört auf mit der Wieder-gutmacherei und lasst die Kirche im Dorf. Der Neander-taler war einfach primitiver als der moderne Mensch. Damit tut man diesem ar -chaischen Hominiden kein Unrecht. Lars Peeth, per E-Mail Mit Interesse habe ich die Titelgeschichte zur Neudatie-rung zahlreicher Neander-

Europas Frühzeit Titelgeschichte Heft 11/2013

Ich habe die Artikel zum Neandertaler und zum Cro-Magnon-Menschen in der Novemberausgabe sofort verschlungen, als das Heft kam. Ich fand auch alles sehr spannend, aber es sind mir wieder einmal zwei Dinge aufgestoßen. Und zwar bei der Frage, die auch in bild der wissenschaft schon so oft gestellt worden ist: Was konnte – oder: wie klug war – der Neandertaler?

Punkt eins: Ich finde es unglaublich, mit welcher Anmaßung die Archäologen Behauptungen darüber auf-stellen, ob der Neandertaler Kunstobjekte hergestellt hat oder nicht – egal, welche Meinung sie dazu vertreten. Die sollten mal ins nächste Naturkundemuseum gehen und sich in der Abteilung „Naturvölker“ klarmachen, dass Jäger-und-Sammler- Kulturen auch noch in der Gegenwart Werkstoffe wie Holz, geflochtenen Bast, ja sogar nur Blattwerk ver- wenden – für ihren Körper-schmuck oder für die Ver -zierung ihrer Wohnplätze. Warum sollte das nicht auch bei den Neandertalern so gewesen sein? Holz und Ähn-

taler-Fossilien gelesen, aus-gesprochen spannend! Auch die überraschenden Ergeb-nisse der Beprobung von Cro-Magnon-Fossilien (wie Thorwald Ewe sie beschreibt) waren mir völlig neu.

Vor einiger Zeit hat Gün-ther Wagner – ich kenne ihn noch aus meiner Zeit bei der Akademie der Wissenschaf-ten – den Maurer Fund des Homo heidelbergensis erst-mals verbindlich datiert. Auch hier blieb, zu meiner Überraschung, das „Rau-schen im Blätterwald“ aus – zumal er einen völlig neuen methodischen Ansatz zur Datierung ältester Funde auf den Weg brachte (Elektronen-Spinresonanz, Anm.d.Red.), der für die Paläoanthropolo-gie eigentlich ausgesprochen hilfreich sein müsste. Dr. Johannes Schnurr,

Journalist, Heidelberg

Zürcher und Basler Ich bin seit vielen Jahren begeisterter Abonnent von bild der wissenschaft. Was mich jedoch jedesmal ärgert, ist, wenn Sie „Baseler“ Uni-versität oder „Züricher“ Hoch-schule schreiben.

Wir pflegen folgende Eigen-heiten der Sprache: Menschen von Basel sind Basler und Baslerinnen, von Zürich sind es Zürcher und Zürcherinnen. Dasselbe gilt für St. Gallen und Schaffhausen. Meines Wissens kennen Sie dieselbe Eigenheit, zum Beispiel bei München oder bei den Bay-ern: Am Oktoberfest vergnü-gen sich Münchner und nicht Münchener, und im Dirndl steckt schon gar keine Baye-rin. Bitte in Zukunft auf die-ses Detail achten. H.R. Fankhauser,

Aarberg/Schweiz

Lieber Papier als digital bdw-Nachrichten Heft 11/2013

Die Antwort ist doch herzlich einfach und praktisch: Papie-re kann man nebeneinander-legen und beliebig verglei-chen – am Bildschirm hat man immer nur den Aus-schnitt, den er gerade wieder-gibt. „Blättert“ man zu an -deren Seiten weiter, ist die gerade gesichtete weg. Da-rum wird uns das Papier und seine so handliche Seiten -aufteilung wohl noch lange erhalten bleiben! Walter A. Frank, Lichtenwalde

Das gläserne Baby Heft 12/2013

In Ihren Artikel hat sich auf Seite 32 ein kleiner Fehler eingeschlichen: „Männern mit Klinefelter- Syndrom fehlt das Y-Chromosom ...“. Dieses Y-Chromosom fehlt durchaus nicht, sonst hätten es keine Männer werden kön-nen, sondern es kommt ein X-Chromosomen hinzu. Also nicht wie regulär XY, sondern XXY, wobei die klinische Aus-prägung noch davon ab-hängt, ob alle Zellen betrof-fen sind oder ob es sich um einen Mosaiktypus handelt. Dr. med. Klaus Jonasch,

Heidelberg

Häuser ohne Heizkosten Heft 11/2013

Es macht Hoffnung zu lesen, wie energiesparend heutzu -tage gebaut werden kann. Was mich besonders aufhor-chen ließ, sind die Fortschritte bei Aktivhäusern. Da die meisten von uns mit einem

LESERBRIEFE

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Dach über dem Kopf wohnen, ist der von Ulrich Dewald ge-schilderte Stand der Dinge für uns alle relevant.

Einzig eine Tatsache habe ich im Artikel vermisst: einen Hinweis auf die Bahnstadt in Heidelberg. Dieser neue Stadtteil entstand in den letz-ten Jahren, es ist die größte Passivhaussiedlung weltweit. Viele der Wohnungen sind

seit mehr als einem Jahr be-zogen. Welche Erfahrungen haben Forscher, Architekten und Bewohner bislang mit solch einem Großprojekt ge-macht? Ein paar Stimmen aus der Praxis hätten mir das Thema noch näher gebracht. Bertram Müller, Schriesheim

Heinrich Hemmes Cogito – Die Lösung des Oktober-Preisrätsels

Die Längen der drei gleichen Abschnitte der gefahrenen Strecke bezeich-nen wir mit x, die Länge der Straße von Souk Alhad nach Abu Telfan mit y und den Winkel, den die beiden Straßen von Hessasna nach Abu Telfan und nach Souk Alhad einschließen, mit g. Für das kleine Dreieck mit dem Winkel g gilt nach dem Kosinussatz x2 = x2 + (21 – x)2 – 2x(21 – x) cos g und für das große Dreieck y2 = 212 + 332 – 2 · 21 · 33 · cos g. Die erste Gleichung kann man zu 2 cos g = (21 – x)/x umformen und in die zweite einsetzen. Das ergibt y2 = 212 + 332 – 21 · 33 · (21 – x)/x, was sich zu y2 = 2223 – 33 · 72 · 11 / x vereinfachen lässt. Sowohl x als auch y sollen ganzzahlig sein, darum muss x ein Teiler von 33 · 72 · 11 sein. Weil x größer als 7, aber kleiner als 21 ist, kommen nur die beiden Werte 9 und 11 infrage. Da sich nur mit der 11, nicht aber mit der 9 ein ganzzahliger Wert für y ergibt, muss x = 11 sein und die Abkürzung von Hessasna nach Abu Telfan eine Länge von 33 Kilometern haben.

Die Gewinner Das Los hat unter den richtigen Einsendern entschieden. Buch-preise bekommen: Klaus Bodky,

Würzburg; Klaus Gottschalk, Xanten; Stefan Plotz, Hamburg;

Rudolf Seidel, Blaubeuren-Pappe- lau; Jonathan Stein, Lollar. Wir gratulieren!

Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt abzudrucken.

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GRÜNDUNGSHERAUSGEBER Prof. Dr. Heinz Haber †

HERAUSGEBERIN Katja Kohlhammer

VERLAG Konradin Medien GmbH, Ernst-Mey-Straße 8, 70771 Leinfelden-Echterdingen, Germany

GESCHÄFTSFÜHRER Peter Dilger

CHEFREDAKTEUR Wolfgang Hess

REDAKTION Stellvertretender Chefredakteur: Thorwald Ewe, Phone+49 711 7594–358 Visuelle Gestaltung: Heino Pollmann, Phone+49 711 7594–406 Textchefin: Dr. Uta Altmann, Phone+49 711 7594–303 Bildredaktion: Susanne Söhling-Lohnert, Ruth Rehbock, Phone+49 711 7594–379 Assistenz: Maren Hövelmann, Phone +49 711 7594–392, Ulrike Matzke, Phone +49 7117594–5855, Fax +49 711 7594–5835 E-Mail: [email protected]

TEXTREDAKTION Dr. Uta Altmann (Geowissenschaften, Bücher), Phone+49 711 7594–303 Ralf Butscher (Technik, Neue Medien, Klima), Phone+49 711 7594–344 Thorwald Ewe (Anthropologie, Chemie, Umwelttechnik), Phone +49 711 7594–358 Claudia C. Wolf (Medizin, Biologie, Neurowissenschaften), Phone +49 711 7594–383 Karin Schlott (Archäologie), Phone +49 711 7594–313 Rüdiger Vaas (Astronomie, Physik), Phone+49 711 7594–362 Cornelia Varwig (Sozialwissenschaften, Psychologie), Phone+49 711 7594–318

REDAKTIONELLE MITARBEIT Hans Groth (bdwNachrichten) Désirée Karge (Korrespondentin USA) Dr. Ilka Lehnen-Beyel (wissenschaft.de) Karl Marx (Infografik) Stefanie Wiese (Bildredaktion) Thomas Willke (Korrespondent Norddeutschland)

ANZEIGEN Anzeigenleitung: Katja Mueller, Phone+49 711 7594–368, Fax–1368 E-Mail: [email protected] Mediaberatung: Julia Raudenbusch, Phone+49 711 7594–366, Fax–1366 E-Mail: [email protected] Auftragsmanagement: Larissa Wörner, Phone +49 711 7594–591 E-Mail: [email protected] Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 41 vom 1.1.2013.

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IMPRESSUM

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Abu Telfan

Hessasna 33 Souk Alhad

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Spinat macht stark Lange galten Nitrit und Nitrat als krebserregend. Jetzt heißt es: Die Salze sind gut – etwa für Herz und Muskelkraft. Was ist dran?

DER COMIC-MATROSE Popeye hat recht: Spinat macht stark. Ursache ist aber nicht das Eisen darin, wie lange fälsch-lich vermutet, sondern der hohe Nitrat-gehalt. Das hat eine Studie von For-schern des schwedischen Karolinska- Instituts kürzlich nachgewiesen. Als sie das Trinkwasser von Mäusen mit Nitrat (NO3

- ) anreicherten, fanden sie danach eine erhöhte Konzentration von Kal -zium in den Muskeln der Tiere. Dadurch wuchsen „schnell zuckende Fasern“ he-ran, die bei kurzem, hohem Kraftauf-wand nötig sind. Auf den Menschen übertragen entsprach die verabreichte Nitratmenge etwa der, die ein typischer Gemüseliebhaber zu sich nimmt.

Und Wissenschaftler haben noch mehr Erstaunliches zu berichten: Nitrat und seine Verwandte, die bislang als krebserregend geltende Substanz Nitrit (NO2

- ), können anscheinend das Herz schützen und so das Leben verlängern. Waren demnach all die Warnungen vor nitrat reichen Gemüsesorten wie Blatt -salat, Spinat oder Rucola falsch?

Das schlechte Image der beiden Salze stammt aus den 1970er- und 1980er-Jahren, als man herausfand, dass Nitrat im Körper zu Nitrit umgewandelt wird. In Anwesenheit von Aminosäuren – Ei-weißbausteinen, die im Körper allge gen -wärtig sind – bilden sich aus Nitrit Ni-trosamine. Weil diese mit den Nuk lein -säuren der Erbsubstanz reagieren kön-nen, gelten sie als stark krebserregend. Sehr viele Nitrosamine stecken zum Bei-spiel in Zigarettenrauch. Und in der Tat erhöht eine verstärkte Nitrosamin-Pro-duktion das Risiko für Magentumore – im Tierversuch.

MYTHOS KREBSGEFAHR Ob das aber auch für den Menschen gilt, ist fraglich. Zumal vieles darauf hindeu-tet, dass Nitrat aus der Nahrung beim Menschen nicht zu Krebs führt. Bis zu 90 Prozent dieses stickstoffhaltigen Sal-zes, das wir zu uns nehmen, stammen aus Obst und Gemüse. Gemüse-Fans lei-den aber tendenziell seltener an Krebs als Fleisch-Fans. Zwar erhöhen gepökel-te Lebensmittel das Risiko für Darm- oder Magenkrebs. Das liegt aber offen-bar nicht am Nitrat oder seinem Stoff-wechselprodukt, dem Nitrit: Die Ernäh-rungswissenschaftlerin Alexandra Schmid von der Schweizer Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux (ALP) rech-nete in einem Übersichtsartikel von 2007 vor, dass lediglich 1,3 Prozent der im Körper zirkulierenden Nitritmenge aus verspeistem Geräuchertem stammen. „Keine der zahlreichen Studien konnte einen Zusammenhang zwischen Nitrat

oder Nitrit aus der Nahrung und Krebs-entstehung beim Menschen nachwei-sen“, bestätigt Alan Schechter von den National Health Institutes in Bethesda.

Die Wandlung „vom Saulus zum Paulus“ begann mit Studien, an denen Personen teilnahmen, die viel Obst und Gemüse und wenig Fleisch aßen. Die Er-gebnisse bescheinigten ihnen nicht nur eine geringere Anfälligkeit für bestimm-te Krebsarten. Auch Herzinfarkte, Schlag-anfälle und Demenzen traten seltener auf – obwohl Grünzeug-Fans relativ ho-he Nitratmengen von bis zu 300 Milli -gramm täglich zu sich nehmen. Zum Vergleich: Ein Fleischesser bringt es nur auf rund 100 Milligramm pro Tag.

Auch Studien zur „DASH-Diät“ (Die-tary Approaches to Stop Hypertension), die seit 1997 laufen, lassen aufhorchen. Demzufolge können Bluthochdruckpa ti -enten ihre Hyperto nie mit neun Portio-nen Obst und Gemüse täglich deutlich senken (um bis zu elf Millimeter Queck-silbersäule), und Gesunde können Blut-hochdruck dadurch vorbeugen.

Die Probanden nahmen mehr als 1000 Milligramm Nitrat täglich zu sich – ein Wert, der den von der Weltgesund-heitsorganisation (WHO) empfohlenen Grenzwert um 550 Prozent überschrei-tet. „Hier stellt sich die Frage, ob der bis-her ungeklärte Mechanismus der blut-drucksenkenden Wirkung einer DASH-Diät möglicherweise auf deren hohem Nitratgehalt beruht“, resümierten 2010 Experten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Auch die viel geprie-sene Mittelmeerdiät und die traditionel-

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SCHWERPUNKT_GESUNDES LEBEN

Kompakt

· Viele Studien belegen: Nitrat ist für Erwachsene gesund.

· Trotzdem halten Experten an den aktuellen Höchstmengen für Nitrat in Lebensmitteln und Wasser fest.

· Für kleine Kinder stellt das Salz eine Gefahr dar, da es die lebensgefähr-liche Blausucht verursachen kann.

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von Kathrin Burger

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I'm strong to the finish,

'cause I eats me spinach, I'm Popeye

the sailor man! Ich bin grenzenlos stark, denn

ich esse Spinat, ich, Popeye, der See-

mann!

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einer Zehn-Kilometer-Tour mit der von Sportlern ohne Nitrat-Plus. Ergebnis: Mit dem Saft benötigten die Radler nur 953 statt 965 Sekunden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie der University of Exeter. Tranken Senioren den Rüben-saft, verbesserten sich Blutdruck und maximale Sauerstoffauf nahmekapazität (VO2 max) bereits nach drei Tagen. VO2 max ist ein wichtiges Maß für die Ausdauerleistung: Der Wert gibt an, wel-che Menge Sauerstoff der Körper ver-werten kann. Zur Leistungs stei gerung nehmen ambitionierte Sportler Nitrat- Supplemente wie Nitrat-Citrullin oder Nitrat-Creatin ein.

le japanische Ernährungsweise liefern weit mehr Nitrat, als die WHO emp-fiehlt. Trotzdem gelten beide Ernäh-rungsformen als ideal für Herzkranke.

Wie das pflanzliche Nitrat der Ge-sundheit zugute kommen könnte, daran wird derzeit emsig geforscht. Bislang ist klar: Das Salz wird im Dünndarm zwar vollständig resorbiert, doch rund 75 Prozent werden über den Urin wieder ausgeschieden. Der Rest zirkuliert in der Blutbahn und gelangt in den Speichel. Hier machen sich Bakterien über den Nährstoff her und hinterlassen Nitrit. Dieses schluckt der Mensch und nimmt es über den Verdauungstrakt ins Blut auf. Bei Teilnehmern der DASH-Diät-Studien haben die Forscher bis zu fünf Milligramm Nitrit im Speichel nach-gewiesen. „Diese vergleichsweise hohe Konzentration müsste zu der absurden Empfehlung führen, auf das Verschlu-cken von Speichel zu verzichten“, schreiben die DGE-Experten.

GUT FÜRS HERZ Der Körper selbst bildet aus der Amino-säure Arginin durch chemischen Umbau Nitrat und dessen Folgeprodukte, im Schnitt etwa 70 Milligramm täglich. Or-gane wie Lunge oder Leber sind für die Umwandlung von Nitrat in Nitrit zu-ständig. Enzyme in den Gefäßwänden verwandeln das zirkulierende Nitrit dann in Stickstoffmonoxid (NO), das einen positiven Einfluss auf die Blutzel-len und die glatten Muskelzellen in den Gefäßen hat: Ist genug von dem reak -tionsfreudigen Gas vorhanden, erwei-tern sich die Blutgefäße. Dadurch ge -langen größere Mengen Sauerstoff mit weniger Pumpleistung zum Herzen. Außer dem verklumpen die Blutplätt-chen seltener und es kommt nicht so leicht zu Entzündungen. All das sorgt für eine gesundes Herz. „Seit dem Mit-telalter kommen bei Herzkrankheiten Nitrat-Arzneien zum Einsatz“, erklärt der US-Wissenschaftler Alan Schechter.

Auch unter Sportwissenschaftlern wird Nitrat heiß diskutiert – denn das Salz macht nicht nur Mäuse stark. For-scher der Universität Maastricht ließen Radsportler sechs Tage lang täglich 140 Milliliter nitratreichen Rote-Bete-Saft trin-ken und verglichen ihre Leistung auf

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Wer viel Gemüse isst, nimmt weit größere

Nitrat-Mengen zu sich, als die Weltgesund-

heitsorganisation emp-fiehlt. Trotzdem erkran-

ken solche Menschen im Schnitt seltener an Krebs als Fleisch-Fans.

Keine Studie belegt einen Zusammenhang

zwischen dem Nitrat aus der Nahrung und

dem Krebsrisiko.

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Nitrat scheint noch einen weiteren Vorteil für die Gesundheit zu haben: Sein Stoffwechselprodukt Stickstoffmo -noxid schützt den Magen, indem es für eine verstärkte Durchblutung sorgt, was die Schleimproduktion anregt – das wiederum verhindert Entzündungen der Magenschleimhaut. Einige Forscher empfehlen daher, Aspirin gemeinsam mit Rote-Bete-Saft einzunehmen.

IN ZUKUNFT NITRATPILLEN? Nitrit eignet sich zudem zur Bekämp-fung von Krankheitserregern. Je mehr von dem Salz im Speichel enthalten ist, desto weniger Chancen haben Karies-bakterien, Unheil anzurichten. Die neuen Erkenntnisse könnten auch er-klären, weshalb Arbeiter in Dünger-lagern, die täglich Nitratstäube ein-atmen, eine höhere Lebenserwartung haben als der Rest der Bevölkerung, wie Forscher bereits in den 1980er-Jahren herausfanden.

Sollen Ärzte in Zukunft Nitratpillen verabreichen, um Krankheiten vor-zubeugen oder gar zu heilen? „Die Da-tenlage ist für solche Empfehlungen noch zu dünn“, meint Thomas Münzel, Herzspezialist und Nitratforscher am Klinikum der Johannes-Gutenberg-Uni-versität in Mainz. Und wie steht es um die Forderung von Landwirtschaftsver-bänden, die Begrenzungen für den Ni-

tratgehalt in Lebensmitteln und Wasser zu lockern? Auch das weisen Experten derzeit zurück. Denn: Säuglingen kann Nitrit sehr wohl gefährlich werden, da das Salz mit dem Hämoglobin im Blut reagiert. Dabei entsteht das sogenannte Methämoglobin, das keinen Sauerstoff transportieren kann.

Erwachsene verfügen mit dem En-zym Diaphorase über eine Möglichkeit, das gefährliche Methämoglobin wieder ins ungefährliche Hämoglobin zurück-zuverwandeln. Doch Neugeborenen bis zum dritten Lebensmonat fehlt dieser Entgiftungsmechanismus. Die mangeln-de Sauerstoffversorgung des Blutes kann zu einer Blausucht führen, bei der die Babys im schlimmsten Fall ersticken.

VORSICHT BEI KINDERN! In den 1970er-Jahren gab es mehrere Blausuchtfälle in Deutschland, aus ge -löst vor allem durch mit Nitrat belas -tetes Trinkwasser. Zur gefürchteten „Methä mo globinämie“ kam es aber auch vereinzelt durch nitratreiches Ge-müse. Bewahrt man etwa pürierten Spinat zu lange auf, bildet sich aus dem darin enthaltenen Nitrat Nitrit, was für ein kleines Kind lebensgefährlich wer-den kann.

Deswegen, und weil eine Überdün-gung der Felder mit Nitrat zur Eutrophie-rung von Gewässern führen kann, hat der

Gesetzgeber Höchstmengen eingeführt. Leitungswasser darf laut Trinkwasser verordnung maximal 50 Milli gramm Nitrat und 0,1 Milli gramm Nitrit pro Liter enthalten. Für im Winter geernteten Rucola gilt seit April 2012 ein Grenzwert von 7000 Milli gramm Nitrat pro Kilo-gramm, bei Spinat liegt die Obergrenze bei 3500 Mil-ligramm. Dies sind bereits gelo-ckerte Werte, da selbst bei guter landwirtschaft licher Praxis die ursprünglichen Maximalwerte nicht eingehalten werden, argu-mentierten Experten der Euro-päischen Behörde für Lebens-mittelsicherheit (EFSA) in einem 2008 vorgelegten Gutachten. Da -rin kamen sie zu dem Schluss, dass Ge sund heits ge fah ren durch

die angeho benen Maximalmengen an Nitrat unwahrscheinlich sind und die positiven Wirkungen des Gemüsever-zehrs überwiegen.

Am Bundesinstitut für Risikobewer-tung (BfR) hingegen war man gegen die Anhebung der Höchstmengen und ist auch gegen jegliche weitere Lockerung. Der mögliche gesundheitliche Nutzen sei nicht so gut belegt wie die negativen Wirkungen etwa auf Säuglinge, meint Hellmuth Schafft, Toxikologe am BfR. Zunächst gilt es also, weiter zu for-schen, bis die Wirkung von Nitrat und Nitrit eindeutig entschlüsselt ist. ■

KATHRIN BURGER war bei ihrer Recherche erstaunt, wie schwer sich alte Ernäh-rungs-Dogmen revidieren lassen.

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INTERNET

Die EFSA bewertet das mögliche Gesund-heitsrisiko für Kinder durch Nitrate in Blatt-gemüse: www.efsa.europa.eu/de/press/news/ contam101209.htm

Die EFSA wägt die Risiken des Verzehrs von Nitrat durch Obst und Gemüse gegen die Vorteile ab: www.efsa.europa.eu/de/press/news/ contam080605.htm

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zen. Es wird sogar gemunkelt, er mache dick. Der Fall scheint klar: Dem Eiweiß Gluten muss Einhalt geboten werden. Die Bevölkerung hat ihr Kaufverhalten bereits angepasst. Fristete glutenfreie

In den Regalen der Supermärkte stehen immer mehr glutenfreie Lebensmittel. Ein Hinweis auf ein neues Krankheitsbild – oder nur eine Modeerscheinung?

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Brötchen sind böse

von Franziska Konitzer

DER VERDÄCHTIGE versteckt sich in Nudeln, Müsli, Bier und Brot – um nur einige Beispiele zu nennen. Seine mut -maßlichen Missetaten: Magen-Darm-Be -schwerden, Müdigkeit und Kopfschmer-

Kost früher ein Nischendasein im Re-formhaus, treten die Produkte mit der durchgestrichenen Ähre heute einen Siegeszug durch die Supermarktregale an. Der Umsatz wächst immer mehr:

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Betrug der Wert der Waren 2012 in Deutschland noch 54 203 Euro, prognos-tizert das Markt for schungs un ter neh men Mintel International Group Ltd. für 2014 ganze 210 Millionen Euro.

Wer gern Freunde zum Essen einlädt, weiß: Irgendein Gast bedarf fast immer einer Sonderbehandlung – etwa der Vegetarier oder der Laktose-Intolerante, der keine Milchprodukte verträgt. Doch die Warnung „Ich vertrage kein Gluten“ lässt rätseln. Handelt es sich hier um eine echte Nahrungsmittelunverträg-lichkeit oder folgt der Gast nur einem neuen Ernährungstrend? Und: Ist gluten -freie Nahrung gesünder als herkömm-liche Kost?

Das auch als Kleber-Eiweiß bezeich-nete Gluten steckt vor allem in Getreide-sorten wie Weizen, Roggen und Dinkel. Es verleiht Broten ihre typische Laib-form, macht Pizzateig formbar und sorgt dafür, dass Gebäck im Backofen aufgeht. So weit, so harmlos. Doch manche Menschen müssen nach dem Verzehr von nur einer Scheibe Brot mit schwerwiegenden Folgen kämpfen.

DIAGNOSE ZÖLIAKIE Bei Zöliakie-Patienten verursacht Gluten eine krankhafte Reaktion im Immunsys-tem des Darms. Die Folge: eine chroni -sche Entzündung der Dünndarmschleim-haut, was die sogenannten Zotten zer-stört, die für die Nährstoffaufnahme wichtigen Ausstülpungen. Die Patienten leiden an heftigen Bauchschmerzen und Blähungen sowie an Übelkeit und man-gelndem Appetit. Langfristig entwickeln sich Nährstoffdefizite. Wodurch Zölia-kie entsteht, ist unklar. Teilweise ist die Krankheit wohl erblich bedingt, aber auch Infektionen oder Stress können die Ursache sein.

Zöliakie ist gleichzeitig eine Nah-rungsmittelunverträglichkeit und eine Autoimmun-Erkrankung. Diagnostiziert wird sie durch den Nachweis von Anti-körpern gegen Gluten-Bestandteile. Die Entnahme einer Gewebeprobe aus dem Dünndarm gibt Aufschluss darüber, ob die Schleimhaut entzündet ist. Wer die Beschwerden in den Griff bekommen will, muss völlig auf Gluten verzichten. Ein Heilmittel gibt es bislang nicht.

„Das ist etwas ganz anderes, als wenn Sie zum Beispiel auf einmal keine Nüsse mehr essen dürfen“, sagt Reiner Ullrich, der an der Berliner Charité die Gluten-Unverträglichkeit erforscht. „Es handelt sich um eine drastische Lebensumstel-lung. In Restaurants zu gehen oder eine Essenseinladung von Freunden anzu-nehmen, all das geht nicht mehr so ein-fach. Wir empfehlen Patienten sogar, einen glutenfreien Bereich in der Küche einzurichten.“

KOMPLETTE LEBENSUMSTELLUNG Der Aufwand ist nötig, denn die Menge an Gluten, die ein Zöliakie-Patient ver-trägt, ist winzig. Gemäß einer seit 2012 geltenden EU-Verordnung gilt ein Pro-dukt als glutenfrei, wenn es weniger als 20 Milligramm des Kleber-Eiweißes pro Kilogramm enthält. Zum Vergleich: Ein Weizenbrötchen enthält rund 5 Gramm. Schätzungen zufolge sind in Deutsch-land 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung an Zöliakie erkrankt.

Seit einigen Jahren mehren sich zu-dem Hinweise, dass es Menschen gibt, die zwar nicht an Zöliakie leiden, aber dennoch mit Beschwerden auf gluten-haltige Lebensmittel reagieren: Sie ha-ben Bauchschmerzen und Blähungen, leiden an Verstopfung oder Durchfall. Inzwischen beschäftigen sich auch immer mehr Wissenschaftler mit die-sem Phänomen.

„Früher wurden Ärzte belächelt, die der Meinung waren, dass es so etwas wie eine Glutensensitivität gibt“, erklärt Wolfgang Holtmeier, Magen-Darm-Spe-zialist am Krankenhaus Porz am Rhein.

Kompakt

· Zöliakie-Patienten reagieren mit schweren Magen-Darm-Problemen auf das Kleber-Eiweiß Gluten.

· Auch Glutensensitive scheinen nach dem Verzehr von glutenhaltigen Pro-dukten Beschwerden zu bekommen.

· Fest steht: Eine glutenfreie Ernährung garantiert keinen Gewichtsverlust – wenn ein Ernährungstrend aus den USA auch anderes verheißt.

Viele Menschen glauben, glutenfreie Kost helfe beim Ab -nehmen. Wirklich sinn-voll ist sie jedoch nur für Zöliakie-Patienten, bei denen der Dünn-darm chronisch entzün-det ist. Möglicherweise profitieren auch „Gluten-sensitive“ davon – falls es sie gibt.

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ausgesetzt.“ Obwohl wir also nicht mehr Weizen als früher essen, nehmen wir heute mehr ATI zu uns. Das Gleiche gilt für Gluten: Viele Backwaren werden künstlich mit dem Protein angereichert, weil es ihre Konsistenz verbessert. Lei-den deshalb immer mehr Menschen an Zöliakie? Untersuchungen von jahrzehn-telang aufbewahrten Blutproben in den Vereinigten Staaten zeigten, dass sich die Zahl der Zöliakie-Patienten seit den 1950er-Jahren vervierfacht hat. Ob der Prozentsatz der Glutensensitiven eben-falls zugenommen hat, ist nicht bekannt, dazu ist die Datenlage zu schlecht.

Fest steht: Die Verbraucher greifen vermehrt zu Nahrungsmitteln ohne Glu-ten. „Das Segment der glutenfreien Pro-

Doch möglicherweise wird das Kleber-Eiweiß zu Unrecht verdächtigt. Ein Team um den Gastroenterologen und Bioche-miker Detlef Schuppan von der US-ame-rikanischen Harvard Medical School legte kürzlich Forschungsergebnisse vor, die die Fachwelt aufhorchen ließen. Demnach könnte ein bisher unbeach -teter Weizenbestandteil eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Nahrungs -

mittel-Unverträglichkeiten spielen: der Amylase-Trypsin-Inhibitor, kurz ATI. Das Protein ist für Insekten giftig und wird vom Weizen gebildet, um Schädlinge abzuhalten. Die Forscher um Schuppan entdeckten, dass ATI das menschliche Immunsystem aktivieren kann. Sie ver-muten, dass es jedes Mal zu solch einer Alarmreaktion kommt, wenn Weizen verzehrt wird. Dies könne schließlich zu einer Erkrankung führen.

HOCHLEISTUNGSWEIZEN AM PRANGER Auch Wolfgang Holtmeier schließt die-ses Szenario nicht aus: „Moderner Hoch-leistungsweizen enthält besonders viel ATI, da er dadurch schädlingsresistenter wird. Wir sind diesem Protein verstärkt

Reiner Ullrich meint: „Falls es die Grup-pe der Glutensensitiven wirklich geben sollte, handelt es sich um eine Unter-gruppe der Reizdarmpatienten. Diese Patienten sind schwierig zu erfassen, weil es für ihre Symptome keine erkenn-baren körperlichen Ursachen gibt.“ Soll heißen: Während Zöliakie anhand von Antikörpernachweis und Gewebeun ter -suchung zweifelsfrei diagnostiziert wer-den kann, sind bislang keine messbaren Hinweise auf Gluten-sensitivität bekannt.

Dass es abseits der Zöliakie Menschen gibt, die sensibel auf Gluten reagieren, legen die Er-gebnisse von australischen For-schern nahe, die Patienten mit Reizdarmsyndrom untersucht ha-ben. Die eine Hälfte der Proban-den aß täglich zwei Scheiben glutenhaltiges Brot sowie einen glutenhaltigen Muffin. Ansons-ten verzichteten sie auf das Kle-ber-Eiweiß. Die andere Hälfte er-nährte sich komplett ohne Glu-ten. Zwar erhielten auch sie Brot und Muffin – allerdings gluten-freie Varianten. Nach einer Wo-che zeigten sich deutliche Unter-schiede zwischen den beiden Gruppen. Die Probanden, die Gluten zu sich genommen hat-ten, litten wesentlich häufiger unter allgemeinen Schmerzen, Blähungen und Müdigkeit – den typischen Symptomen des Reiz-darmsyndroms. Weitere Unter-schiede zwischen den Versuchsgruppen fanden sich jedoch nicht.

ZU UNRECHT VERDÄCHTIGT? Derzeit stellen Ärzte eine reine Aus-schlussdiagnose: „Wenn bei einem Pa-tienten eine Zöliakie ausgeschlossen wurde und seine Beschwerden nach einer glutenfreien Diät trotzdem weg sind, sprechen wir von einer Gluten -sensitivität“, sagt Ullrich, der nach einem Biomarker für die Beschwerden sucht. Ohne solch einen handfesten In-dikator ist es schwierig, die Zahl der Be-troffenen zu ermitteln. „Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung sensibel auf Gluten reagieren“, schätzt Holtmeier.

SCHWERPUNKT_GESUNDES LEBEN

Zöliakie unter dem Mikroskop: Die finger-förmigen Zotten der Dünndarmschleimhaut sind zerstört – sie wirkt flach und verkümmert. Die Patienten müssen bei der Ernährung komplett auf das Kleber-Eiweiß verzichten.

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dukte wird als besonders zukunftsträch-tig für den Handel gesehen“, sagt Mar-garete Besemann, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Besonders im vergangenen Jahr gab es eine deutliche Zunahme an Lebensmitteln, die das Label ‚glutenfrei‘ tragen.“ Der Einzelhandelskonzern RE-WE brachte 2012 sogar eine neue Eigen-marke auf den Markt. Unter dem Na-men „REWE frei von“ stehen laktose- und glutenfreie Produkte in den Super-märkten des Unternehmens.

Wolfgang Holtmeier hält diese Ent-wicklung für eine Modeerscheinung, denn „es gibt gar nicht so viele Zöliakie- Patienten und Glutensensitive, wie glu-tenfreie Produkte verkauft werden“. Den

Ursprung dieser Entwicklung sieht er in den USA: „Dort herrscht schon lange eine Anti-Weizen-Stimmung.“

HOLLYWOOD-WERBUNG Geschürt wird das Misstrauen gegen-über Weizen im Allgemeinen und Gluten im Speziellen von Hollywood-Berühmt-heiten, die für eine glutenfreie Ernäh-rung werben. So schreibt Schauspielerin

Gwyneth Paltrow in ihrem vor Kurzem erschienenen Kochbuch „It’s All Good“: „Alle Ernährungsberater, Ärzte oder ge-sundheitsbewussten Menschen, denen ich je begegnet bin … scheinen sich darüber einig zu sein, dass Gluten für den menschlichen Körper eine Belas-tung darstellt und dass viele von uns es bestenfalls nicht vertragen und schlimms-tenfalls allergisch dagegen sind.“

Andere Stars propagieren sogar, man könne durch den Verzicht auf Gluten abnehmen. Die Botschaft kommt offen-bar an. Eine Umfrage unter US-Amerika-nern, die glutenfreie Produkte kaufen, ergab: Mehr als 70 Prozent greifen zu den meist relativ teuren Lebensmitteln, weil sie denken, diese seien gesünder

oder unterstützten sie beim Abnehmen. Die Tatsache, dass „diet“ im Englischen sowohl „Diät“ als auch schlicht „Ernäh-rungsweise“ bedeutet, könnte auch so manchen Deutschen auf die falsche Fährte führen. „Gluten-free diet“ mag vielversprechend klingen, sorgt aber nicht für Gewichtsverlust.

Auf die Frage, ob eine glutenfreie Ernährung für gesunde Menschen ir-

gendwelche Vorteile mit sich bringe, antwortet Wolfgang Holt-meier lapidar: „Nein.“ Und er führt aus: „Bei einer glutenfreien Ernährung fällt auch viel kalo-rienreiches Fast Food und Fer-tigessen weg. Wenn es anfangs zu einem Gewichtsverlust kommt, liegt das nicht am Verzicht auf Gluten.“

Auch der Lebensmittelkon-zern REWE gibt an, mit seinen „frei von“-Produkten nur die überschaubare Zielgruppe von Menschen mit Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten ansprechen zu wollen. „Das sind keine Life-style-Produkte, die man zum Abnehmen kauft“, betont Ka-thrin Kemper, Produktmanage-rin der Linie. Nach einem even-tuellen gesundheitlichen Nutzen der glutenfreien Produkte für Menschen ohne Unverträglich-keit gefragt, sagt sie klar: „Es gibt keinen.“ ■

FRANZISKA KONITZER, freie Journalistin in München, wäre traurig, wenn sie kein glutenhaltiges Backwerk mehr essen dürfte.

LESEN

Andrea Hiller ZÖLIAKIE – EINFACH AUF GLUTENFREI UMSTELLEN Trias 2012, € 14,99

INTERNET

Website der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft: www.dzg-online.de/

Die Charité Berlin sucht Teilnehmer für eine Studie zum Reizdarmsyndrom: reizdarmstudie.charite.de/

Mehr zum Thema

Immer mehr Menschen reagieren mit Beschwer-den auf glutenhaltige Lebensmittel, obwohl im Schnitt nicht mehr Weizenprodukte als frü-her gegessen werden.

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Die ständige Gegenwart des Men-schen stellt die Tierwelt vor enorme Herausforderungen. Wer überleben will, muss kreativ sein.

