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BRANCHENREPORT RETAIL & CONSUMER GOODS DURCH GESCHÄFTSMODELLINNOVATIONEN DIE DIGITALISIERUNG ERFOLGREICH NUTZEN by Horváth & Partners 2019 BE DIFFERENT Geschäftsmodellinnovation: Das Undenkbare denken Seite 4 Mutig, kreativ und strukturiert zur Innovation Seite 6 BE BETTER Verbesserungspotenziale mit der Smart-Cut-Methode identifizieren Seite 8 Mit Robotics schlummernde Automati- sierungspotenziale nutzen Seite 10

BRANCHENREPORT RETAIL & CONSUMER GOODS · Geschäftsmodelle haben das Potenzial nicht nur neu zu sein, sondern auch marktführend zu werden. Neben star - ... der Praxis werden die

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BRANCHENREPORT

RETAIL &CONSUMER GOODSDURCH GESCHÄFTSMODELLINNOVATIONEN DIE DIGITALISIERUNG ERFOLGREICH NUTZEN

by Horváth & Partners 2019

BE DIFFERENT

Geschäftsmodellinnovation:Das Undenkbare denken

Seite 4

Mutig, kreativ und strukturiert zur Innovation

Seite 6

BE BETTER

Verbesserungspotenziale mit der Smart-Cut-Methode identifizieren

Seite 8

Mit Robotics schlummernde Automati-sierungspotenziale nutzen

Seite 10

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Heute bestellt – und auch schon heute geliefert! Wer kauft was, wo, wann und warum? Die Digitalisierung schafft mit neuen Geschäftsmodellen in kürzester Zeit Marktführer. Unternehmen greifen (Markt-) Trends mit hoher Geschwindigkeit auf und richten agil ihr Ge-schäftsmodell auf sich ändernde Kundenbedürfnisse aus. Zentrale Unternehmensprozesse, wie Produktent-wicklung, Logistik und Vertrieb, müssen diesem schnel-len Takt folgen. Data Scientists und Roboter revolutio-nieren die internen Prozesse. Datenbasier te Geschäftsmodelle haben das Potenzial nicht nur neu zu sein, sondern auch marktführend zu werden. Neben star-ken Marken wird die richtige Nutzung von Technologien über den zukünftigen Erfolg und Misserfolg entscheiden und die Wettbewerbssituation in der Handels- und Kon-sumgüterbranche neu prägen.

Im Spannungsfeld von Herstellern und Handel beob-achten wir grundsätzliche Veränderungen: Der Margen-druck auf die Industrie steigt mit der fortschreitenden Konsolidierung des Handels. Dieser erschließt sich fort-laufend mit Big Data und Analytics neue eigene Opti-onen auf Grundlage seiner vielfältigen Daten, aber auch der allgemein zugänglichen Informationsquellen, wie z.B. Social Media und Influencer. Bisherige Wissensvor-sprünge der Industrie über Kundenbedürfnisse und Trends schwinden sukzessive.

Aber der Handel steht ebenfalls unter Druck. Kunden fragen nach starken Marken und der Handel verliert immer mehr seinen exklusiven Kundenzugang an die Hersteller, die eigene digitale Vertriebskanäle aufbauen. Individualisierte Produkte und umfangreiche Ökosyste-me sorgen für eine steigende Bindung zwischen Kunden und Herstellern – unter Umgehung des Handels.

Mit zunehmendem Online-Vertrieb wächst zudem die Abhängigkeit beider – Handel und Hersteller – von neu am Markt etablierten Gate-Keepern, wie Suchmaschi-nen und Vergleichsportalen.

Diese Veränderungen bieten Chancen für alle Seiten: Be better or be different! Aber wie? Lösungsräume be-stehen für Unternehmen aus Handel und Industrie so-wohl in der Entwicklung von Geschäftsmodellen als auch in der Optimierung bestehender Prozesse. Die Digitalisierung ist dabei nicht nur der Auslöser der ak-tuellen Entwicklung, sondern befähigt auch, die Chan-cen zu realisieren. Dabei sind die digitalen Agenden der CFO- und COO-Bereiche die Klammer um konkrete Maßnahmen, die sich wiederum aus dem digitalen Ziel-bild und der digitalen Funktionsstrategie ableiten.

