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1 Jahrgang 24 | Nummer 2/99 | März 2016 Bildungsnähe Bildungsferne Inklusion und Exklusion in der Bildung

Bildungsnähe Bildungsferne · (engl. Early School Leaving) vorwiegend in der Persönlichkeit der Schülerin/des Schülers und im negativen Einfluss von Bezugspersonen zu lokalisieren,

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1Jahrgang 24 | Nummer 2/99 | März 2016

Bildungsnähe – BildungsferneInklusion und Exklusion in der Bildung

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INHALT

Stefan ZottiEditorial

Erna Nairz-WirthSchulabbruch revisited

Markus Lörz | Nicolai Netz | Heiko QuastSoziale Ungleichheit und Bildungsmobilität

Angelika Grabher | Martin UngerSoziale Selektivität bei der Studierendenmobilität

Kanita HalkicDiskriminierungserfahrungen von Studierenden an Hochschulen

Gottfried Biewer | Michelle Proyer | Margarita SchiemerÜber Umwege zueinander finden

Nikoleta Nikisianli»Leave no one behind«

Sandra AllmayerInternationalisierung und Vielfalt

Katharina KloserInternationalisierung im berufsbegleitenden Studium

Lydia Maria ArantesStrapazen, die sich lohnten

Heiko VoglInterkulturalität und Diversität in der Pädagog/innenbildung

Christine KladnikAlles inklusive: eTwinning

Wolfgang ZeilerDas Poly als modulare Berufsvorbereitung

Ovagem Agaidyan | Kerstin Nemec-Seipenbusch Tandem now

oead.news im Gespräch mitWalburga Fröhlich, atempo

Nina PrinzErasmus+ Forum Inklusion und Bildung

oead.news im Gespräch mitTerezija Stoisits

Christiane HintermannMigration im Schulbuch

Veronika WöhrerProjekt Grenzgänge: Transnationalität im Schulsystem

Małgorzata Bogaczyk-VormayrPersönlichkeit und Kreativität sind nie behindert

Franz GramlingerBerufsbildungsforschung

Michael Dippelreiter | Michael SchedlErnst Mach (1838–1916)

oead.news im Gespräch mitHubert Dürrstein und Stefan Zotti

Petra Pint | Barbara SutrichOeAD-Hochschultagung 2015: Eine Nachlese

Cathrine SeidelbergerErasmus+ Award

Rafaela MazalDer Citizen Science Award 2015

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Stefan Zotti

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

»Smart, sustainable and inclusive growth.« Die Ziele der Europa 2020-Strategie von 2010 haben auch Mitte des Jahrzehnts nichts an ihrer Bedeutung verloren – und sind bis heute Herausforderung ge-blieben. Nach Jahren der anhaltenden Wirtschaftskrise, europaweit nur geringen Investitionen in die Zukunftsmotoren Bildung und For-schung und der neuen Situation der Flüchtlingskrise sehen wir heute in vielen Ländern sogar weniger Inklusion, weniger Chancen, weniger Hoffnungszeichen als noch vor wenigen Jahren.

Im Bemühen um eine inklusive Gesellschaft kommt der Bildung eine zentrale Rolle zu. Nicht umsonst hatte der ehemalige Kommissions-präsident José Manuel Barroso die (europäische) Bildungspolitik zu einem der Eckpfeiler seiner Reformagenda gemacht. Die Wettbe-werbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften hängt schließ-lich von der Innovationsfähigkeit ab und davon, neue Ansätze – technische, soziale oder auch künstlerische – effektiv und effizient wirtschaftlich umzusetzen. Eine solche Umsetzung wird nicht mög-lich sein, wenn ein Fünftel der Europäer/innen die Schule verlässt, ohne sinnerfassend lesen und ausreichend schreiben zu können. Eine Vielzahl internationaler Studien bestätigt uns aber, dass in vielen europäischen Ländern, auch in Österreich, Bildungschancen – und damit Lebenschancen(!) – nach wie vor vererbt werden. Dabei hat Österreich mit dem berufsbildenden Schulsystem praktisch orien-tierte Ausbildungswege in seinem Bildungssystem, die europaweit Beachtung finden. Es darf in diesem Zusammenhang auch daran erinnert werden, dass die soziale Durchmischung an den Fachhoch-schulen nach wie vor eine bessere ist als an den Universitäten. Welche Schlüsse lassen sich daraus für eine inklusive Bildungspolitik ziehen?

Die Flüchtlingskrise stellt unser Bildungssystem nochmals vor neue Herausforderungen. Wie wird es uns gelingen, die vielfältigen Talen-te zu entdecken, bereits abgeschlossene Berufe und Studien anzu-erkennen und die Menschen bestmöglich willkommen zu heißen, um sie in unsere Gesellschaft einzubinden? Wie kann unser Bildungs-

system aber auch auf etwaige Defizite im Bildungsniveau von Asyl-werber/innen reagieren? In aktuellen politischen Diskussionen wird wiederholt auf die hohen Kosten der Flüchtlinge für das Sozialsystem verwiesen und über entsprechende Reduktionen der Leistungen diskutiert; offenkundig auch in der Hoffnung, ein etwas rigideres Sozialsystem wird Österreich als Zielland unattraktiver machen. Nun mag sich aber, angesichts eines realen und grausamen Kriegs, die Attraktivität Österreichs nicht nur auf die Höhe der Mindestsiche-rung beziehen. Eine Politik, die sich nur auf die kurzfristigen Kosten konzentriert läuft Gefahr, die viel dramatischeren langfristigen Kos-ten der mangelnden Bildungschancen und der fehlenden Inklusion zu übersehen. Ziel wird es sein, die künftig Asylberechtigten so rasch wie möglich auf entsprechende Ausbildungswege zu bringen, um die produktiven Kräfte zu nutzen, das Sozialsystem auf diese Weise zu entlasten und Lebenschancen zu erweitern.

Der Blick über den österreichischen Tellerrand erlaubt spannende Einblicke in andere Bildungssysteme und deren Umgang mit dem manchmal etwas sperrigen Thema Inklusion. Einige der Beispiele, die Sie in dieser Ausgabe finden, mögen aber auch als Impulse für die österreichische Diskussion dienen. Ein Bildungssystem hat mitun-ter die Aufgabe, die soziale, wirtschaftliche und politische Inklusion einer Gesellschaft zu fördern. Wir sind gut beraten, dies zu unter-stützen und zu fördern – denn ganz im Sinne der EU 2020-Strategie schafft Inklusion auch Raum für Innovation und flexibles Denken und Handeln. Weniger Inklusion können wir uns schlicht nicht leisten.

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Erna Nairz-Wirth

Schulabbruch revisitedMaßnahmen, um Schulabbruch zu verhindern, sind umso effektiver und effizienter, je früher sie im Bildungssystem ansetzen.

Die Ursache des frühen Schulabgangs (engl. Early School Leaving) vorwiegend in der Persönlichkeit der Schülerin/des Schülers und im negativen Einfluss von Bezugspersonen zu lokalisieren, ist über-holt. Eine solche Sichtweise ignoriert mögliche Defizite in den Bildungs- und Betreuungseinrichtungen (wie etwa mangelnde Frühförderung) und die Ver-antwortung von Schulen und Lehrperso-nen. Inzwischen besteht auch Konsens in der Forschung, dass Schulabbruch eine lange Vorgeschichte hat, d. h. kognitive, emotionale und soziale Schwierigkeiten schon in der Vorschulzeit erkennbar sind und darauf entsprechend reagiert wer-den sollte.

Gesichert ist die wissenschaftliche Er-kenntis, dass die entscheidenden Wei-chen einer Bildungskarriere bereits in den ersten fünf bis zehn Jahren gestellt werden, weshalb der vorzeitige Schulab-gang zu einem zentralen Thema der Bil-dungspolitik geworden ist. Mehr als fünf Mio. junger Menschen zwischen 18 und 24 Jahren erwerben innerhalb der Euro-päischen Union keinen Abschluss auf der Sekundarstufe II und nehmen an keiner Ausbildungsmaßnahme teil (EU-Defini-tion). Viele dieser Jugendlichen sind ar-beitslos oder müssen sich mit einer ihre

Qualifikation nicht verbessernden, oftmals prekären Beschäftigung abfinden. Dies bedeutet, dass diese Ju-gendlichen im Anschluss an ihre schulischen Misserfol-ge weitere frustrierende Erfahrungen am Arbeitsmarkt sammeln und ihre psychosoziale Lage sich dadurch wei-ter verschlechtert. Geringe ökonomische Ressourcen befördern den sozialen Rückzug. Wenn die psychosozi-ale Benachteiligung über längere Zeit andauert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich körperliche und see-lische Belastungen verfestigen. Symptome dafür sind beispielsweise Selbstisolierung oder Anschluss an eine Gruppe, in der fatalistische oder destruktive Haltun-gen vorherrschen. Die mittel- und langfristigen Folgen solch anomischer Prozesse (Merton) sind nicht nur für die Lebens- und Berufschancen der Betroffenen äußerst negativ, sondern können auch als volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Belastungen nachgewiesen wer-den. Die Problematik des vorzeitigen Schulabgangs ist daher nicht nur eine der größten bildungspolitischen Herausforderungen, sondern erweist sich auch für die Entwicklung des Staates und der Zivilgesellschaft als bedeutsam.

Personen, die Erfahrungen mit Schulabbrecher/innen haben, skizzieren üblicherweise folgenden »typischen« Verlauf: Der Schüler/die Schülerin kommt aus einem bildungsfernen, sozioökonomisch benachteiligten und wenig unterstützenden familiären Milieu. Schon bei der Einschulung und im ersten Schuljahr zeigen sich Schwä-chen bei den Basisfertigkeiten und/oder abweichendes Sozialverhalten. Die schulischen Misserfolge führen zu emotionaler Distanz oder gar zu Schulangst oder ag-

gressiver Ablehnung von als kränkend empfundenen Erlebnissen in der Schule. Chronisches Schwänzen ist dann ein untrügliches Zeichen für eine nur mehr schwer in den Griff zu bekommende Abwärtsentwicklung. Die-se Entwicklung kann durch eine Laissez-Faire-Haltung der Eltern oder anderer für die Erziehung zuständiger Personen verstärkt werden. Auch abweichendes Ver-halten fördernde Peergruppen können die Schul- und Lerndistanzierung begünstigen. Wenn sich der Schul-absentismus und die Leistungsverweigerung habituell verfestigen, steigt das Schulabbruchsrisiko rapide. Diese eben skizzierte – primär auf den Schüler/die Schülerin fokussierte – Sichtweise vernachlässigt die vielfältigen positiven und negativen Wirkungen der ökonomischen und schulischen Rahmenbedingungen. Neuere For-schung zeigt, dass Schulabbruch in der Mehrheit der Fälle verhindert werden kann, indem benachteiligte Familien und Gemeinden gefördert werden und indem langfristig angelegte wissenschaftlich gestützte Prä-ventions- und Interventionsprogramme in Kindergär-ten und Schulen implementiert werden.

Auf der Basis von zahlreichen Interviews mit frühen Schulabgänger/innen konnte unsere Forschungsgrup-pe nachweisen, dass die vielfältigen Ursachen des un-günstigen Entwicklungsverlaufs (Schuldistanzierung) durch solche Maßnahmen hätten verhindert oder abgeschwächt werden können. Viele der Betroffenen erfuhren soziale Ablehnung bereits im Kindergarten, weil ihr Habitus, z. B. aufgrund ethnischer oder kultu-reller Aspekte, als »unpassend« oder störend empfun-den wurde. Viele berichten, dass sie von Lehrperso-nen abgelehnt wurden und dass Stigmatisierung und Ausgrenzung ihren schulischen Alltag begleiteten. Die Leistungsbeurteilung wurde teilweise als ungerecht empfunden. In unseren Untersuchungen konnten wir verschiedene Habitustypen von frühen Schulabgänger/- innen rekonstruieren (statusorientiert, unangepasst, orientierungslos, realitätsflüchtig, ambitioniert, resi-gniert, gebunden). In allen Fällen konnte anhand der Lebens- und Bildungsgeschichte eindeutig das Urteil gefällt werden, dass im gesamten Bildungsprozess professionelle Maßnahmen den negativen Prozess mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten verhindern können. Vor allem muss der Schwerpunkt auf die Verbesserung des psychischen und sozialen Kapitals, auf die Selbst-wirksamkeit und die Einbindung in stabile positive Be-ziehungsstrukturen gelegt werden.

Die Weichen einer Bildungs-karriere werden in den ersten fünf bis zehn Jahren gestellt.©

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Ein wesentlicher Ansatzpunkt für eine er-folgreichere Gestaltung der individuellen Bildungsprozesse, und damit nicht nur für eine Reduktion des Schulabbruchs, liegt in einer Reform der Aus- und Wei-terbildung von Lehrpersonen und in der Einrichtung von Professional Commu-nities. Diese kleinen Lehrer/innenteams bilden sich in vielen Schulen und sollten als Kern der Professionalisierung geför-dert und vernetzt werden. Neue Formen der Schulleitung (Distributed Leader-ship) legen einen Schwerpunkt auf die Übergabe von Leitungsfunktionen an solche Teams. In ihrer Weiterentwick-lung werden daraus schulübergreifende, interdisziplinäre und interprofessionelle Teams, die gemeinsam mit Personen, Gruppen und außerschulischen Organi-sationen Lösungsansätze für ihre Schu-len und Stadt- oder Ortsteile erarbeiten.

Diese neue Professionalität wird nicht auf fachwissenschaftliche und fach-didaktische Kompetenz reduziert – so wichtig diese auch sein mögen –, son-dern richtet ihr Augenmerk auf eine nachhaltige Bildungs- und Lebenslauf-bahnentwicklung. In diesem Kontext sind auch ein positives Schulklima und eine geschützte Schulumgebung (vom sicheren Schulweg bis zur Vermeidung von physischer Gewalt und Mobbing)

bedeutsam. Insbesondere in großen Schulkomplexen kommt es leicht zu Entfremdung (Gefühl von Anony-mität) und einem mangelnden Verbundenheitsgefühl mit der Schule, weshalb die Professional Communities in relativ autonomen kleinen Feldern (Mini Schools) ar-beiten sollten. Im Unterricht und in der gesamten Schul-aktivität wird an die Fähigkeiten und Interessen der Schüler/innen und an ihre Lebenswelt angeknüpft. Es geht um Ressourcenentwicklung, nicht um Wissensak-kumulation. Damit ist auch eine Zukunftsorientierung gewährleistet, während die derzeitige curriculare und raum-zeitliche Ordnung der Schule nicht ausreichend an der gesellschaftlichen Zukunft orientiert ist (Schlag-worte: Umgang mit Heterogenität, Diversität, Arbeit in Netzwerken, Heuristik, mobiles und kontextspezi-fisches Lernen, Prävention durch Partizipation). Die Ängste vor einem durchschnittlichen Leistungsabfall oder der Schrumpfung der für die Zukunft notwendigen Leistungselite, sind – soweit Untersuchungen vorliegen – in keiner Weise gerechtfertigt. Hohe Leistungserwar-tungen an Schüler/innen werden nur in einem guten Schulklima und in auf Zukunft und damit auf Risikobe-wältigung gerichteten innovativen Lerngruppen gedei-hen und nachhaltig die erwünschten gesellschaftlichen Früchte in zwanzig bis vierzig Jahren erbringen.

Prävention geht vor Intervention. Aber immer wieder wird Intervention erforderlich sein. Sie muss gleichzei-tig personell, gruppenorientiert, innerschulisch, außer-schulisch und systemisch erfolgen. Die besten Erfolge liefern Programme, die auf allen Ebenen ansetzen. Die Maßnahmen der Prävention sind bereits die besten Maßnahmen der Intervention: Mentor/innen- und

Tutor/innensysteme sollten ab der ersten Klasse Volks-schule als Standard eingesetzt werden. Außerschulische Angebote und Kooperationen (Praktika, Freizeitgestal-tung, Mentoring etc.) sowie Vernetzungen mit Schulen in der Nachbarschaft und internationale Schulkoopera-tion sind als Regelformen dringend zu empfehlen.

Schon aufgrund der Langfristigkeit des Bildungspro-zesses in seinen positiven und negativen Aspekten sind Maßnahmen umso effektiver und effizienter, je früher sie im Bildungssystem ansetzen (qualitativ hochwerti-ge Programme in der frühkindlichen Bildung). Um es nochmals zu betonen: Es geht nicht nur um eine Min-derheit der langfristig Scheiternden, sondern um eine positive und stabile soziale, politische und ökonomi-sche Entwicklung der Regionen, der Zivilgesellschaft und des Staates.

ao. Univ.-Prof. Dr. Erna Nairz-Wirth. Leiterin der Abtei-lung Bildungswissenschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. 2013 Gastwissenschaftlerin an der University of Cambridge (UK). Forschungsschwerpunkte: Bildungslauf-bahnforschung, Professionsforschung, Habitus- forschung. National- und Expert-Partner im EU-FP7 Projekt »Reducing Early School Leaving. R.ESL.«; EU-Expertin zum Thema Schulabbruch; Mitbegründerin des ECER-2015-Forscher/innennetzwerks »Dropout in Higher Education«. Nähere Infos: www.wu.ac.at/bildungswissenschaft/

Vorzeitiger Schulabgang ist nicht nur eine individuelle und bildungspolitische Heraus-forderung, sondern die Thematik ist für die Entwickung eines Staates und der Zivil-gesellschaft relevant.

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Markus Lörz | Nicolai Netz | Heiko Quast

Soziale Ungleichheit und Bildungsmobilität

Warum ziehen Studierende aus weniger privilegiertem Elternhaus seltener einen Auslandsaufenthalt in Betracht?

Mit der Einrichtung des Europäischen Hochschul-raums und der Internationalisierung von Arbeitsmärk-ten haben Auslandserfahrungen für den individuellen Bildungs- und Karriereweg an Bedeutung gewonnen. Verschiedene empirische Studien zeigen in diesem Zu-sammenhang, dass sich Auslandserfahrungen sowohl auf die Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung als auch auf die Karrierechancen förderlich auswirken.

Trotz dieser Vorteile wagt nur ein Teil der Studieren-den den Schritt ins Ausland. Wie Abbildung 1 auf Ba-sis der Daten der Sozialerhebung verdeutlicht, hat in Deutschland der Anteil auslandsmobiler Studierender seit den 1990er Jahren zwar zugenommen, aber ins-besondere Studierende aus weniger privilegiertem Elternhaus gehen immer noch vergleichsweise selten ins Ausland. Das im Rahmen des Bologna-Prozesses angestrebte Ziel eines Abbaus sozialer Ungleichhei-ten wurde folglich mit Blick auf die Auslandsmobilität nicht erreicht. Vielmehr könnten die sozialen Unter-schiede vor dem Hintergrund der Bildungsexpansion und dem Rückgang sozialer Ungleichheit beim Zu-

gang zur Hochschule (vertikale Un-gleichheit) sowie der Konkurrenz um lukrative Berufspositionen einen neuen und subtilen Mechanismus zur Status-reproduktion darstellen (horizontale Ungleichheit).

Zahlreiche Studien konnten bereits zei-gen, dass Studierende aus weniger pri-vilegiertem Elternhaus seltener einen Auslandsaufenthalt absolvieren. Die Forschung zur Erklärung dieses Phä-nomens fiel bislang jedoch lückenhaft aus. Die meisten Studien betrachten die soziale Herkunft nur als einen von zahl-reichen Faktoren. Bisher wurde kaum untersucht, welche Mechanismen den Disparitäten zugrunde liegen. Demnach ist weitgehend unklar, welche Faktoren zur geringeren Auslandsmobilität we-niger privilegierter Gruppen führen. An diese Ausgangslage knüpft ein jüngst in

der Zeitschrift Higher Education veröffentlichter Arti-kel an (Lörz, Netz und Quast 2015).

Der Artikel untersucht in theoretischer und empi-rischer Hinsicht, warum Studierende aus weniger privilegiertem Elternhaus seltener eine Auslands-intention ausbilden. Die Analysen basieren auf einer für Deutschland repräsentativen Längsschnittunter-suchung zu den nachschulischen Werdegängen der Studienberechtigten des Abschlussjahrgangs 2010. Im Unterschied zu vorherigen Untersuchungen ermögli-chen die Daten eine hinreichende Operationalisie-rung der theoretischen Konstrukte und aufgrund des Paneldesigns eine adäquate Aufarbeitung zugrunde liegender Wirkungsmechanismen. Zu Beginn des Arti-kels werden aus Perspektive der rationalen Entschei-dungstheorie, der kulturellen Reproduktionstheorie und der Lebensverlaufsperspektive verschiedene Er-klärungsansätze skizziert. Diese Ansätze legen nahe, dass vier Erklärungskomponenten zu Ungleichheit bei der Auslandsmobilität führen: herkunftsspezifische Unterschiede (1) in vorgelagerten Bildungspfaden und (2) in leistungsbezogenen Faktoren (z. B. bezüg-lich objektiver Schulabschlussleistungen und subjek-tiver Einschätzungen der Erfolgsaussichten) sowie in (3) Kosten- und (4) Ertragsüberlegungen bezogen auf Auslandsaufenthalte.

Die empirische Analyse verdeutlicht, dass sich für die meisten theoretischen Überlegungen empirische Be-lege finden, wobei sich der Stellenwert der Faktoren zur Erklärung der sozialen Disparitäten unterscheidet.

Abbildung 1: Anteil deutscher Studierender zwischen dem 6. und 10. Semester mit studienbezogener Auslandserfahrung nach Bildungsherkunft (vorhergesagte Wahrscheinlichkeiten mit 95 Prozent Konfidenzintervallen in Prozent). Daten: DSW/DZHW Sozialerhebungen 1991–2012 (Quelle: Lörz, Netz und Quast 2015)

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Studierende aus nicht-akademischen Familien bilden seltener eine Auslandsintention aus, weil sie andere schulische Bildungswege durchlaufen als Kinder aus akademischen Familien. Sie besuchen häufiger beruf-liche Schulen, an denen sie ihre Fremdsprachenkennt-nisse weniger umfänglich entwickeln können als an Gymnasien. Außerdem sammeln Kinder aus nicht-akademischem Elternhaus während der Schulzeit seltener erste Auslandserfahrungen. Aufgrund dieser vorgelagerten Bildungsentscheidungen und Erfah-rungen haben sie später auch schlechtere Vorausset-zungen hinsichtlich der für einen Auslandsaufenthalt relevanten leistungsbezogenen Faktoren: Sie erzielen schlechtere Zensuren und schätzen ihre Erfolgsaus-sichten sowie Fremdsprachenkenntnisse als schlech-ter ein und erwägen deshalb seltener eine Studien-phase im Ausland. Ferner beabsichtigen sie oftmals keinen Auslandsaufenthalt, weil sie die Mobilitäts-kosten höher bewerten. Dabei wirken sich sowohl er-wartete finanzielle Belastungen und die Befürchtung, dass sich das Studium durch einen Auslandsaufent-halt verlängert, als auch soziale Kosten negativ auf die Auslandsintention aus. Schließlich ist der Herkunfts-unterschied darauf zurückzuführen, dass Studien-berechtigte aus nicht-akademischem Elternhaus die Vorteile eines Auslandsaufenthalts für die spätere Kar-riere und für die Persönlichkeitsentwicklung geringer einschätzen. Es sind demnach verschiedene Faktoren, die zu den Unterschieden in der Mobilitätsbereitschaft führen. Deren Ursachen sind bereits in der Schulzeit angelegt.

Die Studie liefert neue Erkenntnisse, macht aber auch auf weiteren Forschungsbedarf aufmerksam. Erstens wurde das vorgeschlagene konzeptionelle Modell nur für Deutschland getestet. Es könnte jedoch sein, dass es auch einen Beitrag zur Erklärung der sozialen Unterschiede hinsichtlich der Auslandsmobilität in anderen europäischen Hochschulsystemen leisten kann. Zweitens fokussieren die Analysen auf die In-tention zur Realisierung eines Auslandsaufenthalts. Daher ist weitere Forschung zur tatsächlichen Rea-lisierung einer solchen Intention und zu den hierbei

entstehenden Herkunftsunterschieden notwendig. Drittens sollten weitere As-pekte der Entscheidungssituation wie die Wirkung von Studienfachkulturen oder von Austauschprogrammen be-rücksichtigt werden (Kontextfaktoren). Viertens besteht Forschungsbedarf zu den Konsequenzen der untersuchten sozialen Selektivität für den späteren Berufs- und Lebensweg.

