Claas, Fürst - Willkommen in meinem Kopf

Embed Size (px)

Citation preview

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    1/239

    Willkommen in meinem Kopf

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    2/239

    2

    INHALTSVERZEICHNIS

    Seite

    Kapitel Null___________________________ 5

    Zeichen _____________________________ 6

    Roboter Robert _______________________ 7

    Beziehungswahn _____________________ 15

    Tollkhne Piloten ber Peru _____________ 16

    Ich trume doch nur ___________________ 18

    The Time and Space Society ____________ 20Eintrittskarten in die Welt der Illusionen_____ 21

    Reise zur dunklen Seite des Mondes ______ 24

    Jeder Mann hat einen Zauberstab _________ 39

    Das zerrissene Buch __________________ 48

    UFOs______________________________ 51

    Mathematik macht was sie will____________ 59

    Kapitn Picard _______________________ 62

    Auerirdische rzte ___________________ 64

    Deutschlands bester Freund Psychopath ___ 69

    Die Judenbuche ______________________ 76

    Agent der Allmchtigen_________________ 80

    Klick_______________________________ 82

    Rocky-Horror-Picture-Show _____________ 85Walfische und der 7. Sinn_______________ 87

    Per Anhalter durch die Galaxis ___________ 89

    X-mal Deutschland ____________________ 91

    Ein Osterfeuer, oder die Htte des Grauens _ 97

    Pilles homopathische Apotheke ________ 101

    Tod? _____________________________ 110

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    3/239

    3

    Liebesflammen _____________________ 111

    Trommeln, Blut und Bldsinn ___________ 114

    Materilisation _______________________ 116Ariel Ultra, ich wasche meinen Kopf ______ 118

    Mehr Luft __________________________ 119

    Wie schreibt man Schreiben? _________ 120

    Teufelsbrck, die Schule der Gestaltung___ 122

    Die Seekarten des Hamburger Himmels ___ 124

    Wlfe im Krankenhaus und Geister im Hinterkopf126

    Pass auf! __________________________ 128

    Ein persnliches Gesprch mit dem Zufall _ 129

    I einen Vogel, und du wirst ein Vogel ____ 131

    Eine neue Liebe und ein schwarzer Hund __ 133

    Der schne Weg zur Bcherei im Bauch___ 134

    Emotion ___________________________ 135

    Alles luft nach Plan __________________ 138Alles verluft wirklich nach Plan__________ 142

    Gemlde des Glcks _________________ 146

    Trinke eine Acht _____________________ 150

    Lebendige Buchstaben________________ 151

    Haut ______________________________ 153

    Ein magisches Baby__________________ 155Au! _______________________________ 162

    Ein englischer Anker__________________ 164

    Schmetterling und Federvieh ___________ 166

    Pinkelbecken _______________________ 167

    Als die Zeit stehen blieb _______________ 169

    Metall und Herzblut ___________________ 170

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    4/239

    4

    Schuld ____________________________ 173

    Die Geheimnisse von Horneburg ________ 177

    Phantasie?_________________________ 179Das Geisterschiff ____________________ 182

    ABC______________________________ 184

    Wuff! _____________________________ 186

    T.S.S. RE-Members __________________ 187

    Spinnenpost________________________ 188

    Christusmrder Krckeberg ____________ 224

    007 ______________________________ 227

    Wie der Teufel zufllig religis wurde _____ 230

    Nebelscherben______________________ 232

    Die Rckkehr des Roboters Robert ______ 238

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    5/239

    5

    Kapitel Null

    Das Letzte zu Beginn:

    Dies ist der Versuch einer neuen Ordnung:Oben befindet sich unten, der uere Rand ist der Kern.

    Kein Buch ber die Wirklichkeit oder die Wahrheit.Nur meine Erinnerungen an die Wirklichkeit.

    Die Kapitel meiner Erzhlung sind nicht chronologischgeordnet, denn im Mittelpunkt der Geschichten befindet sich einegeheime Organisation, die durch die Zeit reisen kann. Ich wollte jenes Gefhl zu Papier bringen, welches das Zerbrechen derlinearen Zeit erzeugt.

    Ein Kung-Fu Lehrer sprach einst zu mir: Ich wrde gerneein Buch schreiben. Das ist mir aber zu gefhrlich. EtwasGedrucktes kann ich nicht rckgngig machen. Es steht dort frimmer und ewig. Auch dann, wenn ich meine Meinung ndere.

    Worin liegt der Unterschied zwischen dem gesprochenenund dem geschriebenen Wort?

    Gefhle verwandeln sich. Alles auf dieser Welt ist einemstetigen Wandel unterzogen.

    Ich wnsche mir, da Willkommen in meinem Kopf

    gelesen wird, wie ein gesungenes oder geflstertes Wort. Esverwandelt sich mit dem Gemt des Erzhlenden. Mit seinerMdigkeit oder Heiterkeit, seiner Wut oder Zuversicht. Gelesenwird, mit dem Wissen vom Wandel der Welt.Die Namen der meisten handelnden Personen in diesem Buchhabe ich gendert. Eben, weil sie sich verwandeln, und heuteandere Menschen sind. Auch jene Menschen, deren Namen ichnicht vernderte, haben sich verwandelt.

    Kann etwas gesagt oder geschrieben werden, das frimmer Gltigkeit besitzt?

    Nichts.Die Wahrheit, die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit.

    Frst Claas vom Mars im April 1996

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    6/239

    6

    Zeichen

    Was machst du, wenn du die Strae entlang gehst und

    berlegst, ob du einer Freundin, die du lange nicht gesehen hast,einen Brief schreiben solltest. Eine Sekunde nach diesemGedanken fhrt ein gelber Postbus an dir vorbei. Auf dem steht derSlogan: Schreib mal wieder!. Schreibst du dann den Brief andeine Freundin, weil du das Gefhl hattest, der Bus wre einZeichen gewesen?

    Oder, wie entscheidest du dich, wenn du in der Zeitungeinen Artikel ber das Fasten gelesen hast. Darin stand, es seidie phantastische Superreinigung fr Krper und Seele. Duspazierst durch eine Fugngerzone und achtest nicht auf die

    Geschfte, weil du so in Gedanken bist, da du dich schlapp fhlst,und warum. Und ob du nicht wirklich fasten solltest? Du redest direin, da ja alles so dreckig ist in dir drin und trittst fast in einenHaufen Hundekot; machst einen Schritt nach links und siehst, dadu dich direkt neben einer Schnellreinigung befindest. ImSchaufenster klebt das groe Reklameschild SuperSchnellreinigung. Entschliet du dich nun, dich bei einemkirchlichen Fastenseminar anzumelden?

    Was ist Beziehungswahn? Was ist Zufall?

    Was ist ein mystisches Zeichen?

    Es gibt die tollsten Formen des Wahnsinns. Menschen, dieglauben, Rauhaardackel seien Auerirdische und wrden mit ihnensprechen. Menschen, die glauben, alle gelben Autos wrden sieverfolgen. Und dann sind da noch Tausende, die glauben, dieWiedergeburt von Jesus Christus zu sein.

    Jeder dieser Menschen hat einen Grund fr das, was erglaubt, und die Schlufolgerung, von gelben Autos verfolgt zuwerden, mit auerirdischen Rauhaardackeln zu kommunizierenoder die Inkarnation Jesus Christus' zu sein, folgt meist erst nach

    einer Reihe von Ereignissen, einer Serie von Zufllen, von denender Beziehungswahnsinnige nicht mehr glauben kann, da essich nur um Zuflle handelt.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    7/239

    7

    Roboter Robert

    Klappe 1

    Ich hatte einen Freund namens Robert. Er war verrcktgeworden. Er glaubte ernsthaft, Jesus zu sein. Als ich ihn fragte,wie es dazu gekommen sei, behauptete er, er wre den Zeichengefolgt, htte auch Tarotkarten befragt und auf seine Intuitiongehrt. Dies erzhlte er mir, whrend wir durch die Straen desKarolinenviertels in Hamburg schlenderten. Da blieb er ein paarMeter vor einer Litfasule stehen. Bedeutungsvoll hob er dieArme wie ein amerikanischer Fernsehpriester, der die Glubigensegnen will. Er sprach mit zitternder Stimme:

    Da! Schon wieder ein Zeichen!Auf der Litfasule klebte ein Kinoplakat:V - Die Auerirdischen kommen.

    Au weia! Wer hatte ihm das angetan? Wie war das nurpassiert?Als Robert noch nicht den Verstand verloren hatte, war er einVorbild fr mich. Ich wollte so leben wie er. Robert warStraenmusiker und schaffte es, soviel Geld zu verdienen, da ereine schne Wohnung bezahlen konnte und immer genug zu Essenhatte. Manchmal war er schon ein bichen komisch: Er erzhlte, ersei ein groer weier Magier. Ich sei auch einer, aber mtemeine Krfte noch entdecken.

    Einmal nahm er mich mit zum Musikmachen. Es war einwarmer Sommerabend. Wir gingen zum Spritzenplatz in Altona.Robert spielte Gitarre und sang. Ich spielte dazu auf meinenBongos. Wir kauften uns Haschisch von dem verdienten Geld undeinige Leute, die in einem Restaurant drauen saen, gaben unsein paar Bier aus. Nachts hatte mich Robert dann noch besucht.Als er ging, wollte er sich gerne ein Kartenspiel von mir ausleihen:Das Dakini-Orakel. Das ist eine Art Tarotspiel, um in die Zukunftoder ins eigene Unterbewutsein sehen zu knnen. Die Bilder sindaus Photocollagen gemacht. So etwas wie die Karte DerEinsiedler im Tarot, ist im Dakini-Orakel etwa einHaustrschlssel, der im Weltraum fliegt. Ich gab ihm nicht nur dasSpiel mit, sondern auch etwas zu rauchen: Eine Mischung ausStechapfel, Tollkirsche und Marihuana.

    Als ich Robert das nchste Mal sah, waren einige Tagevergangen. Ich traf ihn im Tropical Brasil auf der Reeperbahn. ImTropical war immer tolle Live-Musik. Ich war gerne dort. Wenn dieMusiker Lust auf eine Session hatten, durfte ich am Schlagzeugmitspielen. Robert wippte hektisch hin und her, hatte riesige

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    8/239

    8

    Pupillen und einen irren Blick. Er wrde jetzt keine Drogen mehrnehmen, und es ginge ihm sehr gut, sagte er.

    Ein paar Tage spter begegnete ich ihm wieder imKarolinenviertel. Er erzhlte mir seine Jesusgeschichte und dieSache mit dem Zeichen auf der Litfasule geschah. MeineFreundin Marga und unser Hund Ghandy waren auch dabei. Dannnahm Robert uns mit in die Wohnung einer Freundin, bei der er seitdrei Tagen bernachtete. Wir setzten uns in einem kleinen Raum,in dem ein Hochbett stand, auf ein Sofa. Hast du nicht etwasHaschisch dabei?, fragte mich die Inkarnation von Jesus Christus.Eigentlich htte es ganz gemtlich sein knnen, wenn Robert nichteinen so irren Blick gehabt und so merkwrdig hektische

    Bewegungen gemacht htte. Nun kam der Hund von RobertsFreundin herein. Er war zu allen friedlich und freundlich. Nur Robertklffte er an und schnappte nach ihm. Robert hatte sich einenBesen genommen und dann Dreck, der gar nicht vorhanden war,von der einen Ecke des Zimmers in die andere gefegt und denHund dabei angeschrien: Ich hasse Hunde, ja ich bin auch einHund, nein, geh weg. Als der Hund aus dem Zimmer war, machteRobert wieder diese merkwrdigen Bewegungen. Wie jemand, derversucht, sich blitzartig in verschiedene Yogastellungen zu bringen.Dann setzte er sich im Schneidersitz auf den Fuboden. Er hattesich einen Holzspeer genommen, der irgendwo im Zimmerherumlag. Der war in der Mitte durchgebrochen. Robert versuchteihn zu reparieren. Ich wei nicht mehr, ob er berhaupt Leim dazuhatte. Auf jeden Fall steckte er die beiden Speerhlften immerwieder zusammen. Sie hielten nicht. Dann machte Jesus Christuswieder diese geheimnisvollen hektischen Verrenkungen, stand aufund nahm sich ein groes Schwert, das zur Dekoration an einerWand des Raumes lehnte. Er hielt es in der Hand, setzte sichwieder hin, legte es neben sich und schaute mich an. Woher weitdu sicher, da du Jesus Christus gewesen bist und jetzt wieder dabist?, fragte ich ihn. Er rckte nher zu mir, drckte meinen Arm

    und flsterte: Du mut mir glauben, du mut mir glauben. Wenn ichzuviel darber spreche, verliere ich Kraft. Dann erzhlte er weiter,da er nicht nur Jesus, sondern auch ein Knig sei. Da ich auchein Knig bin, Marga und Ghandy ebenfalls. Nun kam endlich dieFreundin von Robert herein. Sie schien lter als er zu sein. Ichschtze Robert auf damals ca. 21 und sie auf 30 Jahre alt. Du bistmeine Knigin, wimmerte Robert, und wir werden die Weltregieren. Hau jetzt ab, herrschte ihn die 30-jhrige Frau an. Hauendlich ab, ich kann das nicht mehr hren. Du spinnst! Du nervst!Du bist nicht Jesus! Ich bin ans Kreuz gegangen, schrie Robert,und zeigte uns eine kleine Schrfwunde an seinem Unterarm. Ich

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    9/239

    9

    bin ans Kreuz gegangen, ich will nicht mehr leiden. Wenn du jetztnicht gehst, drohte die Frau, rufe ich die Polizei. Robert nahmsich das Schwert, fuchtelte damit herum und kletterte so bewaffnetauf das Hochbett. Dann werde ich kmpfen! Ich will nicht mehrleiden! Ruf doch die Polizei, ruf sie doch! Wenn du wirklich Jesuswrest, argumentierte die Frau, brauchtest du kein Schwert.Lat mich in Ruhe, haut ab!, schrie Robert.