Unter diesen Aspekten haben wir Ihnen einige Einblicke zusammengestellt, wie sich Geschäftsmodelle und Pro-zesse erfolgreich weiterentwickeln lassen, aber auch, wie Sie sich im Irrgarten von Innovation und Digitali-sierung besser orientieren können.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen,

Michael Buttkus

PartnerLeiter Retail & Consumer GoodsHorváth & Partner GmbH

Anders sein? Besser werden!

Chancen jetzt nutzen!

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heiten reagieren. Das Umfeld der Handelslandschaft ist in dieser Hinsicht fruchtbar: Die Anzahl an Start-ups mit Ideen für innovative Geschäftsmodelle steigt stetig. Die frühzeitige Bildung strategischer Partnerschaften und die Bündelung jeweiliger Kernkompetenzen ermöglicht die Schaffung von Win-Win-Situationen. So platzieren junge Unternehmen wie KptnCook, Fliit oder Durst ihre Leistungsangebote nah an denen der großen Spieler der Branche und bieten diesen damit eine Möglichkeit, ihre eigenen Geschäftsmodellkomponenten zu innovieren.

Wie innovieren?

Zwar genießen Innovationen eine hohe Priorität, aber in der Praxis werden die meisten Ideen nur selten zielführend verfolgt: Realisationszeiten sind zu lang und Zweifel be-gleiten die Prozesse. Gerade in der tradierten Handelsbran-che kann der Umgang mit Innovationen eine Organisation anfänglich herausfordern. Wie also richtig beginnen?

Um neue Angebote zügig auf den Markt zu bringen, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Das Spektrum reicht von der Akquisition eines Unternehmens oder Start-ups, über Open Innovation, bei der Kunden und andere exter-ne Stakeholder in den Innovationsprozess einbezogen werden, bis hin zu Akzeleratoren und Inkubatoren als In-novationsschmieden.

Akzeleratoren fungieren als Beschleuniger, um in weni-gen Wochen von der ersten Idee über einen Prototypen

bis zum marktreifen Angebot zu kommen. In vier Schrit-ten werden Kundenbedürfnisse identifiziert, das Produkt gestaltet, ein Geschäftsmodell erarbeitet und ein Roll-out-Plan aufgestellt.

Ein Patentrezept, mit dem alle Unternehmen erfolgreich innovieren, gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss seine eigene Innovations-DNA entwickeln. Es muss den Blick in die Zukunft wagen, bevor es mit der Entwicklung seiner Strategie die Richtung der Innovationsarbeit festgelegt und diese dann durch ein ganzheitliches Innovationsma-nagement von der ersten Idee bis zur Umsetzung steuert. Mit einem modernen Ansatz, der sowohl die Transforma-tion des Bestandsgeschäfts als auch radikale Neuerungen unterstützt, starten Unternehmen in Zeiten des Umbruchs mit voller Kraft voraus in eine erfolgreiche Zukunft.

Die Tengelmann-Gruppe zum Beispiel hat einen investiven Ansatz gewählt und tritt seit 2009 mit ihrer Tochter Ten-gelmann Ventures Management als Investor auf. Seitdem wurde in über 50 Start-ups und Growing-Companies im Bereich Consumer Internet, Marketplaces und Technologie investiert. Auch REWE digital verfolgt ähnliche Ziele – neben den eigenen Geschäftsmodellinnovationen – und steuert die digitalen Ventures der REWE Group. Diese Vorgehensweisen diversifizieren nicht nur das eigene Geschäftsportfolio, sondern steigern auch das Digitali-sierungs-Know-how in der eigenen Organisation und bauen die notwendigen Kompetenzen für künftige Inno-vationen auf.

