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Die Breslauer ärztliche Zeitschrift erscheint jeden zweiten und vierten Sonnabend im Monat. Preis pro Jahrgang 12 Mark, halbjährlich 6 Mark. Be- stellungen nehmen alle Buchhandlungen und Post- Anstalten an. ------ nb&ZTFI&j Redacteur: Prof. Dr. Gscheidlen. jTfflfflfc Id S W-- ? BRESLAUER Beiträge sind an die Redaction, Klosterstrasse 76 in Breslau, Inserate an die Verlags-Buchhandlung Leopold Voss in Hamburg, oder die Buchdruckerei von Grass, Barth & Co. (W. Friedrich) in Breslau einzusenden. Fünfter Jahrgang. 1883. JS@. X. Sonnabend, den 13. Januar. Inhalt: I. Ueber Laparomyotomie. Vortrag, gehalten am 24. November 1882 in der medicinischen Section der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur zu Breslau von Prof. Heinrich Fritsch. II. Ein Beitrag zur Lehre von der Innervation des Herzens. Von Prof. Dr. J. Sommerbrodt. III. Vergiftung durch Kali chloricum. Von Dr. Goldschmidt in Breslau. IV. Von der 55. Ver- sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Eisenach. V. 30. Sitzung des schlesischen irrenärztlichen Vereins zu Breslau am 26. November 1882. VI. Referate und Kritiken. VII. Tagesgeschichtliche Notizen. VIII. Personalien. IX. Inserate. I. Ueber Laparomyotomie. Vortrag, gehalten am 24. November 1882 in der medicinischen Section der Schles. Gesellschaft für vateri. Cultur zu Breslau von Prof. Heinrich Fritsch. Die Uterusmyome sind im Allgemeinen gutartige Ge- schwülste. Dies beweist vor Allem eine Art von Naturheilung, welche fast die Regel ist. Sei es nun, dass die Geschwulst aufhört zu wachsen, dass neerohiotische Vorgänge zur Ver- kleinerung führen, oder dass ein Myom völlig schwindet. Auch das Letztere ist namentlich im Puerperium sicher constatirt. Wenn deshalb der Arzt sich entschliesst, ein Myom durch den lebensgefährlichen Eingriff der Laparotomie zu entfernen, so müssen ganz besondere, schwer wiegende Gründe vorliegen. Es müssen also Symptome vorhanden sein oder Ereignisse ein treten, welche ein Abwarten gefährlicher erscheinen lassen als einen Eingriff. Man denkt bei diesen Erwägungen zuerst an die Blutungen. Wenn auch ein Fall von director Ver- blutung bei einem Myome, abgesehen von den Post-partum- Blutungen, wohl nicht beobachtet ist, so können die Blutungen doch so heftig, andauernd und wiederkehrend sein, dass sie die Gesundheit untergraben. Schliesslich macht zwar nicht die Blutung, aber doch die in solchen Fällen häufige fortgesetzte Thrombenbildung oder eine andere ungünstige Complication dem Leben ein Ende. Trotzdessen würde ich mich kaum zu einer Laparomyotomie wegen Blutungen entschliessen. Bei sorg- fältiger, allezeit prompter Behandlung gelingt es durch Heiss- wasser-Irrigationen, subcutane Ergotin-Inj eetionen, Bor-Glyeerin- Tamponade, Liquor ferri- oder Jodtinctur-Injection in den Uterus oder durch Ausschabungen Besserung zu erzielen. Zudem haben die Blutungen in der Mehrzahl der Fälle den menor- rhagischen Charakter, d. h. die Menstruation ist sehr stark und dauert lange Zeit. Tritt auch unter dem Einflüsse des Blutreichthums die Menopause oft ungewönlich spät ein, so wird doch mit ihr die Naturheilung selbstverständlich sein. Und bei Ausnutzung aller unserer Mittel gelingt es, bis zur Menopause den Zustand erträglich zu erhalten. Es kommt hier sehr auf die Individualität des Arztes und der Patientin an: von beiden Seiten ist Geduld und Sorgfalt nöthig. In manchem Falle ist es grade die Patientin, die zur Operation drängt. Bei sehr starker Anämie dürfte aber die Operation ein grosses Risiko sein. Ich habe noch nie in solchen Fällen eine Indication gefunden, resp. geglaubt, die Laparotomie ver- antworten zu können. Noch viel weniger werden andere Er- scheinungen Dysmenorrhoe, Schmerzen oder Drucksymptome die Operation rechtfertigen. Ein Umstand aber ist es, der ein Myom lebensgefährlich macht, bei dem man mit Sicherheit den baldigen, schädlichen Ein- fluss auf das Allgemeinbefinden voraussehen kann: ich meine das Wachst hum. Hat ein Myom die Tendenz zu wachsen, dann ist es noch gefährlicher als ein Ovarientumor, weil die Operation schwerer ist. Gerade schnell wachsende Myome finden sich häufig bei jungen Individuen. Es ist das ungefähr dasselbe, wie wenn ich sage: alle Myome entstehen zeitig, die allermeisten aber wachsen nur minimal oder hören bald vollkommen auf zu wachsen, eine kleine Anzahl nur hat die immanente Tendenz zum unbegrenzten Wachsthum. Ohne darauf näher einzugehen, ist es wohl richtig anzu- nehmen, dass eine homöoplastische Geschwulst leicht zu einer Zeit entsteht, wo Wachsthumsvorgänge in auf- und absteigender Linie am Uterus physiologisch sind. Natürlich sind die schnell wachsenden Myome meist inter- stitielle, das heisst überall von normalem Uterusparenchym umgeben und ernährt. Wenn auch zunächst ein Segment und schliesslich der grösste Th eil frei in den Peritonäalraum hinein- ragt, so ist doch die Basis meist sehr gross. Am Ende freilich ist das über der Geschwulst befindliche Uterusparenchym so verdünnt, dass es kaum noch zwischen Geschwulst und Peri- tonäum nachweisbar ist. Die Geschwulst wächst, wie alle derartigen Geschwülste, nach der Gegend des geringsten Wider- standes, sie drängt nicht den Uterus auseinander, sondern dehnt sich in dem Abdominalraum aus. Damit hängt dann zusammen, dass oft bei diesen Geschwülsten jede Erscheinung von Seiten der Uterushöhle fehlt. Sind viele kleine Myome vorhanden, oder sitzt das Myom exquisit submucös in einer Seite, so vergrössert sich die Höhle, dann natürlich die Ober- fläche der Schleimhaut und damit die blutende Fläche. Bei gleichzeitiger Hyperämie kommt es zu Schleimhauthypertrophie resp. Erkrankung und zu enormen Blutungen. Ja, ich sah einen Fall von multiplen Myomen, wo durch Wachsthum mehrerer Myome die Uterushöhle auseinandergezerrt und weit war; wie in einem freien, leeren Raume bewegte sich Sonde resp. die Curette frei hin und her. Alles das kann bei den grössten Myomen fehlen. Wächst es z. B. im Fundus, so kann die Höhle und mit ihr die Schleimhaut ganz normal bleiben. In zwei Fällen, welche ich operirte, war die Menstruation trotz grosser Myome ganz normal. 1

BRESLAUER inBreslau, Inserate andieVerlags-Buchhandlung ... · Nach Ablauf der acuten Peritonitis fand ich den vorher frei beweglichen Tumor irreponibel, felsenfest im Douglasischen

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Die Breslauer ärztliche Zeitschrift erscheint jeden zweiten und vierten Sonnabend im Monat. Preis pro Jahrgang 12 Mark, halbjährlich 6 Mark. Be­stellungen nehmen alle Buchhandlungen und Post-

Anstalten an.

------ nb&ZTFI&jRedacteur: Prof. Dr. Gscheidlen. jTfflfflfc Id S W-- ?

BRESLAUERBeiträge sind an die Redaction, Klosterstrasse 76 in Breslau, Inserate an die Verlags-Buchhandlung Leopold Voss in Hamburg, oder die Buchdruckerei von Grass, Barth & Co. (W. Friedrich) in Breslau

einzusenden.

Fünfter Jahrgang. 1883. JS@. X. Sonnabend, den 13. Januar.

Inhalt: I. Ueber Laparomyotomie. Vortrag, gehalten am 24. November 1882 in der medicinischen Section der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur zu Breslau von Prof. Heinrich Fritsch. —• II. Ein Beitrag zur Lehre von der Innervation des Herzens. Von Prof. Dr. J. Sommerbrodt. — III. Vergiftung durch Kali chloricum. Von Dr. Goldschmidt in Breslau. — IV. Von der 55. Ver­sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Eisenach. — V. 30. Sitzung des schlesischen irrenärztlichen Vereins zu Breslau am 26. November 1882. — VI. Referate und Kritiken. — VII. Tagesgeschichtliche Notizen. — VIII. Personalien. — IX. Inserate.

I. Ueber Laparomyotomie.Vortrag, gehalten am 24. November 1882 in der medicinischen Section der Schles. Gesellschaft für vateri. Cultur zu Breslau

vonProf. Heinrich Fritsch.

Die Uterusmyome sind im Allgemeinen gutartige Ge­schwülste. Dies beweist vor Allem eine Art von Naturheilung, welche fast die Regel ist. Sei es nun, dass die Geschwulst aufhört zu wachsen, dass neerohiotische Vorgänge zur Ver­kleinerung führen, oder dass ein Myom völlig schwindet. Auch das Letztere ist namentlich im Puerperium sicher constatirt. Wenn deshalb der Arzt sich entschliesst, ein Myom durch den lebensgefährlichen Eingriff der Laparotomie zu entfernen, so müssen ganz besondere, schwer wiegende Gründe vorliegen. Es müssen also Symptome vorhanden sein oder Ereignisse ein treten, welche ein Abwarten gefährlicher erscheinen lassen als einen Eingriff. Man denkt bei diesen Erwägungen zuerst an die Blutungen. Wenn auch ein Fall von director Ver­blutung bei einem Myome, abgesehen von den Post-partum- Blutungen, wohl nicht beobachtet ist, so können die Blutungen doch so heftig, andauernd und wiederkehrend sein, dass sie die Gesundheit untergraben. Schliesslich macht zwar nicht die Blutung, aber doch die in solchen Fällen häufige fortgesetzte Thrombenbildung oder eine andere ungünstige Complication dem Leben ein Ende. Trotzdessen würde ich mich kaum zu einer Laparomyotomie wegen Blutungen entschliessen. Bei sorg­fältiger, allezeit prompter Behandlung gelingt es durch Heiss­wasser-Irrigationen, subcutane Ergotin-Inj eetionen, Bor-Glyeerin- Tamponade, Liquor ferri- oder Jodtinctur-Injection in den Uterus oder durch Ausschabungen Besserung zu erzielen. Zudem haben die Blutungen in der Mehrzahl der Fälle den menor- rhagischen Charakter, d. h. die Menstruation ist sehr stark und dauert lange Zeit. Tritt auch unter dem Einflüsse des Blutreichthums die Menopause oft ungewönlich spät ein, so wird doch mit ihr die Naturheilung selbstverständlich sein. Und bei Ausnutzung aller unserer Mittel gelingt es, bis zur Menopause den Zustand erträglich zu erhalten. Es kommt hier sehr auf die Individualität des Arztes und der Patientin an: von beiden Seiten ist Geduld und Sorgfalt nöthig. In manchem Falle ist es grade die Patientin, die zur Operation drängt. Bei sehr starker Anämie dürfte aber die Operation ein grosses Risiko sein. Ich habe noch nie in solchen Fällen eine Indication gefunden, resp. geglaubt, die Laparotomie ver­antworten zu können. Noch viel weniger werden andere Er­

scheinungen Dysmenorrhoe, Schmerzen oder Drucksymptome die Operation rechtfertigen.

Ein Umstand aber ist es, der ein Myom lebensgefährlich macht, bei dem man mit Sicherheit den baldigen, schädlichen Ein­fluss auf das Allgemeinbefinden voraussehen kann: ich meine das Wachst hum. Hat ein Myom die Tendenz zu wachsen, dann ist es noch gefährlicher als ein Ovarientumor, weil die Operation schwerer ist.

Gerade schnell wachsende Myome finden sich häufig bei jungen Individuen. Es ist das ungefähr dasselbe, wie wenn ich sage: alle Myome entstehen zeitig, die allermeisten aber wachsen nur minimal oder hören bald vollkommen auf zu wachsen, eine kleine Anzahl nur hat die immanente Tendenz zum unbegrenzten Wachsthum.

Ohne darauf näher einzugehen, ist es wohl richtig anzu­nehmen, dass eine homöoplastische Geschwulst leicht zu einer Zeit entsteht, wo Wachsthumsvorgänge in auf- und absteigender Linie am Uterus physiologisch sind.

