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SE'.TTIMANE DI STUDIO DEL CENTRO ITAUANO DI STUDI SULL'ALTO MEDIOEVO XXVII! CRISTIAN IZZAZI 0 NE ED ORGANIZZAZIONE ECCLESIASTICA DELLE CAMPAGNE NELL'ALTO MEDIOEVO: ESPANSIONE E RESISTENZE 10-16 aprile 1980 TOMO PRIMO IN SPOLETO PRESSO LA SEDE DEL CENTRO 1982

CRISTIANIZZAZI 0NE ED ORGANIZZAZIONE ECCLESIASTICA … · se'.ttimane di studio del centro itauano di studi sull'alto medioevo xxvii! cristianizzazi 0ne ed organizzazione ecclesiastica

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SE'.TTIMANE DI STUDIO

DEL CENTRO ITAUANO DI STUDI SULL'ALTO MEDIOEVO

XXVII!

CRISTIAN IZZAZI 0 NEED ORGANIZZAZIONE ECCLESIASTICA

DELLE CAMPAGNE NELL'ALTO MEDIOEVO:ESPANSIONE E RESISTENZE

10-16 aprile 1980

TOMO PRIMO

IN SPOLETOPRESSO LA SEDE DEL CENTRO

1982

ARNOLD A..~GENENDT

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATIONDES KIRCHLICHEN LEBENS AUF DEM LANDE

1. DIE LITURGIE IM FRÜHMITTELALTER

Die Christianisierung der Landbevölkerung Europasstellt sich als ein vielschichtiger und vor allem langdauern-der Vorgang dar: beginnend im Süden und Westen wäh-rend des 5. Jahrhunderts ist der Prozess in den östlichenund nordischen Gebieten noch im 12.-Jahrhundert kaumZum Abschluss gebracht. In diesem langen Zeitraum istauch die Liturgie nicht einfach eine immer gleichblei-bende Grösse gewesen; sie hat im Gegenteil tiefgreifendeWandlungen erfahren. Schon in der Spätantike zeichnensich Eigenarten ab, die der mittelalterlichen Liturgie einebestimmende Prägung gegeben haben. Es sind dafür vierPunkte zu nennen:

die Kodifizierung der Liturgie und ihre Fixierungzu kanonischen Texten und Riten;die Schaffung bzw. Vermehrung der Heiligenfesteund der Votivmessen;die Betonung des Exorzistischen und des Konsekra-torischen; .die Forderung nach einer besonderen Reinheit desLiturgen, insbesondere des Altardieners.

170 ARNOLD ANGENENDT

1. Die Kodifizierung 'Und Karwnisierung

Als. früheste buchmässige Zusammenstellung von li-turgischen Texten ist das sogenannte Leonianum über-liefert. Über den Charakter dieses Liturgiebuches hat dieForschung keine in jeder Hinsicht abgeklärte Meinungerzielen können. Doch ist' soviel klar, dass es sich umeine Zusammenstellung von ursprünglich' selbständigenMesslibelli .handelt, die wohl im päpstlichen Lateran-Archiv aufbewahrt wurden und dort den römischen Pres-bytern zur Verfügung standen. Inder überlieferten Formfusst die Sammlung, auf bereits ältere Zusammenstellun-gen, umfasst hauptsächlich Material des 5. und 6. Jahr-hunderts und ist von einem nichtrömischen Kompilatorredigiert worden 1. Bemerkenswert ist auch der liturgie-historische Hintergrund, der in dieser cVerbuchung"der Liturgie greifbar' wird: In ihm zeigt sich der über-gang von einer ursprünglich frei formulierten zur fortanfestgelegten Liturgie. «Dieses auf immer wieder neuerProduktion beruhende Textmaterial beweist den extem-porierenden Charakter der liturgischen Formeln, die füreine bestimmte Gelegenheit vorbereitet werden mussten.Der erste Zweck der Konzepte war die Vorbereitung desjeweiligen Gottesdienstes .•. Der Gedanke, eine ein fürallemal abgeschlossene Sammlung immer wieder im Tur-nus zu verwendender Formulare für den Gottesdienstherzustellen, ist ili~ht .... ernsthaft durchgeführt ,1. ~eIIlLeonianum' folgen dann-die 'mehr systematisch und streng