Be different: GeschäftsmodellinnovationenDas Undenkbare denken: neue Geschäftsmodelle entwickeln

Als Architekten der Zukunft müssen Manager sich nicht nur klar darüber werden, warum sie innovieren wollen, sondern auch wo und wie. Diese drei Fragen sind für erfolgreiche Innovationsprozesse zentral. Auf dem Prüfstand steht dabei zunächst die Robustheit des aktuellen Geschäftsmodells mit Blick auf die Sze-narien einer möglichen Zukunft. Hier gilt es insbeson-dere herauszuarbeiten, wo sich die Organisation künf-tig positionieren und mit welchem Wertversprechen sie welche heutigen und künftigen Kundenprobleme lösen will. Und anschließend geht es darum, zu ent-scheiden, wie und mit welchen Werkzeugen die Inno-vationsarbeit zum Erfolg geführt werden soll.

Warum innovieren?

In einer immer komplexeren und enger vernetzten Welt sehen sich sowohl multinational agierende Konzerne als auch regional tätige Unternehmen plötzlich der Konkur-renz von Start-ups gegenüber und müssen mit deren Tempo Schritt halten. Neue Wettbewerber mit sehr spe-zifischen Leistungsversprechen oder plattformbasierten Ansätzen gefährden traditionelle, kapitalintensive Ge-schäftsmodelle. Gründe genug für Unternehmen und Organisationen, ihre Position in der Wertschöpfungsket-te zu überdenken und zu hinterfragen. Denn die bisheri-gen Strukturen lösen sich auf. So verschwimmen die Grenzen zwischen Kommunikation und Vertrieb genauso wie zwischen den dazugehörigen Kanälen. Dadurch bie-ten sich gerade den Konsumgüterunternehmen Möglich-keiten einer veränderten Kundenansprache. Das gängige Stichwort „Content“ darf dabei nicht als Modebegriff des Social-Media-Zeitalters verschrien werden, denn das rich-tige Handling bietet das Potenzial, die eigenen Produkte unabhängig vom Handel nachhaltig beim Kunden zu platzieren und ihren Absatz zu steigern.

Heute kommt es weniger auf den Besitz und die Kon-trolle physischer Ressourcen als auf Informationen an. Gleichzeitig schrumpfen die Transaktionskosten speziell für den Austausch und die Verarbeitung von Daten, deren

Bedeutung drastisch steigt. Wer in dieser Phase die Mög-lichkeiten der digitalen Transformation als Chance be-greift, kann den Wandel aktiv mitgestalten. Mehr denn je spielen die strategische Vorausschau und Innovations-arbeit heute die Schlüsselrolle, um Wachstumspotenzia-le zu erschließen und den Unternehmenserfolg nachhal-tig zu sichern.

Für historisch gewachsene, komplexe Handelsorganisatio-nen sind diese Dynamiken rund um die Themen Innovati-on, Transformation und ‚Daten als neue Währung‘ funda-mentale Herausforderungen. Zwar bietet die aus der hohen Kundenfrequenz und den Marktanteilen etablierter Unter-nehmen abgeleitete Vielzahl von Kundenkontaktpunkten einen reichhaltigen Pool an Kundendaten, um Innovations-chancen aufzugreifen, muss allerdings zunächst innerhalb der Organisation verstanden werden, dass z.B. Kundenkar-ten nicht nur zur Kundenbindung taugen, sondern dass es sich bei der richtigen Datenverarbeitung um ein mögliches Fundament für neue datenbasierte Service- oder Geschäfts-modelle handelt.

Wo innovieren?

Heute reicht es nicht mehr aus, mit neuen Produkten und Services zusätzliche Umsätze zu erzielen oder dank effi-zienterer Prozesse Kosten zu senken. Die Herausforde-rungen bestehen darin, sowohl anlagenintensive Ge-schäftsmodelle zu digitalisieren als auch mit ergänzenden Marktleistungen rund um das Kerngeschäft Kundenbe-dürfnisse ganzheitlich zu bedienen und zusätzliche Er-tragsströme zu erschließen. Gefragt sind einerseits neue, radikale Wertversprechen, die zügig umgesetzt werden können, andererseits auch das Bewusstsein, dass Unter-nehmen nicht mehr alles aus eigener Kraft schaffen müssen. Erfolgreiche Organisationen setzen sich daher intensiv mit Geschäftsmodell- und Ökosysteminnovatio-nen auseinander. Sie können neue Marktleistungen oder eine bessere Wertschöpfung auch gemeinsam mit stra-tegischen Partnern innerhalb eines Ökosystems realisie-ren und so flexibel auf sich verändernde Marktgegeben-

