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HEFT NR. 17 6. JAHRGANG Flimmern & Rauschen RASANT, SCHRÄG UND WITZIG: ICH BIN TOT, MACHT WAS DRAUS! Betreten erlaubt PETER ZIMMERMANN IM MUSEUM FÜR NEUE KUNST Körper & Seele MEHR GELD FÜRS 2. TANZ- UND THEATERFESTIVAL IN FREIBURG Stimmband & Beatbox DIE FREIBURGER BAND UNDUZO BEKOMMT DEN KLEINKUNSTPREIS

chilli cultur.zeit

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Der Kultur-Teil der aktuellen chilli-Ausgabe Ausgabe April 2016

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Heft Nr. 176. JaHrgaNg

flimmern & rauschenRasant, schRäg und witzig:

ich bin tot, macht was dRaus!

Betreten erlaubtPeteR zimmeRmann

im museum füR neue Kunst

Körper & SeelemehR geld füRs 2. tanz- und theateRfestival in fReibuRg

Stimmband & Beatboxdie fReibuRgeR band unduzo

beKommt den KleinKunstPReis

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Tanz & TheaTer

Körperkult und lautstarke BeatsDas internationale tanz- unD theaterfestival freiburg Dringt in neue Dimensionen vor

Mvon Valérie Baumanns

Mit der erfolgreichen Premiere 2014 hat das internationale Tanz- und Theaterfesti-val Freiburg die Politik überzeugt: Die Stadt Freiburg erhöhte den Zuschuss fürs dies-jährige Festival um 50.000 auf 182.000 Euro, 60.000 sollen aus Ticketverkäufen kommen, rund 160.000 schießen die Lan-desregierung, die Baden-Württemberg-Stif-tung und die Bundeskulturstiftung zu. Das ordentliche Budget von 400.000 Euro weckt nun auch Erwartungen. „Solche Fes-tivals bieten Freiburg die Gelegenheit, auch international zu strahlen und neue Impulse auf dem Gebiet zu holen“, hofft nicht nur Kulturliste-Stadtrat Atai Keller.

Über die Bretter geht das Festival im E-Werk, im Theater im Marienbad und im Theater Freiburg – mit fast ausschließ-lich aktuellen Produktionen. Darunter sind zwei deutsche Erstaufführungen und eine Uraufführung. Älter – aber keines-wegs angestaubt – ist „Twenty to eight“ von Sasha Waltz. Schon 1993 hatte das Stück im E-Werk einen Gastauftritt. Und von hier aus startete der Welterfolg des Stücks und der seiner Choreografin. 2016 kommt es mit einer neuen Tänzergenera-tion erneut in Freiburg auf die Bühne.

Ensembles, Tänzer, Schauspieler und Performer aus der halben Welt sind in

Freiburg zu Gast: Sie kommen aus Brüs-sel und London, aus Tel Aviv, der Schweiz und von der Elfenbeinküste.

Den Auftakt macht eine ganz besondere Produktion aus Deutschland. „Not Punk, Pololo“, eine Performance von Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen, orientiert sich an den populären Tanzshows der El-fenbeinküste. Und die werden bis heute von der amerikanischen Gangster-Rap-Kul-tur der legendären Pololo-Bewegung in der Hauptstadt Abidjan beeinflusst. Eine wild verrückte Mischung aus Disco, Punk, Hip-Hop und elektronischen Klängen erfüllt den Raum. Die 18 Tänzer und Musiker aus Europa und von der Elfenbeinküste bewe-gen sich zu lautstarken Beats, da gibt es Begegnungen, Konfrontationen – eine Per-formance, die so authentisch ist, dass der Zuschauer in die ivorische Straßenkultur eintaucht und Unterschiede sowie Ge-meinsamkeiten der verschiedenen Körper-sprachen miterlebt.

„Körper“ ist das Leitmotiv des Tanz- und Theaterfestivals: Wie verändert er sich in der Gegenwart? In einer Zeit, in der die Optimierung des Körpers mit Hilfe der mo-dernen Medizin fast alltäglich geworden ist, der andererseits in virtuellen Räumen völlig verschwindet? Was bedeutet Zugehö-rigkeit zur Gesellschaft heute? Wenn

Fotos: © Simona Boccedi,Dominik Mentzos, Danny Willems

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Krankheit, Alter, Behinderung und andere körperliche Einschränkungen durch die technische Optimierbarkeit des Körpers immer mehr zu Störfaktoren in der Gesell-schaft werden? Wenn sie den reibungslo-sen Ablauf „stören“?

Der belgische Choreograph Seppe Baeyens bringt mit seiner Produktion „Tornar“ Laien und professionelle Tänzer aus dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek zusammen und zeigt die Auswirkungen einer Naturkatastrophe auf das menschli-che Sein und die sozialen Gefüge im un-vollkommenen Zustand.

Um Zugehörigkeit in der Gesellschaft geht es auch in „Football on stilettos“. Die belgischen Performer Randi de Vlieghe und Jef Van gestel zeigen in einer deut-schen Erstaufführung die Abgründe der Gesellschaft, wenn es um Homosexuali-tät, Identität sowie die Rollenbilder von Mann und Frau geht. Auf satirische Art werden hier Vorurteile zur Schau gestellt und performativ auseinandergepflückt.

Ein Highlight des Festivals ist die Tri-logie „Barbarians“ der Londoner Com-pany des israelischen Choreografen Hofesh Shechter im Großen Haus des Theaters. Musikalisch bewegt sich die Performance zwischen sakraler Ba-rockmusik und Dubstep: dynamisch, spannungsvoll und in einer innovativen Tanzsprache.

Es sind auffallend viele Stücke aus Belgien im Programm. Das liegt daran, dass die Szene dort viel freier ist, erklärt Laila Koller, die Tanzkuratorin des E-Werks. Vor allem im Bereich Kinder- und Jugendtheater seien die Belgier Pio-niere. So ist mit „Rauw“ eine Produktion von kabinet k aus Gent im Theater Frei-burg am Start. Die Inszenierung be-schäftigt sich mit dem Überlebenskampf junger Menschen am Rande der Gesell-schaft und bringt Laien sowie Profitän-zer zusammen.

Auch die freie Szene in Freiburg bleibt von diesem Festival nicht unberührt: Ein offener Dialog am 7. Mai im Südufer soll der freien Szene helfen und dabei neue Möglichkeiten offenlegen.

„Der Zusammenschluss der drei ver-schiedenen Häuser ist künstlerisch sehr fruchtbar“, sagt Koller. Zu Beginn der Planungen hätten sich alle darauf geei-nigt, nur Stücke einzuladen, auf die sich alle verständigen können. Dahinter steck-te auch die Idee, spartenübergreifende Produktionen einzuladen, um neue For-men des (Tanz-)Theaters zu zeigen. Gen-regrenzen schwinden, und Koller prophe-zeit: „Tanz und Theater verschmelzen immer mehr zu einem einzigen Bewe-gungstheater.“ Freiburg freut sich auf spannende Impulse. Ob es international strahlen kann, bleibt abzuwarten.

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Info

Internationales Tanz- und TheaterfestivalWann? 28. April bis 14. MaiWo: E-Werk, Theater Freiburg, Theater im MarienbadTickets unter: www.tanzundtheaterfestival.de

Tanz & TheaTer

Eleganz & Provokation: Der

israelische Choreograf Hofesh

Shechter mit seiner Londoner

Company präsentiert im großen

Haus des Theater Freiburg seine

neueste Inszenierung ‚Barbari-

ans‘ – und bleibt seiner dynami-

schen, extravaganten Linie treu.

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Konzeptuelle Kunst

High-Heel-Kratzer erlaubtDas frisch umgebaute museum für Neue KuNst zeigt Peter zimmermaNNs grösstes WerK

Ivon Tanja Bruckert

m Freiburger Museum für Neue Kunst darf die Kunst mit Füßen getreten wer-den. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der gebürtige Freiburger Peter Zimmermann hat hier sein bisher größtes Gemälde ge-schaffen – und zwar auf dem Boden. 1400 Liter Farbe sind auf die 425 Quad-ratmeter der fünf Ausstellungsräume ge-flossen. Ergänzt wird das Bodengemälde von zwölf Ölbildern, die sich in dem far-big glänzenden Boden spiegeln. Es ist die erste Sonderausstellung des frisch renovierten Museums.