(l(A. STUlB1I:B, LilHlll 8aerolMftloru'" ROtIIIJ"i. U,.,.,..uehungSfl .ur z~·.Uhung du 8OgSflCJn..wa8aero~u", Leonionu"" Bonn 1950 (Theopban.el'"VI): C. VOOEL,ln1roductWrt o_.-ou tU rllUtoi,.. du eullc eArüian ou Moy'".Age, Spoleto 1968 (Biblioteoa degli • Studi lledievali., I), pp. 31.42-

(2) STUlBBB (wie Anm. I), p, 80.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 171

nach dem circulU8 anni geordneten Liturgiebücher desSacramentarium Gelaslanum und Gregorianum I, denenähnliche' Bücher gallischer Provenienz zur Seite stehen '.,Neben diesen für die Priester 'bestimmten Büchern gab'es bald auch solche für die Lektoren: das Capitulate lee- .tionum und Capitulate evangeliorum I. ferner für dieSchola das Antiphonale ' und endlich zur Organisierungdes zeremoniellen Ablaufs der hochfeierlichen Papstgot-tesdienste die Ordines '.

Die Kodifizierung zeigt an. dass die schöpferischePhase der Liturgie zu Ende gegangen war: Man griff auffertig vorliegende Texte zurück. Das Bedürfnis nach sol-·chen Rückgriffen wird vor allem in einem Bildungsde-fizit der Liturgen zu suchen sein .• Der theologische undsprachliche Bildungsstand der meisten Presbyter des 5.und noch mehr des 6. Jahrhunderts liess nicht mehr er-warten, dass die Presbyter selber ihre liturgischen Tex-te schaffen konnten.'. Das Bedürfnis nach Kodifizierunghat sich übrigens in der Spätantike auch auf anderenGebieten gezeigt; man denke nur an die Bemühungenum das Corpus iuris civilis'. Th. Klauset hat darumdie Zeit zwischen 530 und 650- insgemein • kodiflzierungs-freudig • 10 genannt.

Aber nicht allein bei den Texten zeigt sich die Ten-

(3) vOGEL (wie Anm. I), pp. 43·89.(4) Ibid., p. 90 ••(5) TIr. KLAun:B, 1>0. rcltlli«Ae CapilultJre 8OGftg.ionI"'. T8%14und U",

~~ung8lt n Ni_ auuu.. ~ 1.Münster 11971 (LiturgiewiMenaehaß..liehe Quellen und FOl'9Chungen. XXVIIl), bee. pp. XI·XXVllI: VOGEL (wie&un. I), pp. 179.3%8.

. (8) VOGEL (wie Anm. I), pp. 3%8·333.(7) Ibid., pp. 101·181.(8) S'lVDIBa (wie Anm. I), p. 81.(9) A. Snnnnnn. CorptU iun., in B.A.C., III. pp. 4:13.483.(10) TII. KLAu.n, Ja.i,.. A~i«M Lilurfi~ BeridIl und

B..i ",""", Bonn 1965, p. 69.

172 ARNOLD ANGENENDT

denz, die Liturgie nach' festen Formeln zu vollziehen.Ähnliches lässt sich auch beim Ritus beobachten. Wäh-rend zum Beispiel in den neutesta.mentlichen Aussagenüber die Taufe eine « Konzentration ... auf das, was GottinderTaufe 30mGlaubenden tut), aufscheint, ist demgegen-über ein « eigentümlich geringes Interesse an der Beschrei-bung des Taufritus als solchem» zu konstatieren u. Imfrühen Mittelalter aber stellt es sich umgekehrt dar. Hiererscheint der Ritus in allen Einzelheiten festgelegt' undselbst bei kleinsten Abweichungen fürchtet man um dieGültigkeit des Vollzugs. So ereifert sich die karolingischeLiturgiereform für ein dreimaliges Untertauchen; ande-renfalls sei die Taufe ungültig 12. Aber noch Gregor derGrosse hatte dieser Frage keine theologische Bedeutungbeimessen wollen und ein einmaliges oder dreimaligesUntertauchen dem freien Ermessen bzw. der jeweiligenLokaltradition 'anheimgeetellt 13. Wie aber bereits in derFrage der 'I'auohung so ist allgemein festzustellen; dass dieLiturgie als eine feste, genau zu befolgende Grösse galt.Es ist darum bezeichnend für das Liturgieverständnisdes frühen Mittelalters. insgesamt, wenn Bonifatius Be-denken hinsichtlich der Gültigkeit einer Taufe anmel-dete, bei der ein bayerischer Priester die lateinische Tauf':'formel grammatikalisch falsch gesprochen hatte 14.

