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Staatliche Museen zu Berlin -- Preußischer Kulturbesitz
Bruegels Alchimist von 1558. Versuch einer Deutung ad sensum mysticumAuthor(s): Peter DreyerSource: Jahrbuch der Berliner Museen, 19. Bd. (1977), pp. 69-113Published by: Staatliche Museen zu Berlin -- Preußischer KulturbesitzStable URL: http://www.jstor.org/stable/4125736 .
Accessed: 20/09/2013 15:51
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558
VERSUCH EINER DEUTUNG AD SENSUM MYST1CUM*
VON PETER DREYER
>>Multa pinxit, hic Brugelius, que pingi non poBunt. quod Plinius de Apelle. In omnibus eius operibus intelligitur plus semper quam pingi- tur. << Abraham Ortelius 1
>>Die rechte Kunst der Alchimie ist wahrhaftig die Philosophia der alten Weisen, die mir sehr wol gefallet, nicht alleine um ihres vielen Nutzes willen, den sie mitbringet, die Metalla zu schmelzen, zu schei- den, auszusieden und zuzurichten; ... sondern auch um der Allegorien und heimlichen Deutung willen, die iiberaus schin ist, nehmlich die Auferstehung der Todten am jungsten Tage. Denn gleichwie in einem Brennofen das Feuer aus der Materie zeucht und scheidet, was am Besten ist, ja den Spiritum, Geist, Leben, den Saft und Kraft, fiihrets in die H6he, daB es das Oberste am Helm einnimmt, dran klebt, und denn herab fleul3t... Eben dergleichen wird Gott auch thun durch den jiingsten Tag und letzte Gericht; damit wird er als durch ein Feuer, abscheiden, absondern und abtheilen die Gerechten von den Gottlosen.<< Martin Luther 2
Pieter Bruegels d. A. Alchimistendarstellung, Zeichnung und Kupferstich3 (Abb. 1 und 9), hat verschiedene Deutungen erfahren. So ist die dargestellte Szene als simpler Ablauf einer Erzdihlung gesehen worden, in der nacheinander die Stadien der Ver-
wirrung und Verarmung zu erkennen seien, in denen sich der Gelehrte zum Narren
wandelt, verarmt am Herde laboriert und schliefl3ich im Armenhaus endet4; es gibt Er-
* Fiir diese Untersuchung habe ich Kenntnis und Hilfe von W. Gauger, A. van Gool und H. Walter
in Anspruch nehmen diirfen. Den entscheidenden AnstoB, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, gab mir mein verstorbener Onkel Karl Dreyer. Ihnen allen sei an dieser Stelle mein Dank ausgesprochen.
1 Abraham Ortelius im Album Amicorum, zitiert nach der Abbildung des Textes auf fol. 12 verso, Album Amicorum Abraham Ortelius reproduit en facsimile annoti et traduit par Jean Puraye, Amster- dam 1969.
2 D. Martin Luthers Werke, Kritische Ausgabe, Tischreden 1. Bd, Weimar 1912, Nr. 1149, S. 566-567. 3 Zeichnung, Staatliche Museen Preul3scher Kulturbesitz, Kupferstichkabinett Berlin, KdZ 45399,
Spuren von Kohle, Feder in Braun auf weiBem Papier, Griffelspuren. Spatere Umfassungslinien in brauner Feder, 308 X 453 mm. Letzte ausfihrliche Darlegungen zu der Zeichnung von Matthias Winner im Berliner Katalog S. 11-12 und 60-64 und in einem Referat >>Literarische und bildliche Vorlaufer des Alchimisten<? anlhl3ich des Colloquiums >>Pieter Bruegel und seine Welt<<, Berlin, November 1975. Der Vortrag soll unter dem Titel >> Zu Bruegels Alchimist<? in den Colloquiumsakten publiziert werden. - Stich, dem Philip Galle zugeschrieben, Bastelaer 197. - Hollstein, bei Bruegel 197.- Hollstein, bei H. Cock ed. 260. - Oberhuber, Die Kunst der Graphik IV. Zwischen Renaissance und Barock. Das Zeitalter von Bruegel und Bellange. Werke aus dem Besitz der Albertina. Ausstellungskatalog Graphische Sammlung Albertina, Wien 1967/1968, Nr. 67.
4 A. Romdahl. Pieter Brueghel d. A. und sein Kunstschaffen, Jahrbuch der Kunsthistorischen Samm- lungen des Allerhochsten Kaiserhauses, Bd. 25, 1905, S. 152.
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klirungen, die in einer ganz realistischen Szene sehen wollen, wie ein betriigerischer wandernder Alchimist einen wohlhabenden Bauern zur Alchimie verfiihrt, und wie der
Bauer sich am Ende ruiniert und ins Hospital zieht, wahrend sich der Betriiger mit dem
ergaunerten Geld des Bauern aus dem Staube gemacht hat5; es gibt die Erklirung, dar-
gestellt sei die Werkstditte eines alchimistischen Unternehmers, in der Besitzer und Hand-
werker zu sehen seien und das Elend des Handwerkers, der beim Bankrott die Lasten
allein zu tragen habe6. In einer hdheren Deutungsebene glaubte man dementsprechend bei Bruegel eine Darstellung der menschlichen Torheit und eine Anklage gegen das Un-
wesen der Alchimie sehen und ex silentio ein Lob der produktiven Arbeit folgern oder
sozialkritische Ziige erkennen zu diirfen. Zur Herleitung des Alchimistenblattes wurde
auf Holzschnittillustrationen zu Petrarcas >Von der Artzney bayder Gluick des guten und
widerwdirtigen<<, Augsburg 15532, und zu Brants >Narrenschiff<<, Basel 1494 beziehungs- weise StraBburg 1497 (Abb. 2-3) hingewiesen, wo sich ebenfalls Alchimistendarstellun-
gen finden. Durch die illustrierten Texte ergab sich die Einordnung der bruegelschen
Darstellung in eine literarisch-satirische Tradition, in der die Alchimie in Bausch und
Bogen verworfen und liicherlich gemacht und die mit den Namen Petrarca, Brant, Eras-
mus von Rotterdam, Agrippa von Nettesheim und Vasari belegt wurde . Pointiert
ausgedriickt kinnte man sagen, die kunstgeschichtliche Forschung scheint, mit einer
Ausnahme8, Bruegel fiir einen aufgeklairten Humanisten zu halten, der mit seiner
Alchimistenszene Partei ergreift gegen den dunklen Unsinn des Mittelalters;'die Schrif-
ten, die sich auf der Darstellung und unter dem Kupferstich befinden, wurden als Be-
weise dafiir angesehen.
Ungeklirt ist also zunaichst die Rolle des Gelehrten in Bruegels Blatt, denn wird er ein- mal mit dem Alchimisten identifiziert, so ein anderes Mal als gelehrter Betriiger eines
einf iltigen Bauern oder als Unternehmer. DaB er einer ginzlich anderen Sphare an-
gehbrt als der Laborant und seine Familie und daB dieses einer Erklarung bedarf, ist
jedoch auch deutlich gesehen worden9.
Ungeklart ist aber auch die Bedeutung, die das Blatt durch die lateinischen Unter-
schriftsreime erhdilt, deren bisher vorliegende UJbersetzungen meines Erachtens nicht zu
iiberzeugen vermigen. DaB die Reime neben der Bildgestalt die wichtigste Quelle zur
Deutung sind, bedarf keiner Begriindung .
5 G. F. Hartlaub, Alchemisten und Rosenkreuzer, Sittenbilder von Petrarca bis Balzac, von Brueghel bis Kubin, Heidelberg 1947, S. 18-20.
6 G. W. Menzel, Pieter Bruegel der Altere, Leipzig 1966, 2. Aufl. 1974, S. 45, und die Anm. 9 zitierte Rezension.
7 M. Winner in seinem Vortrag, vgl. Anm. 5. An spottischen Anmerkungen des Giorgio Vasari zur Alchimie vgl. auch Vita Beccafumi, Vasari-Milanesi V, S. 655, zur eindeutigen Verwerfung der Alchimie die Vita Francesco Parmigianino, Vasari-Milanesi V, S. 218, 251, 25533, 255, wo unter anderem die Formu- lierung >>stillandosi il cervello<< gebraucht wird, die Vasari auch bei der Beschreibung von Bruegels Alchimistenblatt benutzt, vgl. Vasari-Milanesi V, S. 459.
8 J. v. Lennep, S. 2531. 9 B. Hinz, H.-E. Mittig und W. Ranke, Pieter Bruegel im PreuBlischen Kulturbesitz, kritische berichte
4, 1976, Heft 2/5, S. 71. 10 Zum Bildgedicht in den siidlichen Niederlanden zu Bruegels Zeit vgl. Jochen Becker, Zur nieder-
liindischen Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts: Domenicus Lampsonius, Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 1975, Deel 24, S. 45-61.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 71
Von der Gelehrtengestalt und den Unterschriftszeilen ausgehend will ich versuchen, neue M6glichkeiten zu einer Deutung darzulegen.
I.
Wer ist der Gelehrte auf Bruegels Alchimistenblatt?
>>... cum ea quae sunt secundum naturam sint ordinata ratione di- vina, quam humana ratio debet imitari, quidquid secundum rationem humanam fit quod est contra ordinem communiter in naturalibus rebus inventum, est vitiosum et peccatum. << >>Quantum igitur ad rationem ultimi finis, omnes conveniunt in appe- titu finis ultimi; quia omnes appetunt suam perfectionem adimpleri, quae est ratio ultimi finis, ut dictum est. Sed quantum ad id in quo ista ratio invenitur, non omnes homines conveniunt in ultimo fine: nam quidam appetunt divitias tanquam consummatum bonum, qui- dam autem voluptatem, quidam vero quodcumque aliud ... Ad pri- mum ergo dicendum quod illi qui peccant, avertuntur ab eo in quo vere invenitur ratio ultimi finis: non autem ab ipsa ultimi finis inten- tione, quam quaerunt falso in aliis rebus.<< Thomas von Aquin 11
Will man die Gelehrtengestalt in Bruegels Alchimistenblatt deuten, so muB man sich
zunichst der Wichtigkeit der Figur in der Komposition vergewissern und ihre vielfdilti- gen Beziige innerhalb des Bildes erkennen. Ich werde daher mit einer Beschreibung be-
ginnen. Wohl ist die Zeichnung von Anfang an ffir den Stich konzipiert worden, doch ist sie das Kunstwerk von Pieter Bruegel, der Stich nichts als die Reproduktion. Die Be-
schreibung geht daher von der Zeichnung aus (Abb. 1).
Dargestellt ist ein kiichenartiger Innenraum, der sich links hinten fensterartig iffnet und den Blick in eine dairfliche Ansicht erlaubt. In dem Raum, der allerlei Gerditschaften
enthailt, die der Alchimist zu seiner Arbeit nitig hat, sitzt am linken Bildrand ein Ge- lehrter in auffiillig altertiimlicher Tracht an seinem Pult. Zwei Bficher werden im Pult aufbewahrt, drei weitere liegen aufgeschlagen auf seiner Schrlige. Der Gelehrte weist mit seiner Rechten auf die Aufschrift des aufgeschlagenen Folianten, die sich fiber beide Seiten hinzieht. Sie lautet ALGHE MIST. Mit einer erliuternden Geste weist die Linke
auf die Szene, die sich rechts des Pultes abspielt. Hier kniet, vom Pult halb verdeckt, ein Narr, der mit dem Blasebalg das Feuer in einem Kessel anfacht, es folgen die Frau, die den leeren Beutel weiter zu leeren versucht, und iiber ihr drei Kinder, endlich rechts der
abgerissene Alchimist bei seiner Arbeit am Kamin. Die Offnung zum Dorf hin zeigt ein Bild im Bilde, in dem vor der Kulisse der Hospitalarchitektur der Alchimist zu sehen ist, an jeder Hand ein Kind fiihrend, vor ihm die Frau mit dem dritten Kind, die Vorsteherin des Spitals und schlief31ich, im Torbogen des Spitals, ein Kranker im Bett. Drei Kreuze fiber den Giebeln des Gebdiudes, das im Stich mit dem Wort >>Hospital<< bezeichnet ist,
geniigen dem Zeichner hier, die Stiftung christlicher Ndichstenliebe zu kennzeichnen. Die Beziehungen der Personen zueinander sind deutlich hervorgehoben, wobei ein
System scheinbar nebensichlicher Hilfslinien benutzt wird. Die Protagonisten der Dar-
1 S. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici Summa Theologiae, cura et studio Sac. Petri Caramello cum textu ex Recensione Leonina, Marietti, Turin/Rom 1952, II, II, q. 150 a. 1 (S. 586) und I, II, q. 1 a. 7 (S. 8).
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stellung im Vordergrund sind der Gelehrte und der Alchimist. Sie betonen die Grenzen
der Komposition und trotz ihrer raiumlichen Entfernung sind die Verbindungen zwischen
ihnen so stark, da13 sie nie iibersehen wurden. Als einzige in der vielfigurigen Szene wir-
ken sie konzentriert, beide sitzen sie in etwa gleicher Hohe fast ins Profil nach rechts
gewandt und umgeben von alchimistischem Gerait, und obgleich der Gelehrte alles wahr-
nehmen kann, was vor seinem Blick liegt, gelten seine Aufmerksamkeit und sein Kom-
mentar nur dem Manne am Herd. Die fiinf Figuren der Mittelgruppe beriihren nirgends die Sphdire der Protagonisten, es gibt nicht einmal Verbindungen durch Uberschneidun-
gen. Untereinander aber sind die Figuren der Mittelgruppe durch die Komposition viel-
fiiltig verbunden. Ein Tuch fiihrt von den Kindern im Spind zu der Frau; die Uber-
schneidung verbindet sie mit dem Kind auf dem Hocker; Gesten und das gemeinsame
Spiel der Kinder verbinden diese untereinander; der Narr schliel3lich fiigt sich der steilen
Schrdige ein, die im oberen Kind kulminiert, und leitet mit seinem Blasebalg hiniiber zu
dem Blasebalg zwischen Frau und Laborant. Den Gelehrten und den Narren sieht nie-
mand, und sobald der Blick des Betrachters die ordnende Rolle der Kiichenpflasterung
gewahrt, wird er inne, daB3 die Mittelgruppe bei allen kompositorischen Verbindungs- kiinsten zwei Sphdiren zugeordnet ist: der Narr der Sphdire des >>unsichtbaren<< Gelehr-
ten, Frau und Kinder der des Mannes am Herd. Obwohl der Blick zundichst kontinuier-
lich vom Gelehrten zum Alchimisten geffihrt wird und dort einen scheinbaren Endpunkt
erreicht, gelangt er miihelos nach links oben zuriick zu dem Bildausschnitt, der den Ein-
zug der ruinierten Familie ins Hospital zeigt. Die Linien der Pflasterung, des Kamins
und der Kfichenarchitektur fiihren zu der Hintergrundszene, in der sich ffinf Personen
der Vordergrundszene wiedererkennen lassen: der Alchimist mit seiner Frau und den
drei Kindern. Der Narr und der Gelehrte fehlen. An ihrer Statt finden sich der Kranke
und die Armenhausvorsteherin. Ich babe die Beschreibung mit dem Gelehrten begonnen. Von ihm aus geht fiber die Handbewegung der Blick nach rechts zum Alchimisten. Im Bildausschnitt links oben indert sich die Richtung. Ins verlorene Profil nach links ge- kehrt, wendet sich die verarmte Familie dem Tor unter dem Kreuze zu, wo sie die Vor-
steherin empftingt. Beim Gelehrten beginnt die Bewegung, bei der Vorsteherin endet sie.
Waren der Gelehrte und der Mann am Herd die Grenzpunkte im planen Bildaufbau, so
iibernehmen der Gelehrte und die Vorsteherin diese Rolle im Ablauf der Handlung, der
Alchimist und seine Familie gelangen in ihren Mittelpunkt. In beiden Szenen erscheint
neben der Familie eine Gruppe von zwei Personen: hinten die Armenhausvorsteherin, der wie ein Attribut der Kranke zugeordnet ist, vorne der Gelehrte, dem der Narr Attri- but zu sein scheint. So gelangen der Gelehrte und die Vorsteherin in eine inhaltliche
Beziehung zueinander, die durch kompositorische Hilfsmittel ebenfalls betont wird, n~imlich durch ihre Stellung iibereinander und am linken Bildrand und durch die klare
Abtrennung von der Gruppe der ruinierten Familie.
Das Wort ALGHEMIST in dem aufgeschlagenen Buch vor dem Gelehrten erlaubt
eine Reihe von Wortspielen, deren einfachstes etwa lautet: Alchimist - alles gemiBt -
alles Mist l2. Daneben hat man das Wort >>gemis<< - Mangel und >>mist< - Dunst, Nebel
12 Zuletzt M. Winner, vgl. Anm. 5.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 73
Abb. 1. Pieter Bruegel d. A., Der Alchimist, 1558, Zeichnung, Kupferstichkabinett Staatliche Museen Preul3ischer Kulturbesitz Berlin KdZ 4399
als Nebenbedeutungen lesen wollen 3. Man hat daraus Bruegels Ablehnung der Alchimie
folgern wollen, nicht aber versucht, daraus zunaichst einer Deutung der Gelehrtengestalt
ndiher zu kommen. Der Gelehrte ist der einzige, der die Aufschrift lesen und deuten
kinnte. Er weist mit der Rechten darauf hin, wdhrend die Linke erliuternd auf die Szene
vor ihm zeigt. Es liegt also nahe, zundchst die Erliuterung des Vorganges in dem Wort
und dem Wortspiel zu sehen. DaB hier ein Unternehmer einen Arbeiter anweist, ausge- sprochenen Mist zu machen, diirfte daher ausgeschlossen sein; auch daB der Gelehrte und
der Laborant identisch sind, wird angesichts des Wortspieles unglaubwiirdig. Viel eher
l13Bt sich schon die Theorie halten, die in der Darstellung den betriigerischen Gelehrten und den dummen Bauern erkennen will, miiBlte doch der Betriiger wissen, daB seine Vor-
spiegelungen das Opfer verderben werden und daB das Unternehmen von vornherein
zum MiBerfolg verurteilt ist. Gegen diese Deutung jedoch spricht die altertiimliche
Tracht, die den Gelehrten gewissermaBlen in eine andere Welt versetzt. Wollte man end-
lich nur eine Verspottung der unwissenden Alchimisten in dem Blatt erkennenl~, so
kinnte man in dem Gelehrten das Exemplum der rechten Alchimie zu erblicken glauben, vielleicht vertreten durch Richardus Anglicus, der das falsche Unternehmen mit den
Worten begleitet: >>Wer Mist sait, wird Mist ernten.<< Einer solchen Deutung widerspricht
la G. W. Menzel, vgl. Anm. 6, S. 43/44. 14 J. v. Lennep, S. 231.
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74 PETER DREYER
aber das Attribut zu FiiBen des Gelehrten, der Narr, durch den die Gestalt einen aus-
gesprochen negativen Zug erhalt. Da auch in den Holzschnitten zum Narrenschiff ein Gelehrter neben dem Laboranten
auftritt (Abb. 2-3), wird es verstandlich, wenn zur Erklarung der Gestalt auf die Bild- tradition hingewiesen und der Gelehrte als Verfiihrer angesprochen wird. Bei Bruegel ist man zunachst nicht sicher, ob in der Handlung des Gelehrten mehr dargestellt sein soll, als ein Kommentar, doch scheint auch eine Anleitung vorzuliegen, denn die praktische Alchimie geht von der Anleitung durch Gelehrte und durch Biicher aus. Trotz der nega- tiven Bedeutung, die das Wort Alghemist durch seinen versteckten Sinn erhalt, bezeich- net es zunachst einmal die Bacher als alchimistische Literatur, die hinter jeder prak- tischen Bemiihung steht, und damit wird der Gelehrte mit seinen Biichern auch ein Ver-
fiihrer. DaB er gewissermaBen zeitlos ist, zeigt seine Tracht, daB er negativ zu deuten
ist, beweist der Narr, daB er b6se ist, ergibt sich aus dem Hinweis auf das Wortspiel und die erlauternde Geste; er weiB, daB alles Mist ist, was vor ihm geschieht, er laBt den Laboranten ins Ungliick laufen und bleibt ungeriihrt und distanziert. Damit gelangt die
Gelehrtengestalt zwangslaufig in eine antithetische Stellung zur Gestalt der Hospital- vorsteherin, die der verarmten Familie entgegenkommt, mit beiden Handen Frau und Kind begriiBt und das angerichtete Unheil mindert, wenn nicht gar aufhebt, indem sie
zukiinftig fur die Behausung und den Unterhalt der Familie sorgt. Beginn und Ende der
dargestellten Handlung werden durch den Gelehrten und die Vorsteherin bezeichnet, die
ebenso als Unheil bringende und Unheil aufhebende Instanzen oder kurz als Bosheit und
Gite angesprochen werden k6nnten. Die Abhangigkeit der Zeichnung von einer Illustration zum Narrenschiff des Sebastian
Brant, durch die Narrenfigur zu FiiBen des Gelehrten augenfaillig gemacht, erfordert fiir die Deutung den Vergleich mit der Aussage des Vorbildes. Brant macht den Alchimisten zum Narren und verwirft die Alchimie als Narretei. Bereits der Titel des Kapitels, >>Von
falsch und beschiss<<, bringt sie in ein negatives Licht. Brants Text und die Kommentare vom ausgehenden 15. bis ins beginnende 17. Jahrhundert aber sagen noch mehr: sie
stempeln den Alchimisten zum Siinder, wodurch der Verfiihrer notwendigerweise zum
bisen Prinzip werden miiBte. Der Verfiihrte erstrebt nach Brant das Unmbgliche. Er will aus niederen Metallen edle herstellen. Die Bemiihung ist umsonst, denn
>>Die gstalt der ding wandeln sich nicht<<, wie es im Narrenschiff heiBt. Wer sie wandeln will, verstBlt gegen die Natur, nach der
christlichen Auffassung ist das Handeln gegen die Natur Stinde 15 Es soil bereits hier erw~ihnt werden, daB es das ganze Mittelalter hindurch positive
und negative Einstellung der Alchimie gegenaber gegeben hat 16. Die moralische Kern-
frage war wohl die, ob in ihr der Versuch einer Handlung wider die Natur und damit
wider Gott gesehen wurde, wie Brant es tat, und inwieweit durch alchimistische Be-
miihungen hergestelltes Gold als echtes Gold ausgegeben werden durfte 7. Als verwerf-
'5 F. Schultz S. 275-276. Fiir die theologische Auffassung vgl. Anm. 11. 16 Eine Obersicht iiber beides lii3t sich am schnellsten gewinnen aus W. Ganzenmiiller, Alchemie. 17 Von Joh. Chrysippus Fanianus wird in Bibl. Chem. Cur. I, S. 101-104 die Frage ausfiihrlich
behandelt, wobei selbstverstlindlich auch die mittelalterlichen Entscheidungen angefiihrt sind. Die Frage
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 75
tfienimto notaeft mna cbatchimitt ftqhkfiufftndo poterMislucrari
xwccconmpm laticcm tyci t Wpi ceram
.... ...