„Peter Zimmermann bringt die Male-rei an Grenzen“, schwärmt Direktorin Christine Litz, „denn dort ist Platz für Unerwartetes und Unerprobtes.“ 21 Tage lang hat der konzeptuelle Maler im geschlossenen Museum Epoxidharz an-gerührt und in sieben Schichten auf dem Boden aufgetragen – so behutsam, dass die darunterliegenden Schichten noch durchschimmern und ein faszinierendes Farbspiel ergeben. „Der große Reiz für mich war, mit diesen Dimensionen zu-rechtzukommen“, sagt Zimmermann. Für das Freiburger Museum habe er erstmals direkt vor Ort ein Bodengemäl-de angefertigt.

Für den Wahl-Kölner trifft hier seine künstlerische Vergangenheit auf die Ge-genwart. Gemälde aus Kunstharz fertigt er be-reits seit den Achtzigern, mit Ölbildern beschäftigt er sich hingegen erst seit drei Jahren. Seine Vorgehensweise ist aber dieselbe geblieben: Er verfremdet Fotos und Bilder aus seinem Arbeitsalltag mit digitalen Filtern und überträgt sie anschließend auf Leinwand. Mit seiner „Post-Internet-Art“ will er so den Ein-

fluss digitaler Medien auf die Malerei zeigen.

Seine Gemälde mit den abstrakten, fließenden Formen waren etwa schon im Centre George Pompidou in Paris oder im Museum of Modern Art in New York zu sehen. In seiner Heimatstadt ist es hingegen seine erste institutionelle Aus-stellung. Sie repräsentiere einen der Schwerpunkte des Museums, so Litz: Kunst, die regional entstanden, aber in-ternational bedeutsam ist.

„Peter Zimmermann. Schule von Frei-burg“ ist die erste Sonderausstellung nach dem viereinhalbmonatigen Umbau. Sie darf nun in ganz neuem Licht er-strahlen, denn Boden und Ölgemälde werden nun von einer 430.000 Euro teu-

ren LED-Lichtanlage beschienen. Litz lässt den Zeigefinger über ein Tablet wandern und schon sind die eben noch strahlend weißen Flächen in ein mattes Gelb getaucht: Ist-Zustand vor dem Um-bau. „Das ist der Grund, warum wir

Auf 425 Quadratmeter sind 1400 Liter Epoxidharz geflossen

Peter Zimmermann zeigt in Freiburg sein größtes Werk

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Foto: © tbr

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Künstler wie Zimmermann nicht schon früher ange-fragt haben“, erklärt die Direktorin.

Sie und ihr Team haben zusammen mit Kunstge-schichtsstudenten der Uni Freiburg den Umbau ge-nutzt, um die ständige Sammlung neu zu konzipieren: Die klassische Moderne von August Macke bis Otto Dix wird nun etwa in der Atmosphäre eines Studienzim-mers präsentiert, und schwarze, leere Rahmen an den Wänden erinnern an die Beschlagnahmungen der Reichskunstkammer 1937.

Ein Bild von der Wand zu nehmen ist eben keine Kunst. Doch wie deinstalliert man ein mehr als 400 Quadratmeter großes Bodengemälde? Auf jeden Fall nicht in einem Stück. Das Gemälde geht zwar nach drei Monaten zurück an den Künstler – allerdings nur in kleinen Teilen. Inklusive aller High-Heel-Kratzer und Turnschuh-Streifen. Denn die sind bei Zimmermanns Bodengemälde nicht nur erlaubt, sondern als „eine Art Patina“ sogar gewollt.

Info

Peter Zimmermann. Schule von Freiburgbis 19. Juni im Museum für Neue KunstÖffnungszeiten: Di.– So. 10 bis 17 Uhrwww.freiburg.de/museen

KapItelKopf

Kulturnotizen

SolidarEnergie vergibt Preise Der mit 3000 Euro – und dem nicht weniger interes-santen, lebenslangen Nießbrauch an einem Rebstock des Weingutes Schwarzer Adler – dotierte Preis des Vereins Solidar Energie geht in diesem Jahr an die Schauspielerin und Theaterleiterin Petra Gack sowie den Musiker Mike Schweizer. Zudem werden elf wei-tere kulturelle und soziale Projekte mit rund 10.000 Euro gefördert. Seit der Gründung 2011 hat der Ver-ein schon mehr als 90.000 Euro vergeben. Er betreibt Solaranlagen, die von den Elektrizitätswerken Schö-nau installiert wurden. Die Erlöse stockt die Volks-bank Freiburg durch eine gleich hohe Spende auf.

Kunstkommission kompromisslos

Nach jahrelangem Hickhack hat eine Kunstkom-mission nun entschieden, dass das Martinstor kein neues Bildnis des Heiligen Martin bekommt. Das bislang letzte Bild schmückte das Stadttor bis 1968, dann bröckelte der Putz und mit ihm das aufgemal-te Bild. Es hatte viele Ideen und Entwürfe gegeben, letztlich kam es zu keinem Kompromiss.

Zukunft weiter offenOb das Freiburger Filmfest im kommenden Jahr wie-der über die Leinwände flackert, ist weiter völlig of-fen. Nachdem die Macher Michael Wiedemann, Ludwig Ammann und Michael Isele Ende Februar völlig überraschend hingeworfen hatten (wir berich-teten), gab es eine große Solidaritätswelle. Die FWTM sicherte mehr Unterstützung zu, Kulturbür-germeister Ulrich von Kirchbach schaltete sich ein, Stadtrat Atai Keller wollte sich dafür einsetzen, dass das Fest vom Rathaus mehr gefördert wird. Am 25. April trifft sich von Kirchbach mit den Kinomachern.

Preise und GabenDie Freiburger Malerin Helga Marten ist für ihr Ge-samtwerk mit der Ehrengabe des Reinhold-Schnei-der-Preises ausgezeichnet worden und erhält 3000 Euro. Ihre aktuelle Ausstellung „Räume“ ist noch bis zum 1. Mai im Evangelischen Gemeindehaus Ken-zingen zu sehen. Den mit 15.000 Euro dotierten Hauptpreis gewann die in Freiburg lebende Künstle-rin Susi Juvan. Andreas von Ow erhält das mit eben-falls 3000 Euro dotierte Stipendium. bar

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Fotos: Bernhard Strauss, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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Musik

Wenn der Elch vor der Bühne gebärtA-cAppellA-Gruppe unduzo erobert Herzen der FAns und Juroren

Zvon Till Neumann

um Brüllen komisch, melancholisch-tief-sinnig, melodisch-virtuos, donnernd laut – Unduzo hat viele Facetten. Das kommt an: Am 19. April bekommt die Freiburger A-cappella-Gruppe den Kleinkunstpreis Baden-Württemberg. Nicht die erste Auszeichnung für die „Uprising Stars“. Die fünf Vokalartisten sind auf dem bes-ten Weg, ein Aushängeschild der Stadt Freiburg zu werden.

Klammheimlich verlässt Patrick Heil die Jazzhaus-Bühne. Ist der Tenor etwa sauer? Seine vier Kollegen scheinen nichts zu merken. Linda Jesse, Julian Knörzer, Richard Leisegang und Corne-lius Mack stimmen das nächste Lied an.

Plötzlich taucht Heil wieder auf – mit Sonnenbrille, offenem Hemd und Gold-kette. „Spieglein Spieglein an der Wand, wer hat den größten ... im Land? Und ist dazu noch elegant?“ Er natürlich, der lasziv besungene „Gigolo“. Die Menge im randvollen Jazzhaus grinst.