Aus bildungspolitischer Perspektive eröffnen die Ergebnisse verschiedene Ansätze zur Reduzierung sozialer Dis-paritäten. Auf Hochschulebene sind es die erwarteten finanziellen Belas-tungen, die die Mobilitätsbereitschaft von Studienberechtigten aus weniger privilegierten Familien hemmen. Diese Bedenken lassen sich vermutlich durch gezielte gruppenspezifische Förderpro-gramme und eine entsprechende In-formationspolitik reduzieren. Auf diese Weise könnten Studierende aus weni-ger privilegiertem Elternhaus auch bes-ser über die Erträge von Auslandsmo-bilität informiert werden. Eine weitere mögliche Maßnahme wäre die Instal-lation von Mobilitätsfenstern im Curri-culum. Diese würden der Befürchtung vorbeugen, dass sich die Studienzeit durch Auslandsmobilität verlängert.

Die Ergebnisse zeigen ebenso, dass es nicht ausreicht, erst auf Hochschul-ebene anzusetzen. Es scheint vielmehr notwendig, auch an vorgelagerten Bil-dungswegen aktiv zu werden. So wäre es empfehlenswert, Unterstützungs-programme auf Schulebene anzubie-ten, die es Kindern aus weniger privile-gierten Familien ermöglichen, bereits während der Schulzeit Auslandserfah-

rungen zu sammeln und ihre Fremdsprachenkennt-nisse zu entwickeln. Frühe Mobilitätserfahrungen erlauben späteren Studierenden zu lernen, dass Mobi-litätshindernisse überwunden werden können.

Weitere Informationen:Lörz, M., Netz, N., Quast, H. (2015): Why do students from underprivileged families less often intend to study abroad?, Higher Education (online first), 1–22 http://doi.org/10.1007/s10734-015-9943-1

Markus Lörz studierte Sozialwissenschaften in Wuppertal und Mannheim, wo er promovierte. Von 2006 bis 2008 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW, ehemals HIS-Institut für Hochschulforschung) in Hannover, von 2009 bis 2013 Projektleiter ebendort. Seit 2013 ist Lörz akademischer Rat an der Universität Hannover. Forschungsschwerpunkte: Hochschulfor-schung, Ungleichheitsforschung, Methoden der empiri-schen Sozialforschung und Längsschnittanalyse.

Nicolai Netz studierte Philologie, Kultur-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Bonn, Florenz und Maastricht. Seit 2008 ist er wissenschaftli-cher Mitarbeiter am DZHW. Forschungsschwerpunkte: Mobilität von Hochqualifizierten, soziale Ungleichheit, Bildungserträge, internationale Vergleichsstudien.

Heiko Quast studierte Sozialwissenschaften in Hannover. Seit 2007 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am DZHW. Forschungsschwerpunkte: Hochschulfor-schung, Bildungsentscheidungen und Bildungsüber-gänge, soziale Ungleichheit.

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Das im Rahmen des Bologna-Prozesses angestrebte Ziel eines Abbaus sozialer Ungleichheiten wurde mit Blick auf die Auslandsmobilität nicht erreicht.

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Angelika Grabher | Martin Unger

Soziale Selektivität bei der Studierendenmobilität

Österreichische Studierende sind im internationalen Vergleich sehr mobil. Je nach sozialer Herkunft gibt es allerdings auch in Österreich große Unterschiede.

Ein bisher wenig beachteter Aspekt von sozialer Selektivität im österreichischen Hochschulsystem ist die unterschied-liche Beteiligung an internationaler Mobilität während des Studiums. Das ist insofern erstaunlich, als sich bei kaum einem Thema eine größere Ab-hängigkeit von der familiären Herkunft der Studierenden zeigt.

Die folgende Darstellung bezieht sich auf die Studierenden-Sozialerhebung 2011 und berücksichtigt nur tempo-räre Auslandsaufenthalte während des Studiums. Die Daten stammen von Studierenden, d. h. sie stellen eine Momentaufnahme dar und sind keine finalen Mobilitätsquoten, wie sie nur für Absolvent/innen berechnet werden können. Bis zum Befragungszeitpunkt hatten 27 Prozent aller Studierenden bereits studienbezogene Auslands-erfahrung in Form von Auslands- semestern (neun Prozent), Auslands-praktika (14 Prozent), Summer Schools, Sprachkursen oder Forschungsaufent-halten gesammelt. Je älter die Studie-renden sind und je länger sie bereits studieren, desto höher sind diese Werte naturgemäß.

Allerdings zeigt sich in jeder Alters-gruppe eine deutlich höhere Mobili-tätsbeteiligung von Studierenden aus höherer Schicht (gemessen an Bildung und Beruf der Eltern) als aus niedrigeren Schichten. Unter jüngeren Studieren-den waren jene aus höheren Schichten nahezu dreimal häufiger im Ausland, zwischen 21 und 25 Jahren gleichen sich diese Anteile etwas an und der Vorsprung Studierender aus höherer Schicht beträgt »nur« noch 60 Prozent. Ab 26 Jahren sammelten Studierende aus höherer Schicht mehr als doppelt

so häufig Auslandserfahrung als ihre Kolleg/innen aus niedrigeren Schichten. An den Hauptaktivitäten (Auslands-semester und -praktikum) nahmen Stu-dierende aus höherer Schicht im Schnitt ebenfalls doppelt so häufig teil.

Auch die Zielländer der studentischen Mobilität hängen zum Teil von der so-zialen Herkunft ab: Besonders attraktiv sind für alle Studierenden englischspra-chige Länder, insbesondere in Übersee. Bei Auslandssemestern oder -prakti-ka außerhalb Europas zeigt sich kein schichtspezifischer Unterschied, aber innerhalb Europas wählen Studierende aus höherer Schicht häufiger ein nicht-englischsprachiges Land. Vergleicht man dagegen Planer/innen mit Absol-vent/innen von Auslandssemestern, so

zeigt sich, dass Studierende aus niedrigen Schichten eher ihre Pläne in englischsprachigen Ländern in Euro-pa umsetzen können, während Studierende aus hohen Schichten vergleichsweise leichter außereuropäische Ziele erreichen. Generell ist der Anteil der Studieren-den, die ein Auslandssemester außerhalb des Euro-päischen Hochschulraumes (»Bologna«) absolvier-ten, unter Studierenden aus hoher Schicht höher. Die Unterschiede in der Wahl der Zielländer nach sozialer Herkunft sind bei Auslandspraktika etwas geringer als bei Auslandssemestern. Die Wahl des Ziellandes hängt allerdings auch stark vom Studienfach ab und unter-schiedliche Studien sind für Studierende verschiede-ner Herkunftsmilieus unterschiedlich attraktiv. Daher ist der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Wahl des Ziellandes eher ein indirekter.

In der Sozialerhebung wird auch nach Hindernissen für eine Auslandsmobilität gefragt. Die soziale Herkunft spielt dabei besonders bei Aspekten, die die Lebens-

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Grafik 1: Beteiligung an studienbezogener Auslandsmobilität nach Alter und sozialer Herkunft (Quelle: Studierenden-Sozialerhebung 2011)

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situation der Studierenden betreffen, eine Rolle. Besonders die Aufgabe bzw. Beibehaltung der Wohnung in Öster-reich, die Unterbrechung oder Aufgabe der Erwerbstätigkeit und die Finanzie-rung des Auslandsaufenthalts selbst bereiten Studierenden aus niedriger Schicht häufiger Schwierigkeiten. Unter Absolvent/innen eines Auslandssemes-ters berichten Studierende aus niedriger Schicht auch deutlich häufiger als jene aus hoher Schicht von Schwierigkeiten in Zusammenhang mit Informationen zu Auslandsaufenthalten und Zulas-sungsregelungen. Die eigene Trägheit war dagegen – gemäß ihren eigenen Angaben – für Studierende aus hoher Schicht häufiger hinderlich. Allerdings gilt es dabei zu beachten, dass Studie-rende aus niedriger Schicht im Schnitt um fast vier Jahre älter sind und auch zum Zeitpunkt des Auslandsaufent-halts waren sie gut 1,5 Jahre älter – sie befanden sich also in etwas anderen Lebensumständen (Wohnsituation, Er-werbstätigkeit, Familie). Dies ist auch der Grund, warum insgesamt die Mo-bilitätsbeteiligung unter älteren Stu-dierenden zurückgeht, insbesondere bei jenen, die erst mit Mitte/Ende 20 zu studieren begonnen haben und de facto berufsbegleitend studieren.

Generell ist in Österreich im internatio-nalen Vergleich die Nutzung von Mobi-litätsprogrammen für die Realisierung eines Auslandssemesters sehr hoch: 88 Prozent aller Auslandssemester wur-den im Rahmen eines Austauschpro-gramms absolviert (alleine 64 Prozent

mit Erasmus). Auslandspraktika werden dagegen häufig selbst organisiert, nur 13 Prozent absolvierten dieses im Rah-men eines Mobilitätsprogramms (fünf Prozent mit Erasmus). Dabei zeigen sich nur geringe Unterschiede nach sozialer Herkunft. Studierende aus niedriger Schicht nutzten etwas häufiger das Erasmus-Programm für ihr Auslandsse-mester (67 Prozent vs. 64 Prozent) und für ihr Auslandspraktikum (zehn Pro-zent vs. fünf Prozent) als Studierende aus hoher Schicht. Dies hängt wieder-um mit der Wahl der Zielländer zusam-men, weil Studierende aus niedriger Schicht etwas häufiger ein Auslandsse-mester (74 Prozent vs. 71 Prozent) oder -praktikum (67 Prozent vs. 60 Prozent) in einem Erasmus-Land absolvierten als Studierende aus hoher Schicht.

Kurz soll hier auch noch auf Gender-aspekte in der Studierendenmobilität eingegangen werden: Frauen sammel-ten in Summe etwas häufiger Mobili-tätserfahrung als Männer (28 Prozent vs. 25 Prozent), wobei sie v. a. häufiger ein Auslandssemester oder -praktikum absolviert haben. Auslandssemester werden von Frauen deutlich häufiger als von Männern in südeuropäischen Ländern und Frankreich absolviert, während Männer häufiger nordeuropä-ische Länder und außereuropäische Zie-le wie die USA und Asien wählen. Fast ein Drittel aller Männer absolvierte ein Auslandssemester außerhalb Europas (30 Prozent), während dies lediglich auf 22 Prozent der Frauen zutrifft. Bei Aus-landspraktika differieren die gewählten

Regionen dagegen kaum nach Geschlecht. Männer waren lediglich etwas häufiger in den USA, China und kleineren europäischen Staaten, während Frauen ihr Auslandspraktikum vergleichsweise häufiger in Groß-britannien, Frankreich, Spanien und Latein-/Südame-rika absolvierten. Auch bei der gewählten Studienrich-tung gibt es Unterschiede nach dem Geschlecht. So studieren Frauen z. B. häufiger Sprachen (insbeson-dere Romanistik), weshalb sie häufiger Auslandsauf-enthalte in Südeuropa absolvieren, während Männer häufiger technische Studien betreiben und daher eher einen Auslandsaufenthalt in Deutschland oder Nord-europa wählen.

Der Bericht zur Studierenden-Sozialerhebung 2011 sowie der Zusatzbericht »Internationale Mobilität von Studierenden« sind unter www.sozialerhebung.at zu-gänglich.

Angelika Grabher studierte Soziologie an der Universität Wien. Sie ist Mitarbeiterin am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Soziale Ungleichheit sowie Hochschulbildung und akademische Mobilität.

Martin Unger studierte Soziologie in Wien, anschließend besuchte er den Postgradualen Lehrgang Soziologie am IHS. Seine Forschungsschwerpunkte sind Chancen-gerechtigkeit im Bildungswesen, speziell im Hochschul-bereich, die soziale Lage von Studierenden, Studierende mit Migrationshintergrund. Unger war Lektor an der Universität Wien und an der WU Wien. 2014 wurde er in den Vorstand der Gesellschaft für Hochschulforschung (GfHf) gewählt.

Studierende aus sogenannten »höheren Schichten« sind in allen Altersgruppen mobiler als jene aus eher bildungsfernen Familien.

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Laut Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW, uni:data) waren 2013 rund 350.000 Studierende an österreichischen Hochschulen inskribiert. Mehr als 80.000 davon waren Studieren-de mit nicht österreichischer Staatsbürgerschaft – das entspricht zirka 23 Prozent aller Studierenden in Öster-reich. Es ist zunächst positiv, international und offen zu sein – gleichzeitig stellt sich die Frage: Wie fühlen sich die internationalen Studentinnen und Studenten bei uns? Wurden sie schon einmal gefragt, ob sie etwas an den Konzepten und am Umgang mit ihnen auf den Hochschulen stört? Welche Probleme begegnen ihnen im Hochschulalltag und wie könnte man ihre Situation verbessern? Wird die Prämisse der Gleichbehandlung aller Studierenden dem Umgang mit internationalen Studierenden gerecht?

Um Diskriminierungserfahrungen von internationalen Studierenden zu beleuchten, hat das Institut für Höhe-re Studien (IHS) zwischen September 2014 und März 2015 eine Studie im Auftrag der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler/innenschaft (BV ÖH) durchgeführt. Die Ergebnisse basieren auf einer Online-Befragung mit 3.660 ordentlichen Studierenden an öffentlichen Universitäten und Fachhochschulen (aus-genommen ist die Fachhochschule Oberösterreich), die im Sommersemester 2014 zum Studium zugelassen waren. Um den Fragebogen auch Studierenden aus Ländern mit nicht-deutscher Sprache zugänglich zu machen, wurde der Fragebogen in vier verschiedene Sprachen (Englisch, Türkisch, Slowenisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch) übersetzt. Die Studie möchte die Diskriminierung von internationalen Studierenden auf Hochschulen erkennbar machen und dadurch einen al-lerersten Einblick in die Thematik liefern.

Diskriminierung, was ist das?

So wie die Sensibilität in Hinblick auf Diskriminie-rungserfahrungen unter Studierenden unterschiedlich ist, wird auch der Begriff der »Diskriminierung« un-terschiedlich verstanden. Alle Individuen haben dies-

Kanita Halkic

Diskriminierungserfahrungen von Studierenden an Hochschulen

Jede vierte Person hat Diskriminierungserfahrungen gemacht, 72 Prozent melden die Vorfälle nicht. Dies ergab eine Studie im Auftrag der Bundesvertretung der Österreichischen Hoch-schüler/innenschaft (ÖH).

bezüglich verschiedene Grenzen und Vorstellungen. Um dies zu berücksichtigen, wurde im Fragebogen die Diskriminierung als jede benachteiligende Behandlung von Menschen in Bezug auf eine ethnische, kulturelle und/oder religiöse Zugehörigkeit definiert, wobei auch Merkmale wie Hautfarbe oder Geschlecht berücksich-tigt wurden.

Herkunftsspezifische Diskriminierung an Hochschulen

Die Diskriminierungsstudie des IHS versucht unter an-derem auch die Herkunft der betroffenen Studierenden als Grund für Diskriminierung zu thematisieren. Die in der Studie befragten internationalen Studierenden se-hen die Gründe für die Diskriminierungserfahrungen mehrheitlich in ihrer Nationalität (sieben Prozent), Sprache (vier Prozent) und ethnischen Herkunft (drei Prozent). Dies trifft am häufigsten auf Studierende zu, die aus der Nahostregion (mehr als 60 Prozent dieser Gruppe stammen aus der Türkei und dem Iran) oder ei-ner anderen nicht-europäischen Region kommen.

Diskriminierung aufgrund der Sprache wird ebenfalls häufiger von Nicht-Europäer/innen genannt, betrifft jedoch auch diejenigen Studierenden, die aus Ost- und Südeuropa stammen. Die Nationalität als Grund für Diskriminierungserfahrungen wird in den Antworten jeder fünften Studentin und jedes fünften Studenten angegeben, die aus der Region Europa stammen. Bei Student/innen, welche nicht aus der EU oder dem EWR kommen, wird dieser Grund noch häufiger genannt.

Darüber hinaus wurden die Studierenden zu den Schwierigkeiten, mit denen sie im Laufe ihres Studiums konfrontiert wurden, befragt (siehe Tabelle 1). Abge-sehen von der Herkunft der Befragten, sehen viele die Organisation des Studiums als besonders schwierig an. Darauf folgt die Finanzierung des Studiums. Sehr viele Studierende empfinden die Leistungsanforderungen ihres Studiums als erschwerend. Was bei Tabelle 1 noch zu beachten ist: Die Gruppe der ersten Generation der

Studierenden, die aus Nicht-EU-Ländern stammen, sind fast in allen erwähnten Schwierigkeiten statistische Ausreißer.

Bei der Strukturierung des Studiums ha-ben viele Studierende Schwierigkeiten. Was könnten die Gründe dafür sein? Eine mögliche Antwort auf diese Frage wäre die Thematisierung bürokratischer Hürden, die das System undurchschau-bar und kompliziert machen. Es könnte auch sein, dass die Informationen über die Organisation des Studiums nicht für alle verständlich sind. Diese sollten transparenter gestaltet werden, weil damit nicht nur internationale Studie-rende Schwierigkeiten haben, sondern sogar inländische Studierende, die sich mit dem Bildungssystem in Österreich besser auskennen. Es stellt sich die Frage, wo scheitern die Strukturen des österrei-chischen Hochschulwesens?

Für viele ist es schwierig, ihr Studium zu finanzieren. Sind die Universitäten wirk-lich offen und für alle zugänglich? Nicht nur diese Studie, sondern auch die Sozial-erhebungen des IHS zeigen, dass die am häufigsten genannten Gründe für finan-zielle Schwierigkeiten finanzschwache Eltern und unerwartet hohe Ausgaben sind. Hinzu kommen der Verlust oder die Verringerung der Erwerbstätigkeit – auf-grund arbeitsrechtlicher Beschränkun-gen für internationale Studierende – und der Wegfall staatlicher Transferleistun-gen wie Familien- oder Studienbeihilfe. Vor allem Studierende, die nicht aus EU-Ländern stammen, kämpfen mit der Finanzierung des Studiums. Ein weiterer Grund dafür sind die arbeitsrechtlichen Beschränkungen für Nicht-EU-Bürger/-

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innen sowie für internationale Studierende, die mit einer Beschäftigungsbewilligung einen beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen.

Arten der Diskriminierung

Die Diskriminierungserfahrungen können sich auf un-terschiedliche Art und Weise manifestieren. Aus Tabelle 2 ist erkennbar, dass die zentralen Diskriminierungs- arten an Hochschulen verbale oder zweideutige Angrif-fe, Zuschreibungen eines Unvermögens oder Stereo-typisierungen darstellen. Gefolgt wird dies von der Ver-wendung diskriminierender Begriffe im Sprachgebrauch und der sichtbaren Ungleichverteilung von Ressourcen. Alle erwähnten Arten beziehen sich unmittelbar auf Erlebnisse an den Hochschulen und verschlechtern die Atmosphäre für die internationalen Studierenden.

Mitstudent/innen als Akteur/innen

Ein besonders interessanter Teil der Studie behandelt die Frage, durch wen die Studierenden diskriminiert werden. Ein deutlicher Unterschied zwischen Inländer/-

innen und internationalen Studierenden wird an dieser Stelle sichtbar. Österrei-chische Studierende geben an, dass sie häufiger von Lehrenden an der Hoch-schule diskriminiert wurden, die inter-nationalen Studierenden erwähnen eher ihre Mitstudierenden als Akteur/innen in Diskriminierungssituationen. Die Orte, wo Diskriminierung stattfinden, sind: Mensa/Bibliothek sowie in Lern- und Ar-beitsgruppen. Also dort, wo Studieren-de untereinander sind und nicht durch andere Personen kontrolliert werden (wie z. B. von dem/der Professor/in bei Lehrveranstaltungen).

Diskriminierung abseits der Hochschulen

Internationale Studierende aus Län-dern mit nicht-deutscher Mutterspra-che berichten häufiger davon, ungleich behandelt zu werden. Diskriminierung im Alltag erleben Studierende, die aus EU-Ländern bzw. Nicht-EU-Ländern kommen bei der Arbeitssuche (21 Pro-zent bzw. 31 Prozent), bei Behörden (17 Prozent bzw. 30 Prozent) und bei der Wohnungssuche (17 Prozent bzw. 23 Prozent).

Vor allem für jene Studierenden, die aus einem Drittstaat stammen, stellen die Behördengänge und die ihnen hierbei auferlegten Hürden ein Problem dar. Die Gruppe berichtet über fehlende Infor-mationen zu den Erwerbsmöglichkeiten in Österreich (44 Prozent). Weitere Pro-bleme erleben sie bei der Beschaffung einer Unterkunft in Österreich (30 Pro-zent) und bei dem Nachweis der erfor-derlichen finanziellen Mittel für die MA

35 (28 Prozent). Informationen zu Aufenthaltstitel und Zulassung sind meistens kompliziert und für die Studie-renden aus dem Ausland schwer verständlich.

Was müssten/sollten wir fördern?

Aus allen oben erwähnten Diskriminierungserfahrun-gen und Schwierigkeiten lassen sich Schlüsse ziehen, um die Situation internationaler Studierender zu ver-bessern. Allen voran wäre es notwendig, Informati-onen über Erwerbsmöglichkeiten, Aufenthaltstitel, Zulassung etc. zu bieten, die allen zugänglich und ver-ständlich aufbereitet sind. Diese Informationen sollten auch in mehreren Sprachen angeboten werden. Sensi-bilisierung muss sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Studierenden gefördert werden. Da 72 Prozent der betroffenen Studierenden berichten, dass sie sich an niemanden gewendet hatten, muss Transparenz und ein offener Umgang mit Diskriminierung geschaffen werden. Zudem sollten sichere Räume für Austausch, Verständnis, Hilfe und Agieren angeboten werden.

Die gesamte Studie als Download finden Sie unter:www.oeh.ac.at/news/studie-zu-diskriminierung- hochschulen

Kanita Halkic ist Referentin der Österreichischen Hochschüler/innenschaft, Referat für ausländische Studierende. Sie bietet Beratung in Bosnisch, Serbisch und Kroatisch .

Kein Migrati-onshintergrund

1. Generation EU

1. Generation Nicht-EU

2. Generation EU

2. Generation Nicht-EU

Bei der Organisation/ Strukturierung des Studiums 39 % 44 % 48 % 47 % 58 %

Bei der Finanzierung des Studiums 25 % 30 % 43 % 36 % 33 %

Bei der Kommunikation mit Lehrenden 19 % 22 % 29 % 22 % 25 %

Mit den Leistungsanforde-rungen des Studiums 25 % 25 % 32 % 56 % 30 %

Kontakte zu anderen Studie-renden knüpfen 11 % 19 % 25 % 16 % 14 %

Bei der Beantragung forma-ler Dokumente für das Studi-um (z. B. Prüfungspass) 11 % 11 % 20 % 2 % 9 %

Keine 28 % 23 % 16 % 23 % 17 %

Verbale Angriffe oder zweideutige Witze 10,0 %

Zuschreibung eines Unvermögens/ Stereotypisierungen

10,0 %

Verwendung diskriminierender Begriffe im Sprachgebrauch

8,0 %

Ungleichverteilung von Ressourcen 7,0 %

Ausschluss von sozialen Aktivitäten unter Studierenden

3,3 %

Ausschluss von Arbeits- oder Lerngruppen 2,8 %

Unangemessene Angebote/Einladungen, anzügliche oder abwertende Blicke

2,7 %

Diskriminierene Dokumente, Lehr- materialien oder Lehrinhalte

2,5 %

Unangemessene Berührungen 0,6 %

Körperliche Gewalt 0,2 %

Tabelle 1: Schwierigkeiten im Studium

Tabelle 2: Arten der Diskriminierung

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Das Projekt »Responding to Poverty and Disability through Higher Education and Research (RESPOND-HER)« wurde von der Universität Wien (UW) und der Addis Abeba Universität (AAU) im Rahmen des Hoch-schulkooperationsprogramms APPEAR entwickelt und durchgeführt. Das Projekt endete im Dezember 2014 nach einer Laufzeit von mehr als drei Jahren.

Der Schwerpunkt lag auf der Erforschung der Situation von Studierenden und Universitätsabsolvent/innen mit Behinderung in Äthiopien. Dabei standen die Gegeben-heiten an den Universitäten sowie der Einstieg in das Berufsleben nach dem Studium im Mittelpunkt. Diese Bereiche sind vor allem vor dem Hintergrund des Rechts auf Bildung und Arbeit von hohem Interesse, weil in Äthiopien generell viele Menschen vom Bildungs- und Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind und sich die Situation für jene mit Behinderungen noch komplexer gestaltet.