Abb. 2. Albrecht Diirer, Alchimist und Wein- panscher, Holzschnitt, Illustration zum Narrenschiff
Abb. 3. Ende 15. Jahrhundert, Alchimist und Weinpanscher, Holzschnitt, Illustration zum Narrenschiff
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76 PETER DREYER
lich galt auf jeden Fall, solches Alchimistengold als echt zu bezeichnen, das nur den
iuBeren Schein, nicht aber den eigentlichen Wert des Goldes besaB, weil damit ein Betrug vorlag. Wenn Dante in der G6ttlichen Kom6die die Alchimisten in die X. Bolgia des achten Kreises der H6lle verdammte, so primar, weil sie Betriiger waren. Dieser Sinn
geht zwar nur indirekt aus den Zeilen hervor, in denen es heiBt
>>Ma nell'ultima bolgia delle diece me per l'alchimia che nel mondo usai danno Minos a cui fallar non lece<<,
eindeutig jedoch aus den Zeilen
•>si vedrai ch'io son l'ombra di Capocchio che falsai li metalli con l'alchimia et ti d6e ricordar, se ben t'adocchio com'io fui di natura buona scimia'8.<<
Hier herrschte Betrug. Die Alchimie selbst aber hat oft behauptet, sie arbeite der Natur
nach und ihre Kunst sei allein eine Helferin der Natur, sie ftilsche also auch nicht. >Ars imitatur naturam<<, >>ars non est aliud, quam adjuvamen naturae 19.< Noch Paracelsus
verteidigt die Alchimie und ihr Ziel, die Metalle zu veredeln, mit den Worten: >Nun ist die Transmutation der Metallen eine groBe Heimlichkeit der Natur, und mag gar hart
und schwerlich geschehen, vieler AnstAiie und HindernuB haben. Jedoch ist solches aber mitnichten wider die Natur, auch nicht wider Gottes Ordnung, wie dann etlich, doch
ftilschlichen reden20.<< Nur wer glaubte, die Elemente seien von Natur aus nicht zu wan-
deln, mufBte in diesem Ziel selbst eine Siinde sehen.
DaB in der Alchimie auch das exemplum der Siinde und der Gotteslisterung gesehen wurde, l•i3t sich unschwer belegen.
Eine friihe lateinische Ausgabe des Narrenschiffes (Basel 1497?) kommentiert das
Kapitel vom Betrug der Alchimisten mit den Worten: >>Valeant chalmiste: quoniam species rerum transmutare non possunt. Quisquis ergo credit posse fieri aliquam crea- turam aut in melius aut in deterius mutari aut transformari in aliam speciem vel in aliam similitudinem nisi ab ipso creatore qui omnia fecit; et per quem omnia facta sunt: procul dubio infedelis est: et pagano deterior21.<
>>Superest jam ut videamus an Aurum Chymicum sit licitum<< wird in zwei Kapiteln behandelt. 1. >>Vtrum Aurum Chymicum, quacumque tandem ratione factum licith pro vero vendi possit??< 2. >Deci- siones Juridico-Canonicae. De Auro Chymico falso, & vero<<. Hier werden vier Fragen gestellt und beant- wortet, niimlich 1. ob die Alchimie eine erlaubte Kunst sei, 2. ob ein wahres und wirkliches Gold durch Transmutation hergestellt werden konne, 5. ob es erlaubt sei, Alchimistengold fiir wahres und natiirliches Gold zu verkaufen und einzulisen und 4. ob man solches Gold verkaufen diirfe, das durch Teufelswerk oder Magie entstanden ist. DaB letzteres natiirlich nicht erlaubt ist, versteht sich von selbst.
18 Inferno 29, 118-120 bzw. 136-159. 19 Richardus Anglicus, zitiert nach Bibl. Chem. Cur. II, S. 266, 267. >>Derhalben macht die kunst kein
golt allein durch die handt des kiinstners sondern es thutz die kunst der natur vermitz bystandt der kunst<? Albertus Magnus (?), zitiert nach Ms. germ. quart. 848, fol. 51 v.
20 Zitiert nach G. Breitling u. a., Das Buch vom Gold, Luzern und Frankfurt 1975, S. 121. 21 Ich habe das Exemplar 2572 c lib. 59 des Berliner Kupferstichkabinetts benutzt, wo die ersten und
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 77
Abb. 4. Albrecht Diirer, Der Antichrist, Holzschnitt, Illustration zum Narrenschiff
Wer daher den Versuch unternimmt, ist ohne Zweifel ungliubig und schlechter als ein Heide.
Brants Narrenschiff erlebte eine groBe Reihe von Ausgaben in vielen Sprachen, und seine Beliebtheit tiberdauerte mehr als ein Jahrhundert. Die Deutung seines Alchi- mistentextes war fiber hundert Jahre hindurch gleich, und noch die niederlindische Aus-
gabe, die 1610 bei Henrick Lodewicxsz van Haestens in Leyden erschien, benutzt den
Kommentar des 15. Jahrhunderts. Es heil3t hier:
>>... Aristoteles seydt. Valeant / oft / gaudeant Alchimiste: quoniam species rerum transmutari non possint ... Ende daer om seggen die Leeraers vanden rechten. Quisquis ergo credit posse fieri aliquam creaturam, aut in melius, aut in deterius mutari: aut trans-
formari in aliam speciem vel in aliam similitudinem nisi ab ipso creatore, qui omnia fecit
letzten Seiten, somit auch Angaben zu Erscheinungsdatum und Verleger fehlen. Der Kommentar befin- det sich bei Titulus CIII, fol. 98. Das Narrenschiff ist zusammengebunden mit den Carmina Varia des Sebastian Brant, Basel 1498 und mit einem Gedicht an Kaiser Maximilian, StraBburg 1518.
Der im Text zitierte Kommentar findet sich in kiirzester Form schon in einer der lateinischen Baseler Ausgaben von 1497. Neben dem Holzschnitt auf fol. CXV verso steht hier die Randglosse >Valeant alchimistq, quoniam speciem rerum transmutari non possunt<. Es folgen Literaturangaben gegen die Alchimisten, auf denen die ausfiihrlicheren Kommentare der im Text erwihnten Ausgaben fuBen. Bei Arnaldus, >>Liber perfecti magisterii<<, befindet sich bereits ein Hinweis auf das sogenannte Aristoteles- zitat: >Et sic soluitur opinio illorum, qui dicunt, Species metallorum transmutari non possunt<<, zitiert nach Mu 454, S. 215. Es diirfte dem ganzen Mittelalter bekannt gewesen sein.
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78 PETER DREYER
& per quem omnia facta sunt: procul dubio infedelis est: & pagano deterior. So wie dat
ghelooft eenige creature oft yet dat gheschapen is, moghen ghemaect sijn, oft in beter
oft arger verandert sijn / oft in een ander ghedaente ende manieren veranderen / sondern
alleen vanden schepper ende maker die alle dinck ghemaect ende geschapen heeft, en by den welcken alle dingen gemaekt sijn / sonder twijffel die is ongeloovich ende argher dan
een heyden ende Sarasijn / Ende niet alleen sijn sy sot ende te misprijsen die by Alhemien haer goet verliesen / maer noch argher ende sotter is hy / die by Alhemien oft ander val-
scheden rijck wert22.<< Wir erfahren also noch mehr: nicht allein die sind Narren und zu
schmahen, die bei der Alchimie ihr Gut verlieren, sondern noch schlimmer und nairrischer ist derjenige, der durch die Alchimie oder andere Betriigereien reich wird.
Die beiden zitierten Kommentare, der erste aus dem Jahrhundert vor, der zweite aus
dem Jahrhundert nach Bruegel, verm6gen zu zeigen, wie unwandelbar die Deutung des
Alchimisten im Narrenschiff war und daB sie zu Zeiten Pieter Bruegels des Alteren
kaum anders gewesen sein diirfte, daB also Bruegels Alchimistenblatt auch als Darstel-
lung der menschlichen Stinde angesehen werden kann, legt man ihm neben dem bild- lichen Vorliufer des Holzschnittes auch den Sinn zu Grunde, den Sebastian Brant und
seine Kommentatoren ihm geben. Der Narr des Narrenschiffes ist nicht harmlos; er ist
derjenige, der vom rechten Wege abgewichen ist und scheitern wird, wenn er nicht von
der Torheit ]fiBt, und dessen Torheit in seiner Verblendung liegt, bezogen auf den Alchi- misten in der Verblendung zu glauben, man k6nne durch eine Verwandlung der Mate-
rien ohne Gottes Hilfe oder durch die Vorspiegelung der Transmutation reich werden.
Bruegels Alchimist ist dabei nicht der schlimmste, denn er wird arm von seinem Tun.
Auf den Bosen, der die Menschen zur Siinde treibt, wird im Narrenschiff nattirlich hingewiesen. Sein Name findet sich sogar in dem Kapitel >Von falsch und beschiss<<, das
den Alchimistenholzschnitt er6rtert. Er ist der Antichrist. Ihm bereitet jeder Betrug den
Weg, und was er lehrt, ist Falschheit, Untreue und Verkehrtheit. So sagt Brant am Ende
des Alchimistenkapitels: >Das kyndt sin elttern btrugt vnd mog Der vatter hatt keynr syppschafft frog Der wyrt den gast / der gast den wiirt Falsch / vntruw / bschysB wiirt gantz gspfirt Das ist dem endkrist gut fiirlouff Der wiirt jnn valsch dun / all syn kouff
Dann was er gdenckt / heylt / dut / vn lert
Wiirt niit dann valsch / vntruw / verkert23.<<
Es folgt dann das Kapitel vom Endkrist mit dem Holzschnitt, der den Antichrist auf
dem Bug des gescheiterten Narrenschiffes wie Gottvater auf dem Regenbogen thronend
zeigt (Abb. 4). In den Hainden hilt er den Beutel der Versuchung und die GeiBel der
Bestrafung. Der Teufel blust ihm ins Ohr. Die Narren scheitern. Sicheren Weges gleitet
22 S. 100. 23 F. Schultz, S. 276.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 79
>>sant peters schifflin<< durch die Fahrnisse der Wogen ans Ufer. Der eschatologische Sinn
des ganzen Buches zeigt sich deutlich in dieser einen Illustration24. Die Zeilen des 106.
(107.) Psalms, die Brant seinem Buche voranstellt, enthalten bereits den Hinweis auf das
Schicksal der Narren. >>Hi sunt qui descendunt mare in nauibus facientes operationem in
aquis multis. Ascendunt vsque ad celos / & descendunt vsque ad abyssos: anima eorum in
malls tabescebat. Turbati sunt & moti sunt sicut ebrius: & omnis sapientia eorum deuorata
est 25.
Nicht nur im Narrenschiff sind die Narren das Beispiel der verkehrten Welt und ihr
sicherer Untergang die notwendige Folge der Torheit. >>De corrupto ordine vivendi
pereuntibus<< heiB3t ein Holzschnitt zu den Varia carmina des Sebastian Brant, die 1498
in Basel erschienen. Unter der Konstellation vom 2. Oktober 1503 zeigt er eine Szene, in
der ein Narr, die Sporen an den FuBspitzen, die Pferde antreibt, die hinter einen Wagen
gespannt sind, auf dem ein weiterer Narr Kopfstand macht (Abb. 5). DaB es sich dabei
nicht um eine harmlose Szene handelt, beweist neben der Uberschrift auch der Gedicht-
text, in dem es heiBt, daB alles durch die Ordnung bliihe und daB, was die Ordnung ver-
lhBt, sofort untergehen und ins Nichts stiirzen werde.
>>Omnia que in celo / aut terris / vel in equore viuunt:
Ordine seruantur: stantque vigentque suo
Quem si destituant: si viuere in ordine cessent:
Continuo intereunt / in nihilumque ruunt 26<<.
Wenn Brant also im Narrenschiff von Narren spricht, so meint er die Verfiihrten, die
untergehen miissen, lassen sie nicht rechtzeitig von der Torheit. Die Miglichkeit des
gbttlichen Gnadenaktes erwahnt Brant kaum, denn auch das ist Narretei, also Siinde, in
Stinde und Narretei zu verharren, well es ja die Gnade gebe. >>Wer spricht, das gott barmhertzig sy
Alleyn / vnd (nit) gerecht dar by Der hat vernunfft wie genB vnd sii.
Der schmyert sich wol mit esels schmaltz
Vnd hat die biichsen an dem halB
Der sprechen gtar / das gott der herr
So bdirmyg sy / vnd ziirn nit ser
Ob man joch ettwann sund volbring /
Barmhertzigkeyt die leng nit stat
Wenn gott gerechtikeyt verlat27.
24 F. Schultz, S. 277. 25 Ps. 107, 23, 26, 27; F. Schultz, S. 2. 26 fol. ai verso. Das Gedicht soll schon der zweiten lateinischen Ausgabe des Narrenschiffes vom 1. VIII.
1497 beigegeben gewesen sein, vgl. A. Schramm, Der Bilderschmuck der Friihdrucke Bd. XXII, Leipzig 1940, S. 33. Abb. des Blattes als Fig. 1229. Eine freie Kopie des Holzschnittes in Griiningers Ausgabe der Varia Carmina, StraBburg 1498, vgl. Schramm, op. cit. XX, Taf. 77, fig. 571/572.
27 Im Kapitel >>von vermessenheit gotz<<, F. Schultz, S. 38-39.
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80 PETER DREYER
Beim Kapitel >>Von ion der wisheit<< schlieBlich heil3t es im Hinweis auf den illustrie- renden Holzschnitt (Abb. 6):
>>Zur rechten handt fyndt man die kron Zur lyncken hant / die kappen ston Den selben weg / all narren gon Vnd fynden entlich, b6sen lon28.<<
Der Siinder mufB von seiner Torheit lassen, wenn er gerettet werden will; er darf die Beichte nicht auf morgen verschieben. Im Kapitel >Von uffschlag suchen<< wird dies deutlich ausgesprochen:
>>Wer singt Cras Cras glich wie ein rapp Der blibt eyn narr biB inn synn grapp
Der synt vil tusend yetz verlorn Die meynten besser werden morn 29.<<
Soviel zur Charakterisierung der Narretei bei Sebastian Brant, durch die jeder Ver- fiihrer in den Bereich des B6sen gelangt30, und durch die der Verfiihrer in der Alchimi- stenszene sogar als Antichrist gedeutet werden kinnte. Um eine solche Interpretation aber wirklich hieb- und stichfest zu machen, miiBte man bildliche und literarische Vorliufer der Illustrationen zum Narrenschiff nachweisen k6nnen, in denen der Antichrist erkenn- bar die Rolle des Verfiihrers spielt und in denen er als Gelehrter auftritt.
Dieser Nachweis l•3t sich leicht ffihren. Unter den Blockb-ichern des 15. Jahrhunderts befindet sich auch das Buch vom Anti-
christen. Es muB sich einer groBen Beliebtheit erfreut haben, denn Exemplare von min- destens sechs verschiedenen xylographischen, chiroxylographischen und typographischen Ausgaben und eine illustrierte Handschrift des Antichristbuches, die alle miteinander
zusammenhdingen, sind mittlerweile bekannt geworden3 . Sie alle berufen sich auf das
Compendium theologicae veritatis des Hugo Ripelin von StraBburg als auf ihre Quelle 32 und illustrieren die gleichen Szenen aus dem Leben des Endkrist. Man wird also nicht fehl
28 F. Schultz, S. 291. 29 F. Schultz, S. 78-79. 30 Verfiihrer finden sich hin und wieder im Narrenschiff abgebildet, so Frow Venus im Kapitel >Von
boulschafft<<, F. Schultz S. 34. 31 Vgl. Der Enndkrist der Stadt-Bibliothek zu Frankfurt am Main. Facsimile-Wiedergabe. Heraus-
gegeben und bibliographisch beschrieben von Dr. Ernst Kelchner, Frankfurt am Main 1891. - Das puch von dem entkrist, Faksimile-Wiedergabe nach dem in der Bayerischen Staatsbibliothek zu Miinchen befindlichen Original mit einem Begleitwort von Kurt Pfister. - Der Antichrist und die fiinfzehn Zeichen, Faksimile-Ausgabe des einzigen erhaltenen chiroxylographischen Blockbuches herausgegeben von H. Th. Musper, 2 Bde., Miuinchen 1970. - Die Handschrift ist Ms. germ. fol. 73355 der Berliner Staatsbibliothek, vgl. Zimelien Nr. 111. Kelcher op. cit. erwihnt in der Anmerkung zu S. 7 >>Die Bibliothek in Gotha besitzt ein Manuscript vom Enndkrist<<.
32 Ich habe keine gedruckte Version des Compendium einsehen konnen und kann deshalb nur auf Manuskripte der Berliner Staatsbibliothek verweisen. Die Geschichte vom Antichristen befindet sich an folgenden Stellen: Ms. lat. fol. 115, fol. 68 v.-69 v., Ms. theol. lat. quart. 171, fol. 205 r.-208 v., Ms. theol. lat. fol. 522, fol. 109 r.-lll r. und Ms. theol. lat. fol. 529, fol. 122 v.-124 v.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 81
pereuntibus. Inuentio no.ua.Seb.fianiBrant.. .
Anno dni. i o
S ?die oao~nis poll mnadiemhormnona
.. fcidefiadmediumr
vi:v~dimstais-
i0
........P
iliiii!iii! ....i ~- l;-: :- - - -i: i
Abb. /. Ende 15. Jahrhundert, Narrendarstellung, Holzschnitt, Illustration zu den Varia carmina des
Sebastian Brant
S n..tt . m..ttD#~tt fr
Abb. 6. Albrecht Diirer, Die Wahl zwischen Nar- renkappe und Krone, Holzschnitt, Illustration zum
Narrenschiff
gehen, bei einem Betrachter des ausgehenden 1 5. Jahrhunderts, wie Brant, die Vorstel-
lung vorauszusetzen, daB in den illustrierten, sich stets entsprechenden Stellen die kano-
nische Bildgestalt zum Antichristen gefunden war und daB3 die beigegebenen Texte das
notwendigste Wissen fiber ihn zu vermitteln vermochten. Gleich zu Beginn der Bicher befindet sich denn auch ein Text, der von des Antichristen gelehrter Rede berichtet.
>>Des Endkristes tun vnd lassen ist ouch alwegen vff die vinsternis / vnd vff die vnwor- heit gericht. vnd als die slang cerestes mit iren vier horner schedlich ist. Also ist der End-
krist schedlich vff vier weg vnd verheist vnd verfiirt ouch die lut in virerley wiB. Item mit
guter gelerter red die er vnd sin botten kunnen. Item mit vil grossen zeichen. Item mit gob vnd mit grossem gut. Item zum virden mal mit grosser marter die er den liitten an dut die
an in nit wollen glouben ".<< Bei Bruegels Alchimistenblatt geht die Handlung vom Verfiihrer aus. Ist dieser wirk-
lich der Antichrist, so wird er verniinftigerweise als Gelehrter dargestellt, denn seine erste
Verfiihrungskunst ist die gute gelehrte Rede.