    Als die Frau zum Telefon ging, wurde mir sehr mulmigzumute. Marga, Ghandy und ich verabschiedeten uns und gingenhinaus.

    Das war der Beginn einer merkwrdigen Verstrickungmeines Lebens mit dem Namen Robert, mit Schwertern undgeheimnisvollen Zeichen. Auch ein bichen Alfred Hitchkocks

    Norman Bates.Als ich mit Marga zusammen Jesus-Robert besuchte, nachdemdieser aus der Psychiatrie entlassen worden war, lernte ich seineentsetzliche, manisch-depressive Mutter kennen. Robert sagteimmer wieder: Ja, Mutter, du bist krank, und ich bin auch krank, wirsind krank. Woraufhin seine Mutter antwortete: Du kannst michmal ganz krftig am Arsch lecken, aber wenn ich gerade mitDnnschi geschissen habe.

    Gtiger Himmel.

    Klappe 2

    Ein Jahr spter lebte ich mit meiner Freundin Diana inFinkenwerder. Ihre Tante arbeitete in einem Reisebro und hatteihr fr die Ferien eine Pension in Tossa del Mar empfohlen. Dianawollte nicht alleine fahren und zahlte mir die gesamten Kosten frdie Reise und die bernachtungen. Ich lebte damals von derSozialhilfe und htte mir kaum so einen Urlaub leisten knnen.

    Auf der Busfahrt nach Spanien weinte Diana fast die ganzeZeit bitterlich. Sie hatte in der Nacht zuvor zugesehen, wie ich mit

    Marga schlief. Gleichzeitig hatte ich mir angeschaut wie sie mitJrg, einem Sanyassin (Baghwan-Jnger) bumste. Fr diesesAbenteuer hatten wir alle Matratzen in unser Wohnzimmergeschafft und uns so ein angemessenes Nachtlager errichtet. Ichfand, das war ein groartiges Experiment gegen Eifersucht undlangweilige Beziehungen. Als Diana am besagten Abend ihrenersten hysterischen Anfall bekam, beschwichtigte der Sanyassinsie: Aber das ist doch nur Sex und Spa. Deswegen brauchst dudoch nicht traurig zu sein.

    Nachdem wir ber die franzsisch-spanische Grenze

    gefahren waren, hrte Diana endlich auf zu Schluchzen. Der Bus

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    10/239

    10

    hielt. Kleine Pause. Ich ging in die fr die Busreisenden bestimmteTouristenkneipe und trank zwei Bier. Diana wollte einenAugenblick spazieren gehen. Nach etwa einer Viertelstunde hrteich sie schreien und klagen. Trnenberstrmt humpelte sie in dieKneipe hinein. Sie war einen Hgel hinaufspaziert und hatte daoben ein verschnrkeltes Standbild der heiligen Mutter GottesMaria gefunden. Dort kniete Diana nieder und betete fr einenschnen Urlaub oder etwas hnliches. Da kam ein riesiger Hundbellend auf sie zugelaufen. Sie rannte panisch so unglcklich denHgel hinunter, da sie an einer besonders steilen Stelle strzteund sich frchterlich den Fu verstauchte. Der Hund hatte sieglcklicherweise nicht zerfleischt.

    Als wir in Tossa angekommen waren und einenansteigenden Weg hinauf zu unserer Pension wandern muten,trug ich sie auf meinem Rcken. Endlich in unserem Zimmerangekommen, warf ich sie auf das Bett. Es brach zusammen. Wirbekamen ein anderes Zimmer.

    Gegen Abend ging ich in die kleine Altstadt von Tossa.Diana konnte und wollte nicht mitkommen. Ich fand eine Kneipenamens Systema. Das Schild drauen an der Tr war ein Yin &Yang Zeichen. Das chinesische Universalsymbol fr dieWechselwirkung der Gegenstze. Aber die Linie in der Mitte,zwischen dem Schwarzen und dem Weien, war kein rundes S,sondern ein Blitz. Und der weie Punkt im Schwarzen, wie derschwarze Punkt im Weien, kein kleiner Kreis, sondern einViereck. In der Kneipe hing ber dem Tresen die groe Puppeeiner fliegenden Hexe auf einem Besen. Auch sonst war dieDekoration mit Sternchen und Monden berall ein bichenmagisch. Ich ging zu einem groen, schlanken, jungen Mann, dervielleicht ein wenig lter war als ich mit meinen 20 Jahren. Ichhrte, wie er mit zwei Anderen in der Kneipe deutsch sprach undfragte ihn, ob er mir etwas zu rauchen verkaufen knnte. Er holteein groes Piece Haschisch aus der Tasche, brach einordentliches Stck ab und sagte, das knne ich behalten. Dann

    rauchten wir mehrere Joints zusammen, wobei er mir ein Bier nachdem anderen ausgab und mir obendrauf noch fast 100,- DM inPeseten in die Hand drckte, mit den Worten, ich knne gewi einwenig Kleingeld gebrauchen. Ich fragte ihn nach seinem Namen. Ersagte mir, er heie Robert, Robert Rubin, und zeigte mir einettowierte R-Rune auf seinem Arm. Was dann kam, warunglaublich: Er behauptete, er sei in Tossa, um mir eine Botschaftzu berbringen. Er erzhlte, wie er seine Erleuchtung in Irlanderlangt habe. Auf dem Grab eines alten irischen Knigs. Danachsei er zu einer Kirche gegangen, die auf einem heiligen Ort derKraft erbaut worden sei. Weil das Dach dieser Kirche eingefallen

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    11/239

    11

    ist, knne die kosmische Kraft aus dem Universum nun wiederdurch diesen Ort hindurchflieen. Dort habe er zustzlich zu seinerErleuchtung alle Schlssel der Magie erhalten. Ich msse mich nunauch zu genau dieser Kirche mit dem eingefallenen Dachbegeben, damit mir ebenfalls der groe Blitz in den Kopfeinschlagen knne. Ich erzhlte ihm, da ich auch einmal in Irlandgewesen sei. Natrlich fanden wir heraus, da ich mich exakt zurZeit seiner Erleuchtung in diesem Land aufgehalten hatte. Nurbegab ich mich damals zu keiner Kirche und keinem Knigsgrab.Ich befand mich in einem Hafen auf dem Kmo (Kstenmotorschiff)meines Vaters, wo ich als Decksmann arbeitete. Nur fr eine Nachtblieb das Schiff in Irland, und das einzige, was ich dort erlebte, warin einen Pub zu gehen und drei Guinness zu trinken.

    Robert Rubin erzhlte mir, da es ihm zur Zeit finanziell sogut ginge, weil er krzlich eine Stimme gehrt htte, die zu ihmsprach:

    Geh mit 10,- DM ins Kasino zum Black Jack. Diesem Ratwar er gefolgt und hatte sogleich 30.000,- DM gewonnen.

    Alles, was er mir erzhlte, hrte sich aufregend an. Einriesiges Durcheinander an geheimnisvollen Botschaften. Wenn ichmich anstrenge und versuche, mich an all die verwirrenden Dingezu erinnern, die nach seinen Aussagen wichtige Informationen frmich darstellten, dann fallen mir noch die folgenden Dinge ein:

    Deutschland ist das auserwhlte Land, aber wir mssenarbeiten und arbeiten, um unsere groe Schuld zu bezahlen.(Blablabla.)

    Robert Rubin selbst ist die Inkarnation eines groengyptischen Pharaos und ich natrlich auch.

    Unter der groen Pyramide von Gizeh hat sich zur Zeit ihrerErbauung eine ebenso groe Pyramide aus Kristallbefunden. Diese riesige Kristallpyramide ist nun mittlerweileunter der Erde bis zu den Pyrenen gewandert und befindet

    sich dort ziemlich genau unter Andorra. Das bedeutet, inAndorra sei der Heilige Gral.

    Gewi hatte Robert noch mehr wichtige Botschaften frmich, an die ich mich aber nicht mehr erinnern kann.

    Bald zeigte er mir Diamanten und eine teure Uhr, die er inAndorra gekauft hatte, um damit zu prahlen. Dann holte er einenkomischen Gegenstand aus seiner Hosentasche: Einen kleinenStab aus weiem Holz, etwa so lang wie sein Mittelfinger. EinEnde dieses Stabes war geschnitzt in der Form einesEulenkopfes. Als Augen dienten zwei kleine Metallkugeln. R.R.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    12/239

    12

    sprach beschwrend: Die weie Eule! Ich habe sie immer dabei!Sie schaut dich immer an, egal wie du sie drehst und wendest.

    Mittlerweile war ich total besoffen und bekifft. Ich konnte

    mich kaum noch auf den Beinen halten. Er erzhlte immer weiter:Von einem Freund, dessen Seele von Psylocibinpilzen

    aufgefressen worden sei. Da ihm Katzen nicht lange in die Augenschauen knnten. Da er fast ein schwarzer Magier gewordenwre, sein Schicksal unheimlich hart sei. Drogen und Alkoholseinem Krper nichts anhaben knnten, ich ihn nicht suchen drfe,wenn ich ihn finden wolle. Ich wei nicht, was noch alles. Erversprach mir, mich bald in der Pension zu besuchen, und mit mirzusammen mit seinem Auto nach Andorra zu fahren, denn, dasmsse ich unbedingt gesehen haben. Fr das ganze Bier, das fette

    Piece und das Geld gab ich ihm besoffen einen Ku auf dieWange, sagte: Danke schn, und torkelte in Schlangenlinienzurck in die Pension.

    Die Pension war ein groes, weies Haus, an einem Hanggelegen, so da man von der Terrasse aus ber die Altstadt biszum Mittelmeer blicken konnte. Von der Eingangshalle aus fhrteeine gewundene Treppe hinauf zu den Gstezimmern. Neben demTreppenaufgang hingen zur Dekoration zwei groe Schwerter inder Form eines Kreuzes. Zwei Tage nachdem ich Robert begegnetwar, kam er zu Besuch. Ich hielt mich gerade in der Eingangshalle

    auf, als er durch die Tr trat und rief: Ich werde nicht mit dir nachAndorra fahren. Warum nicht?, fragte ich verdutzt. Als du mirzum Abschied einen Ku gegeben hast, fhlte ich, da das derKu einer Schlange war und ich wei noch nicht, ob du nur vomTeufel besessen bist oder der Teufel selbst. So sprach er mitdeutlicher Erregung in der Stimme und starrte mich mit echtenwirren Jesus-Robert-Augen an. Schade, da du nicht mit mirfhrst, sagte ich, Ich htte gerne Andorra gesehen. Da schritt erdurch die Eingangshalle und nahm die zwei groen Schwerter vonder Wand. Seine riesigen Pupillen leuchteten mich an. Er drcktemir eins der Schwerter in die Hand. So standen wir uns bewaffnetgegenber. Du bist mein Bruder, erklrte er bedeutungsvoll, undich habe dich einmal umgebracht. Jetzt mut du wieder zum Lebenerweckt werden. Du bist Baldur und es ist Baldur, der wiedererweckt werden mu. Ich habe dich umgebracht, aber jetzt ist dieZeit gekommen, mit Worten zu kmpfen und nicht mit demSchwert, auch wenn diese Schwerter wie fr unsere Hndegeschaffen sind. Ich wute wirklich nicht, was passierte, irgendwiehngten wir Gott sei dank die Schwerter wieder an die Wand.Dann redete R.R. kurz mit dem Pensionsbesitzer, der sich etwasverwundert ber ihn zeigte. R.R. erklrte ihm, das ich sein Bruder

    sei und fragte, ob er etwas Geld wechseln knnte. Nun gingen

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    13/239

    13

    Diana, die sich dazugesellt hatte, Robert und ich hinaus auf dieTerrasse. Dort setzten wir uns in die Sonne und beschlossen,einen Joint zu rauchen. Robert gab schon wieder erleuchteteWeisheiten zum besten: Er wute, da Franco und Hitler diebesten Freunde Satans gewesen seien und zeigte mir einGeldstck aus der Zeit Francos, auf dem die untere Hlfte desLebensbaumes, (der grafischen Darstellung der Kabbala, der jdischen Geheimlehre) abgebildet war. Dann gab er noch einpaar zusammenhangslose gute Tips wie: Du kannst tun, was duwillst, aber pa auf, da dich der Tod nicht als Krppel zurcklt.Du bist das Lieblingskind deiner Mutter. Du hast groes Glck,aber hte dich vor der Kabbala.