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Be different: Mutig, kreativ und strukturiert zur InnovationInnovationen schlummern im Unternehmen, werden aber nur unzureichend entwickelt

Warum bin ich nicht auf die Idee gekommen? Was hat mir zur Realisierung meiner Idee gefehlt? Diese Fragen hat sich wahrscheinlich schon jeder einmal gestellt. Der fehlende Innovationserfolg wird mit einer unzu-reichenden oder gar falschen Herangehensweise er-klärt. Innovationsprozesse werden durchgängig von Zweifeln begleitet, ob die richtige Idee favorisiert wird, und infolgedessen oft nicht konsequent vorangetrie-ben. Eine Innovation bedarf daher immer auch einer entsprechenden Kulturentwicklung. Häufig erleben wir – selbst bei Unternehmen mit hohem Innovations-bewusstsein und ausgeprägter Experimentierfreudig-keit –, dass Ideen entstehen und vielleicht noch aus-probiert werden, jedoch in der Organisation dann der „Nährboden“ fehlt, sie marktreif zu entwickeln.

Mit Struktur in die innovative Zukunft

Um Innovationen erfolgreich zu machen, hilft der ‚Innova-tion Accelerator‘, Chancen am Markt durch neue Ge-schäftsmodelle in vier Schritten systematisch und sukzes-siv zu realisieren.

Ziel des Accelerator-Programms ist, das Potenzial einer Idee zu identifizieren und sie strukturiert, schnell und effizient bis zur Marktreife zu bringen. Dabei ist es wichtig, den Prozess so zu gestalten, dass die Option des Scheiterns einer Idee zulässig und politisch legiti-miert ist.

1. Kundenbedürfnisse als Innovationsgrundlage verstehen

Um Kundenwünschen zu entsprechen, müs-sen Bedürfnisse und Erwartungen an Pro-dukte oder Services verstanden werden. Die branchenbedingt hohe Interaktionsfrequenz führt im Handel zu einer immensen Menge

kundenbezogener Daten, die sich durch die richtige Ver-arbeitung bei der Ermittlung von Kundenbedürfnissen als

Wissensschatz erweisen könnten. Dabei sollte die Struk-turierung der Bedürfnisse entlang der Customer Journey erfolgen und zu erfüllende Aufgaben, sogenannte Jobs-to-be-done, müssen identifiziert werden. Bereits hier kön-nen potenzielle Kunden durch Fokusgruppeninterviews eingebunden werden, um die zentrale Frage „Was will und braucht der Kunde?“ zu beantworten. Auch für einen Markenhersteller ist dieser Schritt elementar. Denn bevor er zum Beispiel in den Direktvertrieb via Internet einsteigt, sollte er genau wissen, welche Kunden er mit diesem neuen Vertriebskanal anspricht und welche Anforderun-gen diese an die Kundenschnittstelle und das Servicean-gebot sowie die dahinterliegenden Prozesse stellen. Aber er sollte auch herausfinden, welche Kannibalisierungs-effekte bei traditionellen Kanälen bzw. mit dem Handel zu erwarten sind.

2. Das Produkt greifbar machen

Ausgehend von Kundenbedürfnissen und Erwartungen wird das Wertversprechen des Produktes bzw. Services formuliert. Mithilfe verschiedener Kreativitätstechniken kann in einem iterativen Prozess die Idee weiter-

entwickelt und in Form eines Minimal Viable Products (MVP) ausgestaltet werden. Das Testen des MVPs mit Hilfe von Hypothesen ist hierbei eine erste Reifeprüfung. Die Hypothesen helfen dabei, das neue Wertversprechen zielgerichtet zu verändern und zu optimieren.