Das Ziel von RESPOND-HER war es, qualitativ hoch-wertige Forschung über Behinderung durchzuführen und dadurch u. a. auch die Forschungs- und Lehrkom-petenzen aller beteiligten Wissenschaftler/innen zu er-höhen. Die Ergebnisse der Forschung wurden in Folge dazu genutzt, Personen mit Behinderung den Zugang zu Universitäten zu erleichtern. Im Fokus standen unter anderem die Abschaffung baulicher wie auch einstel-lungsbezogener Barrieren von Universitätspersonal, Aufklärung über Menschen mit Behinderung für poten-zielle Arbeitgeber/innen etc. Des Weiteren wurde durch die Erforschung der Arbeitsmarktsituation ein wesent-licher Grundstein für die Erleichterung des Zugangs ge-legt.

Einer der Schwerpunkte im gesamten Projekt waren genderspezifische Aspekte. Durch gezielte Einbezie-hung von Studentinnen mit Behinderung und weib-lichem Universitätspersonal wurden geschlechtsspe-zifische Aspekte, wie Diskriminierung und andere Herausforderungen im Studienalltag, partizipativ erar-beitet und diskutiert. Weibliche Studierende mit physi-scher, Seh- und Hörbehinderung sprachen im Rahmen eines Empowerment Workshops über ihre Erfahrungen, die bei den Organisatorinnen der AAU und der UW mit-unter zu Verwunderung führten. Ein weiterer intensiver Teil des Projekts war der Lehrendenaustausch. Durch die enge Kooperation von jeweils einer/einem Lehrenden

der UW und der AAU ergab sich eine sehr umfangreiche Gelegenheit zum Austausch über Erfahrungen, Vermitt-lung von Wissen und Lehrpraktiken. Daraus ergab sich die Möglichkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Gegebenheiten und die Reflexion der ei-genen Lehr- und Forschungspraxis. Von diesen Austau-schen profitierten auch die Studierenden an den jewei-ligen Universitäten. Dabei gibt es aus österreichischer Perspektive vor allem zu berichten, dass die Motivation und das Interesse der äthiopischen Studierenden über-wältigend war und einen äußerst positiven Eindruck hinterlassen haben.

Flexible Organisationsstrukturen

Viele Erlebnisse beeindruckten und machten es not-wendig, Gegebenes in Frage zu stellen. So kam es in Äthiopien mitunter zu Situationen, in denen die öster-reichischen Projektpartner/innen sich nur mit Improvi-sation und Spontaneität zu helfen wussten. Fehlender Strom, um eine Power Point-Präsentation zu zeigen, sei hier nur beispielhaft erwähnt. Aber wer kennt das nicht? Ein Computer, der den USB-Stick nicht erkennt, ein Be-amer, dessen Batterie gerade dann ausgeht, wenn man es am wenigsten braucht usw.?

Eine Universitätskultur, die man aus einer westlichen Perspektive als schlecht organisiert betrachten könnte,

ermöglichte es innerhalb kürzester Zeit, Räume zu organisieren und innerhalb eines Tages auch bis zu 80 Studierende über eine Veranstaltung zu informieren, die dann auch tatsächlich gut besucht war. Die Universität Wien ist aufgrund diverser organisatorischer Vorgaben weit weniger flexibel. Raumreservierungen müssen hier mitunter schon Monate im Vorhinein erledigt werden, diverse For-malia lassen spontane Veranstaltungen nicht zu. »Bewegungsfreiheiten«, wie sie in Äthiopien möglich sind, eröffnen hingegen oft ein großes Spektrum an zusätzlichen Erfahrungen und gelunge-nem Austausch.

Ein weiterer beeindruckender Aspekt war die Präsenz von Studierenden mit Behinderung am Campus der AAU. Sind Studierende mit sichtbarer Behinderung an der Universität Wien nach wie vor eine Ausnahme, nahmen an Veranstaltun-gen, die im Rahmen von RESPOND-HER organisiert wurden, immer auch Studie-rende mit Behinderung teil. Ein Aspekt, der uns zum Nachdenken brachte und zur gemeinsamen Reflexion anregte.

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Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung im Dezember 2013

Gottfried Biewer | Michelle Proyer | Margarita Schiemer

Über Umwege zueinander findenIn einem gemeinsamen Projekt beforschten Wissenschaftler/-innen das Thema Inklusion im Hochschulsektor in Äthiopien und Österreich.

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Die äthiopischen Partner/innen berich-ten von großen Lerneffekten im Team v. a. durch die Sammlung der Daten, der Projektorganisation, der Interpretation von (vorwiegend qualitativen) Daten und der Finalisierung von Forschungs-berichten. Durch den Austausch und die enge Kooperation konnten v. a. Wissen, unterschiedliche Fähigkeiten in unter-schiedlichen Forschungsmethoden, Er-fahrungen, Arbeitskultur und Ressour-cen geteilt und ausgetauscht werden. Diese wertvollen Erlebnisse wurden von beiden Seiten hoch geschätzt.

Die Forschung führte zudem zu Ergebnis-sen wie z. B. konkreten Vorschlägen und Broschüren zur Verbesserung der Quali-tät der Bildung und des Arbeitsmarktzu-gangs von Studierenden und Absolvent/- innen mit Behinderung. Zusätzlich zeig-ten die Ergebnisse die Notwendigkeit, sich die Gesetzgebung noch einmal kon-kret anzusehen, um Barrieren, die auch dort Wirkung zeigen, zu entfernen.

Insgesamt muss angemerkt werden, dass interkulturelle Kooperationen im-mer mit harter Arbeit von beiden Seiten geprägt sind, weil es zu Beginn häufig zu Missverständnissen kommen kann. Durch unterschiedliche Arbeitskulturen sind Abläufe und Deadlines nicht im-mer leicht zu koordinieren. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, sich

immer genügend Zeit und Raum zu las-sen, um genau diese Herausforderungen ausreichend besprechen und bearbeiten zu können. Dabei sind gegenseitiges Lernen, Geduld und Respekt von äußers-ter Wichtigkeit.

Die Kooperation zwischen den Universi-täten, das sich kontinuierlich steigernde gegenseitige Verständnis wie auch der respektvolle Umgang haben über einige Umwege und Missverständnisse eine solide Basis für weitere Kooperationen gelegt, die sehr motiviert von allen Be-teiligten angestrebt wird.

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Rege Diksussionen bei der Auftaktveranstaltung der Plattform »Bürger schaffen Wissen« im Herbst 2014.

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Das Forschungsteam während des ersten Meetings 2011 an der Addis Abeba Universität

»Behinderung ist eine Realität für mich, aber eine Möglichkeit für alle!« Dieses Transparent befand sich vor der Bibliothek der Addis Abeba Universität.

Das RESPOND-HER-Pro-jekt wurde durch APPEAR gefördert. APPEAR ist ein Programm der Österrei-chischen Entwicklungszu-sammenarbeit.

Gottfried Biewer ist Professor für Sonder- und Heilpädagogik der Univer-sität Wien, Vorstand des Instituts für Bildungswissenschaft, Leiter des Arbeitsbereichs Heilpädagogik und Inklusive Pädagogik in der Abteilung Bildung und Entwicklung.

Michelle Proyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunk-te sind integrative und inklusive Pädagogik, international und interkultu-rell vergleichende Heilpädagogik, Behinderung, Bildung und Entwicklung mit Schwerpunkt Asien.

Margarita Schiemer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunk-te sind international und interkulturell vergleichende Heilpädagogik, Kultur und Behinderung, Armut und Behinderung, integrative und inklusive Pädagogik, Afrika.

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Nikoleta Nikisianli

»Leave no one behind« Wie Inklusion und Disability Mainstreaming durch Hochschulkooperationen umgesetzt werden können.

Inklusion als Querschnittsthema wurde 2015 in die Programm- und Projektabwicklung von APPEAR eingeführt. Doch was lässt sich unter Inklusion und Disability Mainstreaming in Hochschulkooperationen verstehen und wie könnte der Beitrag von Hochschu-len aussehen? Unter Inklusion wird die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung verstanden. Disa-bility Mainstreaming hingegen – also die Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Entwicklungs- zusammenarbeit (EZA) – setzt Maßnahmen, durch die Menschen mit Behinderungen in EZA-Programmen und -Projekten nicht übersehen oder gar diskriminiert werden. Die entwicklungspolitischen Maßnahmen sollen ihnen gleichermaßen zugute kommen.

Der Teufelskreis von Behinderung und Armut

Weltweit leben zirka eine Mrd. Menschen mit irgendei-ner Form der Behinderung, 80 Prozent davon im glo-balen Süden, so die Weltgesundheitsorganisation. Ein Grund dafür ist der Teufelskreis zwischen Armut und Behinderung. Armut kann sowohl Ursache, als auch Folge von Behinderung sein. Weitere Gründe im globa-len Süden sind unter anderem Naturkatastrophen oder die Folgen von Kriegen und bewaffneten Konflikten. EZA-Maßnahmen sollen nicht nur einen Beitrag in der medizinischen Versorgung leisten und somit Behinde-rung rein als medizinisches Problem auffassen, son-dern ebenso die soziale Dimension von Behinderung miteinbeziehen, d. h. Diskriminierungen, die aufgrund einer Behinderung zu sozialer Exklusion führen.

Internationale Richtlinien

Auf internationaler Ebene lassen sich wachsendes Engagement und Verpflichtungen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und Disability Main-streaming erkennen. Die UN-Behindertenrechtskon-vention, welche von Österreich 2008 ratifiziert wur-de, wird als Referenzdokument herangezogen und ist die wichtigste internationale Vorgabe. Hervorge-hoben werden muss insbesondere Artikel 32 der UN- Behindertenrechtskonvention zur internationalen Kooperation, der besagt, dass Entwicklungsprogram-me auch für Menschen mit Behinderung zugänglich sein müssen. Während Disability Mainstreaming in

den Millennium-Entwicklungszielen noch nicht als Ziel definiert war, werden Menschen mit Behinderung explizit in fünf der 17 neuen nachhaltigen Ent-wicklungszielen (SDGs), die 2015 ver-abschiedet wurden, erwähnt. Der Fokus auf benachteiligte Menschen ist nicht mehr zu übersehen. Wichtig ist bei allen SDGs der inklusive Aspekt: »Leave no one behind.«

Inklusion in/durch APPEAR

Durch APPEAR-Projekte werden loka-le Hochschulen unterstützt, um einen Beitrag für die Armutsreduktion in ihren Ländern zu leisten. Die Praxis- und Ergebnisorientierung im Rah-men von APPEAR bedeutet, dass die gesellschaftlich-soziale Dimension in den jeweiligen Ländern berücksichtigt wird und die soziale Realität widerspie-gelt, um eben dadurch sozialen Wandel herbeizuführen. Damit sozialer Wandel stattfinden kann, müssen unter ande-rem soziale Benachteiligungen besei-tigt werden. Hier kommt Inklusion – als Konzept und Desiderat gesellschaftli-cher Gleichbehandlung – ins Spiel.

Im Rahmen von APPEAR soll somit Inklusion in allen Phasen des Projekt-zyklus, d. h. in der Konzeption, der Im-plementierung, der Evaluierung usw. mitgedacht werden. Soziale Benach-teiligungen aufgrund von Behinderung

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können von akademischen Partnerschaften nicht nur aufgespürt, sondern auch adressiert werden. Poten-zielle Interventions- und Forschungsfelder sind nicht nur die Barrierefreiheit an Hochschulen. Darüber hin-aus muss einerseits ein fairer und gleichberechtigter Zugang von Studierenden mit Behinderung zu Hoch-schulbildung, andererseits die Konzeption und Bereit-stellung adäquater Lehr- und Lernunterlagen gesi-chert werden. Die Zusammenarbeit mit universitären Vertretungsbüros von Studierenden mit Behinderung – dort, wo welche vorhanden sind – muss forciert wer-den, sodass diese zum Beispiel bei der Bewerbung von Stipendienprogrammen nicht übersehen werden. For-schung für Entwicklung bedeutet jedoch viel mehr. Durch akademische Partnerschaften können struk-turelle und kulturelle Barrieren empirisch erforscht und daraus Maßnahmen für die Gestaltung inklusiver Hochschulen und Gesellschaften abgeleitet werden. Die Liste potenzieller Aktivitäten und Forschungsfel-der zu Inklusion ist natürlich viel umfangreicher.

APPEAR ist ein Programm der Österreichischen Ent-wicklungszusammenarbeit und wird vom OeAD – von der Abteilung Bildung und Forschung für internatio-nale Entwicklungszusammenarbeit – koordiniert. Das APPEAR-Programm fördert akademische Partner-schaften zwischen Hochschulen in Österreich und in den Schwerpunktländern bzw. –regionen der Österrei-chischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA). ©

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Sandra Allmayer

Internationalisierung und VielfaltWie Synergien von Internationalisierung und Diversitätsmanagement genutzt werden können.

Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass Diversitäts-management im tertiären Bildungssektor Einzug hält – entweder mit hochschulweiten Beauftragten oder einer eigenen Abteilung. Die Ansätze an den Hoch-schulen sind dabei recht unterschiedlich: So imple-mentieren die einen Diversitätsmanagement in ihrer gesamtstrategischen Ausrichtung, die anderen treffen zuerst gezielte Maßnahmen oder initiieren Projekte und dritte positionieren sich vor allem auf der Websi-te. Mögen die Zugänge divergieren, gemeinsam ver-folgen jedoch alle das Ziel, die zunehmende Diversität an Hochschulen sichtbar zu machen: Insbesondere zielt die Blickrichtung »auf Alter, Nationalität, Migrati-onshintergrund, Familienstand und -hintergrund, se-xuelle Orientierung oder Lebensstil und die Diversity-Merkmale soziale und sozio-ökonomische Herkunft, den Bildungshintergrund, (fehlende) Hochschulzu-gangsberechtigung und finanziellen Status, aber auch Behinderung/Beeinträchtigung und den Gesundheits-zustand« (Matuko 2010, 305). Darüber hinaus geht es darum, Maßnahmen zur Chancengleichheit zu setzen – also Menschen in ihrer Vielfalt wertzuschätzen, zu inkludieren und zu fördern. Dass unsere Gesellschaft immer vielfältiger wird und Chancen nicht immer ge-recht verteilt sind, ist unbestritten. Hochschulen tra-gen die gesellschaftliche Verantwortung, diese Vielfalt widerzuspiegeln und Maßnahmen zur Chancengleich-heit zu treffen.

Neuorientierung und Change-Prozess

All dies erfordert eine Neuorientierung der einzelnen Hochschulen und umfassende Change-Prozesse. Die Einstellung und das Verhalten aller arbeitenden und studierenden Menschen an der Hochschule als Berei-cherung zu sehen, ist der Boden, auf dem Individuali-tät und Vielfalt gedeihen können. Dies heißt, einander mit Respekt, Offenheit und Wertschätzung zu begeg-nen und das Andere, das nicht Vertraute, das »Frem-de« nicht zu bewerten. Und hier treffen Internationali-sierung und Diversitätsmanagement aufeinander.

Denn als gemeinsame Basis einer erfolgreichen In-ternationalisierung und eines nachhaltigen Diversi-tätsmanagements versteht sich die Etablierung einer Hochschulkultur, in der alle Menschen willkommen geheißen werden. Herkunft, Geschlecht, Alter, Be-einträchtigungen, Bildungshintergrund etc. spie-

len keine Rolle. Dabei geht es um die Flexibilität und Mobilität aller an der Hochschule arbeitenden und studierenden Menschen, um die Offenheit für Neues und Ungewohntes, um die Bereitschaft, Veränderun-gen zuzulassen und last but not least, um den Willen dazu. Nur so kann Vielfalt gefördert werden, wachsen und Internationalisierung langfristig Erfolg bringen.

Insofern soll im Folgenden auf zwei Zugänge zur Eta-blierung einer hochschulweiten Willkommenskultur eingegangen werden, welche aus den Synergien der Strategien Internationalisierung und Diversitäts- management resultieren und welche an der FH Technikum Wien umgesetzt wurden.

Code of Conduct und Förderung von Mobilitäten

Der erste Zugang betrifft die Etablierung eines Code of Conduct für alle an der FH Technikum Wien arbei-tenden und studierenden Menschen, der unter Einbin-dung aller Interessensgruppen in einer Arbeitsgruppe von 30 Personen entwickelt wurde. Mit diesem Be-kenntnis wurde einerseits dem besonderen Verständ-nis eines partnerschaftlichen Miteinanders Ausdruck verliehen und andererseits auch dazu aufgefordert, eigene Einstellungen, Haltungen und eigenes Ent-scheiden und Handeln hinsichtlich eines inklusiven Umgangs mit Vielfalt – insbesondere in Bezug auf unterschiedliche Kulturen – kritisch zu reflektieren. Auslandserfahrung ist hier ein entscheidender Faktor, denn sich selbst »in der Fremde« mit verschiedenen Kulturen auseinandergesetzt und somit die Perspek-tiven gewechselt zu haben, fördert die persönliche Weiterentwicklung und schafft jenes Verständnis für Vielfalt, welches einer gelebten Willkommenskultur zugrunde liegt. Deshalb wurden – als zweiter Zugang – an der FH Technikum Wien gezielte Maßnahmen getroffen, welche z. B. die Staff-Mobilität im Vergleich zum Vorjahr um 168 Prozent steigerten – ganz im Sin-ne einer gelebten Internationalisierung, oder doch des Diversitätsmanagements?

Quellen: FH Technikum Wien (2014): Unsere Verhaltensgrundsätze: www.techni-kum-wien.at/ueber-uns/die-fhtw-stellt-sich-vor/ Matuko, Bartholomäus (2010). Das Bildungssystem sollte alle Sprachen sprechen. Diversity an Hochschulen – Modelle und Perspektiven. In: Sabine Krönchen (Hrsg.) Vielfalt & Inklusion. Herausforderungen an die Praxis und die Ausbildung in der sozialen Arbeit und der Kulturpädagogik, Schriften des Fachbereichs Sozialwesen der Hoch-schule Niederrhein, Bd 51, 297-335.

MMag. Dr. Sandra Allmayer, MA ist seit 2014 Leiterin des Centre for International Relations sowie seit 2013 Beauftragte für Diversität und Inklusion an der FH Technikum Wien, an der sie auch in den Bereichen interkulturelle Kommunikation, Deutsch als Fremdsprache und Gender und Diversity als Lehrende tätig ist.

infopointwww.technikum-wien.at

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Katharina Kloser

Internationalisierung im berufsbegleitenden Studium

Um Studium, Beruf und Internationalisierung vereinen zu können, werden effiziente Planung und fördernde Rahmenbedingungen benötigt.

Wenn Berufstätige zusätzlich zu ihrer Arbeit studie-ren, dann benötigen sie ein besonders hohes Maß an Energie, um die zeitlichen, organisatorischen und in-haltlichen Anforderungen eines berufsbegleitenden Studiums zu meistern. Die Vereinbarkeit von Studi-um und Beruf nimmt an der FH Campus Wien einen wichtigen Stellenwert ein. Die Verantwortlichen sind sich bewusst, dass an den Student/innen orientierte Lösungen benötigt werden, um den Studienerfolg be-rufstätig Studierender zu sichern und diesen gleichzei-tig zu ermöglichen, ihren beruflichen Alltag reibungs-los zu gestalten.

Die FH bietet für Berufstätige günstige Unterrichts-formen wie Fernlehre, Blocklehrveranstaltungen und einen hohen Anteil an Abendlehre sowie Anrech-nungsmöglichkeiten für facheinschlägige berufliche Praxis. Darüber hinaus sucht die FH nach Wegen, um auch berufsbegleitend Studierenden die Chance zu geben, Internationalisierungserfahrung sammeln zu können. Da für die meisten von ihnen klassische Mo-bilitäten mit Erasmus+ nicht infrage kommen, fördert die FH Campus Wien speziell kurze, für Berufstätige leichter zu realisierende Mobilitäten. Thomas Fischer, Lehrender am Department Technik, organisiert re-gelmäßig Studienreisen ins Ausland. Er meint, dass seine Studierenden das Angebot wahrnehmen, weil sie darin die Chance erkennen, auch in einem kom-pakt organisierten Unterricht aufschlussreiche Einbli-cke in ein ungewohntes Umfeld zu gewinnen. Neben Kurzmobilitäten legt die FH großes Augenmerk auf Internationalisation at Home: Durch internationale Komponenten im Curriculum sowie extracurricula-re Veranstaltungen wird internationale Erfahrung

auch in Wien greifbar. Am Technik-department wird derzeit im Rahmen des MA23-Projekts »I@H« das Modul Internationalisierung mit internationa-len Gastlehrenden implementiert. Auf die Frage, warum die FH Campus Wien mit dem Joint Degree Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit (SOWOSEC) ein in-ternational ausgerichtetes Studium für Berufstätige anbietet, antwortet De-partmentleiterin Brigitta Zierer: »Die Rahmenbedingungen für soziale Arbeit und sozialwirtschaftliche Organisati-onen werden immer stärker durch die Mehrebenenpolitik der EU bzw. inter-nationale Entwicklungen beeinflusst. Viele Studierende haben den Bedarf an internationaler Kooperation erkannt und wollen vermehrt in Arbeitsfeldern und Organisationen mit internationa-ler Schwerpunktsetzung beruflich tätig sein. Unser Masterstudium bietet des-halb verschiedene Lehrinhalte und auch Lehr-/Lernformen, die diesem Interesse gerecht werden.«

»Internationalisierung bedeutet für mich auch, außerhalb des gewohnten Umfelds denken und agieren zu kön-nen«, sagt die SOWOSEC-Studentin Daniela Hirsch. Sie hat sich für ein be-rufsbegleitendes Studium entschie-den, um ihre Kenntnisse für den Job auszubauen und sich persönlich wei-

terzuentwickeln. Hirsch, der Vielfalt sehr wichtig ist, hat diese auch in SOWOSEC gefunden: »Von anderen Ländern und Menschen zu lernen und miteinander im Austausch zu stehen, ist für mich sehr wichtig. SOWOSEC fördert diesen Austausch in unterschiedli-chen Formen.« Die Student/innen verbringen auch ei-nen verpflichtenden zweiwöchigen Studienaufenthalt im Ausland. Effiziente, frühzeitige Planung und die Unterstützung auf Arbeitgeber/innenseite seien das Um und Auf für den Studienerfolg, so Hirsch. Transpa-rente Information über Termine und Arbeitsaufwand sowie finanzielle Ressourcen für den Auslandsaufent-halt würden benötigt. Aufwand, der sich letztendlich lohne und neue Perspektiven eröffne. Und wenn die Motivation dann doch einmal weniger wird? Hirsch: »Dann helfen die Mitstudierenden dabei, das Tief zu überwinden.«

Wie auch im Gespräch mit Daniela Hirsch deutlich wird, ist der Erwerb internationaler Erfahrungen ein wichtiger Bestandteil eines akademischen Studiums. Sie erweitern den Horizont und daraus erwachsende Erkenntnisse sind sowohl von hohem Nutzen für die Studierenden als auch eine Bereicherung für die ge-samte Hochschule. So ist die Integration der Mitar-beiter/innen in den europäischen Hochschulraum um international fachlichen Weitblick zu gewinnen, im Rahmen der Strategie 2020 für die FH Campus Wien von zentraler Bedeutung. Für berufsbegleitend Stu-dierende wäre eine Ausweitung des Programms Eras-mus+ auf Kurzmobilitäten wünschenswert.

Katharina Kloser studierte Kultur- und Sozialanthro-pologie an der Universität Wien und absolvierte im Rahmen ihrer Diplomarbeit einen Forschungsaufenthalt in Nicaragua. Seit 2011 ist sie im International Office der FH Campus Wien tätig. Als Koordinatorin für Internati-onalisation at Home unterstützt sie die Studiengänge dabei, Internationalisierungsprojekte zu initiieren und damit verbundene Aktivitäten zu verwirklichen.

Die Fachhochschule Campus Wien bietet für Berufstätige ein international ausge- richtetes Studium an.

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Lydia Maria Arantes

Strapazen, die sich lohntenEin Auslandsaufenthalt mit Kind ist finanziell, emotional und organisatorisch eine Herausforderung.

Wenn ich daran denke, dass ich vor einem Jahr noch mit meiner damals dreijährigen Tochter in einem kal-ten Zehn-Quadratmeter-Zimmer hauste, während ich am University College London einen sechsmonatigen Auslandsaufenthalt absolvierte, muss ich schmunzeln. Klar – all die unterschiedlichen Strapazen haben sich mehr als gelohnt, weil meine dortige Betreuerin nicht nur fachlich top, sondern auch menschlich wunderbar war. Im Nachhinein kommt mir das Ganze dennoch ein wenig unwirklich vor. Mein Mann absolvierte wäh-renddessen ein Auslandssemester in Dublin, was das ganze Unterfangen finanziell, emotional und organi-satorisch nicht wirklich einfacher machte.