Beim Auftritt im März hat die Band das Jazzhaus-Publikum fest im Griff. Die fünf studierten Musiker, alle Anfang 30, beeindrucken mit ausgefeilten Arrange-ments, witzigen Texten und selbstironi-schen Showeinlagen: Mal gibt Patrick Heil den Macho, mal bezirzt Cornelius Mack als französischer Charmeur die Damen, mal verwandelt Beatboxer Julian

„Zwei Jahre lang sahen wir aus wie rote Tampons“

Fotos: © Antonia Nahas, Till Neumann

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Knörzer ein Schlaflied in eine don-nernde Beatbox. Dann sollen die Zuschauer das Geräusch eines ge-bärenden Elchs nachmachen.

Was auf der Bühne lässig daher-kommt, ist hart erarbeitet. Seit 2009 ackert die Band für den Durch-bruch. Etwa 300 Konzerte hat die A-cappella-Gruppe gespielt. Zwei Alben sind erschienen, derzeit arbei-tet sie am dritten, das 2017 raus-kommen soll. Die Liste der Aus-zeichnungen ist lang. Den bisher wichtigsten bekommen Unduzo jetzt in Stuttgart: den Kleinkunstpreis Baden-Württemberg 2016. Das gibt

5000 Euro Preisgeld und viel Auf-merksamkeit. Die Jury lobt die Frei-burger als „junge Antwort auf die A-cappella-Tradition“. „Das ist su-per wichtig für uns, ein Türöffner“, sagt Leisegang. Die Konzertanfra-gen nehmen spürbar zu.

Mit den vier Kollegen steht er im Band-Proberaum im Stadtteil St. Georgen. In Knörzers Arbeitszim-mer feilen sie an neuen Stücken. Auf dem Tisch steht ein Macbook, an der Wand ein Keyboard, alle ha-ben Tablets in der Hand, lesen dort ihre Noten ab. „Hab keine Angst, das ist ein Liebeslied, das meint es

gut“, singt Heil. „Wir haben’s ver-geigt, machen wir Takt 57 noch-mal?“, fragt Mack. „Ihr habt’s ver-geigt, ich nicht“, scherzt Leisegang.

Probentermine zu finden, ist nicht immer leicht. Alle geben Un-terricht und haben weitere Band-projekte. Leisegang wohnt zudem in Leipzig, die anderen in Freiburg. Etwa einmal die Woche sehen sie sich. Geprobt wird mal in Freiburg, mal im Hotel vor einem Auftritt oder direkt auf der Bühne, erklärt Knörzer, der sich auch mit der Beat-box-Formation Acoustic Instinct ei-nen Namen gemacht hat.

Die Rollen sind klar verteilt: Die meisten Ideen bringt Heil ein, Lei-segang kümmert sich ums Manage-ment und feilt mit dem Tenor an den Texten. „Musikalisch macht das dann oft Corni und ich tippe es ab“, sagt Knörzer und grinst. Um den op-tischen Feinschliff kümmert sich Jesse, die seit vier Jahren dabei ist. „Ich habe damals den Flyer gesehen und dachte mir: Die sind alle ein bisschen verrückt, das passt“, sagt die gelernte Musicaldarstellerin.

A-cappella-Bands mit einer Sän-gerin sind selten. Der Aufwand, alle Stücke für Jesse umzuschreiben, hat sich gelohnt. Sie komplettiert die Gruppe stilsicher, hat in Sachen Choreografie und Bühnenoutfits viel verändert. „Zwei Jahre lang sa-hen wir aus wie rote Tampons“, wit-zeln die männlichen Kollegen. Heute

gibt’s Choreografien, die weit übers synchrone Schnipsen hinausgehen. „Die Bühnenpräsenz kann noch bes-ser werden“, sagt Jesse trotzdem.

Unduzo wollen weit kommen. Mack hat deswegen ein Bandpro-jekt aufgegeben, Jesse cancelt einen Job als Lehrerin. Bei Knörzer ist es ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ zwischen Acoustic Instinct und Unduzo. Heil ist parallel bei der Urban-Pop-Band „Otto Normal“, die gerade einen Ver-trag bei Sony Music unterschrieben hat. Er wird sich irgendwann ent-scheiden müssen, sagen die Kollegen. Vorausgesetzt die Unduzo-Schlagzahl erhöht sich weiter.

Das A-cappella-Quintett hat Po-tenzial für mehr, ist Bertrand Grö-ger vom Jazzchor Freiburg über-zeugt. Er kündigte die Band im Jazzhaus als „Uprising Stars“ an. Knörzer sieht es so: „Es gibt viele bessere Sänger, aber nicht mit die-sen Ideen.“ Etwas Vergleichbares kenne er nicht. Und du so?

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„Zwei Jahre lang sahen wir aus wie rote Tampons“

GEsanG

Ambitioniert: Unduzo sind Richard Leisegang (Titelbild, von links), Julian Knörzer, Linda Jes-se, Cornelius Mack und Patrick Heil. Die Fünf studierten Musiker sind mittlerweile weit über Freiburg hinaus gefragt. 2017 wollen sie ihr drittes Album veröffentlichen. Ihr Bandname steht für die Frage: Und du so?

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Märchenhaft

(bar). Urban HipHop: Ein bisschen funky, ein bisschen soulig und eine coole Idee: Das deutsch-französische Duo Zweierpasch / Double Deux und ihre Band Les Mythes haben für die neue Rapconte-Scheibe mal in den Märchen der Gebrüder Grimm gestö-bert. Nun rappen und grooven sie Hänsel und Gretel, das tapfere Schneiderlein, Rapunzel oder auch den gestiefelten Kater – zweisprachig. Das fünfte Märchen, „Die Zwei und der Berg“ stammt direkt aus den Fe-dern der Zwillingsbrüder Felix und Till Neumann. Auf die märchenhafte Rap-Idee kamen sie im Mai 2014, als sie beim ersten deutsch-französischen Märchenfestival Konzerte in Lörrach und Straßburg spielten.

Lehrer dürften sich freuen, denn mit der zeitgemäßen Musik lassen sich nicht nur die schön-schaurigen Märchen aus fernen Zeiten eingängig lernen, auch im Fremdsprachenun-terricht könnte Rapconte willkom-men sein. Aber auch ganz ohne päda-gogischen Nutzen kommen die Songs mal leicht und luftig, mit Swing am Sax, mit Spaß an der Stromgitarre und mit guten Beats am Bass daher.

Die Scheibe kommt am 29. April für zehn Euro auf den Markt. Wer das Duo live sehen will: Am 17. April spielt es im Waldhaus Freiburg und am 22. April (ab 19 Uhr) bei einem Unicef-Benefizkonzert im Waldsee.

Zweierpasch

rapconte Rummelplatzmusik

hütten-house

(tbr). Das Plätschern eines Gebirgs-bachs, das Läuten von Kuhglocken, das Knarzen von Holz und das Heu-len des Winds: Ein Hamburger macht Bergalm-Musik. Dass das nur dank ausführlicher Recherche gelingen kann, war wohl auch Martin Stim-ming klar. Einen ganzen Monat lang zog er sich daher auf eine einsame Berghütte in einem norditalienischen Skigebiet zurück: die „Alpe Luisa“.

Den Entstehungsort seines vierten Albums hört man nicht nur am Namen, dennoch muss niemand befürchten, dass der House-DJ und Toningenieur zur Volksmusik überge-laufen ist. „Alpe Luisa“ vereint relaxte und dennoch energiegeladene Sounds, komplett ohne Vocals.

Die Songs von Stimmings viertem Studioalbum sind wunderbar warm und verspielt. Manche wie „Prepare“ bauen sich langsam auf, der Hörer wird sanft durch den Song geleitet. Bei anderen, wie „Tanz für Drei“ wird man in die Klangwelt hineingeschmis-sen und muss sich dort selbst zwi-schen den gegenläufigen Strömungen zurechtfinden.