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Klimawandel – na und? AHMED DJOGHLAF macht sich Sorgen. „Wir verlieren unsere Artenvielfalt in einem beispiellosen Tempo“, beklagte der Sekretär des Umweltprogramms der Vereinten Nationen auf dem letzten Biodiversitätsgipfel in Hyderabad. „Wir erleben eine Katastrophe.“ Derzeit sind 15 Prozent aller Säugetierarten und 11 Prozent aller Vogelarten vom Ausster-ben bedroht, und jeden Tag büßt die Erde 150 bis 200 Spezies ein. Seit dem Verschwinden der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren war es noch nie so schlecht bestellt um die Artenvielfalt unseres Planeten.

Vor allem Arten, die selten Nach-wuchs bekommen, haben es schwer, wie eine Studie von Loren Riesenberg an der University of British Columbia in Vancouver zeigt. Der Evolutionsbiologe berechnete die Überlebenschancen von über 120 Tierarten, die in nördlichen Temperaturregionen leben. Resultat: Arten, die länger als zwei Jahre brau-chen, um sich fortzupflanzen, können mit dem gegenwärtigen Tempo der Erd -erwärmung nicht Schritt halten. Und wer hat in diesem Überlebensspiel die besten Trümpfe in der Hand? „Arten mit einem hohen Verteilungsgrad, großen Populationen und kurzen Generations-zeiten“, prognostiziert Riesenberg.

Genau diese Eigenschaften treffen auf die Mücke Wyeomyia smithii zu. Sie hat eine Generationszeit von nur acht Wochen, das heißt in acht Wochen ver-doppelt sich die Zahl der Tiere einer Po-pulation. Das Insekt, das die Moorland-schaften der amerikanischen Westküste in Millionenstärke bevölkert, überrasch-te die Fachwelt. „Bei Evolution denken wir immer an Jahrhunderte oder gar Jahrtausende“, sagt William Bradshaw, Biologe an der University of Oregon und seit den 1970er-Jahren Fachmann für Wyeomyia smithii. „Aber hier gab es eine Veränderung innerhalb weniger Jahre – das ist eine halsbrecherische Geschwindigkeit!“

ÜBERLEBENSWICHTIGE WINTERRUHE Gemeinsam mit seiner Ehefrau Christina Holzapfel fand Bradshaw heraus, dass sich die Larven der Mücken zwischen 1997 und 2002 plötzlich ungewohnt ver-halten hatten: Ihre Winterruhe begann acht Tage später als gewohnt. Offenbar passten die Larven den Zeit-punkt an die immer später ein-setzenden Winter an. Die Wis-senschaftler vermuten, dass das richtige Timing der Lar-venruhe enorm wichtig für das Überleben ist, da ausgewach-sene Mücken in der kalten Jahreszeit sterben. Entschei-det sich die Larve zu früh für die Ruhephase, verbraucht sie unnötig viele Reserven. Wartet sie jedoch zu lange, erfriert sie.

Auch ein verändertes Nah-rungsangebot kann zu Anpas-sungen führen, wie eine in der Nähe des Kluane Lake im kanadischen Yukon-Territo -rium beheimatete Rothörnchen-

Population (Tamiasciurus hudsonicus) beweist. „Die Tiere beginnen im Schnitt 18 Tage früher mit der Fortpflanzung als vor 10 Jahren“, berichtet Stan Boutin von der University of Alberta.

MEHR ZAPFEN BEI TROCKENHEIT Der Biologe führt das auf die vermehr-ten Austriebe von Fichtenzapfen zurück – einem Hauptbestandteil der Hörnchen-Kost. Das wiederum habe mit den steigenden Temperaturen zu tun: Im Yukon-Territorium ist es heute spürbar wärmer und trockener als noch vor eini-gen Jahren, weshalb die Fichten mehr Zapfen produzieren. Das Rothörnchen kann also einen größeren Wintervorrat anlegen, der ihm genug Energie liefert, um seinen Nachwuchs frühzeitig auf-zuziehen.

Doch nicht nur im menschenleeren Yukon-Territorium haben Tiere mit Pro-blemen zu kämpfen, sondern auch in den rasch wachsenden Ballungszentren. Hier müssen sie mit Straßenlärm und

Kompakt

· Um zu überleben, müssen Tiere und Pflanzen mit den Umweltver-änderungen durch den Menschen fertig werden.

· Manche sind dabei sehr einfallsreich: Sie reagieren mit neuem Körperbau oder verändertem Verhalten.

von Désirée Karge

EVOLUTION

Rothörnchen im Schlaraffenland: Steigen die Temperaturen, gibt es mehr Fichtenzapfen – und einen reichhaltigen Wintervorrat.

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Die globale Erwärmung macht Tieren und Pflanzen zu schaffen – genau wie die wachsende Urbanisierung. Doch einige Arten sind erstaunlich anpassungsfähig.

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tete“ Partecke in Gefangenschaft leben-de Amselmännchen zehn Monate lang jede Nacht mit 0,3 Lux. Danach verglich er das Hodenwachstum der Tiere mit je-nem von Landamseln, die er ohne künstliches Licht gehalten hatte. Bei Vögeln sind die Sexualorgane außerhalb der Fortpflanzungssaison stark zurück-gebildet. Der Biologe stellte fest, dass die Hoden der beleuchteten Vögel im Durchschnitt fast einen Monat früher wuchsen als die der „Dunkelschläfer“. Auch stieg ihr Testosteronspiegel früher im Jahr an – und sie begannen am Mor-gen eine Stunde eher zu singen.

„Das alles sind Indizien für eine verfrühte Paarungsbereitschaft“, erklärt Partecke. „Die jahreszeitliche Organisa-

Land. Auch ist die Stadtamsel drei bis vier Wochen früher paarungsbereit als die Landamsel. „Wir haben schon lange vermutet, dass die nächtliche Lichtver-schmutzung der Großstädte dabei eine Rolle spielt“, sagt der Biologe. Vor Kur-zem lieferte er den Beweis.

LICHTSENSOREN AUF DEM RÜCKEN Dazu rüstete er die Vögel mit kleinen „Rucksäcken“ aus, an denen er Licht-sensoren befestigte. Die Auswertung der Messdaten zeigte, dass die Stadtamseln nachts im Schnitt einer Lichtintensität von 0,2 Lux ausgesetzt waren. Die Sen-soren der Landamseln hingegen regis-trierten nur schlappe 0,00006 Lux. Im zweiten Teil des Experiments „beleuch-

künstlicher Nachtbeleuchtung zurecht-kommen. Etliche schaffen das erstaun-lich gut: „Wir haben Amseln entdeckt, die neben der Neonbeleuchtung einer Diskothek oder über der Lampe eines Parkhausrollgitters nisteten“, sagt Jesko Partecke, der die Unterschiede zwischen Stadt- und Landamseln erforscht.

Seit über zehn Jahren beschäftigt sich der Biologe vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell mit der Amsel (Turdus merula). Der vormals scheue Waldvogel ist seit der Industrialisierung häufig in Städten zu finden. Partecke fand heraus, dass die „Städter“ seltener unter Parasiten leiden, lauter und höher singen und im Winter seltener in den Süden ziehen als ihre Verwandten vom

EVOLUTION

Genetisches Timing der Blütezeit Jeder Bauer weiß: „Ist St. Vinzenz Sonnenschein, gibt es vielen guten Wein.“ Dass der Blüte-zeitpunkt einer Pflanze von Temperatur und Tageslichtdauer abhängt, ist seit Langem bekannt. Aber welche molekularen Prinzipien wirken hier? Forscher vom Max-Planck-Institut für Entwick-lungsbiologie in Tübingen untersuchten zwei Gene der Pflanze Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana – im Bild): das FLM- und das SVP-Gen. Das FLM-Gen kann zwei verschiedene Proteine bilden, eine Beta- und eine Delta-Version, je nachdem, wie kalt es ist. Die Forscher fanden heraus, dass bei niedrigen Temperaturen hauptsächlich FLM-Beta entsteht, das sich mit dem SVP-Protein zu einem Komplex verbindet. Er lagert sich an die Stellen im Erbgut der Pflanze an, die normalerweise die Blüte in Gang setzen – und blockiert sie. Wird es dagegen draußen wärmer, verschiebt sich das Verhältnis der Proteine zugunsten der Delta-Variante, die in Kom-bination mit dem SVP-Protein passiv ist. Folglich zeigen sich bald die ersten weißen Blüten. „Das ist sehr effizient und elegant“, kommentiert Projektleiter Markus Schmid. Zudem könnte es der Pflanze dadurch leichter fallen, sich an die Klimaerwärmung anzupassen.

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Amsel mit „Rucksack“: Daran befestigte Sen-soren halfen dem Bio-logen Jesko Partecke,

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Stadt- und Landamseln ausgesetzt sind.

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tion der Tiere hat sich durch das Kunst-licht drastisch verändert.“ Unklar ist, ob es sich hierbei um eine Adaption han-delt, die einen evolutionären Vorteil dar-stellt, oder um eine Begleiterscheinung des Stadtlebens. „Stadtamseln könnten mehr Nachwuchs zur Welt bringen“, meint der Radolfzeller Forscher. „Das ist aber nur sinnvoll, wenn es für die Nest-linge genug Futter gibt.“ Doch das ist nicht sicher.

FLUGKÜNSTLER KLIFFSCHWALBE Gegenwärtig erforscht der Wissenschaft-ler, welchen Einfluss die Beleuchtung auf die „Fitness“ der Amseln hat – ihre Immunabwehr und ihre Nachkommen-zahl. Außerdem will er wissen, ob es so etwas wie Persönlichkeitsunterschiede zwischen Stadt- und Landamseln gibt. „Ich kann mir vorstellen, dass es muti-gere und aggressivere Tiere waren, die es als Pioniere in die Städte zog.“

Dass sich Vögel sogar an den Straßen-verkehr anpassen können, zeigt eine ak-tuelle Studie an Kliffschwalben (Petro-

chelidon pyrronota) in Nebraska: Seit Beginn der 1980er-Jahre verunglücken auf den Highways des US-Bundesstaats immer weniger Tiere, die – anders als der Name vermuten lässt – auch unter Autobahnbrücken oder Überführungen nisten. „Heute sterben 80 Prozent weni-ger Schwalben im Straßenverkehr als vor 30 Jahren“, berichtet Charles Brown von der University of Tulsa in Oklaho-ma, der drei Jahrzehnte lang mit Autos kollidierte Schwalben aufsammelte und ihren Körperbau analysierte. Anschlie-ßend verglich er die Körper mit denen überlebender Tiere, die er in Netzen ge-fangen hatte.

Vor Kurzem veröffentlichte der Biolo-ge die Ergebnisse seiner Langzeitstudie. Offenbar hat die Flügellänge der Unfall-toten im Laufe der Jahre konstant zuge-nommen, sich hingegen beim Rest der Kolonie verkürzt. Sind lange Flügel demnach lebensgefährlich? „Die natür-liche Auslese hat Individuen favorisiert, deren Körperbau mit einer besseren Fluchtstrategie einhergeht“, vermutet

der Wissenschaftler. „Eine kürzere Flü-gelspanne sorgt für eine bessere Ma -növrierfähigkeit, sodass es seltener zu einem tödlichen Crash kommt.“

Es gibt keinen Grund, etwas schön-zureden: Zweifellos werden viele Tiere und Pflanzen nicht mit dem Tempo menschengemachter Umweltverände-rungen mithalten können. Aber etliche sind doch erheblich anpassungsfähiger als gedacht. ■

DÉSIRÉE KARGE ist bdw- Korrespondentin in den USA. Sie hofft, dass die Tierwelt auf Dauer dem mensch-lichen Einfluss standhält.

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INTERNET

Der Interdisziplinäre Forschungsverbund Lichtverschmutzung informiert über die Folgen hellerer Nächte durch künstliches Licht für Mensch und Tier: www.verlustdernacht.de

Mehr zum Thema

Die Kliffschwalbe (oben) brütet unter Unterführungen und Autobahnbrücken. Charles Brown (rechts) sammelte viele

Jahre lang verunglückte Tiere von der Straße auf und maß ihre Flügellänge.

Resultat: Die Unfalltoten hatten längere Flügel als ihre überle ben den Artge -

nossen. Ausweichmanöver gelingen damit offenbar schlechter. J.

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KREBS GEHÖRT zu den Krankheiten, bei denen sich mancher fragt, was eigent-lich schlimmer ist: die Erkrankung selbst oder deren Behandlung. Schließ-lich ist es das Ziel jeder Chemotherapie, lebende Zellen zu zerstören – eigentlich nur die des Tumors, doch auch gesunde Körperzellen bleiben nicht verschont. Die Folgen sind Haarausfall, Übelkeit, Erbrechen und eine geschwächte Im-munabwehr. Daher ist es eines der Hauptziele der Krebsforschung, die Ne-benwirkungen der Behandlung ein-zudämmen.

Hoffnungen wecken derzeit Konju -gate aus Antikörpern und zelltötenden Wirkstoffen. Die neuen Medikamente sollen den Patienten die Nebenwirkun-gen der herkömmlichen Chemotherapie ersparen und dabei sogar noch wirk-samer sein. Doch können die Konjugate tatsächlich halten, was die Arzneimit-telhersteller prophezeien?

Therapeutische Antikörper haben bereits einen wichtigen Stellenwert in der Krebstherapie. Die im Labor erzeug-ten Stoffe ahmen die Antikörper nach,

die unser Immunsystem produziert, um Infektionen abzuwehren. Denn das kör-pereigene Immunsystem ist bei Krebs hilflos: Es erkennt die Tumorzellen nicht als Fremdkörper und zerstört sie folglich auch nicht.

Die Labor-Antikörper docken dage-gen gezielt an die Krebszellen an und rufen so das Immunsystem mit seinen Killerzellen auf den Plan. Auf diese Wei-se werden die körpereigenen Abwehr-kräfte doch noch zur Bekämpfung des Tumors rekrutiert. Die Antikörper allei-

ne schaffen es allerdings meist nicht, die Tumore zu zerstören. Deshalb verord-nen Ärzte oft zusätzlich eine konventio-nelle Chemotherapie – mit den gefürch-teten Nebenwirkungen.

PRÄZISE WIE EIN CRUISE-MISSILE Die neue Therapie verspricht, ein Zell-gift mithilfe von Antikörpern direkt zu den Krebszellen zu transportieren und die gesunden Körperzellen dabei weit-gehend zu verschonen. Denn solange das Zellgift an den Antikörper gekoppelt ist,

Neue Runde im Kampf gegen Krebs Eine Klasse neuer Medikamente verspricht, Krebs wirksam zu bekämpfen und kaum Nebenwirkungen zu haben.

von Nadine Eckert

PHARMAZIE

Kompakt

· Medikamente mit einem neuen Wirkprinzip sollen Krebspatienten die schlimmen Nebenwirkungen der Chemotherapie ersparen.

· Doch langfristige Therapieerfahrun-gen gibt es mit diesen sogenannten Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten noch nicht. Deshalb sind die Ärzte bislang zurückhaltend.

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Bei Krebszellen ist das Immunsystem hilflos. Es kann die körper-eigenen Zellen nicht erkennen und zerstört sie deshalb nicht. Im Bild: Brustkrebszelle im Rasterelektronenmikroskop.

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Enzyme. Einmal freigesetzt, entfaltet der Wirkstoff seine toxische Wirkung und tötet die Krebszelle ab.

BOOM IN DER PHARMABRANCHE Das Prinzip, nach dem die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate arbeiten, ist schon lange bekannt. Ende des 19. Jahrhun-derts hatte der Chemiker Paul Ehrlich die Idee, „Zauberkugeln“ zu entwi -

setzt“, erklärt der Onkologe Andreas Engert, der an der Universitätsklinik Köln neue immuntherapeutische Ansät-ze erforscht. „Ähnlich wie ein Cruise-Missile sucht ein Teil das Ziel, und der andere Teil zerstört das Ziel.“ Nur in der Krebszelle herrschen Bedingungen, die eine Abspaltung des Zellgifts ermögli-chen – zum Beispiel ein spezieller pH-Wert oder die Anwesenheit bestimmter

ist es weitgehend inaktiv und ungefähr-lich. Die Konjugate schwimmen mit dem Blutstrom durch den Körper – und wenn sie auf eine Krebszelle treffen, die ein passendes Antigen trägt, docken sie an.

„Der Antikörper bindet sich gezielt an die Tumorzelle. Er wird zusammen mit dem Zellgift in die Krebszelle auf-genommen, und erst in der Zelle werden die wirksamen Giftmoleküle freige-

Wie die neuen Medikamente Krebszellen in den Selbstmord treiben

So wird Tumorgewebe von Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten mit Zellgift attackiert (rechts: vergrößerte Tumorzelle, unten Krebszelle im Querschnitt): Die Y-förmigen Antikörper trans-portieren das Zellgift mit dem Blutstrom durch den Körper. Trifft ein Konjugat auf eine Krebszelle mit passendem Rezeptor, dockt

es dort an. Die Zellmembran stülpt sich ein und nimmt den Rezeptor samt seiner Fracht auf. In der Krebszelle spaltet ein Enzym die Verbindung zwischen Antikörper und Zellgift. Das Gift blockiert die Tubuline und behindert so die Zellteilung. Das treibt die Krebszelle schließlich zur Apoptose – zum Selbstmord.

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wie Chemotherapie und Stammzelltrans-plantation nicht mehr zur Verfügung stehen. Man kann dann mit dem Anti-körper-Wirkstoff-Konjugat noch etwas Zeit gewinnen. Es ist aber kein Wirk-stoff, um die Krankheit langfristig unter Kontrolle zu bekommen.“

NICHT ALLE PATIENTEN PROFITIEREN Die üblichen Nebenwirkungen wie Haar-ausfall, Übelkeit und Immunschwä-chung sind zwar bei Antikörper-Wirk-stoff-Konjugaten tatsächlich weniger ausgeprägt. „Doch völlig nebenwir-kungsfrei sind auch sie nicht“, betont

Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt der Kli-nik für Hämatologie, Onkologie und Tu-morimmunologie am HELIOS Klinikum Berlin-Buch, setzt das neue Medikament gegen das Hodgkin-Lymphom bereits seit einer Weile bei Patienten ein. Doch er bremst die Euphorie: „Die neuen Medikamente sind eine interessante Erweiterung unserer therapeutischen Optionen, aber mit Sicherheit keine Wunderwaffe.“ Und er erklärt: „Im klini schen Alltag verwenden wir das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat gegen das Hodgkin-Lymphom nur bei Patienten, bei denen medikamentöse Alternativen

ckeln, die sich hochspezifisch an Krebs-zellen binden und sie zerstören. Zu dieser Zeit waren Antikörper noch un-bekannt.

Hoffnungen wecken die Medikamen-te mit dem zielgerichteten Wirkprinzip nicht nur bei Patienten und Medizinern, sondern auch bei der Pharmaindustrie. Denn sollten die Konjugate halten, was erste Studien versprechen, wäre das Umsatzpotenzial enorm. Für jede Krebs-erkrankung müsste ein eigenes Antikör-per-Wirkstoff-Konjugat entwickelt und vertrieben werden. „Ich denke, es gibt kein größeres oder mittelgroßes Phar-maunternehmen mit einer Krebssparte, das kein Entwicklungsprogramm für Antikörper-Wirkstoff-Konjugate hat oder sich beeilt, eines aufzubauen“, sagte der Investment-Experte Stephen Evans- Freke in einem Interview der New York Times. Er ist Partner einer Investment-firma, die 50 Millionen US-Dollar aus-gegeben hat, um ein Pharmaunterneh-men zu gründen und Antikörper-Wirk-stoff-Konjugate zu entwickeln.

KEINE WUNDERWAFFE Derzeit befinden sich bereits 30 Antikör-per-Wirkstoff-Konjugate für unterschied-liche Krebserkrankungen in der Ent-wicklung. Zugelassen und für Patienten erhältlich sind bisher aber nur zwei der neuen Krebsmedikamente: ein Mittel gegen das sogenannte Hodgkin-Lym-phom, eine Krebserkrankung des lym-phatischen Systems, und ein Mittel ge-gen Brustkrebs.

PHARMAZIE

Wie kommen neue Medikamente auf den Markt? In Europa ist die Europäische Arzneimittelbehörde EMA dafür zuständig, neue Medikamente zuzulassen. Im ersten Jahr nach der Zulassung findet die Bewertung des Zusatznut-zens statt. Denn in Deutschland werden neue Medikamente von den Gesetzlichen Krankenkassen bezahlt, wenn sie bes-ser wirken als die Standardtherapie und dabei gleich gut oder besser verträglich sind. Oder aber wenn sie die gleiche Wirksamkeit, aber deutlich weniger Nebenwirkungen haben –

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ein Kriterium, das so gut wie nie erfüllt wird. Verantwortlich für die Beurteilung des Zusatznutzens sind das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Stellen diese beiden Behörden einen Zusatznutzen fest, beginnen die Preisverhandlungen zwischen Gesetzlichen Krankenkassen und Hersteller, um zu entscheiden, zu welchem Preis das neue Medikament in Deutschland verordnet werden darf.

Modell des HER2-Rezeptors, der auf den Brustkrebs-zellen jeder fünften erkrankten Frau zu finden ist. Der Antikörper Trastuzumab (Handelsname: Herceptin) bindet sich an dieses Protein.

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Vedotin (Handelsname: Adce-tris) bindet sich an den Rezep-tor CD30 – ein Antigen, das 95 Prozent aller Lymphom-Zel-len auf ihrer Oberfläche tra-gen. „Beim Hodgkin-Lymphom und beim systemischen ana-plastischen Lymphom, gegen das Adcetris ebenfalls wirkt, können demnach fast alle Pa-tienten mit dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugat behandelt werden“, sagt Engert.

Das zweite zugelassene Antikörper-Wirkstoff-Konjugat ist Trastuzumab-Emtansin mit dem Han delsnamen Kadcyla. Es kann Brustkrebs bekämp-fen, falls die Brustkrebszellen auf ihrer Ober fläche das Pro-tein HER2 tragen. Und das ist bei etwa jeder fünften Frau mit Brustkrebs der Fall.

Doch auch hier ist Ludwig vorsichtig: „Wir wissen, dass sowohl CD30 als auch HER2 nicht nur auf Tumorzellen zu finden sind. Trastuzumab hemmt möglicherweise wichtige Signalwege in Zellen der Herzmuskulatur – ein Mecha-nismus, der Herzschädigungen durch diesen Antikörper, insbesondere nach Chemo- und Strahlentherapie, erklären könnte.“ Als Kadcyla mit dem Antikör-per Trastuzumab gegen Brustkrebs auf den Markt kam, wurden bei manchen Pa-tienten Herzschädigungen beobachtet.

ECHTE DURCHBRÜCHE SIND SELTEN Für Ludwig sind die Versprechen der Hersteller noch verfrüht. „Durchbrüche sind in der Krebsmedizin extrem selten. Krebszellen sind genetisch sehr hetero-gen und haben viele Mechanismen, um Attacken auszuweichen. Man weiß nicht, ob das Antigen, gegen das der Antikörper gerichtet ist, wirklich auf al-len Krebszellen des Tumors vorkommt. Und ob der Wirkstoff, wenn er in die Zelle gelangt, wirklich in der Lage ist, sie vollständig zu zerstören.“

Ein wichtiger Punkt sind auch die Kosten für die neuen Krebsmedikamen-te. Denn sie sind viel höher als bei einer konventionellen Chemotherapie. „Eine Standard-Chemotherapie kostete etwa 2000 bis 3000 Euro im Monat, eine Behandlung mit Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten dagegen 8000 bis 12 000 Euro“, sagt Engert.

WIE HOCH IST DER ZUSATZNUTZEN? Wie viel die Krankenkassen bereit sind, für eine Therapie mit Antikörper-Wirk-stoff-Konjugaten zu bezahlen, hängt stark vom Zusatznutzen der Medika-mente ab. „Weniger Nebenwirkungen alleine werden für eine gute Bewertung durch die Kostenträger nicht ausrei-chen. Es muss sich auch erweisen, dass sie besser wirken als die Standard- Chemotherapie“, erklärt Engert.

Bislang sind die Mediziner beim Ein-satz der neuartigen Krebsmedikamente noch zurückhaltend. In der Praxis gel-ten sie bislang nicht als Therapie der ersten Wahl, sondern man greift erst zu ihnen, wenn es nach einer Chemothera-pie zu einem Rückfall kommt.

„Das Hodgkin-Lymphom und, wenn man ihn früh genug erkennt, auch der Brustkrebs sind mit einer Chemothera-pie gut behandelbar“, sagt Andreas En-gert. „Deshalb versucht man in Stu dien nur schrittweise, die Chemothe rapie durch Antikörper-Wirkstoff-Konjugate zu ersetzen.“ ■

NADINE ECKERT lernte beim Besuch des weltweit größten Krebskongresses in Chicago, wie Ärzte und Forscher Krebs bekämpfen wollen.

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INTERNET

Das Deutsche Krebsforschungszentrum informiert über Chemotherapie: www.krebsinformationsdienst.de/ behandlung/chemotherapie.php

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Engert. Der Grund: Wenn die Antikör-per-Wirkstoff-Konjugate im Blut zirku-lieren, sind nach einer Weile alle erreich-baren Krebszellen von ihnen besetzt. Für den Rest ist kein Platz mehr. Einige der überflüssigen Konjugate werden über die Nieren ausgeschieden, andere wer-den von weißen Blutkörperchen zer-stört. Da diese dabei selbst kaputt ge-hen, entwickelt sich als typische Neben-wirkung eine Neutropenie – eine Verrin-gerung der weißen Blutkörperchen –, was das Risiko für Infektionen erhöht.

Zudem ist die hohe Spezifität der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate Segen und Fluch zugleich. Dass sie beim An-docken an die Zellen so wählerisch sind, schützt zwar gesundes Gewebe und reduziert die Nebenwirkungen. Es sorgt aber auch dafür, dass nicht alle Patienten von dem Konjugat profitieren können. Nur wenn die Krebszellen im Tumor das passende Antigen tragen, ist der Einsatz der neuen Krebsmedika-mente sinnvoll.

Sehr gut ist die Wirksamkeit beim Hodgkin-Lymphom. Denn Brentuximab

Zellen eines Hodgkin-Lymphoms während der Teilung. Sie stammen von einem 55-jährigen Patienten, der an der seltenen Krebsart erkrankt ist.

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MEDIZIN

ES IST EIN LAUER Sommerabend in Ber-lin. Die Hauptstadt erstickt im Feier-abendverkehr, als eine Meldung bei der Feuerwehrleitstelle eingeht: „Tier in Notlage“. Aufmerksame Passanten ha-ben einen Mann beobachtet, der sich um eine Fledermaus kümmerte. Das Tier verhielt sich sonderbar und schien krank oder verletzt zu sein. Der etwa 40-jährige Tierfreund blutete aus einer Wunde am Finger, die vermutlich von einem Biss des Tiers stammte.

Die Einsatzkräfte rücken aus nach Berlin-Mitte. Um herauszufinden, ob die Fledermaus krank ist, bringen sie das Tier zum Landeslabor Berlin-Bran-denburg. Der Mann lehnt eine Behand-lung seiner Verletzung im Krankenhaus ab. Und er hinterlässt weder Personalien noch Adresse.

TIERFREUND IN LEBENSGEFAHR Wenige Tage später kommt eine erschre-ckende Nachricht aus dem Labor. Im Gehirn der inzwischen toten Breitflügel-fledermaus (Eptesicus serotinus) hat man sogenannte EBLV1-Genotyp-5-Viren ent-deckt. Diagnose: Tollwut – eine Infek -tionskrankheit, die ohne sofortige Be-handlung tödlich verläuft.

In Berlin beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der Tierfreund schwebt möglicherweise in Lebensgefahr. Sollte er sich infiziert haben, bleiben ihm ma-ximal drei bis acht Wochen, bis erste Symptome auftreten: Kopfschmerzen

gebissen wurde, sollte sich daher sofort impfen und die Wunde behandeln lassen (postexpositionelle Tollwut-Pro-phylaxe).

TOLLWUT NICHT AUSGEROTTET Seit 2008 gilt Tollwut in Deutschland als ausgerottet – zumindest die sogenannte terrestrische Form, die vom Fuchs über-tragen wird. Die Zeiten roter oder gelber

Achtung: Tollwut!

Tollwut-Warnschilder gibt es in Deutschland seit Jahren nicht mehr. Doch die Gefahr ist nicht gebannt.

von Sonja Klein

und Appetitlosigkeit, manchmal auch Fieber. Zudem kann es zu Empfindungs-störungen an der Bissstelle, zu Glieder-schmerzen, Verwirrung, Aggressionen und einer Abneigung gegen Wasser kommen.

Wird der Infizierte nicht sofort be-handelt, liegen maximal zehn Tage zwischen den ersten Symptomen und dem Tod. Wer von einem infizierten Tier

Vorsicht vor Fledermäusen: Sind sie mit Tollwut infiziert, kann ihr Biss tödlich sein (im

Bild ein Großes Mausohr).

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Warnschilder mit Aufschriften wie „Tollwut! Gefährdeter Bereich“ oder „Impfgebiet Tollwut“ sind seither vor-bei. Dennoch ist die Gefahr für den Menschen nicht gebannt. Theoretisch kann sich nämlich jedes Säugetier infi-zieren und den Erreger durch einen Biss weitergeben. Gerade Fledermäuse ha-ben mit ihrem abgeschotteten Lebens-stil in Verbänden von 20 bis 200 Tieren für das Überleben der Viren in Europa gesorgt. Groß angelegte Impfkam-pagnen, wie sie bei Füchsen unternom-men wurden, sind praktisch unmöglich.

GEFÄHRLICHE UNWISSENHEIT „Bis heute weiß man nicht, wo die Tiere genau leben. Man würde nur einen Bruchteil von ihnen erwischen“, erklärt Tierarzt Thomas Müller, der am Fried-rich-Löffler-Institut (FLI) das Referenz-labor für Tollwut leitet. Die Ausbreitung der Fledermaus-Tollwut in Deutschland zu überwachen, ist schwierig, da die

Tiere unter Artenschutz stehen und nicht getötet werden dürfen. Doch eine eindeutige Diagnose ist bisher nur nach dem Tod möglich. Auch stellt sich die Frage, ob eine flächendeckende Über-wachung überhaupt nötig ist. „In Deutschland ist bisher noch kein Mensch an Fledermaus-Tollwut gestor-ben“, sagt Müller.

Wahrscheinlich sind sogar nur weni-ge Fledermäuse infiziert: 2012 gab es gerade einmal 14 dokumentierte Fälle. Das könnte zumindest teilweise an den kleinen Verbandzahlen liegen. Dadurch verringert sich die Gefahr, dass die Tiere das Virus untereinander verbreiten. Außerdem fressen deutsche Fledertiere nur Insekten und andere Kleintiere. Die berüchtigten Vampirfledermäuse, die sich vom Blut anderer Säuger ernähren, gibt es hierzulande nicht. Die Gefahr für den Menschen besteht vor allem in sei-ner Unwissenheit. Wie für jedes wild -lebende Tier gilt auch für Fledermäuse: nicht mit bloßen Händen anfassen, vor allem keine kranken oder sehr zutrauli-chen Tiere.

Eindeutig lässt sich Tollwut nur an-hand von typischen Antikörpern diag-nostizieren. „Dieser Nachweis kann aber nicht am lebenden Organismus durchgeführt werden“, bedauert Müller. Im Gegensatz zu anderen Infektions-krankheiten wandert das Virus über das Nervensystem zum Gehirn. „Es benutzt zelleigene Transportsysteme, um von einer Zelle zur nächsten zu gelangen.

Zusätzlich ,kidnappt‘ es Proteine inner-halb von Zellen, um sich vor der Im-munabwehr der Zellen zu verstecken“, erklärt Conrad Freuling, Veterinärmedi-ziner und Experte für Fledermaus-Toll-wut am FLI .

TODESURSACHE UNBEKANNT Daher ist eine Diagnose oft erst möglich, wenn das Virus ins Gehirn gelangt ist und klinische Symptome auftreten. Dann hat die massenhafte Vermehrung des Erregers jedoch bereits zu irrepara-blen Schäden geführt.

Was letztlich zum Tod führt, ist un-klar. Möglicherweise enden die Hirn-schäden des Patienten tödlich. Oder das Virus verändert den genetischen Code der Gehirnzellen und führt so zu einer Fehlfunktion der betroffenen Zellen. Erste Anzeichen für veränderte Gene in Nervenzellen, die eine Tollwut-Infektion überstanden haben, gibt es bereits.

Ob sich der Berliner Tierfreund infi-ziert hat, ist nicht bekannt. Trotz der groß angelegten Suche bleibt sein Schicksal ungewiss. Er wurde nicht gefunden, auch nicht unter den Ver -storbenen. ■

Resistent gegen das Virus? Antikörper gegen das Tollwut-Virus haben Wissenschaftler des US-ame-rikanischen Centers for Disease Control and Prevention im Blut von Angehörigen einer indigenen Gemeinschaft in der peruanischen Provinz Datem del Mara-ñón gefunden. Die Forscher glauben, dass diese Bewohner des Amazonas- Gebiets eine Tollwut-Infektion überlebt haben. Warum, sollen genauere Unter-suchungen zeigen. Damit könnte ein weiterer Schritt getan sein, um eines Tages Tollwutkranke behandeln zu können. Die Experten des FLI warnen jedoch vor zu großer Hoffnung: Die Studie aus dem peruanischen Amazonas sei nicht mehr als ein Anfang. Im Bild: Tollwut-Virus (Rabies-Virus) im Elektronenmikroskop.

INTERNET

Das Robert-Koch-Institut informiert über die Verbreitung und den Umgang mit Tollwut: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/T/Tollwut/Tollwut.html

Mehr zum Thema

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Es wäre die größtmögliche Horizonterweiterung unseres Weltbilds, wenn es stimmt, dass unser Universum nur eines unter vielen ist – ein winziger Teil eines unüber-schaubar großen Multiversums. Immer mehr Physiker und Kosmologen sind von dieser extravaganten Hypo-these überzeugt. Andere dagegen befürchten hier eine unverantwortliche Grenzüberschreitung der wissen-schaftlichen Vernunft. Sie wittern sogar einen Verrat an den Prinzipien und Methoden der etablierten Physik und fürchten um das Ansehen ihrer Disziplin. bild der wissenschaft erklärt: Worum geht der Streit? Und worauf gründen die Forscher ihre kühnen Behauptungen? Seite 38: UNSER UNIVERSUM IST NICHT DAS EINZIGE

Seite 41: WAS IST EIN UNIVERSUM?

Seite 42: WAS IST DIE KOSMISCHE INFLATION?

Seite 45: SZENARIO I: DIE EWIGE INFLATION

Seite 46: SZENARIO II: DIE STRINGLANDSCHAFT

Seite 48: SZENARIO III: DAS WABERNDE QUANTENVAKUUM

Seite 50: WELCHE PROBLEME LÖST EIN MULTIVERSUM?

Seite 52: IST DAS NOCH WISSENSCHAFT?

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Die Vielfalt des Kosmos: Jeder Mensch ist eine Insel, ein eigenes Die Vielfalt des Kosmos: Jeder Mensch ist eine Insel, ein eigenes geistiges Universum. Der Ausschnitt aus dem abstrakten Ölbild geistiges Universum. Der Ausschnitt aus dem abstrakten Ölbild „Komposition VII“ von Wassily Kandinsky ( „Komposition VII“ von Wassily Kandinsky (1913) illustriert diese 1913) illustriert diese Idee – und erinnert Physiker an das Multiversum der Stringland-Idee – und erinnert Physiker an das Multiversum der Stringland-schaft mit verschiedenen schaft mit verschiedenen Vakua, inflationierenden Raumzeitblasen Vakua, inflationierenden Raumzeitblasen sowie exotischen Domänengrenzen und Texturen dazwischen. sowie exotischen Domänengrenzen und Texturen dazwischen.

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Unser Universum ist nicht das einzige

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„E PLURIBUS UNUM“ („Aus vielen eines“) steht seit 1782 auf dem Siegel der USA. Der Wahlspruch, der auf den antiken Philosophen Heraklit zurückgeht, könn-te auch als Motto für eine der größten Herausforderungen der aktuellen Kosmo -logie dienen. Manche befürchten aller-dings, dass dadurch die Grundfesten der Wissenschaft erschüttert werden. Denn die Entwicklungen der letzten Jahre ha-ben eine Annahme ins Wanken gebracht: dass die Welt eine Einheit darstellt, die eins und alles ist – das Universum.

Doch an dieser Vorstellung rütteln Quantenphysiker und Kosmologen im-mer heftiger. Wenn sie recht haben, gibt es nicht ein Universum, sondern viele – möglicherweise sogar unendlich viele. Mehr noch: Die Universen gehen viel-leicht auseinander hervor wie Zweige aus Ästen oder wie sprießende Hefezel-len. Sie könnten exakte Doppelgänger von jedem von uns enthalten – und zu-

vom Massachusetts Institute of Tech-nology in dieselbe Kerbe. Er erhielt 2004 den Physik-Nobelpreis für seine Arbei-ten zur Quantenfeldtheorie der Starken Wechselwirkung. „Es könnte sein, dass die Naturgesetze, mit denen wir das be-obachtbare Universum erfolgreich be-schreiben, am natürlichsten in einem

Wir sind nicht das Zentrum im All – diese Erkenntnis erschütterte einst unser Weltbild. Jetzt bahnt sich die größte aller gedanklichen Revolutionen an: Das Weltall könnte nur ein winziger Teil eines gigantischen Multiversums sein.

von Rüdiger Vaas

Kompakt

· Einige Szenarien machen die Existenz anderer Universen plau -sibel: Kosmische Inflation, String-landschaft und Fluktuationen des Quantenvakuums.

· Die Multiversum-Hypothese kann viele fundamentale Fragen der Kos-mologie beantworten.