3. Von der Idee zum Geschäftsmodell

Das ausgearbeitete Produkt ist die Grund-lage für die Konzeption des Geschäftsmo-dells, um die Wirtschaftlichkeit der Innova-tion im Rahmen eines ersten Business Cases zu überprüfen. Anhand valider, prag-

matischer Annahmen werden erwartete Kosten und Er-tragspotenzial gegenübergestellt. Ergänzend werden die Fähigkeiten und Kompetenzen der Organisation

betrachtet, um die richtigen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Entwicklung und Einführung am Markt sicher-zustellen. Ab diesem Punkt kann das Management eine Entscheidung über die weitere Durchführung des Projektes treffen.

4. Mit Pilotierung in den Markt starten

Nach positiver Entscheidung muss das Unter-nehmen die Innovation für eine erfolgreiche Markteinführung auf Basis der getroffenen Annahmen konsequent vorantreiben. Grund-lage hierfür ist ein Projektplan mit den we-

sentlichen Maßnahmen und Meilensteinen der Umsetzung.

Unter Einbezug aller Unternehmensbereiche sind individu-elle Konzepte für u.a. Vertrieb, Pricing und Kommunikation zu entwickeln und konkrete Umsetzungsmaßnahmen zu formulieren. Testballons und prototypische Iterationen sowie das frühe Einbinden von Kundenfeedback sind wesentlich für die Schärfung des neuen Geschäftsmo-dells. Gewonnene Erkenntnisse validieren den zuvor er-stellten Business Case und verhindern wirtschaftliche Fehlentwicklungen. Die anschließende Roll-out-Planung basiert auf den Erkenntnissen dieser Pilotierungsphase. Handelsinnovator Amazon zum Beispiel öffnet seinen

mitarbeiterlosen Supermarkt Amazon Go in Seattle zunächst nur den eigenen Mitarbeitern, um dadurch realitätsnahe Erfahrungen zu sammeln und die Markt-eignung zu testen.

Ein Accelerator ist typischerweise als Fast-Track neben anderen sequenziell orientierten Innovationsmechanismen anzusiedeln. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für erfolgreiche Accelerator-Programme ist dabei die Einbindung des Top-Managements und seiner Unterstützung des Prozesses und der Ideen, die den Accelerator durchlaufen.

Über die Innovation hinaus erfahren Mitarbeiter eine große Wertschätzung ihrer Ideen und erweitern ihr Kom-petenzfeld. Sie werden befähigt, Innovationen eigenstän-dig zu entwickeln und Innovationsmethoden anzuwen-den. Um operatives Wissen und Erfahrung der Mitarbeiter optimal nutzen zu können, ist eine heterogene, hierarchieübergreifende Zusammenstellung von Teams sinnvoll. Innovationsprozesse können unternehmerische Denkansätze in der Belegschaft fördern und eine Trieb-feder für eine Innovationskultur sein. Erfolg durch Inno-vationen ist folglich ein Thema der Unternehmenskultur. Eine Organisation muss die Bereitschaft aufbringen, eine Atmosphäre zu schaffen, die den Mut zum Innovations-Engagement fördert und sogar das „Scheitern“ von Ideen toleriert.

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Digitalisierungsvorsprünge von Konkurrenten und über-greifende Best-Practice-Lösungen und bestimmt den notwendigen Handlungsbedarf. Dieser Beitrag beschreibt Teile des Smart-Cut- Ansatzes im Zusammenhang mit Digitalisierungsprozessen.

Aufbau eines Zielbilds

Im Zuge der Digitalisierung wurden bereits viele Initiati-ven nicht selten nach kurzer Zeit erfolglos eingestellt. Oft versuchen Unternehmen die Digitalisierung zu er-zwingen und verlieren dabei das Ziel aus den Augen. Die Erstellung eines Zielbilds ist daher für jeden Business-Transformation-Prozess wesentlich. Unternehmen haben zwei Möglichkeiten, sich langfristig und erfolgreich am Markt zu behaupten:

1. Be different: Konzeptionelle Stärke des Geschäftsmodells

2. Be better: Umsetzungskompetenz strategischer Ziele

Ziel jeder Digitalisierungsinitiative bzw. jedes Business-Transformation-Prozesses muss eine dieser beiden Mög-lichkeiten sein. Im Idealfall ist ein Unternehmen sowohl anders als auch besser als die Konkurrenz; in diesen Fällen handelt es sich meistens um den Marktführer.