Natürlich sind die schnell wachsenden Myome meist inter­stitielle, das heisst überall von normalem Uterusparenchym umgeben und ernährt. Wenn auch zunächst ein Segment und schliesslich der grösste Th eil frei in den Peritonäalraum hinein­ragt, so ist doch die Basis meist sehr gross. Am Ende freilich ist das über der Geschwulst befindliche Uterusparenchym so verdünnt, dass es kaum noch zwischen Geschwulst und Peri- tonäum nachweisbar ist. Die Geschwulst wächst, wie alle derartigen Geschwülste, nach der Gegend des geringsten Wider­standes, sie drängt nicht den Uterus auseinander, sondern dehnt sich in dem Abdominalraum aus. Damit hängt dann zusammen, dass oft bei diesen Geschwülsten jede Erscheinung von Seiten der Uterushöhle fehlt. Sind viele kleine Myome vorhanden, oder sitzt das Myom exquisit submucös in einer Seite, so vergrössert sich die Höhle, dann natürlich die Ober­fläche der Schleimhaut und damit die blutende Fläche. Bei gleichzeitiger Hyperämie kommt es zu Schleimhauthypertrophie resp. Erkrankung und zu enormen Blutungen. Ja, ich sah einen Fall von multiplen Myomen, wo durch Wachsthum mehrerer Myome die Uterushöhle auseinandergezerrt und weit war; wie in einem freien, leeren Raume bewegte sich Sonde resp. die Curette frei hin und her. Alles das kann bei den grössten Myomen fehlen. Wächst es z. B. im Fundus, so kann die Höhle und mit ihr die Schleimhaut ganz normal bleiben. In zwei Fällen, welche ich operirte, war die Menstruation trotz grosser Myome ganz normal.

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2 BRESLAUER AERZTLICHE ZEITSCHRIFT. No. 1.

Es können also alle beängstigenden Symptome fehlen und doch besteht eine strenge Indication zur Operation: das Wachsthum! Ist es nun auch selbst­verständlich, dass ein schon in den Jahren zwischen 20 und 30 gefundenes grosses Myom auch ein schnell­wachsendes ist, so muss man doch eine jede Geschwulst regelmässig messen, circa alle 4 Wochen untersuchen und erst dann die Operation als unumgänglich nöthig hinstellen, wenn ein deutliches Wachsthum constatirt ist. Aber dann darf nicht gewartet werden, denn je kleiner der Tumor, um so leichter im Allgemeinen die Operation. Eine mannskopfgrosse Ge­schwulst ist leicht zu operiren, wird sie grösser, so werden die Verhältnisse schon ungünstiger. Irgend ein Zufall,'ein Stoss gegen den Leib, eine starke Anstrengung kann zu circum- scripten Peritonitiden führen, welche durch Adhäsionenbildung die Operation sehr erschweren. Ich behandelte ein Myom, bei dem ich operiren wollte. Patientin fiel auf der Strasse. Sie wurde ohnmächtig und bekam peritonitische Erscheinungen. Nach Ablauf der acuten Peritonitis fand ich den vorher frei beweglichen Tumor irreponibel, felsenfest im Douglasischen Raume angelöthet. Eine Function oberhalb des Tumors wegen zunehmender Dyspnoe gemacht, entleerte blutigen Ascites. Derselbe sammelte sich nicht wieder an und die Geschwulst wuchs langsam weiter.

Wird das Myom als ein cystisches nachgewiesen, so besteht jedenfalls auch eine Indication, wegen der ausge­sprochenen Wachsthumstendenz dieser Geschwülste. Freilich irrt man sich hier oft, sobald die Geschwulst die Grösse eines schwangeren Uterus erreicht, weil dann die Stielverhältnisse undeutlich werden und man vor der Function die Differential- diagnose zwischen ovarieller und uteriner Provenienz schwer stellen kann.

Noch möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Alter und sociale Stellung den Entschluss zur Operation beeinflussen. W ächst auch ein Myom bei einer Frau über 60 Jahre in jedem Jahre um wenige Centimeter, so fragt es sich doch, was gefähr­licher ist: dass die Patientin ihr Jahrzehnte altes Myom für den Rest ihres Lebens noch bei sich beherbergt, oder dass man

nehme, dass die Myome schon in sehr jungen Lebensjahren viel­leicht während der Pubertätsentwickelung entstehen, so ist ja ein Myom, das im 60. Lebensjahre gefunden wird, eo ipso ein langsam wachsendes. Sind nun ausserdem die Verhältnisse der Patientin so günstige, dass sie sich alle Pflege, vor allem die sorgfältige, ärztliche Pflege angedeihen lassen kann, dann ist selbst bei grossem Tumor der Zustand erträglich. Schwerer ist dagegen das Für und Wider bei einer armen Frau abzu­wägen, bei der oft die Begriffe Leben und Arbeiten sich decken, bei einer armen Frau, welche bis zum Verhungern unglücklich wird, wenn Arbeitsunfähigkeit eintritt. In solchen Fällen ent- schliesst man sich vielleicht leichter, weil hier die Arbeits­fähigkeit wichtiger ist, weil der Einsatz: ein elendes Leben und Sterben, geringer erscheint gegenüber der Möglichkeit völliger Gesundheit. Es lässt sich natürlich über solche Dinge streiten. Dass aber auch derartige Erwägungen beim Entschlüsse zu lebensgefährlichen Operationen eine Rolle spielen, ist nicht wegzuleugnen. Humanität und Exactität liegen manchmal im Widerstreit, ich erinnere nur an die Uterus - Carcinom- Operationen.

Zuletzt ist noch Eins zu berücksichtigen: ob die Operation voraussichtlich leicht oder schwer sein wird. Es existiren

ganz verschiedene anatomische Verhältnisse, die jedoch nicht unberechenbar sind. Wuchs das Myom in dem vom Peritonäum bedeckten Theile des Uterus, so ist auch die Geschwulst vom Peritonäum bedeckt und ebenso beweglich, wie der Uterus in der Gegend des inneren Muttermundes beweglich ist. Im schlimmsten Falle, wenn das Myom nicht dem Uterus auf sitzt, bildet der verdickte Uterus den Stiel. Ist aber das Myom in dem Theil des Uterus entstanden, welcher mit der Blase verbunden ist, so wird auch der Tumor mit der Blase Zu­

sammenhängen. Wächst also das Myom im vorderen Theil des Cervix, so kann es die Verbindung der Blase mit dem Uterus colossal aus dehnen, die Blase befindet sich ebenso über dem vergrösserten Cervix als über dem normalen, sie ist bis zur Nabelhöhe nach oben ausgezogen, man muss sie vom Tumor ablösen. Dies ist • weder leicht noch ungefährlich. Die Wund­fläche ist enorm gross. Oder wächst der Tumor in der Seiten­wand des Cervix, so schiebt er sich, wachsend, in das seitliche Subserosium zwischen die Platten des Ligamentum latum und hebt letzteres hoch über sich in die Höhe. Es ist die ver- grösserte seitliche Partie geradeso überall mit dem subserösen Zellgewebe verbunden, als vorher die Seitenwand des normalen Uterus. Auch hier ist eine Lösung schwer und gefährlich. Unsere heutige diagnostische Technik ist durch He gar, Olshausen, Schultze u. a. im Stande diese Verhältnisse aufzufinden. Namentlich Schroder’s Vorschrift, alle Tumoren genau in Narcose zu untersuchen ist zu beherzigen.

Natürlich wird man sich bei voraussichtlich sehr schwierigen Operationen schwerer entschliessen, und doch muss man bei schnell wachsenden Geschwülsten operiren, da eine andere Rettung nicht existirt. Zum Glück sind die fundalen Myome viel häufiger als die cervicalen.

Um nochmals die Indication zur Laparomyotomie zu resümiren, so ist es also allein das Wachsthum der Geschwulst, das zur Operation zwingt.

Gehe ich nun zur Operation selbst über, so kann ich wenig Neues berichten, denn bei der auseinandergesetzten Ein­schränkung der Indication können die Fälle nicht nach Dutzenden zählen.

Die antiseptischen Cautelen sind dieselben als anderswo, höchstens ist zu bemerken, dass ich die Patientinnen sehr oft (6—8 mal) vor der Operation baden lasse. Ich operire ohne Spray, der aber Abends vor der Operation und früh stundenlang in dem Zimmer in Action ist. Der Bauchschnitt wird möglichst gross angelegt, ob er 5 cm mehr oder weniger misst, ist für die Heilung gleichgültig, erschwert höchstens die Assistenz. Wird nach Madelung’s Vorgänge sofort nach Herausbeförderung des Tumor der Schnitt wieder vernäht, so ist auch die Gefahr des Herausfallens der Därme, die aus einem so grossen Schnitt bei der geringsten Anstrengung des Zwerchfells prolabiren, nicht vorhanden.

Ein kleiner Tumor ist nicht selten schwerer herauszube­fördern als ein grosser. Der kleine Tumor dehnt die Bauchdecken wenig, sodass die Distance zwischen Nabel und Symphyse sehr eng ist. Ausserdem kann man den Tumor schwer anfassen, und natürlich ist jede, auch die geringste Verletzung mit einer Zange zu vermeiden. Ein einziger Nadelstich, selbst mit der Pöan’schen Nadel liefert während der Dauer der Operation mehrere Esslöffel Blut. In solchen Fällen von kugelrunden festen Tumoren habe ich nicht den Tumor herausgehoben, sondern die Bauchdecken an ihm nach unten geschoben, wie man etwa den zu engen Muttermund über den nachfolgenden Kopf

13. Januar 1883. BRESLAUER AERZTLICHE ZEITSCHRIFT. 3

hinüberschiebt. Ein allseitiger, kräftiger, langsamer Druck führt zu allmählicher Erweiterung der Bauchwunde durch Dehnung und lässt einen Tumor hervorgleiten, der zu Anfang fast zu gross erschien.

Sind die Tumoren grösser, so sind erstens die Bauch­decken auch gedehnter, zweitens aber ist der Tumor abge­plattet, so dass man ihn umfassen, die schmale Seite nach vorn drehen und ihn so herausbefördern kann. He gar war der Erste, der diese Verhältnisse beschrieb.

Ist der Tumor entwickelt und der obere Theil der grossen Bauchwunde provisorisch zugenäht, so hält ein Assistent den Tumor und man klärt sich über die Stielverhältnisse auf. Fast alle Operateure wählen ein zweizeitiges Verfahren, d. h. der Tumor wird provisorisch ligirt und abgetragen, erst danach wird der Stumpf so zurechtgeschnitten, wie es zur definitiven Versorgung nothwendig erscheint.

Das Zurechtschneiden muss recht vorsichtig, schonend und zweckentsprechend geschehen. Die Wundränder müssen so gleichmässig glatt sein, dass sie bei der Naht wie die Ränder einer glatten Schnittwunde aneinanderliegen. Aufs sorgfältigste vermeidet man eine Lockerung des Peritonäum von der Unterlage. Jedes Zerren, Quetschen und Zupfen einer so zarten Membran lässt es fraglich erscheinen, ob das Peri­tonäum mit ganz erhaltener Vitalität aneinanderheilt, und nicht etwa als — allerdings unschädlicher — Fremdkörper der all­mählichen Resorption anheim fällt. Ist die Uterushöhle eröffnet, so wird die Schleimhaut trichterförmig ausgeschnitten. Weshalb von der Scheide oder der Uterushöhle eine Infection besonders gefürchtet wird, ist mir bei der Möglichkeit der Desinfection nicht recht verständlich. Hierauf wird 1—1 */2 g fein ge­pulvertes Jodoform in die ganze Wundflüehe stark eingeriebon. Zur Naht wählt man starke Seide und führt die Nadel überall circa 1 cm unter der Wundoberfläche hindurch. Namentlich an dem Trichter, welcher der Stelle der aus­geschnittenen Uterusschleimhaut entspricht, näht man möglichst tief, bis dicht über der provisorischen Ligatur. Ich habe schon 14 derartige, ca. 7,5 mm von einander entfernte tiefe und mehrere oberflächliche Nähte gelegt. Beim Knüpfen zeigt es sich, ob das Zurechtschneiden gut gemacht ist. Sollte sich stellenweise Parenchym vordrängen, so ist es noch mit der Cooper’schen Scheere zu entfernen. Jedenfalls muss ganz tadellos, wie bei einer plastischen Operation, Wundrand an Wundrand liegen. Auch bei Ovariotomien habe ich stets nach Jodoformirung den Stiel in der beschriebenen Weise vernäht. Meist, da hier Kraft nicht nöthig war, durch eine fortlaufende Katgutnaht. Einigemale nähte ich, wie beim Schluss der Leibes­höhlen nach der Obduction, so dass etwas auswärts von den Wundrändern eingestochen, diese selbst nach innen gekrempelt wurden. Dadurch aber muss ein kleiner todter Raum ent­stehen. Ist dieser auch bei Jodoformirung ungefährlich, so ist doch die Vermeidung eines todten Raumes vorzuziehen.