(Il) E. SCHLINX, Die Lehre von der T,!,ufe, in K. F. MUELLER/W. BLANKEN'BURG (Hgg.), Leiturgia, Handbuch derevangeli8chen Gotteedienste«, V, Kassel1970, pp. 641-806, p. 711..- / .

'(12) G. ELLARD, Mll8terAlc.fin. Liturgi8t, Chicago 1956, pp. 68·75; G.KRETsCHMAR, Die Guchich.U du Taufgottudienatu in der olten Kirche, inLeiturgia (wie. Arun. 11), V, pp. ~348, p. 316 ss. ,

(13) P. MEYVAERT, Diversity within Unity. A Gregorian Theme, in DERS.,

Benedict, Gregory, Ewe and Other«, London 1977, pp. 141.162, Erstdr., in TheHeythropJournol, IV (11163).

(14) Epi8tola 68, in M.G.H., EpiBrolae selecta«; I. p. 141. 1.9: aaeerdos, quiLatinam linguam penitus ignoraba.t et. dum baptizaret, nesciens Latini elo-quii" infringens linguam diceret: • Baptizo te in nomine patria. et filia et spiri-tus sa.ncti '. Ao per hoc tua. reverend a fra.ternita.B oonsideravit rebaptizare.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 173

Die Auswirkungen dieses frühmittelalterlichen Ritua-lismus sind in vielfältiger Weise greifbar. Zu den Folgenwird man zum Beispiel auch jene «Reform )) zählen dür-fen, die für die Liturgie des Frühmittelalters schlechthingrundlegend geworden ist: die Übernahme der römischenLiturgie als der allein kanonischen Form für den ganzen We-sten 15. Der überaus rasche Erfolg dieser Reform, in de-ren Verlauf zuletzt binnen weniger Jahrzehnte die rö-mische Liturgie aus ihrem ursprünglich nur auf die Apo-stelstadt und die suburbikarischen Bistümer beschränk-ten Geltungsbereich zur Norm in ganz West-und Mit-teleuropa aufstieg, ist ohne dieses Zeitverlangen nachdem allein wahren Ritus schwerlich zu erklären. InEngland galten beispielsweise die römische Form derTonsur wie auch der römische Ostertermin als petrinischund infolgedessen als allein richtig 18. Wer anderen Bräu-chen folge, so kann Wilfrid von York das Problem dar-stellen, der begehe ohne Zweifel eine Sünde 17, und Bedagibt die Meinung wieder, ein solcher riskiere sogar seinHeil 18. Der Petrus-Liturgie. wird hier selbst in rituellenEinzelheiten Heilsbedeutung zugesprochen. Dieselben Im-pulse haben auch auf dem Kontinent zu wirken begon-

(Ill) Tn. KLAUBER, D~ "'urgi«hm Au.rtatUlChbuuhungen %~ der r/j-mucMn und der Jränkuch-devl8chen KircM vom 8. bu %um 11. Jahrhundert, in I

DERB., Guammelta Arbeiten zur Liturgieguch~, KircknguchicAu und chml-licMn ArchäoWgia = JUC, Erg. Bd., m,Münster/W. 1974, pp. 139-154.; C.

, VOGEL, Lu ichangu liturgiquu ""'re Rome et Zu paye Jranc8 jU8lJU'l;a l'e~ daCharlemagne, in Settimane di .tudio del C""'ro italiano di .,udi 8Ull'allo medioevo,VII, Spoleto 1960, pp. 185-295.