Die ständigen Richtungswechsel und überraschenden Elemente halten die Spannung über das ganze Album hinweg aufrecht. Musik, die man wohl am besten ganz in Ruhe zu Hau-se genießt – falls nicht gerade eine einsame Berghütte zur Hand ist.

stiMMing

alpe luisaDiynamic Music

„Voll biologisch“

Musik ist grundnahrungsmittel, sagen claudia spahn und bernhard richter in ihrem buch „Musik mit leib und seele“. Die leiter des Freiburger instituts für Musikermedizin zeigen darin, was wir mit Musik machen und sie mit uns. chilli-redakteur till neumann hat mit claudia spahn (53) darüber gesprochen.

cultur.zeit: Frau Spahn, welche Nährstoffe sind im Grundnahrungsmittel Musik enthalten?Spahn: Alle lebenswichtigen Vitamine. Musik ist ein gesundes Grundnahrungsmittel, voll biologisch und sehr schmackhaft. Ohne fehlt uns etwas (lacht).

cultur.zeit: In Ihrem Buch steht, Musik steigert die Lebenserwartung. Wie denn das?Spahn: Musik regt uns an, wir musizieren mit allen Sinnen. Wir nutzen so die Möglichkeiten unseres Körpers und unserer Seele, drücken uns emotional aus. Musik hält uns außerdem fit, sie ist innere und äußere Bewegung. Singen setzt sogar Endorphine frei.

cultur.zeit: Kann Musik ungesund sein?Spahn: Musik an sich ist immer gesund. Wir können aber ungesund damit umgehen, zum Beispiel, indem wir sie zu laut hören und uns die Ohren kaputt machen. Das ist wie beim Essen: Zu viel ist nicht gut. An sich ist Musik aber total positiv.

cultur.zeit: Musik ist heute immer verfügbar ...Spahn: Ja, wir können sie quasi immer hören. Wichtig ist aber, Musik selbst zu machen. Früher war es selbstverständlich, ein Instrument zu spielen oder zu singen. Das Buch soll anregen, Musik aktiv wahrzunehmen. Sie muss ja nicht immer super glatt sein. Eine Welt ohne Musik wäre schrecklich öde. Das mag man sich gar nicht vorstellen.

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... Claudia Spahn

4 Fragen an ...

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Blasser Kerl, krasse Stimme

(tln). AnnenMayKantereit sind für so manchen die Band der Stunde. Pop-pig, verträumt und eingängig ist der Sound der vier Kölner. Mit „Alles Nix Konkretes“ haben sie im März ihr ers-tes Album veröffentlicht. Das sticht vor allem wegen Henning Mays Stimme aus der Masse heraus. Beginnt der schmächtige, blasse Kerl zu singen, reibt man sich die Ohren: so bassig, durchdringend und kratzig klingt das, als hätte er jahrelang Kette geraucht und Whiskey statt Wasser getrunken.

May singt sich auf „Alles Nix Konkre-tes“ quer durchs Leben eines Mittzwan-zigers: Es geht um Liebe, Abschied, Freundschaft, Trennung. „An der Hal-testelle stehn, und es tut weh, dich schon wieder so wieder zu sehn“, singt er in „Pocahontas“ und will sich ent-schuldigen. Was dahintersteckt, erfährt der Hörer nicht. Die Platte hält, was der Titel verspricht: Es geht um viel Beiläufiges und um wenig Konkretes.

Der Klangteppich ist mal schmusig weich, mal borstig tanzbar. Mitsingen will man, den Regen plätschern hö-ren, die Schnipsel aus Mays Alltag zwischen Tourbus, Beziehungschaos und WG zu einem Ganzen zusam-menfügen. Wohlfühl-Pop trifft Ge-fühlschaos trifft Sehnsucht. Musika-lisch haben AMK gute Arbeit abgeliefert. Mit so einem Sänger kann man dann ohne weiteres einen Hit landen. „Oft gefragt“ zum Beispiel.

AnnEnMAyKAnTErEIT

ALLES nIx KonKrETESVertigo/Universal

rhetorische notfallambulanz

(dob). Camping-Mobile unter der Au-tobahnbrücke, eine als Elefant getarn-te Klobürste und ein trister Beton-Son-nenschirm an grauem Strand – will man da schöne Tage verbringen? Und wo liegt dieser Nicht-Ort überhaupt? Ralf Welteroth zumindest schickt uns Grüße aus Port Folio. So nennt sich das soeben als Doppel-CD erschiene-ne Hörbuch. Auf den schmissigen Scheiben hat Welteroth – Freiburger Autor und Musiker (Levy Shoemaker), Dauergast der Stuttgarter Lesebühne get shorties und nicht zuletzt verdien-ter Geschmackspolizist dieses Maga-zins – neue, unveröffentlichte Tex-te, ein wenig Musik, Gedichte und Liveaufnahmen aus mehr als zehn Jahren auf der Bühne versammelt.

Es sind zumeist schöne Wortspiele, nah am Dada und nicht so sehr am Schenkelklopfer gebaut. Wortakroba-tik ohne Netz. Wir erfahren etwa, was es mit den famosen tschechischen Gebrüdern Pospíšil auf sich hat, war-um der berühmte Schriftsteller Hell-muth Karasek Angst vor der Jugend hat, wie es sich in der rhetorischen Notfallambulanz anfühlt und ob es wirklich stimmt, dass Iris Berben so hübsch ist, wie alle meinen. Die erste CD endet mit dem Titel „Ein einiger-maßen nützlicher Text bestehend aus Koryphäen, Hämorrhoiden und dem viel zu selten verwendeten Adjektiv flamboyant“. Noch Fragen?

rALf wELTEroTh

GrüSSE AuS PorT foLIoMaringo-Verlag Stuttgart, 2016

hEADlinE

titel: The European Union Songbookurheber: ???Jahr: 2016

The Final Countdown – wer kennt es nicht, das lustige Endzeitlied der schwedischen Schwerst-Frisurenro-cker Europe, was übersetzt ungefähr so viel wie Euro-pa heißt. Und tatsächlich ist der skandinavische, fina-le Runterzähler gerade dabei, die Ode an die Freude als offizielle Hymne der Europäischen Union abzulösen. Diese ist nun aber wirklich auch so was von obsolet und oldfashioned geworden.

Die Einzigen, die sich in Europa (Europe) und neben der Band Europe (Europa) noch dauerhaft freuen, sind die ganzen EU-Abgeordneten, Kommissare und Beamten in Brüssel und Straßburg, nämlich über ihre monatlichen Bezüge und Pensionsansprüche.

Aber solange was Gutes dabei rumkommt, sei es ihnen von Herzen gegönnt. Und das tut es doch auch. Zum Beispiel wirbt man gerade für die Zusammen-stellung eines Liederbuchs der Europäischen Union. Man kann hier für Deutschland sechs Lieder (u.a. ein Liebeslied, Friedenslied, Kinderlied, Naturlied) vorschlagen, die man der Aufnahme in ein solches Liederbuch für würdig hält.

Solch essentielle Bereiche wie Sex, Saufen und Geld fehlen leider völlig. Deshalb nominiert die Gechmacks- polizei hierzu folgendes Deutsches Liedgut (welches zumindest für Tante Europa gerade gut genug ist): „Ole, wir fahrn ins Puff nach Barcelona (oder auch nach Straßburg), „Trink, trink, EU-Brüderlein trink (lass doch die Sorgen zuhaus)“ und „Hey Boss (oder auch EZB), ich brauch mehr Geld“.

Schauen sie doch auch mal vorbei und stimmen ab, vielleicht trifft man sich ja zufällig auf www.eu-songbook.org

Für Ihre Euro-Geschmackspolizei Ralf Welteroth

DEr SounDDrEcK ...... zu Europa

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ls das Mikrofon des Leadsän-gers der in die Jahre gekom-menen Rockband „Grand Ours“ den Geist aufgibt, ahnt niemand, dass auch dessen letztes Stündlein bald schlägt. Laut, krachend und mit anar-chischer Energie bestreiten die bärtigen Barden das Kel-

lerkonzert im Brüsseler Banlieu-Milieu; Sänger Jipé hat Mühe, ohne Verstärker gegen die kreischenden Instrumente der E-Gitarristen Yvan und Wim und die lär-mende Fangemeinde anzusingen und sie zu übertönen. Hinterher ist seine Stim-me ruiniert. Er kann gerade noch kräch-zen, dass sein Hals sich anfühle, als ste-cke ein Messer darin.