Bei starren Seidenfäden, festem Anziehen und dichten Nähten ist gewiss der Verschluss sämmtlicher Gefässe ge­nügend. Und es fragt sich deshalb, soll man die provi­sorische Ligatur liegen lassen oder nicht?

Als Ligaturmaterial bei dicken Stielen werden neuerdings Gummischnüre gebraucht. Sie haben den Vortheil andauernder Wirkung. Jeder Operateur wird die Beobachtung machen, dass eine Seidenligatur, die ganz beim Beginn der Operation um dicke Stieltheile gelegt ist, am Ende der Operation — und war auch der Faden mit aller Kraft zusammengeschnürt

— doch locker ist. Das zusammengeschnürte Gewebe wird trockener, verdrängt: kurz, die Ligatur wird lose, wie die Ligatur am sulzreichen Nabelstrange. Dann kann bei zu­nehmender Herzkraft nach der Narcose eine resistentere Arterie durchgängig werden, sodass Nachblutung entsteht. In früherer Zeit sind bei Ovariotomien oft auf diese Weise Nachblutungen entstanden, und Olshausen hatte auch ein besonderes Verfahren zur Vermeidung angegeben: das provi­sorische Zusammenschnüren mittelst Drahtecraseur und das Anlegen der Ligatur in die nun vorhandene Schnürrinne.

Diesen Gefahren entgeht man bei der elastischen Ligatur. Ausserdem ist das Volumen des versenkten Ligaturmaterials bei der Gummischnur gegenüber der Seide geringer, und was ebenfalls vortheilhaft ist, nicht imbibitionsfähig. Einen dicken Stiel umschnürt ein Stück Gummischnur von — im unge­spannten Zustande — 1—2 cm Länge. Man darf die Schnur nicht knoten, sondern muss sie, nach Thiersch, mit einem Bleiring schliessen. Diese einfache Methode ist sehr leicht und schnell auszuführen, da man die Knotenbildung und die Sicherung des Knotens erspart.

Durch die elastische Ligatur wird jedenfalls die Er­nährung des Stumpfes sistirt. Gewiss ist es der Resorptions­oder, wie es auch genannt ist, Verdauungskraft des Peri- tonäum etwas viel zugemuthet, wenn ein faustgrosser Stumpf oberhalb der elastischen Ligatur zurückbleibt.

Dass ein unterbundener Stumpf gangränös werden und ohne allgemeine Peritonitis durch die perforirte Scheide ab­gehen kann, ist beobachtet. Andererseits hat schon Stilling beschrieben, dass der ligirte Stumpf nicht völlig ausser Er­nährung gesetzt wird. Ich habe deshalb, aus Furcht vor Nachblutungen, die, wenn auch nicht durch acute Anaemic, so doch durch Schaffung einer zersetzungsfähigen Masse ge­fährlich sind, den Stiel principiell stets doppelt versorgt. Und zwar wurde die elastische Ligatur dann am Stiel be­lassen, wenn es die Verhältnisse gestatteten, fiber der Ligatur wenig Gewebe zurückzulassen. Musste aber eine breite Wundfläche mit vielem Parenchym Zurückbleiben, so dass z. B. 14 Nähte dieselbe vereinigten, dann habe ich nur einen starken doppelten Seidenfaden als Massenligatur darunter um den Cervix gelegt. Jedenfalls aber spielen die direct ver­einigenden Nähte die Hauptrolle.

Eine Frage ist auch die, ob man die Ovarien mit ent­fernen soll oder nicht, oder, was oft dasselbe ist, ob man zuerst seitlich die Ligamenta lata abbinden und abtrennen soll. Natürlich sind bei jugendlichen Individuen, deren Uterus so amputirt wird, dass ein grosses Stück desselben oder so­gar der ganze Fundus mit einem Theil der Höhle verloren geht, die Ovarien principiell zu entfernen. Ist aber die Uterus­höhle nicht eröffnet, so können die Ovarien Zurückbleiben. Nur ist es oft viel einfacher, die erste grosse provisorische Ligatur so anzulegen, dass die am Fundus der Geschwulst sitzenden Ovarien oberhalb liegen.

Sitzen die Ovarien oder eines derselben tiefer, so mögen beide oder das eine Zurückbleiben. Hier kommt es mehr auf Anlegung einer gut zu vereinigenden Wunde, als auf das Ovarium an. Ebenso ist es wohl dann unnöthig, die Liga­menta lata schrittweise zu unterbinden, wenn sie tief unten beginnen oder ganz dicht dem Tumor anliegen.

Natürlich wird zuletzt die Beckenhöhle gut ausgetupft. Ist die Laparotomie eine Operatic sicca, was jede Operation

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4 BRESLAUER AERZTLICHE ZEITSCHRIFT. No. 1.

im Abdominalraum sein muss, so fehlt der Boden, auf dem sich ubiquistische Spaltpilze ansiedeln könnten.

Auch nach Anlegung der Nähte und Anziehen derselben nach oben muss noch einigemale der gestielte Schwamm nach unten gehen. Der Druck auf die Gedärme bei der Naht be­fördert noch Serummassen nach unten, sodass sich wieder einige Flüssigkeit ansammelt. Auch zeigt ein Blick auf den Schwamm, ob man Blut vom Stiel abtupft oder nicht. Oft blutet bei gezerrtem Stiel der Stumpf nicht, während am versenkten sofort Blut aussickert. Dass noch einige Nähte die Blutung völlig heben müssen, ist selbstverständlich.

Wenn man die Indication so einschränkt, wie oben be­schrieben, dann werden die Fälle nicht häufig sein. Ich habe 4 operirt. Der erste war ein höchst ungünstiges, colossal grosses Myom bei einer Frau von 45 Jahren. Die Blase reichte fast bis zum Fundus der Geschwulst, bis über den Nabel. Die Blase musste unter starker Blutung losgelöst werden. Noch schwieriger als diese Procedur, war die Entwickelung aus dem rechten Subserosium. Man gewann schon während der Operation die Ueberzeugung, dass der Eingriff kaum ver­tragen werden könnte. Patientin starb noch an demselben Tage.

Der zweite Fall betraf ein cystisches mannskopfgrosses Myom bei einer Nullipara von 38 Jahren. Da der Tumor trotz grossen Bauchschnittes nicht zu entwickeln war, wurde er nach Fixation in der Bauchwunde mehrfach pungirt. Floss auch überall nur wenig von der klebrigen, gelblichen Flüssigkeit ab, so gelang es doch nunmehr den Tumor herauszudrücken. Nach pro­visorischer Ligatur, Abtragung des Tumor, ohne Eröffnung der Uterushöhle. Die Wunde wird zu einem Keil präparirt, mit Jodoform eingerieben und vereinigt. Ein Ovarium mit demTumor entfernt. Die provicorioclio Ligatur — doppelter Seiden-faden — bleibt liegen: also doppelte Stielversorgung. Nach 14 Tagen wurde Patientin gesund entlassen.

Im dritten Fall handelte es sich um einen soliden Uterus­tumor bei einer Nullipara von 29 Jahren. Ich selbst hatte das rapide Waöhsthum constatirt. Obwohl alle Symptome, ausser etwas Schmerz fehlten, entschloss ich mich wegen des Wachsthums zur Operation. Der Tumor war so fest von den straffen Bauchdecken nach unten gepresst, dass er ohne Narcose vom vorderen Scheidengewölbe nicht abzuheben war. Doch constatirte ich in der Narcose einen genügend langen Uterus­rest zur Stielbildung. In diesem Falle hatte sich in 4 Wochen auf dem Fundus der Geschwulst ein kinderfaustgrosser secun- därer Tumor entwickelt.

Es wurden die Ligamenta lata unten am seitlichen Rande des Uterus durchstossen behufs Anlegung der provisorischen Ligatur. Beim Zurechtschneiden des Stiels, Eröffnung der Uterushöhle. Deshalb doppelte Castration. Tiefe Naht des jodoformirten Stumpfes mit 12 starken Seidensut'uren und einer Anzahl ober­flächlicher Nähte zur möglichst genauen Vereinigung.

Auch diese Patientin wurde am 14. Tage gesund entlassen, erholte sich aber langsam und hatte nach Bericht des Arztes später ein kleines Exsudat. Dasselbe brach nicht durch.

Im letzten Falle war der Leib von einer enormen stein­harten, gleichmässig, ovalen bis zum Scrobiculus cordis reichenden Geschwulst ausgefüllt. Mädchen von 23 Jahren. Sehr schnelles Wachsthum.

Es schien fast unmöglich den unzerkleinerten Tumor durch einen Bauchschnitt zu entfernen. Ich hatte deshalb den Plan gefasst eine Gummischnur über den Fundus des Tumor auf der hinteren Seite herabzuführen, möglichst unten provisorisch

zu ligiren und dann in der Seitenlage der Patientin einen grossen Schnitt in den Tumor zu machen. Verkleinerte er sich durch Ausbluten nicht, so sollten Scheiben ausgeschnitten werden. Dies war bei Seitenlagerung natürlich möglich, ohne dass ein Tropfen Blut in die Bauchhöhle floss. (Die Er­öffnung der Cysten durch weites Aufschlitzen in der Seiten­lage kürzt die Operation oft sehr ab. Auch die grosse Sicherheit, ja die physikalische Unmöglichkeit des Einfliessens von Cysteninhalt in die Bauchhöhle ist in vielen Fällen vor- theilhaft. So Hess ich nach weitem Aufschlitzen bei einer sehr grossen Dermoidcyste den gefährlichen, dickflüssigen, mit Haaren vermischten Inhalt in der Seitenlage ausfliessen. Sehr gute Assistenz wegen des Zurückhaltens der Därme ist bei der schnellen Entleerung dringend nöthig.)

Als ich in unserm Falle mit der flachen Hand hinter den Tumor gegangen war und ihn mit der schmalen Seite nach vorn drehte, gelang es vereinten Handgriffen den Tumor zu entwickeln. Er sass kurzgestielt am Uterus und wurde nach Schluss des oberen Theils der Bauchwunde mit elastischer Schnur abgebunden. Da der Stumpf klein war, wurde er jodoformirt zusammengenäht und mit der elastischen Ligatur versenkt. Die Geschwulst war mikroskopisch ein reines Myom.

Das Anlegen der vielen Seidensuturen, die ja an sich ungefährlich sind, muss möglichst schonend geschehen. Wird das Peritonäum durch vieles Anfassen und Zerren insullirt, so raubt man ihm gewiss seine Resorptionsfähigkeit. Befindet sich gerade auf dem Beckenboden eine grosse Wund­fläche, so ist gewiss auch Seitenlagerung mit er­höhtem Becken anzuempfehlen. Dann fliessen die Secrete nach resorptions fähigen, normalen Pcri- tonälpartien.

In einem Falle habe ich abwechselnd mit Herrn Doctor Kroner, Beide bis zur Ermüdung, eine enorme, fest adhärente Cyste von der Bauchwand aufwärts vom Nabel abgeschält, ohne dass eine Spur Fieber eintrat. Einfach deshalb, weil alles Blut und Serum, das die mindestens 20 cm im Durchmesser grosse Wundfläche reichlich secernirte, auf seinem Wege nach unten von der normalen Darmserosa sofort resorbirt wurde.

In der Discussion fragt Herr Dr. Frankel, ob es nicht gelinge, die Heraufzerrung der Blase auf den Tumor zu diag- nosticiren. Auch er habe sich von den grossen Schwierigkeiten überzeugt, welche daraus erwachsen.

Fritsch antwortet, dass ihn die Möglichkeit dieser Diagnose vielfach beschäftigt habe. Er werde in einem ein­schlägigen Falle einen männlichen Catheter in die Blase ein­führen und nun sehen, ob er hinter ihm zwischen Tumor und Blase die in der Vagina liegenden Finger erreichen könne. Auch eine gewaltsame Ausdehnung der Blase mit Flüssigkeit und die Art und Weise, wie die Blase sich bei Füllung und Entleerung verhielte, gebe vielleicht Aufschlüsse. Freilich sei ja die Blase so dünnwandig, dass es fraglich sei, ob auf die geschilderte Art sich Etwas erreichen lasse.

Dr. Wiener hält die Beschränkung der Indication für nicht richtig. Auch in Fällen von Blutungen bei Myomen könne man unter Umständen operiren, da den Frauen jeder Lebensgenuss verkürzt sei, und sich eine Kachexie entwickele. Die Operation sei gewiss in solchen Fällen gestattet, zumal sie nicht so gefährlich sei. W. glaubt, dass die Jodoformirung des Stumpfes und die sorgfältige Naht, wie er sie von Fritsch

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gesehen, den Erfolg sichere. Denn nach seiner Ueberzeugung seien die ungünstigen Fälle durch Jauchung des Stumpfes zu Grunde gegangen, sei es nun, dass er extra- oder intraperitonäal behandelt wurde.