Unter den Darstellungen der Blockbiicher befindet sich auch stets die Szene: Der End- christ lehrt Gold machen34. Zwei verschiedene Illustrationsformen sind dabei gebraucht
33 E. Kelchner, wie Anm. 31, 1. Faksimile-Seite. Die Aussage entspricht ziemlich genau dem Com- pendium theologicae veritatis.
34 Im Compendium theologicae veritatis habe ich keinen direkten Hinweis auf die Goldmacherei ge- funden. Vielleicht liegt bei der Goldmacherszene eine Ausschmiickung der dritten Verfiihrungsart vor.
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82 PETER DREYER
worden; in der einen sitzt der Antichrist mit einem zweiten Manne auf einer Bank und
zeigt ihm das Gold, in der anderen ist eine Alchimistenszene dargestellt, wie wir sie in
Brants Narrenschiff und bei Bruegel finden. Im Querformat zeigen die Blockbiicher mit
der Alchimistenkiiche einen Handwerker, der die Ingredienzien wiegt, den Antichristen, der den Alchimisten anleitet, und diesen selbst, wie er mit dem Blasebalg am Herde steht. Die Darstellung kann von rechts nach links (Abb. 7) und von links nach rechts laufen
(Abb. 8); die Handlung kann im Freien stattfinden oder im geschlossenen Raum, der
durch die FuBbodenpflasterung angedeutet wird. Ist der Alchimist im kurzen Rock dar-
gestellt, so der Antichrist im langen Talar, der eine arbeitet, der andere erlautert. Alles
dies stimmt gleichermaf3en iiberein in den Blockbiichern vom Antichristen, im Narren-
schiff und in Bruegels Alchimistenblatt. Bei Bruegel entspricht selbst die Gestik des Ge-
lehrten Darstellungen aus den Blockbfichern. Die hinweisende Hand mit ausgestrecktem
Zeigefinger und die erliuternd vorgestreckte offene finden sich sowohl in dem chiroxylo-
graphischen Exemplar der Sammlung Otto Schdfer in Schweinfurt als auch in dem hier
abgebildeten xylographischen Berliner Exemplar (Abb. 8). Der Text und der querforma-
tige Holzschnitt aus Griiningers Narrenschiffausgabe (Abb. 5) kinnen sehr wohl Brue-
gel angeregt haben, die Beziehung seiner Zeichnung zu den Illustrationen der Block-
biicher scheint aber noch enger zu sein; daB der Weinpanscher des Narrenschiffblattes hier fehlt, daB die Form des Kamines und der FuBboden hier vorgebildet sind, macht
die Beziehung in ahnlicher Weise auffaillig wie die Gleichgewichtigkeit von Verfiihrer
und Verfiihrten. All dies erweist die Blockbiicher nicht nur als Vorliufer und Quelle fiir Brants Narrenschiff, sondern besonders als Vorliufer und bildliche Quelle von Bruegels
Darstellung, die sich zugleich auf Brant und auf das Buch vom Antichristen stiitzen konnte. Die Blockbiicher waren weit verbreitet und es bedurfte keiner Gelehrsamkeit, eine so populire Quelle aufzuspiiren. Das Denken in Antichristvorstellungen war auch dem 16. Jahrhundert nicht fremd, wie etwa Luthers und Cranachs Passional Christi und
Antichristi oder die zahlreichen Narrenschiffausgaben des 16. Jahrhunderts beweisen3.
Verfolgt man die literarische Tradition und die bildlichen Vorliufer von Bruegels
>> Ipse namque antichristus inveniet thezauros absconditos per quos ad sequendem quem plurimos in- clinabit. dicabit enim diuites huius saeculi<<, zitiert nach Ms. theol. lat. fol. 529 der Staatsbibliothek, fol. 123 v. Auch in Adas Gedicht vom Antichristen findet sich kein Hinweis auf die Goldmacherei; Deutsche Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts, aufgefunden ... und... herausgegeben von Joseph Diemer, Wien 1849, Neudruck Darmstadt 1968, S. 280 ff.
35 Vgl. Lucas Cranach d. A. Passional Christi und Antichristi. Mit einem Nachwort herausgegeben von Hildegard Schnabel, Berlin 1972. Fuir die starke Verbreitung spricht eine weitere Ausgabe mit Holz- schnitten von Baldung Grien ohne Druckort und ohne Jahr, die vielleicht in StraBlburg nach 1521 erschie- nen ist und Cranachs Vorbild weitgehend folgt, vgl. Katalog >>Hans Baldung Grien<<, Ausstellung Karls- ruhe 1959, II. Verzeichnis der Druckgraphik Hans Baldungs, bearbeitet von Ernst Brochhagen, S. 376, Nr. XXXVIII.
Eine Zusammenstellung von frithen Ausgaben des Narrenschiffes zuletzt in dem Katalog der Biblio- thbque Royale Albert I., Bruxelles: Cinq Annres d'Acquisitions 1969-1973, Briissel 1975 in der Scheda Nr. 155, S. 265-267, von Frank Vandeweghe.
DaB der Endchrist nicht nur als eine zukiinftige, sondern auch als eine stets gegenwlirtige Gestalt gesehen werden kann, beweist u. a. Adsos Schrift vom Antichristen, wo es heiBl3t: >>Nunc quoque nostro tempore multos Antichristos novimus esse. Quicunque enim sive laicus, sive canonicus sive monachus contra iustitiam impugnat . . . Antichristus est et minister sathanae.<< Zitiert nach W. Ganzenmiiller, Dreifaltigkeit, S. 13355. Vgl. E. Sackur, Sibyllinische Texte und Forschungen 1898, S. 106.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 85
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Abb. 7. 15. Jahrhundert, Der Antichrist lehrt Gold machen, Holzschnitt, Blockbuchillustration, Kupferstichkabinett Staatliche Museen PreuBischer Kulturbesitz Berlin, Cim. 7, fol. 5
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84 PETER DREYER
Alchimistenblatt bis zu einem Punkt, an dem der Verfiihrer namentlich benannt ist, so
gelangt man zur Gestalt des Antichristen. Er versucht, den Menschen, der nur zu leicht
zur Torheit neigt, zu verderben, und wehe dem, der sich nicht rechtzeitig von ihm ab-
kehrt und schlieBlich seine Seele verdirbt. Die bruegelsche Komposition mit ihrem aus-
gekliigelten Handlungsablauf erlaubt meines Erachtens die Interpretation, daB hier am
Exemplum des Alchimisten sowohl die Versuchung des Menschen zur Stinde als auch
seine Abkehr von der Stinde dargestellt ist. Das Beharren in der Siinde miil3te naimlich
folgerichtig nicht ins Armenhaus und zur Gnade, sondern in die Verzweiflung und letzt-
lich in die H6lle fiihren.
Nattirlich kann der Gang der verarmten Familie ins Hospital als Resultat einer ver-
geblichen, kostspieligen Bemiihung um die Alchimie allein angesehen werden, doch
widerspricht der Beschrinkung auf eine solche Deutung neben der Bildgestalt auch der
lateinische Spruch unter dem Stich, in dem sich die Aufforderung verbirgt, den Stein der
Weisen zu suchen. Hat man Bruegels Darstellung bisher nur in eine humanistische
Traditionsreihe gestellt, so erweist sie sich nunmehr als tief im Mittelalter verwurzelt, wenn nicht sogar als spaitmittelalterliches Produkt, das sich einer mittelalterlichen Deu-
tung keineswegs verschlieBt. Sp6ttisch sieht der Verfiihrer auf den Verfiihrten. Sein
Foliant zeigt, daB er vom MiBerfolg weiB, aber der MiBerfolg wird nur zum Teil ein- treten. Der Verfiihrte wird Hab und Gut verlieren um seiner Siinden willen, aber dann
wird er die Gnade des Herrn anflehen, sich von seinem Tun abwenden und ins Hospital
gehen. Die Bosheit versucht, ihn zu verderben, die Barmherzigkeit wird dem Verderben
Einhalt gebieten. Neben dem B6sen und dem Alchimisten lifi3t sich damit auch eine Dar-
stellung der verzeihlichen und der unverzeihlichen Siinde in dem Blatt sehen. Der Ge-
lehrte geht nicht ins Hospital und ihm ist die Gnade auch verschlossen. Er handelt aus
Bosheit, der verfiihrte Mensch nur aus Schwdiche und Unwissenheit. >>... quia Patri
attribuitur potentia, Filio sapientia, Spiritui sancto bonitas; peccatum ex infirmitate est
peccatum in Patrem, peccatum ex ignorantia est peccatum in Filium, peccatum ex certa
malitia est peccatum in Spiritum sanctum. Quia ergo ignorantia vel infirmitas excusat
peccatum vel in toto vel in parte, dicunt, quod peccatum in Patrem vel in Filium remit-
titur quia vel totaliter culpa caret, vel culpa diminuitur? malitia vero non excusat pecca-
tum, sed aggravat: et ideo peccatum in Spiritum sanctum non remittitur neque in toto
neque in parte, quia non habet in se aliquam rationem veniae, per quam diminuatur
culpa 36.<<
Ahnlich wie in Bruegels Blindensturz in der Galleria Nazionale in Neapel, deren viel-
schichtige Deutungsmbglichkeiten Hans Sedlmayr aufzuzeigen versucht hat37, lhiBt sich
in dem Alchimistenblatt mehr erkennen, als man bisher bereit war, darin zu sehen. Sedl-
36 S. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici Quaestiones Quodlibetales, cura et studio P. Fr. Raymundi Spiazzi, O. P., Marietti, Turin / Rom 1956, II, 15 c. (S. 36).
37 Hans Sedlmayr, Pieter Bruegel: Der Sturz der Blinden. Paradigma einer Strukturanalyse, Hefte des Kunsthistorischen Seminars der Universitiit Miinchen, Miinchen 1957. Die Arbeit muf in der Bibliogra- phie des Berliner Kataloges nachgetragen werden, ebenso wie die Arbeiten von M. Alpatoff, M. AnnaToB, 3TIOAb no HCTopHH aanaAHo-eBponIekicoro LycceTBa, Moskau 1963: BpeareJnib ymY3RTTIJL, S. 162-175 und Caienue Bpeireaii, S. 174-181. In letzterem ist die Berliner Zeichnung KdZ 1576, Berliner Katalog Nr. 84 abgebildet (Abb. 13355) und gedeutet.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 85
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bpe Semep r inok*rifl ,on &ap•arnapmI Sn ierufatem .nt> ict fcb zro u[seben er fp beiigi. V•no
volvon ftet gef•tibn in
dem biicb k ompen•lo oloSieflOS nothnfer t~rr rfiibdt oer fet
be flat ocir fi tm twansdtolvno
idyt atfo we air 4apar
"arm. .. .
Abb. 8. 15. Jahrhundert, Der Antichrist lehrt Gold machen, Holzschnitt, Buchillustration zum Enndkrist, Stadt- und Universitiits-
bibliothek Frankfurt am Main, S. 6
mayr versuchte, Bruegels Bild nach dem vierfachen Wortsinn auszulegen, nach dem die
Heilige Schrift ausgelegt wird. DaB ein solches Schema auch auf Werke der bildenden Kunst angewandt werden kann, versuchte er wahrscheinlich zu machen, indem er einen Brief Dantes mit einer Anleitung zur Auslegung der G6ttlichen Kombdie anfiihrt. Ver- suchen wir das gleiche mit Bruegels Alchimistenblatt und zitieren wir zu diesem Zweck Dantes Formulierungen zum vierfachen Wortsinn:
>>primus dicitur literalis, secundus vero allegoricus, sive mysticus.<< Die w6rtliche Aus-
sage ist immer gesehen worden: Vom Gelehrten verfiihrt, vertut der Alchimist Hab und Gut und endet mit seiner
Familie im Armenhospital. Der allegorische Sinn umfal3t dreierlei; am Beispiel des Auszuges Israels aus Agypten
erliutert Dante: >>si ad allegoriam, nobis significatur nostra redemptio facta per Christum; si ad mora-
lem sensum, significatur nobis conversio animae de luctu et miseria peccati ad statum
gratiae; si ad anagogicum, significatur exitus animae sanctae ab huius corruptionis servitute ad aeternae gloriae libertatem38.<<
38 Es handelt sich um Dantes Brief an Cangrande Scaliger, Lettere di Dante, ed. Monti 1921, 337 ? 7, hier zitiert nach Sedlmayr op. cit., S. 44.
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86 PETER DREYER
Auf den Alchimisten bezogen heiBt das, dargestellt ist die Erlosung des irrenden siin-
digen Menschen. Die christliche Naichstenliebe, das Hospital unter den Kreuzen und die
Werke der Barmherzigkeit stehen ja dem Sinder offen und er wendet sich ihnen ver-
trauensvoll zu. Der moralische Sinn zeigt die Abkehr von Trauer und Elend der Siinde. Es ist die bewuBte Abkehr als Akt der conversio, die hier gesehen werden muB. Der
anagogische Sinn schlie31lich fiihrt hinaus zur Freiheit der aeterna gloria. Im Anfang des Narrenschiffes stehen einige Zeilen aus dem 106. (107.) Psalm. Sie
weisen nicht auf eine Erl6sung hin, und auch Brant tut es nicht, denn sein Werk will auf
die Torheit aufmerksam machen, um davor zu warnen und die Narren zur Abkehr von
der Torheit zu bewegen. Bruegels Alchimistenblatt zeigt diese Abkehr. Auf seine Haupt-
figur parft ein anderer Vers des 107. Psalmes: >>Die Narren so geplagt waren um ihrer
Ubertretung willen und um ihrer Siinden willen, daB ihnen ekelte vor aller Speise und
totkrank wurden; die zum Herrn riefen in ihrer Not, und er half ihnen aus ihren Ang- sten, er sandte sein Wort und machte sie gesund und errettete sie, daB sie nicht starben:
die sollen dem Herrn danken fiir seine Giite und ffir seine Wunder, die er an den Men-
schenkindern tut 39.<<
Hat Bruegel das Narrenschiff gekannt, und das laiBt sich nicht bezweifeln 4, so hat er
doch weit mehr dargestellt, als er dort vorfinden konnte. Im sensus mysticus seines Alchi- mistenblattes ist nicht weniger dargestellt als Fall und Erl6sung des Menschengeschlechts.
Da unsere Deutung durch die Vorbilder in eine mittelalterliche Tradition geraten ist
und die Darstellung iiberdies eine alchimistische Unterschrift traigt, ergibt sich die Auf-
gabe, nach einer Erklarung der Gelehrtengestalt auch aus alchimistischer Sicht zu fragen. Die mittelalterliche Alchimie glaubte an die Miglichkeit, den Stein der Weisen mit
Gottes Hilfe herzustellen und die Metalle zu veredeln. Der Alchimist hatte die Aufgabe, sich die Gnade Gottes zu verdienen; daB3 der B6se bei den alchimistischen Bemiihungen der hauptsaichliche Widersacher sein muflte, ist daher selbstverstaindlich, und so fiirchtete die Alchimie die Anwesenheit und Mithilfe des Teufels beim opus. Durch sie wurde der
Erfolg entweder ganz vereitelt, oder es trat nur ein Scheinerfolg ein, indem an die Stelle
der wahren Transmutation in imitatio naturae solches Gold und Silber trat, das durch
magische Kiinste entstanden und fur den artifex verderblich war. Es spielt daher auch
keine Rolle fuir die Deutung des Gelehrten bei Bruegel als Antichrist, ob der Laborant am Herde nun reich wird, oder verarmt. Bruegels Blatt macht jedenfalls den vordergriin- digen Mierfolg offensichltlich, denn am Ende der alchimistischen Bemiihungen stehen nicht Elixier oder Gold, sondern das Armenhaus.
Wie die Spitter der Alchimie so sah auch die alchimistische Wissenschaft selbst die
Gefahren des Abgleitens in den Betrug und die damit verbundenen Gefahren fiir die See-
39 Ps. 106 (107), 17-21. 40 Bruegels Radierung mit der Darstellung einer Hasenjagd, Bast. I, - Hollstein, bei Bruegel I, - Holl-
stein, bei H. Cock ed. 150, - Oberhuber wie in Anm. 3, Nr. 3355, hat P. Fehl mit dem Narrenschiff in Ver- bindung bringen kinnen, vgl. P. Fehl, Peculiarities in the Relation of Text and Image in two Prints by Pieter Bruegel: The Rabbit Hunt and Fides, North Carolina Museum of Art Bulletin Bd. 9, 1970, Nr. 5/4, S. 24-355, vgl. auch Berliner Katalog Nr. 75 und 75 a. Ein Teil des Wiener Vogeldiebes mag mit dem Kapitel >>Von Eygenrichtikeit<< im Narrenschiff zusammenhlingen, bei F. Schultz S. 90-91.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 87
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len der Alchimisten. Aus Mitleid mit den Betrogenen und den Betriigern hat Geber sein
Kit Ab-alrahma, das liber misericordiae, verfaBt. Hier heiBlt es im Prologus: >Postquam uidi homines inclinatos in querendo magisterium auri et argenti cum labore et insipientia, et uidi eos geminos decipientes et deceptos, misertus fui ambobus. Misertus fui deceptis
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88 PETER DREYER
in perdendo quod dominus actulit eis de diuitiis sine loco suo ... Similiter misertus fui
decipientibus in perdendo animas suas et in affligendo eas et uendendo fidem suam et
fideiussionem paruo lucro istius mundi, et sunt equali modo cum deceptis41.<< Rechtschaf- fener Geist und unermiidliche Arbeit geh6ren zum Werk, und oft wird die Warnung
ausgesprochen, sich nicht leichtfertig ans opus zu setzen, denn ohne wirkliche Kenntnis
und Eignung des Forschers muf3 aus der alchimistischen Arbeit Unheil entstehen. >Festi-
nationem dicunt esse ex diabolo<<4 "2 spricht die Alchimie den Arabern nach und fordert ein
miihsames, langwieriges Studium und einen Forscher, der mit allen Tugenden und gro- Ber Kenntnis ausgestattet ans Werk geht. >>... in primis necesse est, per studium hujus suavis operis, scientiam acquirere<< sagt Richardus 4.
Die Aurora consurgens nennt unter den Voraussetzungen zum Magisterium, als die
Ecksteine vom Schatzhaus der Weisheit, die sein Fundament sind: Gesundheit, Demut,
Heiligkeit, Keuschheit, wirkende Kraft, Sieg, Glaube, Hoffnung, Liebe, Giite, Geduld,
GleichmaB, geistige Disziplin oder Einsicht und schlieBlich Gehorsam 4. Und in der Turba heil3t es: >Omnes huius artis investigatores, non potestis ad utili-
tatem pervenire absque probissimo animo et regimine continuo. Qui ergo libens patientia fruitur in hac dispositione, ingrediatur in eam, qui vero citius cupit percipere in libris
nostris non inspiciat, quoniam magnam inferunt iniuriam, antequam a lectoribus intelli-
gantur, semel vel bis vel ter (legendo). Ideoque Magister ait: Qui curvat dorsum suum in
libris nostris legendis, eisque vacat, et non est vanis implicitus cogitationibus, demum
Deum precatur, regno regnabit indeficiente quousque morietur. - Alle Erforscher dieser
Kunst, ihr k6nnt nicht zum Nutzen gelangen ohne rechtschaffendsten Geist und anhal-
tende Arbeit. Wer also freiwillig Geduld aufwendet bei dieser Behandlung, der trete
in sie ein, wer aber schneller zu verstehen wiinscht, der schaue nicht in unsere Biicher, weil sie groBen Schaden zuffigen, bevor sie von den Lesern verstanden werden (durch)
ein- oder zwei- oder dreimaliges (Lesen). Darum sagt der Meister: Wer seinen Riicken iiber unsere Biicher kriimmt, um sie zu lesen, und bei ihnen verweilt und nicht in eitle
Gedanken verwickelt ist, und endlich zu Gott betet, der wird ein nie versagendes Reich
beherrschen, bis er stirbt4.<< Bruegels Alchimist scheitert. Alchimistisch gesprochen, mul3te er scheitern, wenn ihm
die charakterlichen Voraussetzungen fehlten, wenn er keine rechten Kenntnisse hatte
oder wenn er schnell reich werden wollte. Aber die alchimistische Literatur erkennt die
Ursache des Scheiterns auch in der Irrefiihrung selbst. Die Turba spricht von den >Nei-
dern<<, die an den Verirrungen schuld sind, weil sie die Wahrheit verheimlichen: >>nihil aliud in errorem vos introduxit, quam invidorum dicta - nichts anderes hat euch in Irr-
tum gefiihrt, als die Ausspriiche der Neider46.<< Bei Zosimos ist es das biase Prinzip, der
Geist Antimimos, der den Menschen von der wahren Kunst hinwegfiihrt. >>... bis der
41 Darmstaedter S. 185, Z. 8 ff. 42 Vgl. Anm. 48. 43 Richardus Anglicus, Libellus utilissimus negi Xryesias, Cui titulum fecit, Correctorium, zitiert nach
Bibl. Chem. Cur. II, S. 267. 4 M.-L. von Franz, S. 88-101 und im Kommentar S. 308 ff. 5 Turba, 59. Sermon, S. 146, 226/227.