Ob der anschließende ausgiebige Bierkonsum in der benachbarten Knei-pe Linderung bringt, erfahren wir nicht. Jipé sagt nicht mehr viel, dafür trinkt er umso mehr. Denn das bisher nur mäßig erfolgreiche Quartett aus drei zotteligen Altrockern und einem smar-ten Jungschlagzeuger hat allen Grund zu feiern: In ein paar Tagen soll es end-lich zum ersten Mal raus aus Belgien und auf große USA-Tournee gehen; der Flug nach Los Angeles ist schon ge-bucht.

Doch dazu kommt es nicht mehr – zumindest für Jipé, dessen plötzliches Ableben Teil einer aberwitzigen, in ih-rer wilden Logik umwerfend komi-schen Kausalkette ist, in der sich die

abgründigsten Turbulenzen aneinan-derreihen. Und diese wirbeln die in tie-fer Bestürzung hinterbliebenen Band-kollegen bald gehörig durcheinander.

Die größte Turbulenz erleben Yvan, Wim, Altschlagzeuger Pierre und Jipés bis dahin unbekannter Liebhaber Dan-ny im Flieger, der die Kumpels samt der kurzerhand von einer Urne in einen Plastikeimer umgefüllten Asche des Ver-storbenen nach Los Angeles bringen soll. Die Maschine stürzt nämlich beina-he ab – verursacht durch die Spätfolgen des am Vorabend der Reise erfolgten Verzehrs des ziemlich vergammelten, noch von Jipé persönlich zubereiteten Chili con Carne. Zwar schafft der Pilot gerade noch eine Notlandung, doch die chaotischen Trauernden schlagen in Kanada auf. Und von dort will sie kein Weg mehr in die Staaten führen: Nach einer schier endlosen Zugfahrt landen sie total bekifft und völlig zerstritten in einer Inuit-Siedlung im äußersten Nor-den Kanadas – im Gebiet großer Bären und eines heiligen Flusses, dessen Ufer die ideale Stätte für die feierliche Be-stattung von Jipés Asche darstellt. Doch auch dazu kommt es nicht, trotz der Ver-söhnung, die die alte Männerfreund-schaft neu besiegelt.

Ein witziges, rasantes und schräges Rail-&-Fly-Movie, dessen bärbeißige Gestalten über alle Stränge schlagen – und für ein derart abgedrehtes Vergnü-gen sorgen, dass wir gerne über allzu übertriebene Zoten hinwegsehen.

Ich bin tot, macht was draus! Belgien/frankreich 2015Regie: Guillaume & Stéphane MalandrinMit: Bouli Lanners u.a.Verleih: camino Laufzeit: 96 MinutenStart: 28.4.2016

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KIno

asche zu asche ?bärbeissige gestalteN iN eiNem turbuleNteN rail-&-fly-movie

von Erika weisser

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Fotos: © Camino Film

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fraueN schrotteN!

Deutschland 2015Regie: nikolai MüllerschönMit: heiner Lauterbach, Blerim Destani u.a.Verleih: camino Laufzeit: 90 MinutenStart: 5.5.2016

Deutschland 2015Regie: Max ZähleMit: Lukas Gregorowicz, frederick Lau u.a.Verleih: Port au Prince Pictures Laufzeit: 96 MinutenStart: 5.5.2016

Drei Männer im Auto

(ewei). Da sind wohl drei Männer zur falschen Zeit am falschen Ort. Oder vielleicht doch nicht? Jedenfalls kom-men durch Verwechslungen, Missver-ständnisse und Ausbruchsversuche drei Kerle zusammen, deren Wege sich sonst nie gekreuzt hätten – und deren jeweiliges Frauenbild ansons-ten möglicherweise nie in Frage ge-stellt worden wäre.

Der steinreiche, in Scheidung le-bende Industrielle K. O. Schott wird zu seiner Fahrt zu einem dringenden Termin vom falschen Chauffeur ab-geholt und auf die falsche Route gebracht. Noch ehe sie die Verwechs-lung bemerken, gesellt sich der Mazedonier Liz Tucha zu ihnen: In höchster Not auf der Flucht vor der Verwandtschaft der Braut, mit der er zwangsverheiratet werden sollte, kid-nappt er die Limousine und zwingt den Fahrer und eingefleischten Frau-enverachter Rüdiger Kneppke in eine ganz andere Richtung. Die Reise en-det auf einer Klippe, in einem Ver-steck im Wald. Und mit neuen Ein-sichten.

cleveres Ganovenstück

(ewei). Die verfeindeten Brüder Mir-ko und Letscho Talhammer erben nach dem Tod des Vaters den abge-wirtschafteten familiären Schrott-platz. Mirko, der längst ausgestiegen ist, will ihn verkaufen, doch Letscho hängt mit ganzem Herzen daran und will ihn unbedingt behalten – und vor dem Zugriff des fiesen Nachbarn und Konkurrenten Kercher retten.

Seit sein Betrieb zu einem städ-tisch gesponserten Recycling-Unter-nehmen avancierte, will er expandie-ren und glaubt nun, den Talhammers endlich auch noch das letzte Wasser abgraben zu können. Irrtum: Let-scho und Mirko raufen sich zusam-men und verwirklichen den letzten waghalsigen Plan ihres Vaters – ein Himmelfahrtskommando, das nur durch eine kleine Unachtsamkeit am Ende misslingt. Doch die Brüder sind nicht mehr zu stoppen.

Eine schlichte Story, von einem spielfreudigen Ensemble in flottem Tempo als wunderbar cleveres Ga-novenstück mit vergnüglichen Wen-dungen inszeniert.

Die KommuNe

Dänemark 2016Regie: Thomas VinterbergMit: Trine Dyrholm, fares fares u.a.Verleih: Prokino Laufzeit: 111 MinutenStart: 21.4.2016

Alternativ im nobelviertel

(ewei). Der erfolgreiche Architektur- Dozent und Familienvater Erik ent-schließt sich, in der frisch geerbten Villa in einem Kopenhagener Nobel-viertel eine Kommune aufzumachen. Freilich tut er dies seiner Lebensge-fährtin Anna zuliebe, die ihn mit sanf-tem Druck von der alternativen Le-bensform „überzeugt“ – schließlich locken unerwartete Mieteinnahmen. Und Tochter Freja ist begeistert, als immer mehr alte Freunde, neue Be-kannte und vor allem Kinder in das gutbürgerliche Haus einziehen.

Für die kunterbunte Wohngemein-schaft beginnt ein fröhlich-entspann-tes Leben mit regelmäßigen Partys, Essenstreffs und Hausversammlun-gen. Ein Leben, in dem alles zu stim-men scheint – bis auf die Bierkasse. Doch dann verliebt sich Erik in die Studentin Emma …

Ein Filmvergnügen über das Di-lemma von Bedürfnissen und Idea-len, mit einem spielstarken Ensemb-le. Für die Rolle der Anna erhielt Trine Dyrholm den Silbernen Bären als beste Darstellerin.

Foto: © Port Au Prince PicturesFoto: © Camino FilmverleihFoto: © Prokino

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familieNfest

Deutschland 2015Regie: Lars KraumeMit: Lars Eidinger, Jördis Triebel u.a.Verleih: Eurovideo Medien Laufzeit: 94 MinutenPreis: ca. 14 Euro

Abrechnung ohne Biss

(ewei). Ein Patriarch, seine beiden Ehefrauen und seine Kinder: Eine Geschichte von Zerwürfnissen und Missverständnissen, Konkurrenz und Zurückweisung, von Geduld und Ge-walt. Im Grunde geht es allen um Liebe und Anerkennung, selbst dem besagten Patriarchen.