(16) R. E. MCNALLY, Die UlIi8che KircM in Irland, in H. FBOHNE8, H. W.GEN61CHEN, G. KRETSCHlIAR (Hgg.), KirchenguchicAu al.r MillM0n8guchichle11, I, lIIünchen 1978, pp. 91-115, pp. 96-102.

(17) BEDA, lIi..toria eccluiaIIti<XJ, m, 25, 00. Ca. PLU¥1>IER, V_abiluBaeäa« opera hutonca, I, Oxford 1896, p. 188: absque ulla dubietate peccatis.

(18) Ibid. m, 25, p. 182: mouit heec queatio [de observatione paschae]aensue et eorda multorum, timentium, ne (orte aceepto Christianitatis uoca-bulo, in uacuum ourrercnt aut oucurrissent.

174 ARNOLD ANGENENDT

nen. In dem Wort romensis spiegelte sich « ein "\Verterleb-nis, das für die Menschen des gallischen Bereichs mitder Romvorstellung verbunden war » 19. Bald begannrömisches Material in die gallischen Liturgiebücher einzu-dringen, darunter bezeichnenderweise ein ausdrücklich, als missa romeneis bezeichnetes l\Iessformular 20, bis zuguter- Letzt die rein römischen Textbücher .obsiegten.Eine. Liturgie, die dem einflussreichen LiturgieerklärerAmalar von Metz zufolge vom heiligen Petrus selbst ge-schaffen worden war 21, bildete schlechthin Autorität. Auchdie zur Oberherrschaft im Frankenreich aufstrebendenKarolinger haben sich dieser Romanitas-Bewegung an-geschlossen 22. So hat dann das Verlangen nach demallein wahren Ritus dazu geführt, dass die alte liturgi-sche Pluriformität im Abendland beseitigt worden ist.

Aber auch in der Liturgie selbst hat die Ritualisie-rung Auswirkungen gezeigt. So sind zum Beispiel die ur-sprünglich freigestalteten Teile mehr und mehr liturgi-siert worden. Als Exempel sei das Stundengebet ange-führt. Selbst in den Klöstern, also dort, wo wir am ehe-'sten eine lebendige Spiritualität zu erwarten geneigt sind,okkupierte die Liturgie das ursprünglich freie persönliche

(19) K. HALLINGER, Römiache VorGl.l8setzungen der boniJatianiachen Wirk·samkeit im Frankenreich, in Sankt Bonifatius. Getknkgabe zum zwölfhundertstenTodestag, Fulda 11954. pp. 320-361, p. 345.

(20) Missale Gothicum, r.xxvrm.oa, L. C. MOHLBERG, Rerum Ecc168ia-sticarum Documenta, ser. maior, fontes V, Rom 1961, p. 122; weitere Hin-weise bei lIALLINGER (wie Anm., 19), pp. 340-347.

(21) AMALAR VON lIIETZ, Ordinia millsae expoaitio, ed. J.lII. HANSSENS, Ama-lani epiaoopi opera liturgica omnia'Jll' Citta del Vatieano 1950 (Studi e Testi.CXL), p. 297: Ineipit ordo missae a saneto Petro institutus.

(22) C. VOGEL, La reJorme liturgique sous Charlemagne, in B. BISCllOII'J' (Hg.),Das geiatige Leben, Düsseldorf a1967 (W. BRAUNFELS (Hg.), Karl der Gro88e,IT, Bedeutung und Nachleben), pp. 217-232; A. ANGENENDT, BoniJatius unddas Sacramentum initiationia. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Firmung,in .Röm. Qartalschr. I. chriatl. Altertumakde. u. Kirchengesch., LXXII (1977),pp. 133-183, pp. 176-180.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISA.TION 175

Gebet. Das frühe Mönchsideal hatte den einzelnen zumunaufhörlichen Gebet verpflichtet, und das liturgischgeordnete gemeinsame Gebet sollte anfangs nur eine Ab-stützung und Aneiferung dieses freien persönlichen Ge-betes sein. Wie aber bald festzustellen ist, begann das litur-gische Gebet sich immer weiter auszubreiten. Im frühenMittelalter bestand das monastische Gebet hauptsäch-lich in der gemeinschaftlichen Rezitation von Psalmen 23.