· Doch Kritikern zufolge untergräbt sie den wissenschaftlichen Standard der Überprüfbarkeit.

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dem alle möglichen Varianten. Manche Kosmologen meinen sogar, dass alles, was physikalisch möglich ist, auch not-wendig existieren muss.

VIELE HORIZONTERWEITERUNGEN Diese abenteuerlichen Hypothesen ste-hen in einer langen Tradition astrono-mischer Horizonterweiterungen. Einst dachte man, dass die Erde das Zentrum des Alls sei, umschlossen von einer Kristallsphäre, an der wie Lampions die Sterne hängen. Inzwischen hat sich das Weltbild radikal gewandelt. Die Erde kreist um einen durchschnittlichen Stern am Rand eines galaktischen Spi -ralarms, als ein Planet unter Abermilli-arden – und das bei Abermilliarden von Sternen in Abermilliarden von Gala-xien. Einen Mittelpunkt hat der – womöglich unendlich große – Weltraum auch nicht. Dass selbst unser Universum nichts Besonderes und Einmaliges ist, erscheint da als eine logische Fortsetzung. Brian Greene von der Columbia University sprach kürzlich vom „Superkopernikanischen Prinzip“: Wie die Erde hat auch das Universum keine Sonderstel-lung, sondern ist lediglich Teil eines „Multiversums“.

„Gut begründete Ideen, dass die phy-sikalische Realität sehr viel größer ist als die menschliche Wahrnehmung von ihr und dass der beobachtbare Teil nicht re-präsentativ für das Ganze ist, gibt es auf vielen Ebenen“, schlägt Frank Wilczek

Im Schlund der Welten: Der neueste Schrei in der Kosmo-

logie ist die Multiversum- Hypothese. Danach existieren

unzählige andere Weltall- Gebilde mit eigener Raumzeit.

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größeren Rahmen formuliert werden müssen, der unbeobachtbare Bereiche einschließt.“ Dafür argumentiert er in einem mit „Multiversality“ betitelten Fachartikel, der demnächst in der Zeit-schrift Classical and Quantum Gravity er-scheint. Darin stellt er die Frage: „Gibt es Aspekte des Universums, die durch die Multiversalität erklärt werden kön-nen, aber nicht auf andere Weise?“ Und er nennt mehrere gewichtige Gründe, warum die Antwort „Ja“ lauten muss.

Andere renommierte Kosmologen und Physiker wie Alan Guth, Alexander

Vilenkin, Andrei Linde, Leonard Suss-kind, der Königliche Astronom Sir Mar-tin Rees (Baron Rees of Ludlow) und der Physik-Nobelpreisträger Steven Wein-berg haben in den vergangenen Jahren ebenfalls scharf sinnig dafür argumen-tiert, die Existenz anderer Universen ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Aber es regt sich auch vehementer Widerspruch von nicht minder pro-minenter Seite. „Es handelt sich eher um ein vages Konzept als um eine defi-nierte Theorie“, kritisiert George Ellis von der Universität Kapstadt, wie sein

früherer Kollege Stephen Hawking seit Jahrzehnten ein bedeutender Kosmolo-ge. Er wirft den Multiversum-Anhän-gern vor, dass sie „stillschweigend die Bedeutung von Wissenschaft neu defi-nieren“.

Und der Physik-Nobelpreisträger Ro-bert B. Laughlin schimpft: „Wie kann es passieren, dass Leute dafür bezahlt wer-den, über Dinge zu sprechen, die nie ge-messen werden können und vermutlich nicht wahr sind?“ Der Festkörperphysi-ker verkündet damit auch den „Ab-schied von der Weltformel“.

HALTLOSE SPEKULATIONEN? Ellis, Laughlin & Co. bemängeln, dass mit Multiversen-Szenarien prinzipiell unüberprüfbare Behauptungen in die Welt gesetzt würden. Mit harter Wissen-schaft habe das nichts zu tun. Vorhersa-gen wären unmöglich, der Beliebigkeit sei Tür und Tor geöffnet, und das Er-folgsrezept der strengen Maximen der Forschung würde unterlaufen.

Die Multiversum-Anhänger erwidern, dass es sich keineswegs um haltlose Spe-kulationen handele, sondern um Konse -quenzen bestätigter Theorien oder zu-mindest gut begründeter Szenarien. Die Multiversum-Hypothese könne ansons-ten völlig unverständliche Eigenschaf-ten unseres Universums erklären, teils sehr wohl getestet werden und sei ein seriöser Zweig der Wissenschaft.

Multiple Multiversen Wann der Begriff „Multiversum“ erst-mals verwendet wurde, ist unbekannt. Er findet sich, mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen, bereits in den Schriften der Philosophen William James (1842 bis 1910), Heinrich Rickert (1863 bis 1936) und Ernst Bloch (1885 bis 1977), aber natürlich ohne den ge-genwärtigen physikalisch-kosmologi-schen Bezug.

Wichtig wurde der Begriff zunächst in der Quantenphysik, in der Debatte um die Many-Worlds-Interpretation. Sie postuliert die Existenz vieler sich über-lagernder Quantenwelten. So verstand Andy Nimmo von der British Interpla-netary Society 1960 unter „Multiver-sum“ einen „Zweig“ der Wellenfunk-tion des als einzigartig betrachteten Universums, also eine einzelne Welt unter vielen Welten. Seine Definition hat sich nicht durchgesetzt.

Quantenphysiker und Kosmologen verwenden „Multiversum“ genau im umgekehrten Sinn – als Sammel-namen für alle diese Welten. „In den 1970er-Jahren wurde der Begriff häufig und informell bei der Diskussion der Viele-Welten-Interpretation benutzt“, erinnert sich David Deutsch von der Oxford University, einer der prominen-testen Vertreter dieser Sicht. „Als ich 1977 über die Many Worlds zu forschen begann, habe ich ihn einfach in mei-nen Artikeln übernommen.“ Tatsäch-lich hat der britische Science-Fiction-Autor Michael Moorcock ab 1962 in seinen „Eternal Champion“-Kurz-

geschichten und später im Roman „The Blood-Red Game“ in dieser Be-deutung vom „Multiversum“ geschrie-ben. „Von Moorcocks Büchern erfuhr ich allerdings erst später und las sie mit Vergnügen“, dementiert Deutsch anderslautende Berichte.

In den 1980er- und 1990er-Jahren übernahmen auch Kosmologen all-mählich das Wort. Denn sie begannen mehr und mehr über andere Universen zu spekulieren. Das geschah vor allem im Zusammenhang mit dem Szenario der Kosmischen Inflation und unab-hängig von (manchmal auch in Kom-bination mit) der Vielzahl der Quanten-welten. In den 2000er-Jahren etablier-te sich der Begriff vollends in der Fach-literatur. Allein in den letzten fünf Jah-ren sind über 150 wissenschaftliche Artikel mit „Multiversum“ im Titel oder in der Zusammenfassung erschienen.

Kosmisches Auge: Die Infrarotstrahlung des 650 Lichtjahre entfernten Helix- Nebels im Sternbild Aquarius.

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delt. Wäre (6) richtig, könnte es sogar komplett isolierte Multiversen geben, sodass man noch einen umfassenderen Begriff für ihre Gesamtheit bräuchte. Vorschläge gibt es bereits: Omniversum oder Kosmos.

BEGRENZTE FROSCHPERSPEKTIVE Dass es theoretisch eine Fülle von Uni-versen gibt, ist unumstritten – jede Lösung der Feldgleichungen der All-gemeinen Relativitätstheorie beschreibt bereits ein eigenes kosmologisches Mo-dell. Doch welche dieser Modelle sind physikalisch gesehen Realität? Oder hat womöglich der Kosmologe Max Teg-mark vom Massachusetts Institute of Technology recht, wenn er meint, dass alle mathematischen Strukturen real sind und wir aus unserer Froschper-spektive nur eine einzige wahrnehmen können, die wir hochtrabend „Univer-sum“ nennen?

Fest steht, dass Kosmologen mehr brauchen als ein paar komplizierte Glei-chungen. Gesucht ist eine Theorie, die die Entstehung und physikalische Ein-

es in sich zusammenstürzt, solange es noch klein ist, (5) ein Zweig der quantenphysikali -schen Wellenfunktion (falls diese nie kollabiert) – das heißt, eine von ver-schiedenen Historien oder verschiede-nen Welten in Superposition (siehe Kas-ten S. 51, „Viele Quantenwelten“), (6) vollständig getrennte physikalische Systeme.

Gemäß (1) gibt es lediglich ein ein-ziges Universum, aber das löst das Pro-blem selbstverständlich nicht. Begriffe wandeln sich mit dem wissenschaftli-chen Fortschritt – so hat zum Beispiel das „Atom“ (von griechisch „atomos“, un-teilbar) heute seine ursprüngliche Be-deutung verloren. Die Kosmologen be-zeichnen aktuell mit Multiversum in der Regel die Menge der Universen im Sinn von (2), (3) oder (4), wobei (5) jeweils hin zukommen kann, wenn man diese Interpretation der Quantenphysik teilt – was viele Quantenkosmologen wie Stephen Hawking tun. (6) ist die radi-kalste Auffassung und im Augenblick eher im Reich der Metaphysik angesie-

DER BEGRIFF „MULTIVERSUM“ leitet sich von „Universum“ ab, worin das lateini-sche Wort „unus“ für „ein Einziger“ steht, und vervielfacht dieses im Wort-anfang, denn „multus“ bedeutet „viel, zahlreich“. Es bezeichnet die in der ak-tuellen Kosmologie so beliebte wie um-strittene Hypothese, dass eine Vielzahl von Universen existiert. Zuweilen wird „Multiversum“ synonym mit „Megaver-sum“, „Metaversum“, „Omniversum“, „Ultraversum“ oder „Welt-Ensemble“ verwendet.

Die Probleme und Konfusionen be-ginnen schon mit der Terminologie. Denn es werden mindestens sechs ver-schiedene, sich teilweise überlappende Begriffe gebraucht. Mit „Universum“ kann gemeint sein: (1) alles, was (physikalisch) existiert – irgendwann und irgendwo, (2) die beobachtbare Region des Alls, (3) die beobachtbare Region des Alls und alles, was mit ihr in kausaler Wechsel-wirkung stand oder einmal stehen wird, (4) jedes physikalische System, das uni-versell groß werden könnte, selbst wenn

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Was ist ein Universum?

Der Urknall: Vielleicht war er Der Urknall: Vielleicht war er nur ein Ereignis unter vielen nur ein Ereignis unter vielen und nicht der Anfang von allem.und nicht der Anfang von allem.

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bettung vieler Universen erklären und zwingend erschließen lassen kann. Mehrere solcher Ansätze haben sich in den letzten Jahren herausgeschält. Das geschah zum Teil gleichsam unter der Hand der Forscher und sogar entgegen ihren Absichten und Erwartungen. Heu-te hat es fast den Anschein, sie könnten

DER URKNALL gilt als erwiesene Tatsa-che, denn die kosmologische Standard-theorie, in deren Zentrum er steht, wur-de inzwischen exzellent bestätigt (bild der wissenschaft 11/2009, „Der Ur-knall“). Doch sie lässt auch viele Fragen offen. So bleibt unklar, was den Urknall auslöste, woher die Elementarteilchen kamen und wodurch der Weltraum so groß wurde.

Eigentlich handelt die Urknall-Theo-rie gar nicht vom Urknall selbst, son-dern von seinen Folgen. Ob mit dem Urknall Raum und Zeit erst entstanden sind, wird nicht erklärt. Diese Frage kann, wenn überhaupt, erst mit einer Theorie der Quantengravitation beant-wortet werden, die die Quantenfeld-theorien mit der Allgemeinen Relati -vitätstheorie verknüpft (siehe Grafik rechts „Weg zur Weltformel“).

WAS DEN WELTRAUM GROSS MACHTE Unabhängig davon gibt es weitere Schwierigkeiten, die bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren offenkundig wurden. So hat Stephen Hawking 1973 auf die außerordentlich unwahrscheinli-che „Flachheit“ des Weltraums hinge-wiesen, also auf die Tatsache, dass er auf großen Skalen nicht oder fast nicht gekrümmt ist. Dieses Problem lässt sich, wie viele weitere, überraschend auf einen Schlag lösen: durch das Szenario der Kosmischen Inflation (siehe Tabelle S. 44, „Prima Paradigma“).

Diese Inflation (von lateinisch „infla-re“, aufblähen) hat nichts mit Geldent-wertung zu tun. Im Gegenteil: Die Natur

soll damit fast alles aus fast nichts er-zeugt haben – und das ohne den Satz von der Erhaltung der Energie zu verlet-zen, also quasi kostenlos.

Durch die Kosmische Inflation hat sich der Weltraum in einem Sekunden-

bruchteil gigantisch aufgebläht. Wie lange diese rasante Ausdehnung währ-te, ist von Modell zu Modell verschie-den. Ein populärer Wert: In 10–30 Sekun-den expandierte das junge All um das 1030-Fache – das ist so, als würde sich

Wege zur Weltformel

Viele Durchbrüche in der Physik beruhen auf einer einheitlichen Beschreibung unterschiedlicher Phänomene und einer Vereinigung separater Hypothesen, Ge-setze oder Theorien in einer umfassen-deren Theorie. Diese Arbeit, die Isaac Newton mit seiner Gravitationstheorie begonnen hat, ist noch nicht vollendet. Denn eine zusammenhängende Theorie

von Raum und Zeit sowie aller Kräfte und Materieformen fehlt bislang. Kan-didaten für eine solche „Weltformel“, die auch die Quantentheorie und Allge -meine Relativitätstheorie im Rahmen einer Theorie der Quantengravitation verbindet, sind die String- oder M-Theo-rie sowie die Schleifen-Quantengravita-tion. Brisant ist: Sie legen die Existenz anderer Universen nahe oder können zumindest entsprechende kosmologi-sche Modelle so erklären.

Was ist die Kosmische Inflation?

die Zahnpasta nicht mehr in die Tube ihrer weltumspannenden Theorien zu-rückbefördern, selbst wenn sie es woll-ten. Der multiversale Geist ist gleichsam aus der Flasche und spukt jetzt überall herum.

Gegenwärtig sind es vor allem drei Szenarien, die sich als „Universen-

Schleudern“ erwiesen haben. Jedes be-dingt für sich die Existenz eines Multi-versums, und sie schließen einander nicht aus. Begonnen hat diese schwin-delerregende Entwicklung mit einer Idee, die inzwischen als Standarderwei-terung der Urknall-Theorie gilt: der Kos-mischen Inflation.

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Expansion, weil die Energiedichte in diesem Zustand konstant bleibt.

·Gemäß der Relativitätstheorie kann sich nichts schneller als mit Licht-geschwindigkeit bewegen. Aber dies gilt nur für gewöhnliche Teilchen im Raum. Bei der Inflation ist es der Raum selbst, der sich überlichtschnell ausdehnt. Und das lässt sich mit der Allgemeinen Rela-tivitätstheorie nicht nur vereinbaren, sondern auch erklären.

DER ZERFALL DES FALSCHEN VAKUUMS Was genau die Inflation antrieb – und wieder stoppte –, ist bis heute unklar. Der Einfachheit halber nehmen die Kos-mologen einen physikalischen Grund-zustand an, das „falsche Vakuum“. Die-ser Zustand soll von einem Energiefeld namens Inflaton beherrscht worden sein (oder von mehreren), bis dieses in einem sogenannten Symmetriebruch spontan zerfiel und das „echte Vaku-um“ entstand, also ein neuer Zustand, in dem sich unser Universum seither befindet.

Das klingt exotisch. Doch ähnliche „Phasenübergänge“ gab es nachweis-lich auch später, bei der Aufspaltung der Naturkräfte, und sie sind alte Bekannte in der Elementarteilchenphysik. Auch das Higgs-Feld – das in einigen Model-

len sogar mit dem Inflaton in Zusam-menhang gebracht wird – unterlag etwa 10–11 Sekunden nach dem Urknall einer Symmetriebrechung. Erst dadurch be-kamen die Elementarteilchen über-haupt ihre träge Masse.

Die ersten Modelle der Kosmischen Inflation entwickelten ab 1979 die Phy-siker Alan Guth, Alexei A. Starobinsky, Alex Vilenkin, Andrei Linde und Paul Steinhardt. Auch Stephen Hawking war sofort Feuer und Flamme und beteiligte sich an der Forschung – bis heute. Er und andere erkannten bereits 1982, dass die Inflation kleine zufällige Irregulari-täten enorm vergrößert haben müsste.

Das war der Beginn eines neuen For-schungszweigs, der das Allerkleinste mit dem Allergrößten verbindet: Winzige Quantenfluktuationen wurden durch die Inflation später zu gewaltigen Dichte-schwankungen im Urgas aufgeblasen, überlegten die Forscher. Ein „Abdruck“ hiervon müsste sich als geringfügige Temperaturschwankungen in der Kos-mischen Hintergrundstrahlung abzeich-nen: Wo sich etwas mehr Materie kon-zentrierte, war es ein paar Hunderttau-sendstel Grad wärmer. Diese regionalen Verdichtungen hätten mit ihrer höheren Schwerkraft die Keimzellen der künfti-gen Sterne und Galaxien gebildet.

eine ein Zentimeter große Münze auf das Zehnmillionenfache der Milchstra-ße aufblähen. Fest steht, dass sich die Größe des Alls durch die Inflation min-destens 50 Mal verdoppelt hat, denn sonst hätte das All heute nicht die Eigenschaften, die die astronomischen Beobachtungen zeigen – beispielsweise die großräumige Gleichförmigkeit sei-ner Materieverteilung und die „flache“ Geometrie.

Obwohl die Inflation also auf den ers-ten Blick gleich zwei Naturgesetze zu verletzen scheint, ist das nicht der Fall:

·Das Prinzip von der Erhaltung der Energie verbietet die Entstehung von Masse aus dem Nichts. Doch es gibt ein Schlupfloch: die negative Energie. Dazu gehört die Energie des Gravitationsfelds. Erscheint mehr positive Energie – und gemäß E = mc² somit Masse –, wenn ein Raumbereich sich mit konstanter Dichte ausdehnt, dann bildet sich zu-gleich mehr negative Energie im Gravi-tationsfeld, das diese Region ausfüllt. Die Energien der Schwerkraft und Mas-se gleichen einander gerade aus, die Ge-samtenergie bleibt also erhalten. Dies geschieht nicht bei der normalen Aus-dehnung des Universums, weil hier die Dichte der Materieenergie geringer wird, wohl aber bei der inflationären

Universen ohne Ende: Wie in einem Schaumbad produziert die Kosmische Inflation immer neue Blasenuniversen. Wo sie aufhört, entlädt sich ihre Energie als Urknall. Wenn das stimmt, wäre das sichtbare All ein winziger Ausschnitt einer solchen Blase.

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Probleme der Standardtheorie vom Urknall … ... und ihre Lösung im Szenario der Kosmischen Inflation

Expansion: Was hat die Ausdehnung des Weltraums verursacht?

Tatsächlich hat der Satellit COBE (Cosmic Background Explorer) ein Jahr-zehnt später erste Anzeichen solcher Temperaturschwankungen gemessen – für ihre Entdeckung gab es 2006 einen Physik-Nobelpreis, für die Voraussagen allerdings nicht. Inzwischen haben irdi-sche Teleskope sowie die Raumsonden WMAP (Wilkinson Microwave Aniso-tropy Probe) und Planck sie sehr genau kartiert – ein Triumph der Wissenschaft.

EINFACHHEIT, ELEGANZ – UND RÄTSEL Zwar glänzt das Szenario der Inflation in seinen Grundzügen durch Einfach-heit und Eleganz. Doch viele Details sind bis heute rätselhaft. Inzwischen gibt es Hunderte konkurrierender Mo-delle. Sie lassen sich zwar im Prinzip jedes für sich überprüfen, doch es ist unklar, ob das Szenario insgesamt falsi-fiziert werden kann – und die Wider -legbarkeit gehört ja zu den grundlegen-

den Merkmalen wissenschaftlicher Hy-pothesen. Deshalb ist es gut, dass in den letzten Jahren ein paar konkurrierende Ansätze entwickelt wurden. Doch die Idee der Kosmischen Inflation hat in-zwischen so viele Tests bestanden und eine so große Erklärungskraft entfaltet, dass sie fast schon als „Standarderwei-terung“ der Standardtheorie vom Ur-knall gilt.

Diese Erweiterung ist auch eminent räumlich zu verstehen. Denn im Gegen-satz zur ursprünglichen Urknall-Theo-rie stammt im Szenario der Inflation nicht nur der gesamte beobachtbare Weltraum, sondern ein sehr viel größe-rer Bereich aus einer winzigen, super-dichten Region, die sich exponentiell schnell ausgedehnt hat.

Die schlechte Nachricht dabei ist: Wenn die Inflation sehr lange gedauert hat, wurde durch sie alles aus der Zeit zuvor so explosionsartig verdünnt, dass

es sich heute prinzipiell nicht mehr be-obachten lässt. Dann wären sämtliche Spuren vom Anfang der Inflation unzu-gänglich. Der Beginn von allem wäre für immer verborgen.

Die gute Nachricht: Die Anfangs-bedingungen des Universums könnten viel weniger speziell gewesen sein als bislang gedacht. Das verringert die Un-wahrscheinlichkeit der Weltentstehung beträchtlich und gibt der Kosmologie eine zusätzliche Erklärungstiefe.

Die Inflation hat, so die Vorstellung der Kosmologen, unsere Welt nicht nur groß gemacht, also den Spielraum für al-les Weitere geschaffen, sondern sie lie-ferte gleichsam auch das Spielzeug frei Haus. Am Ende der Inflation, so die gän-gige Ansicht, verwandelte sich die Energie des berstenden Inflatonfelds beim Über-gang vom „falschen“ ins „echte“ Vaku-um in eine Kaskade von Elementarteil-chen. Das war die Geburt der Materie.

Das Inflaton – ein hypothetisches Feld, das mit seinem negativen Druck wie Antigravitation wirkt.

Homogenität: Warum ist das Universum überall und in allen Richtungen extrem gleichförmig? (Der heute beobacht-bare Weltraum mit etwa 1026 Meter Durchmesser wäre im Alter von 10–35 Sekunden knapp einen Zentimeter groß gewesen, doch das Licht konnte damals erst etwa 10–27

Meter zurücklegen – also viel zu wenig, um Anfangsunter-schiede aus zugleichen.)

Weil durch die exponentielle Ausdehnung des Weltraums das heute beobachtbare Universum aus einer viel kleineren Region entstanden ist als ohne Inflation. Diese Region war so winzig, dass alle ihre Teilbereiche in Wechselwirkung standen und sich einander anglichen. Diese Homogenität hat die Inflation erhalten und enorm „vergrößert“.

Flachheit: Woher kommt die insgesamt nahezu ungekrümmte Geometrie des Weltraums? (Als zufällige Anfangsbedingung wäre sie extrem unwahrscheinlich, etwa 1 zu 1058.)

Durch die Inflation, die den Raum in alle Richtungen „ge-streckt“ hat – ähnlich, wie ein zerknittertes Tischtuch beim Auseinanderziehen geglättet wird.

Fluktuationen: Woher stammen die winzigen Temperatur-unterschiede in der Kosmischen Hintergrundstrahlung? (Sie spiegeln Dichteunterschiede im Urgas wieder, aus denen später Galaxien und Galaxienhaufen entstanden.)

Von zufälligen Quantenfluktuationen, die sich vor der Infla -tion ereignet haben und durch sie extrem verstärkt und ver-größert wurden.

Topologische Defekte: Warum sehen Astronomen keine exo-tischen Objekte (Magnetische Monopole, Kosmische Strings, Domänengrenzen oder Texturen), wie sie von bestimmten Theorien der Teilchenphysik vorausgesagt werden?

Weil die Defekte, falls sie existieren, durch die Inflation so weit auseinandergetrieben wurden, dass sie im beobacht-baren Universum (fast) nicht vorkommen.

Teilchenzahl: Woher kommen die ungefähr 1080 Elementar-teilchen im beobachtbaren Weltraum?

Aus der Zerfallsenergie des Inflatonfelds, als die Inflation aufhörte.

Eindeutigkeit: Warum sind die Naturgesetze und -konstanten genau so, wie sie sind?

Weil vielleicht alle Möglichkeiten irgendwo realisiert sind, wenn die Inflation zur Entstehung unterschiedlicher Universen führt.

Prima Paradigma Das Szenario der Kosmischen Inflation hat viele Bewährungs-proben bestanden: immer genauere Messungen der winzigen Temperaturschwankungen in der Kosmischen Hintergrundstrah-

lung, die das Szenario hätten widerlegen können, aber umge-kehrt teilweise sogar von ihm vorausgesagt wurden. Die Tabelle fasst die wesentlichen Pluspunkte zusammen.

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„DIE INFLATION ist in gewisser Weise nicht ein Teil des Urknall-Modells, wie früher gedacht, sondern der Urknall ist ein Teil des Szenarios der Kosmischen Inflation“, sagt Andrei Linde, der den Urknall mit der Erzeugung der Materie gleichsetzt. Doch die Konsequenzen ge-hen sehr viel weiter: Wenn die Inflation nicht überall im Kosmos gleichzeitig auf-gehört hat, sondern an unterschiedli-chen Stellen zu unterschiedlichen Zei-ten, gab es nicht nur einen einzigen – unseren – Urknall, sondern ungeheuer viele. Und mit jedem entstand eine neue Raumblase, die nicht weiter inflationier-te und die als separates Universum be-zeichnet werden kann (siehe Grafik S. 46, „Universen wie Seifenblasen“).

Dieser Vorgang ist mit Gasblasen ver-gleichbar, die sich in kochendem Was-ser bilden. Alle diese kosmischen Bla-sen, so die Idee, sind durch unermess-lich große Raumbereiche getrennt, die

immer noch eine Inflation durchlaufen. Das ist paradoxerweise sogar dann der Fall, wenn die Blasen von „innen“ be-trachtet unendlich groß sind – eine Konsequenz der Relativität der Koor-dinatensysteme und der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit.

UNAUFHÖRLICH NEUE WELTEN Wenn das stimmt, hört die Inflation als Ganzes wohl nie auf, sondern setzt sich ewig fort. Zwar entstehen früher oder später an jeder Stelle der inflationieren-den Raumzeit neue Blasen-Universen, die nicht mehr exponentiell wachsen. Aber ihr Volumen ist verschwindend ge-ring im Vergleich zu dem der rasant ex-pandierenden Umgebung, die aus sich heraus gleichsam ständig neuen Nach-schub an Kosmischer Inflation erzeugt.

„Es gab einen Anfang für jedes Uni-versum im Multiversum, und die Infla -tion wird überall einmal zu Ende gehen.

Aber es wird im Szenario der Ewigen In-flation kein Ende für die Entwicklung des Multiversums geben“, beschreibt Linde dieses kaum fassbare Modell. Es bedeutet, dass das Multiversum als Ganzes niemals verschwindet und sich sogar permanent selbst reproduziert. So -mit mögen die einzelnen Blasen-Univer-sen eines Tages in sich zusammenstür-zen oder durch ihre Ausdehnung so leer und kalt werden, dass kein Leben mehr in ihnen möglich ist. Doch das inflationie-rende Multiversum hätte nie ein Ende.

Und es kommt noch extremer: Die Naturgesetze und -konstanten in den einzelnen Blasen könnten ganz ver-schieden sein. Denkbar ist sogar, dass die Zahl der Dimensionen variiert. Viel-leicht werden somit alle physikalischen Bedingungen, die überhaupt möglich sind, irgendwo realisiert. Die meisten Blasen-Universen hätten dann vermut-lich keine Sterne und Planeten.

Szenario I Die Ewige Inflation

Kosmische Geburt: In manchen Model-len entstehen neue Universen aus Schwarzen Löchern und nabeln sich ab.

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GERADEZU ATEMBERAUBEND oder scho-ckierend war eine von der Kosmischen Inflation unabhängige Entwicklung. Sie schlug 2003 bei Theoretischen Physi-kern wie eine Bombe ein. Die Schock-wellen sind bis heute nicht verebbt (bild der wissenschaft 5/2013, „Streit unter Stringstrategen“). Gemeint ist der zer-platzte Traum einer eindeutigen „Welt-formel“ im Rahmen der Stringtheorie. Diese beschreibt die Materie als Anre-gungsformen eindimensionaler „Saiten“, der Strings, und kann alle Naturkräfte vereinheitlichen. Der Nachteil ist: Es funktioniert mathematisch nur, wenn man sechs oder sieben zusätzliche Raum dimensionen annimmt, die win-zig klein sein müssen und „aufgerollt“ wie Strohhalme.

Zunächst bestand die Hoffnung, auf diese Weise eine rigorose Theorie der Quantengravitation und aller Elementar-teilchen und Wechselwirkungen gefun-

den zu haben, die sogar die scheinbar willkürlichen Werte der Naturkonstan-ten festlegt – ein schon von Albert Ein-stein formuliertes Traumziel. Dann je-doch zeigte sich, dass es Myriaden von Möglichkeiten gibt, wie die Extradimen-sionen aufgerollt („kompaktifiziert“) sein könnten – diskutiert werden gigan-tische Zahlen zwischen 10100 und 101500.

WARUM GIBT ES STACHELSCHWEINE? Zwar könnte man immer noch behaup-ten, das Universum sei die einzige reali-sierte „Lösung“ der Theorie, doch es ist kein Grund in Sicht, warum es gerade so und nicht anders entstand. Warum soll-te die Natur allein unsere Variante ins Dasein gebracht haben? Also ausgerech-net jene, die zu einem Universum führ-te, das im Gegensatz zu möglichen Al-ternativen fähig war, komplexe Struktu-ren zu entwickeln – etwa Sterne, Sta-chelschweine und Stringtheoretiker?

Ein weiteres Problem: Die Physiker fanden bislang kein Modell, das unser Universum auch nur halbwegs treffend beschreibt. Entweder stimmt das Spek-trum der Elementarteilchen nicht, das aus den Melodien des Mikrokosmos ent-stehen muss – oder das Vakuum hat eine negative Energiedichte und kolla-biert – oder es gibt keine vier unabhän-gigen Grundkräfte und so weiter.

Wenn die Theorie überhaupt den richtigen Weg weist, dann zeigt sie si-multan in Abermilliarden verschiedene Richtungen. Jedem dieser vielleicht 10500 Stringvakuumzustände entspräche eine Sorte von Universum mit eigenen Na-turkonstanten und -gesetzen. Dieses gigantische Multiversum hat Leonard Susskind von der kalifornischen Stan-ford University „Stringlandschaft“ ge-nannt.

In diesem multidimensionalen Ge-lände können viele Blumen blühen. Da-

Universen wie Seifenblasen Kosmologen vermuten, dass unser Uni-versum nur eines ist unter vielen. Sie sollen aus einem „falschen Vakuum“ entsprungen sein, dass sich exponen-tiell ausdehnt. Wo diese Inflation auf-hört, bildet sich eine Blase wie in ko-chendem Wasser. Das wäre ein Urknall – und das beobachtbare Universum heute ein winziger Ausschnitt einer solchen groß gewordenen Blase.

Vielleicht kollidieren manche Bla-sen sogar. Doch das könnte nur extrem selten geschehen, denn die Ausdeh-nung der einzelnen Universen ist sehr, sehr viel langsamer als die exponenti -elle Expansion des falschen Vakuums zwischen ihnen. Deshalb sind die Bla-sen-Universen im Verhältnis sehr viel kleiner, als hier dargestellt. Und im spä -

ben worden, dass sie selbst im Minia-turmaßstab dieser Grafik von Myriaden Lichtjahren getrennt würden.

teren Schnappschuss (rechts) wären sie von der fortwährenden Inflation zwi-schen ihnen so weit auseinandergetrie-

Szenario II Die Stringlandschaft

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Blasenuniversen im exponentiell expandierenden

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her sehen manche Forscher trotz der zahlreichen theoretischen Gewitterwol-ken auch Sonnenstrahlen – soll heißen: eine Verbindung zum Szenario der Kosmischen Inflation. Denn dessen Schlechtwettervorhersage besteht ja da-rin, dass bislang eine gute Erklärung für die Natur des Inflatonfelds fehlt – oder was immer den Treibsatz der Raum-explosion geliefert hat.

ZWEI PROBLEME ALS EINE LÖSUNG Manche Forscher hoffen nun, dass sich die Probleme gegenseitig kurieren kön-nen. Denn in den Zusatzdimensionen könnte so viel Energie stecken, dass sie einst die Inflation angetrieben hat, lau-ten einige neue Spekulationen. „Infla -tion und Stringtheorie sind wie für-einander gemacht“, meint Cliff Burgess vom Perimeter-Institut im kanadischen Waterloo. „Inflation ist ein Phänomen auf der Suche nach einer Theorie – und die Stringtheorie eine Theorie auf der Suche nach einem Phänomen.“

Aus dieser Not haben Burgess und andere Kosmologen inzwischen eine Tugend gemacht – in Form von String-theorie-Modellen der Kosmischen Infla-tion. Die Konsequenz ist quasi eine Quadratur des Multiversums: Wenn ir-gendwo in der Stringlandschaft die Ewi-ge Inflation starten konnte, ist sie nicht mehr zu stoppen. Mit jedem neuen Bla-senuniversum kann ein anderer Teil der Landschaft erreicht werden, sodass alle Stringvakuumzustände „bevölkert“ wer -den, wie die Kosmologen sagen. Kurz-um: Alle 10500 verschiedenen Universen müsste es tatsächlich geben – und zwar unendlich oft.

Selbst Andrei Linde von der Stanford University, einer der Vorreiter und streit-lustigsten Vertreter dieses Ansatzes, räumt ein, dass die mathematischen Gleichungen zur Stringinflation „bis-lang noch extrem hässliche Modelle“ sind – sie wirken sehr künstlich. Aber er sieht die Entwicklung auch positiv: „Ewige Inflation und Stringtheorie ha-ben in der Stringlandschaft zusammen-gefunden. Das Weltbild, das sich daraus ergibt, hat unsere Sicht auf unseren Platz im All verändert. Das ist einer der aufregendsten und geheimnisvollsten Aspekte der modernen Wissenschaft.“

Die große Kunst der Vorstellungen: Die postulierte Landschaft der Stringtheorie ist ein so bizarres Gelände, dass der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind.

Spaziergang durch die Landschaft

Nach der Stringtheorie und anderen Modellen der Quantengravitation exis-tieren Myriaden von Universen. Ihre Eigenschaften, beispielsweise der Wert ihrer Naturkonstanten, hängen von ihrem Quantenvakuum ab – gewis-sermaßen ihrem physikalischen Grund-zustand. Das lässt sich mit einer Art Potenziallandschaft mathematisch be-schreiben. Stellen mit einem lokalen Minimum entsprechen einem Univer-sum. Doch viele dieser Grundzustände beziehungsweise Minima sind meta- stabil: Sie können in einen Zustand geringerer Energiedichte zerfallen. Dies geschieht aufgrund von zufälligen Quantenprozessen. Ein solcher Pha-senübergang führt also von einem

Vakuum in ein anderes – in der Regel in eines mit niedrigerer Energie. Dieses Quantentunneln kann einen Urknall bewirken – oder ein ganzes Universum schlagartig völlig verändern.

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NICHT NUR die Kosmische Inflation könn-te die Stringlandschaft bevölkern, son-dern das könnte auch durch Quanten-effekte geschehen. Das haben Alexander Vilenkin und Jun Zhang von der Tufts University mit Jaume Garriga von der Universität Barcelona vor Kurzem gezeigt. Verschiedene Ansätze zu einer Theorie

der Quantengravitation legen nahe, dass der Kollaps eines Universums nicht in eine Singu larität mündet. Stattdessen „federt“ die stark gekrümmte Raumzeit gleichsam zurück. Ein solcher „Big Bounce“ („Starker Rückprall“) führt dann zu einer neuen Expansion – und mithin zu einem neuen Universum.

Das wäre bei allen Universen mit ne-gativer Energiedichte (Kosmologischer Konstante) oder überkritischer Materie-dichte der Fall. „Übergänge zwischen den Vakua können durch Quantentun-neleffekte geschehen. Als Ergebnis wird die gesamte Landschaft der Vakua er-kundet“, schreiben die Kosmologen.

Szenario III

Das wabernde Quantenvakuum

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dessen quantengravitationstheoretische Grundlage viel weniger elaboriert ist.

Nicht alle Fluktuationsmodelle ha-ben aber diese Eigenschaften. So meint Salvador Robles-Pérez von der Univer-sität Bilbao, dass neue Universen doch Spuren von ihrer kosmischen Geburts-stätte in sich tragen oder gar quanten-mechanisch miteinander verschränkt sind – eine Idee, die auch Laura Mersini von der University of North Carolina in Chapel Hill im Rahmen der Stringtheo-rie entwickelt hat (bild der wissenschaft 9/2008, „Das Loch“). Der Clou: Die Quantenverschränkungen könnten nach -weisbare Spuren hinterlassen haben. Diese „gespenstischen Fernwirkungen“, die Albert Einstein erstmals 1935 be-schrieben hat, werden seit vielen Jahren erzeugt, gemessen und manipuliert – al-lerdings nur zwischen Quantensyste-men in den Physiklaboren un seres Uni-versums. Wenn sie ihr geisterhaftes Un-wesen auch zwischen Universen treiben sollten, die räumlich und kausal längst völlig voneinander getrennt sind, dann würden sie gleichsam Abdrücke in die benachbarten Parallelwelten einprägen, sogar auf astronomischer Skala. Das könnte sich in thermodynamischen Eigenschaften oder in der großräumigen Galaxiensuperhaufen-Verteilung nieder-schlagen.