Zu seinem 70. Geburtstag hat er, ein berühmter Pianist, seine geschie-dene, inzwischen ziemlich versoffene Frau und Mutter seiner höchst un-terschiedlichen Söhne in sein Haus eingeladen, das er alleine mit seiner neuen, braven und konfliktscheuen Frau bewohnt. Die gepflegte Villa wird freilich zum Schauplatz der ziemlich ungepflegten Aufarbeitung familiärer Probleme.

Lars Kraume hat ein tragisches, manchmal allzu brav inszeniertes Familiendrama geschaffen, das trotz eines sehr guten Darstellerteams leider nur selten in erfreulich bösen und wirklich bissigen Dialogen an Fahrt gewinnt. Großartig in ihren Rollen: Lars Eidinger, Hannelore Elsner und Jördis Triebel.

macho maN

Deutschland 2015Regie: christof wahlMit: christian ulmen, Aylin Tezel u.a.Verleih: universumLaufzeit: 98 MinutenPreis: ca. 14 Euro

wann ist ein Mann ein Mann

(ewei). Der 30-jährige Daniel ist ange-passt und bequem, er geht stets den Weg des geringsten Widerstands. Als Sohn von ehemaligen 68ern ist er zwar das genaue Gegenteil seiner sub-versiven Eltern, hat aber deren gesell-schaftlichen Werte angenommen: Unter anderem ist er ein Frauenver-steher, der dem anderen Geschlecht Respekt und Achtung entgegen-bringt. Das hilft ihm, als er im Türkeiurlaub die schöne Aylin kennenlernt. Hals über Kopf verlieben sie sich und le-ben glücklich – bis er auf Aylins Fa-milie trifft. Ihr Bruder Cem und ihre Eltern vertreten nämlich ein anderes Männerbild als die Tochter und der Schwiegersohn in spe. In ihren Au-gen ist ein Mann, der kein klassischer Macho ist, kein Mann. Um es sich mit der Familie seiner Freundin nicht zu verderben, beginnt Daniel, sich an deren Erwartungen anzupassen. Er geht bei Cem in die Lehre – und ge-rät in einen schwierigen Spagat. Komödienscharmützel mit wenig Tiefgang.

ich uND earl uND Das mäDcheN

Komik und Kummer

(ewei). Der kontaktscheue Greg will die Highschool möglichst unauffällig und unbeschadet überstehen. Freund-schaften meidet er, selbst seinen bes-ten und einzigen Freund Earl nennt er nur „Mitarbeiter“. Die beiden ver-bindet eine große Leidenschaft fürs Kino, sie drehen Kurzfilm-Parodien auf Klassiker. 42 Videos haben sie be-reits fabriziert, darunter illustre Titel wie „A Sockwork Orange”, „Eyes Wide Butt“ oder „Rosemary Baby Carrots“. Ihre kreativen Späße darf freilich keiner sehen.

Als bei Rachel, der Tochter der besten Freundin seiner Mutter, Leu-kämie festgestellt wird, muss er sie besuchen. Widerwillig fügt er sich – und erlebt einen ziemlich unter-kühlten Empfang: Rachel ist das ab-gekartete Spiel ihrer Mütter genau-so peinlich wie Greg. Doch nicht lange.

Eine berührende Story, der durch eine lässige Erzählweise und ange-nehm unbekümmert agierende Dar-steller die schwierige Balance zwi-schen Komik und Trauer gelingt.

uSA 2015Regie: Alfonso Gomez-rejonMit: Thomas Mann, olivia cooke u.a.Verleih: Tcf home Entertainment Laufzeit: 104 MinutenPreis: ca. 13 Euro

3 DVDs zu gewinnen! Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „familienfest“

2 DVDs + fanpaket zu gewinnen! Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „Macho Man“

3 DVDs zu gewinnen! Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „Ich und Earl und das Mädchen“

DVD

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Das braNDNeue testameNt

Belgien/frankreich/Luxemburg 2015Regie: Jaco Van DormaelMit: Pili Groyne, Benoît Poelvoorde u.a.Verleih: Eurovideo Laufzeit: 110 MinutenPreis: ca. 16 Euro

nicht wie im himmel

(ewei). Gott lebt in Brüssel, nicht im Himmel. Und er ist nicht gütig, son-dern ein Tyrann. Ein allmächtiger Despot, der mit diebischer Freude neue, fiese Gebote ausheckt und, nachdem er schon den Sohn aus dem Haus getrieben hat, nun Frau und Tochter Éa zusetzt. Bis auch diese ge-nug hat und sich vom Bruder, der ihr nächtens manchmal erscheint, den Weg aus dem nicht eben himmli-schen Gefängnis weisen lässt.

Vor ihrer Flucht hackt sie sich in den Computer des Vaters ein und schickt die dort gespeicherten To-desdaten aller Menschen per SMS an die Weltbewohner, was zu unge-ahnten Reaktionen führt. Diese nutzt sie aus, um sechs neue Apostel zu sammeln, mit denen sie ein brandneues Testament schreiben will, mit dem der Alte Herr entmach-tet werden soll.

Ein ziemlich belgisches, ziemlich respektloses und aberwitziges Vergnü-gen mit dem Zeug zur Kult-Kömodie, die allein hier in Deutschland etwa 400.000 Besucher in die Kinos zog.

eWige JugeND

Italien / frankreich / Schweiz 2015Regie: Paolo SorrentinoMit: Michael caine, harvey Keitel u.a.Verleih: universal film Laufzeit: 118 MinutenPreis: ca. 15 Euro

Die Kunst des Alterns

(ewei). Der persönliche Gesandte der Queen ist not amused. Ihre Majes-tät wünscht sich zum Geburtstag ein Ständchen von ihrem Lieblings-komponisten. Doch der Maestro (Michael Caine) hat keine Lust mehr auf die Royals, er genießt lie-ber seinen Ruhestand. Mit seinem langjährigen Freund (Harvey Keitel) macht er Urlaub in einem Luxus-Sa-natorium in den Schweizer Alpen. Man plaudert entspannt über Prost-ata-Probleme und verflossene Lieb-schaften, über die Kinder und de-ren zerbrochene Ehen.

Während der Musiker den endgülti-gen Schlussstrich unter seine Karriere zog, plant sein Kumpel, ein namhafter Regisseur, in der abgeschiedenen Bergwelt ein letztes Werk – sein ci-neastisches Testament. Umgeben von einem Trüppchen überambitionierter junger Autoren, gefällt er sich als an-gebeteter Kino-Guru. Er ahnt nicht, welche Turbulenzen sein vermeintli-cher Geniestreich nach sich zieht.

Eine Meisterleistung – von Regis-seur und Darstellern.

3 DVDs zu gewinnen! Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „Das brandneue Testament“

3 DVDs zu gewinnen! Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „Ewige Jugend“

KINO FILMTIPPS

voll von der Rolle

Neue musik für den müden tod

(ewei). Gute Nachrichten für die Fangemeinde des Stummfilms: Fritz Langs erstes Meisterwerk „Der müde Tod“ wurde aus seinem Jahrzehnte währenden Dornröschenschlaf erlöst und ist nun bei Universum Film auf DVD erschienen (murnau-filmtheater.de/pro-jekt-der-muede-tod).Der poetische expressionistische Film gehört zu den bedeutendsten Werken der Stummfilmära. „Deutsches Volkslied in sechs Versen“ nannte Lang den Film, des-sen zentrale Themen Liebe, Tod und Opfer sind: Eine junge Frau lässt sich auf einen Handel mit dem Tod ein, damit er ihr den Bräutigam zurückgibt. Auf ihren aben-teuerlichen Reisen in den Orient, nach Venedig und nach China scheitert sie jedoch und wird erst mit dem Geliebten vereint, als sie sich selbst opfert. Dieses märchenhafte Stück Filmgeschichte wurde an-hand noch existierender Kopien von der Friedrich-Wil-helm-Murnau-Stiftung digital restauriert, wieder mit der ursprünglichen Einfärbung versehen und bei der Berli-nale 2016 aufgeführt. In großer Gala und, da keine histo-rische Originalmusik überliefert war, mit neuer Musik.Diese hat der Freiburger Komponist Cornelius Schwehr geschaffen: In neun Monaten intensiver Auseinander-setzung mit dem Stoff ist eine „Musik über Musik“ ent-standen, eine vielschichtige Komposition, die den Grundton der Rahmengeschichte und der drei Rei-se-Episoden exakt trifft. Das Ergebnis seiner Arbeit, die ihm „einen Mordsspaß“ gemacht habe, steht in einem Bild-Ton-Verhältnis, wie man sie sich für Filmmusik wünscht: Sie spannt Bögen, verzichtet auf Illustrati-onsverdoppelung, spielt sich nicht in den Vordergrund. Sie reflektiert die Bilder, gibt ihrer ausdrucksstarken Sprache einen eigenen Klangraum, eine neue Dimension. Auch ein Meisterwerk.