Den Wunsch, ein Auslandssemester zu absolvieren, hatte ich schon lange. Als ich ziemlich bald nach Be-ginn des Doktoratsstudiums schwanger wurde, legte ich diese Pläne auf Eis. Zwei Jahre später lernte ich auf einer Konferenz Wissenschaftler/innen kennen, die in meinem Bereich zu den Koryphäen gehören, und ich wusste, dass ich mit ihnen zusammenarbeiten wollte. Das Organisieren begann. Meine Londoner Betreuerin, zugleich Institutsvorständin des betreffenden Insti-tuts, schlug vor, eine Erasmus-Partnerschaft zu initiie-ren, damit ich die horrenden Gebühren nicht bezahlen müsse. Dies wurde prompt in die Wege geleitet.

Ich verbrachte ein ganzes Jahr damit, Förderanträge zu schreiben, um den Aufenthalt zu finanzieren. Der Kin-dergarten alleine kostete monatlich zirka 1.300 Euro, das besagte Zimmerchen 1.000 Euro. Ich schaffte es, Stipendien einzuwerben, die uns ein monatliches Einkommen von 2.500 Euro verschafften – erheblich mehr, als wir zu dritt in Graz monatlich zur Verfügung hatten. Und dennoch reichte es bei Weitem nicht aus. Öffi-Monatsticket, Verpflegung, fehlendes Mobiliar, ein paar Spielsachen, Kopierkosten etc. beliefen sich auch beim sparsamsten Umgang auf mehrere hundert Euro monatlich. Gut, dass der Eintritt in die zahlreichen

Museen in London gratis ist. Dies bescherte uns die nötige Abwechslung.

Der größte Wermutstropfen war, dass meinem Mann kein Platz an einer Londoner Partneruniversität zuge-teilt wurde. Dadurch konnte ich die wöchentlichen In-stitutsvorträge, auf die ich mich so gefreut hatte, nicht besuchen, weil der Kindergarten zu diesem Zeitpunkt geschlossen war. Da ich tagsüber die meiste Zeit mit Lesen und Schreiben verbrachte und, trotz Arbeitsplatz in einem Großraumbüro mit anderen (Post-)Dok-torand/innen, relativ einsam vor mich hinarbeitete, wären diese Vorträge eine willkommene Gelegenheit gewesen, die Institutsbelegschaft und die jeweiligen Vortragenden besser kennenzulernen und – wie man so schön sagt – zu netzwerken.

Auch wenn ich in dieser Zeit emotional manchmal an meine Grenzen kam, bin ich froh, diesen Schritt ge-wagt zu haben. Meine Londoner Betreuerin hat mich über den Aufenthalt hinaus als offizielle Zweitbetreu-erin bei meiner Dissertation betreut und kam eigens für die Abnahme des Rigorosums im Dezember 2015 nach Graz, wo wir ein paar schöne gemeinsame Tage

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Mit genügend Vorlaufzeit und viel Geduld lassen sich Kind und Studium im Ausland verbinden.

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verbrachten und über meine Zukunft plauderten. Ich werde demnächst mit dem Londoner Institut affiliiert, wor-über ich mich sehr freue.

Zukünftigen Auslandsstudierenden mit Kind möchte ich empfehlen, sich diesen Aufwand nicht anzutun, nur um eine andere Sprache oder Kultur kennen zu lernen. Es muss sich in akademischer Hinsicht lohnen, denn Party spielt es nicht. Auf jeden Fall ist genügend Vorlaufzeit wichtig, um eine Unterkunft zu finden, um die Gelder einzuwerben, um einen Kin-dergartenplatz zu finden etc.

Für meine Tochter wa-ren es übrigens auch aufregende sechs Mo-nate, innerhalb derer sie beinahe fließend Englisch (Dreijährigen-Niveau) sprechen lern-te. Wir lesen immer noch englische Bücher bzw. sprechen »ihre Puppen« manchmal immer noch Englisch, was ich sehr toll finde.

Mag. Dr. Lydia Maria Arantes schloss ihr Doktoratsstudium am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz im Dezember 2015 ab. Sie wurde im Rahmen dieses Studiums an die Gasthochschule University College London nominiert, wo sie sechs Monate verbrachte.

Lydia M. Arantes verbrachte die Freizeit mit ihrer Tochter gerne in den Londoner Museen – im Bild im Natural History Museum.

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Heiko Vogl

Interkulturalität und Diversität in der Pädagog/innenbildung

Mobilität in der Lehrer/innenausbildung fördert die interkulturelle Kompetenz.

Für künftige Generationen von Pädagoginnen und Pädagogen werden internationale Erfahrungen und interkulturelle Kompetenzen immer wichtiger. Die Interkulturalität im Klassenzimmer nimmt stetig zu. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, nicht-deutscher Muttersprache und einem anderen Kul-turverständnis sollen bestmöglich gebildet und auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes vorbereitet werden. Zusätzlich verändert die Globalisierung die künftigen Arbeitswelten radikal. Traditionelle Berufe verschwin-den, neue Berufe werden entstehen und für diese wer-den neue, insbesondere auch interkulturelle Kompeten-zen notwendig sein.

Auch die Pädagog/innenbildung muss auf diese Her-ausforderungen reagieren und ihr Umfeld diverser und interkultureller gestalten. Lehramtsstudierende bilden im Gegensatz zu ihren künftigen Schüler/innen eine sehr homogene Gruppe. Die/der typische Studierende im Lehramt für Primarstufe an Pädagogischen Hoch-schulen ist zwischen 19 und 25 Jahre alt, weiblich, in Österreich geboren und spricht Deutsch als Mutterspra-che. Der Anteil von Ausländer/innen in der Pädagog/- innenbildung ist äußerst gering. Er beträgt beispielswei-se an der Pädagogischen Hochschule Steiermark in der Primarstufenausbildung nur zirka fünf Prozent und in der Ausbildung für das Lehramt an Sekundarstufe weni-ger als 2,5 Prozent. Auch der Anteil an Studierenden, die für ein Semester im Ausland studieren, ist geringer als in anderen Studienrichtungen. Aus diesem Grund forder-ten bereits 2013 deutsche Expert/innen in einer Reso-lution eine stärkere Internationalisierung der Lehramts-ausbildung (DAAD, 2013). Diese Resolution beinhaltet die Implementierung von Mobilitätsfenstern in Studi-engängen, Praxisphasen im Ausland, einen zusätzlichen Anreiz für Studierende, um internationale Erfahrungen zu sammeln, erweiterte interkulturelle Erfahrungen für

Studierende, die Förderung der Incoming-Mobilität, eine Stärkung der Internationalisation at Home so-wie die Ausweitung dieser Maßnahmen für im Dienst stehende Lehrpersonen.

Die Pädagogische Hochschule Steiermark (PHSt) hat diese Herausforderungen erkannt und angenommen. Die Internationalisierungsstrategie der Hochschule wurde angepasst und erste Maßnahmen wurden ge-setzt. Im Zuge der Neugestaltung der Curricula der »Pädagog/innenbildung Neu« wurde für alle Studien-gänge die Empfehlung für eine internationale Mobi-lität aufgenommen. In der Ausbildung zur Primarstu-fenpädagogin/zum Primarstufenpädagogen wurde der Schwerpunkt »Sprachliche Bildung und Diversität« eingerichtet. Dieser Schwerpunkt beinhaltet ein ver-pflichtendes Auslandssemester. Studierende werden sprachlich, organisatorisch und interkulturell auf das Auslandssemester vorbereitet. Sie erhalten eine Einfüh-rung in die Zusammenhänge von Diversität und Diskri-minierungspraktiken in Gesellschaften und reflektieren über gesellschaftliche und individuelle Verantwortung im interkulturellen Kontext. Ein inhaltlicher Schwer-punkt dieser Prä-Mobilitätsphase ist der Erwerb von »Language and Cultural Awareness«. Zusätzlich wird eine weitere Fremdsprache erworben. Nach Rückkehr aus dem Auslandssemester, in der Post-Mobilitäts- phase, wird über das Auslandssemester in der Gruppe reflektiert. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt dabei in »Global Citizenship Education«. In vielen Lehrveran-staltungen des Schwerpunkts werden die Studierenden gemeinsam mit Erasmus-Incoming-Studierenden un-terrichtet.

Zusätzlich gibt es für Incoming-Studierende seit dem Wintersemester 2015/16 den englischsprachiger Lehr-gang »International Teacher Competences«. In diesem

Lehrgang werden internationale und österreichische Studierende mit im Dienst stehenden Lehrer/innen gemeinsam unterrichtet. Alle oben genannten Maß-nahmen werden seit 2016 an der PHSt vom neu gegründeten Institut für Diversi-tät und Internationales durchgeführt und koordiniert. Die PHSt leistet damit einen nachhaltigen Beitrag für die Internatio-nalisierung in der Pädagog/innenbildung und ermöglicht es künftigen Lehrer/- innen, erste interkulturelle Erfahrungen zu sammeln.

Heiko Vogl, MA BEd ist stellvertretender Leiter des Instituts für Diversität und Internationales, Bereichsleiter für Interna-tionales und Lehrender an der Pädagogi-schen Hochschule Steiermark. Er betreut die Website www.european-teachers.eu und betreibt den Blog www.erasmus-jour-nal.eu. Vogl ist Herausgeber des Erasmus+ Journals. Seine Arbeits- und Forschungs-schwerpunkte liegen im Bereich Internati-onalisierung, digitale Kommunikation und »Technologie Enhanced Learning«.

Literatur: DAAD (2013, August 11). Lehrerbildung muss internationaler werden. Abgerufen von www.daad.de/presse/pressemitteilungen/de/32578-lehrerbildung-muss-internationaler-werden/Frey, C. B., Osborne, M. A. (2013): The future of employment: how susceptible are jobs to computerisation

Die Schulklassen werden »internationaler« und darauf muss die Pädagog/innenausbildung reagieren.

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Christine Kladnik

Alles inklusive: eTwinningWie können eTwinning-Projekte zur inklusiven Schulentwicklung beitragen?

Dass die Umsetzung der Ziele eines inklusiven Bildungs-systems keine Frage des »Ob«, sondern eine Frage des »Wie« ist, kann spätestens seit der Ratifizierung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderung (BRK, 2006) und der Entwicklung des Nationalen Aktions-plans Behinderung 2012–2020 (BMASK, 2012) festge-stellt werden.

Eine umfassende Behandlung des Themas Inklusion würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Die the-oretische Grundlage kann somit nur aus einer kurzen Begriffsklärung bestehen.

Was ist inklusive Pädagogik?

Eine der umfassendsten Definitionen wurde bereits sehr früh von Georg Feuser formuliert, er benutzte damals noch den Ausdruck »integrativ«: »Integrative ist eine Allgemeine Pädagogik, in der alle Kinder und Schüler in Kooperation miteinander, auf ihrem jeweiligen Ent-wicklungsniveau, nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen, in Orientierung auf die ›Zone der nächsten Entwick-lung‹, an und mit einem ›gemeinsamen Gegenstand‹ spielen, lernen und arbeiten.« (Feuser 1995, S. 168)

Wie kann nun ein eTwinning-Projekt den Ansprüchen einer inklusiven Pädagogik im Sinne dieser Definiti-on entsprechen und damit zur inklusiven Schulent-wicklung beitragen? Diese Frage soll am Beispiel eines Projekts, das an der Neuen Mittelschule Gaming im Schuljahr 2014/15 mit den Schüler/innen der damali-gen 3a (Integrationsklasse) durchgeführt wurde, ge-klärt werden. Dazu vorerst eine kurze Vorstellung des Projekts, über das sich Interessierte auch auf der Web-seite www.project14-15.weebly.com ein Bild machen können.

Die Projektidee ergab sich aus dem Jahresthema »Österreich« in Geografie und wurde gemeinsam mit den Schüler/innen entwickelt. Es sollte eine Webseite entstehen, auf der alle Projektpartner die für sie inte-ressantesten und wichtigsten Fakten zu ihren Ländern darstellen und präsentieren. Im Projekt arbeiteten 20 Klassen (verschiedene Schularten von der Förderschu-le bis zum Gymnasium) aus 14 europäischen Ländern zusammen. Das Projekt wurde über den gesamten Zeit-raum des Schuljahrs durchgeführt.

Hier soll das Projekt nun mit der Definition zur inklu-siven Pädagogik von Feuser (vgl. oben) in Verbindung gesetzt werden:Integrative ist eine Allgemeine Pädagogik ...Das Projekt wurde mit allen Schüler/innen geplant und gestaltet, dabei spielten Kategorien wie »behindert-nicht behindert«, »sonderpädagogischer Förderbedarf«, usw. keine Rolle. Die Inhalte des Projekts orientierten sich am allgemeinen Curriculum der beteiligten Fächer und wurden fächerübergreifend aufbereitet. ... in der alle Kinder und Schüler in Kooperation mit-einander, auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau, nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen ...Projektarbeit erfordert hohe Kompetenzen im Bereich Kooperation. Alle Schüler/innen konnten sich hier wei-terentwickeln. Sehr bewusst wurde von allen Beteiligten in der Planung und Umsetzung darauf geachtet, dass die Stärken und Interessen jeder Schülerin und jedes Schülers (aber auch der Lehrkräfte) als Ressource für das Projekt genutzt wurde. So gab es z. B. einen Schüler, der große Fähigkeiten im Bereich Fotografie und Video hatte bzw. auch die Ausrüstung dafür zur Verfügung stellte, ein anderer konnte seine besonderen musikali-schen Talente nutzen. Einige andere konnten ihre guten Englischkenntnisse für die Übersetzung der Texte einset-zen, andere waren besonders kreativ bei der Gestaltung der Weihnachtskarten. Ein Schüler wurde durch seine Sprachkenntnisse im Skype Meeting mit der türkischen Partnerschule zum Dolmetscher, ein anderer brachte sich mit seinem Spezialinteresse für Geschichte ein usw.... in Orientierung auf die »Zone der nächsten Ent-wicklung« ...Viele der Vorgaben zur Gestaltung ihrer Beiträge brach-ten Herausforderungen für Schüler/innen mit sich, an denen sie »wachsen« konnten.... an und mit einem »gemeinsamen Gegenstand« spielen, lernen und arbeiten.Projektunterricht ist in besonderer Weise geeignet, in »ganzheitlicher Weise (...) Lerninhalte intensiv zu

verstehen, aktiv zu bearbeiten und handlungsbezogen eigene Interessen aufzubauen«, dabei »enge Fachgrenzen zu überschreiten und Fachinhalte mitei-nander zu erfahren«. Projekte gehören somit zu den wichtigsten Methoden der inklusiven Didaktik. (vgl. Reich 2014)

Weitere inklusive Aspekte

Durch die breite, fächerübergreifende Gestaltung des Projekts ergaben sich neue Impulse in der Teamarbeit zwi-schen den beteiligten Pädagog/innen. Zudem gaben die Lehrer/innen in der Evaluation des Projekts an, dass sie »ei-nen anderen Blick« auf die Schüler/innen bekommen hätten.

Zum Schluss ein kurzes Zitat aus einem der Interviews: »Man lernt die Kinder an-ders kennen: ihre Vorlieben und Stärken – ob beim Filmen oder Kochen – oder auch ihre Kreativität.« Dieser »andere Blick« und die Wertschätzung der individuellen Ressourcen und Stärken jedes einzelnen Kindes sind Grundvoraussetzung einer inklusiven Pädagogik der Vielfalt.

Christine Kladnik ist an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich am Institut Elementar- und Grundstufenpädagogik tätig.

Literaturverzeichnis:BMASK (2012): Nationaler Aktionsplan Behinderung 2012–2020. Strategie der österreichischen Regierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Inklusion als Menschenrecht und Auftrag, Wien: Bundes- ministerium für Arbeit, Soziales und Konsumen-tenschutzBRK (2006): UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen. (Online-)Original-fassung vom 13.12.2006, offizielle deutsche ÜbersetzungFeuser, G. (1995): Behinderte Kinder und Jugend-liche. Zwischen Integration und Aussonderung. Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft.Reich, K. (2014): Inklusive Didaktik. Bausteine für eine inklusive Schule. Weinheim und Basel, Beltz Verlag

Lehrer/innen und Schüler/innen der Neuen Mittelschule Gaming bei der eTwinning-Preisverleihung

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Wolfgang Zeiler

Das Poly als modulare Berufsvorbereitung

Gezielte Kooperationen zwischen Unternehmen im Triestingtal und der Polytechnischen Schule wirken als Motor für die ganze Region.

»WIR bilden die Zukunft« lautet das Motto unserer Schule, der Polytechni-schen Schule in Pottenstein. Das ist die Nachbargemeinde von Berndorf, dem größten Ort im Triestingtal. Seit Alfred Krupp sein Werk hier gegründet hat, dreht sich vieles um das Thema Metall und Metallverarbeitung.

Heute sind in der Region einige Un-ternehmen angesiedelt, die zum Teil weltweit operieren oder sogar Welt-marktführer in ihrem Sektor sind. Das Angebot an interessanten Arbeitsplät-zen ist groß und trotz wirtschaftlicher Höhen- und Sinkflüge sind die Chancen für Jugendliche, die einen qualitativ hochwertigen Ausbildungsplatz su-chen, prinzipiell gut.

Dennoch beklagt sich die Wirtschaft vor Ort seit einigen Jahren über das sinken-de Niveau der stellensuchenden Bewer-ber/innen. Und auch wenn früher noch schwächer begabte Lehrlinge aufge-nommen werden konnten, erlauben es heute weder die Berufsanforderungen noch der Konkurrenzdruck, ungeeigne-te Bewerber/innen einzustellen. Eine Situation, die einige dieser Betriebe zu ungewöhnlichen Denkansätzen trieb,

wovon unsere Schule durchaus profi-tiert.

Begonnen hat es damit, dass ich von ei-nem Ausbildungsleiter kontaktiert wur-de, der befürchtete, dass die Lehrlinge, die sein Vorgänger aufgenommen hat-te, die Berufsschule nicht positiv ab-schließen würden. Und das würde den Ruf der Firma schädigen und sei daher undenkbar. Und ob ich wüsste, was man dagegen tun könne.

Die Lösung war ein engagierter Kollege aus meiner Schule – und wir haben zum Glück einige davon! Er ist »gelernter« Elektriker und hat sich bereit erklärt, mit den Jugendlichen einige Stunden pro Woche in Form einer betriebsinternen Schulung zu üben, um ihre schulischen Defizite aufzuarbeiten.

Das war nicht nur ein erfolgreicher Schnellschuss, sondern der Beginn einer langen und intensiven Zusammenar-beit – auch mit allen anderen Metall-betrieben der Region. Denn diese sind untereinander durch ein Netz an jungen und sehr motivierten Ausbildnern ver-bunden, was wiederum ungewohnte Kooperationen ermöglichte.

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Aber auch wir als Schule waren gezwun-gen, neue Möglichkeiten zu suchen. Wir fanden sie in Form von Modulen, die unseren Schulalltag tatsächlich berei-cherten.

Die Problematik war, unsere Schüler/-innen möglichst gut auf die Aufnahme-tests vorzubereiten, die immer früher durchgeführt werden. Daher bleibt uns immer weniger Zeit zum Üben und Fes-tigen der Inhalte. Und auch die Defizite, die die Jugendlichen aus den bisherigen Bildungswegen mitbringen, sind leider unübersehbar und werden rapide grö-ßer!

Der Modulunterricht sollte hier ge-genwirken, weil die Schüler/innen die Reihenfolge der einzelnen Module frei wählen können. Dabei gibt es je zwei Module pro Semester und je zwei aus der technischen und aus der kaufmän-nischen Mathematik. Jedes Modul wird von einer anderen Lehrperson gelei-tet. Das bedeutet, dass die Schülerin/der Schüler im Lauf des Jahres von vier Lehrer/innen unterrichtet und beurteilt wird, was eine gewaltige Objektivie-rung der Leistungsbeurteilung mit sich bringt. Und auch die Klassenzusam-

mensetzung ändert sich viermal pro Jahr in diesem Gegenstand, was sowohl von den Schüler/innen als auch von den Lehrer/innen als positiv empfunden wird.

Insgesamt konnten wir bei diesem Modell keine negativen Begleiterschei-nungen erkennen, weshalb wir es heu-er auch auf das Fach Deutsch erweitert haben und im kommenden Jahr pla-

nen, den Englischunterricht ebenfalls in der Form zu organisieren. Einmal mit dem Umdenken begonnen, haben wir eine Reihe von Ideen verwirklicht, die ich aus Platzgründen hier nur kurz anreißen kann. Der Hintergedanke dabei ist, die Schule als Teil des Alltags zu sehen. So haben wir eine Diplom-Babysitter-Aus- bildung mit Ärzt/innen, Krankenschwestern, Hebam-men und Kindergärtner/innen ins Leben gerufen, bie-ten in Kooperation mit einer Fahrschule den Moped-Führerschein an, haben ein eigenes Schulradio-Studio und fahren mit interessierten Jugendlichen regelmä-ßig ins Theater nach Wien, um zu zeigen, dass Freizeit auch einmal so sein kann.

All diese Bemühungen kosten nur Engagement, aber kaum Geld, sind organisatorisch relativ leicht zu be-werkstelligen – und können der zukünftigen Genera-tion an Facharbeiter/innen Perspektiven zeigen und helfen, einen Platz für den Einstieg in das Berufsleben zu finden. Denn der schlechteste Ausbildungsplatz ist der, den man nicht bekommen hat. Und das können wir uns nicht leisten, denn »WIR bilden die Zukunft!«.

Wolfgang Zeiler leitet seit zehn Jahren die Polytechnische Schule Pottenstein, an der er seit 33 Jahren arbeitet. Dort bereitet er im Schnitt 75 Schüler/innen, die Volks- und Hauptschule erfolgreich absolviert haben, im gesetzlich verpflichtenden neunten Schuljahr auf ihre Berufswahl und ihr späteres Berufsleben vor. Ziel ist es, für möglichst alle eine Lehrstelle zu finden, bevorzugt im Triestingtal.

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Pottenstein

WIR bilden die Zukunft!Neben den klassichen Fachbereichen Büro und Handel, Dienstleistungen, Elektrotechnik, Holz und Bau, Mechatronik, Metall und Tourismus werden in Abstimmung mit den Wirtschaftsbetrieben in der Region in Modulen spezielle Berufsvorbereitungskurse angeboten.

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Ovagem Agaidyan | Kerstin Nemec-Seipenbusch

Tandem now Mentoring through Role Models for Migrant Youth and Youth from Ethnic Minorities – ein erfolgreiches EU-Projekt im Bereich der Berufsbildung (Leonardo da Vinci Innovations-transfer) stellt sich vor.

berücksichtigt wird: Die Mentor/innen stammen idealtypischerweise aus dem-selben Kulturkreis wie ihre Mentees und wirken damit als »Role Models«. Dieser Umstand bringt einen großen Startvor-teil gegenüber klassischem Mentoring mit sich. Eine weitere Neuheit stellt die Nutzung der neuen Medien in der Kom-munikation der Mentoring-Paare dar. Dieses »Blended Mentoring« besteht sowohl in Präsenz- als auch Online-Treffen (E-Mail, Facebook etc.), was eine weitgehende Unabhängigkeit von Raum und Zeit erlaubt.

Um die Zielgruppen optimal anzu-sprechen, wurden von vornherein Projektpartner ausgewählt, die seit vielen Jahren Menschen mit Wurzeln in bestimmten Ethnien bzw. Herkunfts-ländern betreuen: Exchange House (Traveller), Mozaik (Türkei, Georgien, tscherkessische Ethnie, Roma), CESIE (Tunesien, Marokko, Nigeria, Bangla-desch, Pakistan, Mauritius, Senegal), BBQ (Italien, Spanien, Polen), GOIZTIRI (Argentinien, Nicaragua, Äquatorial-Guinea, Senegal, Marokko), Verein Multikulturell (Türkei, kurdische Ethnie,

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In vielen europäischen Ländern können Jugendli-che mit Migrationshintergrund oder aus ethnischen Minderheiten in ihrer Familie bzw. in ihrem sozialen Umfeld kaum auf Vorbilder in zukunftsorientierten Berufsfeldern zurückgreifen. Die jungen Menschen streben im besten Fall traditionelle Ausbildungen und Berufe an, andere Berufsfelder kommen für sie und ihre Familien nicht in Frage oder sie trauen sich eine solche Wahl nicht zu.