    Nun hatte ich zwei wahnsinnige Roberts mit groen Pupillenund einem Schwert in der Hand kennengelernt. Beide glaubten, imAuftrag Gottes zu handeln. Beide hatten sich anscheinend zuvielmit esoterischen Dingen beschftigt und zu viele Drogengenommen. Allerdings schien sich der Tossa-Robert nochwesentlich wohler zu fhlen, als der Jesus-Robert aus demKaroviertel.

    Klappe 3

    Einige Monate spter, in Stade, begegnete mir der nchsteRobert-Zufall. Stade ist eine norddeutsche Kleinstadt zwischen

    Hamburg und Cuxhaven. Dort tanzte ich in der Disco Mlltonne.Ein Mdchen sprach mich an, sie htte mich schon mehrmalsgesehen und sich nie getraut, mich zu fragen, wer ich bin und wieich heie. Ich bin Claas, sagte ich und fand sie sehr s. Ich binNini, sagte sie. Als ich dich ein paar Mal gesehen habe und dichnicht ansprechen mochte, hab ich mir zusammen mit meinerFreundin Alexa berlegt, wie du wohl heit. Da meinten wir, deinName mte Robert sein. Wenn du in der Nhe warst, haben wirgesagt: Guck mal, dahinten geht Robby. Manchmal nennt michNini heute noch Robby.

    Einen Monat spter arbeitete ich auf einer Werft in Polen,auf dem Kmo meines Vaters. Da mich Nini Robby getaufthatte, fand ich so merkwrdig, da ich in meiner Freizeit dieRobert-Zuflle in ein kleines Bchlein schrieb. Ich schickte es nachDeutschland an eine Zeitschrift namens Abrahadabra. Zurck ausPolen, wollte ich von der Abrahadabra-Redaktion wissen, ob manmeine Robert-Geschichte drucken wolle. Welche Geschichte?Sie war nie angekommen. Wahrscheinlich hoffte ein polnischerPostangestellter, Geld in dem Paket zu finden, ri es auf, und warfenttuscht mein Bchlein in den Mll.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    14/239

    14

    Klappe 4

    Einige Wochen spter bekam ich Post von meinem Cousin

    Matthias. Er schrieb mir, in Hamburg wrde fr einMusiktheaterprojekt ein Drummer gesucht. Die Musik dafrkomponierte Tom Waits. Regie fhrte Robert A. Wilson. Ich dachte:Wau, Robert A. Wilson, der hat doch die Illuminatus-Trilogiegeschrieben und interessiert sich stark fr Aleister Crowley!

    Ich hatte eine Zeitlang in einem Fotoatelier als Deko-Assistent gearbeitet. Dort hatte ich gefragt, was ein paar guteDiaaufnahmen kosten wrden. Der Chef, Herr Kleinhempel,antwortete mir: Das kostet dich gar nichts. Ich brauche noch Arbeitfr einen Lehrling. So kam es, da ich umsonst tolle

    Diaaufnahmen von Tarotkarten-Collagen bekam. Mit den Collagenwollte ich das Buch Liber AL vel Legis illustrieren. Dieses Buchwurde Crowley 1904 von einer auerirdischen Intelligenz, die sichselbst Aiwass nannte, diktiert. Ich fand meine Illustrationen sehrgelungen. Teilweise hatte ich die Karten so zusammengefgt, dadie Collagen aussahen wie Gemlde und nicht wie Bilder, die sichaus mehreren einzelnen Karten zusammensetzen.

    Die Bewerbungsunterlagen fr das Musiktheaterprojekt,eine Kassette mit eigenem Schlagzeugspiel und ein kurzerLebenslauf, schickte ich zusammen mit meinen 30 besten Dias

    und einem freundlichen Brief an Robert A. Wilson. In dem Briefschrieb ich ihm meine Idee, das Liber AL vel Legis alsTheaterstck zu inszenieren und die Dias fr das Bhnenbild zubenutzen. Falls er nicht daran interessiert sei, bat ich ihn natrlich,mir die Dias zurckzuschicken. Als ich nach einem Monat keineAntwort bekam, fuhr ich zum Thalia Theater nach Hamburg. Nachlangem Warten in der Rezeption kam endlich der persnlicheAssistent von Wilson. Ja, er erinnere sich an den Brief und dieDias. Herr Wilson hatte sie, ohne sie anzuschauen, gleich nachdem Lesen des Briefes in den Mll geworfen. Dieser Robert A.

    Wilson ist ein ganz anderer, als der Schriftsteller der Illuminatus-Trilogie. Nur ihre Namen haben sie gemeinsam. Der Theater-Wilson ist darauf spezialisiert, Bhnenbilder mit Licht zu gestalten.Das Stck, das zur Zeit mit Tom Waits geprobt wurde, handeltevom Freischtz. Von einem Pakt mit dem Teufel. Es hie Derschwarze Reiter. Ein Schlagzeuger war schon lange gefunden.

    Heute habe ich zwei Freunde, die auch Robert heien. Aberich erwarte nicht, da sie nur, weil sie diesen Namen haben, Dingevon mir in den Mll werfen, oder ein Schwert in die Hand nehmenund verrckt werden. Sollte ich besser doch damit rechnen?

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    15/239

    15

    Beziehungswahn

    Synchronizitten entstehen immer im Kopf. Es gibt keine

    objektive Synchronizitt, oder?Nehmen wir an, eine bestimmte Stelle auf dem Mond wird

    zum erstenmal photographiert. Beim zweiten Photographierenderselben Stelle ist ein neuer Mondkrater zu sehen. ZwischenPhoto Nr. 1 und Photo Nr. 2 ist hier also ein Meteoriteingeschlagen.

    Nehmen wir weiter an, zwanzig Jahre nach Photo Nr. 2 wirddiese Stelle des Mondes das erstemal auf Video aufgenommen.Es wird gefilmt, wie genau in den neu geformten Krater ein

    weiterer Meteorit einschlgt. Diese Synchronizitt htte nichts mitGedanken zu tun, sie wre einfach ein Gipfel derUnwahrscheinlichkeit.

    Zwei Meteorite schlagen in einem Zeitabstand von 20Jahren an genau der gleichen Stelle ein.

    Alle anderen, nicht in diesem Sinne materiellenSynchronizitten sind ausschlielich gedanklich und hngen nur mitunserer Aufmerksamkeit zusammen.

    Menschen, die unter Beziehungswahn leiden, sind meistdem Zwang ausgesetzt, den Synchronizitten, die siewahrnehmen, zu folgen. Wenn sie denken: Ich glaub, ich geh jetztmeine Freundin besuchen, und neben ihnen steht eine Mutti mitKind, und das Kind fragt leise: Darf ich ein Eis?, und die Mutti ruftlaut und genervt: Nein! Dann geht der Beziehungswahnsinnigenicht seine Freundin besuchen.

    Alle Orakel, das Tarotspiel, das I-Ging, die Runen und wases sonst noch alles gibt, beruhen auf Synchronizitten und derAnnahme, es sei fr das persnliche Glck frderlich, diesenSynchronizitten zu folgen. Es gibt aber genauso vieleSynchronizitten, die scheinbar keinen guten oder schlechten Ratbeinhalten, sondern schlicht und einfach wahnsinnig machen. Wennman ein sensibles Kerlchen ist. Wenn man kein sensibles Kerlchenist, nimmt man die meisten Zuflle gar nicht wahr. Falls doch,vergit man sie schnell und mit ihnen keine Bedeutung bei. Einsolcher Mensch ist z.B. Erich, mein Vater. Der steckt die tollstenSynchronizitten locker weg und lebt weiter, als wre nichtsgewesen.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    16/239

    16

    Tollkhne Piloten ber Peru

    Um Verhandlungen mit der Brauerei Cleverzu fhren, die

    gerne alleiniger Bierlieferant fr ein Restaurantschiff sein wollte,welches Erich bald erffnen wrde, hatten sich Erich, meine Mutter,ich und ein Getrnkegrohndler von einem Clever-Vertreter in einnobles Restaurant einladen lassen. Ich hatte mir krzlich die Haaregeschnitten und mir zum Essen einen Schlips umgebunden. Alleswar schn eklig steif, aber nach dem dritten oder vierten Bierbegannen besonders Herr Clever und Erich langsam aufzutauen.

    Herr Clever erzhlte von einem Abenteuer, das er in Peruerlebt hatte:

    Er war in ein kleines Flugzeug gestiegen, um von einem Ortin den Anden zum nchsten zu gelangen. Whrend des Flugesmerkte er, da sich der Pilot kaum fr die Berge vor und unter ihminteressierte, sondern den Playboy las. Nach der Schilderung vonHerrn Clever mute er mehrmals schreien und htte sich vorAngst fast in die Hose gemacht, wenn der Pilot in der letztenSekunde das Flugzeug ber einen Berggipfel zog.

    Erich hatte selbst ein haarstrubendes Abenteuer mit einemPiloten in Peru erlebt und erzhlte nun seine Geschichte:

    Er war als Seemann in Peru und hatte beim Landgang

    zusammen mit seinem Freund einen Piloten kennengelernt unddiesen berredet, sie auf einen Flug mitzunehmen. Sie wollteneinfach nur das Land von oben sehen. Der Pilot war schon ziemlichbetrunken, aber die beiden Seemnner waren mutig und jung. Siegingen zu der Piste, wo das kleine Flugzeug stand. Der Pilot hatteseine Flasche dabei und soff immer noch. Sie stiegen ein, und derBetrunkene startete die Maschine, ohne vorher irgend etwas anseinem Flugzeug zu kontrollieren. Sie flogen zunchst zum Hafen,wo sie einige Sturzflge auf ihren Kmo machten, whrend Erichund sein Kumpel photografierten. Dann steuerte der Pilot auf das

    offene Meer zu, klappte zusammen und war eingeschlafen. Nachzehn Minuten Panik gelang es den Seeleuten, den Piloten zuwecken und zurckzufliegen.

    Von den Photos habe ich einen ganz tollen Diavortraggemacht, erzhlte Erich. Ich habe zu diesen Dias passendeMusik gesucht und zustzlich auf das Tonband mit der Musik dieGeschichte erzhlt. Ja, aber das ist ja die Musik, das ist genauoriginal die Musik von meinem Diavortrag. Die, die hier imRestaurant gerade im Hintergrund spielt. Ja das ist ja witzig. Jadas ist ja wirklich witzig. Erich verkauft heute kein Cleverauf

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    17/239

    17

    seinem Schiff, er ist in dieser Hinsicht vollkommen unsensibel undhat sich fr andere Brauereien entschieden.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    18/239

    18

    Ich trume doch nur

    Ist es berhaupt jemals gut, sich von Synchronizitten leiten

    zu lassen?Natrlich. Es gibt gengend berhmte Erfinder, die ihre

    Entdeckungen nur einem Traum oder einem Zufall zu verdankenhaben. Genauso gibt es Synchronizitten, die nichtsweltbewegendes zur Folge haben. Auer, da sie einen schwer zureparierenden Ri im Bewutsein des Betroffenen hinterlassen.Einen Ri in seinem Bewutsein ber die Reihenfolge vonUrsache und Wirkung.

    Als ich gerade ein paar Wochen in eine neue Wohnung am

    Fischmarkt 11 in Stade gezogen war, hatte ich einen seltsamenTraum. Ich trumte nur von Hnden. Da war eine Frauenhand mitrotlackierten Fingerngeln, daneben meine Hand. Dann war meineHand pltzlich die Frauenhand. Dann wieder nicht. Nun sah ich,da der Fingernagel meines Ringfingers eine kleine Verletzunghatte. Am Nagelbett fehlte ein Stckchen Fingernagel. Jetzterschien eine Arzthand. Ich sah den rmel eines weien Kittels.Die Hand hielt eine Pinzette und entfernte damit ein kleines Stckvom Nagellack der Frauenhand und versuchte, mit diesem Lackmeine Verletzung zu reparieren. Da klingelte das Telefon. Ichtorkelte schlaftrunken an den Apparat und nahm ab. Hier ist

    Claas. Ist da nicht das Nagelstudio? Was, wieso Nagelstudio,das hab ich doch gerade getrumt. Wie bitte? Nein, hier istnicht das Nagelstudio. Entschuldigung, auf Wiederhren.Tschs.

    Nicht das Mdchen, das vor mir in der Wohnung lebte,sondern die Frau, die die Wohnung vor ihr mietete, hatte hier einkleines Nagelstudio betrieben. Das wute ich aber damals nicht.Das begriff ich erst, als einige Wochen spter ein Herr anrief, sichrusperte und fragte, ob ich nur Nagelpflege machen wrde oderauch Beinhaar-Entfernung.