April 2016 chilli CuLtur.ZEIt 63

Kolumne

Foto: © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung Wiesbaden

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lIteRatuR

64 chilli CuLtur.ZEIt April 2016

Foto: © Conny Ehm

er Freiburger Autor Patrick Brosi hat für seinen Roman „Der Blogger“ den von der Stuttgarter Beratungsgesellschaft Ebner-Stolz gestifteten Wirtschaftskrimipreis gewonnen. Der 29-jährige Informatiker war „ziemlich überrascht“, dass gleich sein zweites Buch prämiert wurde.

Mit der Verleihung dieses Preises wur-de „Der Blogger“ zum besten deutsch-sprachigen Wirtschaftskrimi des Jahres 2015 erklärt – von einer Jury, der 13 teil-weise durchaus namhafte Krimi-Kenner aus ganz Deutschland angehören. Pat-rick Brosi selbst will sein auf diese Weise ausgezeichnetes Buch „nicht so hoch-trabend“ einstufen. Allerdings könne er als Autor auch „nie so recht beurteilen, ob das Buch etwas taugt“.

Es taugt: Spannend ist es, gut ge-schrieben und in einer Wirtschafts-branche angesiedelt, die nicht nur in der Fiktion zu thrillerverdächtigen Skandalen neigt: in der Pharma-In-dustrie. Es geht um Manipula-tion, um falsche Fährten, um abgekartete Spiele. Um einen Whistleblower, der als Blogger gewisse Machenschaften eines rein fiktiven Baseler Konzerns publik macht und erst in einem Hotel am Titisee und dann im Titisee selbst untertaucht. Es geht um eine jun-ge, ehrgeizige und ebenfalls bloggende in-vestigative Journalistin, die auf ihn angesetzt wird und deren Spur sich auch bald verliert. Und schließlich

geht es um einen Freiburger Kriminal-kommissar, der in beiden Fällen ermittelt – und ein Fass ohne Boden aufmacht.

Brosi versteht es, die aus mehreren Strängen bestehende Handlung so auf-zubauen, dass die Spannung auch auf 450 Seiten nicht etwa nachlässt, son-dern zunimmt: Ständig neue, unerwar-tete Wendungen erlauben beim Lesen keine Unkonzentriertheiten. Dazu tra-gen auch die wechselnden Zeitebenen bei, die erst einmal ziemlich lästig sind, sich dann aber stilistisch so geschickt einander annähern, dass die Zuspitzung der Ereignisse förmlich greifbar wird. Diese enden in einem Finale, das der

Autor „selbst nicht erwartet“ hat.

Zur Verleihung des mit 1500 Euro dotierten Preises bei den Stuttgarter Krimi-nächten reiste Patrick Brosi

in seine alte Heimat. Dort, in der vor den Toren der Landeshauptstadt gelegenen 35.000-Seelen-Gemeinde Backnang, lebte er bis zu seinem in Tübingen absol-vierten Bachelor-Studium. 2011 kam er nach Freiburg, sattelte einen Master drauf und arbeitet derzeit als Informatiker.Und „irgendwie auch als

Schriftsteller“, wenn sein ei-gentlicher „Brotberuf“ es zeitlich zulässt. Und wenn in seinem Kopf „eine Idee entsteht, die langsam Ge-stalt annimmt“. Und im Prozess des Schreibens auch für ihn überraschende Wege einschlägt.

Brosi gewinnt Wirtschaftskrimipreisfreiburger für „Der blogger“ ausgezeichNet

Dvon Erika weisser

Patrick Brosi: Schrift-

steller mit Brotberuf.

Der Bloggervon Patrick Brosi

Emons Verlag, 2015456 Seiten, Broschur

Preis: 14,95 Euro

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Auf Zehenspitzen

(Erika weisser). „Hier bin ich und hab in meiner Tasche als einzigen Besitz sechsundzwanzig Buchsta-ben des Alphabets.“ Mit diesem Besitz betritt der haitianische Schriftsteller Dany Laferrière „ein neues Buch, auf Zehenspitzen, wie ein Haus, in dem man noch nicht weiß, wie die Zimmer liegen“.

Seit 1979 lebt er in Kanada. In die-ser Zeit hat er 23 „neue Bücher betre-ten.“ Und sich bestens darin zurecht gefunden. Das jüngste nennt er „Ta-gebuch“. Und so liest es sich auch: Biografische Splitter sind in den 182 kurzen Kapiteln reichlich enthalten, neben wohl durchdachten Betrach-tungen über Bücher, Arbeit, Heimat, Dichtung und Wahrheit.

Philosophische, eigenwillige, lei-denschaftliche, nachdenkliche, hu-morvolle, ja, schöne Sätze reihen sich aneinander – über den Prozess des Schreibens, des Lesens, des Lebens.

Sätze, die einem vielleicht wirk-lich nur dann in den Sinn kommen, wenn man, noch im Pyjama, bei der ersten Tasse Kaffee sitzt. Oder, schon im Pyjama, beim letzten Glas Rotwein. Und dabei zu der Er-kenntnis kommt, dass Heimat das ist, was man aus den besagten 26 Buchstaben macht: Literatur.

Am 26. April ab 20 uhr liest Dany Lafer-rière im Centre Culturel Français. Mit dabei: die Freiburger Übersetzerin Beate Thill, die seine Bücher ins Deutsche übertragen hat.

von Dany LaferrièreVerlag: Wunderhorn 2015328 Seiten, gebundenPreis: 24,80 Euro

Im Abgrund

(Dominik Bloedner). Alkohol, Nutten, Gewalt, fiese Typen und jede Menge Trostlosigkeit. Damit hat der famose Schriftsteller, Musiker und Schau-spieler Heinz Strunk („Fleisch ist mein Gemüse“) sein aktuelles Buch komponiert – das, nebenbei bemerkt, zu Recht für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert worden war.

„Der Goldene Handschuh“ ist eine Art Heimatroman: Hamburg und der Kiez auf St. Pauli, von der Literatur gerne großräumig umschifft, bekom-men hier ihr literarisches Denkmal. Doch Strunk verlangt seinen Lesern einiges ab. Er erzählt uns die Ge-schichte von Fritz Honka, dem Prosti-tuiertenmörder, der in den 70ern nach einem spektakulären Prozess bundes-weit finstere Berühmtheit erlangte. Das Monster Honka, vom Leben und vom Alkohol schwer gezeichnet, greift sich die Opfer in der Kiezkneipe „Gol-dener Handschuh“. Dantes Inferno ist gegen dieses dunkle Loch ein sonniger Sandkasten.