46 Turba, 55. Sermon, S. 141, 220. Anders bei Hermes, vgl. Anm. 109.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 89
Geist Antimimos kommt, der auf sie eiferstichtig ist, und der will, daB sie wie friiher in die Irre gehen, und der behauptet, er sei selber der Sohn Gottes, obwohl er formlos ist an Leib und Seele ... Bevor aber Antimimos, der Eiferer, dies unternimmt, schickt er seinen Vorlaufer aus Persien, der ... die Menschen nach der Schicksalsmacht irreffihrt ...
Nachher ... wird er in seiner eigenen Gestalt erscheinen47.<< Ja selbst beim besten Willen
des Alchimisten ist die Gefahr der Verfiihrung immer vorhanden. Stets wird der Bise
bei der alchimistischen Arbeit insgeheim zugegen sein und dem Suchenden zu schaden
trachten, denn alle sind fehlbar und irren.
>Omnes errant, donec vera practica accedat, Nullus autem aberrat magis in calore & frigore,
Quam artifex temerarius & audax.
Magna est cura, ut sapientes tradunt,
Cognoscere ubi perfectus sit artifex:
Et quamvis indicatis in eum, qui vos doceat, Varias tamen molestias & curas habebitis, Nam si mens tua virtuti sit dedita, Diabolus ut noceat allaborabit, Tribus modis offendere te praesumet
Festinatione, desperatione & deceptione4.<<
Im Buch von der Heiligen Dreifaltigkeit wird schliefllich mit dem Hinweis, wie der
lapis dyaboli sophistici hergestellt wird, die Warnung vor Antichristi Gold und Silber verbunden. Das Traktat, teilweise wahrend des Konstanzer Konzils in Konstanz nieder-
geschrieben und dem Ntirnberger Burggrafen Friedrich von Hohenzollern gewidmet, spricht die Moglichkeit der Verbindung von Alchimist und Antichrist deutlich aus:
>>lucifer des tufels anticrist der da tufel vnd mensche geborn ist der kan auch machen
lapidem phylosophicum aller der vntugent varben sieben planeten metall betriglich sind
sij geheissen klar stein beide silber vnd golt sij haben hij ein schone gestalt wann da ist
vorgifft in gewurcket. Es ist aller sieben vntugent schacz der ewigen virtumpnisse wer es
nympt der keret zu den virtumten, hirvmb rate ich vch recht, nemet anticristi silber vnd
golt nicht vol czouberie es ist virtiimlich4".<< Nicht nur die Irrefiihrung durch den Bisen selbst kann den Alchimisten in die Ab-
htingigkeit des Widersachers fiihren, seine eigene Verfehlung trigt ihm diese Abhtin-
47 Zitiert nach C. G. Jung, Alchemie, S. 419-420. 48 Thomae Nortoni Tractatus. Crede Mihi seu Ordinale, Bibl. Chem. Cur. II, S. 292. Die Aussage wird
ebenda verschiedentlich wiederholt, vgl. oben zu Anm. 42 >>Festinationem dicunt esse ex diabolo<< oder >>Primum jam dictum periculum est festinatio<<. Vgl. auch W. Ganzenmiller, Dreitaltigkeit, S. 145.
49 Zitiert nach 78 A 11, fol. 20 v. Die Anweisung zur Herstellung des lapis dyaboli sophistici auf fol. 20 r. Zum Traktat selbst vgl. W. Ganzenmiiller, Dreifaltigkeit. Ganzenmiller scheint auf das Berliner Exemplar, P. Wescher, S. 192-195, erst bei Beendigung seiner Arbeit aufmerksam geworden zu sein. Er filhrt es auf S. 95 unter den erhaltenen Handschriften an, verzichtet aber auf seine Einbeziehung in die textliche Untersuchung und Einordnung und erwaihnt es nicht unter den illustrierten Handschriften. Vgl. auch G. F. Hartlaub, Signa Hermetis (Zwei alte alchimistische Bilderhandschriften), Zeitschrift des Deut- schen Vereins fiir Kunstwissenschaft Bd. 4, 1957, S. 95-112.
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90 PETER DREYER
gigkeit als Strafe ein. >>Sic igitur omne malum in rebus voluntariis consideratum vel est
poena vel culpa<< - >Habet enim hoc ordo divinae iustitiae, ut cuius suggestioni aliquis consentit in culpa, eius potestati subdatur in poena 5.<< In seiner schillernden Mischung biblischer und alchimistischer Sprache mahnt daher das Traktat Aurora consurgens zur
Treue und zeigt die Folgen der Abkehr. >>Si autem dereliquerit legem meam et in viis
meis non ambulaverit et mandata predicta non custodiverit. (nil) proficiet inimicus in eo
et filius iniquitatis (non) apponet nocere illi - Wo er aber mein Gesetz verlafit und nicht in
meinen Ordnungen wandelt und meine erwihnten Gebote nicht hilt, so soll ihn der Feind
iiberwiltigen, und der Sohn der Bosheit soll ihm durch seinen Widerstand schaden51.< Wir hatten den Gelehrten Antichrist genannt, ausgehend von seiner Rolle als Ver-
fifhrer, als Initiator einer verderblichen Handlung und als Gegenspieler der durch die
Hospitalvorsteherin verkirperten Giite. Die Bildtradition bestatigte die Deutung. Eine
Deutung der Gelehrtengestalt aus der alchimistischen Literatur gelangt zum gleichen
Ergebnis. Der Antichrist wird, wie es in dem Frankfurter Blockbuch heilBt, ?empfangen in muter leib durch die kraft des teufls<< 52 und ist somit sein rechtma•iger
Sohn. In der
Aurora consurgens ist der Widersacher filius iniquitatis - Sohn des Teufels genannts53 Wir kinnen ihn also Antichristus nennen, aber auch Antimimos, denn bis in alle Einzel-
heiten ist er sein Ebenbild. Er versucht, den Alchimisten zu verderben, und nur durch
die Abkehr von der Alchimie des Bbsen befreit sich der Laborant schliel3lich aus des Teu-
fels Gewalt. In der Vordergrundszene auf Bruegels Blatt iibt der Btse noch seinen EinfluB aus; er sitzt hinter ihm und ist beim opus anwesend und von hdchster Wichtigkeit; er
kommentiert und leitet, ob er nun in seiner eigenen Gestalt auftritt oder formlos ist an
Leib und Seele. DaB niemand auf dem Blatt den Gelehrten und seinen Narren wahr-
nimmt, scheint mir wichtig und scheint mir durchaus in dem Sinne deutbar:
>>Den Teufel spiirt das Vilkchen nie, Und wenn er sie beim Kragen haitte54.<<
In der Szene des Hintergrundes hat der Bise seine Macht iiber den Laboranten verlo- ren. Am Ende seines Weges stehen weder Antichristi Silber und Gold, noch die Verzweif-
lung oder die H1ille, der der Stinder doch verfallen, miiBte, sollte er in der Strafe dem
untertan werden, dessen Einfliisterungen er in der Schuld gefolgt war so. Am Ende seines
Weges steht vielmehr das Hospital, dessen Giebel das Kreuz tragen. Ist der Alchimist
vordergriindig auch nicht zum wahren Stein der Weisen gelangt, da seine Wissenschaft
von den Einfliisterungen des Teufels ausging, so bleibt ihm doch die Gnade in der Abkehr
von der Alchimie des BIsen.
50 S. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici Summa Theologiae, cura et studio Sac. Petri Caramello, Marietti, Turin/Rom 1952, I, q. 48 a. 5 (S. 247) und I, q. 65 a. 8 (S. 311).
51 M.-L. von Franz, S. 52, 55. 52 Vgl. Anm. 51, 3355. Text auf der 5. Faksimileseite. 53 Goethe, Faust, II. Teil. 2. Akt, Klassische Walpurgisnacht, Mephisto:
>> Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen - Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,
Sie zeugten auch: Im alten Biihnenspiel Sah man mich dort als old Iniquity. <<
54 Goethe, Faust, I. Teil, Auerbachs Keller.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 91
II
Was besagen die Texte zu Bruegels Alchimistenblatt?
Qui quaerit in merdis secreta philosophorum, Expensas perdit proprias, tempusque laborum.
Est in mercurio quicquid quaerunt sapientes: Corpus, abhinc anima, spiritus, tinctura trahuntur.
Nullus mercurius sumatur, quhm mineralis. Arnaldus de Villanova 55
Wie oft sah ich sie (die sacerdotes Aegyptiorum), von Freude iiber mein Verstehen ergriffen, wie sie mich aufs liebevollste kiiBlten, denn das wahre Erfassen der Zweideutigkeiten einer widersinnigen Lehre ging mir leicht auf. Unbekannter Alchimist 56
Im folgenden will ich zu erliutern versuchen, was die Aufschrift der Zeichnung, die
Worte auf dem Buch des Gelehrten: ALGHE MIST, und die enigmatische lateinische
Unterschrift unter dem Stich meinen kinnen. Die franzasische Aufschrift, die sich auf
einigen Exemplaren des Stiches aufgeklebt findet, kann beiseite gelassen werden57; sie
gibt lediglich die vordergriindige Geschichte wieder und das auch noch ungenau, denn
von >De fain mourons, n'ayant pitance ou pain<< beispielsweise kann nicht die Rede sein,
solange die Mbglichkeit besteht, ins Hospital zu gehen. Wenn ich nun versuche, zum leichteren Verstdindnis des folgenden wenigstens die Ziele
der ars regia, wie die Alchimie sich nannte, zu skizzieren, so bin ich mir der damit ver-
bundenen Vergrdberung bewul3t und verweise auf die Lektfire der alchimistischen Trak- tate selbst58. Das Ziel der Alchimie ist letzten Endes die Erlbsung von Stoffen, ihre Ver-
edelung oder Reinigung, die Uberfiihrung unedler Metalle in edle, also auch die Her-
stellung von Gold, und die Reinigung der Seele und des menschlichen Kirpers von Krank- heiten und dem Verfall durch das Alter. Das erlasende Mittel zu diesem Ziel war der
Alchimie der Stein der Weisen, die Medizin, das Elixier. Folglich ist seine Herstellung, die ohne Gottes Hilfe nicht vollbracht werden konnte, die wesentliche Arbeit des Alchi-
misten. >>Si ad perfectum magisterium peruenire volumus, oportet primo vt lapidem philosophorum purum & mundum habeamus s9.<<
Ich muB im weiteren Verlauf meiner Ausfiihrungen soviel alchimistische Literatur
zitieren, wie zum Verstindnis der Aufschriften unbedingt nbtig ist. Dabei habe ich mich
bemiiht, solche Texte heranzuziehen, die dem 16. Jahrhundert bekannt sein konnten, ich
muf3te aber mitunter auch fiber Bruegels Jahrhundert hinausgehen. Alchimistische Schriften wurden erst split durch den Buchdruck verbreitet. Zwar waren
vereinzelte Traktate bereits vor der Mitte des 16. Jahrhunderts publiziert, doch erst
Guglielmo Gratorolos Verae Alchemiae Artisque Metallicae, citra Aenigmata, Doctrina,
55 Vgl. Anm. 69. 56 Zitiert nach C. G. Jung, Alchemie, S. 319. 57 Text abgedruckt bei J. van Lennep, S. 251-232; Obersetzung bei Winner, Berliner Katalog S. 62. 58 Zur Einfiihrung wichtig ist W. Ganzenmiiller, Alchemie. Bei C. G. Jung, Alchemie, findet sich
S. 568 ff. eine Vielzahl alchimistischer Literatur zitiert. 59 Arnaldus de Villanova, Liber perfecti Magisterii, qui Lumen Luminum nuncupatur ... Vocatur
etiam Flos Florum, zitiert nach Mu 454, S. 215.
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92 PETER DREYER
erschienen 1561 in Basel, enthielt eine gr6Bere Sammlung alchimistischer Texte. Wer
sich auch immer in der Mitte des Jahrhunderts praktisch mit der Alchimie abgeben wollte, konnte eine umfangreichere Textsammlung nur erwerben, wenn er die oft ritselhaften
Werke der grofBen Autorit~ten wie im Mittelalter kopieren lieB oder selbst abschrieb. Es
blieb dabei nicht aus, daB die mittelalterliche Diktion und Denkweise dem Kopisten selbst-
verst~ndlich wurden. Das garantierte der alchimistischen Wissenschaft eine ungebro- chene Kontinuitat, die auch durch die Bemiihungen des Humanismus um eine Natur-
wissenschaft in modernem Sinne nicht beeintrichtigt wurde. Die grofBen Werke frfiherer
Jahrhunderte, die Turba philosophorum, die Tabula smaragdina oder die Werke, die
Aristoteles, Albertus Magnus und Thomas von Aquin zugeschrieben oder auf Raimundus
Lullus und Arnaldus von Villanova zuriickgeffihrt werden konnten, waren jedem Alchi-
misten bekannt und galten als unumstifBliche Weisheit.
1.
Das Wortspiel, das man aus der Aufschrift im Buche vor dem Gelehrten in Bruegels
Alchimistenszene herausgelesen hat, laBt sich zunichst ganz wirtlich auf den Vorgang im Vordergrund beziehen, in dem der verfiihrte Laborant dargestellt ist, der, auf die
Einfliisterungen des B6sen hereingefallen, Hab und Gut vertut. Was er tut, ist verfehlt, ist Mist. Im allgemeinen ist die Aufschrift in ihrer Mehrdeutigkeit als Verspottung der
Alchimie angesehen worden 60, doch scheint sie, aus der alchimistischen Literatur betrach-
60 Winner zitiert zu dem Wortspiel in seinem Vortrag Agrippa von Nettesheim, der sage, aus Alchi- misten wiren Chacomisten, aus medici mendices geworden. Oberdies fiihrt Winner eine niederlandische Obersetzung in einer Ausgabe von 1661 an, wo das Wortspiel der Aufschrift der Zeichnung entsprechend iibersetzt wird, aus Alchimisten wiren Alghemisten geworden etc.
Vollstiindigkeitshalber sei angemerkt, daB Kachimia nicht nur eine verbale Verballhornung des Wor- tes Alchimie ist, in der das Wort Kacke, wie Winner meint, die Hauptrolle spielt, sondern daB es sich zudem um einen lexigraphisch nachweisbaren Begriff handelt. >>Kachimia, vel kakimia dicitur immatura metalli minera vel semi perfectum metallum, & nondum a natura absolutum, quod adhuc in primo suo
ente, ut infans in utero suae matris delitescit<<, Lexicon Chymicum Authore Gulielmo Johnsoni6 Chymico, zitiert nach Bibl. Chem. Cur. I, S. 246. Die von Winner angefiihrten Wortspiele sind nicht die einzigen, die den Weg des Laboranten ins Unheil illustrieren. Im Rosarium Philosophorum heiBt es >>Tria sunt
genera laborantium artem Alchimicam, scil(icet) Alchimista, Lauchimista & Lachrimista<<, was sich
natiirlich nicht als Zitat gegen die Alchimie schlechthin anfiihren laBt (zitiert nach Bibl. Chem. Cur. II, S. 88). Vereint mit dem beriihmten Zitat des Richardus Anglicus (vgl. Anm. 67) erscheint dieses Wortspiel in einem Spottbild auf die Alchimie in Cim 25110 fol. 21 v. der Bayerischen Staatsbibliothek Miinchen, abgebildet bei Herwig Buntz, Die europaische Alchimie vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, in E. E. Ploss, H. Roosen-Runge, H. Schipperges und H. Buntz, Alchimia Ideologie und Technologie, Miinchen 1970, S. 197. Dort finden sich auch Beispiele fiir das Wortspiel Alchymist - Alt-Kuh-Mist, mit dem sich die Alchimie ebenfalls verspotten li13t.
Es mag noch bemerkt sein, daB der Spott einer Sache oft gar nichts iiber die allgemeine Wertschatzung oder Verspottung besagt, insbesondere dann nicht, wenn der Spott aus der Intention eines Buches jede menschliche Titigkeit oder Veranlagung in derart enzyklopadischer Weise umfaBt, wie etwa in Petrarcas ?Von der artzney bayder Gliick<<, denn da kann die >Freude<< schlieflich anbringen, was sie will, aus rhetorischen Griinden wird alles auf den Kopf gestellt. Man miiljte konsequenterweise einriumen, daB die Keuschheit beispielsweise dem Petrarca ein viel grSBeres 1bel bedeutet als die Alchimie, denn wah- rend diese nur in die Armut fiihrt, bringt jene, wie am Beispiel der Lucrezia aufgezeigt, sogar den Tod. Niemand wird doch ernsthaft behaupten wollen, Bert Brecht warne wirklich vor Kiihnheit, Redlichkeit, Weisheit, Schbnheit, Gottesfurcht oder Wissensdurst, den er sich selbst zuschreibt, nur weil es im Salo- monslied bei der Erorterung der basen Folgen der Tugenden heilBt: >>Beneidenswert, wer frei davon<< -
>Alle Tugenden sind namlich gefahrlich auf dieser Welt, wie das schiine Lied beweist.<< Bertold Brecht, Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem DreilBigj ahrigen Krieg, 9. Salomonslied.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 95
tet, auch eine alchimistische Aussage zu enthalten, denn das Wort und die Sache >>Mist<< haben bei den Alchimisten eine groBe Rolle gespielt. Die Tradition ihrer Verwendung in der ars alchimica reicht weit zuruick und dauert bis ins 20. Jahrhundert fort6". Mar- tinus Ruland gibt ftr Mist folgende Erklairung: >>Excrementa generaliter sunt omnia
superflua per naturam eiecta<< 62 - Exkrement (Mist) allgemein ist alles Uberfliissige, was die Natur verworfen hat. DaB man tatsiichlich mit Mist laboriert hat in der Hoffnung, den begehrten Stein zu finden, diirfte verschiedene Griinde haben, so alchimistische Aus-
sagen, die das Wort ejectus auch auf den Stein selbst anwenden 63 oder das all zu wirtliche Verstdindnis solcher Hinweise, wie sie Morienus dem Kalid gibt. Kalid fragt, wo er die Materia ftr das Magisterium finden kann: >In quo loco uel in qua minera queritur hec res donec inueniatur?<< und erhdilt die Antwort: >>Quid tibi multa referam? Hec enim res a te extrahitur, cuius etiam minera tu existis, apud te namque inuenitur illa 64.<< Die
Alchimie warnt aber immer wieder vor dem w6rtlichen Verstlindnis ihrer Aussagen und hat deshalb die Versuche, den Stein oder das Gold aus Dreck zu machen, oft angeprangert und auf die wahren Prinzipien ihrer Wissenschaft hingewiesen. So sagt Geber im Liber Misericordiae:
>>Dixerunt quidam quod opus creatum est quod fit de lapide exeunte de creaturis, sicut
pill et sanguis et urina et lepra et cerebrum et fel. Et istud est longe ut exeat ad opus, quia creature longe sunt a lapide.<< Oder: >Homo non parit nisi hominem ... et sic aurum non fit nisi de auro<< oder >non erit aurum nisi de auro, nec argentum nisi de argento, nec filius nisi a patre<<65, wie auch schon die Turba philosophorum betont: >>natura natura non emendatur nisi sibi similia - die Natur wird durch die Natur nicht verbessert auBer durch die eigene Natur 6.<<
Was der Mensch skit, das erntet er auch. >Cum merdam seminaveritis, merdam metere
visi estis<< sagt Richardus Anglicus, aber er verwirft damit nicht die Wissenschaft der
Alchimie, sondern die Irrwege und ermahnt: >>Revertamini fratres ad viam veritatis, qui eam ignoratis, quoniam propter vosmetipsos consulo studere & laborare, sapientum dicta
revolvendo, ex quibus veritas elici potest67.<< Arnaldus von Villanova beginnt seinen Trak-
61 Vergleiche fiir das 20. Jahrhundert Gustav Meyrink, >>Wie ich in Prag Gold machen wollte<<. Er erzahlt anfiinglich von einem Chemiker Kinski, dem er das Wort in den Mund legt: >>Gold ist Dreck, ihr alle sagt es doch tdiglich, aber wortlich nehmt ihr's nicht.<< Meyrink behauptet, mit dem Dreck der Prager Kloaken experimentiert zu haben und mit seinen Operationen bis zur cauda pavonis gelangt zu sein. Nach der Ausgabe >Das Haus zur letzten Latern<<, Miinchen/Wien 1973, S. 296, 300, 318 f.