    Ein paar Tage vor meinem Nagelstudio-Traumerlebnisbekam ich Post von Peter-Robert Knig aus der Schweiz. Peterschickte mir verschiedene Kopien aus Bchern und von Artikelnber Baphomet, die mich interessierten. Baphomet war das Idolder Tempelritter. Am Ende seines Briefes schrieb er: Ich habenoch einen Artikel von Michael Paul Bertiaux ber LycanthropicSex Magick, willst du die haben und bersetzen fr die AHA? (DieAHA ist die Abrahadabra, jene Zeitschrift ber Magie, fr die ichdas erstemal die Robert-Geschichte aufgeschrieben hatte.) Ich

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    19/239

    19

    schrieb Peter, ich wisse nicht, was Lycanthropic bedeutet, aberer solle mir den Artikel schicken.

    In der folgenden Nacht trumte ich, ich wrde in der Marsch,

    im urzeitlichen Elbstromtal bei Horneburg, wo meine Elternwohnen, herumlaufen. In meinem Traum war alles wie in derWirklichkeit:

    Grne Wiesen, Khe und Plantagen von Obstbumen.

    Die Sonne ging unter. Der Himmel bewlkte sich bedrohlichschnell, und ein unheimlicher Wind kam auf. Da hrte ich den Atemeines Werwolfes, der immer nher kam. Wohin sollte ich fliehen?Ich war nur mit einem verbogenen, silbernen Lffel bewaffnet. Ichlief nicht in den Ort zu meinem Elternhaus, sondern von der Marschhinauf auf die Geest in den Wald. In diesem Wald steht in

    Wirklichkeit, wie in meinem Traum, eine Htte bei Karpfenteichen.Dort, wo der Waldrand an die Auewiesen grenzt. Diese Htte hatmein Opa mit Freunden zusammen ausgebaut, um dort Karten zuspielen und Karpfen zu fischen. In meinem Traum floh ich in ebendiese Htte. Fr einen kurzen Moment sah ich einen der Freundemeines Opas, Onkel Otfried, der aber gleich darauf wiederverschwunden war. Dann sah ich, da mein roter Futon in der Httelag. Ich schlo die Tr, lehnte mich mit meinem Rcken dagegenund dachte: Gott sei dank, hier bin ich erst einmal in Sicherheit.Dann erwachte ich.

    Zwei Tage spter bekam ich wieder Post von Peter. Erhatte mir zum bersetzen Crowleys Konx Om Pax geschickt undnicht den Artikel ber Lycanthropic Sex Magick. Aber auen, aufder Rckseite des Briefumschlages stand geschrieben:

    Lycanthropic = Werwolf, folgt spter.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    20/239

    20

    The Time and Space Society

    Irgendwann hatte ich angefangen zu glauben, da hinter

    allen Synchronizitten die ich erlebte, ein groer genialer Planstand. Irgendwann hatte ich angefangen, zu glauben, eine groeMacht wrde die Fden meines Lebens in der Hand halten. Diesegroe Kraft war so allwissend und gewaltig, da sie einfach alleskonnte. Z.B. vor und zurck durch die Zeit reisen, um dafr zusorgen, da dies und jenes genau dann, so und nicht andersgeschieht. Diese groe Macht telefonierte mit mir in meinenTrumen und hielt mich an ihren Fden wie eine Marionette.Trotzdem glaubte ich, da, obwohl diese groe Macht derPuppenspieler ist und ich die Marionette, auch ich durch diese

    Verbindung verteufelt mchtig sei.Ich wurde beziehungswahnsinnig. So sah es jedenfalls aus.

    Ein echter Robby Roboter. Nicht von einem Tag auf den anderen,sondern ganz langsam aber sicher.

    Werde ich mich eines Tages erinnern, da ich Mitglied inder geheimen T.S.S. bin, der Time and Space Society?

    Werde ich mich an meinen Eintritt und den danacherhaltenen goldenen Zufallsvertrag erinnern?

    (Natrlich werde ich mich eines Tages erinnern, aber das

    soll der Leser an dieser Stelle noch nicht wissen.) Der Vertrag istein DIN-A4 groes Dokument mit der berschrift T.S.S. RE-Members, und darunter steht meine Mitgliedsnummer Member372. Es ist natrlich kein Zufall, da in Remembersdas WortMemberenthalten ist, denn wenn es irgendwo auf der Welt keineZuflle gibt, dann in der Time and Space Society.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    21/239

    21

    Eintrittskarten in die Welt der Illusionen

    Das erste mal sah ich die Tarotkarten von Aleister Crowley

    auf einer Geburtstagsparty bei meiner Freundin Swantje inFinkenwerder. Sie wurde 19 Jahre alt, ich selbst war damals 17.Jemand schenkte ihr das Kartenspiel und das Buch Thoth, in demCrowley die Bedeutung der Karten erklrt. Ein Partygast erzhlteihr, da sie Glck htte, es geschenkt bekommen zu haben, weilman sich so ein Kartenspiel nicht selber kaufen drfe. Jemandanderes behauptete, da in den folgenden zwei Wochen niemandauer Swantje das Spiel berhren drfe. Als sie mir die buntenBilder zeigte, war ich vollkommen entzckt.

    Wir feierten schn Geburtstag, mit viel Gelchter und

    Rausch. Wer nicht mehr nach Hause kommen konnte,bernachtete dort.

    Am nchsten Morgen unterhielt ich mich beim Frhstck mitSwantje und jemandem, der als Grtner auf einem Friedhof inHamburg arbeitete. Wir kamen auf das Tarotspiel zu sprechen,woraufhin der Grtner an Geister denken mute und uns folgendeGeschichte erzhlte:

    Whrend seiner Zeit bei der Bundeswehr sprach ihn einVorgesetzter mit den Worten: Du bist eine Herausforderung anund berredete ihn, an einer Geisterbeschwrung teilzunehmen.Bei dieser Beschwrung sa er mit mehreren Leuten um einenTisch. Er war derjenige, in den der Geist fahren und durch den derGeist sprechen sollte. Als der Friedhofsgrtner dann merkte, datatschlich etwas in ihn eindrang, war er dermaen entsetzt, das ersich schttelte und wehrte und vom Stuhl fiel. Der Geist wardarber rgerlich und verschwand. Auch der Vorgesetzte war sehrwtend.

    Obwohl der Friedhofsgrtner so klglich versagt hatte, botihm sein Vorgesetzter einige Zeit spter an, zwei Tage in dessenschnem Haus zu verbringen, um Urlaub zu machen. Er selbstwollte Verwandte besuchen. Der Friedhofsgrtner bedankte sichund bernachtete in diesem Haus mit einer Freundin. In jener Nachthatte er immer wieder das Gefhl, da ihn ein Mann auf einemBild, das an der Wand hing, beobachte. Er glaubte fast, er httegesehen, wie sich die Augen bewegten. Zurck in der Kaserneerzhlte ihm der Hausbesitzer, der in der besagten Nacht berhundert Kilometer weit weg gewesen ist, haargenau, was derFriedhofsgrtner mit seiner Freundin getrieben hatte. Darber warder gute Mann so entsetzt, da er sich schwor, nie wieder irgend

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    22/239

    22

    etwas zu tun, was im entferntesten mit Geistern oder Leuten, diesich mit Geistern beschftigen zu tun hat.

    Manchmal, wenn er auf dem Friedhof ist, fhlt er, da wieder

    etwas Unsichtbares in ihn eindringen will. Er bekommt dann eineGnsehaut, mu tief ein- und ausatmen und sich gut zureden.

    Warum erzhlte er uns diese Geschichte, wo wir doch nurber Tarotkarten sprachen?

    Vielleicht, weil es viele Menschen so empfinden, als seietwas Unsichtbares zugegen, wenn sie die Karten befragen.Dieses Unsichtbare sorgt dafr, welche Karten gezogen werden.

    Damals beeindruckte mich an der Geschichte desFriedhofsgrtners nicht sonderlich, da Geister etwas gruseliges

    sein sollten, wovor man sich hten msse. Ich konnte nichtnachvollziehen, was er so bengstigend fand. Ich wollte gerneselbst ein Abenteuer mit Geistern erleben. Wenn mich damals jemand davon berzeugt htte, da diese Geistwesen undunsichtbaren Krfte tatschlich existieren: Ich htte das einfach nurtoll und aufregend gefunden aber gewi nicht zum frchten. Ichglaubte, das hatte nun wirklich nichts mit Tarotkarten zu tun.

    Ich trampte zurck nach Stade, wo ich in einer WG mit dreiFrauen & einem Mann in der Trinkstrae 7 wohnte. Mein Bett standin einem winzigen Zimmer fr 100 DM Miete im Monat, was meine

    Eltern schweren Herzens bezahlten. (Sie wnschten sich, wie alleguten Eltern, da ich als junger Mensch noch bei ihnen wohnenwrde.) Durch glckliche Zuflle war ich, obwohl noch keine 18Jahre alt, von der Schulpflicht befreit. Mein Klassenlehrer und derDirektor behaupteten, ich sei der Haschverkufer auf demSchulhof. Das war reine Verleumdung.

    Mit dieser Freiheit, nicht zur Schule gehen zu mssen, warich beraus glcklich. Ich hate die Schule, wie ich wohl nie etwasgehat habe.

    Gleich am Tag nach Swantjes Geburtstag kaufte ich mir in

    einem Bio- und Esoterikladen das Tarotspiel zusammen mit demBuch Thoth. Da meine Freunde die Karten in den ersten zweiWochen nicht anfassen sollten, nahm ich nicht so eng. Somit warendie ersten zwei Tarotgebote, von denen ich gehrt hatte,gebrochen: Das Gebot Andere drfen sie nicht anfassen undMan darf sie sich nicht kaufen.

    In die Trinkstrae kamen viele Besucher, ausnahmslosHaschraucher. Die meisten waren arbeitslos. Eine Frau, die oft beiuns war, hie Isabell, genannt die Grfin. Sie war blond undredete unheimlich viel. Z.B. da sie als Kind ein rosa Kaninchen

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    23/239

    23

    hatte. Die Leute meinten, sie sei von einem LSD-Trip nichtruntergekommen.

    Alle qualmten wie die Schlote. Es wurde nicht Hasch

    geraucht, um danach stumpf Fernsehen zu gucken. Wirerweiterten unser Bewutsein und philosophierten bis zumumfallen. Ich glaubte, in den Rauschzustnden auf groe, innereReisen zu gehen und gewaltige mystische Einsichten zu erlangen.Mit der Menge der Drogen, die ich konsumierte, sollte proportionalmeine Weisheit wachsen.

    Richtig fr die Tarotkarten interessieren konnte sich keinermeiner Mitbewohner. Ich begab mich allein auf dieEntdeckungsreise.

    Auf dem Sperrmll hatte ich einen groen Karton mit alten

    Stoff- und Lederresten gefunden. Hieraus bastelte ich, indem ichStreifen und Kreise aus Rind- und Schlangenleder auf ein weiesStck Leder klebte, einen Lebensbaum. Eine Art Landkarte desUniversums, dessen Bild ich im Buch Thoth gefunden hatte. DerLebensbaum besteht aus den Zahlen von 1 bis 10, die durch 22Pfade verbunden sind. Diese Pfade sind den 22 Trmpfen desTarotspiels zugeordnet.

    Ich war in ein greres Zimmer umgezogen und machtedarin eine Ecke nur fr die Tarotkarten zurecht. Der vorherigeBewohner, Baghwan-Jnger Alok, hatte einen groen Stein, einen

    Findling, zurckgelassen. Vor den Stein legte ich ein Stck rotenSamt, die Karten darauf und den Lederlebensbaum daneben.

    Als wenn ich ahnte, da mit den Karten ein neues Kapitelmeines Lebens beginnen wrde, schrieb ich, ein paar Tage bevorich in dieses Zimmer zog, in Spiegelschrift: Ab jetzt beginnt dieKunst an die Wand meiner kleinen Kammer.

    Bald entdeckte ich, da ich zwei Pfade auf demLederlebensbaum vergessen hatte: Den Pfad zwischen 7 und 9,Der Kaiser, und den zwischen 8 und 9, Die Sonne. Da hrte ich

    einen unglaublich dunklen, vibrierenden Ton. Fr ein paarSekunden bewegte sich der Lebensbaum, als wrde er atmen.

    Ich bekam am ganzen Krper eine Gnsehaut.