Grundsätzlich fällt es den meisten Unternehmen leichter ‚besser‘ als andere Unternehmen zu sein, deshalb basiert ihr Erfolg auf effizienten Prozessen, Strukturen und Res-sourcen. Sie fragen sich daher, in welchen Funktionen ihnen die Digitalisierung helfen kann, pünktlicher, schnel-ler, billiger oder zuverlässiger zu werden.

Smart Cut ‒ Performancesteigerung

Der Smart-Cut-Ansatz geht davon aus, dass Performance-steigerungs-Programme ihre größten Effekte nur zeigen und nachhaltig wirken, wenn sie als ganzheitliches Kon-zept auf die Unternehmensstrategie abgestimmt und mit dem Betriebsmodell verzahnt sind.

Der holistische Ansatz von Smart Cut erfordert als ersten Schritt jeder Digitalisierungsinitiative die Prüfung bzw. Anpassung der Strategie und des Geschäftsmodells sowie die Erstellung eines top-down Business Cases zur Ablei-tung der Ziele. Dabei werden die bestehende Strategie und das Geschäftsmodell grundlegend hinterfragt und

anhand der Rahmenbedingungen des Marktes bewertet. Effizienzpotenziale dürfen anschließend nur erschlossen werden, wenn die erforderlichen Maßnahmen die zugrun-de liegende Strategie und das Geschäftsmodell weder verändern noch gefährden.

Im nächsten Schritt werden die bestehenden Strukturen und Prozesse sowie die genutzten Ressourcen mit dem top-down Business Case verglichen. Die gewonnenen Erkennt-nisse dienen der Neuausrichtung von Zielorganisation und Prozesslandschaft. Anschließend können strukturelle Hand-lungsfelder aufgedeckt sowie Defizite im Vergleich mit di-gitalisierten Mitbewerbern identifiziert werden.

Vielen Unternehmen fällt es schwer, ihren Digitalisie-rungsgrad zu messen und die eigene Wettbewerbssitua-tion zu bewerten. Besonders in diesen Fällen ist Bench-marking eine bewährte Methode, Effizienzpotenziale im Unternehmen aufzudecken. Dabei wird das Unternehmen in verschiedene Divisionen (z.B. Einkauf und Supply Chain, Produktion, Vertrieb, Support und Overhead) ge-gliedert, um ausgewählte Funktionen mit Mitbewerbern und marktüblichen Kennzahlen (KPIs) zu vergleichen und eventuelle Effizienzpotenziale zu identifizieren. Im Rah-men des Smart-Cut-Ansatzes dienen Benchmarks jedoch nur selektiv als Indikatoren für Handlungsfelder und dürfen aufgrund des holistischen Ansatzes niemals kon-krete Zielgrößen vorgeben. Diese Analyse ermöglicht anschließend die Ableitung von konkreten Performance-steigerungs-Maßnahmen.

Der finale Schritt jeder Digitalisierungsinitiative veran-kert die durchgeführten Maßnahmen dauerhaft in der Organisation. Nur so wird eine maximale Wirkung nach-haltig erzielt, denn Digitalisierungsinitiativen führen immer zu Veränderungen und erfordern daher aktives Change-Management und umfassende Kommunikation. Ebenso müssen die zukünftig benötigten Kompetenzen sichergestellt sowie die Auswirkungen auf die Kultur des Unternehmens berücksichtigt werden.

Die klassischen betriebswirtschaftlichen Instrumente zur Verbesserung der Funktionen eines Unternehmens sind die eine Seite. Auf der anderen Seite haben die eingangs genannten neuen Technologien unschätzbares Potenzial zur Beseitigung von Ablaufdefiziten und zur Verbesse-rung unzureichend digitalisierter Prozesse. Ihre Bedeu-tung wird im nachfolgenden Beitrag über Robotics-Ent-wicklungen deutlich.