„Verläuft der Kollaps inhomogen, kommt es zu einer Fragmentierung des ur-sprünglichen Universums, und es wer-den verschiedene Vakua erreicht.“

Auch Schwarze Löcher könnten Keimzellen neuer Universen sein – gleichsam lokale Ausknospungen, wie man sie von Hefezellen kennt, die sich von einer Mutterzelle abnabeln. So tun-neln die vielen Blasenuniversen durch die Vakua, als würden Myriaden von Bällen in der Landschaft umherspringen und immer mehr werden. Nur Univer-sen ohne Schwarze Löcher sowie solche mit einer Energiedichte größer oder gleich Null und keiner oder wenig Mate-rie wären „Sackgassen“ in diesem kos-mischen Irrgarten.

BLUBBERBLASEN IM SCHAUMBAD Die Entstehung neuer Universen durch Quanteneffekte ist nicht auf die String-theorie angewiesen. Auch andere Ansät-ze zu einer Theorie der Quantengravita -tion lassen im Schaumbad des Quanten-vakuums ein Blasenuniversum nach dem anderen hervorblubbern. Das ist zwar genauso spekulativ wie die String-landschaft, doch es ist bemerkenswert, dass andere Forscher zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen sind.

So hat Martin Bojowald von der Pennsylvania State University singulari-tätsfreie Bounce-Modelle im Rahmen der Schleifen-Quantengravitationstheo-rie gefunden (bild der wissenschaft 4/2004, „Der umgestülpte Urknall“). In-zwischen ergeben sich auch hier „multi-versale“ Lösungen. Neue Blasenuniver-sen können sich aus einem Kollaps bil-den wie Luftblasen in aufgehendem Ku-chenteig. Sie „vergessen“ sogar ihre Herkunft, weil dabei keine physika-lischen Informationen übertragen wer-den, meint Bojowald. Erstaunlicherwei-se passt sein Modell genau zu den „In-stanton-Lösungen“, die Stephen Haw-king seit Langem favorisiert, obwohl

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Entstehung aus dem Nichts: Das Quantenvakuum als energie-ärmster physikalischer Zustand ist vielleicht das Minimum der Existenz – und doch so kreativ, dass es ganze Universen schafft.

Wie Künstler kreieren auch Kosmologen ständig Neues: Fantastische Bilder die einen, gewagte Theorien die anderen. Kritiker sehen da kaum einen Unterschied.

Kosmische Klassifikation Zum Multiversum gibt es einige kon-kurrierende Hypothesen. Sie lassen sich unterschiedlich ordnen – zum Beispiel hinsichtlich der Art und Wei-se, wie die einzelnen Universen von-einander getrennt sind:

· Räumlich wie bei der Ewigen Infla -tion, der Stringlandschaft und den kosmischen Quantentunnel-Effekten.

· Zeitlich wie bei oszillierenden oder zyklischen Universen oder bei ent-gegengesetzten Zeitrichtungen.

· Dimensional wie bei den Branen-Universen der Stringtheorie.

· Kausal wie bei den vielen Quanten-welten in einem Superpositions-zustand oder bei Multiversen ohne gemeinsamen Ursprung.

· Modal, das heißt hinsichtlich ver-schiedener Möglichkeiten im Denken oder Sein („modaler Realismus“ in der Philosophie, etwa bei David Lewis) – die Trennung kann hier physisch, metaphysisch oder rein logisch sein.

· Nomologisch, das heißt hinsicht-lich verschiedener Naturgesetze.

· Mathematisch wie bei unterschied-lichen Systemen mit inkompatiblen Axiomen – eine These, die der Kos-mologe Max Tegmark vertritt.

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niedrige, jedoch positive Wert der Va -kuumenergiedichte im Weltall.

Lange dachten Physiker, darunter auch Einstein, dass dieser Wert exakt Null sein muss. Andererseits suggerie-ren Abschätzungen im Rahmen von Quantengravitationstheorien einen Wert, der 1060 bis 10120 Mal höher ist als ge-messen – der „größte Fehler der Theo-retischen Physik“, wie der Nobelpreis-träger Steven Weinberg sarkastisch an-merkt. Bei einer so enormen Energie-dichte könnte man sich nicht einmal an die eigene Nase fassen: Der Raum zwi-schen Hand und Gesicht würde expo-nentiell expandieren. Allerdings dehnt sich das Weltall tatsächlich geringfügig

beschleunigt aus, wie viele astrono-mische Messungen seit 1998 belegen – eine Entdeckung, die 2011 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde und am besten durch eine leicht positive Kosmologische Konstante erklärt wer-den kann.

EINE BESTÄTIGTE VORHERSAGE Steven Weinberg und Alexander Vilen-kin hatten dafür unter der Annahme eines Multiversums schon in den 1980er- und 1990er-Jahre argumentiert – also noch bevor diese beschleunigte Ausdehnung gemessen worden war. Ihre Begründung: Universen mit einer kleinen positiven Kosmologischen Kon-

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DIE ANNAHME anderer Universen ist einerseits eine Schlussfolgerung aus kosmologischen Theorien. Andererseits trägt sie dazu bei, bestimmte Eigen-schaften unseres eigenen Universums besser oder überhaupt erst zu verste-hen. So ist der Nobelpreisträger Frank Wilczek davon überzeugt: Es gibt sehr wohl Aspekte des Universums, die nur durch die „Multiversalität“ erklärt wer-den können. Einer ist die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik (siehe Kasten rechts „Viele Quantenwel-ten“). Auch der Wert bestimmter Natur-konstanten ist am besten verständlich, wenn unser Universum eines unter vie-len ist, meint Wilczek. Dazu gehört der

Welche Probleme löst ein Multiversum?

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werden müssen oder als unerklärlicher Zufall. Vielmehr könnten unzählige Universen mit ganz unterschiedlichen Werten dieser physikalischen Parameter existieren, etwa der Kosmologischen Konstante, der Materiedichte und der von der Inflation aufgeblasenen Dichte-fluktuationen. Doch wir brauchen uns nicht zu fragen, warum diese Werte uns gleichsam auf den Leib geschneidert er-scheinen. Sie sind es nicht – in einer an-deren kosmischen Garderobe würde es uns schlicht nicht geben.

Umgekehrt müssten auch Naturkon-stanten existieren, die nicht „fein abge-stimmt“ anmuten – wenn sie nämlich die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben und Intelligenz nicht beeinflussen. Genau das ist für Wilczek ein weiteres Indiz für ein Multiversum: „Einige Para-meter im Standardmodell der Elemen-tarteilchen, zum Beispiel der Neutrinos, wurden nicht anthropisch selektiert.“ Wo also das Spiel des Zufalls nicht stört, kann es sich auch in einem lebens-freundlichen Universum entfalten.

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Viele Quantenwelten Die Wellenfunktion in der Schrödinger-Gleichung ist eine der seltsamsten Ingredienzen der modernen Physik. Diese Grundgleichung der wissen-schaftlich exzellent bestätigten Quan-tenphysik entwickelt sich streng deter-ministisch: Die Werte, die sie anneh-men kann, sind durch die Vorbedin-gungen eindeutig festgelegt. Hingegen scheinen Quanteneffekte rein zufällig und völlig unvorhersagbar aufzutreten. Über diesen Widerspruch streiten die Forscher seit den 1920er-Jahren.

Ein Lösungsvorschlag geht auf die Dissertation des Amerikaners Hugh Everett III aus dem Jahr 1957 zurück. Im Gegensatz zu den anderen Interpre-tationen der Quantenphysik „kolla-biert“ die Wellenfunktion in Everetts Many-Worlds-Interpretation nicht von selbst, durch Messungen, durch Wech-selwirkung mit der Umgebung und so weiter. Der Quantenzufall wäre damit eine Illusion. Stattdessen spaltet sich das Universum gleichsam auf – aber nicht räumlich, sondern in Form von

schwer vorstellbaren Überlagerungszu -ständen, wie sie sich bei Doppelspalt-Experimenten sogar als Interferenzmus-ter messen lassen. Schrödingers berüch-tigte Katze wäre also immer zugleich le-bendig und tot.

Diese gespenstischen Superpositio-nen sind im selben Raum, lassen sich aber innerhalb der einzelnen klassischen Zweige der Wellenfunktion – und somit von Beobachtern, wie wir es sind – nicht überblicken. Jede Quantenkopie steckt

stante können mehr Galaxien hervor-bringen als solche mit einer großen, mit keiner oder mit einer negativen (bild der wissenschaft 11/2007, „Die Apokalypse des Alex Vilenkin“). Doch ohne Gala-xien gibt es keine Lebewesen bezie-hungsweise Astronomen, die das mes-sen. Der Wert der Konstanten sei daher ein „Beobachter-Selektionseffekt“, über den man sich in einem Multiversum nicht zu wundern braucht – genau wie man nicht staunen muss, auf einem le-bensfreundlichen Planeten wie der Erde zu existieren. Denn auf anderen, etwa Venus oder Pluto, ist es viel zu heiß oder zu kalt, um Leben hervorzubringen.

DAS ANTHROPISCHE PRINZIP Diese Argumentation wird Anthropi-sches Prinzip genannt (bild der wissen-schaft 8/2006, „Ist uns das All auf den Leib geschneidert?“). Es ist zwar keine Erklärung, sondern eine Tautologie, doch sie macht verständlich, dass be-stimmte Naturkonstanten nicht als „fein abgestimmt“ für das Leben betrachtet

Ständige Aufspaltung: Nach der Many-Worlds-Interpretation der Quantenphysik teilt sich das Universum bei jeder Alternative und verwirklicht alle Möglichkeiten.

in ihrer eigenen Geschichte bezie-hungsweise Welt. Diese abenteuerli-che Vorstellung hat etwas Alarmieren-des und Beunruhigendes zugleich.

Soll man beispielsweise für die Er-haltung des Lebensraums notleidender Schimpansen spenden oder sich lieber eine Reise zu Friedrich Nietzsches Stein der Ewigen Wiederkehr bei Sils Maria gönnen? Im Quantenmultiver-sum wird man beides tun – und noch viel mehr.

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Lebensfreundliches All: Dass es überhaupt Sterne und Planeten gibt, kann vielleicht nur die Multiver-sum-Hypothese erklären. Das Foto zeigt den Nebel 30 Doradus in der 160 000 Lichtjahre fernen Großen Magellan’schen Wolke im Sternbild Schwertfisch.

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WENN ODER WEIL sich andere Universen nicht direkt beobachten lassen, sind die Hypothesen darüber trotzdem nicht zwangsläufig unwissenschaftlich. Es stimmt zwar: Gerade diese Widerleg-barkeit gilt als Gütesiegel wissenschaft-licher Hypothesen und Theorien. „Inso-fern sich die Sätze einer Wissenschaft auf die Wirklichkeit beziehen, müssen sie falsifizierbar sein, und insofern sie nicht falsifizierbar sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit“, schrieb der Philosoph Karl Popper 1932. Mit die-ser Überzeugung, die er in seinem Buch „Logik der Forschung“ sorgfältig aus-

gearbeitet und begründet hat, prägte er nachhaltig das Verständnis von Wissen-schaft als eine Sache der Bildung und Überprüfung widerlegbarer Hypothesen (Falsifikationismus). Er betrachtete das auch als Abgrenzungskriterium der Wissenschaft von Metaphysik, Logik sowie Mathematik einerseits und der Pseudowissenschaft andererseits.

Allerdings sind andere Universen keine wissenschaftlichen Gesetzes-Hypothe-sen – analog beispielsweise zu Galileis Fallgesetz. Spricht man vom Multiver-sum, so ist dies eine sogenannte hypo-thetische universelle Existenzaussage.

Sie lässt sich im Gegensatz zu räumlich oder zeitlich lokalisierten Existenzsät-zen aufgrund unseres eingeschränkten Zugangs zur Welt nicht falsifizieren. Aber sie muss verifizierbar sein.

WIDERLEGBARKEIT IST NICHT ALLES! Ein Beispiel hierfür ist die Vorhersage, dass das chemische Element Hafnium (Ordnungszahl 72) existiert. Dirk Coster und George de Hevesy haben es 1922 in Kopenhagen mithilfe der Röntgenspek-tralanalyse im Mineral Zirkon entdeckt. Das geschah nicht zufällig, sondern nachdem ab 1869 Überlegungen des

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Ist das noch Wissenschaft?

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ristischen Spektrallinien kann die Zu-sammensetzung der Sonne und anderer Sterne sehr wohl bestimmt werden. Das Element Helium wurde sogar zunächst in der Sonne und erst später auf der Er-de entdeckt.

Vielleicht werden sich Kosmologen in 10, 100 oder 1000 Jahren über die Wissenschaft Anfang des 21. Jahrhun-derts wundern – und sich entweder fra-gen, warum sie so blind war und die In-dizien für die Existenz anderer Univer-sen nicht klarer gesehen hat, oder aber, weshalb sie so verrückt war, sich in sol-che Fantasien zu versteigen. Im Augen-blick kann die Sache nicht entschieden werden. Auch deshalb ist es vernünftig und wichtig, die multiversalen Ideen so gut wie möglich auszuloten – eingedenk der Warnung, die Steven Weinberg 1977 ausgesprochen hat: „Unser Fehler ist nicht, dass wir unsere Theorien zu ernst nehmen, sondern dass wir sie nicht ernst genug nehmen.“ ■

RÜDIGER VAAS ist Astrono-mie- und Physik-Redakteur von bild der wissenschaft sowie Autor mehrerer Bücher über das Multiversum.

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russischen Chemikers Dmitri Mendele-jew zum Periodensystem der Elemente sowie später des dänischen Physikers Niels Bohr zur Atomtheorie das Element postuliert hatten. Dabei wurden man-che seiner Eigenschaften korrekt vor -ausgesagt.

Allerdings ist die Verifizierbarkeit universeller Existenzsätze noch nicht hinreichend für ihre Wissenschaftlich-keit. Sonst wären beispielsweise auch fiktive Einhörner oder Gespenster ein Gegenstand wissenschaftlicher Betrach-tungen. Ein weiteres Kriterium muss hinzukommen – die theoretische Ein-

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INTERNET

Die Vielfalt des Multiversums – Theorien, Klassifikationen und Kritik: arxiv.org/abs/0905.2182 arxiv.org/abs/0905.1283 arxiv.org/abs/0909.2330 arxiv.org/abs/1001.0726

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bettung: Universelle Existenzsätze sind dann wissenschaftlich, wenn sie sich verifizieren lassen und einen Platz im Rahmen einer wissenschaftlich aner-kannten Theorie haben, insbesondere wenn sie von dieser vorausgesagt wer-den. Das hat schon Popper so gesehen.

Tatsächlich sind Aussagen über an-dere Universen keine isolierten univer-sellen Existenzsätze, sondern werden von Theorien postuliert, die selber falsi-fizierbar sind oder sein müssen. „Das haben sich Kosmologen nicht in einem Höhenflug der Imagination erträumt. Wir sind darauf gestoßen, als wir Pro-bleme zu lösen versuchten, hier in dem Universum, das wir beobachten“, sagt Sean Carroll vom California Institute of Technology. „Es ist ein Fehler, zu den-ken, das Multiversum sei eine Theorie, die von verzweifelten Physikern am En-de ihrer Vorstellungskraft erfunden wur-de. Vielmehr wird das Multiversum von bestimmten Theorien vorhergesagt. Die Frage ist auch nicht, ob wir jemals dazu in der Lage sein werden, andere Univer-sen zu sehen, sondern sie besteht darin, ob wir die Theorie überprüfen können, die impliziert, dass sie existieren.“

DIE KRITIK GREIFT ZU KURZ Daher greift als Kritik an der Multiver-sum-Hypothese auch der Positivismus zu kurz. Dieser Denkrichtung zufolge exis-tiert nichts, was nicht beobachtet wer-den kann – oder es sei sinnlos, darüber Aussagen zu machen. Freilich hat diese These selbst keinen erfahrungswissen-schaftlichen Gehalt und könnte deshalb mit ihren eigenen Waffen geschlagen und als sinnlos zurückgewiesen werden.

Außerdem gibt es zahlreiche Beispie-le dafür, dass die Spekulation von heute das Wissen von morgen sein kann. So behauptete August Comte, der Mit-begründer des Positivismus – und der Soziologie – in seinem sechsbändigen „Cours de philosophie positive“, dass sich die Zusammensetzung der Sterne niemals herausfinden lassen würde. Er hätte auch sagen können: Aussagen da-zu seien nicht falsifizierbar. Doch zwei Jahre nach seinem Tod, 1859, begründe-ten Robert Bunsen und Gustav Kirch-hoff in Heidelberg die Spektralanalyse. Mittels der für jedes Element charakte-

Imaginationen der Schöpfung: Dieses Acrylbild von Gerhard Kraus bezieht sich ausdrücklich auf die verwegenen multiversalen Spekulationen der Kosmologen. In der Kunst sind sie unproblematisch – doch können sie auch seriöse Physik sein?

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Ackerbau im 11. Stock Mit originellen Konzepten holen Architekten und Ökologen Stück für Stück die Natur in die Städte.

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ÖKOLOGIE

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Grüne Wohnpilze: Dieses visionäre Konzept des belgischen Architekten Vincent Callebaut setzt einen Kontrapunkt zu den Betonwüsten der Großstädte. Bäume und Büsche sprießen zwischen den Etagen der wie riesige Baumpilze gestalteten Gebäude. Kleine Windräder versorgen die Bewohner umwelt-freundlich mit elektrischem Strom.

„DIE TRENNUNG ZWISCHEN Stadt und Land gibt es nicht mehr“, sagt der Stuttgarter Ökologie-Professor Folkard Asch, der sich mit Landwirtschaft in den Tropen beschäftigt. Was er damit meint, zeigt ein Blick aus dem Fenster. Sein Büro auf dem Campus der Universität Hohenheim im Stuttgarter Süden liegt zwar in der Stadt, aber dennoch im Grünen, unmittelbar neben dem Park von Schloss Hohenheim.

Vor einem Jahrhundert war die Welt noch klar geordnet: In den dörflichen Regionen hatte die Natur das Sagen, in der Stadt qualmten die Schlote – hier ein grünes Idyll, dort eine triste Steinwüste. Doch die Gegensätze verwischen mehr und mehr. Landwirtschaftliche Nutzflächen mit ihren Monokul-turen und ihrer Nähe zur Chemie verkommen zu Agrarwüs-ten, während die Städte ergrünen. Wenn der Trend anhält, kann bald jeder Städter behaupten, er wohne im Grünen.

Schon heute macht sich in den Straßenschluchten ein viel-fältiges Tier- und Pflanzenleben breit. Sogar Marder, Fuchs und Wildschwein haben sich an Autos und Fußgänger, Stein und Beton gewöhnt. Auch die Menschen selbst sorgen für ein Stück Natur direkt vor ihrer Haustür. Auf immer mehr Dächern ge-deiht ein üppiges Biotop. In Deutschland ist inzwischen jedes zehnte Flachdach begrünt. In Nordamerika registriert die Branche der Dachgärtner einen jährlichen Zuwachs von mehr als 20 Prozent. Auch an vielen Hauswänden sprießt es.

Dazu kommen die städtischen Parks. Was wäre New York ohne den Central Park, London ohne den Hyde Park und Mün-chen ohne den Englischen Garten? Und in New York haben Anwohner dafür gesorgt, dass auf einer Trasse der früheren Hochbahn ein kilometerlanger Park entstand, der inzwischen zur Touristenattraktion geworden ist. Selbst auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Rangierbahnhofs Tempelhof darf sich die Natur breit machen. Vor 30 Jahren wäre das noch un-denkbar gewesen.

In Deutschland entfällt mittlerweile rund ein Drittel der Fläche, die überbaut oder neu kultiviert wird, auf Erholungs-flächen – vor allem auf Grünanlagen und Sportplätze. Früher war das anders: Im bestehenden Stadtraum machen die Erho-lungsflächen nur 8,5 Prozent aus. Moderne Städter lieben das Grün. Nicht nur, dass sie sich selbst um die kleinsten Vorgär-ten kümmern, sie kämpfen auch um jeden Straßenbaum.

Der Streit um Bäume sorgt sogar für politische Unruhen. In Stuttgart konzentrierte sich der Protest gegen den neuen Tief-bahnhof „Stuttgart 21“ monatelang auf das Fällen von Hun-

von Klaus Jacob

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als diese Kleingärtner und wollen pro-fessionelle Landwirtschaft in die Städte holen. Das würde die Rolle von Stadt und Land vollends vertauschen. Bana-nen und Weizen, Tomaten und Erdbee-ren sollen dann im Wolkenkratzer wach-sen. Wenn schon Autos in Häusern ste-hen, warum sollen nicht auch Lebens-mittel dort ihren Platz finden?

Der Mikrobiologe Dickson Despom-mier von der New Yorker Columbia Uni-versity hat 1999 den Begriff „Vertical

dicht bebaute Küstenstädte wie Hong-kong und Singapur den „Sea Tree“ ent-worfen – einen 30 Meter hohen schwim-menden Pflanztrog, eine Art Arche Noah, in dem heimische Tiere und Pflanzen ein Zuhause finden. Das künstliche Naturschutzge biet soll vor der City im Wasser dümpeln. Und der belgische Architekt Vincent Callebaut visioniert riesige Wohnpilze und andere futuri-sche grüne Elemente im Stadtbild.

GESUNDE KOST VOM DACH Zudem es wird immer beliebter, Gemü-se in der Stadt anzubauen – auf brach-liegenden Flächen, Dächern oder in Kü-beln. Während in Havanna und Shang-hai beim „Urban Farming“ die preis-günstige Selbstversorgung im Vorder-grund steht, geht es in New York und Berlin vor allem um gesunde Kost und soziales Miteinander. Manche Experten gehen sogar noch einen Schritt weiter

derten alter Parkbäume für seinen Bau. Ähnlich in Istanbul: Als der Gezi-Park gerodet werden sollte, machte die türki-sche Jugend im ganzen Land gegen Prä-sident Erdogan mobil. Ein kleines Fleck-chen Grün wurde zum Zündfunken für eine breite Bewegung.

Doch das Bedürfnis nach Grün treibt auch kuriose Blüten: Der niederlän-dische Architekt Koen Olthuis hat für

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ÖKOLOGIE

Kompakt

· Forscher wollen in Hochhäusern Obst, Gemüse und Getreide anbauen.

· Erholungsparks sollen im Meer vor Küstenstädten schwimmen.

· In vielen Städten sorgen schon heute begrünte Fassaden für eine größere Nähe zur Natur.

Reis aus dem Hochhaus: Der Stuttgarter Ökologe Folkard Asch (rechts) hat eine mehr-geschossige Agrarfabrik entwickelt, in der das Getreide angebaut wird. Die Pflanzen, deren Wurzeln ins Freie ragen (oben), werden automatisch gedüngt und beleuchtet.

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Farming“ in Mode gebracht. Zusammen mit seinen Studenten entwarf er eine 30 Stockwerke hohe Agrarfabrik, die neben Tomaten und Kräutern auch Fische und Edelpilze hervorbringen soll. Seither ha-ben Architekten und Agrarwissenschaft-ler viele fantastische Ideen beigesteuert, von denen allerdings bisher noch keine umgesetzt wurde.

NACHDENKEN IM BIERGARTEN Auch der Stuttgarter Tropenökologe Asch ist mit dabei. Er will in Hochhäusern das Grundnahrungsmittel Reis anbauen. Der Wissenschaftler kann sich noch gut da-ran erinnern, wie er mit seinem Kolle-gen Jochen Sauerborn im Biergarten saß und darüber nachdachte, was man wis-sen muss, um Reis in einer künstlichen Umgebung zu kultivieren: Was brau-chen die Pflanzen an Licht, Wasser und Nährstoffen? Wie regieren sie auf unter-schiedliches Kunstlicht? Wie verändert sich der Ertrag, wenn man sie Tag und

Nacht, womöglich gar von unten, be-leuchtet? Asch war überzeugt, dass ihm eine Recherche schnell die Antworten liefern würde. Doch da hatte er sich ge-täuscht: „Man weiß nichts darüber“, wundert er sich. Daher betreibt der Wis-senschaftler seit ein paar Jahren Grund-lagenforschung.

Sein Doktorand Marc Schmierer hat eine mannshohe lichtdichte Klimakam-mer gebaut, in der reflektierende Folien für eine diffuse Beleuchtung sorgen. Da-rin untersucht er, wie Reis auf Licht un-terschiedlicher Wellenlänge reagiert und welche Luftfeuchtigkeit für das Wachs-tum des Getreides optimal ist. Eines hat Schmierer schon herausgefunden: Wenn er die Luftfeuchtigkeit senkt, verduns-ten die Pflanzen mehr Wasser und sor-gen flugs wieder für den alten Wert. Das Grün fungiert wie eine Klimaanlage und bestimmt selbst seine Atmosphäre.

Folkard Asch würde seine Forschun-gen gerne intensivieren, vielleicht sogar

eine Pilotanlage bauen, doch seine För-deranträge beim Bund wurden bisher als „zu unrealistisch“ zurückgewiesen. Da-bei hat das Bundesforschungsministeri-um im März selbst einen Workshop zum Thema „Vertical Farming“ veranstaltet.

Asch kann viele Vorteile der inner-städtischen Landwirtschaft nennen. Vor allem verbraucht sie wenig Fläche. Der-zeit ist zwar noch genügend Ackerland vorhanden, um die Weltbevölkerung halbwegs satt zu kriegen. Doch das könnte sich schon in wenigen Jahrzehn-ten ändern. Denn die Menschheit wächst, und immer mehr Ackerland geht durch Erosion, Versalzung oder Bebauung verloren.

IM HOCHHAUS TOBEN KEINE STÜRME Ein weiteres Argument: Herkömmliche Felder sind anfällig für Stürme, Über-schwemmungen, Ungeziefer, Krankhei-ten, Dürren und andere Plagen. Im Hochhaus sind die Pflanzen davor ge-

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Bionische Architektur: In dem lichtdurchfluteten Gebäude – ein Callebaut-Entwurf für Taiwan – soll es Räume mit Bäumen geben. Im Zentrum des erdbebensicheren Hochhauses windet sich eine vertikale Windturbine um einen Aufzug.

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feit. Dort können Agraringenieure ein optimales Milieu schaf-fen und so die Ausbeute erheblich steigern. „Der Flächener -trag von Reis könnte sich von derzeit durchschnittlich vier Tonnen pro Hektar auf zehn bis zwölf Tonnen verdreifachen“, ist Asch überzeugt. Es gäbe keine Engpässe wegen Missernten, weil die „Fabrik“ täglich verlässliche Mengen liefern würde.

Dazu kommen ökologische Vorteile. Heute pendelt ein Heer von Lastwagen täglich vom Umland in die Metropolen, um die nötigen Lebensmittel zu bringen. Und die Wege wer-den immer länger, weil die Städte wachsen. Die organischen Abfälle, in denen wertvolle Nährstoffe stecken, bleiben in der Stadt und gehen den Äckern verloren. Was Asch vor-schwebt, ist eine nachhaltige Reisfabrik: ein Kreislaufsystem, in dem alles erhalten bleibt: Energie, Wasser und Nährstoffe. Nur die Getreidekörner würden das System verlassen.

JEDE REISPFLANZE IST MOBIL In seinem Wunsch-Hochhaus ist jede Reispflanze mobil, so-dass sie immer dort steht, wo sie optimale Bedingungen hat. Nachts rückt ein Automat die Pflanzen dicht zusammen, und während des künstlichen Tages, wenn die Blätter Licht tanken, gehen die Pflanzen auf Abstand. Weder Erde noch stehendes Wasser sind nötig – das große Gewicht würde das Gebäude unnötig verteuern. Es genügt, die Wurzeln mit einer Nährlö-sung zu besprühen. Die Pflanzen wandern im Laufe ihrer Ent-wicklung auf einem Förderband von den oberen Etagen bis zum Erdgeschoss, wo sie schließlich geerntet werden.

Erdöl fördernde Wüstenstaaten, die über viel Geld, aber wenig Ackerland verfügen, könnten Gefallen an solchen Agrar-fabriken finden. „Doch wir haben noch keine Technologie, die wir vermarkten könnten“, sagt Ökologe Asch. Um die zu entwickeln, schwebt ihm ein interdisziplinäres Projekt vor, an dem sich Maschinenbauer, Architekten, Biologen, Physiker und andere Experten beteiligen sollen.

Dabei müsste es natürlich auch um die Einsparung von Energie gehen. Denn bei einer ersten Überschlagsrechnung kam der Forscher zu dem Ergebnis, dass sein Agrar-Wolken-kratzer bei komplett künstlicher Beleuchtung rund ein Viertel der Ausbeute eines üblichen Atomkraftwerks verbrauchen würde. Doch er ist zuversichtlich, dass er diesen Wert noch er-heblich drücken kann.

Alles unter einem Dach: Das „Urban Epicenter“ des Bostoner Architektur -

büros J. Nam vereint Wohnen, Arbeiten und Landwirtschaft in

einem Haus. Sogar eine mehrstufige Kläranlage ist

in das Gebäude inte-griert. Unten wird indus-

trielle Landwirtschaft betrieben, oben Gemüse im

Gemeinschaftsgewächshaus angebaut. Unter einem Dachgarten mit Wassersammler

befinden sich Wohnungen und Büros.

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Dachgarten (Wassersammler) Wohnungen und Büros Landwirtschaft (Gemeinschafts- gewächshaus) KLÄRANLAGE Stufe 1 anaerober Faultank Stufe 2 Bioreaktor Stufe 3 Nachklärbecken Stufe 4 Indoor-Feuchtgebiet Agrarzone (industrieller Ackerbau) Marktplatz und Fußgängerbereich

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Während die teure Landwirtschaft im Hochhaus noch Zukunftsmusik ist, gehört das Grün als Fassadenschmuck längst zum Stadtbild. Es muss nicht im-mer Efeu oder Wilder Wein sein, der wie zu Omas Zeiten die Häuser hochrankt. Der französische Botaniker Patrick Blanc hat die Fassadenbegrünung revo-lutioniert. Wenn er Hand anlegt, spricht er von vertikalen Gärten. Denn die Be-pflanzungen wirken wild und ursprüng-lich, als hätte sich ein Stück Urwald in die Stadt verirrt.

TAUSENDE PFLANZEN FÜR DIE WAND Die üppige Pracht kann man inzwischen in vielen Städten bestaunen, etwa in Berlin an der Fassade des Kaufhauses Galeries Lafayette. Blanc, der sich die Haare passend zu seiner Passion grün färbt, reist immer wieder um die Welt auf der Suche nach geeigneten Pflanzen für seine Installationen. Rund 2500 Ar-ten hat er inzwischen im Sortiment. So erschafft er auf einer einzigen Wand Biotope mit mehreren Hundert Arten, die sich im Verlauf der Jahreszeiten ver-ändern und wenig Pflege bedürfen. Aus einem Kunststoffschlauch tröpfeln nach einem festen Zeitplan Wasser und Nähr-stoffe. Die Wurzeln haften auf einem

Vlies, das an einem Metallgerüst befes-tigt ist. Erde ist nicht nötig.

Patrick Blanc hat viele Nachahmer gefunden. Inzwischen gibt es eine Reihe patentierter Lösungen für grüne Wände. Zu ihren Schöpfern gehört das Unter-nehmen Helix Pflanzensysteme in Korn-westheim bei Stuttgart mit seinen 120 Mitarbeitern. „Der Boom geht jetzt gera-de so richtig los“, freut sich Geschäfts-führer Hans Müller. Auch als Lärm-schutz seien die grünen Wände zuneh-mend gefragt.

Sogar innerhalb der Gebäude macht sich die Vegetation breit. Einige Archi-tekturbüros haben sich auf Innengärten spezialisiert wie Andreas Schmidt mit seiner Agentur Indoorlandscaping mit

Niederlassungen in München, Los An-geles und Mexico City. Die grünen Wände sollen die Raumluft befeuchten, Schadstoffe beseitigen, Sauerstoff lie-fern und für eine angenehme Atmo-sphäre sorgen.

Noch weiter geht der Stuttgarter Bau-botaniker Ferdinand Ludwig, bei dem das komplette Gebäude lebt. Sein Bau-material sind lebende Bäume. Als er vor zehn Jahren an der Universität Stuttgart mit ersten Versuchen begann, erntete er anfangs mitleidige Blicke. Das hat sich geändert. Für die baden-württembergi-sche Landesgartenschau 2012 in Nagold errichtete Ludwig gemeinsam mit dem Architekten und Stadtplaner Daniel Schönle einen dreistöckigen kubischen

Bäume statt Beton: Ferdinand Ludwig (links) lässt Gebäude aus lebenden Gehölzen entstehen. Der Baubiologe verkreuzt die Stämme so, dass sie zusammenwachsen und ein robustes Fachwerk bilden. Für die Landesgartenschau 2012 in Nagold schuf er einen begehbaren Kubus aus Platanen (Mitte, unten).

Lebensbaum im Hudson River: Ein solcher „Sea Tree“ – Entwurf des

niederländischen Waterstudio.NL – soll vor Küstenstädten schwimmen und

Pflanzen wie Tieren Lebensraum bieten.

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Pavillon, der nun als Begegnungsstätte dient. Noch ist es eher ein begrüntes Stahlgerüst, auf dem mehrere Hundert Pflanztröge neben- und übereinander stehen. Doch die jungen Platanen, die darin gedeihen, werden im Lauf der Jah-re miteinander verwachsen und ein ro-bustes Fachwerk bilden, das alle ver-tikalen Lasten trägt. Dann kann man die Stahlstützen entfernen. Nur die stähler-nen Decken bleiben erhalten, auf denen man bequem laufen kann. Während der Gartenschau in Nagold war der Platanen-Kubus ein Highlight: „Manchmal kamen mehr als 1000 Besucher am Tag“, be-richtet Ludwig.

AUS DEM X WIRD EIN Y In dem Projekt steckt viel Forschungs -arbeit, wie man in der Versuchsstation für Gartenbau der Universität Hohen-heim sieht. Hier lässt Ferdinand Lud-wig die Stämme junger Bäume – Ahorn, Birken, Linden und Platanen – kreuzför-mig miteinander verwachsen. Später kappt er einen Stamm bis zum Knoten, sodass aus dem X ein Y wird und eine einzige Wurzel beide Kronen versorgt. Die hölzernen Schnittstellen sind die Grundbausteine seiner Baumarchitek-tur. Allerdings wachsen die Stämme nicht von selbst zusammen. Man muss

sie mit Edelstahlschrauben oder Seilen fest aneinanderpressen.

Manchmal ist es auch nötig, die Rin-de einzuschneiden. Platanen, so ein Er-gebnis der forscherischen Fleißarbeit, verwachsen leicht miteinander, Linden sträuben sich dagegen. Sobald der Saft ungehindert durch den Knoten fließt, lässt sich einer der Stämme kappen. Ludwig hat inzwischen einen Blick da-für, wann es soweit ist. Denn er hat be-reits Hunderte Hölzer zerschnitten und unters Mikroskop gelegt. Seine leben-den Gebäude sind nur möglich, weil Stämme und Äste, sobald sie verholzt sind, nicht mehr in die Länge wachsen, sondern nur noch in die Breite. So blei-ben die Etagen auf einer Höhe und gera-ten nicht in Schieflage.

Dennoch tun sich die Behörden schwer mit den Naturbauwerken, denn die amtlichen Regelwerke sind nicht für lebende Materialien gemacht. Statt eine statische Berechnung vorzulegen, muss Ludwig deshalb die Baumstruktur einem Belastungstest unterziehen, sobald er die Stahlstützen aus dem Platanen-Kubus entfernt hat. Wenn dabei nichts bricht, dürfen Besucher kommen.

Doch Ferdinand Ludwig strebt gar nicht an, Häuser oder Brücken nur aus Bäumen zu bauen. Diese „Naturroman-

tik“ sei Unsinn, sagt der Baubotaniker. Sein Ziel ist eine Verbindung von Natur und Technik, wobei die Bäume keine statische Aufgabe übernehmen sollen. Wie er sich das vorstellt, zeigt sein Ent-wurf zum „Haus der Zukunft“. Bei dem renommierten Architektenwettbewerb mit über 160 Teilnehmern hat er zusam-men mit einem Partner den dritten Preis gewonnen. Das „Haus der Zukunft“, ein Status-Bau der Bundesregierung, soll auf 3500 Quadratmetern Ausstellungs-fläche einen Blick in die Zukunft von Wissenschaft und Forschung liefern. Beim Beitrag der Stuttgarter ist die Baumstruktur lediglich wie eine Fassa-de vor das Gebäude gesetzt. Von außen wirkt das Gebäude wie ein großer Baum, von innen sieht man auf die Schatten spendenden Zweige, die sich mit den Jahreszeiten verändern.

Ob Parks, grüne Fassaden, lebende Bauwerke oder Straßenbäume – sie alle machen eine Stadt attraktiver, denn sie bringen ein Stück Natur zwischen die Mauern. Die Begrünung ist auch des-halb nötig, weil viele Städte wie Mexico City, Tokio und New York inzwischen so groß geworden sind, dass ihnen die Ein-wohner kaum noch für einen kurzen Er-holungsspaziergang den Rücken kehren können. Und sie wachsen ungezügelt

Begrüntes Genf: Vincent Callebaut und sein Team wollen frische Tupfer in triste Stadtquartiere bringen.

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weiter. Sao Paulo wuchert so rasant, dass kein aktueller Stadtplan zu finden ist. Dass den Städten die Zukunft ge-hört, belegt auch die Statistik eindrück-lich: Während vor 100 Jahren nur jeder zehnte Mensch in einer Stadt wohnte, ist es inzwischen jeder zweite. Im Bal-lungsraum Tokio drängen sich bereits mehr als 37 Millionen Menschen, ein Drittel der japanischen Bevölkerung.