    Von Anfang an glaubte ich, da ich durch das Tarotspielweise und mchtig werden wrde. Ich glaubte, da ich fast nichtsdafr zu tun brauchte. Da ich ein Auserwhlter der Gtter sei, derKraft und groe Macht geschenkt bekommt und sich dafr nur einKartenspiel zu kaufen braucht.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    24/239

    24

    Reise zur dunklen Seite des Mondes

    Im Sommer 1984 trampte ich zusammen mit der Grfin

    nach Sdfrankreich und Spanien. Vor unserer Reise hatte ich einpaar Mal bei ihr bernachtet. Wir haben aber nie zusammengeschlafen. Die Grfin hatte keine Lust, und ich wollte Judith,meiner festen Freundin, treu bleiben. Judith und ich waren seiteiner Schul-Theaterfahrt ein verliebtes Paar. Das Stck imSchauspielhaus hie Verlorene Zeit. Es ging darum, da alleZeit, in der man zusammen Sex haben knnte, aber es nicht tut,verlorene Zeit ist. Im Bus auf der Rckfahrt vom Theater, fragte ichJudith, ob sie noch einen Joghurt zu Hause htte. In der Trinkstraewar der Khlschrank leer. Gleich nach dem Joghurtessen haben

    wir zusammen geschlafen. Sie erzhlte mir, da Judith in derNamensforschung Die, die ihrem Mann den Kopf abschlugbedeutet.

    Als Isabell und ich abreisten, schenkte sie mir einenschnen, schwarzen Schal, den ich als Grtel trug. So mute ichwenigstens immer dann, wenn ich die Hose aus- oder anzog, ansie denken.

    In jener Zeit hatte ich begonnen, viel Getreide zu essen. Sonahm ich einen groen Sack Krner und eine alte Kaffeemhlezum Getreidemahlen mit. Ansonsten befanden sich in meinem

    Rucksack nur 300 Mark, ein Schlafsack, einige Klamotten, meineBongos und natrlich das Buch Thoth mit dem Kartenspiel.

    Die erste Nacht der Tramptour war ein reiner Alptraum.Irgendwo in Belgien nahm uns ein Lastwagenfahrer mit, der sichmit Salut je suis Mickey vorstellte. Die Grfin fate das Abenteuerspter mit den Worten Eine kleine Mickey-Mouse zog sich mal dieHose aus - zog sie wieder an - und du bist dran zusammen.

    Es regnete. Mickey stoppte an der franzsischen Grenze.Whrend er sich auszog, bot er uns an, auch im Lastwagen zubernachten. Er stank entsetzlich. Ich wollte raus. Die Grfin wolltebleiben. Ich glaubte, ich mte sie beschtzen. So mute ich auchbleiben. Es wurde alles supereklig. Ich konnte Isabell nie dazubewegen, den Lastwagen zu verlassen, whrend Mickey siesthnend und wichsend befummelte und ihre Hand nahm, um ihreFingerngel in sein eigenes Fleisch zu drcken. Immer, wenn ichvor Mdigkeit doch beinahe eingeschlafen war, wurde ich voneinem neuen Nein, Nein! der Grfin hellwach, um dann ein lautesMickey stop it, oder sonstwas zu brllen.

    Als es endlich Morgen wurde, befahl Mickey, wir solltenunsere Ruckscke nehmen und zu Fu ber die Grenze gehen. Er

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    25/239

    25

    hatte keine Lust auf die Grenzkontrolle mit uns und versprach, aufder anderen Seite zu warten. Die Grfin wollte wirklich weiter mitihm fahren.

    Ich wollte sie nicht allein lassen. Weil sie frchtete, manwrde uns an der Grenze bestimmt filzen, lie sie einen LSD-Tripunter einem Kissen auf Mickeys Beifahrersitz liegen. Als wir dannsahen, da Mickey nicht in Frankreich auf uns gewartet hatte,sagte sie immer nur Oh scheie, der Trip ist weg. Damals hatteich noch nie LSD genommen.

    Der nchste Mensch, der uns mitnahm, mu ziemlich normalgewesen sein, denn ich kann mich nicht so recht an ihn erinnern.Aber der bernchste war wieder so ein stinkender, eklige-franzsische-Zigaretten-rauchender-Lastwagenfahrer-Arsch. Nahe

    der Mittelmeer-kste bog er von der Autobahn ab. Wir fuhren ineinen Hafen zu einer Lagerhalle. Dort wollte er was erledigen. Erstieg aus und deutete mir mitzukommen. Er wolle mir etwaszeigen. Ich folgte ihm in die Halle, wo er verschiedene seFrchte in eine Kiste packte. Nun gingen wir zur Heckklappeseines Lasters. Er ffnete sie und stellte die Kiste auf dieLadeflche. Die Frchte sind fr dich, die kannst du jetzt essen.Sehr freundlich, dachte ich, und a. Nach frhestens einer Minutekam mir der Gedanke, da etwas nicht stimmte. Ich lie die senFrchte stehen und ging zum Fhrerhaus des Lasters. DerFranzose versuchte gerade, die Grfin zu vergewaltigen. Somnnlich wie ich konnte, befahl ich, er solle sofort aufhren.Amore, Amore wimmerte er. Isabell lachte. Sie lachte andauernd.Mit einem irre breiten Mund und diesem wahnsinnigenGesichtsausdruck. Ein Lachen, was man nicht hren, aber sehenmute. Es tat in den Augen weh. Sie schien noch weniger als ich,das, was geschah, als Wirklichkeit zu empfinden. Der Franzosedrohte, wenn Isabell sich nicht von ihm ficken lt, fhrt er ohne unsweiter. Wir rumten unsere Ruckscke nach drauen. Der eklige-franzsische-Zigaretten-rauchende-Lastwagenfahrer-Arschhauchte schleimig Adieu und fuhr. Wir muten herausfinden, wo

    wir waren, und wie wir zurck zur Autobahn kommen konnten.Das erste Ziel unserer Reise hie Plan de la tour. Ein

    kleines Nest in der Nhe von St. Maxime. Isabell hatte eineAdresse, zwei Kilometer auerhalb des Dorfes. Sie nannte den Orteine Farm. Wir sollten einen Mensch namens Lehel von jemandem gren. Dann wrde alles in Ordnung gehen und wirknnten eine zeitlang bleiben. Ich wei nicht mehr, wie der Menschhie, von dem wir gren sollten. Isabell erzhlte, er seiheroinabhngig gewesen. Als seine Freundin sich totspritzte, lebteer dort fr einige Zeit, um zu entziehen. Die Farm trug den Namen

    Les Cloudiniers. Der Fixer hatte dort Kerzen gegossen und

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    26/239

    26

    verkauft. Kerzen aus farbigem Wachs, in der Form kleinerBlumentpfe, die nicht mit Ton, sondern mit wachsdurchtrnktemSand umhllt waren.

    Als wir Les Cloudiniers erreichten, herrschte eineeigenartige Stille. Nur die Insekten surrten und zirpten in dentrockenen Hgeln. Die Sonne brannte. Wir gingen einen Sandweghinauf zu einem weien Gebude, welches sehr sdlndisch, fastarabisch aussah. An einer Seite hatte es groe Fenster mitRundbgen. Um das Hauptgebude herum lagen einige kleinere,alle recht phantasievoll gebaut. Aus einem Haus ragte ein Turm miteinem japanisch ausschauenden Dach. Vor dem Hauptgebudelag eine riesige, schwarze Dogge. Sie schaute uns an. Sie belltenicht und sie rhrte sich nicht. Keine Menschenseele war zu sehen.Mit Herzklopfen gingen wir durch die Tr.

    Wir betraten einen groen Raum, der in zwei Ebenenunterteilt war, die eine kleine Steintreppe verband. Der Fubodender oberen Hlfte lag in Hhe eines riesigen Tisches, der auf derunteren Hlfte stand. In der hinteren Ecke der unteren Ebene fhrteeine Treppe hinab in einen weiteren Raum. Von dort aus konnteman wieder nach drauen gehen, da das Gebude schrg in einenHgel hinein gebaut war. Sowohl im unteren, als auch im oberenGescho befanden sich riesige Steinbackfen. berall roch esnach Lavendel. An dem gewaltigen, runden Tisch saen dreiMenschen und schauten uns schweigend an. Eine alte Ungarin, einvielleicht 60-jhriger Ungar mit einem grauen Bart, und ein etwa30-jhriger Franzose mit dunklen, langen Haaren, einemschwarzen Bart und sonnengebrunter Haut. Salut sagte ichschchtern und fragte nach Lehel, den ich vom kerzengieendenFixer gren wollte. Lehel war nicht da. Er sollte baldwiederkommen. Alles war so schweigsam. Sie schienen berhauptkeine Lust zu haben zu sprechen. Lag es an der Hitze? Isabellkonnte eh kein Wort Franzsisch. Wir warteten auf Lehel.

    Lehel trug weite, weie Sachen, hatte etwas Bauch, Haareund Bart wie Baghwan. Seine Augen schauten uns gtig undwohlwollend an. Als ich ihm die Gre ausrichtete und darum bat,einige Tage bleiben zu drfen, sagte er oui und brachte uns in einkleines Nebenhaus, wo wir schlafen konnten. Flieend Wasser gabes nur im Hauptgebude. Ein Plumpsklo stand auf dem Hof.

    Der 50 Jahre alte Ungar war der dritte Mensch auf dieserReise, der Isabell permanent ficken wollte. Eigentlich mochte ichihn ganz gerne. Aber da er nicht auf Isabells Gerusche undKrpersprache reagierte, mute ich ihm immer wieder erklren,da sie nicht wollte.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    27/239

    27

    Er hatte eine scheuliche Lungenkrankheit. Immer, wenn ereinatmete, zog sich die Haut zwischen seinen Rippen nach innen.Das konnte man sehen, weil er mit freiem Oberkrper herumlief.Wenn er heftig abgehustet hatte, steckte er sich gleich eine starkeZigarette an.

    Er war Bildhauer und arbeitete an einer lebensgroen,nackten Frau, die auf dem Boden sa. Als er mir etwas Lehm gab,modellierte ich ein kleines Teufelchen, das den Kopf auf eine Handsttzt, als wrde es angestrengt nachdenken. Il est joli, sagte derAlte, als ich fertig modelliert hatte. Nun zeigte er mir mindestens 20Photos von Bildern, die er gemalt hatte. Immer das gleiche Motiv:Jesus am Kreuz mit weinenden und betenden Menschen davor.

    Jeden Morgen stand der Ungar kurz vor Sonnenaufgang auf,

    brachte der Kuh im Garten etwas Wasser und wanderte dann aufeinen Hgel, um mit erhobenen Armen die Sonne zu begren.

    Der Franzose mit dem schwarzen Bart verkaufte kleineParfmflaschen aus Ton auf den Touristenmrkten. Er lud unseinmal in den zwei Wochen, die wir dort blieben, zum Kiffen ein.Sonst war ich immer breit von Mohnkuchen und Rotwein. DerMohnkuchen war superlecker. Den backte die alte Ungarin. Lehelfuhr mit seinem kleinen Bus in die Stadt und verkaufte ihn an dieBckereien. Was brig blieb, war fr uns. Zum Trinken stand einKanister Rotwein beim groen Kamin, von dem sich jeder

    bedienen konnte.Isabell und ich gaben Lehel jeden Tag etwas Geld. Zum

    Wohnen, Essen und Trinken. Nach einer Woche wollte Isabellweiter nach Spanien, da unser Geld langsam zur Neige ging. Ichwollte noch nicht fort. Also fragte ich Lehel, ob er nicht etwas Arbeitfr uns htte, damit wir bleiben knnten, ohne dafr zu bezahlen. Ergab mir einen Beutel weie Kalkfarbe, einen Eimer Wasser, undeine Rolle zum Malen. Ich war glcklich.

    So strich ich die Wnde eines der kleineren Gebude undsang: Wer ich bin, und wer ich war, wer ich bin, und wer ich war, ist

    doch so egal...Isabell hatte keine Lust zu arbeiten. Aber sie fegte ab und

    an die Backstube.

    In einer Vollmondnacht konnte ich nicht schlafen. Ich gingspazieren. Den Sandweg vom Hof hinunter, dann ein wenig dieStrae entlang und schlielich einen schmalen Weg die Hgelhinauf. Als ich den Hof verlie, folgte mir die groe schwarzeDogge und ein schwarzwei gefleckter Hund, der auch zu denCloudiniers gehrte. Den ganzen Nachtspaziergang ber blieben

    die Tiere bei mir. Nie entfernten sie sich mehr als einige Meter.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    28/239

    28

    Hielt ich, blieben auch sie stehen. Zu Hunden hatte ich nie einenDraht. In dieser Nacht fhlte ich zwischen den Tieren und mir eineVerbindung. Ein vollkommen fremdartiges Gefhl. Ein schnesGefhl.

    Das Mondlicht zauberte allerlei Gestalten in die Bsche.Einsiedler und gekreuzigte Heilande. Ich hielt inne und betrachteteden Mond. Mit mir die Hunde. Regungslos starrten sie auf diesilberne Scheibe.

    Pltzlich erkannte ich: Der Mond ist eine Kugel.

    Das klingt albern. Ich wute schon immer, da der Mondeine Kugel ist. Aber in diesem Moment erkannteich es. Ich begriff,da dort oben ein groer, runder Stein am Himmel hngt. Als htteich das nie zuvor gewut. Als htte ich vor dieser Nacht nur etwasber den Mond gelesen, oder von anderen Menschen erzhltbekommen.

    Fr wenige Erlebnisse fllt es mir so schwer, Worte zufinden.