62 Martin Ruland, Lexicon Alchemiae, Frankfurt 1612 (Neudruck 1964) S. 202. 63 >>Lapis noster pretiosissimus in stercore ejectus, est carissimus, vilis vilissimus<<, Tractatus aureus
des Hermes Trismegistos, zitiert nach Bibl. Chem. Cur. I, S. 427.- Von Merculinus wird in Bibl. Chem. Cur. II z. B. zitiert: >>Est lapis occultus, & in imo fonte sepultus, Vilis et ejectus, fimo vel stercore tectus<< (S. 117 und 196)
oder: >>Quantum praegnatum, producit stercore natum<< (S. 197). 64 Zitiert nach Ms. lat. fol. 552, fol. 138 v. und 139 r. Hinweise auf den Gebrauch von excrementa fin-
den sich auch im Tractatus Aureus des Hermes, beispielsweise: >... accipite cerebrum ejus ... vel urina puerorum<<, zitiert nach Bibl. Chem. Cur. I, S. 457; daB dergleichen Begriffe als Decknamen verstanden wurden, lehrt jedes alchimistische Lexikon.
65 E. Darmstaedter, S. 191, Z. 391-394, S. 186, Z. 125 und 127-128, S. 193, Z. 459-4 60. 66 Turba, 29. Sermon, S. 157, 215. 67 Richardus Anglicus, wie Anm. 43, S. 272. Ibidem auch AuBerungen wie >Recipe hoc vel illud, id
est merdam, & fac stercus<< oder >>discas mihi merdam, & ego te docebo stercus<<.
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94 PETER DREYER
tat >>Liber perfecti magisterii, qui lumen luminum nuncupatur .. . vocatur etiam Flos
florum<< mit der Warnung, nicht jedes Rezept und jede Mitteilung der Philosophen wdrt-
lich zu nehmen. >>... operati sunt aliqui ad literam intelligentes, ex sanguine, capillis,
ouis, vrina & alijs, vt ex illis primo extraherent quatuor elementa ... (es folgt die Er-
wdihnung einzelner Operationen) donec compleatur eorum phantasia: postea accipiunt istam terram siue lapidem & proijciunt super corpus fusum, videlicet super cuprum vel
aliud, & breuiter nihil inueniunt, quia totum est phantasticum: & tamen faciunt secun- dum quod philosophi dicunt in suis libris quantum ad literam. & sic in errorem ceciderunt, non inuenientes introitum. Et causa errorum illorum est, quia in indebita materia operati sunt ... quia non inuenitur in re, quod in ea non est: non sunt autem metalla in capillis, & huiusmodi 68.<<
Um mit einem drastischen Zitat des gleichen Autors zu enden:
>Qui quaerit in merdis secreta philosophorum,
Expensas perdit proprias, tempusque laborum69.<
Das Wortspiel >ALGHEMIST - alles gemil3t - alles Mist<< kann also durchaus auch
als alchimistische Aussage gedeutet werden; sie richtet sich dann nicht gegen die Alchi-
mie, sondern gegen ihre Irrwege und fordert den Alchimisten auf, zur wahren Kunst
zuriickzukehren und in via veritatis zu laborieren. Die wahre Wissenschaft weilB nim-
lich, daB es nicht darauf ankommt, aus Mist Gold zu machen, sondern beharrlich und
demiitig der Natur nachzuarbeiten; sie weiB, daB die Alchimie eine Dienerin der Natur
sein muB und auf die Hilfe der Natur angewiesen ist. Wenn die Natura dem irrenden
Philosophen auch zundichst zuruft: ?Stupide asine frangis vitra, & comburis carbones, ut ex vaporibus caput tuum insaniat: coquis alumen, sal, auripigmentum, nigredinem, & metalla fundis, parvas, magnasque fornaces facis, multifariaque vasa usurpas: nihilo-
minus tamen me tuae pudet stultitiae ...<<, so ermutigt sie ihn doch schlieBlich mit den
Worten: >Prudenter agas, & opus, veluti naturae convenit, artificiose administra: me
juvato, & ego te juvabo: quicquid mihi feceris, idem & ego tibi facturus sum70.<
2.
Unter Bruegels Alchimistenstich (Abb. 9) befindet sich ein lateinisches Bildgedicht, das in zwei Kolumnen zu je drei Zeilen unter der Darstellung erscheint. Die sechs Zeilen
in leoninischen Hexametern ergeben durch ihre Reime drei Distichen, in denen jeweils vier W6rter aufeinander gereimt werden: die mit der dritten Hebung und die an den
Enden der Zeilen. Jedes Distichon enthliilt das Wartchen >sed<<~, das zwei Aussagen in eine
widerspriichliche Verbindung bringt. Hier zuntichst der Text:
I. (1) DEBENT IGNARI RES FERRE ET POST OPERARI
(2) IVS LAPIDIS CARI VILIS SED DENIQUE RARI
68 Zitiert nach Mu 454, S. 209-210. 69 Practica Magistri Arnaldi de Villa nova ad quendam Papam, ex libro dicto, Breuiarium librorum
Alchymiae, nach Mu 454, S. 250. 70 Joannes a Mehung, Demonstratio Naturae, quam errantibus Chymicis facit, dum de Sophista &
stolido Spiratore carbonario conqueritur, zitiert nach Musaeum Hermeticum, S. 147, 156.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 95
II. (5) VNICA RES CERTA VILIS SED VBIQUE REPERTA
(4) QVATVOR INSERTA NATVRIS IN NVBE REFERTA
III. (5) NVLLA MINERALIS RES EST VBI PRINCIPALIS
(6) SED TALIS QVALIS REPERITVR VBIQUE LOCALIS7'
J. van Lennep iibersetzt den Text folgendermaBen: >>Les ignorants doivent acquerir la science, puis oeuvrer. La caracteristique de la pierre
philosophale precieuse, abondante et enfin rare est d'6tre une chose unique manifestement
vile mais qui se trouve partout. Elle est insirde quatre fois dans la nature et rdpandue dans ce qui est sans valeur oi' aucune chose mindrale n'est primordiale mais telle qu'on la trouve en tous lieux.<< Sein Kommentar lautet: >>Elle (der Text) se moque de ceux qui
ignorent que la matiere de la pierre est H la fois vile et rare parce qu'elle peut 6tre trouvie
en tous lieux et qu'elle apporte le salut a celui qui l'a decouverte 72.<<
Matthias Winners Ubersetzung lautet:
>>Die Unwissenden miissen ihre Lage ertragen und danach sich schinden. - Die Ge-
walt des geschaitzten, wohlfeilen aber zugleich seltenen Steines ist die einzig gewisse, wertlose, aber iiberall erfahrene Sache; mit vier Naturen in die prallvolle Ungliickswolke eingeffigt ist sie kein mineralisches Ding, das irgendwo einmalig sondern in seiner be- sonderen Beschaffenheit sich an jedem Ort befindet.<< Er kommentiert: >>Der einzige friihere Ubersetzungsversuch von J. van Lennep irrt u. a. darin, da3 >>res ferre< als >>Wis- senschaft erwerben<< (acquirir la science) verdolmetscht wird. Van Lennep folgert daraus
irrtiimlich Bruegels positive Stellung zur Alchimie; denn der Spott des Blattes trdife nur die Unwissenden der alchimistischen Kunst, wdihrend die eingeweihten Adepten dieser ars die Allgegenwairtigkeit des Steines der Weisen parallel zur Universalitit der materia
prima erkennen. Mitnichten aber geht aus der Zeichnung oder ihrer Legende irgend- welche Wertschatzung der Alchimie hervor. Vielmehr geiBelt beides die Unwissenden, die tiberhaupt der Alchimie vertrauen, denn ihre wirkliche Lage heiBt Arbeit und Armen-
spital. Nicht irgendeine der vielen okkulten Geheimlehren zum >>lapis<< wird angespro- chen, selbst wenn von seiner vierfachen Natur die Rede ist. Ironisch aber wird der wider-
spruchsvolle Gedankengang von den vier Naturen des Steins, d. h. den vier Elemen- ten - Feuer, Wasser, Erde, Luft -, aufgenommen. Die Gewalt des Steines sei in jeder Unghickswolke mit vier Naturen zu finden, von jedermann erstrebt und doch banal all-
gegenwlirtig und an jeder Stelle billig zu haben, insofern n~imlich, wie der Anfang des Textes besagt, als die Unwissenden ihre wirkliche Lage ertragen miissen.<< Es folgen die
Aul3erungen zum franzisischen Text und schlieBlich die Erkliirung der res certa, das
heil3t die Behauptung, der lateinische Text >>meinte allegorisch damit auch den sicheren Weg ins Armenhaus derer, die Alchimie betreiben73.<<
71 Hermann Walter gibt zu bedenken, ob nicht aus Griinden der Metrik in der 5. Zeile >>principialis<< statt >>principalis<< zu lesen sei. In Zeile 4 michte er das >>in<< vor >>nube<< als Korruption betrachten und streichen oder >>in nubem <<lesen. Vgl. auch Anm. 91. Freundliche miindliche Mitteilung.
72 J. van Lennep, S. 231. 73 Berliner Katalog, S. 61-62. Winners Vortrag (vgl. Anm. 3) verweist auf die llbersetzung im Katalog,
ohne Korrekturen zu bringen.
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96 PETER DREYER
Beide Ubersetzungen sind unbefriedigend. Bevor aber eine neue Ubersetzung und
Deutung vorgeschlagen wird, soll noch einiges zum Problem Stein - opus gesagt werden, um das es in den Zeilen geht.
Woraus der Stein wirklich besteht, wird in der alchimistischen Literatur verschwiegen oder doch so ausgedrfickt, daB es immer unverstdindlich bleibt. So heiBt es etwa ?ascende in montem altiorem huius mundi, quia ibi est lapis noster absconditus, et scias quod in
alio loco non reperitur<<. Es wird ferner berichtet, daB der lapis Mercurius - Quecksilber -
sei, und auf den Einwand, Quecksilber finde man in den Tiefen der Erde, aber nicht auf den Bergen, wird geantwortet: >Scias quod phylosofi non dixerunt nec intellexerunt nec
ego intellego nec dico quod mercurius quem tu dicis sit lapis, Mercurius phylosoforum non est talis qualis inuenitur in cauernis terre, et propter hoc multi sunt decepti in ope- rando cum isto mercurio, quia lapis noster scilicet Mercurius est corpus et est spiritus ...
quere ergo Mercurium nostrum et habebis quod desideras7".<< Wird ein Unterschied zwi- schen Mercurius und Mercurius noster gemacht, so ist also nichts Brauchbares ffir die
Herstellung des Steins ausgesagt75. Waihrend wir aber fiber die Ingredienzien eigentlich nichts erfahren, erfahren wir
sehr viel fiber den Stein selbst, am einfachsten nachlesbar im Tractatus aureus de lapide im Musaeum Hermeticum76. Er ist aus den vier Elementen zusammengesetzt - >>lapis noster est ex quatuor elementis<< 77, >Est enim lapis triunus et unus, quatuor habens na-
turas<< 78 - aber nicht im Sinne eines Hauses, das aus Fundament, Wdinden und Dach be-
steht, ein compositum, sondern eine einzige Sache, ein Individuum, und wird auf deutsch
folglich auch als einige Sache bezeichnet. >>Erwel dir zu Vnnserm stayn, das, somit dy
Khunig geziert vnnd gekronet werden. Wiewol diser Mercurius allain dy matery vnnd
ein ayniges ding ist 79. Morienus erklirt dem fragenden Kalid die Substanz des Steines
>>huius rei prima et principalis substantia atque materia est una, et ex ea est unum ... sic
opus nostrum fit ex una re et una substantia<o80. Aber auch im Liber Saturni heiBt es:
>>Scias igitur quod totum magisterium in una re sola consistit ... Diximus igitur ... scientiam ueram esse et in una sola re consistere".<< Ferner heiBt es: >Scias unicam esse
rem, ex qua omnia fiunt, quae desideras<< oder >>universale unicam esse rem, et in unica
re simul reperiri2.<<
74 Zitiert nach Ms. lat. fol. 5352, fol. 166 r. und 166 v, Liber Saturni.
75 Auch das aus dem Mercurius noster hergestellte Gold wird in den alchimistischen Schriften stets als etwas anderes denn aurum vulgi bezeichnet, so als aurum nostrum oder aurum potabile. Die falschen Alchimisten >>de Auro Alchymico loquuntur materialiter. Veri de eo loquuntur mystich & allegoric<<. Bibl. Chem. Cur. I, S. 110.
76 Musaeum Hermeticum, S. 8-52. 77 Rosarium zitiert nach C. G. Jung, Alchemie, S. 201. 78 Zitiert nach C. G. Jung, ibertragung, S. 52 Anm. 4. 79 Trismosin, Splendor Solis oder der Sonnenglantz, zitiert nach dem Exemplar im Kupferstichkabinett
Berlin, 78 D 3 (P. Wescher, S. 226-228), fol. 7. Der Text findet sich in der facsimilierten Handschrift der Staatsbibliothek cod. germ. fol. 42 auf fol. 11 v., vgl. Faksimile-Ausgabe der Krewel-Werke GmbH, 1972.
8 Zitiert nach Ms. lat. fol. 532, fol. 133 v. und 154 r. 81 Ibidem fol. 165 r. und 179 r. 82 Zitiert nach Tractatus aureus de Philosophorum Lapide, Musaeum Hermeticum, S. 9 (Rosinuszitat)
und S. 51 (Basiliuszitat).
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 97
Wichtig ist, daB der Stein kein Stein ist, sowenig, wie der Mercurius noster Mercurius
ist, und daB er als Medizin bezeichnet wird. Dies geht aus Beschreibungen hervor wie >>tactus huius lapidis est mollis<< a, oder, in der Aurora consurgens, >Von der krafft vnd
tugent diser medicyn. dz letst Cap(itel) ... Wanne der stein mathites volkomiglich rubifitiert ist so tut er nit allein wunderzeichen in den starcken harten c6rpern sund(er) ouch in dem menschlichen c6rper dar an kein zwyfel ist, wan(n)t so man ine innympt, so hellt er alle inwendige kranckheiten vnd so ma(n) sich damit salbet so heilt er vBwendig8".<<
DaB der Stein kostbar und selten ist, liegt auf der Hand, es wird aber auch stets betont, daB er wohlfeil ist. >lapis noster est res vilissima<<, sagt das Liber Saturni", >>in stercore eiectus . .. vilis et vilissimus<< heiBt es im Tractatus aureus des Hermes ", und die Turba lehrt: >>Scitote ... quod illa res, quae suum absque igne sequitur socium, in illa com-
positione passim apparere colores facit, eo quod una illa res in unoquoque intrat regimine; quae ubique invenitur, quae lapis est et non lapis, vilis et pretiosa, obscura celata et a
quolibet nota, unius nominis et multorum nominum: quae est sputum lunae. Hic igitur lapis non est lapis, et quamquam pretiosus est, (nihilo venditur); sine quo natura nihil
unquam operatur, cuius nomen est unum, multis tamen nuncupavimus ipsum nominibus
propter suae excellentiam naturae. - Und wisset, daB jenes Ding, das seinem Genossen ohne Feuer folgt, in jener Zusammensetzung allenthalben Farben erscheinen hfl3t, weil jenes eine Ding in jede Art von Verfahren eingeht und iiberall gefunden wird: das (zu- gleich) ein Stein ist und kein Stein, verachtet und wertvoll, verdunkelt, verheimlicht und
(doch wieder) jedem bekannt, eines Namens und vieler Namen, das der Speichel des Mondes ist. Dieser Stein ist daher kein Stein, und obwohl er kostbar ist (wird er um nichts verkauft) - der Stein, ohne den die Natur niemals etwas bewirkt, dessen Name einer ist, den wir aber mit vielen Namen bezeichnet haben wegen der Vortrefflichkeit seiner Natur 87.<<
Diesen Text kannte offensichtlich jeder Alchimist, und bis in die Spaitzeit der ars bleibt die Autorit~t der Turba philosophorum unangetastet. Die Kostbarkeit des Steins und seine
Billigkeit werden in dem Text hervorgehoben und gleichzeitig erfahren wir noch ein- mal, daB der Stein kein Stein ist. DaB er iiberall aufgefunden werden kann, wird eben- falls von der alchimistischen Literatur stets betont. So heiB3t es im Rosarium: >Et inveni- tur in omni loco, et in quolibet tempore, et apud omnem rem, cum inquisitio aggravat inquirentem 88.<<
Viele suchen den Stein, >>multi sunt operantes<<, aber nur der Weise kann den Stein herstellen oder gebrauchen, fiir den Toren ist er nutzlos, selbst wenn er ihn besitzt.
83 Zitiert nach Ms. lat. fol. 552, fol. 157 r. (Morienus). 84 Zitiert nach Ms. germ. quart. 848, fol. 48 r. Die Aurora consurgens wird im ubrigen nach M.-L.
von Franz zitiert. Frau von Franz la13t in ihrer Arbeit die deutschen Fassungen unberticksichtigt. Was man gemeinhin als den zweiten Teil der Aurora ansieht,
l•iat sie in ihrer Ausgabe aus Griinden aus, die
sie auf S. 3 darlegt; deshalb fehlt die hier zitierte Stelle bei ihr. Ober die Berliner Handschrift vgl. Zimelien Nr. 120.
85 Zitiert nach Ms. lat. fol. 552, fol. 186 r. 86 Vgl. Anm. 63. 87 Turba, 15. Sermon, S. 122, 193/194. Ftir eine weitere aihnliche Aussage vgl. Anm. 109. 88 Rosarium, hier zitiert nach C. G. Jung, Alchemie, S. 299, Anm. 57.
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98 PETER DREYER
>>Siquis lapidem sciret eiusque regimen ignoraret, in quo eius inest virtus, atque perfectio, nihil preter laborem ac expensam perageret89.<
Ob der gedraingten Fiille solcher Epitheta zum Stein, die unser lateinischer Vers bringt, seien abschlieBlend drei Zeilen aus einem anonymen Traktat >>Massa aurea<< angefiihrt, das ebenfalls in leoninischen Hexametern abgefaBt ist:
>>Intelligentes quod non capiantque videntes
Non videant carus que vzlzs quidem rarus
Magnus adalbertus dicit lapis est quoque certus90. <
Hier nun der Vorschlag zu einer Ubersetzung, die, so w6rtlich wie m6glich, von der
Periodizierung ausgeht, die die Reime nahelegen; das heilt, es werden je zwei Zeilen
zu einer Einheit zusammengefaB3t und ein Wort vor dem >>sed<< zu einem Wort danach
in Gegensatz gebracht.
I. (1) Die Unwissenden milssen die Sachen tragen und dann erarbeiten
(2) den Saft des teuren Steins, der billig aber endlich selten ist.
II. (3) Die sichere, wohlfeile Sache ist eine einige aber iiberall auffindbar
(4) als eine mit vier Naturen vollgestopfte und in der Wolke eingefiigte91.
III. (5) (Sie) ist kein mineralisches Ding, wo (sie) ein anfaingliches ist,
(6) ist aber ein solches, als welches (sie) iiberall gefunden wird als ein Ausgedehntes
(Ortliches, rdiumlich Begrenztes).
Der Sinn des Spruches ist also:
I. Die ignari miissen den Saft des Steins herstellen.
II. Obwohl die sichere Sache (der Stein, das Magisterium) ein Einiges, also simplex ist, wird sie doch iiberall mit vier Naturen und der Wolke aufgefunden.
89 Beide Zitate aus dem Liber Saturni, zitiert nach Ms. lat. fol. 552, fol. 186 r. Bei Goethe heiBt es schlieBlich:
>>Wie sich Verdienst und Gliick verketten, Das fiallt den Toren niemals ein; Wenn sie den Stein der Weisen hitten, Der Weise mangelte dem Stein.< Faust, II. Teil, 1. Akt, Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones.
90 Zitiert nach der Handschrift der Osterreichischen Nationalbibliothek Wien 5477 fol. 74 v. In der Handschrift lautet die zweite Zeile unseres Zitates eindeutig
>>Non videant carus que vilis quidem carus<<, wobei ein >>carus< als verschrieben anzusehen und >rarus< zu lesen sein diirfte. Ich hale leider die wei- teren Handschriften der Massa aurea auf die Zeile hin nicht kontrollieren kbnnen. Sie sind angegeben bei Hans Walther, Alphabetisches Verzeichnis der Versanfainge mittelalterlicher Dichtungen, Gottingen 1959, Nr. 18524.
91 Streicht man das Wi6rtchen >>in<< vor >>nube<, wie Hermann Walter vorschlaigt (vgl. Anm. 71), so
muB wie folgt iibersetzt werden: >> als eine mit vier Naturen vollgestopfte, bei eingefiigter Wolke<<, liest man, was ebenfalls moglich w~ire >>in nubem<?, so heiBt es >>in die Wolke eingefiigt<. Wie unten im Text zu sehen sein wird, bleibt der eigentliche Sinn der Zeile dabei unberiihrt, denn in jedem Falle besagt sie, die unica res bestehe aus vier Elementen plus Wolke.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 99
III. Die Sache (der Stein) ist anfainglich kein mineralisches Ding, ist aber ein solches, namlich ein mineralisches Ding, als welches sie iiberall aufgefunden werden kann, wo immer sie gefunden wird.