Be better: Verbesserungspotenziale mit der Smart-Cut-Methode identifizierenDigitalisierung richtig einsetzen

Robotics, Artificial Intelligence und Internet of Things (IoT) sind beliebte Buzzwords und fehlen in keiner Digi-talisierungsinitiative. Jeder hat davon gehört und eine Vorstellung, was sich hinter den Begriffen verbirgt. Den meisten Unternehmen ist jedoch unklar, wie und wo man diese technischen Errungenschaften erfolgreich einsetzen kann und welche Effizienzpotenziale damit wirklich zu erschließen sind.

Allgemein gilt die Digitalisierung als großer Effizienztrei-ber, aber den meisten Unternehmen fehlt ein Zielbild und damit das ganzheitliche Konzept, sie flächendeckend im Unternehmen erfolgreich einzusetzen.

Vor allem ist Transparenz erforderlich, in welchen Unter-nehmensfunktionen es Effizienzpotenziale gibt und wo es sich lohnt, an digitale Enabler zu denken. Konsumgü-terhersteller sind oft sehr stark und innovativ in ihren produktnahen Prozessen; Händler haben ihre klassischen Stärken im Einkauf und der Supply Chain. Aber vor allem die administrativen Bereiche mit ihren historisch gewach-senen, über Ländergrenzen und Funktionen hinaus oft-mals nicht harmonisierten Prozessen, bieten viel Raum für Effizienzsteigerungen. Der Smart-Cut-Ansatz hinter-fragt ganzheitlich die bestehenden Strukturen und Pro-zesse und legt auf diese Weise Effizienzpotenziale offen. Mit Hilfe eines strukturierten Prozesses sorgt ‚Smart Cut‘ für die nötige Transparenz, identifiziert idealerweise

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Entscheidend ist dabei die Integration neuerer Verfahren des maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz. Sie ermöglichen – anders als die etablierten Integrations- und Automatisierungsansätze – die Verarbeitung auch unstrukturierter Daten, die bisher ausschließlich manuell verarbeitet werden konnten. Typische Anwendungsfälle sind die Buchung von Reisekosten inkl. Belegprüfung oder die automatisierte Beantwortung von Kundenschrei-ben. In Verbindung mit der etablierten OCR-Technologie (Optical Character Recognition) lassen sich Schriftstücke maschinell lesbar erfassen. Künstliche neuronale Netze ermöglichen seit jüngstem sogar die Verarbeitung hand-schriftlicher Texte.

Robotics geht noch einen Schritt weiter, interpretiert die unstrukturierten Daten und erfasst neben dem Inhalt auch zuverlässig ihren semantischen Kontext, also ihre Bedeutung. Stammdaten, wie Adressen und Kunden-

nummern, werden erkannt. Ja, moderne Verfahren unter-stützen sogar das Erkennen von Stimmungen und Mei-nungen und „lesen zwischen den Zeilen“.

Der „Roboter“ gewinnt so die nötigen Informationen aus einer unstrukturierten Basis und löst verlässlich die richtigen Folgeprozesse aus. Vielfältige neue Use-Cases bauen darauf, wie z.B. die automatische Buchung hand-schriftlicher Belege und herkömmlicher Papierrechnungen in der Verwaltung oder das automatische Auslösen von Maßnahmen zur Kundenbindung aufgrund der analysier-ten Kundenkommunikation.

Erste Erfahrungen lassen ein hohes Potenzial dieser Ver-fahren vermuten.

Be better: Mit Robotics schlummernde Automatisierungspotenziale nutzenMit dem Einzug der IT und insbesondere der ERP-Sys-teme in Unternehmen wurde stets das Ziel einer hohen Automatisierung der Geschäftsprozesse verfolgt. Jetzt bekommt diese Entwicklung, insbesondere unter dem Schlagwort Robotics, einen neuen Schub. Lösungsan-bieter versprechen hierdurch höhere Effizienz bei der Verarbeitung hochvolumiger transaktionaler Prozesse und massive Personaleinsparungen.

Wie ist die Situation in Unternehmen heute?