Die Studie »Lebens- und Erwerbssituation ar-beitsmarktferner Jugendlicher mit Migrations-hintergrund in Tirol« von Gudrun Biffl und And-reas Steinmayr (Donau-Universität Krems) und Natalia Wächter (Österreichisches Institut für Ju-gendforschung) zeigt, dass diese Gruppe von Jugend-lichen eine spezifische Berufsorientierung und Be-treuung beim Berufseinstieg (bei der Lehre) braucht: www.pakte.at/literatur/3/4423.html

Diese und ähnliche Erkenntnisse treffen nicht nur in Österreich zu, sondern auch in den Ländern der Pro-jektpartner. Zur Herstellung des direkten Bezugs zu den Erkenntnissen der Arbeitsmarktforschung wurde das EU-Projekt »Tandem now« in externer Evaluation von Prof. Biffl begleitet.

Es hat sich als sinnvolle Methode erwiesen, den jun-gen Menschen Begleiter/innen, sogenannte Mentor/-innen zur Seite zu stellen, die ihren Mentees erstre-benswerte Berufsfelder aufzeigen und sie an diese unterstützend heranführen. Dieser Ansatz ist nicht neu – Tandem now geht aber einen Schritt weiter, in-dem der soziokulturelle Hintergrund der Beteiligten

Kick-off-Meeting an der VHS Tirol/Verein Multikulturell, Februar 2013, Innsbruck Bergisel, Cultural Programme (v.l.n.r.): Nazile Öztürk (TR), Kristina Breščanović (Verein Multikulturell, AT), Luisa Ardizzone (IT), Carlos Romera (ES), Kerstin Nemec-Seipenbusch (VHS Tirol, AT), Ronald Zecha (VHS Tirol, AT), Susanne Dieing (DE), Emma Parsons (IE), Dearbháil Lawless (IE), Irene Pizzo (IT)

Projekttreffen bei CESIE (Centro Studi Ed Iniziative Europeo) in Palermo, September 2014 (v.l.n.r.): Tatiana Mazur CESIE (IT), Catherine Morley (IE), Kerstin Nemec-Seipenbusch (AT), Silvia Ciaperoni (IT), Irene Pizzo (IT), Elvira Reitshammer (AT), Susanne Dieing (DE), Carlos Romera (ES), Emma Parsons (IE), Dearbháil Lawless (IE), Ömer Düzgün (TR), Ovagem Agaidyan (AT)©

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Ungarn, Ägypten, Bosnien, Serbien). Die bestehenden Netzwerke und Struk-turen konnten für die Rekrutierung der Mentor/innen und die Akquise der Mentees verwendet werden und er-wiesen sich als sehr effektiv. Auf dieser Basis erwarten sich die Partner auch eine Nachhaltigkeit bei der Integration der Projekterkenntnisse in die tägliche Arbeit mit den Zielgruppen. Darüber hinaus wird »Blended Mentoring« in die normale Praxis für Berufs- und Lauf-bahnberatung integriert. Methoden wie »Cyber-Beratung« verbessern und erweitern den Beitrag von Berufsbera-ter/innen zur individuellen Entwicklung

von Bewerber/innen. Dieser Umstand unterstützt die Umsetzung der Lissabon-Strategie – sowohl durch die kosteneffiziente Förderung von Innovationen im Bereich der Laufbahnberatung als auch durch eine verbesserte Vermittelbarkeit und eine erhöhte Anpassungs- fähigkeit der Arbeitnehmer/innen.

Die Zusammenarbeit aller Projektpartner war im Übrigen nicht nur blendend, sondern auch »blended«: Zwischen den drei großen Part-nertreffen (Kick-off in Innsbruck im Februar 2013, zweites Partner-treffen in Bilbao im Oktober 2013, Abschlusstreffen in Palermo im September 2014) war naturgemäß E-Mail das Kommunikations-mittel der Wahl. Darüber hinaus fanden insgesamt sieben Skype-Konferenzen statt, in denen Themen diskutiert, Entscheidungen ge-troffen und Projekt-Meilensteine vereinbart wurden – also ganz im Sinne von Tandem now.

Mag.a Kerstin Nemec-Seipenbusch wurde1960 in Köln geboren, seit 1972 lebt sie in Österreich, 1987 schloss sie das Über-setzerstudium Englisch und Italienisch ab. Seit 1991 ist Nemec-Seipenbusch bei der VHS Tirol tätig, zunächst als Kurs-leiterin und Zweigstellenleiterin der VHS Innsbruck-West, seit 1999 pädagogische Mitarbeiterin (Organisation und Pro-grammplanung). Sie hat Fortbildungen im Bereich Interkulturalität absolviert und ist Integrationsbeauftragte der VHS Tirol, Projektleiterin bzw. –mitarbeiterin bei EU-Projekten und nationalen Projekten in Zusammenarbeit mit dem Verein Multikulturell.

Ovagem Agaidyan, MA wurde 1965 in Istanbul geboren, ist seit 1985 in Österreich und hat 2007 das Master-studium »Interkulturelle Kompetenzen« abgeschlossen. Agaidyan hat zwölf Jahre als Minderheitenredakteur beim ORF gearbeitet, war sechs Jahre Mitglied der Menschenrechtskommission für Tirol und Vorarlberg und ist seit 1989 Gerichts-dolmetscher. 1993 gründete er den Verein Multikulturell/Tiroler Integrations-zentrum und leitet diesen seit 1999. 1997 gründete er der Kindervilla und ist seither deren Geschäftsführer.

Verein Multikulturell, Oktober 2014, Innsbruck:Abschlussveranstaltung mit Mentor/innen

Tandem now – Factsheet

Art des Projekts: Leonardo da Vinci Innovationstransfer

Vertragnehmende Einrichtung: Volkshochschule Tirol Projektkoordinator: Verein Multikulturell

Kontakt: Kerstin Nemec-Seipenbusch, VHS Tirol Ovagem Agaidyan, Verein Multikulturell

Partner: Æ Exchange House National Travellers Service (TRIBLI Ltd.), Irland Æ Mozaik – Human Resources Development, Türkei Æ CESIE Centro Studi ed Iniziative Europeo, Italien Æ BBQ Berufliche Bildung gGmbH, Deutschland Æ ASOCIATION GOIZTIRI ELKARTEA, Spanien

Projektlaufzeit: 1. Dezember 2012 bis 30. November 2014 (24 Monate)

Weitere Informationen auf www.tandemnow.eu

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Treffen mit Mentor/innenbei Mozaik in Samsun, Türkei

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oead.news im Gespräch mit Walburga Fröhlich

Chancengleichheit und InklusionZiel des Sozial-Unternehmens atempo ist es, dass alle Menschen gleichberechtigt miteinander leben, lernen und arbeiten können.

Erasmus+ fördert Chancengleichheit und Inklusion, indem Lernenden aus benachteiligten Ver-hältnissen der Zugang zu den bestehenden Angeboten erleichtert wird. Die Benachteiligungen der angesprochenen Zielgruppe resultieren aus persönlichen Schwierigkeiten und Hindernissen, die einer Beteiligung an länderübergreifenden Projekten entgegenstehen oder die Möglichkeiten einer Beteiligung zumindest beschränken.

Die atempo GmbH führt bereits seit vielen Jahren grenzüberschreitende Projekte im Bereich der Inklusion durch. Wir haben bei der Geschäftsführerin der atempo GmbH, Walburga Fröhlich, nachgefragt, wann man von einem inklusiven Projekt sprechen kann und welche Rahmenbedin-gungen nötig sind, um die Förderung von Inklusion im Sinne des Programms Erasmus+ weiter vorantreiben zu können.

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oead.news: Welche Zielgruppen werden von atempo an-gesprochen? Walburga Fröhlich: Prinzipiell sprechen wir alle Lernen-den mit den unterschiedlichsten Hintergründen an, und genau das ist es, was Inklusion ausmacht. Denn bei In-klusion gilt es, Menschen mit kognitiven, körperlichen oder auch sozialen Beeinträchtigungen buchstäblich nicht zu behindern und ihnen den barrierefreien Zu-gang zu den unterschiedlichen Angeboten zu ermögli-chen.

oead.news: Was bedeutet aus Ihrer Sicht Inklusion (im Unterschied zur Integration)?Walburga Fröhlich: Im Unterschied zu Integration, bei der der Fokus und die Erwartungen eher bei den beein-trächtigten Menschen liegen, geht es bei der Inklusion darum, die gesamte Gesellschaft in die Verantwortung einzubeziehen. Inklusion geht über die reinen Angebote für bestimmte Zielgruppen und die Einteilung in Kate-gorien hinaus und hat den Anspruch, alle Angebote so offen wie möglich zu halten. Diese Offenheit macht In-dividualität möglich und lässt Verschiedenheit in einem positiven Licht erstrahlen. Inklusion ist dann erfolg-reich, wenn wir von speziellen Angeboten für bestimm-te Zielgruppen wegkommen und unsere Angebote per se so gestalten, dass der Zugang für alle Menschen in ihrer Verschiedenheit ermöglicht wird. Im Bildungs- bereich sollte diese Verschiedenheit als Selbstverständ-lichkeit gesehen werden.

oead.news: Was können Bildungsprogramme generell für eine positive Entwicklung zu mehr Inklusion leisten?Walburga Fröhlich: Wichtig wäre es nach wie vor, Pro-jekte besonders zu fördern, die der Wissensgenerierung und der Erprobung von Innovationsideen im Bereich der Inklusion dienen. Des Weiteren sollten aus unserer Sicht Bildungsprogramme auch vermehrt jene Einrich-

tungen ansprechen, die nicht per se als Bildungseinrichtungen definiert sind (Vereine, NGOs etc.), weil Personen mit Beeinträchtigungen oft nicht an klassi-schen Bildungseinrichtungen lernen.

oead.news: Das Programm Erasmus+ hat mit seiner Einführung im Jahr 2014 ein klares Zeichen für mehr Inklusion in EU-Projekten gesetzt – wie stehen Sie dieser Zeichensetzung gegenüber?Walburga Fröhlich: Das Programm Erasmus+ hat einen sehr positiven Bei-trag für die Förderung von Inklusion geleistet, indem es durch die Hervorhe-bung des Themas an sich ein Statement gesetzt hat. In der Vergangenheit wurde ein Fokus darauf gelegt, Projekte zu för-dern, die sich speziell an Personen mit Beeinträchtigung richten. Erasmus+ hat sich zu dem Anspruch bekannt, Anreize zu schaffen, um Barrierefreiheit im Sinne der Inklusion in allen Projekten bereichs-übergreifend zu ermöglichen. Durch das Programm ist es möglich, Personen mit körperlichen, kognitiven oder sozialen Beeinträchtigungen an verschiedenen Projekten teilnehmen zu lassen und eine 100-prozentige Förderung dafür zu bekommen. Verbesserungspotenzial sehen wir bei den Anträgen. So wäre ein wesentlicher Faktor die Frage nach Inklu-sion bei jedem Projektantrag. Das hätte zur Folge, dass sich jede antragstellende Einrichtung mindestens einmal mit der Frage auseinandersetzt und somit ein Bewusstsein geschaffen wird. In weite-

rer Folge wäre dann natürlich eine Berücksichtigung der Inklusivität der Projekte in der Antragsbewertung wünschenswert, sodass ein weiterer Anreiz für die Ein-richtungen geschaffen wäre, Inklusion zu ermöglichen.

oead.news: Das Programm Erasmus+ läuft bis 2020 – was muss Ihrer Meinung nach bis dahin passiert sein, um sagen zu können, man habe Inklusivität zu 100 Prozent gefördert?Walburga Fröhlich: 100-prozentige Inklusion ist dann erreicht, wenn in allen Bereichen, Programmen, auf allen Ebenen und in allen Funktionen (sowohl in den Projekten als auch in der Verwaltung des Programms) mindestens 15 Prozent der Beschäftigten Personen mit Beeinträchtigungen sind. Diese 15 Prozent entsprechen dem realen Anteil von beeinträchtigten Menschen an der Gesamtbevölkerung.

oead.news: Stichwort Barrierefreiheit – wann kann ein Projekt behaupten, in ausreichendem Maße barrierefrei zu sein? Welche Ebenen müssen berücksichtigt werden? Walburga Fröhlich: Ein Projekt ist dann barrierefrei, wenn es keine Hindernisse für Teilnehmer/innen mit Beeinträchtigungen gibt. Das fängt dabei an, dass die Ziele, Inhalte und Abläufe leicht verständlich sein müs-sen. Diese leichte Verständlichkeit sollte sowohl für die Teilnehmer/innen als auch für externe Einrichtungen gegeben sein (Darstellung der Projektergebnisse). Das Projekt sollte Flexibilität (Zeitplanung, Infrastruktur) ermöglichen, damit Raum für Verschiedenheit gegeben ist. Des Weiteren müssen Medien der Informations- vermittlung im technischen, aber auch im infrastruktu-rellen Sinne barrierefrei sein.

oead.news: Welche Tipps und Erfahrungswerte können Sie potenziellen Projektträgern mitgeben, die ihr Mobilitäts- oder Partnerschaftsprojekt inklusiv gestalten wollen?Walburga Fröhlich: Mein Tipp: Keep it simple! Erhöhte Komplexität eines Projekts soll kein Qualitätsmerkmal sein, die Verständlichkeit für alle muss gegeben sein. Weiters würde ich raten, sich Personen mit Beeinträch-tigungen ins Projektteam zu holen und Beratung durch Expert/innen wie atempo, die über Projekterfahrung verfügen, in Anspruch zu nehmen. Inklusives Projekt-management ist ein Mehrwert für alle!

Danke für das Gespräch, Anna Diop

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Nina Prinz

Erasmus+ Forum Inklusion und Bildung

Am 14. und 15. März 2016 findet in Wien eine Veranstaltung zum Schwerpunktthema »Inklusion und Bildung« statt.

Die Förderung von Chancengleichheit und Inklusion ist ein zentrales Anliegen des EU-Programms Eras-mus+. Möglichst viele Menschen sollen von den För-dermöglichkeiten in Erasmus+ profitieren, insbeson-dere auch jene, die wenige bis kaum Chancen haben, an solchen Programmen teilzunehmen.

Erasmus+ bietet zudem neue Möglichkeiten der Ko-operation: In Projekten können im Zusammenwirken verschiedenster Akteur/innen Ansätze und Produkte erarbeitet werden, die dazu beitragen, dass Inklusion in der Bildung funktioniert.

Als Antwort auf die neuen Herausforderungen, mit denen die Europäische Union aktuell konfrontiert ist, insbesondere in Zusammenhang mit den tragischen Terrorattacken der jüngsten Vergangenheit und den Flüchtlingsströmen nach Europa, soll Erasmus+ auch verstärkt als Instrument genutzt werden, Aktivitäten, die zur Förderung der Toleranz, des interkulturellen Verständnisses und zum Abbau von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit beitragen, zu unterstützen.

Bildung und Jugend spielen in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Die Europäische Kommission plant dazu unter Erasmus+ die Veröffentlichung von Sonderauf-rufen für Projekte im Jahr 2016. Darüber hinaus sind Aktivitäten bei der Antragstellung für dezentrale Pro-jekte in allen Bildungsfeldern und der Jugend möglich.

Im Rahmen einer längerfristig angeleg-ten Kooperation aller deutschsprachi-gen Erasmus+ Nationalagenturen aus den Bereichen Bildung und Jugend wur-de das Thema »Inklusion und Bildung« daher auch als Schwerpunktthema für die Zusammenarbeit 2015 und 2016 gewählt. Vor diesem Hintergrund fin-det am 14. und 15. März 2016 die Ver-anstaltung »Erasmus+ Forum – Inklusi-on und Bildung« statt.

Sieben Foren zu inhaltlichen Schwer-punktsetzungen im Themenfeld »Inklu-sion und Bildung« setzen sich exempla-risch mit Fragestellungen auseinander, wie benachteiligte Zielgruppen am Programm Erasmus+ teilnehmen kön-nen, welche erfolgreichen Projekte zum Thema Inklusion bereits erarbeitet wur-den, wie die Implementierung der Er-gebnisse in den Alltag gelungen ist und wo zukünftige Kooperationen möglich und zielführend erscheinen.

Beleuchtet werden die folgenden Themenfelder: Menschen mit beson-deren Bedürfnissen und Fähigkeiten; Erasmus+ für alle: Zugang zu Bildung

für sozial benachteiligte junge Menschen; Generati-on 50+ – Beteiligung an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft; Drop-out und Reintegration in Bildung und Beschäftigung; Partizipation und Beteiligung: Wegweiser zu mehr Inklusion – Respekt, Abbau von Vorurteilen, Rassismus und Diskriminierung; die sozi-ale Dimension des Zugangs zur Bildung; Flüchtlinge, Asylsuchende und Migrant/innen.

Mit Expert/innen im Themenbereich und erfolgrei-chen Projekten sollen vorhandene Beispiele guter Praxis analysiert, bestehende Defizite aufgezeigt und Möglichkeiten zur Erarbeitung von Lösungsansätzen über Erasmus+ diskutiert werden.

Bei einer Projektausstellung werden bestehende Vor-haben aus dem Programm Erasmus+ zu den gewähl-ten Themenstellungen präsentiert, um die Bandbreite der Projekte zum Themenfeld Inklusion und Bildung in allen Bildungsfeldern und der Jugend sichtbar zu machen.

Bei näherem Interesse an der Veranstaltung und den konkreten Ergebnissen kontaktieren Sie bitte: [email protected]

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oead.news im Gespräch mit

Terezija StoisitsDie Beauftragte für Flüchtlingskinder in der Schule meint: »In der Bildung gibt es keine Obergrenzen.«

Derzeit besuchen laut Auskunft des Bundesminis-teriums für Bildung und Frauen (BMBF) rund 8.500 Flüchtlingskinder Pflichtschulen und 1.300 weiterfüh-rende mittlere und höhere Schulen (AHS und BMHS). Insgesamt gibt es in Österreich rund 1,1 Mio. Schüler/- innen. Vor Schulbeginn September 2015 waren etwa 5.000 neue Flüchtlingskinder an den Schulen. Anfang Oktober war bereits klar, dass es deutlich mehr sein werden.

oead.news: Bei der gewaltigen Aufgabe der Integration von Flüchtlingen haben die Schulen eine Schlüsselrolle. Das heißt wohl, die Schulen und vor allem die Lehrer/innen sind enorm gefordert?Terezija Stoisits: Ja, tatsächlich ist es eine Herausfor-derung, weil die Zahl steigt. Die Schule ist gefordert, aber sie ist nicht überfordert.

oead.news: Wer sind denn nun diese Flüchtlingskinder und -jugendlichen? Wer darf, kann, soll unsere Schulen besuchen?Terezija Stoisits: Ein Flüchtling ist ein Mensch, der Schutz vor Verfolgung sucht. Im Bildungssystem unterscheidet man nicht zwischen Asylwerber/in-nen oder anerkannten Flüchtlingen. Was diese Kin-der und Jugendlichen gemeinsam haben ist, dass sie nicht Deutsch können und mit großen biografischen Brüchen konfrontiert sind. In Österreich besteht Schulpflicht für alle, die sich auf Dauer hier niederlas-sen, das heißt, für alle Kinder ab Asylantragstellung.

Aber viel wichtiger als die Schulplicht ist das Recht auf Bildung und darauf kon-zentrieren wir uns, weil Bildung einer der wichtigsten Aspekte von Integrati-on ist.

oead.news: Stichwort Sprache/Sprach-kenntnisse – gibt es Vorbereitungskurse oder soll der Spracherwerb parallel zum Regelunterricht erfolgen?Terezija Stoisits: Sobald die Flüchtlinge als Asylwerber/innen in die Grundver-sorgung aufgenommen sind, werden die Kinder eingeschult, d. h. es wird ihnen ein Schulplatz zugewiesen. Sie kommen als außerordentliche Schüle-rinnen und Schüler in die Klassen, weil sie nicht über ausreichende Deutsch-kenntnisse verfügen, um dem Unter-richt zu folgen, und haben den Status »außerordentlich«. Das ist in der Regel für ein Jahr, maximal für zwei Jahre, zulässig. Der Spracherwerb in der Volks-schule erfolgt integrativ.

oead.news: Eine Frage zur Zusammen- setzung der Klassen? Wer entscheidet über die Zuweisung?Terezija Stoisits: Mir ist es wichtig zu unterstreichen, dass alle Flücht-

lingskinder zu Schulbeginn in Regelklassen kommen. Nur während des Schuljahres kann es als Übergangs-lösung zur Bildung von eigenen Flüchtlingsklassen kommen. Besonderes Augenmerk wird dabei darauf gelegt, speziell ausgebildete Lehrer/innen für diese Zielgruppe einzusetzen. Ein großes Problem stellt die Unterbringung der Flüchtlinge dar. Da es in Österreich zur Zeit nicht genug Grundversorgungsquartiere gibt bzw. diese von den Ländern und Gemeinden nicht zur Verfügung gestellt werden, leben viele Flüchtlings-kinder in nicht kindgerechten Not- oder Übergangs-quartieren. Deshalb auch mein ständiger Appell an die

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Terezija Stoisits vom Bildungsministerium ist überzeugt, dass die Betreuung und Integration der Flüchtlingskinder und -jugendlichen eine bewältigbare Aufgabe ist.

In der aktuellen Broschüre des BMBF werden neben Basisinformationen alle

unterstützenden Maßnahmen für Flüchtlingskinder aufglistet.

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Verantwortlichen in Bund und Ländern, schulpflich-tige Kinder und deren Eltern in Grundversorgungs- quartiere zuzuweisen.

oead.news: Was sind aktuell die dringendsten Anliegen? Terezija Stoisits: Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass die Flüchtlingskinder und Jugendlichen ihr Recht auf Bildung wahrnehmen kön-nen. Von Seite des Bildungsministeriums gibt es aktu-ell drei wichtige Maßnahmen:

1. Mobile interkulturelle Teams werden mit sprach-licher, kultureller, sozialpädagogischer, sozialarbeite-rischer und psychologischer Expertise die Schulen un-terstützen. Es geht darum, eine Schnittstelle zwischen den Kulturen der Herkunftsländer und den hiesigen Regeln des Zusammenlebens zu schaffen, bei Themen wie Geschlechterrollen, Elternpflichten und Zusam-menarbeit in der Schule. Ganz besonders wichtig ist es, dass Personen mit den entsprechenden Sprachkennt-nissen der Herkunftsländer der Flüchtlinge in diesen Teams vertreten sind.

2. Die Einführung von Übergangsstufen für Flücht-lingsjugendliche ohne Deutschkenntnisse in berufs-bildenden Schulen. Das Angebot richtet sich vor allem an über 15-Jährige, nicht mehr schulpflichtige Jugend-liche. Ziel dieser »Übergangsstufe für Flüchtlinge« ist es, intensiv Deutsch zu lernen und eine Orientie-rung über die weiteren Bildungsoptionen zu bieten.

Derzeit werden in Österreich 44 derar-tige Lehrgänge für 823 Schüler/innen angeboten.

3. Und schließlich werden zusätzliche 1.200 Basisbildungsplätze in der Er-wachsenenbildung angeboten. Diese richten sich an die Gruppe der minder-jährigen, nicht mehr schulpflichtigen jugendlichen Flüchtlinge und werden von zertifizierten Einrichtungen der Er-wachsenenbildung angeboten werden. Bei diesen Kursen geht es vor allem um den Erwerb von Basisbildung, Pflicht-schulabschlüssen, aber auch Alphabeti-sierung ist ein Thema.

oead.news: Ist es neben der realen Hilfe/Unterstützung nicht mindestens genauso wichtig, im Bereich der Meinungsbildung tätig zu werden?Terezija Stoisits: Ich war in den letzten Wochen sehr viel an Schulen unter-wegs und habe erlebt, wie viel Enga-gement, Empathie und Anstrengung es von Seiten der Lehrer/innen und der Schulgemeinschaft gibt. Dafür bin ich sehr dankbar. Überall im Land gibt es viele großartige Initiativen an den Schulen und auch Program-

Stoisits: »Die Schule ist gefordert, aber nicht überfordert.«

me und Weiterbildungsangebote zur Förderung der Integration und zum Umgang mit Flüchtlingskindern an den Pädagogischen Hochschulen. Die Nachfrage nach Aus- und Weiterbildung in Deutsch als Zweit-sprache ist enorm gestiegen. Mit den entsprechenden zusätzlichen Ressourcen und der hohen Professionali-tät des Lehrpersonals sind die Anforderungen zu be-wältigen. Davon bin ich überzeugt. Denn Bildung ist ein Recht – ein Recht für alle Kinder.