    Als wir Richtung Spanien abreisten, sagte Lehel, ich knne jederzeit zurckkommen, bei ihm arbeiten und dafr bei ihmwohnen, essen und trinken. Darber freute ich mich sehr.

    Wir wurden bald von einem franzsischen Prchen in einemKleinbus mitgenommen. Sie fuhren bis in die Pyrenen. Unterwegs

    luden sie uns zum Essen ein.Der junge Mann fragte mich, ob ich noch einen Schnaps und

    einen Wein wolle. Oui sagte ich. Er war begeistert: Ich msse imLeben immer zu allem Ja sagen. Seine Freundin schaute mir tiefin die Augen und schttelte den Kopf.

    Als wir weiterfuhren, durften Isabell und ich im Bus schlafen.Mitten in der Nacht wurden wir geweckt. Ihr seid da! Ihr mtaussteigen. Wir bedankten und verabschiedeten uns. Es war irrekalt und finster. Mein Franzsich mu miserabel gewesen sein. Ich

    war mir todsicher, unseren Fahrern erklrt zu haben, da wir nachPort Bou wollten. Ein kleines spanischen rtchen am Mittelmeer,direkt an der franzsischem Grenze. Nun stand auf dem nchstenStraenschild, da wir uns mitten in den Pyrenen, einen Kilometervor Andorra befanden. Endlich ging die Sonne auf. Wir brauchtenden ganzen Tag, um nach Port Bou zu kommen.

    Ein Jahr zuvor war ich schon einmal dort gewesen, mitmeinem Cousin Matthias und seinem Freund Oliver. Damalsschliefen wir auf dem Dach eines Hauses. Es stand in dentrockenen Hgeln, die an die Pyrenen angrenzen. Um dorthin zu

    gelangen, mute man vom Strand aus eine Viertelstunde zu Fu

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    29/239

    29

    gehen. Es gehrte Antonio, einem ehemaligen Berufsboxer, der ineinem Strandcaf von Port Bou kellnerte. Ich wei nicht, wieMatthias und Oliver damals diesen Schlafplatz fanden. Sie warenmit dem Auto vorgefahren, und ich mit dem Zug nachgereist. Alsich ankam und sie in einer Kneipe traf, war es eben so, da sieihre Nchte auf dem Dach verbrachten, und ich auch dort schlafenkonnte. Sieben andere Urlauber wohnten mit uns auf dem Haus.Drinnen lebte niemand. Es gab nur zwei kleine Zimmer. Im einenstand ein Herd und ein Tisch. Im anderen nur Spiegel, Hanteln undGewichte, damit Antonios Boxfreunde trainieren konnten. DahinterStlle voller Ziegen. Davor ein kleiner Schuppen, in dem esflieend Wasser und einen Schlauch zum Duschen gab.

    Feist und faul lebte man vor sich hin. Als zwei Wochenvergangen waren, hatten wir genug von Sonne, Suff und Rauch. Wirfuhren ins Dali Museum nach Figueras. Muten doch ein wenigKunst und Kultur sehen. Dort fiel ich in ein Zeitloch: Ich war derfesten berzeugung, mich hchstens eine Stunde darinaufgehalten zu haben. In Wirklichkeit waren es ber fnf. uerstverwirrend.

    Nach dem Museumsbesuch ging es weiter mit dem Autoquer durch die Pyrenen bis an den Atlantik. Eine irre schneFahrt. Ich erinnere mich, da wir auf dem Weg nach Hause jedenPfennig zum Tanken bentigten. Wir bernachteten in einemSonnenblumenfeld. Das einzige, was wir noch zu essen und zutrinken hatten, waren Knoblauchzehen und eine Flasche Pernod.

    Als ich mit Isabell in Port Bou ankam, schliefen mindestens13 Freaks auf Antonios Haus. Mit uns waren es dann 15. Antoniobesa mittlerweile eine eigene Kneipe am Marktplatz. Er hattenichts gegen die vielen Menschen auf seinem Haus. Fast alletranken in seiner Kneipe Kaffee und Bier.

    Der Haschverkufer unter den Dachbewohnern wurde derSchwiegervater genannt. Wer sich nichts kaufen konnte, durfte anseinen ewig neuen Joints ziehen. Er war ca. 40 Jahre alt. Seinen

    rechten Arm schmckte ein ttowierter Davidstern. Er erzhlte uns,das wrde bedeuten, da er heroinabhngig gewesen sei. Miteinigen alten Knastbrdern, die er in Port Bou getroffen hatte,feierte er pausenlos ihr Wiedersehen. Auer ihnen lebten auf demHaus Jolli und Conni, zwei Mdchen aus der Schweiz; Maria, eineGriechin, die aus Dortmund kam; Michael aus Sddeutschland, deraussah, wie ein Heiligenbild von Jesus; Alkoholiker, traurige undglckliche Verrckte und schlielich auch die Grfin und ich.

    Am dritten Abend sa die ganze Dachfamilie am Strand aneinem Feuer. Zwei Marokkaner, ein groer bulliger und ein kleiner

    schleimiger, nherten sich uns. Der Schwiegervater erhob sich und

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    30/239

    30

    brllte ihnen entgegen: Verpit euch! Haut ab! Na los, wirdsbald? Sie kuschten und verschwanden in der Dunkelheit.Schwiegervater erklrte, die beiden seien Arschlcher, die unsausrauben wollen. Sie htten schon fters am Strand schlafendeFreaks mit einer Pistole am Hals geweckt und ihnen allesgenommen.

    Vier Tage spter verkaufte mir jemand ohne Zhne, mitdiversen Totenkopftatoos auf seinen Armen meinen ersten LSD-Trip: Ein kleines Stck Lschpapier mit einem Pink Pantherdarauf. Jemand anderes hatte ein Paper mit einem Donald Duckerstanden. Wir teilten die beiden Papierchen mit noch einerPerson. So nahm jeder zwei Drittel. Eine lcherliche Dosis, die mirtrotzdem das Blech wegfliegen lie.

    Ich begab mich in Antonios Bar, wo gerade Der weie Haiim Fernsehen lief. Eine viertel Stunde spter ging ich schwimmen.Ich mu nur darum jetzt an den weien Hai denken, weil ich LSDgenommen habe. Schweiausbruch. Panik. Raus aus demWasser. Nun spielte ich am Strand mit einem Freak, der aussahwie ein Pirat, ein Brettspiel, das ich nicht kannte. Ich verlor. Jetztlegte ich mir Tarotkarten. Als ich aufblickte, erkannte ich, da dasganze Universum ein Kartenspiel ist. Schaute ich auf den Boden,sah ich Wurzeln von Bumen. berall war die Welt ein wenigtransparent geworden. Was ich auch sah, es schimmerte bunt undschien zu atmen.

    Gegen Abend sa ich im Stdtchen mit einigenDachbewohnern in einem Straencaf. Der Schwiegervater gabmehrere Batida de Cocoaus. Noch war ich trippig. Ich erkannteauf der anderen Straenseite die beiden Marokkaner. Der Bullige,Hassan, redete mit dem Schleimigen und deutete auf uns. Als einkleiner Pakistani, der einen riesen Koffer bei sich hatte, aufstand,um zur Toilette zu gehen, gab Hassan dem Schleimigen einZeichen, er solle ber die Strae huschen. Etwa 15 Menschensaen im Straencaf. Der Marokkaner schlngelte sich zwischenihnen hindurch und griff den riesen Koffer, der direkt vor mir stand.So schnell er konnte, lief er ber die Strae zu Hassan zurck.Gemeinsam flchteten sie mit ihrer Beute Richtung Strand.

    Ich hatte alles angeschaut, als wrde ich im Kino sitzen. DieMenschen um mich herum sind Schauspieler. Das konnte nichtwirklich passiert sein. Ich htte unmglich der einzige sein knnen,der das beobachtete. Nein. Bestimmt eine dieser LSD-Halluzinationen, vor denen die rzte immer warnen. Ich wute ja,da ich LSD genommen hatte. Darum wute ich auch, da dasalles reine Einbildung war. Sonst htten die anderen im Caf dasja auch gesehen.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    31/239

    31

    Als der kleine Pakistani von der Toilette zurckkam, machteer ein Mordsgeschrei. Da die Anderen auf seine Aufregungreagierten und versuchten, ihn zu beruhigen, glaubte ich, es knnesich in diesem Fall um keine Halluzination handeln. Wo ist meinKoffer, wer hat ihn gesehen? schrie er in gebrochenem Englisch.Ich. Meine Stimme hrte sich ganz eigenartig an. Als gehre sienicht zu mir. Sie erzhlte ganz genau, was ich beobachtet hatte.Der Pakistani schaute mich an, als wre ich ein Gespenst odergeisteskrank oder beides. Er war so aufgeregt, da sich seineStimme berschlug. Er beschimpfte mich, griff mit einer furchtbarfeuchten Hand nach meiner und zog an mir. Ich stand auf und folgteihm. Es war ja sowieso alles ein Traum. Zielstrebig bewegten wiruns zur Polizeiwache. Die liegt ganz dicht beim Strand. Denganzen Weg dorthin lie er meine Hand nicht los und schimpfte,

    wobei es manchmal so klang, als wrde er weinen. Einige Leuteaus dem Caf folgten uns. Vor dem Polizeigebude erzhlte ichzwei Polizisten, was ich gesehen hatte. Schlielich liefen vier mitPistolen in den Hnden den Strand entlang, um die Marokkaner zufinden. Es war inzwischen dunkel geworden. Ich setzte michdrauen vor die nchste Kneipe, schaute in den Himmel, trankBier, rauchte und fragte mich, wo und wer ich bin.

    Nach 10 Minuten hatten die Polizisten den kleinenMarokkaner gefangen. Jemand rief, ich solle zur Wache kommen.Nun stand ich drauen im Eingang des Polizeigebudes. Drinnen

    zitterte direkt vor mir der kleine Marokkaner, den ein Polizist festam Kragen hielt. Man fragte mich auf spanisch: Ist er das?, ichantwortete: Ja. Aus den Augen des Diebes strmte ein irrer Ha.Das Ja hallte mehrmals durch die Polizeistation, quer durchmeinen Kopf. - Schwupp - wurde der Dieb in ein Zimmer gezogen,in das ich nicht hineinsehen konnte. Ich hrte klatschendeOhrfeigen und ein lautes Wehgeschrei. Der Pakistani fuchtelte vormeinen Augen vollkommen auer sich mit einem Kamm herum.Man hatte ihn in der Hosentasche des Diebes gefunden. Erstammte aus seinem Koffer. Das war alles, was man an Diebesgutsichergestellt hatte. Where is my passport, oh no, I need mypassport. Der arme Pakistani! Das passierte alles wirklich!Hassan lief irgendwo da drauen rum und war sauer auf mich.

    Jetzt war es an der Zeit paranoid zu werden.

    Ich hatte die Grfin schon zwei Tage nicht gesehen. Dasletzte Mal ging sie in Hassans Armen neben mir die Straeentlang. Hassan hatte ihr auf den Arsch gehauen und bonmaterial gesagt, wozu die Grfin, wie immer, mit einemwahnsinnigen Gesichtsausdruck lachte. Sie hatte sich von demTypen mit den diversen Totenkopftatoos gleich vier Trips gekauft

    und alle auf einmal geschluckt.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    32/239

    32

    Hassan war der vierte Mann, der mir auf dieser Reisebegegnete, der unbedingt die Grfin ficken wollte.

    Ich glaubte, ich mte ein Held sein und mich darum

    kmmern, da ihr nichts passierte. Es war mir unmglich, auf sieaufzupassen. Sie war ein paar Jahre lter als ich. Sie war verrcktgeworden. Manchmal wollte sie, da ich ihr helfe, nicht gefickt zuwerden. Manchmal wollte sie das nicht. Isabell war bei Hassan. Ichwar doch verantwortlich fr sie. Hassan hatte eine Pistole undwollte sie ficken. Hassans bester Freund sa wegen mir im Knast.Wirklich allerhchste Zeit, verrckt zu werden.

    In der Nacht sa ich wach auf dem Dach, als die Grfinlebendig von ihrer Reise nach ich-wei-nicht-wo zurckkehrte. Siestieg in einen Schlafsack, der ihr nicht gehrte. Der

    Schlafsackbesitzer zerrte sie wieder heraus. Jetzt kmpften sie.Da strzte die Grfin so unglcklich auf den Boden, da sie sichdas Nasenbein brach. Sie schrie entsetzlich. Bald sah sie aus wieFrankenstein. Schrecklich. Niemand konnte mehr mit ihrkommunizieren. Sie lebte und berlebte die nchsten Wochenzwischen uns in ihrer eigenen Welt.

    Ich verlor die letzten hundert Mark, die ich noch hatte. Odersie wurden mir geklaut. Ununterbrochen fhlte ich mich trippig.Wenn die Ziegen hinterm Haus meckerten, glaubte ich, sie httenmeine Gedanken gelesen und wrden darber lachen. Wenn ein

    groer Dampfer auf dem Mittelmeer tutete, glaubte ich, auch daswre ein Kommentar zu meinen Gedanken. Im Sinne vonVorsicht!, Jawohl! oder Genau!.