Kaum eines setzt noch auf eine zentrale, monolithisch strukturierte Unternehmens-Software. Im Regelfall trifft man bei Konzernen und Mittelständlern auf eine ganze Reihe von Systemen mit mehr oder weniger klar abge-grenzten Einsatzgebieten. Während im Handel häufig betriebs- und warenwirtschaftliche IT-Systeme recht strikt getrennt sind, kombiniert die Konsumgüterindustrie oft betriebswirtschaftliche Standardsoftware mit mehr oder weniger integrierter Spezialsoftware, z.B. für die Produk-tionssteuerung, das Product-Lifecycle- oder das Customer-Relationship-Management.

Schon in der Vergangenheit bemühten sich viele Unter-nehmen sehr, die Integration dieser heterogenen Systeme voranzutreiben. Der Begriff ‚Enterprise Application In-tegration‘ (EAI) subsumiert verschiedene Verfahren für eine integrierte Geschäftsabwicklung durch ein Netzwerk unternehmensinterner Applikationen. Sie alle haben ihre eigenen Vor- und Nachteile. Die Integrationsansätze wir-ken auf verschiedenen Schichten, wie der Datenhaltung, auf Ebene der Prozesse und Workflows sowie auf die Präsentationsschicht, also die Darstellung am Bildschirm. Dazu gehören auch Bildschirmroboter, die seit den neun-ziger Jahren die manuelle Bedienung grafischer Benutzer-

oberflächen automatisieren, also quasi von Geisterhand Maus- und Tastatureingaben vornehmen. Zudem ermög-lichen Bussysteme die Kommunikation verschiedener Applikationen über eine zentrale Middleware, und ser-viceorientierte Architekturen stellen einzelne, in sich gekapselte Funktionsbausteine für andere Systemkom-ponenten im Unternehmensnetzwerk bereit.

Diese eingesetzten Verfahren sind jedoch in zwei-erlei Hinsicht limitiert:

1. Häufig wird die Grenze des eigenen Unternehmens nicht überschritten, sodass Vorteile durch die Inte-gration mit Kunden und Lieferanten ausbleiben, die doch spätestens seit Einzug eines übergreifenden Supply Chain Managements gefordert wird.

2. In der Regel werden lediglich strukturierte Daten nach fest vorgegebenen Regeln verarbeitet (‚if this, then that‘). Unstrukturierte Daten bleiben außen vor.

Für den unternehmensübergreifenden Datenaustausch standardisierter Geschäftsdaten setzen Handel und In-dustrie bereits seit Jahrzehnten den Electronic Data Interchange (EDI) ein. EDIFACT ist der entsprechende allgemeine Datenstandard mit branchenspezifischen Subsets; er unterstützt den Austausch von u.a. Bestel-lungen, Rechnungen, Lieferavisen und Produktdaten. Im Gegensatz zu anderen Branchen haben Händler und Konsumgüterhersteller ihre typischerweise großvolumi-gen transaktionalen Prozessen bereits häufig hoch au-tomatisiert. Es drängt sich also die „ketzerische“ Frage auf, was Robotics da noch leisten soll.

Robotics spielt seine Vorteile, ebenso wie EAI, insbeson-dere bei repetitiven transaktionalen Tätigkeiten aus.

Ansprechpartner

Michael Buttkus Partner, Leiter Retail & Consumer Goods

MButtkus @horvath-partners.com

T +49 30 345065-1235

Impressum

Herausgeber: Horváth AG, Phoenixbau, Königstr. 5, 70173 Stuttgart, +49 711 66919-0

Verantwortlich für den In-halt im Sinne des Presse-gesetzes:

Dr. Michael Kieninger

Chefredaktion:

Michael Buttkus

Konzept & Gestaltung: Horváth AG

Copyright: ©2019 Horváth & Partners, Nachdruck und

Verwendung nur mit Genehmigung

Bildnachweise: Getty Ima-ges (Metamorworks, TommL, AleksandarNakic, RichVintage, Rawpixel), Otto Group, TU BerlinKontakt: [email protected], +49 711 66919-3302

Hinweis: Redaktionelle Bei-träge geben nicht ungedingt die Meinung des Herausge-bers wieder.