Danke für das Gespräch,Eva Müllner

Terezija Stoisits ist Beauftragte für Flüchtlingskinder in der Schule im Bundesministerium für Bildung und Frauen. Sie fungiert seit 2. September 2015 als Ansprechperson für Bildung von Kindern und jugendlichen Flüchtlingen im Schulsystem. Stoisits übernahm damit die Koordina-tion der verschiedenen Stellen im BMBF und ergänzt die bestehenden Verbindungen zu den Landesschulräten und Pädagogischen Hochschulen durch Bundesländer- und Schulbesuche. Ihre Aufgabe ist auch die Vernetzung mit NGOs in der Flüchtlingsarbeit.

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infopointwww.bmbf.at

www.schule-mehrsprachig.at

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Christiane Hintermann

Migration im SchulbuchEin Sparkling Science-Projekt macht sich auf die Suche nach multiperspektivischen und inklusiven Darstellungen in Österreichs Schulbüchern.

Migration und Diversität sind in österreichischen Schulklassen Normalität und Selbstverständlichkeit. Rund ein Fünftel der österreichischen Wohnbevölke-rung ist entweder selbst oder in der Elterngeneration zugewandert. In österreichischen Schulen spricht jede fünfte Schülerin/jeder fünfte Schüler im Alltag eine andere Sprache als Deutsch, in Wien ist fast die Hälfte der Kinder mehrsprachig.

Hat diese »Normalität« aber auch Eingang in aktuel-le österreichische Schulbücher gefunden? Was wird im Hinblick auf Migrationsgeschichte erzählt, welche Geschichten werden inkludiert, welche marginalisiert bzw. »vergessen«? Wie werden Migrantinnen und Mi-granten in Schulbüchern repräsentiert? Diese Fragen standen zwischen 2011 und 2013 im Zentrum des Sparkling Science-Projekts »Migration(en) im Schul-buch: Eine kritische Analyse von Schüler/innen, Leh-rer/innen und Wissenschaftler/innen«.1

Schulbücher können als eine mögliche Manifestation des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft in-terpretiert werden. Es umgibt sie eine Aura der fach-lichen Objektivität und die Vorstellung, dass sie das vermitteln, »was Schülerinnen und Schüler wissen müssen«. Sie sind auch zeitgeschichtliche Dokumen-te, weil sie zu einer bestimmten Zeit gültige gesell-schaftliche Normen widerspiegeln sowie herrschende Stereotype abbilden.2 Welche Inhalte in Schulbücher aufgenommen werden, ist immer ein Ergebnis von Ein- und Ausschlussprozessen. Persönliche Interessen, Werthaltungen und Schwerpunkte sowie der aktuelle Wissensstand und die fachdidaktische Kompetenz der Autorinnen und Autoren spielen ebenso eine Rolle wie Interessen der gewinnorientierten Schulbuchverlage.

Die Ergebnisse der Globalanalyse von insgesamt 50 Schulbüchern verschiedener Fächer und der detail-lierten inhalts- und diskursanalytischen Auswertung von 22 Schulbüchern der Fächer Geografie und Wirt-schaftskunde sowie Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung bestätigen Trends und Ergebnis-

1 www.migrationen-im-schulbuch.at, abgerufen am 22. Jänner 2016.2 Siehe dazu: Christa Markom/Heidi Weinhäupl (2007): Die Anderen im Schulbuch. Rassismen, Exotismen, Sexismen und Antisemitismus in österreichischen Schulbüchern, Wien

se vorangegangener Studien.3 Positiv ist, dass der Themenbereich »Migration, Integration, kulturelle Diversität« in den Schulbüchern der beiden Fächer an-gekommen ist. Je nach Lehrplaninhalten und differen-ziert nach Schulbuchreihen wird dem Thema in unter-schiedlichem Ausmaß und unterschiedlicher Qualität Raum gewidmet.

Auffallend ist nach wie vor, dass Migration vor al-lem im Rahmen von Schwerpunktseiten oder als in sich geschlossenes Thema behandelt wird, als Quer-schnittsmaterie jedoch nur selten berücksichtigt wird. Der stark problemorientierte gesamtgesellschaftliche Diskurs zu Migration findet seinen Niederschlag auch in den Schulbüchern. Migrationsprozesse und deren (mögliche) Auswirkungen werden sowohl auf der Text- als auch auf der Bildebene häufig als Bedrohung und Gefahr repräsentiert. Vorteile von Migration bzw. deren (mögliche) positive Folgen für die Gesellschaft

3 Vgl. z. B. Christiane Hintermann (2010): Schulbücher als Erinnerungsorte der österreichischen Migrationsgeschichte – eine Analyse der Konstruktion von Migrationen und Migrant/innen in GW Schulbüchern. In: GW-Unterricht NR. 119/2010.

werden viel seltener zur Diskussion ge-stellt. Generell fehlen in vielen Büchern Aspekte, die zu einer multiperspekti-vischen und informierten Diskussion beitragen könnten, wie die Auswande-rung aus Österreich, unterschiedliche Formen von Migration wie Re- oder Transmigration oder auch Geldrücksen-dungen von Migrant/innen.

Ein zentrales Manko, vor allem im Hin-blick auf die Frage, ob Schulbücher die österreichische Gesellschaft repräsen-tieren und in diesem Sinne inklusiv sind, besteht schließlich darin, dass Migrati-on nur in Ausnahmefällen aus der Sicht von Migrant/innen selbst dargestellt wird und sie selbst zu Wort kommen.

Christiane Hintermann ist Human-geografin und Fachdidaktikerin am Institut für Geografie und Regional forschung der Universität Wien, wo sie die Arbeitsgruppe Fachdidaktik und wirtschaftliche Bildung leitet. Sie arbeitet seit rund 20 Jahren zum Thema Migration und war von 2011 bis 2013 Projekt-leiterin des Sparkling Science-Projekts »Migration(en) im Schulbuch«.

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Bild oben: Schüler/innen der KMS Herzgasse bei der Präsentation der Workshop-Ergebnisse in Wien

Bild unten: Assoziationen von Schüler/innen zum Begriff Migration

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Das österreichische Schulsystem ist im internationalen Vergleich eines der selektivsten. Zudem wirken sich der Bildungsgrad der Eltern sowie deren Staatsbürgerschaft auf die Schulwahl aus.

Vor diesem Hintergrund der Selektion und Ungleichheit erforschte das Sparkling Science-Projekt »Grenzgänge« – gefördert vom BMWFW – gemeinsam mit Schüle-rinnen und Schülern deren Lebenswelt anhand selbst-gewählter Fragestellungen aus Schulumgebung und Freizeit. Geschlecht, Ein- und Mehrsprachigkeit sowie körperliche, soziale und kognitive Verfasstheit waren die Forschungsthemen der Jugendlichen. Eine Neue Mittelschule fungierte als Kooperationsschule. Dadurch konnten Kinder als Co-Forscher/innen für partizipative, sozialwissenschaftliche Forschung gewonnen werden, die in ihrer weiteren Bildungskarriere mehrheitlich vor-aussichtlich nicht an einer Universität studieren werden.

Als Beispiel sei die Forschungsgruppe zum Thema »Mehrsprachigkeit« genannt: Vier mehrsprachig aufge-wachsene Jugendliche interessierten sich für Sprachen-kenntnisse ihrer Mitschülerinnen und -schüler. Mithilfe eines selbst entworfenen Fragebogens befragten sie die Kolleginnen und Kollegen beispielsweise danach, wie diese bis zehn zählen oder welche Schimpfwörter sie kennen. Eine wichtige Erkenntnis der Forschungs-gruppe kam aus der Beobachtung, dass sich auf ihre Frage nach Interviewpartnerinnen und -partnern meist einsprachig aufgewachsene Kinder mit der Erstsprache Deutsch meldeten bzw. von den Lehrpersonen vorge-schlagen wurden. Diese nannten ihre Englischkennt-nisse oder einen Dialekt als zweite Sprache, waren aber gar nicht die eigentliche Zielgruppe. Die Jungforscher/-innen besprachen diese Beobachtung mit einer Sprach-wissenschaftlerin und kamen unter anderem zu der Erkenntnis, dass Sprachen in unserem Schulsystem un-terschiedliche Wertigkeiten zugeschrieben werden und Kinder mit der Erstsprache Deutsch als Norm gelten. Diese melden sich öfter, weil sie immer scheinbar »rich-tig« liegen, während Kinder mit anderen Erstsprachen viel vorsichtiger sind, diese öffentlich zu deklarieren.

Dies verweist auf eine generelle Sachlage in österreichi-schen Schulen: Inter- und Transnationalität sind zwar aufgrund der Herkunft der Kinder und deren Eltern zentrale Bestandteile des Schulsystems. Dies wird aber

meist als defizitär wahrgenommen. Be-troffen davon sind bestimmte Sprachen und kulturelle Hintergründe, die schein-bar nichts Wesentliches zum Unterricht oder zu den Leistungen der Schülerin-nen und Schüler beitragen. Ob ein Kind mit Erstsprache Englisch, Spanisch oder Tschetschenisch aufwächst, macht für die Bewertung dieser mitgebrachten Fähigkeiten und Kenntnisse also einen wesentlichen Unterschied. Während die großen westeuropäischen Sprachen

(z. B. Englisch, Französisch) als bildungspolitisch förde-rungswürdig gelten, deren Erwerb auch von einsprachig deutschsprachigen Kindern angestrebt wird, erfahren osteuropäische, afrikanische oder asiatische Sprachen nur selten Anerkennung als Sprachkompetenz oder kul-turelles Kapital. Im besten Fall wird das Kind im Schul-unterricht als Expert/in einer »anderen Kultur« gesehen, was immerhin ein Versuch einer Wertschätzung ist, das Kind aber gleichzeitig als »anders« markiert.

Meist werden aber nur vermeintliche Defizite oder das »Nicht-Wissen« über Begriffe, die man hierzulande scheinbar wissen muss, Gebräuche oder Konventionen. Dies führt nicht nur zu einer Kompetenzabwertung, sondern auch zu einem Versäumnis von Bildungschan-cen für alle Kinder, denn alle anderen Schüler/innen könnten aus der Vielfalt an Sprachen und Wissen im Klassenraum Gewinn ziehen. So hatten die Schüler/-innen aus der genannten Forschungsgruppe ein gro-ßes Wissen über Kurdistan, die albanische Minderheit im Kosovo, die Ähnlichkeiten der slawischen Sprachen oder die Rolle von Englisch als Amtssprache auf den Philippinen, die sie untereinander diskutierten. Diese globalen Wissensrepertoires, die weit über den Geogra-fie-Lehrplan der Unterstufe hinausgehen, kommen je-doch nicht zum Vorschein, wenn sie nicht als relevantes Wissen angesehen werden.

Diese Wertigkeiten von Wissen müssen überdacht wer-den. Denn ansonsten erleben viele der mehrsprachigen Kinder primär Stigmatisierungen und Abwertungen. Dies hindert sie daran, ihre Erfahrungen und Kenntnisse einzubringen – und es werden weiterhin mehrheitlich die einsprachig deutschsprachigen Schüler/innen ihre Geschichten erzählen und für die gute Mitarbeit gelobt werden.

Dr. Veronika Wöhrer ist Soziologin und Senior Researcher bei Science Communications Research (Wien) sowie Lektorin an den Universitäten Wien und Graz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gender Studies, Inter-sektionalität, qualitative Methoden und Wissenschafts-forschung.

Veronika Wöhrer

Projekt Grenzgänge: Transnationalität im Schulsystem

An Österreichs Schulen herrscht eine Vielfalt an Sprachen und Kulturen. Diese Chance könnten wir (besser) nutzen.

Präsentation der Umfrage der Forschungsgruppe »Sprachen an unserer Schule«©

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Małgorzata Bogaczyk-Vormayr

Persönlichkeit und Kreativität sind nie behindert

Eine OeAD-Stipendiatin forscht zum Thema Kunst und Inklusion.

Ist Kunst ein sozialer Begriff? Viele Kunsthistoriker/-innen werden mit einem Nein antworten: Kunst er-klärt sich nicht durch gesellschaftliche Normen, denn sie hinterfragt diese oftmals, überschreitet sie gar oder definiert sie neu. Will damit die Kunst die Gesellschaft beeinflussen? Eher selten – Künstler/innen wollen doch ihre Arbeit als Kunst anerkannt sehen und nicht als politisches, religiöses oder ethisches Statement. Wenn das künstlerische Schaffen partikuläre Ziele verfolgt, büßt es das wunderbar Eigene und Souverä-ne ein. Und doch: Kunst ist auch ein sozialer Begriff. Wie könnte es anders sein, wenn doch Kunstwerke die Begleiter in unserem Leben sind? Wenn die Kunst eine (zwischen)menschliche Wirkung ist? Diese Überzeu-gung brachte mich dazu, ein Forschungsprojekt an der Schnittstelle von Kunstphilosophie und Sozialethik zu konzipieren. Dieses wurde von März 2015 bis Febru-ar 2016 am Zentrum für Ethik und Armutsforschung von Prof. Otto Neumaier betreut. Wir bemühten uns, Philosophie und soziale Praxis zu verbinden, um einen innovativen Ansatz für folgende Disziplinen zu liefern:

1. Art Brut und Outsider Art als Themen der Kunst-philosophie

2. Geistige Behinderung in der Ethik und Sozial-philosophie

3. Ausgrenzung und Würde in der Armuts- forschung

4. Alterität als Thema der Ethik und der philoso-phischen Anthropologie

5. Krisenbewältigung in der Resilienzforschung6. Selbstwirksamkeit als Aspekt philosophischer

Handlungstheorien (Agency)7. Ich/Selbst/Identität und Kunsttherapie

Fragestellungen zu Kunst und Behinderung

Im Jahre 1945 kreierte der französische Künstler Jean Dubuffet den Begriff »Art Brut« – als »rohe Kunst« bezeichnete er die Arbeiten von professionellen und nichtprofessionellen Künstler/innen, die aus einem innersten Bedürfnis entstehen, d. h. ohne Rücksicht auf Stil-Theorien oder den Kunstmarkt. In den dar-auffolgenden 60 Jahren stieg das Interesse für jene

Kunstwerke, welche in den Werkstätten der psychiatri-schen Kliniken und der Sozialeinrichtungen entstehen. Das schmerzhafte Kollektivgedächtnis an die NS-Zeit führte dazu, dass sich im deutschsprachigen Raum vorbildliche Initiativen zur Entwicklung einer inklusi-ven Gesellschaft und zur fachlichen Anerkennung von Künstler/innen mit Beeinträchtigung bildeten. Kunst kennt doch keine Behinderung – körperliche oder geis-tige Einschränkungen verhindern vieles, aber nicht das Talent selbst.

Künstler/innen mit Beeinträchtigung – was sagt uns das? Persönlichkeit und Kreativität sind nie behin-dert. Aber umgekehrt: Eine Erkrankung bedeutet noch keine Einzigartigkeit. Wie entfaltet ein Mensch mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung seine Selbstwirksamkeit? Und wie kommt es dazu, dass sich unter seinen inneren Kräften auch die künstlerische Begabung entfalten kann? Die Antworten auf diese Fragen kommen aus den persönlichen Begegnungen mit den Künstler/innen und den Kunsttherapeut/-innen.

Kultur bedeutet unter anderem Inklusion – ein gleich-berechtigter Zugang zur Kultur, unser Recht auf Par-tizipation am Kulturleben, aber auch die Rahmenbe-dingungen, unter welchen die Begabungen einzelner Menschen sich entwickeln können. Eine besondere Gruppe bilden hierbei Künstler/innen mit gesundheit-lichen oder sozialen Beeinträchtigungen. Diese sind auf die institutionellen Rahmenbedingungen ange-wiesen. So führte mein Weg in die Sozialeinrichtungen

von Lebenshilfe, Caritas, Assista und evangelischem Diakoniewerk, welche in Österreich den großen Schritt geschafft haben, Ateliers für Menschen mit Be-einträchtigungen als Orte der Inklusion und der Kunst aufzubauen.

Unterwegs in den Kunstwerkstätten

Künstler/innen mit Beeinträchtigung werden der Art Brut, der Outsider Art und der sogenannten Außenseiter-Kunst zugeordnet, doch keine/r dieser Künstler/innen sieht sich als Außen- seiter. Im Mittelpunkt ihres Daseins steht die künstlerische Beschäftigung – sie widmen sich der inneren Stimme, ohne jede pseudotherapeutische Len-kung. Einige sind dabei an den bren-nenden Fragen der Politik, des Gesell-schaftslebens und des Staates höchst interessiert und machen diese zum Thema ihrer Arbeiten.

So verhält es sich im Falle von Erich Prager (geb. 1956), den ich in der Salz-burger Wohneinrichtung von pro men-te interviewte. Prager erlitt seine erste Psychose nach einer Anatomieprüfung während seines Medizinstudiums. Er begann im Atelier der Christian-

Małgorzata Bogaczyk-Vormayr arbeitet am Zentrum für Ethik und Armutsforschung

an der Universität Salzburg am Forschungs-projekt »Art Brut – Outsider Art – Naive Kunst«. Das Projekt wird vom OeAD im

Rahmen der Stipendienstiftung der Republik Österreich unterstützt.

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Doppler-Klinik zu zeichnen und war viele Jahre in der Salzburger Galerie Altnöder vertreten. Seine Tuschezeich-nungen befinden sich in vielen priva-ten und institutionellen Sammlungen. Heute widmet er sich nur mehr selten der künstlerischen Arbeit, er besucht von Zeit zu Zeit das Atelier der sozial-psychiatrischen Tagesklinik der Paracel-sus Universität. Den für ihn wichtigsten Ort der Inklusion und Anerkennung je-doch bietet das Salzburger Haus der pro mente in der Pelikanstraße – hier wird Erich Prager nicht nur als Klient, son-dern eben auch als Künstler gewürdigt. Seine Bilder beinhalten keine einfachen Botschaften – sie zeigen die Conditio Humana auf, sie verweisen auf die Span-nung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, sie fragen nach unserer Positionierung in der Gesellschaft, nach unserer ethischen Haltung. Die redu-zierte Ausdrucksweise, die Schlichtheit seiner Zeichnungen verkörpern einen beeindruckenden künstlerischen und moralischen Ausdruck. Es ist die leise Stimme einer kraftvollen Sprache – die Sprache eines Künstlers.

Ein anderer von mir begleiteter Künst-ler, Gerhard Maurer (geb. 1958), hat seinen Arbeitsplatz in der Werkstätte der Lebenshilfe Salzburg in der Eichstra-ße. Im Alter von 16 Jahren begann er zu zeichnen, seitdem fanden fast dreißig Ausstellungen statt, u. a. in Salzburg, Wien und Paris (Louvre). Maurer sitzt aufgrund von zerebralen Lähmungen in einem Rollstuhl, Pinsel oder Stift wer-den ihm von jemand anderem in seine verkrampfte Hand gegeben. Wenn dies geschehen ist, ist jede körperliche und geistige Begrenzung des sogenannten Betroffenen keinerlei Begrenzung für den Künstler. Maurers Hand ist sicher – das berührt und fasziniert angesichts der körperlichen Mühe und geistigen Anspannung, welche er in seine Arbeit investiert. Er ist ein Künstler der Wider-standsfähigkeit: seine resiliente Kraft

erscheint jedoch nicht als etwas Heldenhaftes, son-dern als eine Selbstverständlichkeit. »Ob ich das kann«, antwortet er auf meine Frage, wie es dazu gekommen sei, dass er an den Special Olympics im Jahre 1999 teil-genommen habe. Es war seine Neugier – zu erfahren, ob er das überhaupt könne. Er konnte es und gewann nicht nur eine Goldmedaille im Kugelstoßen und eine Silbermedaille in Rollstuhl-Slalom, sondern in erster Linie die Antwort auf die Frage, die ihn zur Teilnahme bewegte. Die Werkstätte der Lebenshilfe bildet für Gerhard Maurer einen Ort, wo Schutz und Freiheit möglich sind, einen Ort, der gleichermaßen von seiner Selbstwirksamkeit geprägt ist wie auch von der ihm angebotenen Assistenz.

Forschung und soziale Verantwortung

Die Kunst lebt nicht nur in den großen Museen und berühmten Galerien, und die Geisteswissenschaften an der Universität Salzburg lassen sich nicht auf eine Forschung hinter verschlossenen Türen reduzieren. Ein Beweis dafür ist sicherlich das Zentrum für Ethik und Armutsforschung – hier werden nicht nur normative Fragen der Armutsforschung untersucht, sondern insbesondere auch kulturelle Aspekte dieser Proble-matik (wie das sogenannte Cultural Empowerment). Ich erlebte das Zentrum als einen Ort, dessen Aktivi-täten eine Resonanz in der Sozialwelt beabsichtigen und gleichzeitig aus den Impulsen der Gesellschaft neue Forschungsfragen formulieren. Diesem Umstand verdankt das Zentrum zurecht sein internationales Renommee.

Małgorzata Bogaczyk-Vormayr ist polnische Philosophin mit den Forschungsschwerpunkten Philosophie der Antike, praktische Philosophie, Dialogphilosophie und Kunstphilosophie. Sie ist Assistenzprofessorin an der Universität Posen/Polen, Institut für Philosophie/Chair of Ethics. Seit März 2015 ist Bogaczyk-Vormayr OeAD-Stipendiatin und Gastforscherin am Zentrum für Ethik und Armutsforschung mit folgendem Forschungsprojekt: »Art Brut – Outsider Art – Naive Kunst. Eine interdiszipli-näre Analyse aus der Sicht der Kunstphilosophie, Armuts-forschung, Resilienzforschung und Dialogphilosophie«.

Erich Prager: »Die Menge«,

undatiert, im Besitz der Autorin

Gregor Weiss, ohne Titel

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30. März 2016 | Wien Lernergebnisse am Prüfstand: Bologna Tag 2016 Ort: Universität Wien

Der Bologna Tag 2016, Österreichs größte sektorenübergreifende Konferenz zu Themen rund um den Europäischen Hochschulraum, befasst sich mittels interaktiver Formate mit dem Thema Lernergebnisse. Namhafte Expertinnen und Experten aus dem deutschsprachigen Raum stehen im Rahmen von Workshops und einem World Café zu folgenden Fragen Rede und Antwort: 1. In welcher Beziehung stehen die Lernergebnisse auf Lehrveranstaltungsebene zu den Lernergebnissen auf Programmebene (Studium/Studiengang) und welche Konsequenzen hat dies für die Curriculumsentwicklung? 2. Wie können Lernergebnisse im Rahmen der Leistungsfeststellung sichergestellt werden und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Wahl der Lernaktivitäten und Prüfungsmodalitäten? 3. Wie machen wir Lehrende und Studierende fit für die Lernergebnisorientierung?Eine Anmeldung ist auf bildung.erasmusplus.at/bologna unter der Rubrik »Veranstaltungen & Trainings« möglich.

2. bis 3. Mai 2016 | Wien Erstes Meeting der Service-Gruppe Euraxess TOP III Dual Career und Integration Service Ort: OeAD-Haus

Dual Career-Expert/innen von Hochschulen aus Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz, Norwegen und Österreich treffen sich zum ersten Meeting im Rahmen des Euraxess TOP III-Projekts in Wien. Österreich wird durch Mitarbeiter/innen des Dual Career Service der fünf steirischen Universi-täten, des Dual Career Service Wien-Niederösterreich-Oberösterreich, des IST Austria sowie des OeAD vertreten. Die Analyse bestehender Dual Career und Integration Services steht im Mittelpunkt des Treffens.

OeAD-Events

VeranstaltungskalenderDer OeAD bietet Plattformen zur öffentlichen Diskussion rund um Mobilität und Internationalisierung. Alle Veranstaltungen im Detail unter www.oead.at/events.

Die Öffnung von Hochschulen trägt mitunter zum Bil-dungsaufstieg bei. Um die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Bildungssektoren wie auch eine lebens-begleitende Weiterqualifizierung an Hochschulen für Berufserfahrene und Personen selbst ohne schulisch erworbene Hochschulzugangsberechtigung zu för-dern, sind hochschulrechtliche, finanzielle, fachliche und organisatorische Rahmenbedingungen ebenso notwendig wie qualitätssichernde Regelungen. Wie stehen die österreichischen Hochschulen dazu? Am 19. Jänner lud Christina Raab, nationale Expertin für den Europäischen Hochschulraum, an die Universität Innsbruck zum thematischen Fachseminar. Ziel war es, sich gemeinsam mit den 110 Anwesenden dem

Thema »Recognition of Prior Learning« durch laufende Initiativen, Projekte und Empfehlungen zu nähern. Deren jeweiliger Status quo wurde im Zuge des Fachseminars präsentiert sowie auf deren Anwendbarkeit für den Hoch-schulalltag, speziell in den jeweiligen Sektoren, abgeklopft. Nähere Informa-tionen, eine Fotodokumentation, Prä-sentationen sowie daraus resultierende Empfehlungen für den Hochschulsektor finden sich auf bildung.erasmusplus.at/bologna unter der Rubrik »Veranstal-tungen und Trainings«.