Die riesigen Steinwüsten erzeugen ihr eigenes Klima. In Sommernächten kühlt die Luft kaum ab, der Wind lässt sich von Häuserfronten und Wolkenkratzern lei-

ten statt von Hoch- und Tiefdruckge bie -ten, Feinstaub und Abgase erschweren das Atmen. Das Grün soll das Stadtkli-ma erträglicher machen. Schließlich ver-braucht eine einzige 100 Jahre alte Bu-che täglich rund 18 Kilogramm Kohlen-dioxid, produziert 13 Kilogramm Sauer-stoff, bindet mit ihren Blättern Feinstaub und verdunstet rund 400 Liter Wasser.

Doch die Wissenschaftler tun sich schwer damit, die Wirkung der Vegeta-tion auf das Stadtklima exakt abzu-schätzen. Eine Arbeitsgruppe der Ruhr-Universität Bochum kam schon vor zehn Jahren zu dem Ergebnis, dass Stra-ßenbäume die Luftqualität in der unmit-telbaren Umgebung meist nicht verbes-sern. Denn sie stehen dem Wind im Weg, der die Schadstoffe aus den Stra-ßenschluchten pustet. Alleebäume, die an einer stark befahrenen Straße stehen, können sogar wie ein Tunnel wirken, in dem sich der Dreck anreichert.

HERRLICH KÜHLE SOMMERNÄCHTE Ein Park bietet die meisten Vorteile. Dort ist nicht nur die Luftqualität besser als in den Straßen, es bildet sich auch ein eigenes Mikroklima mit angenehm küh-len Sommernächten. Allerdings hilft das nur den Anwohnern direkt daneben. Einen Steinwurf weiter bestimmt schon wieder die Steinwüste das Klima. Hier könnten begrünte Fassaden helfen, die dem Wind nicht in die Quere kommen. Eine deutsch-britische Studie, an der auch Wissenschaftler des Karlsruher In-stituts für Technologie (KIT) beteiligt

waren, kam zu dem Ergebnis, dass grüne Wände den Feinstaub um 10 bis 30 Pro-zent reduzieren können. Aber auch die-se Berechnungen, die auf Computersi-mulationen basieren, sind unsicher.

„Wir haben vorausgesetzt, dass Regen den Staub von den Blättern wäscht“, sagt KIT-Klimaforscher Thomas Pugh. Doch lange trockene Sommer machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Außerdem haben Blätter unterschiedli-che Oberflächenstrukturen und reagieren verschieden auf Staub und Regen. Dass eine üppige Vegetation nicht das Allheil-mittel gegen Feinstaub ist, zeigt sich in Stuttgart, wo mit der Neckarstraße eine der dreckigsten Straßen Deutschlands fast direkt an einem Park entlangführt.

Für die Ökobilanz einer Stadt sind je-der Baum und jeder Busch ein Gewinn. Jeder weiß, wie beruhigend und ange-nehm ein Fleckchen Grün ist. Ein Neu-baugebiet, auf dem schon Pflanzen wachsen, sagt der Kornwestheimer Groß-gärtner Müller, lasse sich leichter ver-markten als ein Gelände ohne Vegetation. „Es ist uns Menschen in die Wiege ge-legt, dass wir die Natur brauchen.“ ■

KLAUS JACOB, Bauingenieur und freier Wissenschaftsjour-nalist in Stuttgart, entflieht der urbanen Tristesse oft auf dem Sattel seines Fahrrads.

INTERNET

Infos zum Platanen-Kubus von Ferdinand Ludwig und Daniel Schönle: www.ferdinandludwig.de/tl_files/fl/downloads/Broschuere%20 Platanenkubus.pdf

Grüne Visionen des belgischen Architekten Vincent Callebaut: vincent.callebaut.org/projets-groupe-tout.html

Mehr zum Thema

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Lebende Wände: Der Franzose Patrick Blanc verwandelt Fassaden in Kunstwerke aus Blumen und Ranken. Blanc nennt die wilde Pracht „vertikale Gärten“.

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Götter, Gräber und Geräte

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ARCHÄOLOGIE

45 KILOMETER östlich von Wien, wo Gras und Büsche wachsen, führte vor über 1800 Jahren eine Straße aus der rö-mischen Provinzhauptstadt Carnuntum hinaus zum städtischen Amphitheater. Heute ragen nur noch Reste der Theater-mauern aus dem Boden. Ansonsten fällt der Blick in grüne Leere. Ein paar He-cken und Bäume, mehr nicht. Die Be -sucherin streckt ihr Smartphone in die Höhe – und auf dem Display wächst ein römisches Gebäude empor.

„Augmented reality“ nennt sich diese Überlagerung von wirklicher und vir -tueller Welt. Ein aus Stein errichteter Rundbogen überspannt den Eingang. Im visualisierten Innenhof steht eine Holz -arena. Einst übten sich dort Männer im Kampf. Das animierte Gebäude ist eine Gladiatorenschule, ein „Ludus“. Hier lebten und trainierten in der Antike Kämpfer, bis sie im Sand des benach -barten Amphitheaters schließlich ihr Leben aushauchten.

Die Detailtreue der Animation ver-blüfft – und noch mehr, dass Archäolo-gen die Gladiatorenschule von Carnun-tum rekonstruiert haben, ohne zuvor auch nur einen Spatenstich getan zu haben. Stattdessen tuckerte im Sommer 2011 ein kleiner roter Traktor, ausgestat-tet mit einem Multikanal-Bodenradarge-rät, in engen Bahnen über das mehr als 11 000 Quadratmeter große Areal. Das Sondengerät schickte Radarwellen durch die Erde, und Antennen fingen jede elektromagnetische Veränderungen im Boden auf. Die Datenmengen, die bei solchen Messungen anfallen, sind rie-sig. Ein spezielles Visualisierungspro-gramm setzt die Werte dann in zwei- und dreidimensionalen Bilder um.

ZEHN QUADRATKILOMETER GEHEIMNIS Vor den Augen von Wolfgang Neubauer, Projektleiter und Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie, zeichnete sich innerhalb weniger Stun-den ein Grundriss auf dem Bildschirm ab. Die Reste einer Fußbodenheizung, Estrichböden, Säulen- und Hausfunda -mente, Mauerreste und die Holzpfosten-spuren der Übungsarena – alles war deutlich zu sehen. Den Ludus auszu -graben, scheint sich zu erübrigen. Nach dem großen Erfolg bei der Gladiatoren-schule untersucht das Forschungsteam jetzt das übrige Stadtgebiet von Carnun-tum. Zehn Quadratkilometer Fläche warten darauf, dass man ihre Geheim-nisse lüftet.

Auf Grabungen zu verzichten, wäre auch im Sinne vieler nationaler Denk-

malschutzgesetze und des EU-Rechts. Denn die Reste vergangener Kulturen sind im Boden am besten aufgehoben. Nur ausnahmsweise sollte gegraben

Wer wissen will, was unter der Grasnarbe liegt, muss graben. So lautete das bewährte Credo der Archäologen. Doch heute kommen sie den Altertümern oft mit Hightech-Sonden auf die Spur.

von Karin Krapp

Kompakt

· Bevor Archäologen heute zum Spa-ten greifen, durchleuchten sie den Boden – etwa mit Radarwellen.

· Mithilfe der Sensortechnik gewinnen sie ein präzises Bild davon, wo alte Mauern, Gräben oder Wege im Boden verlaufen.

· Archäologen scannen das Gelände zudem aus der Luft mit Laserimpul-sen, die auch Wälder und Buschwerk durchdringen.

Die Gladiatorenschule von Carnuntum bei Wien: Den römischen Gebäudekomplex samt Holzarena entdeckten Archäologen mithilfe eines Radarsystems, das die Erde wie ein Echolot durchleuchtet. Aus den Messdaten erstellten sie diese 3D-Rekonstruktion.

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werden, etwa vor dem Bau von Eisen-bahntrassen oder Tiefgaragen. Denn so fachmännisch Archäologen auch vorge-hen und so wertvoll die Ergebnisse ihrer Grabungen sind, die Fundzusammenhän-ge werden unwiederbringlich zerstört.

Mauern, Gräber oder Gruben ohne Verluste sichtbar zu machen, ist die Auf-gabe des Ludwig Boltzmann Instituts in Wien. Wolfgang Neubauer und sein Team arbeiten ständig an neuen Fern-erkundungsmethoden, Prospektionsver-fahren und Visualisierungstechniken. In Europa ist das Forschungsinstitut hier führend. Im vergangenen Winter etwa entdeckten die Wissenschaftler in Süd-norwegen eine Häuptlingshalle aus der Wikingerzeit. Dazu hatten die Österrei-cher einen Bodenradar speziell für den Einsatz in Eis und Schnee entwickelt.

Bevor die Archäologen den Boden mit Radarwellen durch-leuchten, tasten sie das Gelände aus der Luft ab. Dabei wenden sie mehrere Methoden gleichzei-tig an. Als Erstes fertigen sie von einem Flugzeug aus eine Serie von Luftbildern an. Je nach Jah-reszeit und Wetter lassen sich am Pflanzenwuchs in der Erde verborgene Mauern und Gräben erkennen. Dabei gilt die Faust -regel: Gras und Getreide wach-sen über einer Mauer niedriger und ver-dorren im Sommer schneller als der üb-rige Bewuchs. Noch deutlicher zeichnet sich das Mauerwerk ab, wenn das Ge-lände mit sogenannten Hyperspektral-sensoren aufgenommen wird. Denn sie können nicht nur das sichtbare Farb-

spektrum abbilden, sondern auch den für das menschliche Auge unsichtbaren Infrarot- und Ultraviolettbereich. Feins-te Unterschiede in der Bodenfärbung und der Vegetationsdichte lassen sich damit aufspüren. Da die Methode in der Archäologie noch neu ist, weiß keiner

In wenigen Stunden erfasste das Radarsystem die gesamte Gladiatorenschule von Carnuntum.

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welcher Strahl tatsächlich den Boden erreicht hat und welcher nicht“, erklärt der Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts.

Ist die Fernerkundung abgeschlos-sen, nehmen die Archäologen die ge-sichteten Spuren mit geophysikalischen Methoden genauer unter die Lupe. Die bekannteste ist die Geomagnetik. Mit einem kleinen Traktor oder Mini-Gelän-dewagen ziehen die Wissenschaftler Sonden über die Felder, die das Erdmag-netfeld ein bis zwei Meter unterhalb der Grasnarbe messen.

Egal, ob dort einst Gruben ausgeho-ben, Gräben geschaufelt oder Brunnen in den Boden getrieben wurden – jedes Mal ist eine Störung im Erdmagnetfeld zurückgeblieben. Das Magnetometer zeichnet die Eingriffe auf und bildet die Gräben, Kreisanlagen oder Häuser ver-

die jeweils letzte Reflexion in das Pro-gramm einspeisen – die Impulse, die am längsten unterwegs waren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie vom Boden und nicht von einer Baumkrone zurückgeworfen wurden. Die Ergebnis-se sprechen für sich: Auf den Bildern zeichnen sich Wallanlagen, Gräben und Grabhügel ab, die in Wirklichkeit unter einem Blätterdach verborgen sind.

NICHT NUR DER LETZTE REFLEX Doch Wolfgang Neubauer hält diese Daten für zu ungenau. Er schwört auf das „Full Waveform“-Verfahren, bei dem die Sensoren nicht nur den letzten Reflex registrieren, sondern den gesam-ten Signalverlauf eines jeden Laser-impulses. Dabei lässt Neubauer auch die Intensität der Reflexion messen. „Dadurch können wir genau erkennen,

genau, welche Informationen die ge-wonnenen Daten bereithalten.

In der Luft bringen die Forscher zu-dem Airborne Laserscanner zum Ein-satz, auch LiDAR („Light Detection and Ranging“) Scanner genannt. Was so schlicht daherkommt, hat die Archäolo-gie in den vergangenen Jahren revolu-tioniert. Das Gerät schickt Laserstrahlen nach unten, die von Bäumen, Büschen und vom Erdboden reflektiert werden. Ein Computer misst die Dauer, die der Strahl zurück zum Flugzeug braucht, und errechnet daraus die Länge des zu-rückgelegten Weges.

Zusammen mit den Daten eines Bord-GPS erzeugt ein Visualisierungspro-gramm dann ein genaues Reliefbild der überflogenen Landschaft. Faszinierend ist: Die Archäologen können Wälder und Büsche ausblenden, indem sie nur

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Stein

Einst war Borre in Südnorwegen ein bedeutender Bestat-tungsplatz der Wikinger. Jetzt haben Wiener For-scher dort per Boden -radar eine 47 Meter lange Häuptlingshalle aufgespürt (Computer -grafik oben). Links ein Nachbau in Original-größe in Borre.

ARCHÄOLOGIE

Grube

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gangener Zeiten auf dem errechneten Magnetogramm ab.

Die Methode, die es schon seit ein paar Jahrzehnten gibt, wurde kontinu-ierlich verbessert. Die Sensoren nehmen immer feinere Kontraste wahr, und – ein großes Plus – sie arbeiten immer schnel-ler. „An einem Tag kann man heute eine Fläche prospektieren, für die man frü-

her 80 Tage gebraucht hat“, erklärt Wolfgang Neubauer. Die neuesten Ge -räte schaffen bis zu 6,5 Hektar in der Stunde.

Geht es darum, kleinere Flächen zu erkunden, bevorzugen Archäologen das Bodenradar. Diese Messungen dauern zwar länger, aber dafür ist die Auflösung höher, und die Radarwellen dringen

mehrere Meter tief in die Erde ein. Dem Ludus von Carnuntum kamen Neubau-er und sein Team mithilfe ebenjenes Bodenradars auf die Spur. Momentan sind die Forscher dabei, eine elektro-magnetische Methode auszutüfteln, die noch tiefer in den Grund vordringt.

Hightech, wie ihn sich das Ludwig Boltzmann Institut leistet, übersteigt al-

All-Archäologen Um zu wissen, wo sie ihren Spaten in den endlosen Wüsten-sand Ägyptens stechen soll, nutzt die Archäologin Sarah Parcak Geräte, die einige Hundert Kilometer über ihr kreisen: Satelliten. Die US-Amerikanerin gehört zu den Pionieren der sogenannten Weltraumarchäologie. Bei diesem Teilbereich der Luftbildarchäologie durchforsten Forscher Satellitenauf-nahmen und suchen nach Erhebungen in der Landschaft oder unregelmäßigem Bewuchs. Beides sind deutliche Hin-weise: Hier könnten alte Stätten in der Erde schlummern. Aus der Vogelperspektive des Alls lassen sich große Flächen absuchen und so auch monumentale Bodendenkmäler fin-den. Außerdem spart die Technik Zeit und Geld. Sarah Par-cak entdeckte dank der Aufnahmen innerhalb eines Monats an 70 verschiedenen Stellen in Ägypten Reste von Pyrami-den, Tempeln, Gräbern und Siedlungen, darunter möglicher-weise die rund 3900 Jahre alte verschollene Residenzstadt Itji-taui. Die Technik hilft vor allem in schwer zugänglichen Gebieten. So machte es der Bürgerkrieg in Syrien dem Ar-chäologen Jason Ur unmöglich, weiter dort zu graben. Er stö-berte kurzerhand in der Pixelflut der NASA-Bilder – und wurde fündig. Mithilfe von Multispektralkameras fand er heraus, welche Gebiete einst besiedelt waren. Neben vielen prähistori-schen Stätten deckte er ein ausgedehntes Straßennetz auf. Pyramidenkomplex in Sakkara – gut sichtbar im Satellitenbild.

Magnetsonden im Schlepptau: Mit einem Quad zieht ein Mit-arbeiter des Wiener Ludwig Boltzmann Instituts Sensoren über ein Feld. Das Gerät registriert Störungen im Magnetfeld der Erde. Sie entstehen, wenn der Boden aus-gehoben wird, Mauern errichtet oder Straßen verlegt werden.

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lerdings die Mittel der meisten Archäo-logen. Von Erfolgen wie der rekonstru-ierten Gladiatorenschule können viele Denkmalpflegeämter in Deutschland nur träumen. Der Gürtel wird überall enger geschnallt. Viele verkneifen sich teure, hochgenaue Airborne Laserscans oder setzen sie nur in ausgewählten Arealen ein. Selbst die etwas gröberen LiDAR-Daten der Vermessungsämter sind in der Regel nicht umsonst zu ha-ben. Neue Techniken wie das Hyper-spektral-Scanning kommen nur selten zum Einsatz. Ihre Ergebnisse sind zu ungewiss.

Mit der bewährten Geomagnetik ar-beiten zwar inzwischen alle Einrichtun-gen, doch die Geräte sind nicht immer auf dem neuesten Stand der Technik. Ein neues Magnetometer kostet immer-hin 120 000 bis 130 000 Euro. Auch Axel Posluschny vom Deutschen Archäologi-schen Institut bezeichnet die technische Ausstattung seines Hauses als subopti-mal. Er tröstet sich mit dem Gedanken, dass man nicht nur mit einem Sportflit-zer, sondern auch mit der Familienkut-sche ans Ziel kommt. „Schließlich lässt sich eine Kreisanlage auch bei geringe-rer Auflösung und Messgeschwindigkeit erkennen“, meint der Archäologe.

Bedenklich findet Axel Posluschny allerdings, dass die geschilderten Me-

thoden kaum gelehrt werden: „Es gibt zwar großes Interesse, aber viele Kolle-gen überlassen die Arbeit mit Magne to -meter, Bodenradar und LiDAR-Daten lieber Geophysikern, die naturgemäß wenig Ahnung von Archäologie haben. Es gibt derzeit kaum Archäologen, die das unterrichten können.“

Auch Wolfgang Neubauer wittert bei vielen seiner Kollegen eine gewisse Technikscheu. Völlig ohne Grund, wie beide Wissenschaftler meinen. „Jeder Archäologe sollte zumindest wissen, welche Methoden es gibt, welche Daten sie liefern und wie man sie interpretie-ren kann“, fordert Posluschny. Als Vor-reiter beteiligt er sich am EU-Projekt Archaeolandscapes und bietet europa-weit Workshops und Lehrgänge an.

EIN WAHRES FUND-DORADO Und es fließen Fördergelder. Zum Bei-spiel nach Esslingen in Baden-Württem-berg, ins Landesamt für Denkmalpflege: Dort sitzt Ralf Hesse an einem Bild-schirm und bereitet LiDAR-Daten auf, die das Landesamt für Vermessung und Geoinformation von ganz Baden-Würt-temberg gewonnen hat. Am Neckar ist man stolz auf die bisherigen Ergebnisse der Auswertung. Selbst in vermeintlich „abgegrasten“ Gebieten dokumentier-ten die Forscher noch ein Viertel mehr

Fundstellen. „Vor allem in Waldgebie-ten sind die Ergebnisse beachtlich“, be-tont Ralf Hesse. „Im Schwarzwald ken-nen wir inzwischen zehn Mal so viele Verdachtsstellen wie vorher.“

Aus den LiDAR-Daten setzen die Lan-desarchäologen 3D-Modelle der Land-schaft zusammen. Die bringen den For-schern große Vorteile: Auf einen Blick können sie das ganze Bundesland mit allen bekannten archäologischen Stel-len überschauen. Werden Bauvorhaben bei den Behörden gemeldet, sehen Jörg Bofinger und seine Kollegen schnell, ob an Ort und Stelle mit archäologischen Funden zu rechnen ist.

Früher musste man dafür mit Bagger und Schaufel anrücken. Heute unter-suchen Archäologen vor Großprojekten das Gelände mit dem Magnetometer, das rasch genaue Ergebnisse liefert. „Bauherren wie die Deutsche Bahn ge-ben sich nicht mit Vermutungen zufrie-den“, sagt Jörg Bofinger. „Und nach einer geomagnetischen Untersuchung wissen wir mehr, als früher nach mehre-ren Baggersondagen.“

Außerdem lässt sich der Grabungs-aufwand besser kalkulieren – und even-tuell die Entscheidung fällen, die Fund-stätte zu überbauen, statt sie vollkom-men abzutragen. Solche genauen Infor-mationen wissen auch die Bauherren zu

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Der Glauberg bei Frankfurt am Main: Im 5. Jahrhundert v.Chr. residierte dort ein Keltenfürst. Der Laserscan links zeigt den bewaldeten Hügel. Im Bild daneben haben die Forscher den Wald herausgefiltert – Wälle und Gräben werden sichtbar.

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schätzen. Gebaut werden darf nämlich trotz Denkmal in der Erde, wenn zuvor fachmännisch gegraben und dokumen-tiert wurde. Können Radar- und Elektro-wellen die Ausgrabungen also doch nicht ersetzen? „Auf jeden Fall helfen sie, unnötige Grabungen wie Bagger-sondagen zu vermeiden“, meint Wolf-gang Neubauer.

Doch den Methoden der Geophysik und Fernerkundung sind technisch und physikalisch Grenzen gesetzt. Wenn der Kontrast zwischen den Bodenverfär-bungen zu schwach ist oder die Fund-schichten zu mächtig sind, gehen viele Verfahren in die Knie. Dies ist häufig in Stadtgebieten der Fall, wo sich über Jahrhunderte Mauerreste und Schutt-schichten meterdick übereinander ge-türmt haben. Auch das Bodenradar, das einige Meter tief in die Erde vordringen kann, scheitert, wenn die Feuchtigkeit im Boden zu groß wird.

Und selbst wenn sich nach allen Un-tersuchungen ein klarer Umriss oder so-gar ein 3D-Bild zeichnen lässt, ist nicht in jedem Fall zu erkennen, was genau dort im Boden schlummert und wie alt es ist. Der Ludus von Carnuntum war ein Ausnahmefall. Die vollständige Re-konstruktion war möglich, weil Alter-tumswissenschaftler andernorts schon viel über römische Gebäudetypen he-rausgefunden hatten.

Sind geophysikalische Scans, Fern-erkundungen mit Lasern und Hyper-

spektralaufnahmen also nur ein tech-nisches Bonbon? „Auf gar keinen Fall!“ Da sind sich alle Archäologen einig. Mo-derne, zerstörungsfreie Methoden ge-ben Auskunft über Form und Lage einer Fundstätte. „Das bedeutet, dass wir ge-zielt graben können, um herauszufin-den, wie alt ein Bodendenkmal ist oder wie es konstruiert wurde“, sagt Wolf-gang Neubauer. Mit Studenten gräbt er im niederösterreichischen Hornsburg gerade den Torbereich einer mittelneo-lithischen Kreisgrabenanlage mit drei Gräben aus.

Seit 1989 haben die Archäologen rund um die Anlage immer wieder das Gelän-de mit ihren Messsensoren abgelaufen und Funde aufgelesen. „Jetzt wollen wir bei der Grabung klären, wie die Gräben zeitlich zueinander stehen. Das ist eine konkrete Fragestellung. Aber mit unse-rer Grabungsarbeit beeinträchtigen wir nur einen Teil der Anlage“, betont der Forscher. Natürlich greift Wolfgang Neubauer auch hier zu einer Sonde: Über jede freigelegte Schicht fährt ein Magnetscanner. Mit den Daten will er später die gesamte Kreisgrabenanlage in einem 3D-Modell rekonstruieren.

ALTE ÄCKER UNTER WÄLDERN Und in Esslingen? Auf dem Bildschirm in Ralf Hesses Büro zieht das Oberflä-chenrelief von Baden-Württemberg vo-rüber. Er zeigt auf mal mehr, mal weni-ger sichtbare Rinnen im Gelände. „Das

sind alte Wegesysteme“, sagt der Mann mit dunkelblondem Zopf und Brille. Un-ter Wäldern werden alte Ackerflächen sichtbar – der Pflug hat deutliche Spu-ren hinterlassen. Und die Podeste alter Holzkohlemeiler ragen wie Beulen aus dem Gelände.

Früher waren die Archäologen nur über ausgegrabene Flächen gut infor-miert. Die Summe aller modernen Fernerkundungs- und Prospektionsme -thoden stößt das Fenster in die Vergan-genheit weiter auf. Plötzlich klärt sich der Nebel im Umfeld von Siedlungen, Kreisanlagen oder Burgen. Wie sich ganze Landschaften über Jahrhunderte hinweg entwickelt haben, können Ar-chäologen nun recht schnell und genau überblicken. Hinter den gesammelten Bildern und Daten verbirgt sich ein Schatz, den man gerade erst begonnen hat zu heben. ■

Journalistin und Archäologin KARIN KRAPP juckt es in den Fingern: Gerne würde sie auch einmal mit einem Quad auf „Grabung“ gehen.

INTERNET

Das Ludwig Boltzmann Institut stellt seine Arbeit vor: archpro.lbg.ac.at

Mehr zum Thema

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Die klassische Luftbildarchäologie hat nicht ausgedient: oben die quadratischen Umrisse eines Römerlagers in Nordengland, rechts das Magnetometerbild einer kupferzeitlichen Siedlung in Moldawien.

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Erwachendes Persien Persepolis ist eines der Prunkstücke in der langen Geschichte des Iran, deren Erforschung allmählich wieder Fahrt aufnimmt.

von Karin Schlott

ARCHÄOLOGIE

WISSENSDURST, so erzählen es die Schreiber der Antike, hätte Alexander den Großen angetrieben, mit seinen Heerscharen dem gewaltigen Perserreich die Stirn zu bieten. Außerdem seine Sehnsucht, fremde Länder zu erkunden – und zu beherrschen. Offiziell ließ der Makedone aber aus einem anderen Grund zum Feldzug blasen: Rache gegen die Perser, weil sie mehr als 150 Jahre zuvor in Griechenland eingefallen waren.

Alexanders taktisches Geschick – und das nötige Quäntchen Glück – brachten den Perserkönig Dareios III. zu Fall und den Makedonen 330 v.Chr. auf dessen Thron. Spätestens jetzt brach in Alexan-ders Eroberungsgier auch Faszination durch: vom Hofstaat und Luxus der Per-serkönige, von ihrer ehrwürdigen Macht-fülle in einem straff organisierten Viel-völkerstaat, der sich von Kleinasien bis Indien erstreckte. Die Herrscher reisten ständig umher, hielten Hof an ihren Resi-

denzen in Susa, Babylon, Pasargadae. Und in Persepolis: Die gewaltige Palast-stadt erhob sich auf einer haushohen Steinterrasse, 300 auf 400 Meter groß – und war doch so geheim, dass die Grie-chen erst kurz vor ihrer Ankunft davon erfuhren. Alexander ließ die Residenz plündern und in Brand setzen. Das bele-gen dicke Schichten Brandschutt und die wenigen Kostbarkeiten, die übrig geblie-ben sind. Der Rache war Genüge getan. Trotz des Brands und zweieinhalb Jahr-tausenden, in denen der Zahn der Zeit an den Ruinen nagte, hat der Palastkom-plex kaum an Monumentalität eingebüßt – mit reich dekorierten Prunktreppen und Toren sowie 20 Meter hohen Säulen samt mächtigen Stier- und Greifenkapitellen.

Die ersten europäischen Reisenden kamen in der frühen Neuzeit, doch wis-senschaftliche Ausgrabungen begannen erst in den 1930er-Jahren. Der deutsche Altorientalist Ernst Herzfeld ließ im Auf-trag der University of Chicago das Areal freilegen. Danach untersuchten irani sche Forscher den Palast und die nahe gelege-nen Königsgräber in Naqsch i-Rustam. Dabei entdeckten sie Überraschendes: Hassan Rahsaz von der Parsa-Pasarga-dae-Forschungsstiftung etwa stieß auf Farbreste an den heute kahlen Reliefs. So waren Bart und Haar des Königs blau ge-fasst, Lippen und Augen rötlich.

Der Krieg mit dem Irak, Sanktionen und Unruhen ließen lange Jahre die meisten archäologischen Arbeiten im Iran brach liegen. Doch allmählich lau-fen wieder Projekte an, und auslän-dische Wissenschaftler kehren ins Land zurück. Erst jüngst gelang Prähistori-kern um Simone Riehl von der Universi-tät Tübingen ein bedeutender Fund in Chogha Golan, einer neolithischen Sied-lung im Westiran: In den bis zu 12 000 Jahre alten Schichten fanden sie vielfach Reste von wildem Weizen und Gerste. Sie zeugen von den Anfängen der Pflan-zenzucht, denn gut 2200 Jahre später kultivierten Menschen dort domestizier-te Arten. Bislang waren solche Nachwei-se nur von zeitgleichen Fundstellen aus der Levante und Nordmesopotamien be-kannt, im Kernland des Fruchtbaren Halbmonds. Jetzt ist klar: Der Mensch „erfand“ den Ackerbau auch weiter öst-lich – und somit an verschiedenen Orten gleichzeitig.

Im Iran schlummern noch viele große und kleine Sensationen im Boden. Über eine davon erfahren Sie im folgenden Interview. ■

Über 2500 Jahre alt – die Ruinen von Persepolis.

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„Ich liebe den

Iran“

Die Menschen zogen fort – nur nicht aus Gohar Tepe?

Es scheint so, aber wir versuchen noch herauszufinden, was dort genau geschah. Dazu machen wir auch Auto-Surveys. Das klingt skurril, aber die Gegend ist ziemlich weitläufig und sehr stark bewachsen – wir können gar nicht über Stock und Stein laufen. Deshalb fahren wir die Gegend mit dem Auto ab und fragen die Dorfbewohner, ob und wo sie vielleicht Keramik gefunden haben. Damit leisten wir in gewisser Weise Pionierarbeit. Das hört sich seltsam an, aber tatsächlich hat bis vor zehn Jahren in dieser Provinz kaum eine Ausgrabung stattgefunden.

Wie viele ausländische Archäologen arbeiten momentan

im Iran?

Sehr wenige, allenfalls eine Handvoll. Das war nicht immer so. In den 1970er-Jahren etwa haben US-Amerikaner, Engländer, Franzosen, Italiener, Dänen, Belgier und Österreicher im Iran gegraben. Als 1979 die Islamische Revolution ausgerufen wur-de, mussten auf einen Schlag alle Ausländer das Land verlas-sen. Dann erschütterte in den 1980er-Jahren der Krieg gegen den Irak das Land. Erst danach liefen allmählich neue Projekte an, fanden wieder archäologische Kongresse statt und wurden Denkmalämter in den Provinzen eingerichtet. Doch der Karika-turenstreit 2005, als dänische Karikaturen des Propheten Mo-hammed für einen Aufschrei in der islamischen Welt sorgten, und die Protestwelle nach den Präsidentschaftswahlen 2009 haben die neu geschaffenen Kontakte wieder unterbrochen.

Und jetzt?

Den Fuß in die Tür zu setzen, ist kein Problem, sie aufzustoßen aber umso mehr. Es gilt sehr viele Vorschriften zu beachten – beispielsweise für die Publikation der Funde, die Beschäfti-gung von Arbeitern oder die Abstimmung mit dem Denkmal-amt. Gerade haben Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Per Gesetz müssen nach den Wahlen alle Ämter neu besetzt werden – ein Prozess, der mehrere Monate dauern kann. Als Archäologe fängt man dann wieder von null an und wühlt sich erneut durch die Amtsstuben, um eine Grabungserlaub-nis einzuholen.

bild der wissenschaft: Herr Piller, Sie graben im Iran, in Gohar

Tepe am Kaspischen Meer. Was hat Sie dorthin verschlagen?

Christian Piller: Das ist eine längere Geschichte. Ich habe für meine Doktorarbeit in den 2000er-Jahren schon über diese Gegend geforscht. Und dann war ich im Iran lange als Reise -leiter unterwegs. Aus lokalen Zeitungsartikeln erfuhr ich, dass der iranische Archäologe Ali Mahfroozi seit 2003 Ausgrabun-gen in Gohar Tepe leitet. Das ist mit Abstand der größte Sied-lungshügel im Norden des Iran. 2008 war ich dort, und wir haben beschlossen zusammenzuarbeiten. 2009 begann dann unsere erste Grabungskampagne. Aus welcher Zeit stammt diese Siedlung?

Die ältesten Funde gehören in die Kupfersteinzeit um 4000 v.Chr. Rund 1000 Jahre später war Gohar Tepe zu einer großen Sied-lung mit einer mächtigen Stadtmauer herangewachsen. Ver-mutlich wegen einer Klimaverschlechterung verließen viele Menschen am Ende des 3. Jahrtausends die Siedlung. Danach benutzte man den Hügel hauptsächlich als Gräberfeld. Wir müssen also zunächst Bestattungen aus einem ganzen Jahr-tausend freilegen, bevor wir auf die frühbronzezeitliche Stadt treffen. Und es gibt ziemlich viele Gräber. Damit werden wir noch eine ganze Weile beschäftigt sein.

Wo lebten die Menschen, von denen die Gräber stammen?

Das wissen wir noch nicht genau. Die bronzezeitliche Lehm -ziegelarchitektur lässt sich im Erdreich leider kaum noch nach-weisen. Zudem dürften die Landwirtschaft und moderne Bau-projekte vieles zerstört haben. Wegen der Masse an Gräbern vermute ich, dass es sich im 2. und frühen 1. Jahrtausend um einen zentralen Bestattungsplatz handelte.

Sie sagten, am Ende des 3. Jahrtausends v.Chr. änderte sich

das Klima. Wie konnten Sie das feststellen?

Das haben geologische Untersuchungen knapp 100 Kilometer weiter östlich beim heutigen Gorgan gezeigt. Dort gab es eine reiche Bronzezeitkultur in einer sehr fruchtbaren Gegend. Doch um 2000 v.Chr. wurde es dann extrem trocken, und die Men-schen waren gezwungen, ihre Siedlungen aufzugeben.

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Seit über zehn Jahren arbeitet der Archäologe Christian

Piller im Iran. Im Spätsommer 2014 wird der Forscher die bdw-Leserreise in das sich öffnende Land begleiten.

Das Gespräch führte Karin Schlott

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Die Menschen machen demnach das Beste aus ihrem Leben

im islamischen Gottesstaat?

Die Regierung besteht auf gewissen Grundregeln: Kopftuch, Alkoholverbot, öffentliche Trennung der Geschlechter. Es geht der Regierung jedoch nicht darum, den Menschen alles Mög -liche zu untersagen. Es ist ihr wichtig, dass es zu keinen De-monstrationen kommt.

Doch als die Anhänger von Hossein Mussawi 2009 gegen

mutmaßliche Manipulationen bei den Präsidentschaftswahlen

demonstrierten, ging die Regierung hart gegen sie vor.

Ja, ich war damals in Teheran und habe die Geschehnisse mit-bekommen. Ich will nichts schönreden. Doch einige Wahlen haben auch für positive Überraschungen gesorgt. Das war schon 1997 so: Der gemäßigte Mohammad Chatami wurde damals zum Staatspräsidenten gewählt. Damit hatte keiner gerechnet. Seine Kandidatur galt als völlig aussichtslos. Ge-nauso verhielt es sich vor Kurzem bei Hassan Rohani, dem neuen irani schen Staatspräsidenten. Er war mit Abstand der liberalste von allen Kandidaten. Freilich: Er ist auch schiiti-scher Geistlicher. Aber er wird vorsichtig vorgehen müssen, wenn er Reformen einleiten möchte.

Von den Perserkönigen der Antike bis zum Schah der Neuzeit

– Persiens Kulturgeschichte ist lang. Wie wichtig ist den Men-

schen ihre Geschichte?

Sie sind sehr stolz auf ihre Vergangenheit. Das geht zurück bis zu Kyros I. und Persepolis im 6. und 5. Jahrhundert v.Chr.

Spielt die Vergangenheit im Alltag eine Rolle?

Ja, besonders die mittelalterliche Dichtkunst, etwa von Firdausi aus dem 10. Jahrhundert. Er hat das Schahname, das Königs-buch, geschrieben. Das ist eine Art persisches Nibelungenlied, in das diverse vorislamische Legenden und Geschichten ein-geflossen sind. Viele Menschen können ganze Seiten seiner Erzählungen rezitieren. Die neupersische Sprache hat sich seit 1000 Jahren kaum verändert. Jeder kann die alte Dichtkunst im Original lesen und verstehen.

Die Iraner sind tiefer in ihrer Kultur verwurzelt als die Europäer? Auf jeden Fall. Ein Beispiel: Wir standen einmal in Schiraz am Grab persischer Dichter und haben Werke von Saadi aus dem 13. Jahrhundert gelesen. Auf einmal kam eine Gruppe Iraner dazu. Einer fing an, eines von Saadis Gedichten vorzutragen, und der Rest sang im Chor mit.

Und wie steht die Regierung zur Geschichte des Landes?

Unterschiedlich. Der Schah nannte sich „König der Könige“ in Anknüpfung an die persischen Großkönige der Antike. Ayatol-lah Chomenei distanzierte sich von der vorislamischen Zeit. Mohammad Chatami, Präsident und gleichzeitig Geistlicher, besuchte medienwirksam und voller Bewunderung Stätten wie Persepolis. Ahmadinedschad hat sich kaum dazu geäußert.

Gibt es etwas, das Sie von den Iranern gelernt haben? Ja, locker und gelassen zu sein (lacht). ■

Empfinden Sie die Amtsgänge als Schikane?

Nein, mit Schikane hat das gar nichts zu tun, sondern ganz schlicht damit, dass wir im Orient sind. Zum Beispiel im Früh-jahr 2013: Da hatten wir nur unsere Arbeitsvisa in Händen, aber zunächst keine Grabungserlaubnis. Wir sind dann von München nach Teheran geflogen, haben uns durch die Ämter gefragt, und am Ende konnten wir zwar nur zwei statt vier Wochen arbeiten, nichtsdestotrotz kehrten wir mit guten Er-gebnissen nach Hause zurück.

Das klingt abenteuerlich.

Es ist einfach so: Spricht man vor Ort mit den Leuten, ist viel mehr machbar als von Deutschland aus. Es läuft anders als bei uns. In einem deutschen Amt bedeutet ein Nein auch wirklich „Nein“. Im Iran bedeutet ein Nein zuweilen „Viel-leicht“. Und ein Vielleicht manchmal auch „Ja“ (lacht). Man handelt wie auf dem Basar – und es gehört zum guten Ton zu verhandeln. Gibt es etwas, dass Sie am Iran besonders schätzen?