Die Regel Benedikts kennt als Tageshöchstleistung 37Psalmen; Benedikt von Aniane forderte 138 und in Clunywaren es unter Abt Hugo bis zu 215 Psalmen an einemTag 24 •.

Ein besonderes Problem der frühmittelalterlichen Chri-stenheit bildete im Westen, zumal ausserhalb des roma-nischen Sprachkreises, die liturgische Sprache; auch hierist die Tendenz zur Fixierung überdeutlich. Dass in derSpätantike im Westen nur noch das Latein bei der Litur-gie verwendet wurde, war bereits das Ergebnis einschnei-dender Veränderungen. In der römischen Gemeinde istzum Beispiel von den Anfängen bis ins 4. Jahrhunderthinein griechisch gesprochen worden. Erst seit PapstDamasus (t 384) gab es - weil damals in Rom keinGriechisch mehr gesprochen wurde - die rein lateinischeLiturgie 1.5. Als aber die Missionierung der germanischenund slavischen Völker anstand, gehörte das Latein mitdem biblischen Hebräisch und Griechisch zu den dreiheiligen Sprachen, die allein noch als liturgiewürdig an-

(23) A. DE Voo()t, La R~gle de Saint Bmott, VII, Commmtoire doct"noet .pirittul, Paris 1977, pp. 184·240.

(24) Pu. SCU!lITZ, La liturgie de Cluny, in Spiri4uolitla Cluniacen8e, Todi1960 (Convegni del Centro di .tudi aulla apiritualitA medievale, II), pp. 83·99;K. lLu.!.INOEIl, Oberlüf~ng und Skigerung im Mc5nc11t .. m du &. tn. Ill. Jahr·hu"<krU, in Eulogia. Müullo_lilurgico in OfIOf'e di P. Bur1chord z.:... nheu8er,Rom 1979 (Studia Anaelmiana, LXVIII), pp. 125.187.

(25) K..r...t.U8E1l (wie Anm. 10), pp. 23·29.

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gesehen wurden 26.. Von der altslavischen Liturgie desCyrill und Method abgesehen27, sind nur winzige Bruch-teile der lateinischen Liturgie, so das Glaubensbekennt-nis, das Vaterunser und dieTauffragen zur Absage anden Teufel sowiezur Annahme des Glaubens, in die Volks-sprachen übersetzt worden 28. Da sowohl die germani-schen wie' auch slavischen Sprachen vor der Christiani-sierung keine entwickelte Schriftkultur besassen, zählendiese Übersetzungen zu den ältesten germanischen undslavischen Sprachdenkmälern:- Es mag kühn erscheinen, dürfte aber. doch erhellend

sein,.den frühmittelalterlichen Ritualismus mit Erschei-nungen der antik-römischen Religionsgeschichte zu kon-frontieren. Die römische Religion bestand grösstenteiIsaus « Denkformen primitiver Zeiten, die in der Pontifi-kaIreligionbis in ihre letzten Konsequenzenhinein durch-geführt wurden» 29. Im Vorrücken der Geschichte abermusste diese beharrend archaischeReligiosität immer wei-ter zurücksinken undzunehmend unverständlicher wer-den. Kurt Latte beobachtet nun in diesem Prozess fol-gendes Phänomen: « Je weniger die Sinnzusammenhänge... noch im Bewusstsein lebendig sind, desto sorgfälti-

(26) ISIDOR VON SEVILLA, Etymo~ IX, 1, 3, ed. W. M. LnmUY, IBi·dori Hiapalensia Epiacopl Etymologiarum sive originum libri XX, I, Oxford'1962:Tres sunt autem linguae sa.cra.e: Hebmes, Gra.eca., Latina, quae toto orbemaxime excellunt. His enim tribus linguis super crucem Domini a Pilato fuitcausa eius scripta. Weitere Belege beiL. LENTYER, Voll:8&prache und Sakral-sprache. Geschichte einer LebensJrage bis zum Ende des Konzils von Primi, Wien1964 (Wiener Beiträge zur Theologie, V), pp. 35-38.