Hier treffen sich die Kaputtnicks mit den verkommenen Sprösslingen einer Reederei zum Sturzsuff. Der Sex dort ist die Verhöhnung von al-lem, was anständig ist. Honka deli-riert von „frischem Sperma, das in schweren Tropfen auf die Köpfe mei-ner toten Eltern regnet“. Die 256 Sei-ten sind eine Zumutung – und große Literatur. Denn Strunk setzt nicht nur auf den Ekelfaktor, sondern auf die traurigen Zwischentöne, auf die Frage nach dem Warum.

von heinz StrunkVerlag: Rowohlt Verlag 2016256 Seiten, gebundenPreis: 19,95 Euro

DEr GoLDEnE hAnDSchuh

Kritische Analyse

(Lars Bargmann). Literatur ist sein Le-ben: Hans Peter Herrmann war von 1973 bis 1994 Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Freiburger Uni und hat nun eine Textsammlung vorgelegt, die sich sehr kenntnisreich mit den großen Krisen der deutschen Universitäten auseinandersetzt,vor al-lem mit der „eigenen“ . Ein Buch, das wachhalten und in Beziehung setzen will, das kritisch analysiert und selten interpretiert.

Hermann, 1929 in Weimar gebo-ren, äußerte sich öffentlich erst spät zur Hochschulpolitik. In Krisen schil-dert er nun auf der einen Seite die zähe Auseinandersetzung der west-deutschen Universitäten mit ihrer ei-genen NS-Vergangenheit und attes-tiert, dass deren Realitätsverweigerung zu einem dramatischen Verlust an moralischer Glaubwürdigkeit geführt habe – gerade Freiburg tat sich in die-ser Disziplin besonders schwer.

Und auf der anderen, wie sich ab Ende der 50er Jahre der Reformdruck an den Unis aufstaute, warum sie sich demokratisieren und an eine neue Ge-sellschaft anpassen mussten. Er erin-nert beiläufig daran, dass Landesvater Lothar Späth die Geisteswissenschaf-ten 1983 mal als „Diskussionswissen-schaften“ abqualifizierte, derweil sie heute „unverzichtbare Mitwirkungs-aufgaben bei allen gesellschaftlichen Entwicklungen“ haben. Ihre Kritikfä-higkeit sei umso wichtiger, je mehr „un-sere Art zu wirtschaften und zu leben dabei ist, unsere Erde zu ruinieren“.

frezi

KrISEn

von hans Peter herrmannVerlag: Rombach, 2016276 Seiten, PaperbackPreis: 48,00 Euro

TAGEBuch EInES SchrIfT-STELLErS IM PyJAMA

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Waage 24.09. – 23.10.

Leg beim Kochen einen Holzlöffel auf den Topf, damit das Wasser nicht überkocht. Solche Livehacks lassen sich auch übertragen: Wenn dein Chef mal wieder überkocht, weil du Mist gebaut hast, leg ihm einfach einen Holz-löffel auf den Kopf. Wetten, dass du dich nie wieder mit ihm herumstreiten musst? Dafür aber mit deinem Sachbearbeiter bei der Arbeitsagentur ...

Skorpion 24.10. – 22.11.

Woran erkennt man einen guten Livehack? Daran, dass er dich weiter-bringt: „Gibt dir das Leben Zitronen, mach Limonade draus“ also eher nicht. „Gibt dir das Leben eine schwer zu öffnende Plastikverpackung, benutze ei-nen Dosenöffner“ ist viel besser. Was lernen wir daraus? Verbanne alles aus deinem Leben, was dich nicht weiterbringt. Nummer Eins: Horoskope lesen!

Schütze 23.11. – 21.12.

Der Frühling ist da. Das erste Lagerfeuer am See steht an. Doch du findest keinen trockenen Reisig als Anzünder. Tacos tun es genauso. Wie, das funk-tioniert nicht? Und jetzt willst du die Horoskopeschreiberin verklagen?! Wie wär’s, wenn du Fehler erst mal bei dir selbst suchst? Oder muss dir dein Horoskop wirklich sagen, dass du dabei den Dipp weglassen musst?!

Steinbock 22.12. – 20.01.

Blau lackierte Fingernägel waren in den Neunzigern mal angesagt. Aber heute sind blaue Nägel echt nicht mehr im Trend. Also: Wenn du das nächste Mal ein Bild aufhängen möchtest, benutz einfach eine Wä-scheklammer, um den Nagel zu halten. Schließlich ist so eine Fingerna-gelmodellage per Hammer auch nicht die schönste Art der Maniküre.

WaSSermann 21.01. – 20.02.

Du willst Alltagshelfer, die wirklich etwas bringen. Na gut, dann besorg dir eine Putzfrau, einen Koch, einen Sekretär und einen persönlichen As-sistenten. Wie du das Geld dafür auftreibst, verrät dir dein Finanzberater. Und dass du zusätzlich bald noch einen Schuldenberater brauchst, das sagt dir deine Horoskopeschreiberin voraus.

fiSche 21.02. – 20.03.

Wenn du mit dem Feuerzeug an den Docht einer Kerze nicht heran-kommst, nimm einfach eine Spaghettinudel zu Hilfe. Was? Bolognese oder Carbonara? Ob die Nudel al dente sein muss? Und ob das auch mit Pizza geht? Na klar, kein Problem: Bring einfach alles in ausreichender Menge in die chilli-Redaktion und wir helfen dir dann, deine Kerze anzuzünden.

chilli ASTROLOGiE

Das »bierernste«

chilli-horoSkop Die Livehack-eDition von hobbyastronautin tanja bruckert

Widder 21.03. – 20.04.

Dein Horoskop war in den vergangenen Monaten nicht gerade positiv. Ach, wem machen wir was vor? Dein Horoskop war seit Jahren nicht mehr positiv. Aber da die Hobbyastronautin keine Lust hat, sich eine Zelle mit Böhmermann zu teilen, gibt es hier statt Beleidigungen mal nützliche Livehacks. Enttäuscht? Tja, Pressefreiheit war halt schon was Schönes ...

Stier 21.04. – 21.05.

Du willst einen Livehack dafür, wie du Fessenheim abschalten kannst. Wie du Flüchtlinge sicher übers Meer bringst. Oder mit bloßen Händen den Freiburger Stadttunnel gräbst. Zugegeben: Dafür bringen dir die All-tagstricks nichts. Aber hey, sie sagen dir, wie du einen Kratzer aus einer CD bekommst. Und sind nicht das die drängenden Probleme unserer Zeit?

zWilling 22.05. – 21.06.

Das Grüne von Erdbeeren lässt sich mit einem Strohhalm entfernen. Einfach von unten in die Erdbeere stechen. Dass dabei auch die halbe Erdbeere flöten geht, musst du halt in Kauf nehmen. Am besten funkti-oniert der Trick bei Walderdbeeren. Da ist dann gleich die ganze Beere weg und du kannst dir stattdessen ein schönes Erdbeereis kaufen.

krebS 22.06. – 22.07.

Du willst endlich, endlich mal ein Horoskop lesen, das dir tatsächlich wei-terhilft? in Ordnung: Wenn du Kaugummi im Haar hast, bekommst du ihn mit Butter wieder raus. Okay, das hilft dir bei deinen Geldsorgen, deinen Pro-blemen mit dem anderen Geschlecht und deinem Ärger im Job nicht weiter. Aber hey, zumindest musst du das alles nicht mit Glatze durchmachen.

lÖWe 23.07. – 23.08.

Mit Zahnpasta kannst du trübe Autoscheinwerfer zum Glänzen bringen. Den Livehack kennst du schon? Na gut. Aber was du garantiert noch nicht wusstest: Mit Zahnpasta kannst du auch deine Zähne zum Glän-zen bringen. Doch, wirklich! Probier es aus! Die Dinger in deinem Mund müssen nicht braun und löchrig sein – das geht auch anders!

JUngfraU 24.08. – 23.09.

Du hast spontan Freunde zum Grillen eingeladen und merkst nun, dass das Bier nicht kalt ist. Nasses Küchentuch um die Flaschen und ab ins Gefrierfach: Nach 15 Minuten sind sie eiskalt. Dann bemerkst du, dass du keinen Grill hast. Und kein Fleisch. Und keine Salate. Tja, da hilft dann auch kein Livehack mehr, sondern nur der Gang ins nächste Restaurant.

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