Es ist ein unglaublich schönes Land. Die Gesellschaft, der All-tag und die Politik polarisieren und faszinieren zugleich. Gera-de das macht einen so neugierig auf Land und Leute. Zudem ist der Iran im Umbruch, die Menschen sind aufgeschlossen und haben eine große Herzlichkeit. Ich liebe dieses Land.

Was hat sich in letzter Zeit verändert?

Zum Beispiel sind inzwischen über zwei Drittel der Studenten im Iran Frauen. Sie wollen sich nicht mehr einfach verheiraten lassen. Und die Väter sind stolz auf ihre Töchter. Viele sind be-rufstätig und gehen selbstständig durchs Leben. Noch vor 15

Jahren galt es als ungewöhnlich, wenn eine Frau alleinstehend war. Zwar will es die politische Situation nicht glauben lassen – aber die iranische Gesellschaft öffnet sich. Durch Reisen, Fernsehen und Internet haben sich die Menschen verändert. Werden Fernsehen und Internet nicht auch von der Regierung

kontrolliert?

Das ist zu vermuten, aber die Iraner sind durchaus in der Lage, sich ein eigenes Bild von ihrem Land und der Welt um sie he-rum zu verschaffen.

Christian Piller Der gebürtige Niederbayer (*1969) studierte Vorderasiati-sche Archäologie, Assyriologie, Vor- und Frühgeschichte, Frühchristliche Archäologie und Ethnologie. Nach dem Stu dium gründete er zusammen mit ehemaligen Kommili -tonen die Grabungsfirma „Dig It! Company“. Gleichzeitig promovierte Christian Piller an der LMU in München und arbeitete als Reiseleiter im Iran, wo er seit 2009 eine Aus-grabung in Gohar Tepe leitet. Zurzeit ist er wissenschaftli-cher Mitarbeiter am Institut für Vorderasiatische Archäolo- gie an der LMU München.

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ÜBER EIN JAHRZEHNT hat sich der Iran von der Außenwelt abgeschottet. Dank der Wahl gemäßigter Politkräfte sprengte er im Sommer 2013 die Ketten seiner Iso-lation. Die bdw-Leserreise gibt Ihnen die besondere Gelegenheit, nicht nur die neue Blüte des Iran zu erleben, sondern auch von einem ausgewiesenen Kenner des Landes in die faszinierende Geschichte eingeführt zu werden und hautnah einen Eindruck von der berührenden Gastlichkeit der Menschen zu gewinnen. Die gesamte

Reisezeit begleitet uns der Archä -

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LESERREISE

ologe Dr. Christian Piller von der LMU München, seit über zehn Jahren Forscher und Reiseleiter im Iran. Als einer der we-nigen ausländischen Wissenschaftler sei-nes Metiers gräbt er im Iran – in Gohar Tepe am Kaspischen Meer. Christian Pil-ler wird die bdw-Lesergruppe exklusiv in die Grabungsarbeiten an dem Siedlungs-hügel des 3. Jahrtausends v.Chr. einführen.

Es gibt kaum ein orientalisches Land, in dem Vergangenheit und Zukunft, Tradi-tion und Moderne so eng verzahnt sind wie im Iran. Wir besuchen bedeutende archäologische und religiöse Stätten, ver-schaffen uns einen Eindruck vom Leben in der islamischen Republik – und erleben die wunderbare Herzlichkeit der Men-schen: Wir tauschen uns aus mit schi iti -schen Geistlichen, Künstlern und Stu die -renden, begegnen einem zoroastrischen Feuerpriester und sehen Ringern im „Haus der Kraft“ beim Pahlavani zu, das seit über 2000 Jahren in Persien Tradition hat.

So wechselhaft die Geschichte des Landes, so abwechslungsreich seine Landschaft: Zunächst erkunden wir die Millionenmetropole Teheran, wo wir uns unter anderem die Kronjuwelen des Schah ansehen und vom 435 Meter hohen Borj-e Milad Fernsehturm die nächtliche Stadt überblicken. Dann überqueren wir das Elburs-Gebirge im Norden und tauchen in die grüne Seele des Landes am Kaspi-schen Meer ein. Neben der Grabung am Gohar Tepe besuchen wir auch Steinzeit-höhlen bei Sari, wo einige der ältesten menschlichen Zeugnisse im Iran gefunden wurden. Bei einem Picknick im Hyrkani -schen Mischwald lassen wir die Eindrü-cke von der Fischerei und Kaviarproduk -tion in Bandar-e Anzali Revue passieren. Anschließend geht es von der Küstenebe-ne ins Hochgebirge des Zagros. Dort be-suchen wir per Boot die weltweit größte Wasserhöhle und setzen die Fahrt zu den Felsreliefs und -inschriften der Per-serkönige in und um Hamadan fort. Von diesen Weltkulturerbe-Stätten aus erkun-den wir weitere UNESCO-geschützte Orte rund um Ahvaz und Schiraz: die jahrtau-sendealten Bewässerungssysteme von Schuschtar, die Stufenpyramide im Tem-pelbezirk von Tschogha Zanbil aus dem

Faszination Orient: Die Moschee von Schiraz (1) und der Borj-e Milad Fernsehturm in Teheran (2) stehen ebenso auf dem Reisepro-gramm wie die Grabungen von Gohar Tepe im Nordiran (3), die raue Landschaft des Zagros-Gebirges (5), schiitische Heiligtümer (6) und die Ruinen von Persepolis (8). Oben junge Frauen aus dem Nordiran (4) und rechts die traditionelle Lehmziegelherstellung (7).

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bdw-Leserreise 2014 in den Iran Zeitreise in Persien

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14. Jahrhundert v.Chr. und – als besonde-res Highlight – die Residenzen der Per ser -könige Perse polis, Pasargadae und Susa. Anschließend erreichen wir die Wüsten-stadt Yazd, eines der wichtigsten Zentren der Zoroastrier, be suchen dort einen Feuer-tempel und eine zoroastrische Begräbnis-stätte unter freiem Himmel. Weiter geht es nach Isfahan, der Hauptstadt des 17. Jahrhunderts, wo vor historischer Stadtkulisse das moderne Leben pulsiert. Von Isfahan und seinen Weltkulturerbe-Moscheen reisen wir weiter in eine der Hochburgen des schiitischen Islam, nach Qom. Schließlich treten wir über Teheran die Heimreise nach Deutschland an.

Wer den Iran besucht, taucht mit Haut und Haar in die orientalische Welt ein. Zum Lebensrhythmus dort gehört auch, dass sich spontan besondere Gelegen-heiten ergeben, die unser Programm be-reichern werden. Neben Christian Piller begleiten die Reisgruppe ein iranischer Reiseführer, der sehr gut Deutsch spricht, und bdw-Redakteurin Karin Schlott.

Wir brechen auf am Montag, den 15. Sep-tember 2014, und kehren am Samstag, den 4. Oktober 2014, zurück. Die gesamte Reise dauert 20 Tage. Der Preis pro Per-

son im Doppelzimmer beträgt € 4990 (Einzelzimmerzuschlag: € 650). Zu unse-rer Reisezeit beträgt die Durchschnitts-temperatur angenehme 27 Grad Celsius.

Unsere Leistungen im Überblick: Linien-flüge mit Lufthansa Frankfurt/Teheran und zurück, Flughafensteuern, Treibstoff-zuschläge, innerdeutsche Bahnanreise 1. Klasse zum/vom Flughafen, Rundreise vor Ort in einem bequemen Reisebus mit Klimaanlage, Visa-Gebühren, Übernach-tungen in gehobenen klimatisierten Mit-telklassehotels, täglich Frühstück und Abendessen im Hotel oder ausgewählten Restaurants, ein Abendessen im Borj-e Milad Fernsehturm und ein Picknick, zu-dem Gruppentrinkgelder für Hotels, eine Bootsfahrt und das Besichtigungspro-gramm, inklusive Eintrittsgelder. Die Min-destteilnehmerzahl beträgt 15 Personen.

Erkunden Sie mit uns den erwachenden Iran! Das ausführliche Reiseprogramm „Zeitreise in Persien 2014“ erhalten Sie von Studiosus Gruppenreisen GmbH Katrin Harrer Riesstr. 25, 80992 München Tel. 089 | 500 60 439, Fax 089 | 500 60 405 [email protected] Anmeldung nur bei Studiosus!

Unser Reisebegleiter in den Iran ist der Vorderasiatische Archäologe Dr. Christian Piller von der LMU München.

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Kinder, die häusliche Gewalt erleben, leiden oft noch als Erwachsene unter den Folgen. Doch auch eine späte Therapie hat gute Erfolgschancen.

PSYCHOLOGIE

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Leid macht Kinder zu Greisen Misshandlungen können in Genen und Gehirn lebenslang

sichtbare Spuren hinterlassen. von Bettina Gartner

MEREDITH UND JULIA* – zwei Frauen und zwei Schicksale, die sich ähneln: Beide sind 40 Jahre alt, wohnen in amerikani-schen Orten mit hoher Kriminalitätsrate und haben Gewalt am eigenen Leib erfahren: Meredith wurde als kleines Kind mehrfach sexuell missbraucht, Ju-lia geschah das Gleiche als junge Frau. Heute, mit 40, leiden beide an post -traumatischen Belastungsstörungen: Die Bilder der Taten tauchen plötzlich auf, verfolgen sie bis in den Schlaf. Die Frau-en sind schreckhaft, fühlen Schuld und Scham, haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren und finden an vielen Din-gen des Lebens keine Freude. Augen-scheinlich hat sie das Schicksal auf die gleiche Weise gezeichnet. In den Genen aber hat sich der Missbrauch bei Mere-dith ausgewirkt, bei Julia nicht. Der Grund: Meredith war zum Zeitpunkt der Vergewaltigung noch ein Kind.

DER KÖRPER VERGISST NICHT Noch nach Jahrzehnten soll der Körper offenbaren, in welchem Alter er Schock und Stress erlitt? Bis vor wenigen Mona-ten hätten Wissenschaftler bei dieser Frage den Kopf geschüttelt. Mittlerweile wissen sie es besser.

Elisabeth Binder und Torsten Klengel vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München haben gemeinsam mit deutschen und amerikanischen Kolle-gen Menschen wie Meredith und Julia untersucht – knapp 2000 US-Bürger, streng anonymisiert. Die Forscher stell-ten bei vielen Teilnehmern wiederholte Erfahrungen von Misshandlung, Ver-nachlässigung und sexuellem Miss-brauch fest. Etwa ein Drittel der Betrof-

fenen litt an posttraumatischen Belas-tungsstörungen. Unter denjenigen, die bereits als Kind schwer traumatisiert worden waren, fanden die Forscher zu-dem eine spezielle Veränderung im Erb-gut: Das FKBP5-Gen war überaktiv.

SIGNALFLAGGEN GEKAPPT Dieses Gen enthält den Bauplan für ein Protein, das jene Rezeptoren steuert, an die das Stress-Hormon Cortisol ando-cken kann. Wie stark das Gen abgelesen und wie oft das entsprechende Protein hergestellt wird, darüber entscheiden einfache chemische Markierungen, so-genannte Methyl-Gruppen. Wie Signal-flaggen sitzen sie auf der Oberfläche des Gens. Bei Menschen wie Meredith sind diese Signalflaggen am FKBP5-Gen ge-kappt, vermutlich durch die starke Aus-schüttung von Cortisol.

Vereinfacht gesagt: Die Arbeiter ha-ben die Herrschaft über die Fabrik über-nommen – und eine der Stellschrauben bei der Regulierung von Cortisol so ge-dreht, dass die Produktion des Hormons auf Hochtouren läuft. Nach der Verge -waltigung stellte sich Merediths Organis-mus offenbar auf eine besonders harsche und gefährliche Umwelt ein, weshalb er auch noch bei der erwachsenen Frau auf Stress sehr empfindlich reagiert.

Julias FKBP5-Gen weist dagegen kei-ne Veränderungen auf, obwohl auch sie traumatisiert ist. Ungeklärt ist bislang, sagt Studienleiter Klengel, wie schnell es zu einer „epigenetischen Umaktivie-rung“ im Kindesalter kommt, wie viele Gene betroffen sind, ob verschiedene Arten von Traumata unterschiedliche Spuren hinterlassen – und welche Rolle das Alter beim Missbrauch spielt.

Beim FKBP5-Gen kommt noch ein Faktor hinzu: Es wird nach einem Trau-ma im Kindesalter nur dann umakti-viert, wenn seine Struktur eine be-stimmte Variante aufweist, die das Gen für molekulare Veränderungen emp-fänglich macht. Das ist wie bei einem terroristischen Schläfer, der erst durch einen Befehl aktiv wird. „Bei posttrau-matischen Belastungsstörungen zeigt sich deutlich, dass Umwelteinflüsse und Gen-Veränderungen stark miteinander verknüpft sind“, sagt Klengel.

AUCH MOBBING IST SICHTBAR Schockierende Erlebnisse können nicht nur einzelne Gene, sondern auch das gesamte Erbgut schädigen, wie Forscher der Tulane University in New Orleans und des Children’s Hospital in Boston sowie der Duke University in Durham und des King’s College in London unab-hängig voneinander nachgewiesen ha-ben. Bei Kindern, die vernachlässigt, misshandelt oder gemobbt wurden, hat-ten sich die Telomere – die Schutzkap-pen am Ende der Chromosomen – ver-kürzt und zwar umso stärker, je länger die Kinder gequält wurden.

Die Telomere verkürzen sich bei allen Menschen mit zunehmendem Alter,

*Namen geändert

Kompakt

· Traumatische Erlebnisse können das Ergbut umprogrammieren.

· Bei chronischem Stress werden bestimmte Hirnregionen um Millimeter dünner.

· Erwachsene, die in der Kindheit traumatisiert wurden, können auch ohne Psychopharmaka erfolgreich behandelt werden.m

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Bei Frauen, die als Kinder emotional misshandelt wurden und nie ein Wort der Wertschätzung zu hören bekamen, sind die Areale betroffen, die für Selbst-wahrnehmung und Selbstbewertung zuständig sind.

WENN SCHUTZ SCHADET Wie bei der Umaktivierung der Gene meint es der Körper auch bei den Um-bauten im Gehirn eigentlich gut. Er ver-sucht, die schmerzlichen Erfahrungen während der Misshandlung auszublen-den, indem er – so vermuten die Wis-senschaftler – die eingehenden Nerven-impulse hemmt. Das Gehirn macht dicht. Langfristig gesehen wird der Nut-

Das Lesen dieser Spuren gelingt den Wissenschaftlern immer besser. Beim Blick ins Gehirn hat eine internationale Forschergruppe um Christine Heim von der Charité in Berlin vor Kurzem er-kannt, dass sich unterschiedliche For-men traumatischer Erfahrungen genau auf die Regionen in der Hirnrinde aus-wirken, die diese Erfahrungen verarbei-ten. Bei Frauen, die in ihrer Kindheit se-xuell missbraucht wurden, ist jener Be-reich dünner, der Signale und Empfin-dungen aus den Geschlechtsorganen verarbeitet: Statt der üblichen fünf Milli-meter ist er oft nur drei bis vier Millime-ter dick. Der Stress hat im wahrsten Sin-ne des Wortes an den Nerven genagt.

weil sie sich bei jeder Zellteilung mit -teilen. Bei den misshandelten Kindern schreitet dieser Verschleiß aber schnel-ler voran. Dadurch erhöht sich ihr Krank-heitsrisiko, und ihre Lebenser wartung sinkt. Stress macht Kinder – genetisch gesehen – also zu Greisen, während ihr Körper noch im Wachsen ist. Die Form-barkeit, die dem Organismus in jungen Jahren Chancen eröffnet, wird ihm zum Verhängnis.

VERÄNDERUNGEN IM GEHIRN Das zeigt sich auch bei der Entwicklung des Gehirns. Udo Dannlowski und Ha-rald Kugel von der Universität Münster haben im Gehirn von 148 Erwachsenen, die in ihrer Kindheit Misshandlungen unterschiedlicher Art erlebt hatten, deutliche Veränderungen nachgewiesen:

·einen überaktiven Mandelkern, der als Angstzentrum im Gehirn gilt,

·einen verkleinerten Stirnlappen, der dieses Angstzentrum kontrollieren soll,

·einen unterentwickelten Hippocam-pus, der eine zentrale Rolle bei der Bil-dung von Erinnerungen spielt.

Bei den Misshandlungen ging es nicht nur um schlagzeilenträchtige Taten wie sexuellen Missbrauch oder physische Gewalt. „Eine überforderte Mutter oder ein Kind, das als Partnerersatz dienen muss – auch solche emotionalen Wun-den können sich in der Hirnentwicklung niederschlagen“, sagt Dannlowski.

Ein sensibles Angstzentrum und einen verkleinerten Gedächtnismotor findet man auch bei Patienten mit Depres -sionen, Schizophrenie und Borderline-Störung. Dannlowskis Testpersonen gelten hingegen als psychisch gesund. Doch die Verletzungen der Vergangen-heit haben Spuren hinterlassen.

Die Last von der Seele schreiben Mit einem „Lebenstagebuch“ haben der Greifswalder Trauma- forscher Philipp Kuwert und seine Kollegin Christine Knaevels -rud von der Freien Universität Berlin Menschen geholfen, die als Kinder im Zweiten Weltkrieg traumatisiert wurden. Die Betroffenen schrieben ihre teils verschütteten Erlebnisse und Gefühle auf: Wie sie Nächte voller Angst in Bunkern ver-brachten, wie über ihnen Bomben einschlugen, wie sie flie-hen mussten, wie sie zu verhungern drohten. Sechs Wochen dauerte die Schreibtherapie. Das Besondere: Teilnehmer und

Therapeuten sahen sich kein einziges Mal. Sie kommunizier-ten ausschließlich über das Internet. Es gab weder persönli-chen Kontakt noch Medikamente – dafür Aufmerksamkeit und Beachtung.

Die Auswertung der Studie, die derzeit noch läuft, zeigt „einen signifikanten Nutzen für die Betroffenen“, sagt Stu -dienleiter Kuwert. Der erste Schritt zur Heilung besteht oft darin, dass das erlebte Leid ernst genommen wird – auch wenn es schon viele Jahrzehnte zurückliegt.

Zwei kanadische

Frauen, die misshan-delt wurden – die eine

als Erwachsene, die andere als Kind. Wer wie sie über längere

Zeit Brutalität ausge -setzt war, ist oft noch

Jahre danach ängstlich, schämt sich und hat

große Schuldgefühle.

PSYCHOLOGIE

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zen allerdings zum Schaden. Durch die Blockade in bestimmten Hirnbereichen bilden sich dort wohl weniger neurona-le Verzweigungen – was die Dünnhäu-tigkeit erklären könnte. Fest steht, dass sexuell missbrauchte Mädchen als Frau-en häufig Schmerzen beim Sex haben und wenig Lust empfinden. Und emo-tional verhungerte Kinder tun sich unter Umständen zeitlebens schwer, ihren eigenen Wert zu erkennen, Ängste zu überwinden und sich Depressionen zu entziehen.

Während eine überstandene Natur-katastrophe in der Psyche selten tiefe Spu-ren hinterlässt, können Quä le rei en durch Mitmenschen erschreckend nachhaltig wirken – durch den Pfleger im Waisen-haus, der sich nicht darum schert, ob ein Dreijähriger gehen und sprechen kann, durch die Mutter, die ihre Zigaret-ten auf der Haut des Kinds ausdrückt, durch den Vater, der sich an seinem Kind vergeht. „Kinder, die sexuell miss-braucht oder emotional gequält werden, entwickeln zu 50 Prozent eine posttrau-matische Belastungsstörung. Jene, die eine Naturkatastrophe erleben, nur zu 3 bis 4 Prozent“, sagt die Vorsitzende der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psy-chotraumatologie Julia Schellong.

Doch es scheint eine Art „Schonfrist“ zu geben, innerhalb der sich schmerz-volle Erfahrungen wieder ausmerzen lassen. Rumänische Waisenkinder, die im Alter zwischen anderthalb und zwei Jahren adoptiert worden waren und ein gutes Zuhause erhalten hatten, holten in den folgenden Lebensjahren wieder auf, was sie vorher an kognitiver und emotionaler Entwicklung eingebüßt hat-ten. Das stellte der britische Entwick-lungspsychologe Michael Rutter fest.

Waren die Kinder bei der Adoption älter als zwei Jahre, ließ sich die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Ihre Verhaltensauf-fälligkeiten, Entwicklungsstörungen und Bindungsängste blieben auch im neuen guten Umfeld bestehen.

Allerdings liegt in der Verletzlichkeit von Menschen, die durch Misshandlun-gen in Genen und Gehirn gezeichnet sind, auch eine Chance auf Heilung. Der Psychiater Chaltes B. Nemeroff und die Psychologin Christine Heim, beide da-mals an der Emory University School of Medicine in Atlanta, untersuchten schon vor etlichen Jahren 681 Patienten mit chronischer Depression und stellten fest, dass jene, die als Kinder traumati-siert worden waren, besonders gut auf psychotherapeutische Behandlungen an -sprachen. So gut, dass Psychophar -maka, die bei den anderen Patienten zu-sätzlich eingesetzt werden mussten, nicht nötig waren. „Das Gehirn dieser Menschen scheint sehr stark durch Er-fahrungen formbar zu sein – und zwar im Negativen wie im Positiven“, sagt Heim. „Bei den anderen Patienten mussten solche Veränderungen im Ge-hirn erst mithilfe von Medikamenten angeschoben werden.“ ■

Der Nachweis, dass emotio-nale Wunden ihre Spuren im Gehirn hinterlassen, hat bdw-Autorin BETTINA GARTNER sehr beeindruckt.

INTERNET

Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie: www.degpt.de

Projekt „Lebenstagebuch“ für traumatisierte Kinder des Zweiten Weltkriegs: www.lebenstagebuch.de

LESEN

Für Erwachsene, die mit traumatisierten Kindern zu tun haben: Andreas Krüger ERSTE HILFE FÜR TRAUMATISIERTE KINDER Patmos, Ostfildern 2012, € 16,95

Fachlich fundiert und auch für Laien gut lesbar: Michaela Huber TRAUMA UND DIE FOLGEN Junfermann, Paderborn 2009, € 26,90

Mehr zum Thema

Unsichtbar, aber tief-greifend: Wenn die Gewalttaten schon in der frühen Kindheit stattfanden, können sie die Gene verän dern.

Traumata können die sogenannten Telo-mere verkürzen, die wie Schutzkappen am Ende der Chromosomen sitzen.

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Plastik im Körper

Was der Mensch den Meeren antut, bleibt den Blicken meist verborgen. Deshalb glauben viele, das sei alles nicht so schlimm – jedenfalls weit harmloser als die Naturzerstörungen an Land. Umso wichtiger ist das Buch des englischen Meeresbiologen Cal-lum Roberts. Obwohl er nicht über-treibt oder dramatisiert, zeichnet er ein erschreckendes Bild: Über-fischung, Klimawandel und Abfälle, Lärm, eingeschleppte Arten, Krank-heiten und die Ölindustrie setzen den Ozeanen zu. Roberts beleuchtet jeden Aspekt mit vielen Details und enormem Fachwissen.

Besonders beeindruckend ist das Kapitel über Plastikabfälle. Der Stoff, den es vor 100 Jahren noch gar nicht gab, verschmutzt heute nicht nur sämt-liche Strände, sondern treibt auch überall in den Weltmeeren und wird von unzähligen Organismen aufge -nommen. Schildkröten, Robben, Fische, Vögel – alle fressen den un-verdaulichen Dreck. 19 von 20 Eis-sturmvögeln, die tot an die Nordsee-strände gespült werden, haben Plas-tik im Körper.

Der erzählerische Schreibstil macht es dem Leser leicht zu folgen. Zudem ist Roberts mit Leib und Seele Meeresbiologe – und von diesem Enthusiasmus profitiert der Text. Das Buch endet mit einem Appell: Roberts plädiert dafür, ein Drittel aller Ozeane unter Schutz zu stellen. Das würde auch der Fischerei nutzen, denn dann hätten die Fischbestände Rückzugsgebiete, um sich zu erholen. Klaus Jacob

Callum Roberts DER MENSCH UND DAS MEER DVA, München 2013 588 S., € 24,99 ISBN 978–3–421–04496–9 E-Book für € 19,99 ISBN 978–3–641–10006–3

Zu Risiken und Nebenwirkungen Gehören Sie zu denen, die darauf verzichten, die Packungsbeilage eines neuen Medikaments zu studieren, weil sie das Kleingedruckte lieber nicht wissen wollen? Dann sollten Sie Ben Goldacres Buch lesen.

NACHLESE

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nicht darum, einzelne Konzerne an den Pranger zu stellen. Stattdessen arbei-tet er mit Zahlen, Fakten und Beweisen – was die Schieflage der Branche aber umso deutlicher zeigt. Natürlich be-kommt die Pharmaindustrie das meis-te Fett weg, aber auch bei Behörden, Fachzeitschriften und Selbsthilfegrup-pen liegt offenbar einiges im Argen. Letztlich geht es um Interessenkonflik-te. Wie unvoreingenommen ist ein Arzt, der im Auftrag eines Pharmaunterneh-mens Vorträge hält? Kann eine Arznei-mittelbehörde noch hart durchgreifen, wenn ihr Leiter früher in der Industrie tätig war? Und was ist mit dem Wohl der Patienten?

Goldacre macht viele Verbesse -rungs vorschläge, wobei er vor allem Transparenz fordert. Sein erstes 2011 erschienenes Buch „Die Wissenschafts-lüge“ über die pseudowissenschaftli-chen Machenschaften der Kosmetik-, Pharma- und Naturheilmittel-Industrie hat einen größeren Unterhaltungswert. Doch die „Pharma-Lüge“ ist ohne Zwei-fel das wichtigere Buch. Franziska Konitzer

Ben Goldacre DIE PHARMA-LÜGE Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013 448 S., € 19,99 ISBN 978–3–462–04577–2 E-Book für € 17,99 978–3–462–30733–7

Der britische Arzt und Medizinjour -nalist Ben Goldacre erklärt nicht nur, warum Beipackzettel eher Verwirrung stiften als aufzuklären. Er holt auch zu einem Rundumschlag aus: Auf über 400 Seiten beschreibt er, wie klinische Studien geschönt werden, wie uner-wünschte Studienergebnisse in Schub-laden verschwinden, wie manche Ne-benwirkungen zu spät oder gar nicht entdeckt werden – und dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Arzt Ihnen das neue Medika-ment nur aus dem Grund verschrieben hat, weil er vor Kurzem Besuch von einem Pharmareferenten hatte.

Doch Goldacre bietet keine reißeri-schen Schauergeschichten über das Versagen der Branche. Es geht ihm

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Alles oder nichts?

Natürlich gibt es nicht nichts – sonst existierte ja niemand, der diese Frage stellen könnte. Wo aber kommt alles her? Lawrence M. Krauss gibt eine verblüffende Antwort: Alles stammt aus dem Nichts! Der theoretische Physiker an der Arizona State Univer-sity wendet sich vehement gegen den Kreationismus – ein absurdes Gedan-kengebilde, das in den USA in vielen Schulen unterrichtet und für die etab-lierte Wissenschaft zunehmend zum Problem wird. Demnach soll ein Schöpfergott die Welt erschaffen ha-ben, wobei die Genesis der Bibel wörtlich verstanden und die Evolution negiert werden. Krauss geleitet den Leser auf anspruchsvollem Niveau, aber meist gut verständlich, durch die abstrakten Welten von Relativi-tätstheorie und Quantenmechanik.

Seine keineswegs neue These lautet: Die klassische Vorstellung eines Vakuums als absolut leerer Raum ist falsch. Ein solches Vakuum hätte das Energieniveau null, was dem Heisenberg’schen Unschärfe-prinzip widerspricht, wonach sich Ort, Impuls, Energie, Raum und Zeit nicht beliebig genau messen lassen. Es wimmelt also von virtuellen Teilchen, die sich zu realen wandeln können. Genau das geschah beim Urknall und der anschließenden Inflation, die den Kosmos gewaltig aufblähte. Leider erwähnt der Autor nicht, dass es ernst-zunehmende Argumente gegen das Inflationsszenario gibt. Etwas mehr kritisches Hinterfragen hätten dem Buch gut getan. Helmut Hornung

Lawrence M. Krauss EIN UNIVERSUM AUS NICHTS Albrecht Knaus, München 2013 252 S., € 19,99 ISBN 978–3–8135–0468–2 E-Book für € 15,99 ISBN 978–3–641–09114–9

Unscheinbar, grau, klebrig

Die berühmte DNA, die Desoxyribo -nukleinsäure, ist eine unscheinbare, graue, klebrige Substanz. Aber ohne das fadenförmige Molekül gäbe es keine Menschheit und überhaupt kein Leben auf der Erde. Kein Wun-der, dass sich um die DNA mehr Ge-schichten ranken als um jede andere chemische Verbindung. Der Schwei-zer Wissenschaftler Friedrich Mie-scher vermutete im 19. Jahrhundert als Erster, dass dem Molekül eine Sonderrolle in der Biologie zukommt. Seine wegweisenden Forschungen betrieb er in einer Küche im Keller eines Tübinger Schlosses. Aber erst als 1953 James Watson und Francis Crick in Cambridge das Strukturmo-dell der Doppelhelix vorstellten, er-kannten Wissenschaftler die Sonder-rolle der DNA als Trägerin der biologi-schen Information.

Der amerikanische Wissenschafts-autor Sam Kean hat viele Geschichten rund um das Erbmolekül zusammen-getragen. Dabei beschränkt er sich nicht auf die bekannten Helden der modernen Biologie. Im Vordergrund stehen vielmehr Menschen wie Tsu -tomu Yamaguchi. Der japanische Ingenieur und seine DNA wurden 1945 zweimal, in Hiroshima und Nagasaki, einer extrem hohen radioaktiven Strahlung ausgesetzt. Aber er über-lebte, und seine DNA blieb nahezu unbeschädigt – was die Fachwelt bis heute überrascht. Sam Kean legt keinen Wert auf Vollständigkeit. Das informative und leicht zu lesende Buch lässt sich ohne Vorwissen ge-nießen. Michael Lange

Sam Kean DOPPELHELIX HÄLT BESSER Hoffmann und Campe Hamburg, 2013 447S., € 24,99 ISBN 978–3–455–50260–2

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KOSMISCHE KUNST Surrealistische Landschaf-ten, grazile Nebel, gewaltige Strudel – 100 beeindrucken-de Bilder vom Kosmos, er-stellt mit den modernsten Methoden der Himmelstech-nik. Der Astronom und Jour-nalist Giles Sparrow hat sie mit gut verständlichen Tex-ten versehen. ua

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VERBLÜFFEND HILFREICH Mit viel Humor verrät Holger Dambeck raffinierte Mathe-tricks, die durch den Alltag helfen – zum Beispiel, wie man sich Zahlen gut merken kann oder wie man eine Pizza gerecht aufteilt. ua

Holger Dambeck NULLEN MACHEN EINSEN GROSS KiWi Paperback, Köln 2013 282 S., € 8,99 ISBN 978–3–462–04511–6

HAUSMAUS, DAMHIRSCH UND KIRSCHLORBEER Umzüge und Eroberungen sind im Tier- und Pflanzen-reich nichts Ungewöhnliches. Witzig und facettenreich illus-triert stellt Peter Laufmann die Zuwanderer in Deutsch-land vor. Dieses Buch für Kinder ab 10 Jahren wird auch manchen Erwachsenen verblüffen. Hätten Sie zum Beispiel gedacht, dass die Regenbogenforelle eine Amerikanerin ist? ua

Peter Laufmann WO KOMMST DU DENN HER? Carlsen, Hamburg 2013 71 bebild. S., € 16,90 ISBN 978–3–551–25100–8

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und Bürger stärker angesprochen, wenn die Wissenschaftler auf ihre Fragen zu der zukünftigen gesellschaftlichen Entwick-lung eingehen.

Wie sieht die Besucherzahl in den

Wissenschaftsjahren konkret aus?

Das Jahr der Mathematik 2008 bei-spielsweise verlief über die Erwar-tung gut, was auch daran lag, dass die wissenschaftliche Community um die Hauptfigur Professor Günter Ziegler sehr engagiert dabei war. Auf-grund der vielen dezentralen Aktivitä-ten in den Wissenschaftsjahren kön-nen wir leider keine genauen Zahlen ermitteln. Ich persönlich bin der Mei-nung, dass auch die Jahre mit gerin-gerem Besucherzustrom ein Erfolg waren. Natürlich sind Themen wie Schwarze Löcher oder Erdbeben sexy. Doch auch Wissenschaftler, deren Fragestellungen nicht im ersten Mo-ment Aufmerksamkeit finden, sollten eine breite Öffentlichkeit bekommen.

Wer bestimmt, welchem Gebiet sich

das nächste Jahr der Wissenschaft

widmet?

Das geschieht in Zusammenarbeit zwischen BMBF und Wissenschaft im Dialog, wobei wir zur Ausarbeitung der Themen natürlich auch Wissen-schaftler aus dem Gebiet hinzuzie-hen. 2014 wird es um die digitale Gesellschaft gehen – ein topaktuelles Thema, in dem nicht nur die tech-nische Entwicklung angesprochen

bild der wissenschaft: Wer unter dem Stichwort „Wissen-

schaft im Dialog“ im Internet recherchiert, zählt ein 23 Köpfe

umfassendes Team. Hinter der Initiative steckt ordentlich

Geld. Wie hoch ist Ihr Etat, Herr Weißkopf? Markus Weißkopf: Er liegt bei etwa 2,5 Millionen Euro. Rund eine Million Euro fließt allein in das Projekt MS Wissenschaft, wobei der größte Teil davon für die Miete des Schiffs ausge -geben wird, das wir jährlich für gut sechs Monate im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF chartern, um die Ausstellung zum jeweiligen Wissenschafts-jahr durch Deutschland zu transportieren. Was haben die Finanzmittel bisher bewirkt?

Die Initiative der deutschen Wissenschaft sollte den Bürgerinnen und Bürgern Wissenschaft näher bringen, sie dafür begeistern, dazu beitragen, mehr über Wissenschaft zu diskutieren und junge Menschen dazu animieren, ein naturwissenschaftliches Studium aufzunehmen. Wenn wir heute die Landschaft der Wissenschaftskommunikation betrachten, offenbart sich, dass es sehr viele Aktivitäten gibt und dass die wissenschaftlichen Einrichtungen besser ausgestattete Öffentlichkeitsabteilungen haben als vor einem Jahrzehnt. Es gibt die Langen Nächte der Wissenschaft, Kinderuniversitäten, Science Slams, School Labs oder die MS Wissenschaft. Wir von Wissenschaft im Dia-log haben zu vielen dieser Aktivitäten den Anstoß gegeben. Ein wichtiges Element der Popularisierung von Wissenschaft

sind die Wissenschaftsjahre. Sie begannen 2000 mit dem Jahr

für Physik und werden bis heute fortgeführt. Welche Jahre

überzeugten? Welche erwiesen sich als zäh?

Die wichtigste Änderung gab es 2009, als man sich von den Jahren, die eine wissenschaftliche Disziplin fokussierten, verabschiedete und sich den großen Zukunftsfragen unserer Gesellschaft stellte. Wo vorher Mathematik, Informatik oder Chemie im Mittelpunkt standen, ging es nun um Fragen, wie wir mit dem demografischen Wandel umgehen oder wie wir durch Forschung unser Leben nachhaltig gestalten können. Beides hat Vor- und Nachteile: Wenn man sich auf eine Diszip-lin fokussiert, sind die entsprechenden Wissenschaftler leich-ter zu begeistern. Andererseits fühlen sich die Bürgerinnen

Die 1999 ins Leben gerufene Initiative „Wissenschaft im Dialog“ sollte den

Stellenwert der Wissenschaft in der Gesellschaft aufpolieren. Was inzwischen erreicht wurde, erläutert Geschäftsführer Markus Weißkopf.

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Das Gespräch führte Wolfgang Hess

„Das Bauchgefühl ernst nehmen“

WISSENSCHAFT IM DIALOG

Markus Weißkopf (ganz rechts) beim Start der MS Wissenschaft zur Tour „Alle Generationen in einem Boot“.

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wird, sondern auch Fragen beantwortet werden sollen wie „Was passiert mit unserer Privatsphäre?“. Öffentliche Events gibt es zuhauf. Gehen die Events der

Wissenschaft im prallen Terminkalender nicht unter?

Man muss da zwischen den verschiedenen Formaten unter-scheiden. Eine „Lange Nacht“ und ein „Tag der offenen Tür“ setzen darauf, viele Menschen zu mobilisieren, auf Wissen-schaft Appetit zu machen, zu zeigen, was Wissenschaft kann. Wenn die Besucher dann zwei, drei Botschaften mit nach Hause nehmen, ist das okay. Die Breite zu erreichen ist bis heute eine Herausforderung. Für viele Wissenschaftler ist es noch immer ein Problem zu popularisieren. Sie fürchten, zu platt zu werden und damit an Seriosität einzubüßen. Neben Groß-veranstaltungen brauchen wir auch kleine Formate, um mit den Bürgern direkt in Dialog zu treten – etwa bei schwierigen oder kritischen Themen wie Synthetische Biologie, Geo-Engi-neering, Fracking. Sie firmieren bei uns unter Titeln wie „Wis-senschaft kontrovers“ oder „Wissenschaftliches Nachtcafé“.

Wie viele Menschen erreichen die Formate von Wissenschaft

im Dialog typischerweise?