Nachlese: Fachseminar zum Europäischen Hochschulraum am 19. Jänner 2016 in Innsbruck

Recognition of Prior Learning – Anerkennung früherer Lernerfahrungen zwischen Hochschulgesetz(en) und akademischen Desiderata

Christina Raab (Universität Innsbruck) kommentiert Möglichkeiten und Grenzen von Recognition of Prior Learning in der universitären Praxis.

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Am 7. und 8. Juli 2016 findet im Muse-um Arbeitswelt in Steyr bereits zum 5. Mal die Österreichische Berufsbildungs-forschungskonferenz (BBFK) statt. Die Konferenz bietet seit 2008 im zweijäh-rigen Rhythmus Gelegenheit zum fach-lichen Austausch rund um Forschung zu Berufs- und Erwachsenenbildung. Sie richtet sich an Fachleute aus der Be-rufsbildungsforschung ebenso wie der Berufsforschung, der berufs- und wirt-schaftspädagogischen Forschung, Qua-lifikationsforschung, der Arbeitsmarkt-forschung und der Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung.

Veranstaltet wird die Konferenz von der Sektion Berufs- und Erwachsenenbil-dung der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bil-dungswesen (ÖFEB) – mit tatkräftiger Unterstützung von ARQA-VET. Initiiert und finanziell unterstützt wird die BBFK vom Bundesministerium für Bildung und Frauen (BMBF) sowie vom Arbeits-marktservice Österreich (AMS). Der Vor-sitz des Programmkomitees der BBFK bringt »traditionellerweise« auch einen nicht unbeträchtlichen Teil der Orga-nisationsaufgaben mit sich. Da Franz Gramlinger, dem Leiter von ARQA-VET, dieser Vorsitz übertragen wurde, werden ARQA-VET und die OeAD-GmbH ihr Ver-anstaltungs- und Organisations-Know-how in diesem Jahr in eine neue Aufgabe

einbringen – machen Sie sich ein Bild da-von unter www.bbfk.at.

Mit dem Schwerpunktthema »Berufs-bildung, eine Renaissance? Motor für Innovation, Beschäftigung, Teilhabe, Aufstieg, Wohlstand« sollen die Funk-tionen, Aufgaben, Potenziale und Rol-lenzuschreibungen der Berufsbildung thematisiert und die zentralen Fragen der damit in Zusammenhang stehenden Forschungsdisziplinen diskutiert wer-den.

Auf der Konferenz-Website werden laufend neue Informationen zum Pro-gramm kommuniziert: Zu Redakti-onsschluss standen mit Karin Büchter (Helmut Schmidt Universität Hamburg) und Philipp Gonon (Universität Zürich) zwei Keynote Speaker fest, die einge-reichten Papers, Poster und themati-schen Foren befinden sich aktuell noch im Review-Prozess. Wenn Sie aktuelle Infos zugeschickt bekommen wollen, abonnieren Sie bitte den Infoletter: www.bbfk.at/infoletter-bestellen.Die Anmeldung zur Konferenz ist bis 20. Juni 2016, ebenfalls über die Konferenz-Website, möglich: www.bbfk.at/konfe-renz2016/anmeldung. Ermäßigungen gibt es für ÖFEB- bzw. DGfE- und SGBF-Mitglieder sowie für Studierende (Nach-weis erforderlich). Early-Bird-Registrie-rungen sind bis 30. April 2016 möglich!

Franz Gramlinger

Berufsbildungsforschung Kräftige Unterstützung kommt von ARQA-VET und der OeAD-GmbH.

Österreichischer Berufsbildungsforschungspreis 2016

Zum fünften Mal vergibt das BMBF den Österreichischen Berufsbildungsforschungspreis, mit dem hervorragende Leis-tungen von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen-schaftlern Anerkennung finden sollen.

Das seitens des Preisstifters damit verbundene Anliegen ist die Stimulierung der Berufsbildungsforschungslandschaft im deutschsprachigen Raum durch Förderung des wissenschaft-lichen Nachwuchses. Die prämierten Arbeiten sollen einen fundierten Beitrag zur Weiterentwicklung der Berufsbildungs-forschung leisten.

Eingereicht werden können (a) Originalbeiträge in Form von wissenschaftlichen Papieren, (b) bereits in Zeitschriften oder Sammelbänden publizierte Aufsätze und (c) überdurchschnitt-lich gute Dissertationen.

Ende der Einreichfrist ist der 10. Mai 2016.Die Höhe des Preisgeldes beträgt 3.000 Euro. Außerdem erhält die Preisträgerin/der Preisträger des österreichischen Berufs-bildungsforschungspreises zusätzlich einen Stirlingmotor, der von Schülerinnen und Schülern der HTL Steyr gefertigt wurde. Es handelt sich um einen kleinen, aber voll funktionierenden Stirlingmotor.

Die feierliche Preisverleihung findet am Abend des 7. Juli 2016 im Schloss Lamberg in Steyr statt.

Alle Informationen zum Forschungspreis online unter www.bbfk.at/forschungspreis/forschungspreis-2016

Kontakt und Rückfragen:Österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz (BBFK)

der ÖFEB-Sektion Berufs- und Erwachsenenbildungc/o ARQA-VET in der OeAD-GmbH, Ebendorferstraße 7, A-1010 Wien

T +43 1 53408-301 | [email protected] | www.bbfk.at

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Ernst (Waldfried Josef Wenzel) Mach wurde am 18. Februar 1838 im mährischen Chirlitz (Chrlice), in der Nähe von Brünn, geboren. Seine Eltern entstamm-ten der deutschsprachigen Minderheit in Mähren. Der Vater verdiente ursprünglich seinen Unterhalt als Hauslehrer, später konnte er ein kleines Gut im nieder-österreichischen Weinviertel erwerben und als Bauer arbeiten. Seine Mutter stammte aus einer Familie von Ärzten, Anwälten und Offizieren.

Ernst Mach erhielt seinen ersten Schulunterricht von seinem Vater, der ein sehr freisinniger Mann war. Nachdem er ein Jahr das Stiftsgymnasium in Seiten-stetten besucht hatte und dort als »sehr talentlos« ein-gestuft worden war, unterrichtete ihn sein Vater wei-terhin. Gemeinsame Naturerlebnisse und das Studium klassischer Texte beeinflussten ihn sehr; daneben ab-solvierte er eine Lehre als Kunsttischler und arbeitete im väterlichen Gut mit.

Am Gymnasium im mährischen Kremsier (Kromêřiž) legte er eine Aufnahmeprüfung ab; nach zwei Jahren erlangte er dort die Matura, anschließend studierte er in Wien Mathematik und Naturwissenschaften und beendete bei Andres von Ettinghausen mit dem Dok-tor der Philosophie 1859/60 sein Studium. Bereits ein Jahr später wurde Mach an der Universität Wien ha-bilitiert und unterrichtete dort als Privatdozent ohne Besoldung. Da er die Stelle seines erkrankten Doktor-vaters nicht erhielt, ging er nach Graz, wo er schließ-lich 1866 Ordinarius für Physik wurde. Bereits ein Jahr später erreichte ihn der Ruf an die Karl-Ferdinands-Universität in Prag, wo er zugleich Direktor des Physi-kalischen Instituts wurde. Weitere akademische Wür-den waren Dekan 1872/73 und Rektor 1879/80 sowie 1883/84. In diese Zeit fiel die sprachliche Teilung der Universität, in der sich Mach liberal verhielt, obwohl er doch zur deutschsprachigen Minderheit in Böhmen gehörte. Dennoch bekundete er mehrmals öffentlich eine »bedauerliche Borniertheit und einen fürchterli-chen Rückschritt durch die Nationalitätsidee«.

Bereits kurz nach Beendigung seiner Dissertation konnte Mach die Richtigkeit und Anwendbarkeit des damals noch umstrittenen »Dopplerschen Gesetzes« nachweisen, vor allem zur Bestimmung der Relativ-geschwindigkeit von Fixsternen. In Graz beschäftigte

er sich vor allem mit Funkwellen, Gas- und Flüssig-keitsdynamik sowie Effekten der Akustik und Spek-troskopie. Machs Experimente führten zu den ersten Fotografien schnell fliegender Projektile. Seine daraus gewonnen Erkenntnisse wurden als »Machsches Ge-setz« bekannt, welches den »Mach-Winkel« und die »Mach-Zahl« verknüpft. Die »Mach-Zahl« ist auch heute den Laien als Einheit von Geschwindigkeits-angaben schnellfliegender Objekte bekannt.

Aus seinen einzelwissenschaftlichen und wissen-schaftshistorischen Studien entwickelte Mach eine oft als »Positivismus« bezeichnete philosophische Positi-on, in der u. a. empiristische Grundhaltung, Orientie-rung an den Ergebnissen und Problemen naturwissen-schaftlicher Forschung, Konzentration auf Fragen der Messbarkeit und der operationalen Definition oder aber auch an Zweifel an einer von den Ergebnissen der Einzelwissenschaften unabhängigen oder gar aprioris-tisch diesen vorschreibenden Philosophie zusammen-geführt wurden, ohne dass damit der traditionelle Sys-temanspruch der Philosophie erhoben wurde.

1895 erreichte Ernst Mach ein Ruf der Universität Wien, den neugeschaffenen Lehrstuhl für »Philoso-phie, insbesondere Geschichte der induktiven Wissen-schaften« zu übernehmen. Bis zu seinem Schlaganfall 1898 erfüllte er diese Aufgabe mit Leben, 1901 trat er dann aus gesundheitlichen Gründen in den Ru-hestand. Ernst Mach war mit der Grazerin Ludovica Marussig verheiratet, mit der er fünf Kinder hatte. Er blieb auch im Ruhestand emsig und gilt, nach der Ent-deckung, dass sich die Trägheit eines Körpers nur fest-stellen lässt, wenn es im Universum andere Massen als Bezugsgröße zur Messung der Beschleunigung gibt, als Vordenker der Relativitätstheorie. Bezugnehmend darauf widmete ihm Albert Einstein nach seinem Tod am 19. Februar 1916 einen Nachruf in der »Physikali-schen Zeitschrift«.

Machs Wirken hatte großen Einfluss auf zahlreiche Wissenschaftler und Denker: Max Planck kritisier-te seine evolutionsbiologische Ideenlehre, während Lenin Machs philosophische Ideen befürwortete. Kurt Gödel stützte sich ebenso wie Ludwig Wittgenstein auf Ernst Mach, während auch Literaten wie Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler oder Robert Musil,

der über Ernst Mach dissertierte, seine Bedeutung erkannten.

Der Kanon der naturwissenschaftlichen Unterrichtsgegenstände, nämlich eine Trennung der Physik und Mathematik, geht auf Ernst Mach zurück. Er war der Befürworter dieser Unterscheidung, die bereits die Lehrpläne der Mittelschulen in der K.-u.-k.-Monarchie bestimmte: »Der Schüler soll angeleitet werden zur Beobachtung und zur Ableitung von Regeln aus den Beobachtungen. Dazu ist die Mathematik nur ein Mittel. Es bleibt in der Physik noch sehr viel zu verstehen übrig, auch wenn man alle Mathematik bei Seite lässt ...« (Mach, 1879). Mittlerweile denkt man darüber anders, bedauert diese Auseinander-entwicklung und sucht nach Symbio-seeffekten zwischen den beiden Gegen-ständen: Einerseits erwartet man von der Physik Kontexte für die Mathematik und andererseits Demonstrationen der Mathematik durch die Physik. Das von Mach Getrennte will man wieder zu-sammenführen, weil die Fachdidaktik der beiden Gegenstände das für sinn-voller hält.

Michael Dippelreiter | Michael Schedl

Ernst Mach (1838–1916)Der österreichische Physiker, Philosoph, Wissenschafts- theoretiker und Namensgeber eines OeAD-Stipendiums starb vor 100 Jahren.

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Ernst Mach-Stipendien

Das nach dem österreichischen Physiker und Philo-sophen Ernst Mach (1838–1916) benannte OeAD-Stipendienprogramm wird vom österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) finanziert und ist ein Angebot an Studierende und Lehrende ausländischer Univer-sitäten, einen Forschungs- oder Studienaufenthalt in Österreich zu absolvieren. Hervorgegangen aus der Stipendienaktion »Bewerber aus aller Welt« wurde erstmals im Studienjahr 2000/2001 ein Stipendien-programm unter Ernst Mach ausgeschrieben, das aber in seiner ursprünglichen Form von der heutigen Pro-grammschiene abwich.

Das aktuelle Ernst Mach-Stipendium gliedert sich in mehrere Unterprogramme, die von den Förderzielen her ähnlich sind. Im Hauptprogramm »Ernst Mach-Stipendium – weltweit« können sich PhD-Studieren-de, Postgraduates, Postdocs und junge Universitäts- lehrende aller Fachrichtungen für einen Forschungs-aufenthalt zwischen ein bis neun Monate bewerben. Das Teilprogramm »Ernst Mach-Stipendium zum Stu-dium an einer österreichischen Fachhochschule« steht außereuropäischen Studierenden für einen Studien-austausch an einer österreichischen Fachhochschule offen.

Im Studienjahr 2014/15 wurde erstmals das Ernst Mach-Nachbetreuungsstipendium (EZA) ausgeschrie-ben, in dem ehemalige OeAD-Stipendiat/innen aus außereuropäischen EZA-Ländern um erneute Unter-stützung für einen kurzen Postdoc-Forschungsauf-enthalt in Österreich ansuchen können. Ernst Mach-Stipendien für Forschungsaufenthalte in Österreich werden auch im Rahmen der Universitätsnetzwerke Eurasia-Pacific Uninet bzw. ASEA-Uninet und der bila-teralen Aktionen Österreich-Slowakei bzw. Österreich-Ungarn vergeben. Einen genauen Überblick über die Ernst Mach-Programme finden Sie auf www.grants.at.

Vittorio Pace ist derzeit an der Universität Wien am Institut für

Pharmazeutische Chemie tätig.

Studienjahr 2014/15Studienjahr 2015/16 (Stand Jänner 2016)

UnterprogrammAnzahl der

angetretenen Stipendien

MonateAnzahl der

zuerkannten Stipendien

Monate

Ernst Mach weltweit 54 341 66 433

Ernst Mach Fachhochschulen

41 220 50 283

Ernst Mach- Nachbetreuungs- stipendium (EZA)

58 158 16 40

Ernst Mach-Stipendien der Aktion Österreich-Slowakei

18 96 19 90

Ernst Mach-Stipendien der Aktion Österreich-Ungarn

17 59 23 76

Ernst Mach weltweit TSOA 10 67,5 17 94

Ernst Mach Eurasia-Pacific Uninet

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Vittorio Pace visited Austria as an Ernst Mach scholarship holder in 2010/11 when he started his postdoctoral trai-ning with Prof. Holzer at the University of Vienna. He was born in 1981 in Italy and obtained a Master degree in Pharmacy in 2005 from the University of Perugia. Later on, he started his doctoral studies in Organic Chemistry at the Compluten-se University of Madrid (UCM) where he defended his PhD in July 2010. During the doctoral studies he also received a postgraduate Master in Chemistry and in Drug Design and Development. After his Ernst Mach stay in August 2011 he joined the University of Manchester (UK) for a

2-years research project. In October 2013 he moved to the Stockholm University (Sweden) being awarded with a Seni-or Postdoctoral Fellowship. In August 2014 he came back to Vienna as a Group Leader in Synthetic Chemistry in the De-partment of Pharmaceutical Chemistry of the University Vienna. In November 2014 he received the Habilitation for As-sociate Professor of Organic Chemistry by the Italian Ministry of Education. His main research activity deals with the de-velopment of synthetic tactics based on the use of organolithiums methods with vistas to their application in synthetic medicinal chemistry.

Ernst Mach Alumnus Vittorio Pace and his Career after the Ernst Mach Scholarship Stay

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Quelle: OeAD-Datenbanken

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oead.news: Herr Prof. Dürrstein, in Ihrer Amtsperiode wurde der OeAD vom Verein der Universitäten in eine GmbH des Bundes umgewandelt. Ist dies die entspre-chende Organisationsform für eine Agentur, die die Internationalisierung der österreichischen Bildungsein-richtungen optimal unterstützen soll?Hubert Dürrstein: Ich würde einen solchen Schritt auf jeden Fall wieder unterstützen. Die OeAD-GmbH bildet heute die gesamte Bildungskette ab und in diesem Gesamtspektrum verfügen wir über einen Pool an Expert/innen für das zunehmend wichtige Thema Internationalisierung. Um diese Expertise al-lerdings nutzen zu können, braucht es eine gewisse Eigenständigkeit. Die GmbH ist an sich die richtige Form dafür. Zu überlegen wäre, und hier gab es da-mals auch Gespräche, die Eigentümerpalette zu ver-breitern – zum Beispiel auf die Hochschulen.

oead.news: Herr Dr. Zotti, was sind aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte, um als Agentur für Mobilität und Internationalisierung gut aufgestellt zu sein?Stefan Zotti: Selbiges gilt für die Integration der verschiedenen Bereiche in einem gemeinsamen Haus. Im Sinne stetiger Weiterentwicklung müssen wir immer wieder schauen, welche Bedürfnisse un-sere Kunden und Partner haben. Diese Bedürfnisse ändern sich natürlich. Wir haben ein großes Know-how über internationale Entwicklungen, Internati-onalisierung entlang der gesamten Bildungskette sowie die Entwicklung von Bildungsregionen. Infor-mationsservices rund um diese Themen anzubieten, ist ein neuer Akzent, den wir in den nächsten Jahren setzen werden.

oead.news: Herr Prof. Dürrstein, Sie hatten in Ihrem er-eignisreichen Berufsleben die Möglichkeit, den OeAD aus

mehreren Blickwinkeln zu sehen: aus der Außensicht als Rektor einer der größten Universitäten, aus der Innensicht als Ge-schäftsführer des OeAD. Wie sehr decken sich diese Bilder?Hubert Dürrstein: Als Rektor der Boku (Anm.: 2003 bis 2007) habe ich den OeAD vor allem als Abwicklungsorga-nisation wahrgenommen. Mit meiner Bestellung zum Präsidenten des Ver-eins und den ersten Überlegungen zur organisatorischen Umstrukturierung wurde klar, dass wir unsere Aufgaben-palette sichtbarer machen müssen. Ziel war es von Beginn an, die Bildungsein-richtungen bei ihren Internationalisie-rungsstrategien zu unterstützen: mit einer stärkeren Präsenz im Ausland – z. B. über das Lektoratsprogramm, mit einem Stipendienangebot, das mehr Gewicht auf Outgoing-Aktivitäten legt und mit Daten und Fakten zum Thema. Manche Ideen und Konzepte wurden verworfen, manche umge-setzt. So konnten wir insbesondere die Datenlage deutlich verbessern – etwa mit der Wissenslandkarte der interna-tionalen Kooperationen oder unserem Data Warehouse, das Auswertungen über Mobilitäten und Kooperationen in allen Ländern der Welt ermöglicht.

oead.news: Herr Dr. Zotti, wie sehr de-cken sich Ihre Außen- und Innensicht?Stefan Zotti: Diese beiden Bilder wi-dersprechen sich nicht, auch wenn

sie nicht immer deckungsgleich sind. OeAD-intern und mit dem Eigentü-mer haben wir durchaus ein ähnliches Verständnis davon, was der OeAD als Agentur für den Bildungsstandort Ös-terreich leistet. Freilich gibt es nach wie vor andere Fremdsichten, die uns noch zu stark als reine Exekutivagen-tur für die Abwicklung von Stipendien wahrnehmen. Ich sehe daher meine Aufgabe vor allem darin, durch regen Austausch mit unseren Partnern und Stakeholdern, die Vielfältigkeit und Breite der OeAD-GmbH aufzuzeigen und Interesse dafür zu wecken.

oead.news: Was ist noch offen? Was würden Sie Ihrem Nachfolger gerne mit-geben, Herr Professor? Hubert Dürrstein: Es sollte gelingen, die doch sehr gebündelte Expertise der über 200 Mitarbeiter/innen noch besser zu nutzen. Um nur ein Beispiel zu nennen, gibt es im Hochschulbe-reich einige interne Gremien, die noch nicht so viel über den OeAD wissen. Wir sind bereits auf einem guten Weg, hier einen besseren Zugang zu finden. Und darüber hinaus wird es darum gehen, zu überlegen, welche neuen Geschäftsfelder der OeAD generieren kann, um eine langfristige Perspektive zu sichern: Ich denke an Partnerschaf-ten mit weiteren Ländern, siehe das Oman-Programm, oder den Ausbau im Beratungsbereich.

oead.news im Gespräch mit

Hubert Dürrstein und Stefan ZottiDer ehemalige und der neue Geschäftsführer sehen die Strategie der OeAD-GmbH evolutionär. Beiden war und ist es wichtig, die Expertise des OeAD sichtbarer zu machen. Zotti sieht den OeAD als Kompetenzzentrum und will die Beratungsschiene ausbauen.

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oead.news: Herr Dr. Zotti, welche Schwerpunkte möch-ten Sie in den kommenden Jahren setzen?Stefan Zotti: Einige dieser Ideen, die Hubert Dürr-stein gerade angesprochen hat, sind in das aktuelle Unternehmenskonzept 2016 bis 2021 eingeflossen. In all unseren strategischen Überlegungen geht es nicht um Revolution, sondern um Weiterentwick-lung. Der Übergang ist jedenfalls gut gelungen, nun müssen wir herauskristallisieren, welche neu-en Herausforderungen und Erwartungshaltungen es gibt. Aktuell beschäftigen wir uns zum Beispiel damit, welchen Beitrag wir in der Flüchtlingssitua-tion leisten können, um die Integration in das Bil-dungswesen zu unterstützen. Durch diese neuen Anforderungen müssen wir etwa unser Angebot in der Fremdenrechtsberatung erweitern. Wir schauen also, was wird angefragt, und wie können wir da-rauf reagieren. Der Ausbau des Beratungsbereichs ist damit ganz klar einer der Schwerpunkte für die kommenden Jahre.

oead.news: Mit welchen Ländern möchten Sie künftig enger zusammenarbeiten, Herr Dr. Zotti?Global betrachtet ändern sich die großen Mobili-tätsströme – allen voran wird Asien immer wichti-ger. Als kleines Land sind unsere Möglichkeiten in einem riesigen Land wie China natürlich beschränkt. Dennoch: Wir haben an der Fudan Universität in Shanghai ein Kooperationsbüro, wo wir bereits seit 2005 präsent sind. Wir können so vor Ort die Arbeit des Eurasia-Pacific Uninet, an dem 150 Institutionen beteiligt sind, unterstützen und Studierende und Forscher/innen gezielt über die Angebote des OeAD beraten und informieren. Diese Aktivitäten wollen wir künftig noch weiter ausbauen. Wir möchten unsere Bildungsinstitutionen aber auch in neuen,

Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Hubert Dürrstein begleitete die Überfüh-rung des Vereins der Universitäten in die OeAD-GmbH. Er leitete die Agentur des Bundes von 1. Jänner 2009 bis 31. Dezember 2015. Der ehemalige Rektor der Universität für Bodenkultur ist u. a. Vizepräsident der Österreichischen Forschungsgemeinschaft.

aufstrebenden Regionen dabei unter-stützen, Kooperationen zu finden und aufzubauen, wenn Bedarf besteht: etwa im Iran, in Russland oder dem Kaukasus, möglicherweise auch in Südamerika. Konstruktive Koopera-tionen kann man ohnehin nicht von oben verordnen, diese entstehen aus dem Engagement der Forscher/innen, die die Trends erkennen. Die Rolle des OeAD sehe ich darin, eine Scout-Funktion wahrzunehmen und Brücken zu bauen. Und wir wollen die richtigen Instrumente zur Verfügung stellen. Wobei ich es in dem Zusammenhang wichtig finde, unser Fördersystem so breit zu belassen, wie es ist und nicht durch regionale oder thematische Schwerpunkte in seiner Flexibilität zu beschneiden. Um neuen Ansprüchen Rechnung tragen zu können, ist ein ständiger Austausch nötig – nur so können wir herausfinden, wo die Bil-dungseinrichtungen lohnende inhalt-liche Schwerpunkte sehen.

oead.news: Herr Prof. Dürrstein, wo se-hen Sie den OeAD 2021, nach Ablauf des aktuellen Unternehmenskonzepts?Hubert Dürrstein: Immer noch in der Ebendorferstraße. Nein, im Ernst. Wenn es gelingt, das Unternehmens-konzept der nächsten sechs Jahre um-zusetzen, ist der OeAD gut aufgestellt. Es wird darin ein großes Gewicht auf breite und nachhaltige Kommunikati-

on gesetzt und das ist positiv. Ich den-ke, dass dadurch auch die Expertise des OeAD mehr nachgefragt wird.

oead.news: Herr Dr. Zotti, was möchten Sie 2021 umgesetzt wissen?Stefan Zotti: Bis 2021 sollen jeden-falls die Mittel aus dem europäischen Bildungsprogramm Erasmus+ zu 100 Prozent ausgeschöpft sein, um so viele Lernende und Lehrende wie möglich mobil zu machen. Weiters möchten wir – wie schon erwähnt – das Angebot der Fremdenrechtsbera-tung in Richtung Forscher/innen und Lehrende ausbauen, Stichwort Rot-Weiß-Rot-Karte. Wir arbeiten auch daran, neue Angebote in der Fort- und Weiterbildung zu entwickeln. Insge-samt geht es mir darum, den OeAD als Kompetenzzentrum für internationale Entwicklung im Bereich Bildung und Wissenschaft stärker zu positionieren. Das möchte ich 2021 erreicht haben.