Fritsch giebt Wiener zu, dass er die Gefahren der Blutung vielleicht als zu gering geschildert habe. Indessen sei durch sorgfältige Behandlung hier viel zu erreichen. Es müsse in jedem Falle das Für und Wider abgewogen werden. Er selbst hoffe sehr, dass gute Erfolge die Indicationen er­weitern würden.

II. Ein Beitrag zur Lehre von der Innervation des Herzensvon

Prof. Dr. J. Sommerbrodt.Vor drei Monaten stellte sich mir ein 33jähriger Mann

vor, welcher seit 1 '/2 Jahren durch eigenthümliche Beschwerden, die er auf ein Herzleiden bezog, beängstigt wurde. Derselbe überstand vor 1'/, Jahren einen ziemlich schweren Abdominal­typhus. Schon in der Reconvalescenz fing er an zu bemerken, dass unmittelbar nach Miesen, Schneuzen oder Husten ein eigentümliches Beklemmungsgefühl in der Herzgegend auf­trat und eine kurze Zeit anhielt, wie wenn das Herz in seiner Bewegung stocke. Dasselbe fand sich später auch beim Treppensteigen. Im fiebrigen, und besonders bei ruhigem, gleichmässigem Verhalten, erfreute sich der Mann einer guten Gesundheit. In letzter Zeit hatte derselbe an sich selbst die Be­obachtung gemacht, dass dieselben Ur­sachen, durch welche bei ihm die Herzbe­klemmung bewirkt wurde,auch eine ganz auffällige Verlang­samung des Pulses zur Folge hätten, und dass dieser manchmal dabei bis beinahe um die Hälfte der Schläge für die Dauer einer halben bis ganzen Minute ver­mindert werde. Eine Mitteilung, die mich um so mehr be­fremdete, als ja bekanntlich Husten, Schneuzen, Niesen gerade im Gegenteil eine Pulsbeschleunigung bei allen Gesunden hervorrufen.

Die Untersuchung der Brustorgane ergab auch nicht die mindesten Abweichungen von der Norm, insbesondere war das Herz nach keiner Richtung vergrössert, die Töne voll­kommen rein und die Zahl der Herzschläge betrug 80 — 84, ebenso die der Radialpulse. Die Verdauungsorgane functio- nirten ganz in Ordnung. Als Einziges, was sonst noch zu ermitteln war, fand sich, dass der Patient seit jenem Typhus leicht erregbar, leicht zum Erschrecken geneigt geworden ist.

Als ich den Kranken nun veranlasste, während ich das Herz auscultirte, einmal zu husten, beschleunigte sich die Zahl der Herzschläge etwas, während am Pulse eine ganz erheb­liche Verlangsamung eintrat, so zwar — und ich gebe hier das Mittel vieler zu verschiedenen Zeiten und verschiedenen Tagen angestellter Versuche — dass die gewöhnliche Zahl der Herzschläge von 80—84 in der Minute durch einen Hustenstoss auf 100—104 stieg, während in derselben Zeit nur 50—54 Pulse zu zählen waren.

Die vorstehende Curve giebt ein Bild und zugleich die Aufklärung dieser Thatsachen, sowie darin auch eine Erklärung dir die Beschwerden des Kranken liegt. Von a—b Hess ich

die gewöhnlichen Pulse des Patienten sich registriren, bei b wurde das Täfelchen angehalten; jetzt Hess ich den Patienten einen einzigen mittelkräftigen Hustenstoss ausführen und un­mittelbar danach die Tafel des Sphygmographen weiter ab- rollen. Von b—c sieht man nun 11 hohe Elevationen, welche sämmtlich grösser sind, als die normalen Pulse bei a—b; zwischen diesen hohen Elevationen, unmittelbar hinter den dazu gehörigen Rückstoss-Elevationen, bemerkt man eben so viel theils kleine, die Höhe der Rückstoss-Elevationen nicht (m) oder nur wenig (r) überschreitende, theils rudimentäre (n. n.) oder wenigstens noch nicht so stark wie die Rückstoss- Elevationen ausgeprägte (o) Erhebungen. Dass nur jene hohen Elevationen dem tastenden Finger einen Eindruck machen konnten, ist leicht verständlich, und damit ersichtlich, dass die Meinung, es liege hier eine Pulsverlangsamung vor, er­weckt werden konnte. Aus der Ablaufszeit des Täfelchens berechnet, gehen solcher Pulswellen, wie sie von a—b ver­zeichnet sind, 84 auf die Minute, von den hohen zwischen b und c 52, und von den hohen und niederen Elevationen zwischen b und c 104! Diese letztere Zahl entspricht der Zahl der Herzschläge, welche bei der Auscultation am Herzen nach dem Hustenstoss beobachtet werden konnte, und die zwar nicht gleich bei der ersten Untersuchung, aber später stets deutlich von alternirender Stärke für mich hörbar waren.

Ganz dieselben Curven Hessen sich erzielen durch ein­maliges Schneuzen, kurze Valsalva’sche Luftcompression im

Bronchialbaum und durch einige vertiefte und beschleunigte Athemzüge — kurz, durch alle die Mo­mente, mit denen eine Dehnung der Lungen­alveolenwände durch

intrabronchialeDrucksteigerung verbunden ist. Die so erzeugten experimen­tellen Bigemini hielten jedesmal ‘/2—1 Minute an und gingen dann allermeist allmählich, in einzelnen Fällen plötzlich in den normalen Rhythmus zurück.

Zur Zeit, als noch nicht durch RiegeUs ebenso er­schöpfende, als beweisende Forschungen die Bigeminie des Herzens aufgedeckt war, hätte die vorliegende Beobachtung einen verführerischen Anhaltspunkt dargeboten für die An­nahme einer Hemisystolie des Herzens; 104 Herzcontractionen und gleichzeitig nur 52 Radialpulse sind ja früher wiederholt die Hauptstützen von Hemisystolie gewesen. Nur die exacteren Untersuchungsmethoden gewähren hierbei die volle Auf­klärung, so wie z. B. schon in diesem Falle die Sphygmo- graphie die Existenz der scheinbar fehlenden Contractionen des linken Ventrikels nachweist; vielmehr aber noch hat das von Riegel experimentell an Thieren geprüfte Verhalten des rechten und linken Ventrikels die Haltlosigkeit der Annahme erwiesen, dass sich in solchen Fällen der linke Ventrikel anders verhalte, wie der rechte, der linke sich alternirend normal und gar nicht, oder doch nur rudimentär, der rechte dagegen sich constant normal contrahire. Sie arbeiten viel­mehr beide gleichzeitig in einem anderen Rhythmus, d. h. in beiden folgt einer kräftigen Contraction eine zweite vor­zeitige und weniger kräftige, ein Vorgang, der nach Riegel kurzweg als Herzbigeminie bezeichnet werden muss.

So sehr ich nun auch in der Hauptsache ganz durch2

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Riegel’s Untersuchungen überzeugt bin und seinen Aus­einandersetzungen beipflichte, so kann ich doch in Beziehung auf einen Punkt eine Bemerkung nicht unterdrücken. Er schreibt1): „In voller Uebereinstimmung mit diesen klinischen Beobachtungen haben unsere Thierversuche ergeben, dass die Bigeminie stets mit einer hochgradigen Verlangsamung der Herzthätigkeit zusammenfällt.“

Ich will hier nicht darauf eingehen, ob die Deutung der zu Grunde liegenden klinischen Beobachtungen die einzig mögliche ist, und auch nicht auf den Punkt, den Riegel als Stütze jenes Satzes in einer Anmerkung zu dem Worte „Herz­thätigkeit“ unten hinzufügt: „Der Bigeminus ist hierbei alseine Action gerechnet.“ Indess halte ich es mindestens für noting, darauf aufmerksam zu machen, dass jener Satz: „die Bigeminie fällt stets mit einer hochgradigen Verlangsamung der Herzthätigkeit zusammen“, eine allgemeine Gültig­keit entschieden nicht hat.

Ich habe bereits früher2) nachgewiesen, dass Bigeminie mit Beschleunigung der Herzthätigkeit zusammenfallen kann und ganz ebenso giebt der oben mitgetheilte Krankheitsfall ein ausgeprägtes neues Beispiel dieser Thatsache.

In der Strecke a—b der mitgetheilten Curve mit normal rhythmischer Herzbewegung macht das Herz 80—84 Con- tractionen per Minute, in der Strecke b—c, welche lauter Bigemini enthält, contrahirt sich das Herz, wenige Secunden nach Registrirung der Strecke a—b, 100—104 Mal per Minute, d. h. Beschleunigung! Denn es Messe doch den Thatsachen Gewalt anthun, wenn Jemand hier von hochgradiger Verlang­samung der Herzthätigkeit reden wollte, weil diese 104 Herzcontractionen zwar 104 durch graphische Methode nachweisbare, aber nur 54 fühlbare Pulse zur Folge haben.

Demnach kann man meiner Meinung nach nur sagen: In allenden Zuständen, welche durchhohen arteriellen Blutdruck eine Verlangsamung der Herzthätigkeit bewirken, findet sich sehr häufig dabei Bigeminie des Herzens, es giebt aber ebenfalls Bigeminie unter Umständen, welche Erniedrigung des ar­teriellen Blutdrucks und Beschleunigung der Herz-

»action bewirken.Dass in jenen ersten Fällen der hohe arterielle Blut­

druck die einzige und directe Ursache für die Bigeminie ist, hat Knoll bewiesen. Den Grund für die Bigeminie der zweiten Gruppe habe ich dargethan.

Ich habe nachgewiesen, dass jede intrabronchiale Druck­steigerung die sensiblen Nerven der Lunge reizt, und dass von hier aus bei allen gesunden Menschen zwei Reflexwirkungen ausgelöst werden, nämlich auf das Herz in Form von Be­schleunigung, und zweitens eine auf die Gefässe in Form von Verminderung des Tonus der Vasomotoren.

Eine dritte Reflexwirkung von den durch intrabronchialen Druck gereizten Lungennerven, und zwar auf den Rhythmus der Herzbewegung — bis dahin eben so wenig gekannt, wie die auf die Vasomotoren — konnte ich3) bei einzelnen Ge­sunden und bei einer Anzahl Kranker nachweisen, bei denen es sich um eine abnorme Erregbarkeit des Nervensystems

x) Deutsches Archiv für klin. Medicin, B. 27, S. 438.2) Zeitschrift für klin. Medicin, B. II, Heft III; auch im Separat-

Abdruck bei Hirschwald, Berlin, erschienen: Die reflectorisehen Beziehungen zwischen Lunge, Herz und Befassen.

8) 1. c. S. 639 u. ff.

überhaupt und des Herzens insbesondere zu handeln schien; diese Reflexwirkung bestand in Veränderung des Rhythmus, entweder aus dem normalen in einen allorhythmischen, oder- umgekehrt.

Der Eingangs berichtete Krankheitsfall ist nun offenbar eine neue Stütze für meine Behauptung, dass unter gewissen Umständen — auch hier wieder eine gesteigerte nervöse Er­regbarkeit, und zwar anscheinend als Folge eines schweren Abdominaltyphus — durch Reizung der sensiblen Lungen­nerven eine reflectorische Beeinflussung der dem Herzrhythmus vorstehenden Nerven-Apparate des Herzens vorkomme.

Das Experiment ist hier so rein wie möglich. Ein einziger Hustenstoss verwandelt die normale Schlagfolge des materiell durchausnicht veränderten Herzens eines im Uebrigen gesunden Mannes in Bigeminie, und zwar für */,—1 Minute Dauer. Ausser einer momentanen intrabronchialen kräftigen Drucksteigerung mit momentaner Dehnung der Alveolen-Wände bewirkt ein Hustenstoss nichts Erhebliches, vor allen Dingen nicht eine mechanische Beeinflussung der Blutcirculation, welche gross genug wäre, um für */2—1 Minute Bestand zu halten. Am allerwenigsten aber bewirkt ein Hustenstoss eine arterielle Blutdrucksteigerung, sondern, wie schon Lando is nachgewiesen hat, das Gegentheil, und damit ist die einzige sonst bekannte Ursache für Bigeminie hier ausgeschlossen.

Es bleibt uns demnach auch hier nichts Anderes übrig, als eine durch das Nervensystem vermittelte, eine reflectorische, den Herzrhythmus ändernde Wirkung von den Lungennerven auf das Herz an­zunehmen, welche neben den beiden anderen bekannten reflectorischen Consequenzen des Hustenstosses, der Be­schleunigung der Herzthätigkeit und der Entspannung der Gefässwände in Erscheinung getreten ist.

Schliesslich will ich nicht unterlassen zu erwähnen, dass die interessante Reaction des Herzens auf den Hustenstoss, welche vom Kranken selbst mehr oder minder gut seit 1 '/2 Jahren, von mir 3 Wochen beobachtet wurde, nach zwei­monatlichem Gebrauch von Bromkalium geschwunden ist. Es ist hierdurch die Möglichkeit wenigstens nahe gelegt, dass das Bromkalium eine Herabsetzung der Reflexerregbarkeit gewisser Herznervenapparate bewirkt hat.