    Aber am schlimmsten waren die Stimmen im Kopf. Diewaren nervenzerreiend: Tagelang redeten mein lterer Bruder,meine Oma und meine Mutter auf mich ein. Der Trip hatte eineMauer niedergerissen. Die Mauer zwischen meinem Bewutseinund meinem Unterbewutsein. Er war nicht der eigentlicheErzeuger, nicht die Wurzel dieser Stimmen. Er hatte nur daszerstrt, was mich daran hinderte, sie klar und deutlich zu hren.

    Seit meiner frhesten Kindheit wohnten Oma, Mutter und Bruder inmir. Mein ganzes Leben lang hatten sie mich beeinflut undgelenkt. Doch hatte ich geglaubt, sptestens, seit ich von zu Hauseausgezogen war, ein freier Mensch zu sein. Jetzt konnte ich siehren. Jetzt fhlte ich, wieviel Macht sie ber mich hatten. Nichtzum Aushalten! Alles, wirklich alles was ich tat oder dachte, mutensie kommentierten:

    Das sind aber primitive Leute, mit denen du dich hierabgibst. Die Isabell ist aber ein schrecklich dummes, ordinresMdchen. Guck dir diese Leute an. Die sind ja alle faul. Alle

    behindert. Schmarotzer!

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    33/239

    33

    Das war grauenhaft. Ich konnte es nicht abstellen.

    Alfred Hitchkock. Psycho! Norman Bates.

    Seit ich mein letztes Geld verloren hatte, mute ichschnorren. Viele Leute waren in Port Bou nur auf der Durchreise.Es war nicht schwierig, jeden Tag von anderen Menschen ein paarPeseten geschenkt zu bekommen. Manchmal schmissen Conni,Maria, Michael und ich unser Erschnorrtes zusammen. Dannkauften wir Wein und Reis, ein paar Tomaten und Brot, machtenein Feuer und aen gemeinsam. Das war schn.

    Immer noch hatte ich groe Angst, Hassan wieder zubegegnen. Ein dickes Mdchen verkaufte mir ein Messer, das sie

    bei sich trug, um sich zu schtzen. Sie sagte, sie wrde es dochnicht brauchen.

    Ich glaubte, ich msse Hassan erstechen.

    Der Schwiegervater, der das mitbekam, nahm mich zurBrust und sprach: Der ist nur aufgeblasen. Wenn du ihm zeigst,da Du keine Angst vor ihm hast, frchtet er sich vor dir. Gut, daich versuchte, dem Schwiegervater zu glauben. In einemGemseladen stand Hassan pltzlich hinter mir. Er schaute michdurch seine dunkle Sonnenbrille an und verzog keine Miene.

    Beinahe wre mein Herz stehen geblieben.

    Gesegnet sei der heilige Schwiegervater! Ich schaffte es,Hassan ins Gesicht zu lachen. So heiter, wie ich konnte, fragte ich:Hassan! Everything's allright? You feel good?, und klopfte ihm aufdie Schulter. Er wute nicht, was er mit seinen Mundwinkelnanstellen sollte, zog sie mehrmals auseinander und wiederzusammen, bis er schlielich Yes, everything's allright hervorstie.Als ich mit meinen Tomaten den Laden verlie, fhlte ich mich wieein todesmutiger Held.

    Michael und ich beschlossen, in den nchsten Tagen zu Fu

    nach Cadaqus zu wandern. Ein Stdtchen an der Kste, etwa 45Kilometer sdlich von Port Bou.

    Michael konnte toll auf seiner Gitarre Flamenco spielen.Wenn ich ihn auf meinen Bongos begleitete, war ich glcklich.

    Kurz bevor wir losziehen wollten, hantierte ich zugekifft miteinem scharfen Messer und einem harten Stck Brot. Bis auf denKnochen schnitt ich mir in meinen linken Mittelfinger. Aah! Einekelhaftes Gefhl. Schwiegervaters Knastbrder rieten mir, sofortauf die Wunde zu pissen, was ich tat. Jetzt war Schlu mitBongospielen. Au.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    34/239

    34

    Als wir gegen Abend nach Cadaqus aufbrachen, sah ichIsabell in einem Strandcaf sitzen. Sie hatte Geburtstag. IhrGesicht war zu diesem irren Lachen eingefroren. Sie tat mir soleid.

    Endlich wanderten wir durch die Dunkelheit. Wir sangen:Dingdigidingangundoindindigedingintschigedoin und kichertenviel. Als wir mde wurden, legten wir uns ein paar Meter von derStrae entfernt ins Gras. Am nchsten Tag fhrte unser Weg durchein Fischerdorf. Michael spielte Gitarre. Einige Spanier, die voreiner Kneipe saen, klatschen im Flamencotakt und tanzten sogardazu. Wie in der unglaubwrdigsten Touristenreklame. Wirbekamen Wein und Brot. Man gab mir auch einen Schnaps und einPflaster fr meine eiternde Wunde.

    Kurz vor Cadaques sahen wir im angrenzenden DrfchenPortlligat das Haus, in dem Salvador Dali wohnte. Ein riesiges Eiund ein Kamel aus Gips standen auf dem Dach.

    Wir bernachteten auf einer von Freaks besetzten kleinenInsel, ganz dicht an der Kste. Dorthin konnte man zu Fu durchsWasser gehen, was einem dann gerade bis zum Hals stand. DieSchuhe mute man anbehalten, wegen der Seeigel. Wirschwammen nicht, sondern gingen, da wir so unsere Sachen berunseren Kpfen tragen konnten. Man hatte uns in Port Bou vondieser Insel erzhlt. Als wir in Cadaqus nach dem Weg fragten,

    sagte uns einer der unzhligen Verrckten: Die Strae da hinaufund dann rechts runter. Ihr knnt in einer Viertelstunde da sein,aber ihr werdet euch verlaufen. Wir verliefen uns wie Blde.Kamen erst nach ber einer Stunde an. Auf der Insel gibt es einezugemllte, vollgeschissene, alte Villa. 30 Drogenjngervegetierten dort vor sich hin.

    Im Ort lief uns der Schwiegervater ber den Weg. Er war miteiner Mofa gekommen, um Haschisch einzukaufen. Machte einenziemlich verwirrten und verbitterten Eindruck. Hatte viel Speed undLSD genommen. Keine Lust, uns von seinen Joints mitrauchen zu

    lassen.Nachmittags saen wir auf der Strae. Michael machte

    Musik. Da kamen zwei Polizisten, traten unsere Sachen mit denFen und riefen Schimpfwrter. Wir wanderten zurck nach PortBou. Auf Antonios Haus war alles beim alten.

    Seit ich mir Tarotkarten legte, interessierte ich mich frReligionen. Ich wollte herausfinden, wofr die unterschiedlichenGebote gut sein sollten. So hatte ich ein paar Wochen lang inStade drei Freundinnen, trank aber keinen Alkohol. Ich wute, daim Islam mehrere Frauen erlaubt aber Saufen verboten ist. Vom

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    35/239

    35

    Hinduismus und Buddhismus wute ich, da man, wenn manerleuchtet werden will, nicht ficken und nicht onanieren darf. Einegrauenvolle Vorstellung. Ich mute herausfinden, wofr das gut seinsollte. So hatte ich beschlossen, als ich mit Isabell auf die Reiseging, nicht zu ficken und nicht zu wichsen, bis ich zurck bei Judithsein wrde. Betrachtet man das Phnomen der Projektion, wirddeutlich, warum mir auf dieser Reise vier verschiedene Mnnerbegegneten, die unbedingt die Grfin ficken wollten.

    Nach ber einem Monat sexueller Enthaltsamkeit war ichallein deswegen schon nicht mehr ganz bei Sinnen. Ich ging denStrand entlang und beschlo: Das mu jetzt ein Ende haben! Ichwill ficken! Ich schwre, da eine Sekunde nachdem ich diesenEntschlu fate, mir etwas in die Eier zwickte. Dann zwickte eswieder. Und noch einmal. Ich suchte mir ein stilles Pltzchen undschaute nach. Sackratten! Matrosen am Mast! Erstmal ein Biertrinken! Puh. Als ich nun mit Luftblasen im Kopf in einer Kneipesa, sprachen mich zwei junge Frauen an. Ob ich Lust htte, vonihnen massiert zu werden. Ja, gerne. Es waren das dickeMdchen, das mir ihr Messer verkauft hatte, und ihre ziemlichpunkige Freundin, die ganz gut aussah. Es wurde dunkel. Wirgingen zusammen die Strandpromenade entlang, bis dahin, woder Strand von der felsigen steilen Kste unterbrochen wird und dieKlippen direkt ins Meer ragen. Hier fhrt ein Weg hinauf zumFriedhof von Port Bou. Ich legte mich auf den Bauch auf eine Bank.

    Die beiden Mdchen fingen an, an mir herumzufummeln.Meeresrauschen. Die Punkige drckte einen Finger auf meinArschloch und lechzte: Oh ich bin ja so geil, mir luft schon dieSoe aus der Fotze. Oh ich auch, sthnte die Dicke. Ich fhlteihre Titten auf meinem Rcken. Ich habe Sackratten. Abrupt wardie Massage vorbei. Wie schade. Die Punkige behauptete amnchsten Tag, sie htte eine Filzlaus in ihren Augenbrauengefunden. So nahe waren wir uns gar nicht gekommen. Ichschnorrte mir Geld, ging in die Apotheke und erklrte demangeekelten Spanier auf deutsch und mit Krpersprache, was ichbrauchte. Da ich frchtete, das Parasitengift knnte nicht alleFilzluse umbringen, lieh ich mir Rasierzeug und entfernte meineSchamhaare. Das war peinlich, denn es gab eine kleine Bucht, inder alle Dachbewohner nackt badeten. In dieser Bucht baggertemich ein Hollnder an. Er hie Lood, war etwa zwei Jahre lter alsich und sagte, er sei in mich verliebt. Ich hatte keinerlei Erfahrungmit Mnnern. Ich mchte nur rauchen und reden und Tequilatrinken, O.K.? Er gab mir seine Adresse, falls ich mal nachHolland kommen sollte.

    Immer noch enthaltsam. So wird man wahnsinnig.Mittlerweile waren fast sechs Wochen vergangen. Da lief mir die

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    36/239

    36

    notgeile Punkfrau wieder ber den Weg. Hast du die Viechernoch? Nein. Gut, dann knnen wir ja heute Abend was geilesmachen. Aber wasch dir den Schwanz, da steh ich drauf. Endlich!Wunderbar! Wir verabredeten uns am Abend im Strandcaf. Alses soweit war, liefen wir im Mondschein, geil wie die Schweine,Richtung Friedhof. Als wir den steinigen Weg nach oben stiegen,fingen unzhlige Mcken an, mein Mdchen zu stechen. Immer insGesicht. Um ihre Augen herum. Sie jammerte und wehrte sichvergeblich.

    Der Friedhof ist ein zwei Meter hohes, viereckiges Hausaus Lehm. Drinnen sind die Urnen der Verstorbenen. Es stehtdirekt an einer Klippe, die steil in die nchste Bucht hinabfllt. Wirhalfen uns gegenseitig auf das Dach. Es gab einen phantastischenBlick bers Meer. Die Sterne! Der Mond! Die Punkfrau konntekaum noch aus den Augen schauen. Sie waren zugeschwollen vongroen, roten Beulen. Hast du ein Tuch, das ich mir vor die Augenbinden kann, damit ich nicht noch mehr gestochen werde?, fragtesie geqult. Ich gab ihr den langen, schwarzen Schal, den Judithmir bei der Abreise geschenkt hatte. Sie hatte keine Lust mehr, anSex zu denken. Das Objekt meiner Begierde legte sich auf denRcken, seufzte und schlief ein. Als ich sie da so liegen sah, muteich an den kleinen Engel mit Pfeil und Bogen denken, der auf derTarotkarte Die Liebenden abgebildet ist. Auch ihm sind dieAugen verbunden. Der Mond am Himmel schaute mich fragend an.

    Ich hatte keine Lust, mir einen runter zu holen.In den nchsten Tagen konnte ich Isabell nicht dazu

    berreden, mit mir zurck nach Deutschland zu kommen. Sie warimmer noch voll auf LSD, hielt sich fr eine mchtige Zauberin undnahm die Welt ganz anders wahr, als wir Sterblichen um sie herum.

    Zwei Frauen hatte ich gefunden, die nach Sddeutschlandfuhren und bereit waren, mich mitzunehmen. Auch fr die Grfinwre ein Platz im Auto gewesen. Aber sie wollte nicht. Nein. Nein.Nein. So verabschiedete ich mich von Michael, Maria und denanderen, fhlte mich schuldig und verantwortlich fr die Grfin undfuhr schweren Herzens Richtung Heimat.

    In Avignon, wo gerade ein Theaterfestival stattfand, machtenwir Zwischenhalt und sahen viele bunte Menschen.