Insgesamt kommen wir auf gut 100 Einzelaktivitäten übers Jahr. Durch die MS Wissenschaft erreichen wir etwa 100 000 Leute im Jahr, verteilt auf etwa 130 Tage. Mit der Science Sta -tion, die Wissenschaft in Bahnhöfe bringt, 50 000. Zur Diskus-sion „Geistig fit im Alter“ kamen in Braunschweig immerhin 250 Menschen an einem Abend, was ich sehr gut finde. Dane-ben erweitern wir unsere Formate ständig, um neue Zielgrup-pen zu gewinnen. Beispielsweise haben wir 2013 mit unserer Plattform „Science Starter“ begonnen, Forscher vorzustellen, die durch einen pfiffigen Web-Auftritt dafür werben, ihr For-schungsprojekt zu finanzieren. Und wir haben das neue Pro-jekt „Jugend präsentiert“, in dem Jugendliche an vielen Schu-len animiert werden, Naturwissenschaften zu präsentieren.

Wie steht es um den Stellenwert der Naturwissenschaften in

der Gesellschaft: Studieren inzwischen mehr junge Menschen

diese Fächer? Und schließen sie das Studium auch ab? I. H

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Hand aufs Herz: Ist es nicht auch Ziel dieser Aktivitäten,

Einfluss zu nehmen auf die öffentliche Debatte und um

Vertrauen in moderne Technologien zu werben?

Ob wir eines Tages so weit kommen werden, dass eine wichtige technologische Entscheidung – etwa über das umstrittene Fracking – per Bürgerdialog getroffen wird, glaube ich nicht. Ich denke, die Einflussnahme der Wissenschaft in diesem Bereich wird sich darauf beschränken, Bürgerinnen und Bür-ger früher über neue Entwicklungen zu informieren, sie ein-zubinden und mit ihnen über Lösungswege zu diskutieren. Und das muss anders erfolgen als vielfach üblich: Wissen-schaftler argumentieren streng rational und sind an Sachfra-gen interessiert. Bürger argumentieren dagegen oft aus einem Bauchgefühl heraus. Auf diese Ebene müssen sich Wissen-

schaftler künftig verstärkt einlassen, die Argumente ernst nehmen und sich zeitintensiv damit beschäfti-gen. Im Rahmen eines solchen Prozesses werden sich die Fronten aufweichen.

Haben Sie Beispiele?

Ich kann mich sehr gut an eine Dialogveranstaltung zum Thema Hochspannungstrassen erinnern. Da ge-lang es trotz unterschiedlicher Ansichten durch das persönliche Gespräch Vertrauen zwischen den Betei-ligten herzustellen. Dann konnte man auch wieder in Ruhe zur Sache sprechen. Die Wissenschaftler kamen am Ende zu mir und sagten: „Wir müssen den Dialog

unbedingt fortführen!“ Ich denke, Wissenschaftler können aus diesem Dialog viel Positives für sich und ihre Forschung ziehen. Es geht nicht darum, Kritik zu verhindern, sondern das vorrangige Ziel ist umgekehrt, Vertrauen und Unterstützung zu gewinnen.

Welchen privaten Nutzen zieht Markus Weißkopf aus

den Aktivitäten von Wissenschaft im Dialog? Ich erlebe tolle Diskussionsrunden und Veranstaltungen über spannende Themen, die mich auch privat berei-chern. Und: In meinem Berufsumfeld, der Wissenschafts-kommunikation, gibt es sehr viele interessante und angenehme Menschen, die ich sonst wahrscheinlich nie kennengelernt hätte. ■

Beides ist besser geworden. Nicht direkt nachweisbar ist allerdings, ob dieses Resultat auf die Aktivität von Wissen-schaft im Dialog zurückgeht. Und es ist auch sehr schwierig, ein Wissenschaftsjahr zu evaluieren – also der Frage nach-zugehen, was ein spezifisches Themenjahr in der Öffentlich-keit bewirkt hat. Aber die Politik nimmt uns ernster und gibt der Wissenschaft einen höheren Stellenwert als in den 1990er-Jahren. Auch der Schulterschluss von Wissenschaft und Kom-munen ist enger und die Kooperation mit der Industrie ein-facher geworden. Daraus folgt allerdings: Dass die Wissen-schaft heute in unserer Gesellschaft eine stärkere Rolle spielt, lässt auch unsere Verantwortung steigen. Das uns entgegen-gebrachte Vertrauen, unsere Glaubwürdigkeit, dürfen wir auf keinen Fall aufs Spiel setzen.

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Markus Weißkopf studierte in Konstanz und Madrid und legte sein Diplom 2005 in Verwaltungswissenschaften ab. Anschließend arbeitete er bei einem regionalen Beratungsunterneh-men, das unter anderem eine Kommune bei der Bewer-bung um die „Stadt der Wissenschaft“ beriet. Von 2007 bis 2011 war er Geschäftsführer vom Haus der Wissenschaft in Braunschweig, einer GmbH, an der Stadt und Universität beteiligt sind. Seit Januar 2012 ist Weißkopf (*1977) Geschäftsführer der Initiative Wissenschaft im Dialog mit Sitz in Berlin.

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WELT-

NEUHEIT

Von blauen Murmeln und betenden Mönchen!Sternzeit 2014: Blue Marble nennt die NASA ihre Fotoserie der Erde aus dem All. Besonders schön ist die neue Aufnahme der Erde bei Nacht. Sie hat uns so gut gefallen, dass wir sie zum Titelbild für unseren neuen „bild der wissenschaft Kalender“ gewählt haben. Aber auch die neuen Deep-Space-Aufnahmen werden Sie begeistern. Neben jungen Sternen können Sie z.B. in den imposanten Staubwolken des Adler-Nebels mit etwas Fantasie einen betenden Mönch entdecken. Der Blick der Rie-senteleskope wird immer schärfer und klarer. Sie liefern uns die schönsten „Bilder der Wissenschaft“: 12 neue Kalender-blätter im Panoramaformat 70 x 50 cm. Brillanter Druck mit Platineffekt – dazu ein 13. Blatt mit allen Monatsmotiven als Postkarte zum Heraustrennen. Die glasklaren Texte hat unser Astronomie-Redakteur Rüdiger Vaas geschrieben. Damit Sie noch besser verstehen, was Sie sehen, liefert er Ihnen zu je-dem Bild ab sofort noch mehr fundiertes Wissen. Der Kalender wird nach höchsten Umweltstandards produziert. Ungetrübte Freude bei Ihrer Sternenreise durch das Jahr!Sternzeit premium 2014. Wandkalender.Exklusiv-Version für „bild der wissenschaft“. 70 x 50 cm. Spiralbin-dung.

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Geschenke mit IQ

Geschicklichkeit in der 3. Dimension! 125 kniffl ige Schritte zum Ziel! „Dieses Spiel macht süchtig. Ich könnte stundenlang spielen, auch wenn ich es immer nur bis zu Station 28 schaf-fe!“ Selten war ein Spiel bei den Kunden in den USA ein solcher Renner. Soeben wurde es als „Toy of the Year 2013“ ausgezeichnet – dieser Preis gilt weltweit als der „Oscar“ der Spielwarenindustrie! Jetzt bringen wir das 3D-Kugellabyrinth nach Deutschland – und es ist wirklich extrem schwie-rig. Es sieht mit seinen verwirrenden Formen aus wie eine Skulptur von M.E. Escher. Schicken Sie die kleine Spielkugel auf eine Reise durch dieses Formengewirr. Durch vorsichtiges Drehen und Wenden des Spieles müssen Sie die Kugel auf dem nummerierten Weg ins Ziel manövrieren. Dabei gilt es 125 Stationen zu meistern: über Wippen, Seilbahnen, Buckelpisten, Fall-türen oder Rohrrutschen – eine Achterbahnfahrt in allen Dimensionen. Sie brauchen Geduld, Konzentration und Fingerspitzengefühl. Eine Herausfor-derung für Jung und Alt, die man nicht mehr weglegen kann. Denn wenn die Kugel wieder einmal abgestürzt ist, gibt es nur einen Gedanken – noch-mal! Das Kugellabyrinth hat für uns das Potential ein Klassiker wie der Zau-berwürfel zu werden. Meistern Sie die 3. Dimension der Geschicklichkeit!3D-Kugellabyrinth extrem. Von 6-99 Jahren. Höhe 22 cm. 125 Stationen.

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US-

SPIEL DES

JAHRES

2013

Das Periodensystem – die Jagd nach den Elementen!Eine aufwendig produzierte Filmreise zu den Bausteinen des Lebens! Das Periodensystem umfasst 118 einzigartige Elemente. Nur 90 da-von kommen in der Natur selbst vor, der Rest wurde künstlich erzeugt. Aus dieser kleinen Palette setzt sich seit dem Urknall das ge-samte Universum mit all seinen Bestandteilen zusammen: Vom luftigen Gas über den harten Fels bis zum schlagenden Herzen und dem elektrisch-chemischen Gehirn. Wo diese Bau-steine allen Seins herkommen, wie sie zusam-

mengesetzt sind, welche Eigenschaften sie haben und was das für unser heutiges Leben bedeutet, zeigt die DVD-Dokumentation in atemberau-benden Bildern. Der russische Wissenschaftler Dmitri Mendeleev hat den Code der Elemente schon im 19. Jh. geknackt und damit den Grundstein der Chemie gelegt. Er war ein fantastischer Schachspieler. Kein Wunder, dass sein Periodensystem einem Schachfeld gleicht. Ein genialer Zug und Triumph der theoretischen Wissenschaft. Der Russe vermochte Elemente vorherzusagen, die erst Jahrzehnte später entdeckt wurden… Das Periodensystem – Die Jagd nach den Elementen!2013. Video-DVD. Spieldauer 113 min. Sprache Deutsch. Menü-Zugriff auf 10 Themen.

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Allergie-Schutz und High-Tech rundum!Ein echter Dyson mit neuer Ball™ Technologie - jetzt zum Spitzenpreis! Kei-ne Filterbeutel, klares Design und eine faszinierende Technik. Für den Dy-son DC37 wurden ein neuer Motor, das Kabel und der HEPA-Filter komplett in den Ball aus Schall dämmendem Material integriert. Der Ball ermöglicht Ihnen eine Drehung des Gerätes auf dem Punkt. Der niedrige Schwerpunkt sorgt für maximale Stabilität und kinderleichte Lenkbarkeit. Schluss mit kippenden Staubsaugern! Wichtig für Allergiker: die patentierte Radial Root Cyclone Technologie™ fi ltert mit kleinen Wirbelstürmen und immen-ser Fliehkraft feinste Staubpartikel aus der Luft. Ein nachgelagerter HEPA-Filter (hält ein ganzes Produktleben) vernichtet Bakterien und Sporen und sorgt für geruchlose und reine Ausblasluft. Als einziger Staubsauger welt-weit wurde der Dyson vom Schweizer Zentrum für Allergie ausgezeichnet. Weitere Vorteile: immer konstante Saugkraft. Keine Folgekosten. Kein Fil-terkauf. Die fl ache Bodendüse passt sich automatisch an alle Bodenbeläge an (ob Teppich, Parkett oder Fliesen). Zubehör: Flexible Parkettdüse, Polster- und Kombidüse. Extrem robuste Materialien – 5 Jahre Vollgarantie mit ko-stenlosem Abhol- und Lieferservice!Dyson Bodenstaubsauger. DC37 Allergy Musclehead Parquet. Best.Nr. 802 705 Sparpreis nur solange Vorrat reicht € 389,– statt UVP € 489,–

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Nussknacker-Suite: Federleicht und hammerhart!Findige Tüftler haben viele Ideen entwickelt, um harte Nüsse einfach zu knacken. Der Designer Markus Röhling aus einer kleinen Produktschmiede in Bayern hatte jetzt eine besonders schöne Idee: Sein Nussknacker öffnet Nüsse mit Hilfe einer Kegelfeder, in deren Inneren ein kleiner Schlagbolzen befestigt ist. Die Anwendung ist ein Kinderspiel: Die Nuss (egal welcher Art) in die zugehörige Edelstahlschale legen, die Feder darüber stellen und mit Daumen und Zeigefi nger außen fi xieren, den Silikonknopf nach oben ziehen, die Feder spannt sich, loslassen und knack! Eine saubere Sache: beim Aufschlag schließt sich die Spiralfeder um die Nuss und verhindert so, dass Schalenstücke und Splitter unkontrolliert umherfl iegen wie bei herkömmlichen Nussknackern. Der Federnussknacker wiegt nur 140g und verbindet spielerische Eleganz mit schlagfertiger Treffsicherheit. Die Idee wurde jetzt mit dem begehrten RedDot Design Award 2013 ausgezeichnet!Nussknacker Feder.Edelstahl, Silikon. Ø 65 mm, H 100 mm, Gewicht 140 g

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NEUHEIT

Das Original Sturmglas!Schon die alten Seebären wussten, bei Kri-stall-Wachstum droht Sturm! Auch Charles Darwin vertraute auf seiner Weltumsegelung dem Sturmglas. Das in dänischer Manufaktur hergestellte Glas ist noch heute ein zuverläs-siges Instrument für die Wettervorhersage. Und sicher auch das geheimnisvollste. Es be-steht aus einer hermetisch abgeschlossenen Glasröhre mit einer gesättigten, farblosen Kupfersulfat- oder Campher-Alkohol-Lösung. In dieser Lösung wachsen bei Wetteränderung Kristalle. Anhand der Größe und der Form kön-nen Sie das Wetter bestimmen. Bis heute gibt

es keine genaue Erklärung dafür. Der Wissenschaftler Hans Baumer konn-te Temperatur und Druck als wesentliche Einfl ussfaktoren ausschließen: Er zeigte, dass die Größe der Kristalle mit dem Auftreten elektromagnetischer Längstwellen, die in Tiefdruckgebieten entstehen, zusammenhängen. Schö-ner können Sie in Ihrem Wohnzimmer nicht zeigen, wie das Wetter wird!

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Page 88: Bild Der Wissenschaft - Januar 01, 2014

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Stolzer Vater: Raumfahrtingenieur Hendrik Weihs hatte zusammen mit einem Kollegen die Idee, Raumfahrzeuge für die Rückkehr zur Erde mit einer scharfkantigen Nase auszustatten. So können sie der enormen Hitze beim Eintritt in die Atmosphäre trotzen – bei deutlich gerin-geren Kosten, als bisher übliche Technologien erfordern.

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Mit Ecken und Kanten

Der Stuttgarter Hendrik Weihs ist Deutschlands Mann für den Wiedereintritt. Er koordiniert fünf Institute des DLR für das Ziel, die Rückkehrtechnik für Raumfahrzeuge neu zu erfinden.

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korrekt aufgegangen war und das Pro-jektil mitsamt einem Schwimmkörper behutsam irgendwo auf dem offenen Meer abgesetzt hatte. Doch der Seegang war rau, eine Bergung trotz Peilsender nicht möglich. Heute ruht Shefex II ir-gendwo auf dem Meeresgrund vor Spitzbergen. Die Suche danach wäre zu aufwendig, die Bergung zu teuer.

FEIERLAUNE NACH DEM VERLUST Am liebsten hätte Weihs die Shefex-II-Kapsel bei sich im Stuttgarter DLR-Insti-tut für Bauweisen- und Konstruktions-forschung in eine Vitrine gestellt – nach-dem er die letzten drei Sekunden aus dem Speicher geholt hätte. „Es wäre toll gewesen, einen Blick auf die Spitze zu werfen“, sagt der Ingenieur. Dort wird es während des Flugs bis zu 2000 Grad Celsius heiß. Die Spitze, Nase oder Vor-derkante eines Raumflugzeugs ist die kritische Zone beim Wiedereintritt in die Atmosphäre. „Den überwiegenden Teil der Daten haben wir“, meint Weihs. Die Wissenschaftler haben damit Futter für

den Flugkörper auf 100 Kilometer Höhe. Dann senkte sich die Spitze ein wenig in die Horizontale. Es folgte die Zündung der zweiten Stufe. Der Testflugkörper Shefex II wurde mit Mach 10, das heißt der 10-fachen Schallgeschwindigkeit, in die Erdatmosphäre geschossen. Die kri-tischste Flugphase, der Wiedereintritt in die Atmosphäre, hatte begonnen. 50 Sekunden, in denen 300 Sensoren in der Keramikhaut von Shefex II Druck, Tem-peratur und Wärmefluss aufzeichnen und die Daten an die norwegische Ra-darstation bei Andøya funken sollten. Doch als der Flugkörper hoch über dem Meer hinter dem Horizont verschwand und eine Station auf Spitzbergen auf die Kontaktübernahme wartete, riss der Datenstrom plötzlich ab.

„Da hat uns die Software einen Strich durch die Rechnung gemacht“, erklärte Weihs später nach der Fehlerauswer-tung. Die Programmroutine war zuvor Dutzende Male getestet worden, versag-te aber im entscheidenden Moment. Weihs vermutet, dass der Fallschirm

JAHRELANG hatten sich der Stuttgarter Raumfahrtingenieur und sein Team aus fünf Instituten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf den Start vorbereitet. Am 22. Juni 2012 war es endlich soweit: Um 21.18 Uhr hob die Rakete im norwegischen Andøya zu ihrem 250 Kilometer hohen und 900 Kilometer weiten Flug Richtung Norden ab. Zwei Wochen lang hatten die gut drei Dutzend Forscherinnen und For-scher um Hendrik Weihs alles penibel durchgespielt.

Alles klappte zuerst wie am Schnür-chen. Die erste Raketenstufe schraubte

von Martin Schäfer

Imposanter Start: Am 22. Juni 2012 hob Shefex II, die zweite Generation der neuen Kapselspitze, im nördlichen Norwegen auf einer Rakete zum Testflug ab. Der Flugkörper erreichte 250 Kilometer Höhe.

Kompakt

· Die Raumkapsel-Spitze wird beim Eintritt in die Atmo sphäre sehr heiß.

· Beim Space Shuttle fingen teure Schutzkacheln die Gluthitze ab.

· Die neue Technologie ist einfacher und billiger.

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Jahre. Und so knallten trotz des verlust-reichen Endes die Sektkorken unter der Mitternachtssonne von Andøya.

Der Wiedereintritt in die Lufthülle ist die große Herausforderung für die Raumfahrt – ob bemannt oder unbe-mannt. Denn die ganze Energie, die der Rakete beim Start mitgegeben wird, steckt dann in Lage- und Bewegungs-energie des Projektils, Satelliten oder Raumfahrzeugs. Holt man den Flugkör-per zurück, muss die Energie abgeführt – die Sonde also abgebremst – werden.

SCHUTZ VORM VERGLÜHEN Dafür gibt es zwei Methoden. Einmal lässt sich die Kapsel durch Raketen-antrieb auf Gegenschub verlangsamen. Doch der dazu nötige Treibstoff und das Material müssten schon beim Start mitgeführt werden. Das scheidet aus wirtschaftlichen Gründen aus. Die Methode der Wahl ist daher, den Luftwiderstand der Atmosphäre zum Bremsen zu nutzen. Doch das ist alles andere als einfach. Denn wegen der großen Wiedereintritts -

ge schwin digkeit entwickeln sich an der Vorderseite des Flugkörpers durch die Luftreibung extrem hohe Temperaturen. Das ist der Grund, weshalb ein Meteorit beim Eintritt in die Erdatmosphäre ver-glüht. Einem Raumfahrzeug soll das nicht passieren. Bei Flugkör-pern, die zur Erde zurückkehren, danach aber nicht wiederverwen-det werden, opfern Ingenieure daher die Außenhaut aus Kork oder Kunststoff, die sie abbren-nen oder verglimmen lassen.

Bei wiederverwendbaren Raum-fahrzeugen – Paradebeispiel ist das inzwischen ausrangierte Space Shuttle – wirken Zehntau-sende Keramikkacheln auf dem geschwungenen Rumpf als Hitze-schutz. „Doch das ist aufwendig und teuer. Jede Kachel hat eine spezielle gekrümmte Form. Kei-ne gleicht der anderen“, erklärt Weihs. Über einem Glas Bier hat der Ingenieur mit Kollegen vor etwas über zehn Jahren eine Alternative ersonnen. „Warum muss man so komplex ge-krümmte Platten bauen?“, fragte Weihs den DLR-Kollegen und Aerodynamiker José Longo. „Würden nicht flache Keramik-kacheln reichen?“ Das müsste gehen, waren sich die beiden Forscher einig. Sie kamen auf die Idee, ein wiedereinsetzbares fa-

cettiertes Raumfahrzeug zu realisieren. „Ganz neu war die Idee einer Struktur mit Ecken und Kanten nicht – aber noch keiner hatte sich daran getraut“, sagt Hendrik Weihs.

An Shefex beteiligen sich Forscher aus den DLR-Instituten für Bauweisen- und Konstruktionsforschung, Aero -dynamik und Strömungstechnik, Raum-fahrtsysteme, Flugsystemtechnik sowie Werkstoff-Forschung, den Einrichtungen Raumflugbetrieb und Astronautentrai-ning sowie Simulation und Software-technik, dem Systemhaus Technik und der Mobilen Raketenbasis Moraba.

Shefex in vier Stufen Mission S I S II S III Rex Free Flyer Jahr des Flugs 2005 2012 2016 ca. 2022 Flughöhe (Kilometer) 200 250 180 300–400 Flugweite (Kilometer) 200 900 4000 niedriger Erdorbit Flugdauer (Minuten) 6 8 27 Stunden bis Tage Wiedereintrittsdauer (Sekunden) 20 50 15 30 Geschwindigkeit (Kilometer pro Sekunde) 1,6 2,8 6,5 7,8 Machzahl 6 10 20 27 Temperaturspitze (Grad Celsius) 700 1600–2000 2500 2500

RAUMFAHRT

Teamwork für den Weltraum

Flugexperiment in Miniatur: Hendrik Weihs zeigt ein Modell von Shefex II

auf der Trägerrakete. Das Original stürzte nach dem Testflug ins Meer.

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Doch der Anfang des neuen DLR-Projekts „Shefex“ war erst einmal enttäuschend. In den 1990er-Jahren hatten die For-scher gemeinsam mit der US-Weltraumbehörde NASA unter dem Codenamen „X-38“ einen Raumgleiter entwickelt. X-38 sollte aussehen wie ein Mini-Space Shuttle. Es war als Ret-tungsschiff für die Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation ISS geplant. Doch Anfang 2002 fiel es dem Rotstift zum Opfer. Den Thermalschutz für die Raumgleiter-Nase hatte das DLR da bereits entwickelt. „Wir hatten im Prinzip alles fer-tig“, sagt Weihs.

FLIEGEN WIE BATMAN Im Zentrum seines neuen Projekts ste-hen Raumflugkörper mit Ecken und Kanten. Daher rührt auch der Projekt-name „Shefex“, ein Akronym für „Sharp Edge Flight Experiment“. Das Projekt soll bis 2020 alle wichtigen Material- und Konstruktionsfragen für scharfkan-tige Wiedereintrittsfahrzeuge klären – und in den Bau eines eigenen Raum-gleiters münden. Dieser sogenannte Rex Free Flyer könnte dann Stunden bis Tage in einem tief liegenden Erdorbit um den Globus kreisen, dort wissenschaftliche Experimente in der Schwerelosigkeit ausführen und danach zur Erde zurück-kehren. „Der Rex Free Flyer ist eine Mi-schung aus Raumkapsel und Batmobil“, sagt Weihs. Mit dem Batmobil, dem futuristischen Fahrzeug aus der Comic-

RAUMFAHRT

serie „Batman“, hat Rex Free Flyer die Form gemeinsam: facettenartig mit Ka-cheln überzogen, vorn mit scharfkanti-ger Nase, ohne Flügel, aber mit Klappen am Heck zum Steuern.

Mit dem Shefex-Projekt verbindet Weihs zwei Ziele. Da ist einerseits die Eroberung des erdnahen Orbits für Wie-dereintrittsfahrzeuge. „Vielleicht wird das dereinst so selbstverständlich sein, wie es heute Transatlantikflüge sind.“ Ande-rerseits ist da die Vision, die Tür für die Raumfahrt noch weiter aufzustoßen. „Wir erarbeiten die Grundlagen für eine Art Baukasten zukünftiger Raumfahrt-missionen“, erklärt Weihs.

Auf dem Boden irdischer Tatsachen geht es indes nur mit gemächlichen Schritten voran. Den überwiegenden

Teil seiner Arbeit erledigt Weihs am Schreibtisch. Der ist von Papieren über-sät: Finanzierung, Ergebnisse, Doku-mentation. Wenn der Ingenieur kurz aufschaut, ruht sein Blick auf der Welt-karte hinter dem Monitor.

ENDSTATION AM ZOLL Mit Fingerzeig auf die Karte gibt Hen-drik Weihs den Überblick: In Australien hätte das Team gern Shefex II fliegen las-sen. Die australischen Forscher koope-rieren eng mit dem DLR. Doch das Vor-haben scheiterte an der Bürokratie. Der Grund: Der von einem Zulieferunter-nehmen gebaute Raketenmotor enthielt geringe Mengen Asbest, das nicht nach Australien importiert werden darf. „Wir haben Dokument um Dokument vorge -

Hendrik Weihs Als Kind hatte er die erste Mondlandung von Apollo 11 live auf dem Bildschirm verfolgt: „Mit meinen Eltern saß ich früh morgens vor dem Fernseher.“ Der Junge war fasziniert. Doch an den Modellbaukasten für Orbiter und Mondfähre seines älteren Bruders durfte er nicht heran. Das war bitter. Später fand Hendrik Weihs sein Glück in den Werkstätten der Stutt-garter Merz-Schule. Dort konnte er drucken, töpfern, Holz be-arbeiten. Nach einer halben Schreinerlehre – mit dem Berufs-wunsch Möbelrestaurator, nach dem Vorbild des Vaters, eines Gemälderestaurators im Landesmuseum Württemberg – ent-schied sich Weihs nach dem Abitur in Kunst und Physik für die Universität. Er studierte zwei Semester Elektrotechnik in

Karlsruhe und entdeckte sein Faible für den Weltraum neu. Das Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Univer-sität Stuttgart führte ihn zu den benachbarten Instituten des DLR. „Dort war ich zunächst als Hilfswissenschaftler ange-stellt und bin dann irgendwie hängen geblieben“, sagt der heutige Raumfahrtexperte. Der Hilfswissenschaftler mauser-te sich zum Chefforscher. Heute ist Hendrik Weihs 50 Jahre alt, ein ruhiger, zielstrebiger Ingenieur, so etwas wie Deutschlands Mann für den Wiedereintritt. Unter seiner Federführung bün-delte das DLR das Know-how von fünf Instituten aus verschie-denen Bereichen für ein eigenes Wiedereintrittsforschungs-projekt. Weihs: „Wir wollen Raumfahrt bezahlbar machen.“

In Göttingen prüfen DLR-Wissenschaftler im Wind-In Göttingen prüfen DLR-Wissenschaftler im Wind-kanal, wie ein Modell des Raumfahrzeugs von den kanal, wie ein Modell des Raumfahrzeugs von den Gasen der oberen Atmosphäre umflossen wird. In Gasen der oberen Atmosphäre umflossen wird. In dder Anlage lassen sich Windgeschwindigkeiten biser Anlage lassen sich Windgeschwindigkeiten bis zur zehnfachen Schallgeschwindigkeit erzeugen. zur zehnfachen Schallgeschwindigkeit erzeugen.

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legt, bis klar wurde, dass wir die Rake-tenmotoren nicht einführen durften“, erklärt er. Weihs hat das Scheitern in einer Karikatur festgehalten: Eine Zug-maschine mit Raketenanhänger bleibt in einem Berg von Antragsdokumenten am australischen Zoll stecken. Also flog Shefex II von Norwegen nach Spitzber-gen. Weihs deutet auf Brasilien: Den nächsten Flugkörper, Shefex III, wird sein Team in Südamerika testen, ver-mutlich 2016. Die ersten Workshops zur Auslegung von Shefex III laufen schon. Zu Details schweigt der Projektleiter. „Das bleibt zunächst im kleinen Kreis.“

Mit den experimentellen Raumglei-tern Shefex I, II und III steigern sich die Forscher immer weiter beim wissen-schaftlichen Anspruch – und auch bei den Kosten. Shefex I, 2005 geflogen und leider auch im Meer verschwunden, schraubte sich bis 200 Kilometer hoch und donnerte mit Mach 6 als ungesteu-ertes Projektil in die Atmosphäre. Die Kosten lagen bei fünf Millionen Euro. „Wichtig an Shefex I war, dass sich unser Team zusammengefunden hat“, sagt Weihs. Shefex II indes konnte durch Ca-nards – bewegliche Steuerflossen am Vorderteil des Flugkörpers – gesteuert werden. Die Rückkehrgeschwindigkeit betrug 2,8 Kilometer pro Sekunde (Mach 10), die Kacheln hielten eine Temperatur

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von 1600 bis 2000 Grad Celsius in der Spitze aus. Mit 50 Sekunden dauerte der Wiedereintritt deutlich länger als beim Vorgänger, der 20 Sekunden benötigte.

FLEXIBLER ALS DAS SPACE SHUTTLE Die beiden wichtigsten Experimente waren die Flug- und Lagesteuerung durch die Canards sowie eine spezielle aktive Kühlung. „Die Flugsteuerung hat gut funktioniert”, sagt Thino Eggers vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Braunschweig nach einer ersten Auswertung der Flugdaten. Eggers legt die Raumgleiter aerodyna-misch aus. Im Flug konnten die Inge-nieure Shefex II um 110 Grad auf den Rücken und wieder zurück drehen. Sie erhoffen sich durch das Steuern mit Gasdüsen in den luftleeren oberen Atmo-sphärenschichten und mit Steuer rudern im dichten unteren Teil der Atmosphäre eine größere Flexibilität bei Wiederein-tritt und Landemanöver. Der Zielkorri-dor könnte ein ganzer Kontinent sein. „Damit wären wir sogar flexibler als das Space Shuttle – und das ohne Extra -flügel“, sagt Weihs.

Erfolgreich war auch die sogenannte Effusionskühlung einer Experimental-kachel am Raumgleiter. In einer solchen Kachel lassen die Forscher Stickstoff nach außen strömen. Das Gas nimmt die

Wärme der Kachel mit und bildet einen kühlenden Film auf der Außenhaut. Shefex III soll diese Kühlung erstmals in der Nasenkante tragen, da sich bei grö-ßeren Eintrittsgeschwindigkeiten von 5,5 Kilometern pro Sekunde vor allem die Ecken und Kanten stark aufheizen. Der Vorteil der Ecken und Kanten liegt in der besseren Manövrierfähigkeit und dem geringeren Luftwiderstand des Flugkör-pers. Allerdings steigen die Temperatu-ren an der Stoßkante überproportional an: Je kleiner der Kantenradius, desto stärker die Aufheizung. Dieses Problem konnten die Wissenschaftler mithilfe der innovativen Gaskühlung meistern.

Um im vorgesehenen Kostenrahmen von 24 Millionen Euro zu bleiben, machten die Forscher Abstriche bei der Manövrierfähigkeit. Shefex III wird nur über Klappen und ein verschiebbares Gewicht im Rumpf gesteuert. Für die Flugsteuerung steigt mit Astrium erst-mals ein Industrieunternehmen in das Projekt ein. „Wir erarbeiten die tech-nische Basis und liefern ein Konzept für ein Wiedereintrittsfahrzeug”, sagt Hen-drik Weihs. Die Umsetzung in einen Prototypen oder ein vermarktbares Pro-dukt ist dann Sache der Industrie. Das DLR-Projekt wird sich daher weiteren Partnern öffnen. Raumfahrtingenieur Weihs will das Wiedereintrittsprojekt des DLR bis hin zum Rex Free Flyer und bis 2020 zu einem guten Ende führen. ■

MARTIN SCHÄFER freut sich über Ingenieure, die mit ihren Ideen abheben, aber trotzdem auf dem Boden der Tatsachen bleiben.

Galerie eines Erfolgsprojekts: In diesem Regal am Institut präsentiert Hendrik Weihs diverse Modelle und Bauteile aus dem bisherigen Shefex-Programm.

INTERNET

Infos zu Shefex vom DLR: www.dlr.de/dlr/desktopdefault.aspx/ tabid-10548/year-all

DLR-Institut für Bauweisen- und Konstruk -tionsforschung in Stuttgart: www.dlr.de/bk

Fakten zum eingestellten Projekt X-38 für ein Rückkehrvehikel aus dem All (NASA): www.nasa.gov/centers/dryden/news/FactSheets/FS-038-DFRC.html

Grundlagen der Raumfahrt (von der NASA): www2.jpl.nasa.gov/basics/index.php

Mehr zum Thema

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Keks mit geheimer Botschaft: Wer den QR-Code mit seinem Smartphone

einscannt, erhält einen persön -lichen Gruß auf dem Display

oder wird zu einer be-stimmten Internet-

Seite geleitet. Eine originelle

Geschenkidee.

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GLÜCKSKEKSE mit aufgedrucktem Quell-code, die nach dem Einscannen auf dem Smartphone des Beschenkten einen zu-fällig ausgewählten Spruch zeigen – es gibt sie tatsächlich. Die mittelständische Firma Juchem im saarländischen Eppel-born hat sie zusammen mit dem Infor-matiker Johannes Schöning entwickelt.

Und nicht nur das: Eine Gruppe ja -panischer Forscher hat einen „Meta-Cookie“ erfunden, eine Art Chamäleon-Keks, der seinen Geschmack an die Be-dürfnisse des Nutzers anpasst. Dafür zieht man eine große Maske über Augen und Nase und mustert den Meta-Cookie – einen neutralen Keks mit aufgedruck-tem, computerlesbarem Code. Ein Dis-play vor den Augen zeigt eine Auswahl an Keks-Geschmacksrichtungen: Scho-kolade, Walnuss, Erdbeer oder Vanille.

Durch Kopfnicken oder -schütteln kann der Proband eine Richtung aus-wählen, beispielsweise Schokolade. Der Keks im Display überlagert den realen Keks optisch und nimmt jeweils die passende Farbe und Form an. Führt der Proband ihn zum Mund, um hinein-zubeißen, bläst die Maske das passende Aroma in seine Nase: Das täuscht die Sinne so erfolgreich, dass der Nutzer das Gefühl hat, tatsächlich an einem Schokoladenkeks zu knabbern.

Zugegeben: Keine verlockende Vor-stellung, den Feierabend mit einer riesi-gen Maske im Gesicht zu verbringen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich immer so täuschen lassen will“, sagt der

Forscher Johannes Schöning, „manch-mal will man einfach echte Schokolade genießen.“ Ebenso wie seine japani -schen Kollegen gehört der Professor für Informatik an der belgischen Univer-sität Hasselt der noch jungen For-schungsrichtung des „Digital Food“ an, der digitalen Lebensmittel.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die digitale Technik immer mehr unseren Alltag durchdringen wird und auch vor dem Genuss nicht Halt macht. „Deshalb ist es wichtig, dass wir uns überlegen, was wir wollen und was nicht“, sagt Schöning. Denn schon heu-te ist die Technik auf dem Esstisch all-gegenwärtig – sei es das Smartphone, in dem wir kurz Informationen fürs Ge-spräch googeln, oder der Tablet-Compu-ter, auf dem wir uns nebenbei über die Nachrichtenlage informieren. Die For-scher stellen sich die Frage, wie die Technik den Genuss bei Tisch verstär-ken oder zu einem gesünderen Essver-halten beitragen kann – statt vom Essen abzulenken.

TRICKREICHE TÄUSCHUNG AM TISCH Der Meta-Cookie ist eine gelungene Täu-schung, sagt Schöning. „Man hat wirk-lich das Gefühl, einen Schokoladenkeks zu essen.“ Und der Cookie ist ein gefun-denes Fressen für Science-Fiction-Fans: Welcher Raumschiff-Enterprise-Fan hat nicht schon davon geträumt, einen Es-sensreplikator in seiner Küche zu haben – einen Automat, der beliebige Speisen

Cookies mit Code

von Eva Wolfangel

ERNÄHRUNG

nach Wunsch kreiert. Beim Bordcompu-ter könnte man dann spontan einen le-ckeren Braten bestellen, wenn einem gerade danach ist.

Von einem „echten“ Replikator ist die Forschung allerdings noch weit entfernt – auch wenn er für die Raumfahrt der Zukunft durchaus nützlich wäre: Auf einer mehrjährigen bemannten Mars-mission wird es schwierig sein, alle Nahrungsmittel im Raumschiff mit-zuführen. Lieferungen von der Erde, wie sie heute die Besatzung der Interna-tionalen Raumstation ISS erhält, wären wegen der gewaltigen Entfernung eben-falls unmöglich.

SCHOKOLADE AUS DEM DRUCKER Kürzlich präsentierte die NASA daher die Idee, dass Astronauten ihr Essen künftig selbst mittels eines 3D-Druckers ausdrucken sollen. Immerhin gibt es erste Ansätze, essbare Objekte mit einem Drucker zu produzieren. So haben Wis-senschaftler des Massachusetts Instituts of Technology (MIT) ein Konzept für einen 3D-Drucker für Lebensmittel vor-gestellt, und an der Universität Exeter wurde kürzlich ein erster Prototyp für einen Drucker für Schokolade getestet. Dieser verändert aber lediglich die Form des Rohstoffs, ein neues Gericht ent-steht dabei nicht.

„Der 3D-Drucker für Schokolade ist maximal ein Promille auf dem Weg zu einem Replikator, wie ihn unsere Astro-nauten eventuell in einigen Jahrzehnten mit sich führen werden“, sagt Schöning. „Aber ich bezweifle natürlich, dass es im Raumschiff jemals so schmecken wird wie im Sternerestaurant.“

Kompakt

· Display und Duftspender gaukeln den Sinnen Aussehen und Geschmack von Lebensmitteln vor.

· Digitale Technik lässt Speisen größer erscheinen, als sie sind.