(27) F. ZAGIBA, Dia bairische Slavenmission und ihre Fortsetzung durch Ky-rill und Method, in Jahrbilcher Jür Geschichte OBleuropas, NF IX (1961), pp. 1-56; F. MAYER, Causa Methodii, in/Dia Welt der Slaven, XV (1970), pp. 335-360; P. RATKOS, Die slawische liturgische Sprache im Liehte der päpstlichen Po-litik in d~ Jahren 869-880, in Studia Historica Slovaca, VII (1974), pp. 185-204. /

(28)ANGENENDT (wie Anm. 22), pp. 137-141.(29) K. LATTE, R6miache Religionsgeschicljte, München 1960 (Handbuch

der AltertumswissaIlschaft, V, 4), p. 198.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 177

ger achtet man auf jede Einzelheit. so. Für das früheMittelalter gilt insofern Ähnliches, als auch hier die theo-logischen Sinnzusammenhänge, wenn auch nicht verlo-rengingen, so doch verdunkelt wurden; denn die Epochekennt keine lebendige Theologie mehr. 41 Zwischen Gregordem Grossen und dem heiligen Anselm [ist] kein Theo-loge erster Grösse aufgetreten. 31. So könnte also dieserRitualismus daraus zu erklären sein, dass es keine leben-dige Theologie mehr gab, welche die Liturgie zu ihremebenso lebendigen Spiegelbild gemacht hätte.

Freilich wird man sich davor hüten müssen, diesenRitualismus, wie es nach modernem Verständnis allzuleicht geschehen könnte, als· 41 geistlos. abzuqualifizie-ren. Nehmen wir ein Beispiel, für das sich Belege biszum hohen Mittelalter finden: die Bedeutsamkeit dervom Priester während des ~Iesskanons zu vollziehendenKreuzzeichen. Noch den betagten Bonifatius hat es inSorge gestürzt, wie oft diese Kreuze zu machen seien;der nach Rom entsandte Lull brachte einen Kanontextheim, in dem der Papst die fraglichen Stellen hatte an-kreuzen lassen 32. Amalar von :Metz gab diesen Kreuzzei-chen bereits eine besondere theologische Bedeutung: dieersten fünf weisen auf die fünf Weltzeitalter hin und dassechste, unmittelbar vor der Wandlung, auf die Wieder-kunft Christi. Bei Rupert von Deutz und Papst Inno-zenz Ill. wird mit den Kreuzen eine ganze l\Iesstheologieverbunden 33. Aus der Lebensbeschreibung des heiligen

(30) Ibid .• p. 14;.(31) ~I. D. K."OWLE~. Früh. ,.,.d HocAmitWaU",. Einsiedeln-Züricb-Köln

1971 in L. J. ROOIER. R • .At:BERT. ~L D. KNO'IöLE8 (Bgg.), GucAä.:At .. derIGrc~. 11. p. 119._ (32) ZacAona. epl8rol1J &7 in M. G. H_. Epl8IoUu Hl«ku. I. p, 200. 1.22:In 8&cricanonia predicatione quot in locis cruces Iacere dcbeantur ••• in rotulodata Pl't'dicto Lul rcligioeo preebiteeo tuo per loa. signa senete crucis, quantafieri debearu, infiximue.

(33) A. FIU....z, Die Meu. im deul«Am Mittelallet'. Freiburg no:!. p_ 733.

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178 ARNOLD ANGENENDT

Bernhard von Clairvaux erfahren wir, dass diese Kanon-kreuze auch als Wunderzeichen galten.Einmal näm-lich, so wird berichtet, habe der Heilige sich bei diesenKreuzzeichen einer besessenen Frau zugewandt: « Dennso oft er die heilige Hostie bekreuzigte, wandte er. sichauch der Frau zu und der tapfere Streiter bekämpfte miteben dem Zeichen des Kreuzes den bösen Geist » 34. Fürdie Volksfrömmigkeit nahmen die Kanonkreuze eine über-ragende Bedeutung ein. «Die Erklärung dieser Kreuzegewann eineum so grössere Bedeutung, als die Belehrung.des Volkes über den Kanon sich fast ausschliesslich daraufbeschränkte ))35.