    Ich wei nicht mehr, wo genau sich die beiden Frauen vonmir trennten. Auf jedenfall stand ich schlielich allein inSddeutschland auf einer Autobahnraststtte. Ich hielt es nichtmehr aus und holte mir auf Klo einen runter. Meine Gte, sah ichverdreckt aus! Wer sollte mich so mitnehmen? Einen spieigaussehenden Typen mit Halbglatze und Schlips, der in einem

    ockerfarbenen Mercedes sa und das Fenster heruntergekurbelt

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    37/239

    37

    hatte, fragte ich hoffnungslos: Fahren Sie RichtungNorddeutschland? Wrden Sie mich bitte mitnehmen? Ja, klar,steig ein. Er war Leiter einer Volkshochschule und hatte etwasKoks und Haschisch dabei. Ich berichtete ihm von meiner Reisezur dunklen Seite des Mondes. Er erzhlte mir von einem Dichternamens Benjamin, dessen Urne im Friedhofshuschen auf denKlippen steht. Benjamin mute sich in Port Bou vor den Nazisverstecken und war dort einsam und traurig gestorben.

    Endlich kam ich in der Trinkstrae 7 an.

    Niemandem konnte ich plausibel erklren, warum ich esnicht geschafft hatte, Isabell mit zurck nach Hause zu bringen.

    Als Judith kam und mich kte, sah ich fr einen Momentdas Paradies.

    Vielleicht hatte die Time & Space Society in Port Bou denSender fr meine Fernsteuerung in mein Kleinhirn oder meineGedrme gepflanzt. Die Einwilligung fr diesen Eingriff hatte ichdurch meine Unterschrift beim Eintritt in die T.S.S. gegeben. Oder,ich war ein typisches LSD-Opfer. Wer aber Beziehungswahneinfach nur zu vielen Drogen in die Schuhe schiebt, macht es sichzu einfach: Die anstndigsten fleiigsten Ottonormalverbraucherwerden bei Zeiten beziehungswahnsinnig!

    Nach meiner Reise mit der Grfin hatte ich eine winzige

    Ahnung vom Zusammenhang zwischen meinem inneren Erlebenund der Wirklichkeit.

    Mute ich nun begreifen, da mein Unterbewutsein dieSynchronizitten erzeugte? Oder war nicht ich, sondern die T.S.S.fr alles verantwortlich?.

    Langsam begann ich, meine Umwelt so zu betrachten, alswre ich ihr Mittelpunkt.

    Die strkste Kraft, mit der wir unsere Umwelt beeinflussenoder gar lenken, heit Sexualitt. Das hatte ich verstanden. Dawaren die Mnner, die so wahnsinnig geil auf die Grfin waren,meine Keuschheit, die Filzluse und das mystische Erlebnis aufdem Friedhofsdach.

    Aber was sollte ich daraus lernen? Treu sein? Nicht treusein? Nie meine Sexualitt unterdrcken?

    Und immer wieder die gleiche Frage:

    Wer zum Teufel hatte diese Lektion organisiert?Die T.S.S.? Mein innerer Dinosaurier?Beide zusammen?

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    38/239

    38

    War alles reiner Zufall und ich verrckt geworden, weil icheine Botschaft darin suchte?

    Ich sollte mich in eine weitere Kette von Ereignissen

    verstricken, in deren Verlauf mir das Wechselspiel von Geilheit undWirklichkeit vor Augen gefhrt wurde. So deutlich, da mein Hirneinen Ri bekam. So tief, da ich nicht mehr in der Lage war, dieMglichkeit eines Zufalls in Betracht zu ziehen:

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    39/239

    39

    Jeder Mann hat einen Zauberstab

    Als 20-jhriger trampte ich zum dritten Mal zu den

    Cloudiniers. Das zweite Mal war eine groe Enttuschung.Entweder hatte ich mich total verndert, oder der Alkohol LehelsGehirn zersetzt. Er erinnerte sich nicht an mich. Zwar wohnte ernoch da, hatte die Farm aber verpachtet. Das Hauptgebude warnun ein Austellungsraum fr Tpfer, Bildhauer und Maler. Nebendem groen Kanister Rotwein stand eine Preistafel. Wer auf derFarm bernachten und frhstcken wollte, mute umgerechnet 15,-DM bezahlen. Ich hatte keinen Pfennig. Wollte so gerne, wie Leheles versprochen hatte, dort wohnen und fr ihn arbeiten.

    Man hatte kein Erbarmen.

    Bei meiner dritten Reise hatte ich 500 Mark in der Tasche.Ich nahm mir vor, jeden Tag 15 Mark zu zahlen und solange zubleiben, bis das Geld alle war. Von der Erinnerung, wie glcklichich in den Tagen meines ersten Besuches gewesen bin, kam ichnicht los.

    Ich beschlo, ber Freiburg zu trampen, um einen Freund,Tomm Graf von Weichenfeld zu besuchen. Die Strecke schaffte ichan einem Tag.

    Tomm kannte ich aus der Hamburger Schwulendisco

    Front. Eines Abends hatte er mich in ein Billighotel abgeschleppt.Auf eine unbegreifliche Art und Weise romantisch. Ins Frontwurde ich durch verschiedene Umstnde getrieben:

    Zunchst einmal mute ich begreifen, da ich bisexuellempfand und diese Gefhle ausleben wollte. Der Moment, in demich diese Einsicht zulassen konnte, bestand aus einer berdosisNachtschattengewchse. Jene Mischung, die ich Jesus-Robert zurauchen gegeben hatte, bevor er den Verstand verlor.

    Mit Selbsterkenntnis im Schwanz trampte ich dannzusammen mit Marga und unserem Hund Ghandy nach Holland.Dort entjungferte mich Lood in seinem Hochbett, whrend Margaauf dem Fuboden sa und weinte.

    Bevor ich aber so schwul wurde, da ich mit einem Minirockbekleidet ins Front spazierte, um vom Graf von Weichenfeld zulernen, was Romantik bedeutet, muten meinen Eiern scheulicheDinge passieren. Eine chronische Nebenhodenentzndung muteich mir holen. Die war chronisch geworden, weil ich nacheinanderan drei unfhige Urologen, sowie einen Sexualprofessor geratenwar. Alle erzhlten sie mir, ich sei krperlich gesund und meineSchmerzen psychisch.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    40/239

    40

    Wenn es einen psychischen Grund fr meine Schmerzengegeben htte, dann wre dieser vielleicht, (wie bei allen

    ordentlichen Psychopathen) bei meiner Mutter zu suchen gewesen.Sie war es dann auch, die mir durch eine befreundete rztin einenTermin bei Prof. Dr. Schulz im sexualmedizinischenForschungszentrum der Uniklinik Eppendorf in Hamburg besorgte.

    Ich berichtete dem Prof. Dr. von meinem Schmerz, unddavon, was die anderen Urologen erzhlt hatten, whrend ergenlich an seiner Pfeife zog. Nachdem ich sieben Minutengeredet hatte, stellte er mit einem schwer zu deutenden Lchelnfest: Sie sind homosexuell. Verstecken Sie das nicht. Ihr Schmerzist rein psychosomatisch. Zeigen sie den anderen Menschen ihre

    Homosexualitt und leben sie sie aus.Nie war ich der mutigste Mensch der Welt, aber mein

    Schmerz befhigte mich nun zu wundersamen Schritten:Geschminkt und im Minirock tanzte ich in der Mlltonne, wo michalle nur als Weiberheld und Herzensbrecher kannten. Ich lief mitmeinem Rckchen, (selbstgenht aus abgeschnittenen Jeans),einer schwarzwei gestreiften Strumpfhose, rotenSommerschuhen, rotgefrbten langen Haaren, gut rasiert und mitblaugeschminkten Augen durch Horneburg, einem echten Dorf;auch durch die Kleinstdte Buxtehude und Stade. Ich trampte so

    zurechtgemacht nach Hamburg oder fuhr mit der Bahn.Seltsamerweise frchtete ich nicht, tierisch auf die Fresse zubekommen. Vielleicht, weil ich so oft vom Kinosymptom befallenwar: Dem Gefhl, nicht wirklich an jenem Ort zu sein, den mangerade sieht oder hrt, oder unter seinen Fen sprt.

    Auf meiner dritten Reise zu den Claudiniers hatte ich zwareine Hose an, glaubte aber immer noch, da ich unbedingt geficktwerden mte, um keine Schmerzen in meinem linken Hoden zuhaben. Ich wohnte damals, zu meiner grten Frustration, wiederbei meinen Eltern, in einer zum Partykeller umgebauten Garage.

    Am Morgen, als ich gerade meine Sachen gepackt hatteund aufbrechen wollte, besuchte mich Ines Brand. Sie warheroinabhnging und erzeugte berall Brandlcher. Andauerndfielen ihr die Zigaretten aus der Hand. Das pate gut zu ihremNamen. Sie kam zusammen mit einem Trken, der unbedingt mitihr schlafen wollte. Als sie mich als ihren Freund verkaufte, ging erschwer geknickt wieder fort. Ines war todmde. Ich sagte ihr, sieknne gerne auf meiner Matratze pennen, (wo sie ein weiteresBrandloch hinterlie) aber ich wolle bald los nach Sdfrankreichtrampen. Sie gab eine fette Line Heroin aus. Nur jedes zweite

    Mal spritzte sie sich das Zeug. Sonst hat sie es sich immer durch

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    41/239

    41

    die Nase gezogen. Mir wurde nie bel vom Heroin. Alle die ichkennengelernt habe, muten nach einer Nase kotzen. Als Ineseinige Monate spter starb, lie ich fr immer die Finger davon.Wir rauchten noch einen Joint zusammen; dann gab ich ihr einenKu und sagte mach's gut.

    Mein jngerer Bruder war so lieb, mich zur nchstenAutobahnraststtte zu bringen. Auf der Fahrt in seinem Auto zitterteich am ganzen Krper. Ich erklrte ihm, das sei Yoga- undTantraenergie, die mich durchfliee. So habe ich es auchtatschlich empfunden.

    Auf der Raststtte kaufte ich zwei Holsten, schttete dasBier in mich rein und hielt den Daumen in die Sonne.

    Der erste Mensch, der mich mitnahm, hatte in seinem

    offenen Handschuhfach lauter Schwulenpornos liegen. Ich blttertedarin rum. Er hielt an der nchsten Raststtte und fickte mich imAuto.

    Ich glaubte, da wenn man angesoffen und breit von Haschund Heroin mit einem fremden Mann im Auto fickt, man bald einenHeiligenschein bekommen wrde. Auerdem hielt ich es fr dieeinzige Medizin gegen meinen Schmerz.

    Als ich nach dem Fick meine Zigaretten suchte, merkte ich,da mir eine Tragetasche fehlte, die ich auer meinem Rucksack

    bei mir hatte. Ich trampte zurck zur letzten Raststtte und fandtatschlich meine Tasche am Straenrand. Alles war noch drin,auer meinem Tarotkartenspiel.

    Fr meine Reise hatte ich Zuhause den Fehlschlag, dieAusschweifung und die Enttuschung gezogen. Aber das wollteich nicht wahrhaben. Ich sagte mir: Die Karten zieh ich jetzt nur,weil ich daran zweifle, ob ich losfahren soll oder nicht.

    Mitten in der Nacht kam ich in Freiburg an. Ich blieb dreiTage bei Tomm, der mich von ganzem Herzen liebte.

    Von dort aus nahm mich dann ein grauhaarigerKettenraucher in einem Porsche mit, der mir erzhlte, er knnedurch seine geistigen Krfte Krebs heilen und sei Mitbegrnderder Partei des neuen Bewutseins. Er setzte mich an derfranzsischen Grenze in dem Ort, der Weil heit, ab.

    Der nchste, der mich mitnahm war ein fetterLastwagenfahrer, der wollte, da ich ihm einen blase. Ich tat dasnatrlich. Es war ja schlielich gut fr mein linkes Ei.

    Nach einer scheulichen, verregneten Nacht auf einemParkplatzgrnstreifen, brauchte ich noch drei Autos, um zur Farm

    zu gelangen. Auf jedes Auto mute ich fnf Stunden warten.

  • 7/23/2019 Claas, Frst - Willkommen in meinem Kopf

    42/239

    42

    Vollkommen fertig kam ich bei den Cloudiniers an, hatteBlasen an den Fen, war todmde und hatte unterwegs geheult.

    Die Farm war nicht mehr an Knstler, sondern an einige

    Privatleute vermietet. Ich konnte nicht fr 15,- DM am Tag dortschlafen und frhstcken und sah derart durchgeknallt aus, daman mir schon nach zehn Minuten zu verstehen gab, ich knne,sollte, drfe nicht lnger dort bleiben.

    Als ich nun Richtung Paris trampte, hatte ich Halluzinationenvor Verzweiflung und Mdigkeit. Die Lichter der Autos, die auf michzukamen, sahen aus wie Totenkpfe.

    Im vierten Auto, das mich mitnahm, sa ein Tramperhassererster Gte. Er warf mich auf der Autobahn heraus. An einer Stelle,an der es kaum einen Seitenstreifen gibt. Die Autobahn verluft