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Vergänglichkeit (1916) Vo r einiger Zeit machte ich in Gesellschaft eines schweigsame n Freundes und eines jungen, bereits rühml ich beka nnte n Dicht ers eine n Spaz ierg ang durch eine blühe nde Sommerlan dsch aft Der Dichter bewunderte die Sch!nheit der "atur um uns, aber ohne sich ihrer zu erfreuen #hn st!rte der Gedanke, da$ all diese Sch!nheit dem Vergehen geweiht war, da$ sie im %inter dahingeschwunden sein werde, aber ebenso jede menschliche Sch!nheit und alles Sch!ne und &dle, was 'enschen geschaffe n haben und schaffen k!nnten ( lles, was er sonst geliebt und bewundert h)tte, schien ihm entwertet durch das Schicksal der Verg)nglichkeit, zu dem es bestimmt war %ir wissen, da$ *on solcher Versenkung in die +inf)lligkeit alles Sch!nen und Vollkommenen zwei *ersch ied en e seelische eg ung en ausge hen k!n ne n Die ein e führt zu dem sch me rzli chen %eltüberdru$ des jungen Dichters, die andere zur (uflehnung gegen die behauptete -ats)chlichkeit  "ein, es ist unm!glich, da$ all diese +errlichkeiten der "atur und der .unst, unserer &mpfindungswelt und der %elt drau$en, wirklich in "ichts zergehen sollten &s w)re zu unsinnig und zu fre*elhaft, daran zu glauben Sie müssen in irgendeiner %eise fortbestehen k!nnen, allen zerst!renden &inflüssen entrückt (llein diese &wigkeitsforderung ist zu deutlich ein &rfolg unseres %unschlebens, als da$ sie auf einen ealit)tswert (nspruch erheben k!nnte (uch das Schmerzliche kann wahr sein #ch konnte mich weder entschlie$en, die allgemeine Verg)nglichkeit zu bestreiten, noch für das Sch!ne und Vo llkommene eine (usnahme zu erzwingen (ber ich bestritt dem pessimistischen Dichter, da$ die Verg)nglichkeit des Sch!nen eine &ntwertung desselben mit sich bringe #m Gegenteil, eine %e rtsteigerung/ Der Verg)nglichkeitswert ist ein Seltenheitswert in der Zeit Die 0eschr)nkung in der '!glichkeit des Genusses erh!ht dessen .ostbarkeit #ch erkl)rte es für un*erst)ndlich, wie der Gedanke an die Verg)nglichkeit des Sch!nen uns die Freude an demselben trüben sollte %as die Sch!nheit der "atur betrifft, so kommt sie nach jeder Zerst!rung durch den %inter im n)chsten 1ahre wieder, und diese %iederkehr darf im Verh)ltnis zu unserer 2ebensdauer als eine ewige bezeichnet werden Die Sch!nheit des menschlichen .!rpers und (ngesichts sehen wir innerhalb unseres eigenen 2ebens für immer schwinden, aber diese .urzlebigkeit fügt zu ihren eizen einen neuen hinzu %enn es eine 0lume gibt, welche nur eine einzige "acht blüht, so erscheint uns ihre 0lüte darum nicht minder pr)chtig %ie die Sch!nheit und Vollkommenheit des .unstwerks und der intellektuellen 2eistung durch deren zeitliche 0eschr)nkung entwertet werden sollte, *ermochte ich ebensowenig einzusehen 'ag eine Zeit kommen, wenn die 0ilder und Statuen, die wir heute bewundern, zerfallen sind, oder ein 'enschengeschlecht nach uns, welches die %erke unserer Dichter und Denker nicht mehr *ersteht, oder selbst eine geologische &poche, in der alles 2ebende auf der &rde *erstummt ist, der %e rt all dieses Sch!nen und V o llkommenen wird nur durch seine 0edeutung für unser &mpfindungsleben bestimmt, braucht dieses selbst nicht zu überdauern und ist darum *on der absoluten Zeitdauer unabh)ngig #ch hielt diese &rw)gungen für unanfechtbar , bemerkte aber, da$ ich dem Dichter und dem Freunde keinen &indruck gemacht hatte #ch schlo$ aus diesem 'i$erfolg auf die &inmengung eines starken affekti*en 'oments, welches ihr 3rteil trübte, und glaubte dies auch sp)ter gefunden zu haben &s mu$ die seelische (uflehnung gegen die -rauer gewesen sein, welche ihnen den Genu$ des Sch!ne n entwertete Die V o rst ell ung , da$ dieses Sch !ne *er g) ngl ich sei, ga b de n be ide n &mpfindsamen einen Vorgeschmack der -rauer um seinen 3ntergang, und da die Seele *on allem Schmerzlichen instinkti* zurückweicht, fühlten sie ihren Genu$ am Sch!nen durch den Gedanken an dessen Verg)nglichkeit beeintr)chtigt Die -rauer über den Verlust *on etwas, das wir geliebt oder bewundert haben, erscheint dem 2aien so natürlich, da$ er sie für selbst*erst)ndlich erkl)rt Dem 4s5chologen aber ist die -rauer ein