III. Vergiftung durch Kali chloricum.Mitgetlieilt von

Dr. Goldschmidt in Breslau.

In einer der letzten Sitzungen der Berliner medicinischen Gesellschaft hat Herr Baginsky über eine schwere Intoxi­cation mit Kali chlor, referirt, hervorgerufen bei einem vier­wöchigen Kinde durch eine ganz unbedeutende Menge dieses Salzes (1 gr in 36 Stunden verbraucht).

Ich bin in der Lage, über einen dem ganz ähnlichen Fall berichten zu können und veröffentliche ihn hauptsächlich in der Absicht, dadurch vor der noch allgemein von Aerzten und Laien geübten Sorglosigkeit in der Anwendung dieses höchst differenten Salzes, zumal bei kleinen Kindern, zu warnen und es womöglich zu veranlassen, dass Kali chloricum gänzlich aus der Reihe der ohne Recept vom Apotheker im Handverkauf abzügebenden Mittel gestrichen werde.

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Der Fall selbst ist kurz folgender: Anfang November d. J. wurde mir der ungefähr drei Wochen alte Knabe P. zuge­bracht, weil er sein Aussehen in kurzer Zeit so verändert hätte, dass seine Pflegerin das Ableben desselben für un­mittelbar bevorstehend hielt. Das Kind zeigte eine tiefdunkel­schwarzblaue Verfärbung der allgemeinen Hautdecken und sichtbaren Schleimhäute, etwa wie die Oberfläche einer reifen Pflaume, die Skleren waren schmutziggelb tingirt. Zunächst dachte ich an das Vorhandensein eines nicht compensirten, angebornen Herzfehlers, aber dis Athmung war nicht dyspnoiseh, die Herztöne absolut rein, kräftig, von normaler Frequenz, ebensowenig bot der kräftige Puls irgend eine Abnormität dar. — Zufällig urinirte das Kind während der Untersuchung, und diesem Zufälle verdankte ich die sofortige Erklärung des sonst räthselhaften Zustandes. Der Urin kam in starkem, tintenschwarzem Strahle aus der Harnröhre, sah, wo er sich in dünnerer Schicht auf der Haut ausbreitete, schwärzlichgrau aus und hinterliess, wo er in grösserer Menge hingefallen war, Häufchen eines schwarzgrauen, feinen Pulvers, welches die mikroskopische Untersuchung als reines Hämoglobin er­wies. Die Pflegerin deponirte nunmehr, dass das Kind, ohne Brust künstlich ernährt, seit einigen Tagen an Verdauungs­störungen erkrankt sei. Wegen Soorbildung hätte sie den Mund mit in gepulvertes Kali chloricum ge­tauchten, feuchten Läppchen mehrfach ausge­wischt. Der Rest des Salzes, den sie mir producirte, betrug 8 gr, die Frau hatte, wie ich in der betreffenden Apotheke erfahren, für 10 Pf. 12 gr erhalten, 4 gr waren also auf die erwähnte Weise in 24 bis 36 Stunden verbraucht worden. Es dürfte wohl noch zu hoch gegriffen sein, wenn ich an­nehme, dass bei der beschriebenen Procedur kaum 1 gr, wahr­scheinlich noch viel weniger, verschluckt worden sein mag, und diese nach unseren bisherigen Erfahrungen völlig wirkungs­lose Menge hatte hingereicht, um bei einem Kinde so deletäre Wirkungen auf das Blut hervorzubringen. Denn dass ich es lediglich mit einer Intoxication durch Kali chloricum zu thun hatte, durfte mir nach der jetzt durch die Untersuchungen von Marchand und durch zahlreiche klinische Beobachtungen bekannten Wirkungsweise grösserer Gaben dieses Giftes keinen Augenblick zweifelhaft bleiben.

An den folgenden beiden Tagen nahm der Hämoglobin­gehalt des Urins allmählich ab, dieser wurde heller und näherte sich mehr der Färbung icterischen Harns, auch die Oberhaut hellte sich auf, sie wurde erst aschgrau, dann etwas gelblich, fast broncefarbig. Das Kind jedoch wurde immer schwächer und starb am dritten Tage meiner Beobachtung im Zustande äusserster Erschöpfung. Die Section konnte nicht gemacht werden, doch dürfte, trotz der mangelnden Autopsie, ein erheblicher Einwand gegen meine Annahme, dass das Kind durch eine, nach der gewöhnlichen Anschauung minimal zu nennende Dosis von Kali chloricum eine tödtliche Vergiftung erlitten habe, kaum zu machen sein.

IV. Von der 55. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Eisenach.

Sitzung vom 21. September 1 882.Den 3. Gegenstand der Tagesordnung bildete ein Vor­

trag von Dr. A s s m an n -MagdeburgUeber die Staubbestandtheile der Atmosphäre und

ihre Beziehungen zur Gesundheit, den wir anbei folgen lassen.

Wohl Jedem ist die Erscheinung bekannt, dass ein Sonnenstrahl, welcher in ein dunkles Zimmer fällt, die sonst scheinbar reine Luft mit Millionen kleiner und kleinster Körperchen bevölkert zeigt; diese Körperchen schweben in der Luft auf- und abwärts, scheinbar dem Gesetze der Schwere entrückt; die geringste Bewegung der Luft erregt ein wildes Durcheinander, ein tolles Jagen und Fliehen, Steigen und Fallen der Sonnenstäubchen. Wir unterscheiden leicht grössere fadenförmige, vieleckige, kleinere rundliche Körperchen; bei genauem Zusehen finden wir noch überall zwischen diesen grösseren feinste Stäubchen, fast nur einem mathematischen Punkte vergleichbar, welche gleichfalls trotz ihrer Kleinheit das auf sie fallende Sonnenlicht zurückstrahlen und dadurch gegen den dunklen Hintergrund sichtbar werden. Das Mikroskop aber würde uns lehren, dass auch diese Stäubchen noch mächtige Massen sind gegenüber den erst bei stärksten Vergrösserungen wahrnehmbaren Staub-Partikelchen. Unsere Atmosphäre enthält ausser dem in ihr aufgelösten Wasser­dampf eine andere constante Beimengung, welche in fester Form sich überall, wenn auch in ausserordentlich wechseln­der Menge vorfindet. Man fasst diese in der Luft schweben­den Körperchen unter den allgemeinen Namen „atmo­sphärischer Staub“ zusammen, ohne damit einen Unter­schied in Bezug auf die Eigenschaften und die Entstehungs­ursachen desselben auszudrücken. Ueber den Einfluss dieses atmosphärischen Staubes, sowohl in meteorologischer, als in morphologischer Beziehung, über seine Wirkung auf die organische Welt war bis vor einigen Decennien wenig bekannt. Trotzdem die hervorragendsten Forscher diesem Gegenstände die eingehendste Aufmerksamkeit zugewendet haben, sind wir noch weit davon entfernt, den Einfluss des Staubes in allen seinen Modificationen auch nur annähernd zu

! durchschauen, und allem Anscheine nach gebührt dem Staube eine weit höhere Dignität in der Natur, als man bis jetzt anzunehmen geneigt war.

Unter atmosphärischem Staube verstehen wir, wie er­wähnt, ganz allgemein alle geformten, in der Luft längere oder kürzere Zeit schwebend erhaltenen Bestandteile, welche nicht aus Wasserdampf bestehen. Denn auch der Schnee und die feinen Eiskrystalle, welche die höchsten Wolken, den Cirrus, bilden, sind feste Körper, welche in der Luft schweben, entstammen jedoch dem Wasserdampf. Die allgemeinen Eigenschaften des Staubes sind sowohl in Grösse und Gestalt, wie auch an Schwere bedeutend verschieden. Die Grösse der Staub-Partikel schwankt zwischen dem mehrere Millimeter grossen Busskörper unserer Fabrikschornsteine oder den beim Moorbrennen mit in die Höhe gerissenen verkohlten Pflanzen­resten und den nahezu unmessbar kleinen, als kosmischer Staub bezeichneten, wahrscheinlich aus dem Verbrennen von Meteoriten hervorgegangenen Körperchen, deren Flächen noch nicht den lOOOOsten Theil von derjenigen eines kleinen Schnee- krystalles einnimmt. Untersucht man mit dem Mikroskop das abgedampfte Schmelzwasser eines frischen Schneefalles, oder ein dem Luftzuge ausgesetztes Tröpfchen reinsten Glycerins, so findet man Staubkörperchen, welche aus allen Kategorien der drei Naturreiche stammen. Flögel fand z. B. in einem solchen Falle: Infusorien und Algen lebend, Bacillen und'Micrococcen, Milben, Diatomeen, Pilzsporen in grosser Menge, Pilzfäden; ferner Wollfäden, Mäusehaare, Stücke von Schmetter­lingsflügeln, Inseetenlarvenhäute, Baumwollfäden, Stücke von Grasgrannen, Epidermisstücke von Gräsern, Pollenkörner,

8 BRESLAUER AERZTLICHE ZEITSCHRIFT. No. 1.

Kartoffel- und Koggenmehl, Holzzellen; ferner Quarzkörner, feinste Stückchen von Dachziegeln, undurchsichtige, viel­gestaltige schwarze Massen, wahrscheinlich Eisen, feinsten undurchsichtigen schwarzen Staub, wahrscheinlich Kohle. Mannigfaltig im höchsten Grade ist die Gestalt der Staub- Partikel, da dieselbe vollständig von den Form-Eigenthümlich- keiten der Körper abhängt: wir finden runde Formen in den Pflanzensamen und den Micrococcen, vieleckige in den Quarz- und Mineralstückchen und den Kristallen, stäbchenförmige in den Bacillen. Die Schwere derselben findet ihre Grenze in der Möglichkeit, durch Luftströmungen, wenn auch nur kurze Zeit, schwebend erhalten zu werden; selbstredend dürfen wir hierbei nicht die äussersten Windstärken mit einrechnen, da man sonst auch die von einem Orkane entwurzelten und auf­gehobenen Bäume, umgestürzte Schornsteine und weggeführte Dachziegeln mit unter den Begriff des atmosphärischen Staubes stellen müsste. Im Allgemeinen wird ein Körper von grosser Oberfläche und geringem Gewicht besser und länger in der Luft schwebend erhalten bleiben, als ein solcher von kleiner Oberfläche, z. B. eine Kugel, und schwerem Gewicht. Unter allen Umständen aber werden es Körper sein, welche an und für sich ein grösseres specifisches Gewicht besitzen, als die Luft, welche daher stets das Bestreben haben, dem Gesetze der Schwere folgend, auf die Erdoberfläche herabzusinken.

Welchen Kräften verdanken nun aber diese Körper die Fähigkeit, kürzere oder längere Zeit in der Luft schwebend erhalten zu werden?

Das Emporheben des Staubes von der Erdoberfläche kann nur durch eine mechanische Kraft geschehen, und diese Kraft ist die bewegte Luft. Luft, welche in horizontaler Richtung über eine vollkommene, mit Staub bedeckte Ebene strömt, wird vermöge ihrer Reibung an der Erdoberfläche die Staubtheilchen dann mit sich vorwärts bewegen, sobald ihre motorische Kraft grösser ist, als die Schwere der ein­zelnen Staubpartikeln. Ein Emporheben könnte hierbei theo­retisch an sich nicht stattfinden. Die geringste Unebenheit des Bodens aber, oder die in Folge eines stärkeren Wider­standes des Staubes an einer Stelle stattfindende Anhäufung desselben, wird die horizontale Luftströmung in eine local nach oben abgelenkte, aufsteigende verwandeln müssen. Der dann darüber hinwegbewegte Staub wird demnach die Erd­oberfläche verlassen und eine Strecke weit schwebend er­halten werden. In viel stärkerem Grade ist dies natürlich der Fall, wenn der Wind gegen eine steile, hohe Wand, etwa einen Bergrücken, anweht: hier wird eine grosse Luft­masse zu einer sehr steilen, eventuell fast senkrechten Er­hebung gezwungen ; in Folge dessen werden mitgeführte Staub- theile bis zu erheblichen Höhen emporgetrieben werden können. In noch viel grösserem Massstabe kommt aber dieses Erheben von Staubmassen vor, wenn die horizontale Bewegung der Luft in Folge eines Luftwirbels in eine aufsteigende umge­wandelt wird. Die Meteorologie lehrt bekanntlich, dass an einem Orte, an welchem der Luftdruck, ausgedrückt durch den Barometerstand, geringer, das Barometer also niedriger ist, als ringsum in dessen Umgebung, die Luftmassen eine aufsteigende Bewegung annehmen. Hierbei strömt die Luft an der Erdoberfläche von allen Seiten in horizontaler Rich­tung hinzu, wird vermöge der ablenkenden Kraft der Erd­rotation auf der nördlichen Halbkugel nach rechts, auf der südlichen nach links ablenkt, nähert sich dem Orte niedrigsten Luftdrucks auf dem Wege einer Spirale und steigt dort in