I. Zum Verstindnis der ersten beiden Zeilen muBl man Kenntnis von der Theorie der
Arbeitsvorgainge haben. Die erste Aufgabe des Alchimisten ist die Auffindung und Be-
reitung der prima materia, aus der alles werden kann. So widerspriichlich die Aussagen zur prima materia sein k6nnen, so herrscht doch weitgehende Ubereinstimmung dariiber, daB sie auch eine Art Wasser war. Im Tractatus aureus ruft Hermes Trismegistos sie mit
den Worten: >O aquina forma permanens, regalium creatrix elementorum<<92 und in der
Vision von der Entstehung der Elemente beschreibt er:
<...> •t6ON
yeTafo••3`jevvov T aoo-ro; Et ;ydv rv tva 9vjortv acparg-a ThTaeay/Ltr]jv, xat
xatanvdv azotboaav og i&T6d Tvo/6;. xa[rtva jZov a roZ2oiaav
- JvEx)dd'2rjov yoo-j? [dira]
t an TIcexv
Bu . hea <wa) uxa 6 dDou, cage f v,
mtaxo iuca•o r nvoi, dkvam at'v)iv [roaotrov] <•%tt aVT0 t~(vQ O id ycUW xat vt6azEogv93
huius operis clavis est nummorum ars. Accipite igitur corpus, quod vobis demonstravi, ac in tabulas tenues coaptate, deinde maris nostri aquae imponite, quae est aqua per-
manens, postquam regitur. Deinde leni imponite igni, donec tabulae confringantur et fiant aqua vel ethelie. Miscete et coquite ac simulate in leni igne, donec brodium fiat
saginato simile - Der Schliissel dieses Werkes ist die Kunst des Silbers. Nehmet also den
Ktrper, den ich euch angedeutet habe, und bringet ihn in die Form diinner Tafeln. Dar- auf leget sie auf das Wasser unseres Meeres, das ist das immerwahrende Wasser, nach-
92 Zitiert nach Bibl. Chem. Cur. I, S. 427. 93 Walter Scott, Hermetica. The Ancient Greek and Latin Writings which contain Religious or Philo-
sophic Teachings ascribed to Hermes Trismegistus, 4 Bde, Oxford 1924-1936, Bd. 1, Libellus I, Poimandres, S. 114-119. Von wissenschaftlichen Ausgaben mit einer Obersetzung in eine moderne Sprache ist mir nur diese bekannt, weshalb mir gestattet sei, ausnahmsweise die englische Obersetzung zu zitieren:
"And thereafter I saw the darkness changing into a watery substance, which was unspeakably tossed about, and gave forth smoke as from fire; and I heard it making an indescribable sound of lamentation; for there was sent forth from it an inarticulate cry. But from the Light there came forth a holy Word, which took its stand upon the watery substance ... The watery substance, having received the Word, was fashioned into an ordered world, the elements being separated out from it . . . Fire unmixed leapt forth from the watery substance, and rose up aloft; the fire was light and keen, and active. And therewith the air too, being light, followed the fire, and mounted up till it reached the fire, parting from earth and water."
94 Ich habe die Ausgabe per Joannem Schoeffer, Mainz 1503 benutzt.
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100 PETER DREYER
dem es behandelt worden ist. Dann setzet es auf ein leichtes Feuer, bis die Tafeln zer- brechen und zu Wasser, d. h. Ethelia werden. Mischet und kochet und verwandelt in leichtem Feuer, bis eine fettdihnliche Bruihe entsteht95.<< Bei Geber heiBt es, die Voll-
endung der LUsung sei die Vorbereitung des Werkes und sein Ende, >>perfectio solutionis est preparatio operis et perfectio eius<< 96. Dies erfordert die Natur des gesuchten Steins.
>>Lapis enim est haec ipsa permanens aqua, et dum aqua est, lapis non est - Der Stein
naimlich ist dieses bleibende Wasser, und solange er Wasser ist, ist er nicht Stein 97.0
Nach der Aufforderung, zum Werk zu schreiten und den Saft des Steins herzustellen
(operari ius lapidis) folgen einige Erlaiuterungen zum Stein und zum Magisterium, die
vollkommen mit den Lehren der Alchimie iibereinstimmen, nimlich, daB der Stein, wie
schon aus den oben angeffihrten Zitaten bekannt, teuer, wohlfeil und billig ist.
II. Das zweite Distichon lehrt, die res certa sei einig und bestehe doch aus den vier
Naturen und der Wolke. Winner deutet die vier Naturen des Steins als dessen vier Elemente, und tatsSichlich
ist der Stein nach alchimistischer Lehre aus den vier Elementen Wasser, Erde, Luft und
Feuer zusammengesetzt. Natura muB aber nicht unbedingt mit Element iibersetzt wer-
den, wenn es auch nahezu die gleiche Bedeutung hat. Im Traktat >>Aristoteles De per- fecto Magisterio<< beispielsweise werden elementa und naturae unterschiedlich definiert.
Es heiBt dort: >>Elementa quatuor sunt, ignis, aer, aqua & terra: ... Naturae sunt qua-
tuor, caliditas, frigiditas, humiditas & siccitas98.?<
Andererseits kinnen elementum und natura auch als identisch betrachtet werden, wie
ebenfalls aus Aristoteles, aus dem >>Tractatulus de Practica Lapidis Philosophici<< hervor-
geht. Hier sagt der Autor, es gebe keine generatio >>nisi ex quatuor naturis quae sunt
quatuor elementa<< 99. In unserem Text ist zu bemerken, daB die >Wolke<< - unter anderem auch ein Deck-
name fiIr Quecksilber - als Fiinftes zu den vier Elementen hinzutritt, also die quinta essentia bezeichnen diirfte, ohne die nichts aus den Elementen entstehen kann und die
als erneutes simplex deren Synthese ist. >>Essentia quinta dicitur, quia est aliquid praeter elementa, nec ex crasi horum ortum, divinum auctore & effectis100.<< Wohl ist die Wolke an und fiir sich Wasser, also eines der beiden niederen Elemente, doch entsteht sie durch
Erhitzung des Wassers, erhebt sich in die Luft und vermittelt zu den oberen Elementen
Luft und Feuer. Nubes ist aber nicht nur vapor, sondern auch nimbus und pneuma und
95 Turba, 10. Sermon, S. 118, 186/187. 96 Darmstaedter, S. 195, Z. 479. 97 Zitiert nach C. G. Jung, Alchemie, S. 148, Anm. 52. Ganz aihnlich auch das Tractat Massa aurea,
vgl. Anm. 90: >>Soluitur igne rata lapis est aqua fixa gelata<, das als Zitat auch in Bibl. Chem. Cur. II, S. 94 erscheint, Zur Losung: Al Razi, vgl. Anm. 108: >Et scias quod liquefactio est radix huius, et in ea est totum absconditum. Ergo solvas eum sicut volueris, aut in stercore, aut in balneo<, S. 62; oder Splendor Solis, Staatsbibliothek, vgl. Anm. 79, fol. 47 r: >Das Erste, So sich gebiiret in der Kunst Alchimiae ist die Aufflosung. Denn es erforderts die Ordnung der Natur, daB der Corpus in ein Wasser gekehret werde.<<
98 Zitiert nach Mu 454 S. 114, 115. 99 Zitiert nach Bibl. Chem. Cur. I, S. 659.
100 Lexicon Chymicum Authore Gulielmo Johnsoni6 Chymico, zitiert nach Bibl. Chem. Cur. I, S. 240. Im gleichen Lexikon befindet sich unter Quinta Essentia eine ausfiihrlichere abweichende Definition.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 101
gelangt damit in die g6ttliche Sphdire. Sie kann >sowohl das Gewandelte als auch das
Wandelnde, das agens und patiens im opus<< bedeuten 101, dariiber hinaus kann nubes auch als Bezeichnung ftir die prima materia selbst erscheinen. Die materia prima wird bei Rulandus mit fiunfzig verschiedenen Namen genannt, darunter auch >Nubes, dann sie
gibt himmlisch Wasser / Tauff vnd Regen / auff ihre eigne Erden<<102'. Was nur aus vier Elementen zusammengesetzt ist, bleibt leblos, die quinta essentia allein ist belebend, ist nubes vivificans 103. >>Sic & res quam quaerimus est respectu quatuor qualitatum corporis nostri, quinta Essentia, in se incorruptibilis ... Et dixi quod quintam Essentiam creauit Altissimus 104.<< Es ist also nicht verwunderlich, wenn es in den Carmina Hehodori heiBt, der Stein finde sich, wo immer Menschen wohnen, er gehe vom Meer in die Wolken
empor und schreite ubers Meer im Wolkenkleide und sitze in der Wolke wie ein leichter
Rauch, erh6ht durch ein inneres Feuer•os. Da der Stein selbst als prima materia auch nubes sein kann, kann auch er gemeint sein, der Deo concedente als FUinftes die Einheit aus den vier Elementen oder Naturen darstellt:
>>Quintum quod praestant philosophorum lapis est 06.<<
III. DaB kein Ding, also auch der Stein anfanglich etwas Mineralisches sei, erlautert den Eingangssatz, der den ignari die Pflicht auferlegte, das Wasser des Steins als ersten Schritt zum Wasserstein der Weisen herzustellen, und die Aufforderung wird durch den Hinweis ergdinzt, daB das gesuchte Ding tatsachlich iiberall auffindbar sei. DaB es an-
flinglich kein Stein ist, da es ja Wasser ist, daB es aber Stein ist, in welcher Gestalt es ndmlich gefunden werden kann, besagen sowohl die Zitate aus Hermes wie das oben zitierte Wort >>lapis enim est haec ipsa permanens aqua, et dum aqua est, lapis non est<< 107,
oder >>Soluitur igne rata lapis est aqua fixa gelata<< 108
101 Vgl. M.-L. v. Franz, S. 201 bzw. 200 ff. Zur Wolke als belebendes Prinzip, >>nominant hanc aquam Nubem vivificantem?, S. 2537 Anm. 26. Im Tractat selbst, S. 70, heil3t es: >>Emitte spiritum tuum, hoc est aquam<<, womit die Beziehung zu pneuma verdeutlicht wird. Dem entspricht auch die Bemerkung, der heilige Geist taufe im Flusse, im Blut und in Feuerflammen. Dies entspricht recht genau dem Programm, das den Mosaiken der Taufkapelle in St. Peter zu Rom zugrunde liegt, wo in der Kuppel die dreifache Taufe durch Wasser, Blut und Desiderio dargestellt ist, vgl. P. Dreyer, R6mische Barockzeichnungen aus dem Berliner Kupferstichkabinett, Berlin 1969, Nr. 150. Zur Bedeutung des vapor vgl. ferner M.-L. von Franz S. 303/304.
102 Vgl. Anm. 62, S. 323. 10o Vgl. Anm. 101.
104. Joannes de Rupescissa, Liber primus de Consideratione Quintae Essentiae omnium rerum, zitiert
nach Mu 454, S. 367. 105 Edition G. Goldschmidt, Heliodori carmina quattuor ..., Religionsgeschichtliche Versuche und
Vorarbeiten, XIX, 2, GieBlen 1925, p. 28, Vers 70 ff. Hier zitiert nach M.-L. von Franz, S. 285. 106 Tractatus aureus de Lapide Philosophorum, zitiert nach Musaeum Hermeticum, S. 41; nubes als
direkte Bezeichnung fiir ]apis findet sich bei Lapidis Philosophici nomenclaturae, k Guglielmo Gratarolo collectae, zitiert nach Mu 454, S. 598.
107 Vgl. Anm. 97. 108 Vgl. Anm. 90 und 97. Der Hang der Alchimisten zum Quecksilber scheint sich zum Teil aus dessen
Doppelnatur als Metall und Fliissigkeit zu erklairen. Hieraus diirfte die Olberzeugung entstanden sein, es sei sozusagen die prima materia proxima, aus der die Metalle entstehen kinnen (>>Est in mercurio quic- quid quaerunt sapientes<<, vgl. Anm. 55), und in der Tat findet sich in Al Razis De Mineralibus Liber schlieflich die Mitteilung: >>Vom Quecksilber . . . Wisse, ... daB3 Gott aus ihm alle Minerale geschaffen hat. - Scias, quod... Deus ex eo creavit omnes mineras<<, vgl. J. Ruska, Das Buch der Alaune und Salze. Ein Grundwerk der splitlateinischen Alchemie, Berlin 1935, S. 90/58.
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102 PETER DREYER
Der Vollstandigkeit halber sei noch auf die Bedeutung einzelner Worter hingewiesen.
Ignari - die Unwissenden, m6chte ich nicht im Sinne von >Dummk6pfe<< gedeutet wissen. Die Forscher werden in den Traktaten verschieden benannt, als Fromme,
Arme, Schiiler, Meister; das Wort ignari habe ich in dem Sinne nicht gefunden, es diirfte aber ebenfalls den Forscher bezeichnen, denn an ihn ergeht ja die Aufforderung zu
arbeiten 109. res ferre - Sachen tragen ist eine notwendige Voraussetzung fiir das opus, wie aus dem
Wort Lpost<< hervorgeht. Was es heiBt, weiB ich nicht, es k6nnte das Zusammentragen der notwendigen Utensilien oder die Beschaffung der prima materia gemeint sein, doch
ist v. Lenneps Deutung, Wissenschaft erwerben, nicht vollig abzulehnen, denn auch das
geh6rt zu den Voraussetzungen des Werks lo operari - bewirken, bewerkstelligen, herstellen, ist ein in der alchimistischen Literatur
eindeutig aufs opus zu beziehendes Verb.
reperire - auffinden, setzt eine Bemiihung voraus.
Es soll noch erwahnt werden, daB unica res nicht nur die einige Sache, sondern auch
die einzige Sache heiBen kann, wodurch das Wort sed, iibersetzt man so, einzig<< und
>iiberall auffindbar<< gegeniiberstellen wiirde, wdihrend die rein alchimistische Lesart
>einig<< den >vier Naturen<< entgegensetzte. Auch ius ist doppeldeutig, denn es heiBt
aul3er Briihe noch Recht, principalis - principialis erlaubt auBer dem Hinweis auf prin-
cipium auch den auf princeps, kann also anf inglich und vornehmst heiBen, vgl. van Len-
neps >primordial<. ibersetzt man lingere Perioden, so ergeben sich Sinne wie, die unica
res sei nichts Mineralisches; isoliert man die 5. Zeile, so erhalt man den Nebensinn: Nie
handelt es sich um etwas Mineralisches, wo es sich um das Hauptsdichliche, Vornehmste
handelt.
Die >Zweideutigkeiten einer widersinnigen Lehre<< werden in dem alchimistischen Text unter Bruegels Darstellung in kaprizi6se Verse gekleidet, in denen sich alchimi-
stische Zuversicht und alchimistische Weisheit zeigen. Die Bemiihung um den Stein der
Weisen ist als sinnvoll und als moralische Pflicht dargestellt, wie das debent am Anfang,
sie miissen, sie schulden, zu erkennen gibt. Eine Verspottung des irrenden Alchimisten oder gar der Alchimie ist dem Text nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, er steht nicht nur
inhaltlich, sondern sogar in seiner Form in der Tradition alchimistischer Literatur.
109 Das Wort wird aber auch in negativer Bedeutung gebraucht. In Lapidis Philosophici Nomen- claturae, g Guglielmo Gratarolo collectae, heiBl3t es: ?Vnum est in mundo obiectum omnium, quod proprie dicitur Philosophorum: in testudine manet, album & rubeum in se continet: vnum masculus, aliud foemina nuncupatur, animale, vegetabile & minerale: nullum reperitur tale, actiuam vim habet & pas- siuam, substantiam mortam & viuam secum habet, spiritum & animam, quam vocant ignari rem vilissimam: quatuor continet elementa in suo gremio contenta: vbi est, reperitur: ab omnibus communiter habetur: paruo redimitur precio<, zitiert nach Mu 454, S. 600. Auch in Hermetis Trismegisti Tractatus aureus de Lapidis Physici Secreto wird das Wort negativ gebraucht. >>Filii sapientium, Philosophi hac de causa invidi dicti sunt, non quod invideant moratis, nec religiosis, nec legitimis, aut sapientibus: verum ignaris, vitiosis, lege & benignitate carentibus, ne mall potentes fiant ad peccata perpetranda, & inde Philosophi sint Deo reddituri rationem. Nam omnes mali indigni sunt sapientia. < Zitiert nach Bibl. Chem. Cur. I, S. 415.
o10 Vgl. Richardus Anglicus in Bibl. Chem. Cur. II, S. 267: >>in primis necesse est per studium hujus suavis operis scientiam acquirere<<.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 105
Rhythmen und Reime entsprechen solchen, die in der mittelalterlichen alchimistischen Poesie gebriuchlich sind, man vergleiche etwa den Vers, den Arnaldus de Villanova im Liber dictus Thesaurus Thesaurorum, & Rosarium Philosophorum mitteilt:
>>Dissipa rem captain prius per partem satis aptam, Leviter extractam sic massa contere factam. Haec non festine, sed temporis ordine sine Albumen urinae disponit membra ruinae 1.<<
Es sollte mich nicht wundern, wenn sich unser Bildgedicht friiher oder spiter in einem alchimistischen Traktat nachweisen lieBe. Ich habe es nicht auffinden kinnen. Auch wie der Text zu datieren ist, bleibt mir unbekannt. Seine auf3erliche Form paBt weniger zu einer Zeit, deren Dichtung sich gern an klassische antike Literatur anschlol3, als in eine mittelalterliche Tradition, hierin der Stellung von Bruegels Alchimistenszene verwandt.
Die Aufgabe eines Bildgedichtes ist die Erlauterung des Bildes, das durch den Text
spricht. In unserem Falle weist das Bildgedicht auf die Existenz und Auffindbarkeit des Steines hin und fordert zu seiner Bereitung auf. Wie vertragt sich das mit der Darstel-
lung eines irregeleiteten Alchimisten, der sich schlieBlich vom Irrtum abwendet und ins
Armenhaus geht? Da der sensus literalis des Textes mit der Darstellung unvereinbar
bleibt, soll untersucht werden, ob hinter ihm nicht ein ihnlicher allegorischer Sinn zu finden ist, wie hinter der Zeichnung. Dies ist auch deswegen notwendig, weil die alchimi- stische Wissenschaft oft genug glaubte, vor dem Verstindnis ihrer Texte quantum ad literam warnen zu mtissen112. >>Littera occidit, spiritus autem vivificat<< zitiert die Aurora
consurgens den Apostel Paulus"a3 bei der Erliuterung der dreizehnten Forderung an den Forscher, niimlich der geistigen Disziplin oder Einsicht - spiritualis disciplina sive intellectus 1 . Im letzten Kapitel seiner Dissertatio De Lapide Philosophorum stellt Atha- nasius Kircher in vierzehn Rubriken die falschen Alchimisten den wahren Alchimisten und Philosophen antithetisch gegeniber, endend mit dem Hinweis: >>Falsi Alchymistae de auro Alchymico loquuntur materialiter. Veri de eo loquuntur mystice, & alle-
gorice .. . .<< So finden wir noch im 17. Jahrhundert bei den Alchimisten die gleiche
Aufforderung wie im Mittelalter bei Dante: hinter einem w6rtlichen Sinn der Texte nach einem allegorischen oder mystischen zu suchen.
Es lassen sich genaue U'bereinstimmungen zwischen der danteschen Deutung nach den vier Wortsinnen und alchimistischer Betrachtungsweise nachweisen, denn das opus hat
111 Zitiert nach Bibl. Chem. Cur. I, S. 667. 112 Vgl. oben S. 95, 94 Arnaldus oder auch das Liber Saturni >.... phylosofi scripserunt libros suos solum
filiis, idest his qui perfecte intelligunt illos, sed pauci sunt qui intelligant quia ignorantes intelligunt secundum litteram, cum intellectus litteralis nihil valeat, ideo qui secundum litteram operatur consumit diuitias, et defectum sue
ignoranti, flet perpetuo non igitur culpam nobis sed sue ignorantie ac temeritati
imponat, nonne audisti dicere, si cecus cecum duxerit ambo in foueam cadunt: sunt enim aliqui laici qui hanc scientiam intelligere uolunt et litteras nesciunt, et tales uocatur ceci.<< Zitiert nach Ms. lat. fol. 532, fol. 165 r. und 165 v.
113a II. Kor. 5, 6. 114 M.-L. von Franz, S. 100/101. 115 Zitiert nach Bibl. Chem. Cur. I, S. 110.