Die digitale Technologie geht nun auch durch den Magen.

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ERNÄHRUNG

Nutzer sieht dann wieder nur den blan-ken Keks. Und auch die Rezeption des Geschmacks verläuft zwar üblicher-weise zu etwa 80 Prozent durch die Na-se, „aber normalerweise von innen nach außen“. Das Aroma der Speise verbreitet sich im Mund und durchzieht beim Aus-atmen die Nase: So entsteht der Ge-schmack. Beim Meta-Cookie hingegen kommt das Aroma von außen beim Ein-atmen in die Nase. „Das ist nicht echt.“ Diesen Unterschied merken wir etwa bei einem Käse, der für uns zwar unan-genehm riecht, aber trotzdem gut schmeckt (siehe bdw 12/2013, „Vor-getäuschter Gaumenschmaus“).

DER KÖRPER MERKT DEN BETRUG Ein ähnliches Problem sieht Spence bei der Idee, die Technik könnte uns gesün-der essen lassen, indem sie ein Stück Fleisch größer erscheinen lässt, als es ist. „Zunächst essen die Menschen tatsäch-lich weniger, aber der Körper merkt rasch, dass etwas fehlt.“ Ähnliche Effekte hat Spence bei Diät-Nahrungsmitteln beob-achtet, die weniger Kalorien enthalten als das Original: Nach einigen Tagen aßen die Probanden einfach mehr davon. „So leicht lässt sich der Körper nicht austricksen“, sagt der Wissenschaftler.

Der Ansatz der Psychologen um Spence ist ein anderer: Wie lässt sich der Genuss durch gezielte Sinnesbeein-flussung verstärken? Dabei experimen-tierten sie mit Musik, Umgebungslicht und Farben – alles drei verändert das Geschmacksempfinden, so die Ergeb-

Doch es gibt durchaus irdische An-wendungen für digitales Essen. Der Me-chanismus, auf dem der Meta-Cookie beruht, könnte nach den Visionen der Forscher zu einer gesünderen Lebens-weise beitragen. Denn unsere Sinne las-sen sich täuschen. Wer Schokolade vor-gegaukelt bekommt, kann in Wahrheit einen kaum gesüßten Keks essen und damit Kalorien sparen – ohne auf den Genuss zu verzichten.

EIN RÜFFEL VOM LÖFFEL Kürzlich haben niederländische Forscher einen Löffel erfunden, der vibriert, so-bald sein Benutzer zu schnell isst. Eine andere Anwendung lässt ein Nahrungs-mittel durch ein Display größer erschei-nen, als es ist. Die Folge: Man isst weni-ger davon. Die Informatiker beziehen sich dabei auf die Erkenntnisse von Psychologen wie Charles Spence, der erforscht, wie unsere Sinne zusammen-spielen: „Wenn wir ändern, was wir se-hen, ändert sich, was wir riechen. Wenn wir ändern, was wir riechen, ändert sich, was wir fühlen“, sagt der Professor an der britischen Oxford University.

Aber wie nachhaltig sind die Täu-schungen durch die moderne Techno -logie? „Ich bin sehr skeptisch, was die Anwendungen der Augmented Reality angeht“, sagt Spence. Damit meint er jene Technologien, die die Realität nur scheinbar verändern. „Die Täuschung ist nicht gut genug“, sagt er. Wenn man beim Meta-Cookie den Kopf zu sehr be-wegt, bricht die Illusion zusammen: Der

Werden wir künftig Süßigkeiten virtuell

naschen? Eine Maske mit integriertem Bild-schirm und Glasröhr-chen, die künstli che Aromen verbreiten, machen aus einem schnöden Keks ein

Mandel-, Schoko- oder Himbeer-Plätzchen.

Nette Sprüche auf dem Keks Wie offen selbst konventionelle Nahrungsmittelhersteller gegenüber digitalem Essen sind, zeigt die Zu-sammenarbeit des Informatikers Johannes Schöning mit der mittel-ständischen Firma Juchem Food in Eppelborn, die unter anderem Mehl und Backmi schungen produziert und vertreibt. „Ich wollte darauf aufmerk-sam machen, dass die Digitaltech-nologie beim Essen auf dem Vor-marsch ist“, erklärt Schöning seine Idee eines Kekses mit aufgedrucktem QR-Code (siehe Bild S. 94). Wer einen solchen Keks bekommt, kann den Code mit seinem Smart phone ein-scannen und wird dann auf eine In-ternet-Seite geleitet. Der Spender des Kekses kann wahlweise eine selbst ausgewählte Homepage mit dem Code verknüpfen oder dem Beschenkten eine Art Glückskeks vermachen: Dazu wird auf dem Smart phone ein zufällig ausgewählter Sinnspruch angezeigt.

„Ich fand die Idee reizvoll, so etwas Profanes wie einen Keks mit einer geheimen Botschaft zu versehen“, sagt Andrea Juchem, Geschäftsfüh -rerin bei Juchem Food. Sie hat eine spezielle Backmischung entworfen und die Möglichkeiten erforscht, wie sich lebensmittelechte QR-Codes auf Esspapier drucken lassen. Mit Erfolg: Andrea Juchem verschenkt die Kekse selbst gerne und freut sich über die erstaunten Gesichter. „Das ist wie ein Überraschungsei für Erwachsene“, sagt sie.

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nisse der Studien. Himbeereis zum Bei-spiel schmeckt bis zu 20 Prozent süßer, wenn der Teller dieselbe Farbe hat wie das Eis. Mineralwasser wirkt frischer und sprudelt scheinbar mehr, wenn das Glas blau schimmert oder auf einem Un-tergrund steht, der ein stacheliges Mus-ter hat. Und Kaffee schmeckt stärker un-ter grellem Licht als unter gedämpftem.

In die Erforschung solcher Effekte in-vestieren derzeit die großen Getränke-hersteller viel Geld: Sie bauen ihre Mar-ken mithilfe der Forscher aus. Welche Musik passt zu meinem Produkt und lässt es intensiver schmecken? Welches Licht, welche Bilder an der Wand einer

Bar sind vorteilhaft? Die Unternehmen lassen die Forscher virtuelle Bars auf-bauen, um zu testen, bei welcher Atmo-sphäre die Verbraucher welches Ge-tränk bevorzugen. So gaben Testper-sonen bei einer Studie an, dass ein be-stimmter Whiskey seinen Geschmack je nach Umgebung verändern würde.

Schon in ein bis zwei Jahren werden die ersten Getränkemarken ihre eigene Musik vertreiben, prophezeit Charles Spence. Und womöglich werden Händ-ler dazu gebracht, jene Musik zu spie-len, die den Absatz ihres Produktes för-dert: „Es ist eine Gratwanderung für uns Forscher: Unterstützen wir die Manipu-lation der Verbraucher, oder verstärken wir deren sinnliche Erfahrung?“

SEAFOOD MIT MEERESRAUSCHEN Spence berichtet, wie Psychologen und In formatiker gemeinsam mit Köchen der führenden Nobelrestaurants neue Sinneserlebnisse entwickeln: Wer im Restaurant „The Fat Duck“ von Sterne-koch Heston Blumenthal im britischen Bray das Gericht „Sound of the Sea“ be-stellt, bekommt vor dem Essen eine gro-ße Muschel serviert, an der Kopfhörer baumeln: ein iPod mit dem passenden Geräusch zum Gericht.

Der Gourmet hört Meeresrauschen und das Klatschen sich brechender Wellen. Und auf das Meeresfrüchte-

Gericht wird das Bild der Brandung pro-jiziert. Ein Restauranttester, der vorher seine Vorbehalte im Internet beschrieb, berichtete später begeistert von dem neuen Geschmackserlebnis: „Es ist schon verblüffend, wie sehr nicht nur das Auge mitisst, sondern auch das Ohr.“ Und Psychologe Spence schwärmt: „Die Technologie verändert das Esserlebnis komplett – sowohl indem sie den Ge-schmack des Essens verstärkt, als auch indem sie die Restaurantbesucher dazu bringt, sich mehr auf den Genuss zu konzentrieren.“

FAST KOSTENLOS Charles Spence ist überzeugt: „Diese Technik wird in wenigen Jahren in un-sere Wohn- und Esszimmer Einzug hal-ten.“ Sein belgischer Kollege Johannes Schöning arbeitet bereits daran: Er nutzt die Erkenntnisse von Spence, um das Geschirr der Zukunft zu entwickeln. Seine Vision: Wir werden künftig von Tablet-Computern essen. Denn so kann man das Hintergrundlicht, das Muster und die zum Essen erklingende Musik selbst auswählen – und damit den Ge-schmack variieren. Schöning erklärt: „Wir tricksen die Sinne dadurch aus, dass ein Menü von einem Display an-statt von einem herkömmlichen Teller gegessen wird.“ Der Forscher kann sich vorstellen, dass es für solche Entwick-lungen in 10 bis 15 Jahren einen Markt geben wird: „Digitale Technologie wird bald fast nichts mehr kosten. Ob wir von einem Teller oder einem Tablet-Computer essen, macht dann finanziell keinen Unterschied.“ ■

Die Feinschmeckerin EVA WOLFANGEL würde sich keinen Meta-Cookie kaufen. Dafür besucht sie viel zu gerne Konditoreien.

INTERNET

Hier kann man Kekse mittels QR-Code mit einem Spruch oder einer Web-Adresse versehen lassen und verschenken: qkies.de

Infos und Anwendungsbeispiele zur Augmented Reality auf Golem.de: www.golem.de/specials/augmented-reality

Mehr zum Thema

Forscher tüfteln an Technologien, um das Erscheinungsbild von Nahrungsmitteln zu verändern. Dahinter steckt die Idee: Wirkt die Portion größer, isst man weniger.

Leckerei aus der Düse: Ein 3D-Drucker fabriziert aus verschiedenen Zutaten einen Cookie. So könnten sich künftig Astronauten mit Nahrung versorgen.

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FERNGESTEUERTE Flugobjekte, die aus-sehen wie Helikopter mit mehreren Ro-torblättern sind ein beliebtes Technik-spielzeug. Die ausgereifteren Varianten solcher „Drohnen“ oder „Multikopter“ sind echte Multitalente. Sie helfen bei-spielsweise beim Aufspüren von Men-schen in zerstörten Gebäuden nach einem Erdbeben oder einer Gasexplo -sion oder von eingeschlossenen Bewoh-nern in Hochwassergebieten. Oder sie erstellen spektakuläre Luftaufnahmen von Sport e vents, Open-Air-Konzerten oder Landschaften für Dokumentar -filme. Was früher ein Kamerateam an Bord eines Hubschraubers erforderte, erledigen heute die unbemannten fern -ge steuerten Flugroboter.

Inzwischen haben auch ingenieur-wissenschaftliche Studienrichtungen an Universitäten und Hochschulen das Thema für sich entdeckt. Angehende In-genieure untersuchen das Steuer- und Lenkverhalten von Multikoptern und entwickeln technische Lösungen für

Kompakt

· Anders als bislang gebräuchliche Drohnen hat der Trikopter drei Flügel.

· Um ihn stabil fliegen zu lassen, sind alle drei Rotoren beweglich gelagert.

· Das erfordert eine aufwendige elek-tronische Regelung.

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FLUGTECHNIK

neue Einsatzgebiete. So entstehen am Lehrstuhl für Systemtheorie und Regelungstechnik der Uni-versität des Saarlandes in Saar-brücken unter der Leitung von Insti-tutschef Joachim Rudolph neuartige Multikopter für den zivilen Einsatz. Ihr besonderes Merkmal: Sie haben drei Propellerflügel.

KNIFFLIGE TECHNIK AN DEN ROTOREN Das macht die Technologie knifflig: Denn anders als bei den bislang übli-chen Multikoptern mit starr montierten Antrieben kommen bei dem sogenann-ten Trikopter schwenkbare Rotoren zum Einsatz. Denn Trikopter mit starren Ro-toren wären flugunfähig, weil sie insta-bil sind. Sie würden sich um ihre eigene Achse drehen und trudelnd wieder ab-stürzen.

Die bislang gebräuchlichen Multikop-ter haben stets eine gerade Zahl von Propellern, um sich auf möglichst einfa-che Weise stabil manövrieren zu lassen. Meist halten vier Rotorblätter die Ma-schinen in der Luft. Die Flugdynamik sol-cher Quadrokopter ist gut beherrschbar, lässt aber nur bestimmte Flugbewegun-gen zu. Anders bei Rotoren, die nicht starr, sondern um eine feste Achse schwenk-bar sind: Sie ermöglichen eine viel bes-sere Beweglichkeit bei Flugmanövern.

Um das auf die Spitze zu treiben, soll-ten die angehenden Ingenieure aus dem Saarland den Trikopter so gestalten, dass

Flotter Dreier Ein ferngelenktes Fluggerät aus dem Saarland schafft bislang undenkbar waghalsige Manöver.

von Christine Ritschel (Text) und Oliver Dietze (Fotos)

Testflug im Labor: Der Saarbrücker Forscher David Kastelan lenkt den Trikopter. Feinfühlige Sensoren und ein cleverer Bordcomputer sorgen da-für, dass die Drohne stabil und ziel strebig in die ge-wünschte Richtung fliegt.

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sich alle drei Rotoren einzeln bewegen lassen. „Dazu musste ein komplexer Aufbau entwickelt werden, der die Grundvoraussetzung für die Realisie-rung beliebiger Flugmanöver ist“, sagt Joachim Rudolph.

Die jungen Forscher in seinem Team meisterten die Aufgabe mit Bravour. Der von ihnen konstruierte Trikopter ermög-licht beliebige Bahnbewegungen und

trotzt allen Störungen, zum Beispiel Windböen. Voraussetzung dafür war die Entwicklung eines leistungsfähigen Bordcomputersystems, das den Trikop-ter stabil in der Luft hält und zielgerich-tet fliegen lässt – eine anspruchsvolle regelungstechnische Aufgabe. Denn schon eine winzige Änderung der Dreh-zahl oder des Schwenkwinkels eines der Propeller führt zu komplizierten Bewe-

gungsänderungen, die die Steuerung ausgleichen muss.

Die Lösung dieser Aufgabe macht den Trikopter nicht nur äußerst wendig, son-dern lässt das neuartige Fluggerät auch in Schrägstellung horizontal fliegen, ohne dass es vorher kippen muss. Und der Trikopter kann in einer Parkposition über einem festen Ort schweben. Auch das gelingt mit einem Quadro-, Sexto-

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Der Vater des fliegenden Triples: Institutsleiter Joachim Rudolph (oben) entwickelte mit Forschern und Studenten die Technologie für den dreiflügeligen ferngesteuerten Helikopter. Unten: Matthias Konz misst Datensignale der Bordelektronik.

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oder Oktokopter nicht. Diese Drohnen können nur in horizontaler Lage fliegen und müssen immer in Bewegung sein, um nicht abzustürzen.

Unter der Leitung des Technischen Kybernetikers Joachim Rudolph und seines Mitarbeiters David Kastelan ar-beiteten Studenten ab dem 5. Semester im Rahmen von Praktika fachübergrei-fend im Trikopter-Projekt. An der Lö-sung des komplexen Problems beteilig-ten sich auch zwei Gaststudenten aus Frankreich und Kanada. In Vorarbeiten analysierten die angehenden Ingenieure das Zusammenspiel von Propeller und Flugdynamik des Trikopters und simu-lierten das Flugverhalten mithilfe von Bewegungsgleichungen, die in mathe-matischen Modellen formuliert waren. Nach einer Reihe von Flugtests und Korrekturen am technischen System des Trikopters brachten die jungen Forscher

die kippelige Flugsituation schließlich unter Kontrolle.

Der entscheidende Kniff war eine Flugregelung, die in jedem Moment die aktuellen Bewegungsdaten auswertet und mit den Vorgaben des „Piloten“ an der Fernsteuerung abgleicht. Dazu mes-sen Sensoren die Drehrate und Be-schleunigung des Trikopters und senden die Daten 200 bis 400 Mal pro Sekunde an den Bordcomputer.

Dessen Herzstück, ein Mikrocontrol-ler, verfügt über alle Funktionen, die für eine permanente Regelung des Flugver-haltens notwendig sind. Er berechnet nicht nur die aktuellen Koordinaten des Trikopters, sondern bestimmt auch während des Flugs ständig voraus-schauend die weitere Flugbahn. Dank der eigens dafür entwickelten mathema-tischen Algorithmen erkennt der Bord-computer, wann der Trikopter eine fal-

sche Bewegung zu machen droht. Dann berechnet er blitzschnell Korrekturbe-fehle – etwa, um die Drehzahl eines Propellers zu erhöhen oder seine Nei-gung zu ändern.

DER HORIZONT BLEIBT STABIL Die Drohne aus Saarbrücken gewähr-leistet nicht nur einen „ruckelfreien“ Flug bei Richtungsänderungen, sondern kann auch in fließenden Übergängen aus einer schwebenden Parkstellung in eine Vorwärtsbewegung wechseln – und umgekehrt. Damit gerät bei Film- und Fotoaufnahmen aus der Luft kein Hori-zont mehr in „Schieflage“, wie bei kon-ventionellen Flugrobotern, die für einen horizontalen Flug zunächst gekippt wer-den müssen.

„Im Gegensatz zu Fluggeräten aus dem Hobbybereich basieren die bei unserer Entwicklung genutzten Regel-

Roboter mit Propeller Was der Trikopter fertigbringt, das gelang Studierenden der Mechatronik aus dem Saarland auch am Boden: ein eigent-lich instabiles Objekt durch eine clevere Art der Steuerung dazu zu bringen, sich selbstständig und sicher zu bewegen. Diesen Balance akt brachten die angehenden Ingenieure einem Stab bei, der wie ein Akrobat auf einem Ball balanciert, das Gleichge-wicht hält und den Ball mit trippelnden Schritten an ein bestimmtes Ziel rollt. Der Stab sollte gleichzeitig den Ball len-ken und – damit es noch schwieriger wird – auf drei kleinen Kugeln stehen. Das ist etwa so, als müsste der Akrobat den Balanceakt auf dem Ball mit Roll-schuhen ausführen.

Die Lösung des Balance-Problems für den „Ballbot“ basiert auf einem so-genannten Starrkörperproblem: einer starren Kugel und einem Pendelkörper darüber. Beide sind durch ein sphäri-sches Gelenk miteinander verbunden. Aufrecht stehend befindet sich der Schwerpunkt des Pendels exakt über dem Kugelkontakt mit dem Boden, aber in instabiler Ruhelage. Schon der kleinste Luftzug genügt, um das Pendel kippen zu lassen. Vier Propeller dienen der Stabilisierung und fangen jegliche Kippbewegung ab. Je zwei stehen sich gegenüber. Komplettiert wird das Ganze durch ein aus-

geklügeltes Regelungssystem. Droht der Stab zu kippen, erhöht einer der Propeller seine Drehzahl, um den Stab ab-zufangen. Neigt sich der Stab zur anderen Seite, tritt der

Propeller gegenüber in Aktion. Was spielerisch wirkt, ist raffinierte

Ingenieurleistung. Zuerst mussten die Studenten dem Stab beibringen, dass er auf der Kugel stehen bleibt. Dazu wird die Bewegung des Stabs auf dem Ball berührungslos mit einem Sensor gemessen, den die Studen-ten aus einer Computermaus aus-gebaut haben. Zusammen mit wei-teren Sensoren misst der Maussen-sor ständig, was der Stab, der Ball und die Motoren gerade machen. Die Informationen laufen im „Gehirn“ des Ball-Roboters zusammen, einem Mikrocontroller. Ähnlich wie beim Trikopter ermitteln Algorithmen per-manent, wie Stab und Ball sich be-wegen. Kippt der Stab oder bewegt sich der Ball anders als gewünscht, berechnet der Controller aus den Messsignalen die notwendige Stell-größe: die Propellerkraft, mit der der Regler gegensteuern muss. Dank einer

zusätzlichen Kommunikationsschnittstelle kann der Ballbot wie ein Spielzeug beliebig durch den Raum gelenkt werden – per Joy-Stick mit einer handelsüblichen Funkfernbedienung.

Der Ballbot balanciert auf einem Ball.

FLUGTECHNIK

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Die Eigner von Windkraftanlagen, Schornsteinen, Fernmeldetürmen oder Strommasten könnten Trikopter zudem nutzen, um die Bauwerke aus der Luft auf Schäden zu inspizieren. David Kas-telan betont: „Das wäre deutlich kos-tengünstiger und weniger gefährlich als die heute üblichen Kontrollen durch menschliche Inspekteure.“ ■

CHRISTINE RITSCHEL aus Saarbrücken ist es wichtig, für innovative Forschungsergebnisse auch innovative Anwendungen aufzuspüren.

Der Fotograf OLIVER DIETZE hielt die Flug-manöver in Bildern fest.

IINTERNET

Forschung am Lehrstuhl für Systemtheorie und Regelungstechnik der Universität des Saarlandes: www.uni-saarland.de/campus/fakultaeten/professuren/naturwissenschaftlich- technische-fakultaet-ii/mechatronik/ professuren-fr-74-mechatronik/rudolph/forschung.html

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FLUGTECHNIK

eingriffe auf einer mathematischen Be-schreibung des Flugverhaltens, die aus den Gesetzen der Mechanik abgeleitet wurde und auch bei ungewöhnlichen Flugmanövern gilt“, erklärt der Saarbrü-cker Institutsleiter Rudolph. „Schließ-lich soll unser Trikopter völlig autonom spektakuläre Flugmanöver ermöglichen.“ So ist daran gedacht, mehrere Trikopter beim Transport von Lasten zusammen-arbeiten zu lassen. Einen weiteren Plus-punkt nennt David Kastelan: „Die Mög-lichkeit, schwer zugängliches Gelände schnell, gefahrlos, preiswert und ohne großen Aufwand zu erreichen, macht die Technologie etwa für Katastrophen-einsätze interessant.“

Künftig wollen die Forscher mit Part-nern aus der Industrie zusammenarbei-ten, um das Fluggerät zu einem kommer-ziellen Produkt weiterzuentwickeln. In-teressenten dürften sich nicht nur in der Spiele-, Film- und Werbeindustrie fin-den. Auch viele andere Anwendungen für das „fliegende Auge“ sind denkbar: Es könnte etwa Straßen und Kreuzun-gen beobachten, bei Grenzkontrollen helfen, das Wachstum von Bäumen in Wäldern oder Ackerpflanzen kontrollie-ren sowie aktive Vulkane überwachen.

Paragrafen für Drohnen Drohnen sind kleine unbemannte Flugzeuge, die ähnlich wie Modell-flugzeuge per Fernbedienung gesteu-ert werden. In Deutschland fallen sie unter das Modellflugzeug-Gesetz, weshalb sie nur in Sichtweite gesteu-ert werden dürfen. Bei bis zu 5 Kilo-gramm Startgewicht ist das ohne Genehmigung für Sport- und Freizeit-zwecke möglich, bei mehr als 5 und maximal 25 Kilogramm Startgewicht ist eine Aufstiegserlaubnis der Luft-fahrtbehörde erforderlich. Doch so-bald das Flugzeug mit Kamera oder Mikrofon ausgerüstet ist, dient es im Verständnis des Gesetzgebers nicht mehr dem Sport- und Freizeitzweck und braucht daher auf jeden Fall eine Fluggenehmigung.

Schon ab 300 Euro sind fernge -steuerte Kleinflugzeuge mit eingebau-ter Kamera für Hobbypiloten erhält-lich. Leistungsstärkere Geräte, wie sie zum Beispiel die Polizei nutzt, kosten zwischen 40 000 und 70 000 Euro.

Für Bundeswehr und Polizei er-laubt das Luftfahrtgesetz den Droh-neneinsatz für besondere Zwecke. In Deutschland verfügt neben der Bun-despolizei auch die Polizei in Sachsen, Niedersachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Berlin über einsatz-bereite Drohnen für Aufklärungsflüge – etwa zum Fotografieren des Tatorts nach einem Verbrechen, zur Siche-rung von Objekten oder bei Natur-katastrophen. Dagegen nutzt die Bundespolizei ihre Drohnen vor allem zum Überwachen von Grenzen und Gleisen oder um Menschenschmugg-ler aufzuspüren.

Der militärische Einsatz von Droh-nen ist stark umstritten, wodurch sie ein massives Imageproblem haben. Deutsche Behörden nutzen die Tech-nik derzeit eher zurückhaltend. Inter-national sieht es anders aus. Der Markt boomt: Vorreiter sind die US-Streitkräfte, die über mehr als 10 000 Drohnen für militärische Einsätze ver-fügen. Für ihren Einsatz bildet die US-Armee bereits mehr Piloten aus als für bemannte Flüge.

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Gefragtes Forschungsobjekt: Lothar Kilz, Wissenschaftler im Team von Joachim Rudolph, präsentiert neue Ergebnisse zur Entwicklung von Multikoptern.

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in Zusammenarbeit mit

Einige deutsche Zoos koordinieren die Züchtung ihrer Tierarten – mit dem Ziel, die genetische Vielfalt zu erhalten. Dazu ermittelt eine spezielle Software, welche Zuchtkonstellationen aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse ideal sind. Entsprechend den Empfehlungen werden dann einzelne Tiere zwischen den Zoos ausgetauscht. Die Karte zeigt, welche Zoos ihre Zuchtprogramme koordinieren und um welche Tierklassen es dabei geht.

Zoo sucht Tier

DEUTSCHLAND IM BLICK

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ren“, sagte ich und begann die Plättchen in die Schachtel zu le-gen. Aber so oft ich es auch versuchte, die letzten zwei oder drei Pentominos wollten nie hineinpassen. Nach einer Viertelstunde gab ich auf. „Ich habe mir schon gedacht, dass dich das überfor-dert“, sagte meine Tochter mit einem etwas überheblichen Grin-sen. „Lass uns doch ein Pentomino-Spiel spielen, das eher dei-nem Niveau entspricht.“ Christina nahm ein Blatt Papier und zeich-

nete darauf ein Raster von 5 mal 5 Quadraten, die jeweils die Größe eines Monominos hatten. „Wir legen jetzt immer abwechselnd ein Pentomino auf das Raster. Wer zuerst kein Pentomino mehr dazulegen kann, hat verloren. Du darfst anfan-gen.“ „Kann ich die Plättchen auch schräg in das Raster legen?“, fragte ich. „Nein. Jedes Pentomino-Quadrat muss genau ein Quadrat des Rasters ab-decken. Die Pentominos dürfen auch nicht über den Rand des Rasters hinausragen. Das Spiel ist also nach spätestens fünf Zügen zu Ende.“ Ich nahm irgendein Pentomino und legte es auf das Raster. „Ha!“, rief meine Tochter triumphierend. „Du hast schon verlo ren.“ Dann legte sie selbst ein Pentomino hinzu. Und tatsächlich: Keines der zehn restlichen Pentominos passte noch auf die freien Quadrate des Rasters. Wissen Sie, wel-che beiden Pentominos meine Tochter und ich auf den Spielplan gelegt hatten?

Tage der Menschheit – 10 Wege in den Untergang“ werden in kurz- weilig-apokalyptischen, aber auch lehrreichen und schauerlich-faszi-nierenden Beiträgen im Lauf von 107 Minuten verschiedene Szenarien

vorgestellt, denen die Menschheit im 21. Jahrhundert zum Opfer fallen könnte. Und zwar nicht nur die übli-chen Verdächtigen, sondern auch weniger bekannte Naturgewalten und „hausgemachte“ Gefahrenherde – von der Ressourcenverknappung und riskanten Expe rimenten bis hin zu irdischen und kosmischen Bedrohungen. Mehr Informationen finden Sie unter: www.der-wissens-verlag.de

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So machen Sie diesen Monat mit

Teilnehmen kann jeder, außer den Mitarbeitern des Verlags und deren Angehörigen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Schicken Sie bitte Ihre Lösung (ausschließlich!) auf einer Postkarte bis zum 31. 1. 2014 an: bild der wissenschaft, Kennwort „Cogito 1|14“ Ernst-Mey-Str. 8, 70771 Leinfelden-Echterdingen Die Lösung und die Namen der Gewinner werden im April-Heft 2014 auf der Leserbrief-Seite veröffentlicht.

Das gibt es zu gewinnen

Unter den Einsendern der richtigen Lösung werden fünf DVDs aus-gelost. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Auf der DVD „Die letzten

Heinrich Hemme ist Professor für Physik an der Fachhochschule Aachen

MEINE TOCHTER CHRISTINA saß am Küchentisch und packte klei-ne, schwarze, seltsam geformte

Plättchen in eine flache Schachtel. Ich beobachtete sie dabei über den Rand meiner Zeitung. Als sie fast fertig war, rief sie ver-ärgert „Mist!“ und kippte die Schachtel wieder aus. „Was machst du da?“, fragte ich neugierig und legte meine Zeitung beiseite. „Ich versuche, ein knif-feliges Pentomino-Pro-blem zu lösen“, erwi-derte sie. „Pentomino? Nie gehört“, sagte ich. „Hat das etwas mit Domino zu tun?“ „Da liegst du gar nicht so falsch“, erwiderte Chris-tina. „Ein Monomino ist ein einzelnes Quadrat. Ein Domino hingegen ist ein Doppelquadrat, wie du es vom Domino-Spiel her kennst. Trio-minos bestehen aus je-weils drei, Tetrominos aus vier und Pentomi-nos aus fünf gleichen Quadraten, die an den Kanten miteinander verbunden sind. Ins-gesamt gibt es zwölf verschiedene Pentominos, die nach ihren Formen mit Großbuchstaben bezeichnet werden. Spiegelbild-liche Formen gelten nicht als unterschiedlich.“ Christina legte die zwölf Plättchen so auf den Tisch, dass ich mit etwas Fantasie die Buchstaben I, L, T, F, Z, P, U, X, W, N, Y und V erkennen konn-te. „Diese Schachtel ist zehn Monomino-Seiten lang und sechs breit, und man soll versuchen, alle zwölf Pentominos dort hinein zu packen. Dabei dürfen sie auch umgeklappt werden, sodass die Unter- zur Oberseite wird. Obwohl es dafür fast 2500 ver-schiedene Möglichkeiten gibt, ist es gar nicht so einfach, auch nur eine einzige davon zu finden.“ „Lass es mich mal probie-

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Heinrich Hemmes Cogito

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ASTRONOMIE

Energiegewitter im All

Der Weltraum wird von einem Röntgen-Hintergrund durchflutet, der nicht in einzelne Quellen auflösbar ist. Woher die Strah-lung stammt, war lange unklar. Nun haben Astrophysiker das Geheimnis gelüftet – und sind dabei auf eine Überraschung aus der Frühzeit unseres Univer-sums gestoßen.

PSYCHOLOGIE

Gutachter im Zwielicht

Deutsche Gerichte können zur Beurteilung von Angeklagten Gutachten in Auftrag geben – bei unabhängigen Experten. Doch immer wieder kommt es zu widersprüchlichen Diagnosen oder gar zu krassen Fehlurteilen. Forscher aus den eigenen Reihen kritisieren jetzt offen die man-gelnde Kompetenz bei vielen Sachverständigen.

1964 hob der Astrophysiker Professor Heinz Haber ein ganz besonderes Baby aus der Taufe: bild der wissenschaft. Er wollte im deutschen Sprachraum eine Zeitschrift etablie-ren, die allgemeinverständlich über Naturwissenschaften berichtet. Seitdem hat bdw viele Häutungen hinter sich – und vollzieht eine weitere Verjüngungskur in der Februar-ausgabe, zur Feier des 50. Jubiläums. Lassen Sie sich überraschen! Etwa mit der Hitliste der 50 Höhepunkte aus 50 Jahren Forschung und Technik – ausgewählt und gewichtet von Experten aus allen Disziplinen. Und gewinnen Sie mit detektivischem Spürsinn und etwas Glück einen von 50 attraktiven Preisen im großen Jubiläums-Gewinnspiel.

JUBILÄUMSAUSGABE IM FEBRUAR

50 Forschungs-Highlights – und 50 Jahre bild der wissenschaft

D a s g r o ß e J u b i l ä u m s h e f t e r s c h e i n t a m 2 1 . J a n u a rEr hält lich im Zeit schrif ten- und Bahn hofs buch han del und beim Pres se- Fach händ ler mit die sem Zei chen

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mMEERESBIOLOGIE

Ortstermin im Ozeaneum

Makrelen, Heringe, Hummer: Typische Bewohner des kalten Atlantiks tummeln sich in 45 Salzwasser-Aquarien mitten im Stralsunder Hafen. Techniker und Tierpfleger schaffen im aufwendig gestalteten Ozeaneum die perfekte Illusion – auf der Basis von großem biologischem Know-how. bild der wissen-schaft hat hinter die Kulissen geschaut.

ARCHÄOLOGIE

Auferstanden aus dem Seemannsgrab

Über 400 Jahre schlummerte das britische Schlachtschiff „Mary Rose“ am Meeresgrund, bevor Archäologen es bargen. Weitere 30 Jahre dauerte es, bis die Fachleute dieses Jahr mit vorzeig -baren Ergebnissen an die Öffent-lichkeit gingen: Knochen- und Gen-Analysen holten einen Teil der Besatzung quasi zurück ins Leben – den Bordhund inklusive.

JUBILÄUMSAUSGABE IM FEBRUAR

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BAUERNKINDER ERKRANKEN SELTENER an Asthma und Aller-gien als Altergenossen, deren Eltern keine Landwirtschaft be-treiben. Diesen „Bauernhof-Effekt“ versuchen Allergologen seit rund 15 Jahren zu ergründen (bild der wissenschaft 5/2002, „Schmutz-Impfung gegen Asthma“). Neben genetischen Ein-flüssen spielen noch zwei andere Faktoren eine Rolle: Die Kinder werden in Stall und Scheune mitgenommen – und sie trinken Rohmilch. „Kinder, die in einem kleinen, Milch ver-arbeitenden Betrieb aufwachsen, sind am besten vor allergi-schen Erkrankungen geschützt“, resümiert Erika von Mutius, Professorin für Pädiatrische Allergologie am Haunerschen Kinderspital der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

Die Wissenschaftlerin hat vor allem die auf Heu und Stroh siedelnden Bakterien und Pilze sowie deren Zerfallsprodukte im Blick. Sie sind auf Bauernhöfen allgegenwärtig. Von Mu -tius hat den Matratzenstaub aus den Betten von Bauernkin-dern auf mikrobielle Zellwand-Bestandteile untersucht. Das Ergebnis: „Ein Cocktail aus grampositiven Bakterien, Bazil-len, Listerien sowie aus den Schimmelpilzen Penicillium und Aspergillus – das macht den Stall für die Allergieprävention so wertvoll“, sagt die Münchner Medizinerin.

Als besonders schützend erwiesen sich die Mikroorganis-men Acinetobacter iwoffii und Lactococcus lactis. Im Mäuse-versuch haben Kollegen der Forscherin belegt, dass diese Bakterien, durch die Nase verabreicht, gegen Allergien feien. Vielleicht wirken weitere Stallfaktoren zusätzlich schützend: „Eventuell kolonisieren Bakterien aus der Umgebung die Atemwege und verdrängen andere Bakterien, die mit Asthma assoziiert sind“, sagt von Mutius. Eine weitere Theorie: Bak-terien produzieren Stoffwechselprodukte, etwa kurzkettige Fettsäuren, die die Immunantwort verändern könnten. Der zweite Schutzfaktor im Leben eines Bauernhofkindes ist Roh-

milch. Normalerweise wird sie in der Molkerei erhitzt, damit Krankheitserreger wie EHEC-Bakterien absterben. Generell gilt: Für Kinder, Schwangere und immunschwache Menschen sind solche Keime gefährlich. Doch bei der Hälfte der deut-schen Milchbauern kommt Rohmilch täglich auf den Tisch – noch lauwarm aus dem Euter. Alle trinken sie, auch die schwangere Landwirtin und das Kleinkind. Das hat einen Schutzeffekt. Von Mutius hat entdeckt, dass die Kinder von Rohmilch trinkenden Müttern schon unmittelbar nach der Geburt andere Immun antworten aufweisen als der Bevölke-rungsdurchschnitt. Ihre Abwehrzellen sind eher in der Lage, wichtige antiallergische Botenstoffe zu produzieren.

Warum die Rohvariante im Gegensatz zu behandelter Milch gesundheitsfördernd sein könnte, erforscht von Mutius derzeit. Die Auswertung der Gabriel-Studie legt nahe, dass vor allem hitzelabile Proteine aus der Molke das Asthma- und Allergierisiko beeinflussen – in erster Linie Alpha-Lactalbumin, Beta-Lactoglobulin und Bovines Serumalbumin. Das ist je-doch nicht abschließend geklärt. „Auch die Homogenisierung könnte ein Problem sein, weil die Fette hierbei stark verändert werden“, meint die Münchnerin.

Trotzdem bastelt von Mutius an einer gesünderen Milch. In Zusammenarbeit mit der Industrie versucht sie schonendere Verarbeitungsverfahren zu entwickeln. Mit neuen Milchvari-anten soll es dann Studien am Menschen geben. Eine Alterna-tive wäre, hitzebehandelter Milch nachträglich die schützen-den Molke-Eiweiße zuzusetzen. „Zurück zur Natur“, zur Rohmilch, ist allerdings kein Patentrezept: Stadtkindern rät die Wissenschaftlerin ausdrücklich ab, Rohmilch zu trinken, das könnte zu heftigen Durchfällen führen. Käsefreunde brau-chen sich indes aus Rohmilch hergestellten Hartkäse nicht zu verkneifen – er gilt als ungefährlich. Kathrin Burger ■

Stallstaub und Rohmilch

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Die Allergologin Erika von Mutius (links) ist dem „Bauernhof-Effekt“ auf der Spur: Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, sich viel in Ställen aufhalten und häufig Rohmilch trinken, sind in der Regel gegen Asthma und Heuschnupfen gefeit.

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