derselben Curve in die Höhe. Durch dieses Erheben der Luft in grössere Höhen geräth dieselbe unter niederen Luft­druck, da dann eine geringere Luftsäule auf ihr lastet, als vorher, wodurch eine Auflockerung und Abkühlung derselben hervorgerufen wird. Diese aber bewirkt, dass der mitgeführte Wasserdampf sich zu Wolken und Niederschlag verdichtet, wodurch die bei der vorhergegangenen Verdunstung latent gewordene Wärme wieder frei wird. Diese Wärme aber bewirkt wiederum eine Ausdehnung der Luft, welche nun, wegen des nachdrängenden aufsteigenden Luftstromes, wesent­lich zur Vermehrung des Auftriebes der Luftmassen dienen kann. In den oberen Schichten der Atmosphäre strömt dann die gehobene Luft nach allen Seiten nach Aussen ab, um oft weit entfernt, in einem anderen Gebiete als schwere Luft niederzusinken. Alle diejenigen Bestandtheile der Atmosphäre, welche leicht genug sind, um von dem Luftstrome mit in die Höhe gehoben und weiter fortgeführt werden zu können, müssen selbstverständlich diesen ganzen Weg mit zurück­legen und sinken dann erst an anderen Stellen, an welchen die Stromgeschwindigkeit geringer wird, als die Schwerkraft, nieder, oft gewiss bei ihrem Niedersinken von dem Aspi­rationsgebiete aufs Neue angezogen und in die Höhe gewirbelt. Leichtere Körper werden indess durch die lebhafte obere Luftströmung oft weit fortgeführt und sinken erst in den Gebieten hohen Luftdrucks, wo die Luftmassen selbst nieder­steigen, zu Boden. Ganz besonders disponirt zur Entstehung solcher aufsteigender Luftströme sind nun aber alle diejenigen Gegenden, an welchen der Erdboden wenig oder gar nicht von Pflanzen bedeckt ist, und die in Folge dessen durch die Sonnenstrahlen stark erwärmt werden können. Diese Gegen­den aber sind vorzugsweise mit einem feinkörnigen, leicht aufhebbaren Boden versehen, so dass wir in den Wüsten unseres Erdballes die Hauptquellen des atmosphärischen Staubes zu erblicken haben.

Was nun den Ursprungsort des atmosphärischen Staubes betrifft, so ist der einfachste Fall der schon oben beleuchtete, in welchem Staub an irgend einer Stelle von der Erdober­fläche selbst aufgehoben und anderswo an disponirten Stellen niedergelegt wird.

Den Seefahrern war es längst bekannt, dass an den Westküsten des tropischen Afrika überaus häufig eine eigen- thümliehe, durch zimmetfarbigen Staub veranlasste Trübung der Atmosphäre angetroffen wurde, welche so dicht ist, dass man häufig die Küste in einer Meile Entfernung nicht zu sehen vermag. Wegen des Vorkommens in der Region der Passat­winde wurde diese Erscheinung allgemein als Passatstaub bezeichnet; jene Gegenden selbst belegte man aber mit dem bezeichnenden Namen der Nebelküste, des Dunkelmeeres, auch wohl des Meeres der Finsternisse. Ueber die Herkunft dieses feinen, meist röthlichen Staubes, welcher das ganze Schiff bis in alle Spalten hinein überdeckt, war man lange Zeit im Unklaren. Die Erforschung dieses Phänomens wurde ganz besonders durch Ehrenberg gefördert, welcher durch mikroskopische Untersuchungen nachwies, dass die Haupt- bestandtheile des Staubes feiner Quarzsand, ein noch viel feinerer gelblicher Detritus und überaus zahlreiche organische Formen, deren 320 unterschieden wurden, waren. Den Ur­sprung dieser Massen suchte Ehrenberg wunderbarer Weise in Südamerika, stellte dann aber später die Hypothese auf, die Erde sei von einem Staubgürtel in den höheren Luft­schichten umgeben, dessen Theile sich zuweilen in Gestalt

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schwerer Wolken senken sollten, während sonst diese Zone durchsichtig sei. Neuerdings hat Hellmann in überzeugender Weise dargethan, dass zweifellos das westliche Afrika als der Herd des Passatstaubes zu betrachten ist. Er constatirte, dass das Gebiet der Staubfälle nicht über 3° nördlicher Breite nach Süden, über den Parallel der capverdischen Inseln nach Norden und über 99° westlich hinausreicht. Die Entfernung der westlichsten, sicher constatirten Staub fälle von der nächsten Festlandsküste, dem Cabo Verde, beträgt 300 Meilen. Diese Staub fälle halten nicht selten längere Zeit, zuweilen 10 Tage lang ununterbrochen an; die betroffenen Flächen sind oft ungeheuer, und es sind Staubfälle constatirt, welche gleich­zeitig einen Flächenraum von 100 000 Quadratmeilen bedeckten. Am häufigsten tritt diese Erscheinung in den Monaten December bis Februar, halb so oft im März bis Mai, am seltensten vom Juli bis November auf. Die während dieser Staubfälle vornehmlich beobachteten Windrichtungen waren nordöstliche, der Richtung des Nordostpassates entsprechend. Die Häufigkeit der Staubfälle ist durchaus nicht in allen Jahren die gleiche; es giebt Jahre, in welchen durchaus dieses Phänomen fehlt. In einzelnen Fällen war der Staub­fall ein so dichter, dass die See durch denselben eine deutlich gelbliche Färbung annahm. Ausser den Staub fällen selbst kommen in jenen Gegenden noch häufig trockene Nebel vor, welche ebenfalls auf Staubbeimischung zur Atmosphäre zurück­zuführen sind; doch ist dieser Staub alsdann so feinkörnig, dass er dem unbewaffneten Auge unsichtbar bleibt. Darwin, welcher sich ebenfalls für die westliche Sahara als Ursprungs­ort des Passatstaubes ausspricht, betont mit Recht, dass, je näher der afrikanischen Küste, desto grobkörniger der Staub zu sein pflegt. Nach alledem darf nicht mehr bezweifelt werden, dass es Wüstensand und Wüstenstaub ist, welcher durch gewaltige Wirbelstürme in der westlichen Sahara in die Höhe gehoben, dem herrschenden Nordostpassat in höheren Regionen zugeführt und von diesem bis auf 300 Meilen transportirt wird. ' (Fortsetzung folgt.)

V. 30. Sitzung des schlesischen irrenärztlichen Vereins zu Breslau am 26. November 1882.

I. Prof. Dr. Neumann referirt über neue Arbeiten von Vereinsmitgliedern, nämlich: 1) über den Jahresbericht der Provinzial-Irren-Anstalt Brieg von Director Dr. Alter, aus welchem er besonders die grosse Billigkeit der Beköstigung in genannter Anstalt hervorhebt und den oft zu weit gefassten Begriff der erblichen Belastung kritisch be­leuchtet; 2) über einen Fall von Paralyse, veröffentlicht von Prof. Berger (Mendel’s Centralblatt, 1882, Nr. 22), worauf sich eine lebhafte Debatte über Häufigkeit und Symptomatologie der Dem. paralytica beim weiblichen Ge­schlecht entspinnt, deren Resumć folgendes ist: Die Paralyse der Frauen ist wesentlich seltener, als die der Männer. Nur in einzelnen Fällen bietet sie in ihrer Erscheinungsweise das genaue Bild der „klassischen“ Form, meist weicht sie in Bezug auf Art, Dauer und Verlauf von demselben ab. Die erkrankten Frauen haben, wie besonders aus den im Aller­heiligen-Hospital behandelten Fällen resultirt, oft Beschäf­tigungen gepflegt, welche sonst Männern anheimfallen.

II. Dr. Leppmann berichtet über einen Fall von Morphinismus, welcher einen 30jährigen, bereits mehr­lach recidivirten Kranken betraf, der, nachdem er Monate

lang täglich 1 */2 gr Morph, mur. (früher 5,0) injicirt hatte, wiederum, wie bei früheren Kurversuchen, durch schnelle Entziehung (am ersten Tage y30, am zweiten Tage yeo der Tagesdosis, dann noch einige Tage 1,0 Chloral) unter hef­tigen aber nicht bedenklichen Abstinenzerscheinungen geheilt wurde. Referent empfiehlt diese Methode für alle nicht durch sonstige körperliche Krankheit complicirte Fälle bei der Be­handlung in Anstalten, welche eine genaue Ueberwachung ermöglichen. Bei leichteren, ambulant zu behandelnden Fällen ist er mehr für allmähliche Entziehung resp. für Sub- stituirung durch andere Narcotiea, und empfiehlt zu diesem Zwecke besonders die Verbindung von Codein (0,02—0,05) mit Camphor, monobrom., letzteres aber in höheren Dosen als gewöhnlich (0,5 pro Dosi).

Die darauf folgende Debatte betont die leider immer noch zu laxe Handhabung der Gesetzesvorschriften bei Ab­gabe narcotischer Mittel in Apotheken und Droguerien und die als einzige Möglichkeit zur Abstellung solcher Uebel- stände zu machende Anzeige jedes zur Cognition kommenden Falles bei der betreffenden Behörde.

III. Prof. Berger, welcher das Bromaethyl ausser bei mannigfachen Neurosen bereits auch bei 6 Fällen psychi­scher Exaltationszustände mit gutem Erfolg angewandt hat, empfiehlt dasselbe zu ausgedehnteren Versuchen, namentlich den Leitern von Anstalten. Er betont, dass, wie aus einer kürzlich erschienenen Pariser Dissertation hervorgeht, auch in Bicetre (Bourneville) günstig Erfolge damit erzielt wurden. Was die Methode der Anwendung anbetrifft, so hält er es für zweckmässig, täglich 5—10 gr inhaliren zu lassen, worauf unmittelbar eine, einer oberflächlichen Chloroform-Narkose ähnliche Betäubung eintritt, welche zwar nur kurze Zeit an­hält, aber von einer dauernden grösseren Ruhe gefolgt ist.

Die Anwesenden versprechen, in der nächsten Sitzung über die Resultate eventueller Versuche zu berichten.

An den Debatten betheiligen sich von den Anwesenden: Neumann, Berger, Kohn, Leppmann, Bruntzel- Breslau, Eicke - Pöpelwitz, Alter - Brieg, Kahlbaum- Görlitz und K1 e u d g e n - Obernigk.

VI. Referate und Kritiken.

Zur B eur th eilung des Werthes stielloser Hauttransplantationen für die Blepharoplastik. Von Dr. B. Wicherkiewicz.

Bei gewissen Fällen von Ectropium, für deren Hebung die Transplantation eines gestielten Lappens aus der Umgebung wegen Mangel an entsprechendem Material nicht gemacht werden kann, hat man in neuerer Zeit die Reverdin’sche Uebertragung eines Haut­stückes von entfernteren Stellen mit mehr oder weniger günstigem Erfolge angewandt.

Verf. veröffentlicht nun drei Fälle, bei denen er mit dieser sog. Operationsmethode nach Wolfe, der dieselbe zuerst eingehender er­örterte, befriedigende Resultate erzielte.

In dem ersten Falle, wo sich nach der Zerstörung einer aus­gedehnten Teleangiektasie des Oberlids mit dem Paquelinschen Thermocautor ein bedeutendes Ectropium ausbildete, entnahm er das Hautstück dem Entropium eines anderen Auges, in den beiden letzten Fällen benutzte er die Haut des Oberarms.

In allen Fällen heilten die Hautstücke gut an, behielten dauernd ihre Verbindung mit dem neuen Boden und büssten an Grösse fast nichts ein.

Als Hauptursache eines guten Resultates betrachtet Verf. die genaue Coaptation der Ränder und das Ausblutenlassen der zu be­deckenden Wund flächen, und wohl mit Recht. Denn soll der Irans- portirte Lappen gut und ohne Verlust an Umfang anheilen, dann muss er in eine innige Verbindung mit der Wundfläche, d. li. seiner Unter­lage und deren Rändern treten. Dies wird zum Theil, entgegen der Ansicht Wolfes, durch genau angelegte Käthe bewerkstelligt, ander-

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seits dadurch, dass man den Lappen in möglichst günstige Ernährungs­verhältnisse bringt, oder mit anderen Worten, ihn möglichst ohne Zeitverlust auf eine Fläche auflegt, mit der er schnell eine Verbindung eingehen kann; also am besten auf eine gesunde Granulationsfläche.