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104 PETER DREYER
vier Aspekte, die in aufsteigender Linie, den Elementen entsprechend, exakte Parallelen zu Dante erlauben. In >>Platonis Quartorum cum Commento Hebuhabes Hamed: expli- catus ab Hestole<< 116 versucht Hebuhabes dem Thebed die Biicher des Philosophen in eine
Ordnung zu bringen, die einen leichteren Zugang zur Natur erlaubt. >>Volo aliquantulum modificare sermonem, & miscere aliud simile, & appropinquare naturae ut faciliter reci-
piat.<< Die Texte, die fiir unsere Problematik am wichtigsten sind, lauten wie folgt: >>Ordinabo hos libros ordinatione, qua juvabitur inquisitor, & ad intelligendum excita-
bitur in ejus lege. Primus itaque liber, cum sit studiosus in natura, est de opere natura-
lium: Liber vero secundus, in exaltatione divisionis naturae est expositurus quid separe- tur & praeparetur: Tertius vero liber in exaltatione animae, cum sit separatio naturae, & ingenium in conversione sua a materia sua: Liber vero IV. est in exaltatione intellectus, est sicut praeparatio totius, & conversio naturae ad simplex, & simplicis ad naturam, & praeparatio acquisita & adjuvata, & necesse est in eo elevari ab animalitate, plus quam natura, ut assimuletur praeparationi ipsis intelligentiis altissimis veris. Vel si vis potes illas comparare elementis. Et fac primum librum elementum aquae, cum sit fundamen- tum naturae: Secundum librum fac elementum terrae, cum sit super aquas in natura. Et tertium librum fac elementum aeris, cum sit super terram, & est illud, per quod, & per cujus introitum convertuntur elementa: Et Quartum librum fac elementum ignis, qui est super omnia elementa, & agit in eis. Item ordinabo eos tertia ordinatione: Et faciam
primum librum naturarum compositarum: Secundum naturarum discretarum: Tertium
simplicium: Et Quartum aetheris simplicioris. Et complebo ordines quatuor secundum
numerum elementorum, comparabo ergo primum librum sensui: Secundum notis diffe-
rentibus ad discretionem intellectualem: Tertium rationi vere dirigenti ad veritatem: Et Quartum rei quam concludunt hi effectus praecedentes.<<
Zur Erkenntnism6glichkeit wird erlautert: >>Per animale est quod cognoscitur naturale, sicut per intellectuale est, quod scitur
animale: intelligentia vero prohibet nos natura, a circuitu in ipsa. In sermonibus istis
comprehendit Philosophus causam initii & finis esse ejus, & rem ex qua sunt res, cujus positione non est dignus liber iste, quoniam superexaltat ipsum: necesse tamen est mihi
aperire ex eo id, per quod perficiam intellectum sermonum philosophi. Et nisi opinaretur de me quod ignorassem illud, dimisissem ad aliud, sed breviter praeter complementum, scias quod scientia antiquorum quibus appraeparatae sunt scientiae & virtutes, est quod res ex qua sunt res est Deus invisibilis, & immobilis, cujus voluntate intelligentia condita
est, & voluntate, & intelligentiae est anima simplex, per animam sunt naturae discretae, ex quibus generatae sunt compositae, & indicant quod res non cognoscitur nisi per suum
superius. Anima vero est super naturam, & per eam cognoscitur natura, sed intelligentia est superior anima, & per eam cognoscitur anima, & intelligentia noscit, & quid superius ea est & circundat earn Deus unus, cujus qualitas apprehendi non potest.<<
Wie unerreichbar das ist, was fiber die anima hinausgeht, zeigt auch der Satz: Et
dixit philosophus in libro Dialogorum: >>Circuivi tres coelos, scilicet coelum naturae com-
positae, coelum naturae discretae, & coelum animae. Cum autem volui circumire coelum
116 Zitiert nach Theatr. Chem. V., S. 122, 123, 129, 150.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 105
intelligentiae, dixit mihi anima, non habes illuc iter, & attraxit me natura, & attractus 116 sum .<(
C. G. Jung hat die vier Biicher, die vier Elemente, was erkannt wird und was erkennt in einer Tafel von vier Horizontal- und vier Vertikalreihen zusammengestellt, so daB die
komplizierten Aussagen bei ihm relativ iibersichtlich erscheinen. Ich habe seine Tafel
iibernommen, um dem Leser Verstandnis und Kontrolle zu erleichtern, wenn ich nun versuchen werde, die alchimistische Aussage an Hand von Bruegels Alchimistenblatt und dieses an Hand der verschiedenen Aspekte zu erliutern und damit vor Augen zu stellen, wie nahe die alchimistische Betrachtung der Danteschen Deutung nach dem vierfachen Wortsinn steht.
I 1. De opere naturalium.
(Ober das Werk der natiirl. Dinge).
2. Exaltatio divisionis naturae. (Heraus- hebg. [od. Erh6hung] der Teilung der Natur).
3. Exaltatio animae. (Heraushebg. [od. Erhihung] der Seele).
4. Exaltatio intellectus. (Heraushebg. [od. Erh6hung] des Verstandes).
II 1. Elementum aquae.
2. Elementum terrae.
5. Elementum aeris.
4. Elementum ignis.
III 1. Naturae compositae.
(Zusammengesetzte Naturen).
2. Naturae discretae. (Unterschiedene Naturen).
3. Simplicia. (Einfache Dinge).
4. Aetheris simplicioris. (Dinge d. noch ein- facheren Aethers).
IV 1. Sensus. (Sinne).
2. Discretio intellec- tualis.
(Verstandesm~i3ige Unterscheidung).
3. Ratio. (Vernunft).
4. Res quam concludunt hi effectus prae- cedentes. (Die Sache, welche d. vorausgehenden Wir- kungen in sich beschlieBen). 117
Der geringste Aspekt entspricht dem Wasser und geht von der Betrachtung der naturae
compositae durch die Sinne aus. Das erste Buch heil3t daher De opere naturalium. Diese
Sinne, in unserem Falle das Auge, vermochte bei der Betrachtung der Bruegelzeichnung den Alchimisten wahrzunehmen, der laboriert und schlieBlich im Armenhaus endet. Die zweite Betrachtung, dem Element Erde entsprechend, erkennt durch die verstandes-
mfiBige Unterscheidung, die discretio intellectualis die naturae discretae. Wie aus dem
Chaos, der wiBfrigen Substanz bei Hermes, sich die Elemente abscheiden und hervor-
heben, so beginnt im zweiten Aspekt der Betrachtung durch die discretio intellectualis die Trennung zwischen dem Hist6rchen des Alchimistenblattes und seinen allegorischen Bedeutungen zu erscheinen. Nicht mehr das Auge, sondern die discretio intellectualis
vermittelt uns die Bedeutung, in der nunmehr das Hospital das Erl6sungswerk Christi,
der Gelehrte das B6se und die Hospitalvorsteherin die bonitas symbolisiert. Dem Buche De opere naturalium folgt daher als zweites das Buch Exaltatio divisionis naturae. Die dritte Betrachtungsweise erkennt mittels der Vernunft, der ratio, dem Element der Luft
117 Vgl. zu all dem C. G. Jung, Alchemie, S. 302-306, die Tafel auf S. 304. >Intellectus<< wiirde ich lieber auch auf der Tafel mit >Einsicht< als mit >>Verstand"
iubersetzen.
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106 PETER DREYER
entsprechend, die simplicia, die einfachen Dinge. Es ist die Vernunft, die wirklich zur Wahrheit fiihrt - ratio vere dirigens ad veritatem, und so heiBt das dritte Buch Exaltatio animae. Die Vernunft ist die Grundlage des Handelns. Sie l iBt in Bruegels Blatt ad moralem sensum die Abkehr der Seele von der Trauer und der Not der Siinde erkennen, conversio animae de luctu et miseria peccati, und die Hinwendung zur Gnade, ad statum
gratiae. In der Alchimistenzeichnung wird dies durch den Gang ins Hospital dargestellt. Der vierte Aspekt entspricht dem hichsten der Elemente, dem Feuer. Aetheris simpli- cioris, Dinge des noch einfacheren Athers werden erkannt; das vierte Buch heiBt daher Exaltatio intellectus. Die res quam concludunt hi effectus precedentes, die Sache, welche die vorausgehenden Wirkungen in sich beschlieBen, folgt als h6chstes in der Reihe sen-
sus, discretio intellectualis und ratio. Dieser vierte Aspekt ist rein g6ttlich, entspricht doch auch das Feuer dem heiligen Geist, gibt es fiber den einfachen Dingen nur noch das sim-
plex selbst. Die res erliutert das Traktat daher als den unsichtbaren und unbeweglichen Gott. Mit Dante k6nnen wir also hier von einem aspectus anagogicus sprechen, und indem wir diesen Aspekt alchimistischer Betrachtung auf Bruegels Alchimisten anwen-
den, gelangen wir in Dantes sensus anagogicus zum exitus animae sanctae ab huius
corruptionis servitute ad aeternae gloriae libertatem. Eine hihere Stufe gibt es nicht. Der Unterschied zwischen Dantes sensus moralis und anagogicus ist dihnlich schwer zu fassen, wie der Unterschied zwischen dem dritten und vierten Aspekt im alchimistischen Traktat, weil schon der dritte in die hiichste Sphdire menschlicher Vorstellungskraft hineinreicht. Beide Male aber geht der vierte Aspekt fiber alles Begreifbare hinaus in die unwandel- bare Ewigkeit des Einfachen l18
Eine Deutung von Bruegels Alchimistenblatt von 1558 nach Dantes Schema vom vierfachen Wortsinn mochte oben unvermittelt und unbegriindet scheinen, weil es ja keinerlei Hinweise auf eine Verbindung mittelalterlichen Denkens mit dem Blatt gab, das in eine humanistisch-satirische Tradition gestellt wurde. Aus der alchimistischen Be-
trachtung ist sie vollkommen gerechtfertigt, denn die alchimistische Betrachtung des
opus entspricht Dantes Denkweise. Das Zitat aus Platonis Quartorum ist dabei nicht der
einzige Beleg in der alchimistischen Literatur filr die Notwendigkeit einer Unterschei- dung der Welt in einen Bereich der niederen und in einen der oberen Schipfung, deren erster durch die fiinf Sinne wahrgenommen wird, die jedoch keinen Zugang zur oberen
Sch6pfung haben, >>die weder gesehen, noch wahrgenommen, sondern nur durch die Ver- nunft aufgefaBt wird - nec videtur nec sentitur, sed tantum ratione percipitur<< 119 Ja, zu
118 Vgl die oben angefiihrten AuBlerungen iiber Gott, >>cuius qualitas apprehendi non potest<< oder den coelum intelligentiae >>non habes illuc iter<<.
119 Bei der Turba heil3t es im 7. Sermon, S. 115/114: >>Quod nescitur est coeli: quod (vero) sentitur et videtur est, quod sub coelo est usque in terramin. Et
nescitur quod in hoc mundo est ratione absque quinque suis clientibus, qui sunt visus, auditus, gustus, odoratus et tactus. Nonne videtis, philosophorum Turba, quod non nisi visu albedinem a nigredine ratio potest discernere...? ... Scitote, quod creatura, quae nullo istorum quinque cognoscitur, est creatura sublimis, quae nec videtur nec sentitur, sed tantum ratione percipitur; qua ratione natura percipiens Deum esse fatetur.... Sciatis, quod haec creatura, mundus scilicet, lucem habet, quae est sol, qui omnibus est subtilior creaturis; quem posuit (Deus) esse lucem, qua creaturae ad visum in hoc mundo per- veniunt .... Huic igitur mundo Deus solem esse lumen constituit propter tenuem solis naturam. Et scitote, quod hujus solis luce creatura sublimis non indiget, eo quod sol sub illa sit creatura, quae eo subtilior est
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 107
der oberen Sch6pfung muB auch der Stein gehoren, >der mit den Sinnen nicht faBbar
ist, sondern allein durch den Intellekt - qui sensu non comprehenditur sed intellectu
solum<< 120
Der Verfasser unserer lateinischen Verse muB, will er als wahrer Philosoph angesehen
werden, hinter seinem buchstiblichen Sinne einen allegorisch-mystischen verbergen, auf
den es eigentllch ankommt, der kraft der discretio intellectualis hervorgehoben werden
kann und der schlieBlich ad moralem sensum und ad sensum anagogicum, um mit Dante, zur exaltatio animae und exaltatio intellectus fiihrt, um mit der Alchimie zu sprechen.
Wenn ich bisher versucht hatte, Ubersetzung und Deutung unseres Textes auf einen Stein zu beziehen, der nicht viel mehr war als der Katalysator in einem chemischen Pro-
zeB, so deshalb, well ein simultanes Interpretieren in Mehrdeutigkeiten zu Verstaindi-
gungsschwierigkeiten fiihrt. Das alchimistische Schrifttum nahm allerdings keine der-
artigen Kiicksichten auf den Leser. Auf das simultane Verstdindnis aller Deutungsm6ig- lichkeiten kam es der Alchimie ja gerade an, und deshalb die Freude der sacerdotes tiber das wahre Erfassen der Zweideutigkeiten einer widersinnigen Lehre, von der in unserem
Motto die Rede ist. Um ein einfaches Beispiel vorauszuschicken: Bei der einleitenden
Beschreibung des Steines und des Magisteriums wurde Morienus zitiert: >>Huius rei
prima et principalis substantia atque materia est una, et ex ea est unum121.<< Ver-
et lucidior. Illam autem lucem, quae est solis luce subtilior, a Dei luce ceperunt, quae est eorum luce sub- tilior. Et scitote, quod creatura, mundus scilicet, ex duobus densis et duobus raris creata est, et nihil densorum sublimi inest creaturae. Ideoque et sole et omnibus inferioribus est rarior creaturis.<< - S. 180/ 181: >>Was nicht gewuBt wird, gehort zum Himmel; was aber wahrgenommen und gesehen werden kann, ist das, was unter dem Himmel bis zur Erde reicht. Und was in dieser Welt ist, kann durch die Vernunft nicht gewuBt werden ohne ihre fiinf Diener, namlich das Gesicht, das Gehor, den Geschmack, den Geruch und das Gefiihl. Seht ihr nicht, Versammlung der Philosophen, daB die Vernunft nur durch das Gesicht das WeiBe vom Schwarzen unterscheiden kann ...? Wisset, daB die Sch6pfung, die durch keinen dieser fiinf (Sinne) erkannt werden kann, die obere Schopfung ist, die weder gesehen, noch wahrgenommen, sondern nur durch die Vernunft aufgefal3t wird; durch diese Vernunft auffassend bekennt die Natur, daB es einen Gott gibt.... Wisset, daB diese Sch6pfung, namlich die Welt, ein Licht besitzt, das die Sonne ist; die feiner ist als alle Schopfung, die Gott als das Licht gesetzt hat, durch das die Geschdpfe in dieser Welt zum Sehen gelangen.... Fiir diese Welt hat Gott also die Sonne als Licht gesetzt wegen der feinen Natur der Sonne. Und wisset, daB die obere Schdpfung dieses Sonnenlichts nicht bedarf, weil die Sonne unter- halb jener Schopfung steht, die feiner und leuchtender ist als sie. Jenes Licht aber, das feiner ist als das Licht der Sonne, haben sie vom Lichte Gottes empfangen, das feiner ist als ihr Licht. Und wisset, daB die (niedere) Sch6pfung, niimlich die Welt, aus zwei dichten und zwei feinen Elementen geschaffen ist, und daB von den dichten nichts in der oberen Schipfung enthalten ist. Darum ist sie auch feiner als die Sonne und alle unteren Gesch6pfe. <<
120 Petrus Bonus sagt in der Pretiosa Margarita Novella, das Werk geschehe >>durch die Hinzufiigung des geheimen Steines, der mit den Sinnen nicht faBbar sei, sondern allein durch den Intellekt, durch Inspiration oder gottliche Offenbarung oder durch die Lehre eines Wissenden... es gebe in dieser Kunst zwei Kategorien: das Anschauen durch das Auge und das Verstehen durch das Herz, und dies ist der verborgene Stein, der eigentlich ein Geschenk Gottes bedeutet, und das ist der g6ttliche Stein, ohne dessen Beimischung zum lapis die Alchemie nicht bestehen konnte, da er ja die Alchemie selber ist ... Und dieser gottliche Stein ist das Herz und die Tinktur des Goldes, welche die Philosophen suchen. -... et hoc fit per adjectionem lapidis occulti, qui sensu non comprehenditur, sed intellectu solum per inspirationem, vel revelationem divinam, aut per doctrinam scientis... et dixit Alexander: Duo sunt in hac arte ordines, scilicet aspectus oculo intellectusque corde. Et hic lapis occultus est, qui proprie dicitur donum Dei ... Et hic est lapis divinus occultus sine cujus commixtione lapidis potenti annihilatur Alchemia, cum ipse sit ipsa Alchemia..., & hic lapis divinus est cor & tinctura auri quaesita a philosophis." Zitiert nach Bibl. Chem. Cur. II, S. 29, deutsch nach M.-L. von Franz, S. 158.
121 Vgl. Anm. 80.
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108 PETER DREYER
gleicht man diese Aussage mit Thomas von Aquin, >>Sicut Deus est unus, ita et unum
produxit<< 22, so wird deutlich, wie nahe sich alchimistische und theologische Aussagen kommen kinnen und wie nahe eine theologische Deutung neben der alchimistischen
liegt, ja, daB Alchimie und Religion bisweilen gar nicht zu trennen sind; >. .. et ideo fili
scias istam scientiam nihil aliud esse, quam perfectam Dei inspirationem<<l23. Soviel zur
Voraussetzung. Stellen wir noch einmal den sensus mysticus der Zeichnung vor Augen: Das Heil liegt
in der Gnade Gottes, die Christi Kreuzestod den Menschen erschlossen hat (redemptio facta per Christum). Die Siinde zu lassen und sich der Gnade zuzuwenden ist die mora-
lische Aufgabe der Seele (conversio animae de luctu et miseria peccati ad statum gratiae). Hierdurch gelangt sie zu ihrem letzten Ziel und findet Eingang zu Gott (exitus animae
sanctae ... ad eternae gloriae libertatem). Bruegels Alchimist wendet sich der Gnade
erst in der Verarmung zui in der Verirrung der Siinde sieht er das Heil zunachst im
Reichtum. >>Wer siindigt, der wendet sich ab von dem, worin die Wesenheit des letzten
Zieles in Wahrheit sich findet, nicht aber h6rt er auf, das letzte Ziel eigentlich zu meinen, das er vielmehr failschlich in anderen Dingen sucht 124.<< Dem Alchimisten soll der Stein
Mittler zum Heil, also zum letzten Ziel sein. Im Gedichttext unter dem Stich werden nun
sowohl die Existenz als auch die Auffindbarkeit des Steines betont und der Unwissende
wird aufgefordert, ihn zu suchen. Wenn diese Aufforderung einen Sinn haben soll, so
muB3 der Stein die Kraft haben, Heil zu bringen. Damit dringt sich die Parallele zwischen dem Stein der Weisen und Christus auf. Der Sprung zu dem Bibelwort >>Der Stein, den
die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden<< oder zu dem Satz >Siehe, ich
lege in Zion einen Grundstein<<l25 ist schnell getan und liBt den Text in verdindertem Licht erscheinen.
Versucht man also, in lapis Jesus Christus zu erkennen, so ergibt der Text durchaus
auch Brauchbares. Denn der Stein Christus ist kein Mineral. Als Mensch besteht er aus
den vier Naturen als quintum, zusammengesetzt und doch Individuum 126. Der Stein Jesus
Christus ist das Vornehmste, Hauptsdichliche und als Gott auch Urspriingliche; er ist
allerorts auffindbar, und sei es in der Giite der Werke der Barmherzigkeit, auf die das
122 S. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici Questiones Disputatae, Vol. II, Marietti, Turin/Rom 1953, De Potentia, q. 3, a. 16 (S. 89).
123 Zitiert nach Ms. lat. fol. 5352, fol. 165 r. Ferner >>Ego autem dico quod scientia vera ex una sola re fieri consueuit, nec aliquid sibi additur vel minuitur, et illa res uocatur Androp(os) uel lapis superior uel altior huius mundi, per Deum profecto suum nomen proprium denominamus quod phylosofi fingere uoluerunt<, ibidem fol. 165 v. und 166 r.
Der zweite Teil der Aurora consurgens weist ebenfalls auf die Heiligkeit der Wissenschaft hin und betont gleichzeitig die theologische Aussage im ersten Teil. ?In den vorigen capitteln ist einem ver- stendigen genugsam angezeigt vss den spriichen der heiligen gschrift das dise kunst nichtz anders ist dan(n) ein gabe gottes vnd ein heilich ding<, zitiert nach Ms. germ. quart. 848, fol. 21 r. (nach der alten Foliierung). Vgl. auch Anm. 84.
124 Thomas von Aquin, vgl. Anm. 11; deutsch nach J. Pieper, S. 75. 125 Ps. 118, 22; Jes. 28,16. 126 >>Dye vier elementen sind / Getailet an aller menschen kind<<, Deutsche Gedichte des 11. und
12. Jahrhunderts, vgl. Anm. 54, in den Anmerkungen zu den Vier Evangelien, Anm. S. 78. >>.... denn wie dieses Haus aus vier Wiinden besteht, so besteht der Tempel unseres K6rpers aus den vier Elementen<, Honorius von Autun zu I. Kor. III, 17, zitiert nach M.-L. von Franz, S. 321.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 109
Hospital anspielt. Jesus Christus ist teuer, er wurde wohlfeil verkauft, fUr dreiBig Silber-
linge, er ist die einzige sichere Sache.