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Vergänglichkeit

(1916)

Vor einiger Zeit machte ich in Gesellschaft eines schweigsamen Freundes und eines jungen, bereitsrühmlich bekannten Dichters einen Spaziergang durch eine blühende Sommerlandschaft Der Dichter bewunderte die Sch!nheit der "atur um uns, aber ohne sich ihrer zu erfreuen #hn st!rte der 

Gedanke, da$ all diese Sch!nheit dem Vergehen geweiht war, da$ sie im %inter dahingeschwundensein werde, aber ebenso jede menschliche Sch!nheit und alles Sch!ne und &dle, was 'enschengeschaffen haben und schaffen k!nnten (lles, was er sonst geliebt und bewundert h)tte, schien ihmentwertet durch das Schicksal der Verg)nglichkeit, zu dem es bestimmt war

%ir wissen, da$ *on solcher Versenkung in die +inf)lligkeit alles Sch!nen und Vollkommenen zwei*erschiedene seelische egungen ausgehen k!nnen Die eine führt zu dem schmerzlichen%eltüberdru$ des jungen Dichters, die andere zur (uflehnung gegen die behauptete -ats)chlichkeit

 "ein, es ist unm!glich, da$ all diese +errlichkeiten der "atur und der .unst, unserer &mpfindungswelt und der %elt drau$en, wirklich in "ichts zergehen sollten &s w)re zu unsinnigund zu fre*elhaft, daran zu glauben Sie müssen in irgendeiner %eise fortbestehen k!nnen, allen

zerst!renden &inflüssen entrückt

(llein diese &wigkeitsforderung ist zu deutlich ein &rfolg unseres %unschlebens, als da$ sie auf einen ealit)tswert (nspruch erheben k!nnte (uch das Schmerzliche kann wahr sein #ch konntemich weder entschlie$en, die allgemeine Verg)nglichkeit zu bestreiten, noch für das Sch!ne undVollkommene eine (usnahme zu erzwingen (ber ich bestritt dem pessimistischen Dichter, da$ dieVerg)nglichkeit des Sch!nen eine &ntwertung desselben mit sich bringe

#m Gegenteil, eine %ertsteigerung/ Der Verg)nglichkeitswert ist ein Seltenheitswert in der Zeit Die0eschr)nkung in der '!glichkeit des Genusses erh!ht dessen .ostbarkeit #ch erkl)rte es für un*erst)ndlich, wie der Gedanke an die Verg)nglichkeit des Sch!nen uns die Freude an demselben

trüben sollte %as die Sch!nheit der "atur betrifft, so kommt sie nach jeder Zerst!rung durch den%inter im n)chsten 1ahre wieder, und diese %iederkehr darf im Verh)ltnis zu unserer 2ebensdauer als eine ewige bezeichnet werden Die Sch!nheit des menschlichen .!rpers und (ngesichts sehenwir innerhalb unseres eigenen 2ebens für immer schwinden, aber diese .urzlebigkeit fügt zu ihreneizen einen neuen hinzu %enn es eine 0lume gibt, welche nur eine einzige "acht blüht, soerscheint uns ihre 0lüte darum nicht minder pr)chtig %ie die Sch!nheit und Vollkommenheit des.unstwerks und der intellektuellen 2eistung durch deren zeitliche 0eschr)nkung entwertet werdensollte, *ermochte ich ebensowenig einzusehen 'ag eine Zeit kommen, wenn die 0ilder undStatuen, die wir heute bewundern, zerfallen sind, oder ein 'enschengeschlecht nach uns, welchesdie %erke unserer Dichter und Denker nicht mehr *ersteht, oder selbst eine geologische &poche, inder alles 2ebende auf der &rde *erstummt ist, der %ert all dieses Sch!nen und Vollkommenen wirdnur durch seine 0edeutung für unser &mpfindungsleben bestimmt, braucht dieses selbst nicht zuüberdauern und ist darum *on der absoluten Zeitdauer unabh)ngig

#ch hielt diese &rw)gungen für unanfechtbar, bemerkte aber, da$ ich dem Dichter und dem Freundekeinen &indruck gemacht hatte #ch schlo$ aus diesem 'i$erfolg auf die &inmengung eines starkenaffekti*en 'oments, welches ihr 3rteil trübte, und glaubte dies auch sp)ter gefunden zu haben &smu$ die seelische (uflehnung gegen die -rauer gewesen sein, welche ihnen den Genu$ desSch!nen entwertete Die Vorstellung, da$ dieses Sch!ne *erg)nglich sei, gab den beiden&mpfindsamen einen Vorgeschmack der -rauer um seinen 3ntergang, und da die Seele *on allemSchmerzlichen instinkti* zurückweicht, fühlten sie ihren Genu$ am Sch!nen durch den Gedankenan dessen Verg)nglichkeit beeintr)chtigt