Verf. empfiehlt demgemäss folgende — modificirte Wolfesche — Methode: Das ektropionirte Lid wird aus seiner narbigen Verbindung vollständig gelöst, starke narbige Stränge werden ganz herausgeschnitten, die Lidränder in geringer Breite (l/4 des Lidrandes) zusammengenäht und antiseptisch verbunden. Sobald dann gesunde Granulationen die Defectfläche bedeckt haben und der Vernarbungsprocess an den Rändern angefangen hat, wird ein Lappen mit der ganzen Dicke der Haut aus einer geeigneten Stelle fettlos, genau nach Mass entnommen, auf die Granulationsfläche, die vorher mit pCt. Carbolwasser besprengt und von anhaftendem Gerinnsel befreit worden ist, aufgelegt und durch einen geeigneten Verband fixirt. Zu lezterem empfiehlt sich ein Stück Leinwand, welches mit 8 pCt. Borsalbe oder 3 pCt. Carboivaseline bestrichen ist.

Ist die definitive Anheilung des Lappens erfolgt, so nimmt man die Tarsolysis (Trennung der Lidspalte) vor, um damit das ganze Operationsverfahren abzuschliessen. Trompetter-Cleve.

Wolberg. Ein Fall von Scarlatina. Variola. Beri. klin. W. 1882. No. 37, p. 567 f.

Während in Warschau gleichzeitig Scharlach und Pocken epi­demisch herrschten, wurden 3 Geschwister im Prodromalstadium des Scharlachs in das Hinder-Hospital gebracht. In dem dortigen Isolir- zimmer kamen zwei davon (das dritte war schon vorher entlassen) mit einem Pockenkranken in Berührung, welcher das Eine inficirte und zwar dasjenige, bei welchem Impfnarben nicht zu sehen waren, während das Andere, welches deutlich die Spuren der Vaccination zeigte, gesund blieb.

Das inficirte Kind, ein 5jähriges Mädchen, zeigte am 10. Sep­tember 1881 bei der Aufnahme schon ein ausgebildetes Scharlach­exanthem; dazu gesellte sich am 13. eine leichte Rachendiphtherie, die aber abheilte. Am 20. kommt auf denselben Saal ein an Variola erkranktes Kind, und nach 14tägiger Incubation sehen wir das mit leichter Nephritis behaftete und in der Desquamation begriffene erste Kind an Pocken erkranken (am 5. October) und dieser Krankheit nach 10 Tagen erliegen. Toeplitz.

VII. Tagesgeschichtliche Notizen.— Der von der deutschen Kaiserin ausgesetzte Preis von 3000 M.

für die beste Lösung der Aufgabe: „Ausarbeitung eines Handbuchs zur Anleitung für die vorbereitende Thätigkeit der deutschen Vereine vom rothen Kreuze im Frieden und im Kriege“ ist dem sächsischen Geheimrath v. Criegern-Thumitz in Dresden zuerkannt worden.

— Von dem Präsidenten des Organisationsausschusses des inter­nationalen medicinischen Congresses, Professor Panum geht uns die Nachricht zu, dass die 8te Sitzung des internationalen medicinischen Congresses zu Kopenhagen in den Tagen vom 10. bis zum 16 ten August 1884 stattfinden wird.

— In der 49. Jahreswoche vom 3. bis 9. December wurden in Breslau 195 lebende Kinder geboren. Es starben 129 Personen, so dass die Zahl der Geburten die der Todesfälle um 64 überragt. Wichtigere Todesursachen waren: Diphtherit. 7, Tuss. convuls.,1, Typh. abdom. 1, Enterit, 2, Apoplex. 4, Convuls. 4, Croup. 5, Phthis. pulm. 14, Pneum. 18, Cas. fort. 2, Suicid. 1.

Die Sterblichkeitsverhältnisse in der 49. Jahreswoche in den über 15000 Einwohner zählenden Städten Schle­siens und Posens ergeben sich nach den „Veröffentlichungen des Gesundheitsamtes“ aus nachfolgender Tabelle:

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Städte.

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Breslau........... 272 390 129 34 15 5 17 31 27Posen.............. 64 547 28 8 7 1 5 1 6Görlitz........... 50306 17 4 1 1 5 — 6Liegnitz ..... 37168 34 16 2 2 5 5 4Bromberg . . . 33 618 13 7 2 — 2 — 2Königshütte . . 27 520 19 6 10 1 — 1 1Landsberg a/VV. 23 558 8 1 1 1 — 3 2Schweidnitz . . 22136 8 1 — 1 2 2 2Beuthen O/S. . 22 812 7 2 — 1 2 1 1Neisse........... 20 516 10 3 — 1 2 2 2Gross-Glogau . 18 629 6 2 1 — 1 1 1Ratibor .... 18 233 7 3 1 — — 2 1Brieg.............. 17 232 9 3 1 1 4

Die Verhältnisszahl der Gestorbenen ist auf das Jahr und 1000 Einwohner berechnet für Breslau 24,0, für Posen 22,1, für Görlitz 17,1 und die übrigen Städte im Durchschnitt 25,2.

— In der 50. Jahreswoche vom 10. bis 16. Decbr. v. J. wurden in Breslau 209 lebende Kinder geboren; es starben 143 Per­sonen, so dass die Zahl der Geburten die der Todesfälle um 66 über­ragt. Wichtigere Todesursachen waren: Variol. 1, Scarlat. 1, Diphtherit. 4, Tuss. convuls. 3, Typh. abdom. 1, Enterit. 2, Choler, nostr. 3, Apoplex. 5, Convuls. 10, Croup 2, Phthis. pulm. 17, Pneum. 8, "Cas. fort. 5.

Die Sterblichkeitsverhältnisse in der 50. Jahres wo che in den über 15000 Einwohner zählenden Städten Schlesiens und Posens ergeben sich nach den „Veröffentlichungen des Ge­sundheitsamtes“ aus nachfolgender Tabelle:

N amender

Städte.

Ein­

wohner.

Gestorbeneexcl.Todt-

geborene.

Lebensalter der Gestorbenen.

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Breslau........... 272 390 143 42 27 4 22 32 16Posen.............. 64 547 44 11 8 3 9 5 8Görlitz........... 50 306 20 7 4 1 6 1 1Liegnitz........... 37168 22 8 . 4 1 2 4 3Bromberg. . . . 33 618 15 3 2 — 3 3 4Königshütte . . 27 520 7 2 3 1 — 1 —Landsberg a/W. 23 558 15 3 1 1 2 4 4Schweidnitz . . 22136 3 1 — — 1 — 1Beuthen O/S. . . 22 812 7 3 1 1 1 — 1Heisse.............. 20 516 5 1 — — 2 1 1Gross-Glogau . 18 629 4 — 1 1 — — 2Ratibor........... 18 233 6 3 — — 1 1 1Brieg.............. 17 232 9 2 1 — 3 — 3

Die Verhältnisszahl der Gestorbenen ist auf das Jahr und 1000 Einwohner berechnet für Breslau 26,7, für Posen 34,7, für Görlitz 20,2 und die übrigen Städte im Durchschnitt 19,4.

— In der 51. Jahreswoche vom 17. bis 23. December v. J. wurden in Breslau 213 lebende Kinder geboren. Es starben 140 Per­sonen, so dass die Zahl der Geburten die der Todesfälle um 73 über­ragt. Wichtigere Todesursachen waren: Variol. 1, Diphtherit 3, Tuss. convuls. 1, Typh. abdom. 2, Typh. exanth. 1, Enterit. 3, Choler, nostr. 1, Apoplex. 2, Convuls. 10, Croup 1, Phthis. pulm. 16, Cas. fort. 2.

Die Sterblichkeitsverhältnisse in der 51. Jahreswoche in den über 15 000 Einwohner zählenden Städten Schle­siens und Posens ergeben sich nach den „Veröffentlichungen des Gesundheitsamtes“ aus nachfolgender Tabelle:

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Städte.

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geborene.

Lebensalter der Gestorbenen.

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51Breslau........... 272 390 140 40 17 5 20 35 23

64 547 32 7 5 2 4 8 6Görlitz........... 50 306 24 7 2 2 6 5 2Liegnitz .... 37 168 20 9 2 — — 1 8Bromberg . . . 33618 15 2 1 4 5 2 1Königshütte . . 27 520 12 2 4 2 1 1 2Landsberga/W. 23 558 14 3 1 — 3 4 3Schweidnitz . . 22 136 8 3 2 — 1 2 —Beuthen O/S. . 22812 11 2 2 1 4 i 1Heisse........... 20 516 5 2 2 --- — i —Gross-Glogau . 18629 4 2 — — i — 1Ratibor .... 18 233 8 1 2 — 4 i —

Brieg.............. 17 232 15 6 1 1 1 3 3

Die Verhi ltnisszahl der Gestorbenen ist auf das Jahr und1000 Einwohner berechnet für Breslau 26,0, für Posen 25,2, für Görlitz 24,2 und die übrigen Städte im Durchschnitt 23,3.

+ München. Der hiesige ärztliche Verein hat nachfolgende Petition an den Bundesrath, betreffend die Verlängerung des medici­nischen Studiums, gerichtet:

Hoher Bundesrath!Dem Vernehmen nach soll in nächster Zeit der Entwurf einer

Bekanntmachung, betreffend die ärztliche Prüfung, welche die im Jahre 1879 von dem Herrn Reichskanzler berufene Commission von Sachverständigen ausgearbeitet hat, innerhalb des Bundesrathes zur endgültigen Feststellung gelangen.

Dieser Entwurf enthält in § 4, Alinea 4 Ziffer 2 die Bestimmung, dass bei der Meldung zur Prüfung der Nachweis eines medicinischen Studiums von mindestens neun Halbjahren auf Universitäten des deutschen Reiches geführt werde.

Wie aus der Zusammenstellung und Beleuchtung der seitens der deutschen Bundesbehörden und der von denselben ressoi'tirenden medicinischen Facultäten gemachten Abänderungsvorschläge zu dem ursprünglich preussischen Entwürfe zu ersehen ist, haben bereits früher die königh bayerische' Staatsregierung und die Facultäten zu Breslau, Bonn, Greifswald, Marburg und Königsberg es für nothwendig

13. Januar 1883. BRESLAUER AERZTLICHE ZEITSCHRIFT. 11

erachtet, eine Studienzeit von 10 Semestern als obligatorische Minimal­zeit anzuordnen oder wenigstens das halbe Jahr der Militairdienstzeit bei der Studienzeit in Abrechnung zu bringen.

Die königl. preussische Staatsregierung widerstrebt einer Ver­längerung der bisherigen, auf acht Halbjahre bemessenen Minimalzeit des medicinischen Studiums, erkennt zwar — wie aus der Beilage zu dem ursprünglich preussischen Entwürfe einer ärztlichen Prüfungs­ordnung vom Jahre 1879 hervorgeht — ausdrücklich an, dass die Minimalzeit von acht Halbjahren eine sehr kurz bemessene ist; macht aber gegen die Verlängerung geltend, einmal, dass durch die damit gesetzte Erschwerung des Studiums die Gefahr einer Abnahme der Mediciner gegeben wäre und ein ein tretend er Mangel an Aerzten der Ausdehnung des Pfuscherthums Vorschub leisten würde, und weiter­hin, dass aus den Resultaten der Approbationsprüfungen sich bis 1879 nicht die Erfahrung ergeben habe, die gegenwärtige Minimalzeit sei zur Erlangung ausreichender Kenntnisse ungenügend.

Der Unterzeichnete ärztliche Verein kann diesen Gründen gegen die Verlängerung des medicinischen Studiums nicht beitreten.

Den ersten Grund anlangend, so dürfte derselbe in einer Zeit, wie die gegenwärtige, hinfällig erscheinen, wo der Zudrang zum medicinischen Studium an sämmtliclien deutschen Universitäten in einer Progression wächst, dass weit eher ein bedenklicher Ueber- schuss an Aerzten als ein Mangel zu befürchten steht. Gesetzt aber auch, es hätte eine Verlängerung der Minimalzeit zunächst die Wirkung, den Zugang zum Studium zu beschränken, so könnte es doch nicht gebilligt werden, aus Besorgniss vor einer Abnahme der Zahl der Aerzte, von einer Einrichtung abzustehen, die im Interesse einer gediegenen Ausbildung gefordert wird. Die Rücksicht auf die Qualität des Arztes muss doch vor Allem hier entscheiden.

Ein Hinweis aber auf die bis zum Jahre 1879 vorliegenden Prüfungsresultate, wie sie sich in den Schlussurtheilen der Prüfungs­commissionen aussprechen, erscheint keineswegs massgebend um der Beibehaltung der gegenwärtigen Minimalzeit des Studiums das Wort zu reden, da nicht gleichzeitig der Nachweis erbracht ist, in welchem Verliältnisse diese Resultate zur factischen Dauer des Studiums stehen; denn erfahrungsgemäss dehnt ein nicht geringer Procentsatz der Studirenden aus eigener Einsicht das Studium über acht Halbjahre aus.

Es wäre indessen noch festzustellen, ob in neuerer Zeit, seit der Einführung der Militairdienstleistung mit der Waffe, die Ergebnisse der Prüfungen auf gleicher Höhe geblieben sind. Gutem Vernehmen nach wären dieselben durchaus nicht allerorts befriedigende.