Ja, auch andere Epitheta, die normalerweise mit dem lapis philosophorum verbunden
werden, in unserem Text aber nicht vorkommen, werden ebenso auf Christus bezogen 27
Schhef3lich wird auch die Anzahl der W6rter unseres Textes, 59, einen Hinweis auf Christus enthalten. Die Zahl entspricht der Summe der griechischen Zahlwerte des
Christogramms 7z (22 + 1 7) und kann stellvertretend fiir das nomen sacrum Zg = Chri- stus stehen 127a
Das Psalmwort >>Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein ge- worden<< ist bereits im Gleichnis von den b6sen Weinbauern eindeutig auf Jesus Christus
bezogen l28. Im ersten Petrusbrief schlieBlich wird es mit dem Grundstein von Zion ver- bunden, und wiederum wird der Stein zum Christusattribut und zum Attribut Gottes, wenn es heiBt:
>>So leget nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alles After-
reden, und seid begierig nach der vernfinftigen, lautern Milch, als die jetzt gebornen Kindlein, auf daB ihr durch dieselbe zunehmet, so ihr anders geschmeckt habt, daB der Herr freundlich ist, zu welchem ihr gekommen seid als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott ist er auserwdihlt und k6stlich. Und auch ihr, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause und zum heiligen Priester- tum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesum Christum. Darum
127 Vgl. M.-L. von Franz, S. 139 und C. G. Jung, Alchemie, Erlisungsvorstellungen in der Alchemie. In Hermetis Trismegisti Tractatus Aureus de Lapidis Physici Secreto, Bibl. Chem. Cur. I, S. 430 heiBt es, in direkter Obereinstimmung mit dem Erl6sungswerk Christi: >>Venite filii sapientium, et nunc gaudeamus, et simul laetemur, quia mors consummata est, et filius noster regnat, et jam rubea toga, et Chermes indutus est.<< Eine Parallele liegt auch zwischen den Farben des Steins, weiB und rot, die denen des auf Christus gedeuteten Freundes im Hohenlied entsprechen: >>Mein Freund ist weil3 und rot... Sein Haupt ist das feinste Gold" (HI 5, 10-11). DaB auBer >>lapis< auch >>petra<<-Stein auf Christus bezogen wird, ergibt sich aus der Deutung der foramina petrae des Hohenliedes (2, 14) auf die Wund- male Christi bei Justus von Urgel (frdl. Mitteilung von R. Preimesberger). Bei der spitgotischen Druck- graphik sei auf Darstellungen der Hand mit dem Heilsspiegel (Schreiber 1859) verwiesen, wo sich die Erliuterung findet: >>Petra autem erat xpus<< (Christus).
127a Freundliche Mitteilung von Dieter Heikamp. Ein Zufall diirfte bei der Anzahl der W6rter aus- geschlossen sein, denn eine Reihe weiterer zahlenmaDiger Obereinstimmungen erweist den Text und seine Anordnung unter dem Stich (Abb. 9) auch als minuti6s
ausgeklihgeltes Zahlenspiel. Die drei Distichen umfassen 14 (7+7), 13 (7+6) und 12 (6+6) W6rter, zusammen also 39. Durch die typo- graphische Anordnung entstehen trotz der unterschiedlichen Ldnge der einzelnen Distichen optisch drei Zeilen zu jeweils 15 W6rtern, wobei selbst die Anordnung in zwei Kolumnen villige Obereinstimmung in der Wortzahl ergibt. Die drei Zeilen der linken Kolumne umfassen niimlich je 7, die der rechten je 6 W6rter. Eine solche RegelmiBigkeit in den Text zu bringen, war nur bei dieser Anordnung mbglich, die zwar den Aufbau in Distichen optisch verschleiert, dabei aber selbst das typographische Skelett noch als Mittel zum Zweck erweist. Ist die Gesamtzahl als X = Christus zu lesen, so mag die Einteilung in drei optisch gleichwertige Zeilen wie in drei Distichen auf die Personen der Dreifaltigkeit anspielen. Die 7 ist neben der 5 die wichtigste theologische aber auch eine liulerst wichtige alchimistische Zahl. Eine genauere ikonographische oder symbolische Deutung der einzelnen Zahlen ist mir zur Zeit unmoglich. Neben 3, 7 und 39 miiBten wenigstens noch 6 und 13 auf mdgliche alchimistische und theologische Aus- sagen hin untersucht werden. Unter dem Aspekt der Zahlensymbolik scheint mir auch das dreifache Vor- kommen des Wortes >>res<< in allen drei Distichen bedeutsamer zu werden, well es >>res<< als dreifache Erliiuterung zur gleichen Sache, zum Stein, erkennen ]assen konnte, deutbar als prima materia (I), magisterium und lapis (II) und prima materia und lapis (III).
128 Matth. 21, 42.- Mark. 12, 10.- Luk. 20, 17.
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110 PETER DREYER
steht in der Schrift: >>Siehe da, ich lege einen auserwiahlten, k6stlichen Eckstein in Zion; und wer an ihn glaubt, der soil nicht zu Schanden werden.<< Euch nun, die ihr glaubet, ist er k6stlich; den Unglaubigen aber ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der zum Eckstein geworden ist, ein Stein des AnstoBes und ein Fels des Argernisses; denn sie stoBen sich an dem Wort und glauben nicht daran, wozu sie auch gesetzt sind 29.<
Ob auch die sichere Sache, die mit vier Naturen in der nubes steckt, beziehungsweise die nubes selbst, eine theologische Deutung zulaBt, ist fragwiirdiger. Nubes ist jeden- ?falls auch pneuma und ebenso wie Nimbus unter anderem auch die Wolke, in die sich die G6tter hiillen. So verwundert es nicht zu lesen, dab die Herrlichkeit des Herrn dem Ezechiel mit dem Tetramorph in der Wolke erscheint. >Et vidi, et ecce ventus tur- binis veniebat ab Aquilone: et nubes magna, et ignis involvens, et splendor in circuitu
eius: et de medio eius quasi species electri, id est de medio ignis et in medio eius similitudo
quattuor animalium 30.<< Die Alchimie war Jahrhunderte hindurch in K16stern und von Gelehrten betrieben
worden, die die Bibel auswendig gewuBt zu haben scheinen. Die Aurora consurgens ist
fiir die Vermengung alchimistischer und christlicher Vorstellungen beispielhaft, aber auch friihere und spatere Werke enthalten Anspielungen und Verquickungen in reich- lichem MaBe, so dab es nicht schwer fallt, in der ars regia die Bibelstellen nachzuweisen, die ich fiir die christliche Deutung der lateinischen Stichunterschrift herangezogen habe. In dem allerdings erst spditeren >>Aquarium Sapientum<< ist fast jedes Kapitel mit einem
Bibelzitat iiberschrieben, und die secunda pars beginnt mit >Esai. cap. XXVIII Ideo ait Dominus: Ecce pone in Sion fundamentalem lapidem, probatum lapidem, pretiosum lapidem angularem, qui bene fundatus est. Qui illum habet, non confundetur<<. Fiir die
Identitdit des lapis philosophicus mit dem lapis angularis sei auf die quarta pars hin-
gewiesen, wo die Christus-lapis-Parallele mit gr6Bter Ausfiihrlichkeit aus der Bibel be-
legt wird3"'. Bei Dorneus findet sich der Satz: >>Transmutemini de lapidibus mortuis in vivos lapides philosophicosl32.<< Verwandelt euch aus toten Steinen in lebendige philo- sophische Steine. Hier scheint mir eine direkte Beziehung zum Petrusbrief zu bestehen, wo gesagt wird: >>und auch ihr, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause.<< Laurentius Ventura schlieBl3ich bezieht die rota alchimica auf die Rider der oben erwdihnten Ezechielvision 33.
Genau in Bruegels Schaffensjahren arbeitete Caspar Hartung von Hoff, dessen Haupt- werk >>Von der Bereitung deB gebenedeyten Steins / sampt dessen Subiecto; seiner Natur
vnd Wesen mit schinen Figuren vnd heyliger Schrifft probirt<< den Versuch unternimmt, die Alchimie durch das Zeugnis der Bibel zu beweisen 133*
Weder die christliche noch die morgenlindische Alchimie haben Gott als Sch6pfer der
Welt und als Weisheit, an der jede irdische Schipfung und Weisheit nur Teil hat, je
129 I. Petr. 2, 1-8. 130o Ez. 1, 4-5. 131 In Musaeum Hermeticum S. 85 und 102 ff. 132 Zitiert nach C. G. Jung, Alchemie, S. 312, Anm. 75. "33 Zitiert nach C. G. Jung. Alchemie, S. 441. 1a33a Benedictus Figulus, Hortulus olympicus aureolus (Thesaurinella Olympica aurea), Frankfurt
a. M., 1608, S. 171-185.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 111
vergessen. Es ist daher fast selbstverstaindlich, daB der lapis im Abendlande mit Christus
gleichgesetzt wurde, und die Beweise fiir diese Identitaitsvorstellung sind so zahlreich, daB man an der Auswahl irre wird. C. G. Jung hat ein nahezu unersch6pfliches Material dazu in >>Psychologie und Alchemie<< zusammengetragen. Ich beschrinke mich hier auf
ein Zitat, das er nicht erwaihnt hat. Aus dem Buch der Heiligen Dreifaltigkeit hatte ich oben einen Text zitiert, der davon sprach, daB auch der Antichrist lapidem machen k6nne, und der die Warnung vor dessen Gold und Silber enthielt. Im AnschluB an jene Stelle
bringt die Schrift antithetisch die Vorgange der Destillation des lapis Antichristi und des wahren lapis, der schlieBlich mit Jesus Christus und mit Gottvater selbst identifiziert wird:
>>prima lac virginis wasser der heilikeit fride distillacio secundum oleum der lufft reinickeit species distillacio. Tercio feur der messikeit, liblichkeit liget in dem b6dem der keuscheit, diese III elementa bewaret I iglich bij im besunderlichen wasser lufft feure
dij da sieben veise distilliret sind ir virde elementum da sij alle vor v13 gekommen sind das ist ein lichnam erdez schein, die purgiret vein, so get alle sine elementa wasser lufft fiire da wider zu im in, so ist es lapis verus albus et rubeus domini nostri iehsu Christi wie es uns recht zcu virnemen sei ... da got also getan wunderwerk manigualt durch brachte zcu machen mit der hant den lapidemn das er selber ist der phylosophus ist er genannt134.<<
Der dreieinige Gott selbst also ist der lapis, >>est enim lapis triunus et unus<< 135 und was
gereinigt werden soll, ist der Mensch. Geradezu blasphemisch klingt die Stelle im Was- serstein der Weisen, wo es heiBt, wie namlich der Stein der Philosophen und Chimicus Rex so groBe Wirkung in seiner Tinktur habe, daB er aus billigen Metallen Gold machen
kinne, so auch der g6ttliche Koinig und Stein Jesus Christus, der mit seinem Blute die unvollendeten und stindigen Menschen purifiziere 36
Ohne Zweifel wuBte der Alchimist des 16. Jahrhunderts in dem lateinischen Gedicht unter Bruegels Darstellung den Hinweis auf das Erl6sungswerk am Stoff und am Men- schen gleichzeitig wahrzunehmen, er vermochte die wissenschaftliche Aufforderung und die >>heimliche Deutung<< zu verstehen, >>die iiberaus sch6n ist<<.
Deutet man die lateinischen Verse christlich, so sagen sie, daB die Suche nach dem lapis mitnichten aussichtslos ist. Der lapis Gott ist die einzige sichere Sache, >>er wird die Kinder Levi reinigen und lhutern wie Gold und Silber<< 137 und denen vom Hause Jacob verheiBt er: >>Siehe, ich will dich liutern, aber nicht wie Silber; sondern ich will dich auserw~ihlt machen im Ofen des Elends138.<< So gelesen besagt der Text das gleiche wie das Bild. Er verweist die ignari auf das wahre Ziel und einzige Mittel zur Erlisung.
134 Zitiert nach 78 A 11 fol. 20 v.-21 r. 135 Vgl. Anm. 78. 136 >Quemadmodum enim Philosophorum lapis & Chimicus Rex, tinctura sua hanc utilitatem con-
fert, etiam hanc efficaciam, & virtutem, per perfectum suum processum, in se complectitur, ut alia imperfecta & vilia metalla, tingere & in purum aurum transmutare potens sit: Ita quoque, & adhuc multo potius Coelestis ille Rex, fundamentalis, angularisque Lapis Jesus Christus bene dicta sua tinctura, hoc est, rosei coloris suo sanguine nos peccatores imperfectosque homines ab innatis nostris Adamicis sordibus & faecibus solus & unus purificat, immo plusquam perfecte curat sanatque 1. Joh. 1. extra quem, Scriptura Teste, nulla alia salus, neque medium in coelo, aut in terra est, quo aeternam beatitudinem perfectionem- que consequi possimus, nisi in solo nomine Jesu Act. 4. << Zitiert nach Musaeum Hermeticum S. 119/120.
137 Mal. 5, 5. 138 Jes. 48, 10.
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112 PETER DREYER
Die lateinischen Verse miissen von einer Pers6nlichkeit stammen, die nicht nur ober-
flachliche, sondern griindliche alchimistische Gelehrsamkeit besaB und sie mit einer meisterhaft mehrdeutigen Formulierungskunst zu verbinden verstand. Sei der Text nun
mittelalterlich und von Bruegel oder seinem Verleger zur Erliuterung des Bildes aus-
gewahlt oder sei er als Unterschrift fir Bruegels Darstellung konzipiert worden, auf jeden Fall hebt er Bruegels Alchimistenblatt aus der bloBen Nachfolge des Narrenschiffes oder der Antichristdarstellungen ebenso herausl39 wie aus der nur humanistisch-satirischen
Tradition, und erlaubt, die Alchimie nach wie vor als eine Wissenschaft zu sehen, die
Philosophie, Naturwissenschaften und Theologie umfaBte und alles andere war, als eine bloBe Licherlichkeit. Man tut ihr und Bruegels Alchimistenblatt unrecht, wenn man sie
nur mit den Augen des spottenden Erasmus von Rotterdam sieht und nicht auch mit denen Luthers 140
139 Die Verbindung einer an und fiir sich eindeutigen Bildtradition mit einer ungewohnlichen litera- rischen Quelle konnte Chr. White auch bei Bruegels Calumnia des Apelles nachweisen, vgl. Berliner Katalog Nr. 98. In der Bibliographie des Berliner Kataloges fehlt der Artikel, auf den bei der Behand- lung der Zeichnung hingewiesen wird. Er befindet sich im Burl. Mag. CI, 1959, S. 336-341.
140 Mir ist keine zweite Alchimistendarstellung bekannt, auf die sich die hier gegebene oder eine ahn- lich komplexe Deutung anwenden lieBe. Dies allein schon hebt Bruegels Blatt aus der Reihe alchimisti- scher Genreszenen heraus. Ob, wie J. van Lennep meint, auch andere Werke Pieter Bruegels alchimistische Aussagen enthalten, sei dahingestellt; natiirlich dringt sich bei der Deutung der Kinderspiele in Wien ein solcher Verdacht auf, da der Begriff ludus puerorum einen alchimistischen Vorgang bezeichnet. Kin- derspiele lassen sich daneben natiirlich auch mit >>trahit sua quemque voluptas< erklaren. Bruegels Ge- lehrsamkeit mag zum Teil aus seiner Tatigkeit als Miniaturist zu erkliren sein, die ihn zwangslaufig mit Manuskripten in Verbindung bringen muBte.
IN ABKORZUNG ZITIERTE LITERATUR UND INSTITUTIONEN
Berliner Katalog: Pieter Bruegel d. A. als Zeichner. Herkunft und Nachfolge. Eine Ausstellung des Kupfer- stichkabinetts Berlin. 19. September bis 16. November 1975, bearbeitet von Fedja Anzelewsky, Peter Dreyer, Lutz Malke, Hans Mielke, Konrad Renger und Matthias Winner.
E. Darmstaedter: Ernst Darmstaedter, Liber Misericordiae Geber. Eine lateinische Obersetzung des
grfl3eren Kitib alrahma, Archiv fur Geschichte der Medizin, 17. Bd., Wiesbaden 1965, S. 181-197 Bibl. Chem. Cur.: Jo. Jacobi Mangeti ... Bibliotheca Chemica Curiosa, seu Rerum ad Alchemiam per-
tinentium Thesaurus instructissimus ... 2 Bde, Coloniae Allobrogum, Genevae 1702. M.-L. von Franz: C. G. Jung, Mysterium Coniunctionis. Untersuchung iiber die Trennung und Zusam-
mensetzung der seelischen Gegensitze in der Alchemie. Dritter Teil, Aurora Consurgens. Ein dem Thomas von Aquin zugeschriebenes Dokument der alchemistischen Gegensatzproblematik von Dr. M.-L. von Franz, Ziirich/Stuttgart 1957.
W. Ganzenmiiller, Alchemie: W. Ganzenmiiller, Die Alchemie im Mittelalter, Paderborn 198. VW. Ganzenmiiller, Dreifaltigheit: W. Ganzenmiiller, Das Buch der heiligen Dreifaltigkeit. Eine deutsche
Alchemie aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts, Archiv fiir Kulturgeschichte XXIX, Weimar 1939, S. 95-146.
Hollstein: F. W. H. Hollstein, Dutch and Flemish Etchings Engravings and Woodcuts ca. 1450-1700, Bd. III und IV Amsterdam o. J.
C. G. Jung, Alchemie: C. G. Jung, Psychologie und Alchemie. Traumsymbole des Individuationsprozesses. Die Erlosungsvorstellungen in der Alchemie u. a., Olten / Freiburg i. Br. 1975.
C. G. Jung, Jbertragung: Die Psychologie der Obertragung, Erlautert anhand einer alchemistischen Bilderserie, Olten und Freiburg i. Br. 1975.
Kupferstichkabinett: Staatliche Museen PreuBischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett Berlin. J. van Lennep: Jacque van Lennep, Art & Alchimie, Briissel 1966. Ms. germ. quart. 848. Ms. lat. fol. 532: Alchimistische Handschriften der Staatsbibliothek PreuBischer
Kulturbesitz mit diesen Signaturen.
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BRUEGELS ALCHIMIST VON 1558 115
Mu 454: Buch mit alchimistischen Traktaten in der Berliner Staatsbibliothek PreuBischer Kulturbesitz mit der Signatur Mu 454. Das Buch ist im Katalog der Staatsbibliothek als 3. Band des Theatrum chemicum, Ursellae 1602 verzeichnet. Sein Inhalt entspricht jedoch keinem der Bande der friihen Ausgabe des Theatrum, die bei C. G. Jung, Alchemie S. 570/571 mit Inhaltsangaben angefiihrt sind. Da das Titelblatt fehlt, zitiere ich nach der Signatur.
Musaeum Hermeticum: Musaeum Hermeticum Reformatum et Amplificatum ... continens Tractatus Chimicos XXI, Francofurti 1678.
J. Pieper: Thomas von Aquin. Auswahl, Obersetzung und Einleitung von Josef Pieper, Frankfurt/M. und Hamburg 1956.
F. Schultz: Sebastian Brant, Das Narrenschiff. Faksimile der Erstausgabe von 1494 mit einem Anhang enthaltend die Holzschnitte der folgenden Originalausgaben und solche der Locherschen ibersetzung und einem Nachwort von Franz Schultz. Jahresgaben der Gesellschaft fiir Elsissische Literatur I, StraBburg 1913.
Staatsbibliothek: Staatsbibliothek PreuBischer Kulturbesitz Berlin. Theatr. Chem.: Theatrum Chemicum. Praecipuos Selectorum Auctorum Tractatus de Chemiae et Lapidis
Philosophici Antiquitate, veritate, jure, praestantia, & operationibus, continens. 6 Bde, Argentorati 1659-1661.
Turba: Julius Ruska, Turba Philosophorum. Ein Beitrag zur Geschichte der Alchemie. Quellen und Stu- dien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin. Fortsetzung des Archivs fir Geschichte der Mathematik, der Naturwissenschaften und der Technik Bd. 1, Berlin 1951.
P. Wescher: Paul Wescher, Beschreibendes Verzeichnis der Miniaturen - Handschriften und Einzelblit- ter - des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen Berlin, Leipzig 1931.
Vasari-Milanesi: Le Vite de' pid eccellenti Pittori Scultori ed Architettori scritte da Giorgio Vasari ... con nuove annotazioni e commenti di Gaetano Milanesi, Bd. IV, Florenz 1879, Bd. V. Florenz 1880.
Zimelien: Zimelien. Abendlhndische Handschriften des Mittelalters aus den Sammlungen der Stiftung PreuBlischer Kulturbesitz Berlin. Ausstellung 13. Dezember 1975 - 1. Februar 1976. Katalogbearbei- tung von Gerard Achten, Fedja Anzelewsky, Peter Jtrg Becker, Peter Bloch, Tilo Brandis, Victor H. Elbern, Rudolf Elvers, Hartmut Krohm, Herwig Maehler, Gerhard Peter, Joseph Sonderkamp, Peter Springer, Hanns Swarzenski und Werner Vogel.
78 A 11: Handschrift mit dieser Signatur im Berliner Kupferstichkabinett.
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