Die Kanonkreuze sind aber nur ein kleines, wenn aucherhellendes Indiz für das, was mit der Liturgie geschah:Rituelle Einzelheiten konnten eine ganz neue Bedeutungannehmen und mussten deswegen besonders ernst ge-nommen werden. Mit der ursprünglichen Intention sol-cher Riten hat die neue Auffassung oft wenig mehr ge-mein. Die Kanonkreuze sind anfangs wohl nicht mehr alsblosse Hinweis- oder Deutezeichen gewesen 36; jetzt abersind sie Zeichen mit hoher theologischer Bedeutung undWundermacht. .

An solchen Entwicklungen wird übrigens auch sicht-bar, dass die Aufteilung der Liturgiegeschichte in eineschöpferische Phase während der Antike und eine weitere.der Stagnation im frühen Mittelalter schwerlich zutreffendsein kann. Wenn auch im Äusseren oft genug das rituelleGesamtbild unveränderterhalten blieb, der Geist indes,

(34) ERNALDUS;Sancti Ber'1IG1"d~batis Cla.rae· Vallensis "ita, IT, 3, in P.L.185, p. 276 C: Quoties tarnen eamdem saeram hostiam signat, toties ad mU·lierem quoque conversus, aodem signo crucis edito spiritum nequam athletafortis impugnat,

(35) FRANZ (wie Anm. 33), p. 733•.(36) J. A. JUNGMANN, .Misaarum 8011emnia. Eine genetiache Erklärung dd

römi8chen Mes8e, IT, Wien 61962, pp. 179-185.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 179

welcher die Liturgie fortan beseelte, war durchaus neu 37,

so dass man gewissermassen auch von einer neuartigenLiturgie sprechen kann. Aufs sorgfältigste ist jedenfallszu beachten, dass seit dem Frühmittelalter der liturgi-sche Ritus mit zu den instituta patrum gehört, die einzu-halten sind, wenn man nicht in Schisma und Irrtumverfallen will; so hat es noch Abt Bern von Reichenau(t 1048) in einem Streit um die Dauer der Adventszeitverkündet 38.

2. IJ eiliqenfeste und Votivmessen

Die Sakramentare, die in der Ordnung des Jahreskrei-ses aufgebaut sind und den liturgischen Anforderungeneines ganzen Jahres gerecht werden wollen, zeigen einstärkeres Wachstum im Sanktorale. also in der Zahl derlIeiligenmessen, und vor allem auch bei den Votivmes-sen.

Hierin offenbaren sich typische Züge der Zeit. Wie Jo-sef Andreas Jungmann SI hat nachweisen können, hatsich das Christusbild seit den arianischen Streitigkeiten

1 (37) A. A. ffiUBSLING •. Mc}ncMJ:onwm und Euc1IariMiefeür. Miinster{W.973 (Liturgiewiaaenaehaftliche Quellen und Porsebungen, LVllI). p. 348.

(38) BERN YON REICHlI:N~U. Ep. 13. ed, F. J. SCHKALB. Di« Briefe du Äb.te. Bern OOR R~. Stuttgart 1961 (VeroffenUichung der Kommission rür~eechiChtIiche Landeskunde in Baden.Württemberg. Reihe A. Bd. VI). p. 46:uapropt.er ex aanctae aedia tuae auotaritate .ententia. prodea.t. quae sancta·

rtun patnun inatituta aervare deoerna.t. ne aancte matria eeelesiee filü in BOis-~ divisi minua unanimes poeain~ habitare in domo Dei. Kam ex duleifluo .&.ell Pectoris tui rOnte purum huius aententiae potum iandem haurire oupimua,ne per varioa errorum rivuJos diutiua a vero DO. aberremus.'19 (39) ~. A. JUNG~N. ~ SWlung CJwVß im lilu~ Gebet, Miinster{W.dift62 (L.tUrgiewisaenachaftliche Quellen nod Forschungen, XIX/XX); dazu. erenzierend I. PAHL, D;' CArialolog;' .ur r6m~ Meugehu. 1ft;' I:orri-

~~ SChlU88formel, München 1966, (lIünchener Theologische Studien. II.n ~. ~n); Dicht allein im Zeit.alter des Antiarianismus. sondern auohl:QOC VIel .päter im Mittelalter Bind deifizierende Umdeotungen vorgenom-en worden.