Die -rauer über den Verlust *on etwas, das wir geliebt oder bewundert haben, erscheint dem 2aienso natürlich, da$ er sie für selbst*erst)ndlich erkl)rt Dem 4s5chologen aber ist die -rauer ein

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gro$es )tsel, eines jener 4h)nomene, die man selbst nicht kl)rt, auf die man aber anderes Dunklezurückführt %ir stellen uns *or, da$ wir ein gewisses 'a$ *on 2iebesf)higkeit, genannt 2ibido,

 besitzen, welches sich in den (nf)ngen der &ntwicklung dem eigenen #ch zugewendet hatte Sp)ter,aber eigentlich *on sehr frühe an, wendet es sich *om #ch ab und den 6bjekten zu, die wir solcherart gewisserma$en in unser #ch hineinnehmen %erden die 6bjekte zerst!rt oder gehen sieuns *erloren, so wird unsere 2iebesf)higkeit 72ibido8 wieder frei Sie kann sich andere 6bjekte zum

&rsatz nehmen oder zeitweise zum #ch zurückkehren %arum aber diese (bl!sung der 2ibido *onihren 6bjekten ein so schmerzhafter Vorgang sein sollte, das *erstehen wir nicht und k!nnen esderzeit aus keiner (nnahme ableiten %ir sehen nur, da$ sich die 2ibido an ihre 6bjekte klammertund die *erlorenen auch dann nicht aufgeben will, wenn der &rsatz bereitliegt Das also ist die-rauer

Die 3nterhaltung mit dem Dichter fand im Sommer *or dem .riege statt &in 1ahr sp)ter brach der .rieg herein und raubte der %elt ihre Sch!nheiten &r zerst!rte nicht nur die Sch!nheit der 2andschaften, die er durchzog, und die .unstwerke, an die er auf seinem %ege streifte, er brachauch unseren Stolz auf die &rrungenschaften unserer .ultur, unseren espekt *or so *ielen Denkernund .ünstlern, unsere +offnungen auf eine endliche 9berwindung der Verschiedenheiten unter 

V!lkern und assen &r beschmutzte die erhabene 3nparteilichkeit unserer %issenschaft, stellteunser -riebleben in seiner "acktheit blo$, entfesselte die b!sen Geister in uns, die wir durch die1ahrhunderte w)hrende &rziehung *on Seiten unserer &delsten dauernd geb)ndigt glaubten &r machte unser Vaterland wieder klein und die andere &rde wieder fern und weit &r raubte uns so*ieles, was wir geliebt hatten, und zeigte uns die +inf)lligkeit *on manchem, was wir für best)ndiggehalten hatten

&s ist nicht zu *erwundern, da$ unsere an 6bjekten so *erarmte 2ibido mit um so gr!$erer #ntensit)t besetzt hat, was uns *erblieben ist, da$ die 2iebe zum Vaterland, die Z)rtlichkeit für unsere ")chsten und der Stolz auf unsere Gemeinsamkeiten j)h *erst)rkt worden sind (ber jeneanderen, jetzt *erlorenen Güter, sind sie uns wirklich entwertet worden, weil sie sich als so hinf)llig

und widerstandsunf)hig erwiesen haben: Vielen unter uns scheint es so, aber ich meine wiederum,mit 3nrecht #ch glaube, die so denken und zu einem dauernden Verzicht bereit scheinen, weil das.ostbare sich nicht als haltbar bew)hrt hat, befinden sich nur in der -rauer über den Verlust %ir wissen, die -rauer, so schmerzhaft sie sein mag, l)uft spontan ab %enn sie auf alles Verlorene*erzichtet hat, hat sie sich auch selbst aufgezehrt, und dann wird unsere 2ibido wiederum frei, umsich, insofern wir noch jung und lebenskr)ftig sind, die *erlorenen 6bjekte durch m!glichst gleichkostbare oder kostbarere neue zu ersetzen &s steht zu hoffen, da$ es mit den Verlusten dieses.rieges nicht anders gehen wird %enn erst die -rauer überwunden ist, wird es sich zeigen, da$unsere +ochsch)tzung der .ulturgüter unter der &rfahrung *on ihrer Gebrechlichkeit nicht gelittenhat %ir werden alles wieder aufbauen, was der .rieg zerst!rt hat, *ielleicht auf festerem Grund

und dauerhafter als *orher