Indem d er Unterzeichnete Verein den Entwurf derSachverständigen- Commission in seiner Gesammtheit und die daselbst vorgeschlagene Verlängerung der Minimalzeit um ein Halbjahr als eine Verbesserung der bisher geltenden Prüfungsordnung dankend begrüsst, kann der­selbe doch nicht umhin, seinerseits die hier vorgeschlagene Ver­längerung als unzureichend zu bezeichnen, da ohnehin ein halbes Jahr durch den Dienst mit der Waffe an vielen Orten für das Studium vollständig verloren wird.

Der Unterzeichnete Verein hält sich für competent, in dieser Angelegenheit seine Meinung zu äussern, da die eigenen Erfahrungen der Aerzte eine gewichtige Unterlage des Urtheils bieten dürften. Diese Erfahrungen gehen aber dahin, dass zwar bei unausgeseztem Fleisse und besorgender Begabung innerhalb der bisher feststehenden Frist die Kenntnisse erworben werden können, um den Anforderungen der Prüfung zu genügen, dass aber die Reife des Urtheils, die Sicher­heit des Handelns innerhalb der auf vier Halbjahre normirten, den pathologischen und klinischen Studien gewidmeten zweiten Hälfte der Studienzeit nicht erlangt werden kann.

Nur wenige sind in der Lage und finden Gelegenheit, als Assistenten klinischer Institute und Hospitäler in dieser Beziehung aas Fehlende zu ergänzen, die Mehrzahl tritt in die Praxis mit einem Urth^U C*ler"^en Gesichtskreise klinischer Erfahrung und selbständigen

Eine Abhülfe in dieser Beziehung kann nur erreicht werden durch t”.®, ^asgiebigere Benutzung und Verwerthung der poliklinischen fiinftJ1 t ,nac^ aUen Seiten der Praxis, und diesen Studien sollte das r i , T T°U und ganz gewidmet werden, damit der Studirende

„ .• gC". p finde, das weite Gebiet alltäglicher Erkrankungen Grades, die, nach der Natur der Sache, auf den stationären

zu lernen *^aUm begegnen, in mehr selbstthätiger Weise kennenAusserhalb Deutschlands hat man sich der Einsicht nicht ver­

schlossen dass den Ansprüchen, die das medicinische Studium an die Leistungsiahigkeit des Einzelnen stellt, eine Zeit von acht Halbjahren mcht genüge. In Russland und Oesterreich ist die Minimalzeit auf zehn Halbjahre, in Holland auf zwölf Halbjahre normirt, während, wie bekannt, in den skandinavischen Ländern, Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland bereits seit längerer Zeit sogar eine sieben­jährige Studienzeit für noth wendig erachtet wird.

Der Unterzeichnete Verein gestattet sich demnach an den hohen Bundesrath das ergebene Gesuch zu richten:

„Hochderselbe wolle den Nachweis eines medi­cinischen Studiums von mindestens zehn Halbjahren als Bedingung der Zulassung zur ärztlichen Prüfung festsetzen.“

München, 20. December 1882.Der ärztliche Verein zu München.

n Prof. Kupffer, Vorstand,i. Schnitzlein, Gassier. Dr. F. Beetz, Schriftführer.

Die vorstehende Petition ist dem bayerischen Gesandten in Berlin, Grafen v. Lerchenfeld, mit der Bitte um Uebermittelung derselben an den Bundesrath überreicht worden.

Die bayerischen ärztlichen Vereine werden ersucht, falls sich dieselben der Petition anzuschliessen beabsichtigen, ihre Erklärungen in kürzester Frist an die nämliche Adresse gelangen lassen zu wollen. — Den übrigen deutschen Vereinen stellt es der Verein anheim, betreffende Anschlusserklärungen anderweit zur Kenntniss des Bundes- rathes zu bringen.

— Im Verlage von Theodor Fischer in Kassel erscheint seit 1. Januar d. J. eine neue periodische Zeitschrift, die sich „Fort­schritte der Medicin“ betitelt, von Dr. Carl Friedländer, Privatdocent der pathologischen Anatomie in Berlin. Der eben aus­gegebene Prospect lautet:

„Das Bedürfniss nach sachgemässen Referaten über die Fort­schritte der Medicin ist für den praktischen Arzt wie für den Forscher ganz unabweisbar.

Die Fülle der Production auf den verschiedenen Gebieten der Medicin ist schon sein längerer Zeit so gross geworden, dass es voll­ständig unmöglich ist, den Fortschritten der Medicin durch das Studium der sämmtlichen Originalarbeiten zu folgen.

Aus dieser Sachlage ist die grosse Zahl von Zeitschriften ent­standen, welche das Referiren theils als Haupt-, theils als Neben­zweck betreiben, und in den letzten Jahren hat fast jede Special!tat ihr eigenes „Centralblatt“ erhalten.

Wenn auch fast jedes dieser Blättter für den bestimmten Kreis seinen grossen Werth besitzt, so wird es doch in weiten Kreisen schmerzlich empfunden, dass unsere referirenden Journale nicht immer den notliwendigen Anforderungen genügen.

Während gleichgültige Dinge, selbst unzweifelhaft schlechte Arbeiten höchst ausführlich referirt werden, finden wir wesentliche Errungenschaften der Wissenschaft oft ganz mit Stillschweigen über­gangen oder auch entstellt und missverständlich wiedergegeben.

Der Grund dieser bedauerlichen Erscheinung liegt zum Theil darin, dass das Referiren vielfach Persönlichkeiten überlassen wird, denen ein eigenes Urtheil und die historische Kenntniss des bisher Geleisteten mehr oder minder vollständig abgeht. In diesem Falle ist es dann lediglich dem Zufalle überlassen, ob der Referent das wesentlich Neue und Wichtige aufzufassen und wiederzugeben im Stande ist oder nicht.

Die grosse Menge von werthlosen Arbeiten, an denen die medi- cinische Literatur so schwer zu tragen hat, werden von einem ungenügend informirten Referenten für haare Münze genommen und die angeblichen „Resultate“ dem wissenschaftlichen Publikum eben so getreu mitgetheilt, wie die Ergebnisse einer wirklichen ernsten Arbeit; während ein sachverständiger Referent in den meisten Fällen sofort in der Lage ist, die unreifen Producte der Oberflächlichkeit und Unkenntniss trotz des schillernden Mäntelchens, das ihnen häufig umgehängt wird, in ihrem wahren Werthe zu durchschauen und von den reifen Früchten redlicher Arbeit auszusondern.

Andererseits sind manche Referate deswegen unbrauchbar, weil der Referent derjenigen Richtung, in welcher die Fortschritte der betreffenden Disciplin geschehen, ablehnend gegenübersteht.

Was die grossen Jahresberichte anbetrifft, so erscheinen sie gewöhnlich zu spät und bringen ausserdem eine so grosse Fülle von Stoff in compacter Masse, dass sie, wie die Erfahrung lehrt, nur wenig gelesen werden, sondern hauptsächlich als Repertorien zum Nach­schlagen etc. dienen.

Aus diesen Gründen sind eine Anzahl von Fachmänner zu­sammengetreten, um dem wissenschaftlichen Publikum in geeigneter Form sachgemässe und kritische Referate über die Fortschritte der verschiedenen Zweige der Medicin zu liefern.

Unsere Hauptmitarbeiter sind: für Anatomie: Herr Prof. Dr. Eberth (Halle a. S.), für Physiologie: Herr Prof. Dr. Zuntz, für experim. Pharmakologie: Herr Prof. Dr. Luchsinger (Bern), für pathologische Anatomie: Herr Doc. Dr. C. Friedländer, für innere Medicin: Herr Prof. Dr. Lichtheim (Bern), für Nerven-Kranklieiten und Psychiatrie: Herr Doc. Dr. Wernicke, für Chirurgie: Herr Prof. Dr. Maas (Freiburg), für Geburtshilfe uud Gynäkologie: Herr Prof. Dr. Schnitze (Jena), für Aetiologie der Infectionskrankheiten und Microorganismen: Herr Geh. Reg.-Rath Dr. R. Koch, für Hygiene: Herr Reg.-Rath Dr. Wolffhügel, für Thierarzneikunde: Herr Prof. Dr. Schütz.

Ausserdem haben uns noch eine Reihe anderer hochgeschätzter Kräfte ihre Mitwirkung in Aussicht gestellt.

Die angeführten Namen geben genügend die Richtung an, welche unsere Zeitschrift vertreten wird.

Auch für Original-Mittheilungen haben wir einen gewissen Raum disponibel; indessen werden wir bei diesen, wie bei den Referaten alles rein Specialistische streng ausschliessen und nur solche Mittheilungen und Referate aufnehmen, welche allgemein ver­ständlich sind und ein allgemein medicinisches Interesse darbieten.

Wir wenden uns an das Verständniss jedes Arztes und der sämmtlichen Fachkreise; wir werden es als unsere Hauptaufgabe be­trachten, den Zusammenhang und die Einheit der verschiedenen medicinischen Disciplinen zu pflegen und der durch die zunehmende Specialistik drohenden Zersplitterung der medicinischen Wissenschaft entgegen zu arbeiten.

12 BRESLAUER AERZTLICHE ZEITSCHRIFT. No. 1.

Jede persönliche Polemik wird aus den Spalten unseres Blattes principiell ausgeschlossen sein; indessen werden unsere Referenten überall da, wo es nöthig ist, mit ihrer sachlichen Kritik nicht zurückhalten. Der Referent tritt mit seinem Namen und seiner wissenschaftlichen Stellung für das Referat ein.

Auf diese Weise hoffen wir unsern Lesern in gedrängter Kürze ein vollständiges, getreues und anschauliches Bild der Fortschritte der Medicin zu entwerfen.

Wir haben uns eine hohe Aufgabe gestellt; wir gehen mit Zu­versicht an die Erfüllung derselben heran, in dem Bewusstsein, der Wahrheit und der Wissenschaft dienen zu wollen.

Unsere Tendenzen sind von den hervorragendsten Fachmännern mit warmer Sympathie begrüsst worden: mögen unsere Leistungen eine freundliche Beurtheilung finden.“

Wir wünschen der Redaction der „Fortschritte der Medicin“ zu dem Unternehmen alles Glück und zweifeln keinen Augenblick, dass dasselbe bei seinem überaus tüchtigen und durch gediegene Leistungen bekannten Redacteur, sowie den hochachtungsvollen Namen, welche die Mitarbeiter führen, trefflich gedeihen -wird.

— In Wien erscheint seit Januar d. J. eine neue Zeitschrift, die sich „Centralblatt für die gesammte Therapie“ betitelt und von Dr. Heitler, Privatdocent an der Universität in Wien, redigirt wird.

VIII. Personalien.Auszeichnungen: Se. Majestät der Kaiser und König haben

Allergnädigst geruht, den ordentlichen Professoren an der Universität Berlin, Dr. Gusserow, Dr. Schröder und Dr. Westphal, den Charakter als Geheimer Medicinal-Rath, dem San.-Rath Dr. Gustav Meyer in Berlin den Charakter als Geh. San.-Rath und den prakt. Aerzten: Dr. Wehmer in Frankfurt a. 0., Dr. Reinhold Nitzsch zu Gross-Ottersleben, im Kreise Wanzleben, Dr. Schöneberg und Dr. Zober, beide in Berlin, und Dr. med. Carl Funcke zu Boppard den Charakter als Sanitäts-Rath zu verleihen.

Anstellungen: Der bisherige Kreis-Wundarzt Dr. Mau in Callies ist zum Kreis-Physikus des Kreises Schivelbein, der praktische Arzt Dr. Geister zum Ober-Amtswundarzt des Oberamts-Bezirks Bedungen, der Ober-Stabsarzt 1 CI. und Garnisonarzt von Magdeburg, Dr. med. Gähde ist zum chirurgischen Assessor bei dem Medicinal- Collegium der Provinz Sachsen ernannt und der Kreis-Physikus Dr. med. Hildebrand zu Triebsees aus dem Kreise Grimmen in den Kreis Homberg versetzt worden.

Niederlassungen: Arzt Drweski in Inowrazlaw, Dr. Wed- digen in Obernkirchen, Dr. Eickhoff in Grenzhausen, Dr. Gross­mann in Frankfurt a. M., Dr. Jesner in Stolpmünde, Arzt Jägers in Herdt und Arzt Dämmer in Oedt.

Verzogen sind: Arzt Mütze von Marburg nach Rauischholz­hausen, Dr. Matthias von Grenzhausen nach Geldern, Dr. Wothe von Cösliu nach Rügenwalde, Dr. Auerbach von Elberfeld nach Bonn, Dr.Sternberg von Elberfeld nach Berlin, Dr. Rumpf von Düsseldorf nach Bonn.

Todesfall: Kreis-Physikus Dr. Flitner in Lippstadt.Vacante Kreis-M edicinal-Beamten-Stelle: Kreis-Wund­

arztstelle des Kreises Warendorf.

IX. Inserate.

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