Danke für das Gespräch, Rita Michlits

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Dr. Stefan Zotti war Prokurist der OeAD-GmbH von 1. Jänner 2013 bis 31. Dezember 2015. Davor war der promovierte Theologe im Kabinett von EU-Kommissar Johannes Hahn (damals für Regionalpolitik zuständig) in Brüssel tätig. Mit 1. Jänner 2016 übernahm Zotti die Geschäftsführung der OeAD-GmbH.

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Petra Pint | Barbara Sutrich

OeAD-Hochschultagung 2015: Eine Nachlese

Die 25. Jahrestagung des OeAD fand im Zeichen des Europäischen Jahres für Entwicklung statt. Höhepunkt war die Verleihung des Preises für Entwicklungsforschung.

Auch bei der darauffolgenden Podi-umsdiskussion waren die neuen Nach-haltigkeitsziele zentrales Thema. Jens Martens diskutierte diese globalen entwicklungspolitischen Lösungen mit Martin H. Gerzabek (Universität für Bodenkultur), Georg Grünberg (Uni-versität Wien) und Barbara Weitgruber (BMWFW). Einhelliger Tenor: Die Ziele spiegeln ein neues Verständnis der Welt wider. Länder werden nicht mehr nach dem Schema »entwickelt« oder »nicht entwickelt« betrachtet.

Als Höhepunkt wurde der österreichi-sche Preis für Entwicklungsforschung verliehen. Er speist sich aus Mitteln des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) und wird von der Kommission für Entwicklungsforschung (KEF) bei der OeAD-GmbH vergeben. Der Hauptpreis ging an Georg Grünberg, der für sein Lebenswerk der Erforschung indigener Völker in Lateinamerika geehrt wurde. Grünberg zeichnen seine langjährigen, exzellenten Leistungen im Bereich der

Entwicklungsforschung, insbesondere in Zusammen-arbeit mit lokalen Institutionen und NGOs in Latein-amerika, aus. Den Nachwuchspreis erhielt Robert Hafner (Institut für Geografie der Universität Inns-bruck) für seine Monografie »handlung / macht / raum. Urbane Materialsammler-Kooperativen und ihre Livelihoods-Strategien in Buenos Aires«.

Grünberg plädierte für den Dialog unterschiedlicher Wissenssysteme, Perspektiven und Herangehenswei-sen. Dies bedinge auch die Anerkennung anderer Wis-senszugänge, etwa von Nicht-Akademiker/innen (mit reichem Wissensschatz). Das bedeute, einen Dialog zu schaffen, der nicht von einem »besseren« europä-ischen Wissen ausgehe und Glaubenssätze (wie bei-spielsweise die Berücksichtigung von Geistwesen) an-zuerkennen, die (europäische) Wissenschaftler/innen nicht immer verifizieren können. Letztendlich gehe es Grünberg um gemeinsames Denken und Handeln.

Strategien für eine nachhaltige Förderung von Projek-ten und Kooperationen und Perspektiven für die Zu-kunft diskutierten Erich Thöni, Kuratorium der Kom-mission für Entwicklungsforschung (KEF), Mariam Diakité (Studentin aus Mali, Universität Wien/Afroasi-atisches Institut Wien), Michael Obrovsky (ÖFSE) und Margarita Schiemer (Universität Wien).

2015 war ein wichtiges Jahr für die internationale Entwicklungsforschung: Am UN-Gipfel in New York wurden im September die neuen Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) beschlossen. Dies war der Startschuss für neue Maß-nahmen, um die Ursachen von Armut, Ungleichheit, Umweltzerstörung und Klimawandel zu bekämpfen.

Jens Martens vom Global Policy Forum erläuterte in seiner Keynote bei der 25. OeAD-Hochschultagung diese neuen Nachhaltigkeitsziele. Er unterstrich, dass im Vergleich zu den 2015 ausgelaufenen Millenium Development Goals (MDGs) nicht nur Ziele, sondern auch Wege zur Zielerreichung und Überprüfungsmaß-nahmen vereinbart wurden. Martens schilderte auch den holprigen Weg hin zum Beschluss der Ziele.

Jens Martens (Global Policy Forum) präsentierte die wichtigsten Ergebnisse der Konferenz zu nachhaltigen Entwicklungszielen aus New York.

Zahlreiche Besucher/innen bei der Eröffnung der 25. OeAD-Hochschultagung an der Univeristät Wien

Videobotschaft von Sebastian Kurz, Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres

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infopointwww.oead.at/hochschultagung

ehemalige Wissenschaftsminister und ÖVP- Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle überreichte die Auszeichnung.

Abgerundet wurde die Hochschultagung 2015 mit der Eröffnung der KEF- und APPEAR-Filmtage »Stadt.Land.Wandel.«, die ihr Augenmerk auf Urbanisierung, Entschleunigung und sozioökologischen Wandel richteten. Auch in der OeAD-GmbH nimmt Entwick-lungszusammenarbeit einen hohen Stellenwert ein. APPEAR ist das Hochschulkooperationsprogramm der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA), das im OeAD umgesetzt wird. Es dient der Förderung von Hochschulkooperationen zwischen österreichischen Hochschulen und Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen in 16 aktuellen und ehemaligen Schwerpunktländern und -regionen der OEZA. Ziel ist es, die Qualität in Lehre, Forschung und Management an den beteiligten Hochschulen zu stei-gern und den wissenschaftlichen Dialog zu forcieren. Insgesamt förderte der OeAD seit dem Studienjahr 2009/2010 in den Ländern der DAC-Liste der OECD mehr als 600 Kooperationen und 5.000 Mobilitäten.

Studierender in Europa, meinte Diakité, dass diese neben dem akademischen Erfolg und dem Zugang zur Bildung auch eine Chance sehen würden, Bil-dung wieder zurück in ihr Land zu brin-gen. Viele Afrikanerinnen und Afrikaner würden die Idee, im Heimatland Kurse und Ausbildungen für jene anzubieten, die nicht die Chance auf eine Ausbil-dung in der EU haben, unterstützen, so Diakité.

Im Rahmen eines festlichen Emp-fangs verabschiedeten die OeAD-Mit-arbeiter/innen und die beruflichen Weggefährt/innen Hubert Dürrstein, der sieben Jahre lang den OeAD als Geschäftsführer steuerte und mit 1. Jänner 2016 die Leitung an Ste-fan Zotti übergab. Dürrstein erhielt für seine Verdienste um die Republik Österreich das Große Silberne Ehren-zeichen der Republik Österreich. Der

Mariam Diakité, Mitbegründerin des Vereins afrikani-scher Studentinnen und Studenten in Österreich, plä-dierte dafür, einzusehen, dass die Welt eine globale Ge-sellschaft geworden sei und wir in dieser gemeinsam Lösungen für Herausforderungen finden sollten. Ihrer Meinung nach könnten österreichische Hochschulen eine tragendere Rolle als Motor für Entwicklung spie-len, weil Universitäten geeignete Orte seien, um Mig-ration und Entwicklungsforschung zu betreiben und umzusetzen. Gefragt nach den Zielen afrikanischer

Symbolische Schlüsselübergabe von Hubert Dürrstein an Stefan Zotti, der mit 1. Jänner 2016 die Geschäftsführung

der OeAD-GmbH übernahm

Bild links oben: Georg Grünberg (Universität Wien/Österreichi-sches Lateinamerika-Institut) erhielt den österreichischen Preis für Entwicklungsforschung, im Bild mit Barbara Weitgruber (BMWFW)Bild Mitte: Den Nachwuchspreis überreichte Sektionschefin Barbara Weitgruber (BMWFW) an Robert Hafner (Institut für Geografie der Universität Innsbruck)Bild unten: Hubert Dürrstein, Geschäftsführer der OeAD-GmbH bis 31. Dezember 2015, wurde mit dem Silbernen Ehrenzeichen der Republik Österreich geehrt. Nationalratsabgeordneter Karl-heinz Töchterle überreichte die Auszeichnung.

Peter Moser (Vizerektor Montanuniversität Leoben), Hubert Dürrstein (OeAD), Barbara Weitgruber (BMWFW), Stefan Zotti (OeAD) und Karlheinz Töchterle (Nationalrat)

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Cathrine Seidelberger

Erasmus+ AwardAm 2. Dezember 2015 wurde erstmals der Erasmus+ Award der Nationalagenturen Erasmus+ Bildung und Jugend in Aktion verliehen. Er zeichnet Qualität und besondere Leistungen aus.

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Österreichische Jugendliche und Erwachsene beteili-gen sich überdurchschnittlich hoch am EU-Programm Erasmus+. Allein 2015 nahmen mehr als 16.000 Per-sonen in Österreich an einem geförderten Auslands-aufenthalt teil. Besonders herausragende Personen und Projekte wurden von Sektionschef Elmar Pichl (Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft), Hanspeter Huber (Bundesministerium für Bildung und Frauen) und Andreas Schneider (Bundes-ministerium für Familien und Jugend) vor über 200 Gästen am 2. Dezember 2015 in der Akademie der Wissenschaften mit dem Erasmus+ Award gewürdigt. Der Preis wird gemeinsam von den Nationalagentu-ren für Erasmus+ Bildung und Erasmus+ Jugend in Aktion vergeben.

Pichl unterstrich das Engagement der Beteiligten: »Durch die Steigerung der Mobilität und die Förde-rung des internationalen Austauschs erhöhen wir sowohl die fachliche als auch die persönliche Entwick-lung unserer Jugend und damit unserer Zukunft.«

»Ich freue mich, dass der Erasmus+ Award die Leis-tungen der Projektträgerinnen und -träger sichtbar macht und besonders gelungene Projekte würdigt«, sagte Hanspeter Huber. Andreas Schneider hielt fest: »Mir ist es besonders wichtig, den Wunsch der Jugend-lichen nach aktiver Partizipation zu fördern. Mit der Verleihung des Erasmus+ Awards zeichnen wir Projek-te aus, die ein attraktives Lern- und Erfahrungsumfeld geschaffen haben und würdigen den enormen Ideen-

reichtum und Mitgestaltungswillen un-serer Jugend.«

Die Kategorien 2015

Prämiert wurden Mobilitätsprojekte sowie Programmbotschafterinnen und -botschafter in den Bereichen Berufs-bildung, Erwachsenenbildung, Hoch-schulbildung, Jugend und Schulbildung.

Die Auszeichnungen für Mobilitätspro-jekte unterstreichen den europäischen Innovationsgeist. Über den ersten Platz freuen konnten sich die HLW der Caritas

v.l.n.r.: Clara Novak (Botschafterin Jugend), Gerhard Moßhammer (GF Interkulturelles Zentrum, Nationalagentur

Erasmus+ Jugend in Aktion), Maria Pichlbauer (Botschafterin Schulbildung), Gert Hufnagl (Vorstand Interkulturelles

Zentrum), Barbara Streicher (Botschafterin Erwachsenen- bildung), Stefan Zotti (GF OeAD-GmbH), SC Elmar Pichl (BMWFW), Silvia Schwaiger-Wöll (Botschafterin Berufs-

bildung), GL Hanspeter Huber (BMBF), Ingrid Pleschberger (Botschafterin Hochschulbildung), Ernst Gesslbauer

(OeAD-GmbH, Leiter Nationalagentur Erasmus+ Bildung)

Bild links:Ernst Gesslbauer (li.), Leiter der National- agentur Erasmus+ Bildung, und Gerhard Moßhammer, Leiter des Interkulturellen Zentrums, Nationalagentur Erasmus+ Jugend in Aktion

Bild rechts:Das Team der FH Joanneum erhielt den Erasmus+ Award in der Kategorie Hochschulbildung

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Bild oben: Blick ins Publikum, Aula der Wissenschaften

Bild links: Die Preisträgerinnen und Preisträger freuen sich über die Auszeichnungen.

Bild rechts: Der Erasmus+ Award wird jährlich an die erfolgreichsten Projektteilnehmer/innen verliehen.

der Diözese Graz-Seckau für das Berufsbildungspro-jekt »Europe all around«, die atempo BetriebsgesmbH für das Erwachsenenprojekt »Inklusive Bildung mit Tablets«, die FH Technikum Wien für das Hochschul-bildungsprojekt »Mobilität von Studierenden und Mitarbeiter/innen«, Art Mine – Verein zur Förderung des interkulturellen Austauschs und Dialogs für das Jugend-Projekt »Youth for Peace« sowie die BAKIP der Franziskanerinnen von Vöcklabruck für das Schul-bildungsprojekt »Praxis an österreichischer Auslands-schule in Istanbul«.

Als Programmbotschafterinnen wurden Maria Pichl-bauer (Schulbildung), Silvia Schwaiger-Wöll (Berufs-bildung), Barbara Streicher (Erwachsenenbildung),

Ingrid Pleschberger (Hochschulbildung) und Clara Novak (Jugend) ausgezeichnet.

Die Preisträgerinnen und Preisträger wurden aus zahl-reichen Einreichungen von einer internationalen Jury gewählt. Die Preise für die Botschafter/innen wurden von WIFI Österreich, bfi Österreich und SPAR Öster-reich gesponsert.

Umfassender Ansatz

Die Lernmobilität von Einzelpersonen ist zentrales Standbein des europäischen Programms für Bildung, Jugend und Sport, das in sieben Jahren über vier Mio. Menschen mobil machen soll. Zwischen 2014 und

2020 stehen dafür europaweit 14,7 Mrd. Euro zur Verfügung. Die Teilnah-memöglichkeiten sind vielseitig und spannen den Bogen von Berufsprakti-ka für Lehrlinge im Ausland über Stu-dierendenmobilität an ausländische Hochschulen und Unternehmen sowie europaweite Fortbildungskurse für Pä-dagog/innen bis hin zur Teilnahme an Freiwilligenprojekten und europäischen Jugendbegegnungen.

Eine Broschüre informiert über die prä-mierten Personen und Projekte: www.bildung.erasmusplus.at/award2015

Bild links:Die Erasmus+ Jugend-Botschafterin Clara Novak erzählte von ihrem Auslandsaufenthalt in Finnland.

Bild rechts:Das Team der Bildungsanstalt für Kinder- gartenpädagogik in Vöcklabruck (im Bild mit Andrea Schmölzer, BMBF, und Ernst Gessl-bauer, OeAD/Nationalagentur, ganz re.) wird für ihr Schulbildungsprojekt ausgezeichnet.

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Rafaela Mazal

Der Citizen Science Award 2015Ein Monat lang waren Schulen aus ganz Österreich eingeladen, an Forschungsprojekten mitzuarbeiten.

Im Rahmen des Citizen Science Awards luden 2015 erstmals das Wissenschaftsministerium und Young Science, das Zentrum für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Schule, alle Schülerinnen und Schü-ler ein, bei vier ausgewählten Citizen Science-Projek-ten mitzuforschen. Die österreichischen Schüler/innen sammelten im vergangenen Oktober eifrig Daten: bei der Beobachtung der Blattverfärbung bei heimischen Pflanzen im Herbst oder bei der Entwicklung von Fra-gebögen für die Allergieforschung, beim Testen von Online-Laboren oder bei der Dokumentation von poli-tischen Begegnungen im Alltag.

Im Young Science-Forschungsmonat Oktober über-mittelten die Kinder und Jugendlichen via Apps, E-Mails, Fragebögen und Online-Formularen so viele Da-ten wie möglich an die jeweiligen Forschungsteams. Jene Teams, die den Forscherinnen und Forschern die meisten Daten lieferten, konnten dabei zwischen 500 und 3.000 Euro für die Klassenkassa gewinnen. Einen Sonderpreis gab es für die innovativste Strategie, ei-nen besonders breiten Personenkreis für die Mitwir-kung an einem der Forschungsprojekte zu gewinnen. Insgesamt haben sich 150 Schulklassen aus ganz Ös-terreich am Citizen Science Award 2015 beteiligt. Die 15 Gewinnerklassen wurden am 15. Dezember ins Wie-ner Museumsquartier eingeladen, wo sie im Rahmen einer feierlichen Festveranstaltung ihre Preise entge-gennahmen.

Auch 2016 lädt das BMWFW Forschungsprojekte ein, gemeinsam Citizen Science Awards an die engagier-testen Bürgerinnen und Bürger zu vergeben. Im Ge-gensatz zu 2015 ist das Ziel des Citizen Science Awards 2016, Interessierte aller Altersstufen für Forschung zu begeistern und zum Mitforschen zu animieren.

Bild oben, von links nach rechts: Christian Smoliner (BMWFW), Marie Céline Loibl (BMWFW), Stefan Zotti (OeAD), Bernhard Weingartner (TU Wien), Petra Siegele (OeAD), unten: Schülerinnen

und Schüler der 4b, Volksschule Oberlaa, Wien, zweiter Platz bei FarbVerrückt.

Bild unten: Das Interesse an der Preisverleihung war groß – der Saal im Wiener Museumsquartier platzte aus allen Nähten.

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infopointwww.youngscience.at/award

Facts & Figures

Im Oktober 2015 gab es erst-mals für ALLE Schülerinnen und Schüler Österreichs die Möglich-keit, bei aktuellen Forschungs- projekten mitzumachen. Schulklas-sen konnten dabei österreichweit Beiträge zur heimischen Forschung leisten und ganz nebenbei bis zu 3.000 Euro für die Klassenkassa ge-winnen.

150 Schulen nahmen die Einladung an und forschten um die Wette. Die Auszeichnung der fleißigsten For-scher/innenteams fand im Rahmen einer Festveranstaltung am 15. De-zember im Wiener Museumsquartier statt, an der über 400 Interessierte teilnahmen. Insgesamt wurden fünf Awards mit jeweils einem ersten, einem zweiten und einem dritten Platz verliehen.

Ab 2016 wird die Teilnahme am Citizen Science Award neben Schu-len auch anderen Interessierten möglich sein.

Schülerinnen und Schüler der 7b des BORG Radstadt, Salzburg. Sie gewannen sowohl den Sonderpreis als auch den Hauptpreis beim Projekt ALRAUNE.

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Knapp 400 Teilnehmer/innen kamen zur Festveranstaltung ins Wiener Museumsquartier.

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IMPRESSUM: Medieninhaber & Herausgeber: OeAD (Österreichische Austauschdienst)-Gesellschaft mit beschränkter Haftung | Austrian Agency for International Cooperation in Education and Research (OeAD-GmbH) | 1010 Wien, Ebendorferstraße 7 | Sitz: Wien | FN 320219 k | Handelsgericht Wien | Chefredaktion und für den Inhalt verantwortlich: Eva Müllner, KIM – Kommunikation, Information, Marketing | Schlussredaktion: Rita Michlits | Mitarbeiter/innen dieser Ausgabe: Ovagem Agaidyan, Sandra Allmayer, Lydia Maria Arantes, Gottfried Biewer, Małgorzata Bogaczyk-Vormayr, Anna Diop, Michael Dippelreiter, Angelika Grabher, Franz Gramlinger, Kanita Halkic, Christiane Hintermann, Christine Kladnik, Katharina Kloser, Markus Lörz, Rafaela Mazal, Rita Michlits, Erna Nairz-Wirth, Kerstin Nemec-Seipenbusch, Nicolai Netz, Nikoleta Nikisianli, Petra Pint, Michelle Proyer, Nina Prinz, Heiko Quast, Michael Schedl, Cathrine Seidelberger, Margarita Schiemer, Barbara Sutrich, Martin Unger, Heiko Vogl, Veronika Wöhrer, Wolfgang Zeiler, Stefan Zotti | 1010 Wien | Ebendorferstraße 7 | T +43 1 534 08-0 | F +43 1 534 08-999 | [email protected] | www.oead.at | Grafisches Konzept: Fineline, graphic-design & typography, 1040 Wien | Layout: Eva Müllner | Fotos: Wenn nicht gesondert vermerkt, im Eigentum der OeAD-GmbH, Coverfoto: © A. S., Pixelio | Druck: one2print/DI Hans A. Gruber KG | Finanziert aus Mitteln des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft | Hinweis: Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider und müssen sich nicht mit der des Herausgebers decken | P.b.b. | Erscheinungsort Wien | Verlagspostamt 1010 Wien | GZ: 02Z032 994M | Wien, März 2016

OFFENLEGUNG GEMäSS § 25 MEDIENGESETZ: Unternehmensgegenstand: Unternehmensgegenstand ist die Durchführung von Maßnahmen der europäischen und internationalen Kooperation im Bereich der Wissenschaft und Forschung sowie der Erschließung der Künste, der Hochschulbildung, der Bildung und der Ausbildung (§3. (2) OeAD-Gesetz) | Geschäftsführer: Stefan Zotti | Prokurist: Ulrich Hörmann | Mitglieder des Aufsichtsrates: Elmar Pichl, Hanspeter Huber, Teresa Indjein, Gottfried Schellmann, Heinz Faßmann, Kurt Koleznik, Malies Krainz-Dürr, Barbara Sporn, Franz Salchenegger, Florian Gerhardus, Bernhard Muzik, Alexandra Wagner | Die OeAD-GmbH steht zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes (§1.(2) OeAD-Gesetz) | Grundlegende Richtung: Information zu Bildungsmobilität & Bildungskooperation – national und international.

OeAD-Ausschreibung

APPEAR: 6. Call Austrian Partnership Programme in Higher Education and Research for Development

Zwischen 1. Februar und 31. Mai 2016 ist der mittlerweile 6. Call des APPEAR-Programms geöffnet. APPEAR ist ein Programm der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA). Gefördert werden Partnerschaften zwischen österreichischen. Hochschulen und Universitäten sowie weiteren Forschungseinrichtungen in den Ländern:

Æ Äthiopien, Uganda, Kenia Æ Mosambik Æ Kap Verde, Burkina Faso, Senegal Æ Nicaragua, El Salvador, Guatemala Æ Bhutan, Nepal Æ Palästinensische Gebiete Æ Georgien, Armenien, Republik Moldau

Ziel ist die Stärkung der institutionellen Kapazitäten in Hochschul-bildung und Forschung für Entwicklung. Dabei orientieren sich die Schwerpunktthemen des Programms an jenen der OEZA.

Æ Wasser- und Siedlungshygiene, ländliche Entwicklung, nach-haltige Energie, Umwelt und Schutz der natürlichen Ressour-cen; in diesem Themenfeld ist die Berücksichtigung des Nexus-Ansatzes (Wasser-Energie-Ernährungssicherheit) willkommen

Æ Privatsektorentwicklung Æ Armutsminderung, Friedenssicherung und Konfliktprävention, Governance

und Menschenrechte, Gender Æ Erhöhung sozialwissenschaftlicher Kompetenzen (z. B. zur systematischen

Analyse von Gründen für Armut, zur Stärkung von Forschungskapazitäten)

Disability Mainstreaming ist ein Querschnittsthema von APPEAR, daher gilt die Berücksichtigung von Aspekten der Inklusion und Förderung von Menschen mit Behinderung als sogenannter »Added Value«.

Im Rahmen von APPEAR können bis 31. Mai 2016 folgende Förderungen einge-reicht werden:

Æ Academic Partnership (Hochschulpartnerschaften) Æ Advanced Academic Partnership (Hochschulpartnerschaften, die auf bereits

abgeschlossenen APPEAR-Projekten aufbauen) Æ Preparatory Funding (Anbahnungsfinanzierung, um einen Vollantrag aus-

zuarbeiten – nur für Institute, die noch nicht gemeinsam gearbeitet haben) Æ PhD-Stipendien

Alle Informationen und Formulare sind unter folgendem Link zu finden: www.appear.at/application