180 ARNOLD ANGENENDT

immer stärker deifiziert. Es sei nur an den .Zusatz deusam Schluss der Orationen erinnert: per Christum dominumnostrum, qui vivit et regnat deus per omnia saecula saeculo-rum. Als Folge ergab sich, dass die Mittlerschaft Christi,die in dessen Gottmenschlichkeit, in dem deus-homo, be-gründet war, verdunkelt wurde. Zu dem entrückten DeusChristus übernahmen die Heiligen die Mittletfunktion.Ihnen fühlte man sich besonders nahe und ihnen wandteman sich darum zu. Dass bei den Kirchenpatroziniender Salvator-Titel verschwand und statt dessen Heiligehervortraten, ist kennzeichnend für diesen Prozess '0. Dieeinzelne Kirche stand unter dem speziellen Patronat einesHeiligen, dessen, Präsenz man durch die Reliquien im

, Altargrab garantiert sah 41. Die Herbeischaffung von Re-. liquien ist darum eine der wichtigsten Aufgaben beider Verkirchlichung des Landes und bei der Missionie-'rung gewesen '2. Der Kirchenpatron galt als der Anwaltder Gemeinde; im Himmel wirkte er als ihr Hüter undFürsprecher; ja selbst für das Kirchengebäude und daskirchliche Eigentum fungierte er als Schirmherr a. Das

(40) G. ZnnIEBJUNN. Pa'rcninienlDOlal und FrMrimigluiu1Dantkl im Mitul·alter. Teil 1. in Wünbtwger Di6z.uangucAkJaUbliJlter. XX (1958), pp. 24·126,p. 43; • An den alten ehrwürdigen Balvatorbaeiliken wird der Titel durchhinzutretende Kirchenpatrone schritt.weise verdrängh; A. OSTENDOBJ', DMSaltXJlQr.Patrcninium. in Wulfäli«M Zeit«Arif', C (1950), pp. 357.376. 'Belbtl~an der römischen Biscbofskirehe des Lateran mWlBte das Balvator·Patroziniwnweiohen; P. JOUNEL. Le culte du.um. dan.lu ba#il~uu du Latran eI duYati·can all douzüme IÜck, Paria 197'l·(CoUect.ion do l'f:colo CranC;aise de Rome,XXVI); pp. 376·381. .

(41) Siehe unten p. 221 88.

(42) E. ZnrIlKBKAN1f (wio Anm.40), p. 84 _; K. HONSELlUNN, Rdiquiefl''ran.lationm nach Saeh8eA, in V. H: ELDERit' (Hg.), Da..m JahrlaU8end. Kul·'ur und Ku ... ' im werdenden Abendland an RMin und Ruhr, I, Dii88eldorf' 1962,pp. 169.193; F. PJuNz, StadtriJmÖIIcA-iIali«JwJ Märlyrerrdiquien und fränlMcherRMcluackl im Macu.Ma.draum, in HÜI. JalwbucA, LXXXVII (1967), p. 1·26.

(43) M. HEINZELIIAN1f, Tra,..lat~ und ander. Qudkn du Beli·fuimkultu. Turnhout 11179(Typologie des .oure.,. du ltIoyen Age oooiden•tal. XXXnI). p. 31111.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATIO~ 181

Kirchweihfest und der Festtag des Kirchenpatrons wa-ren darum wichtige Daten 4-1.

Darüberhinaus erwies es sich für das gottesdienstlicheLeben als bedeutsam, dass auch im liturgischen Jahres-ablauf die Häufigkeit der Heiligen-Messen stark zunahm.Solange die Gedächtnis-Eucharistie eines Heiligen alleinbei dessen jährlichem Gedenken und an dessen Grab voll-zogen wurde, widerfuhr demselben nur die Ehre diesereinen Messfeler. « Die Heiligenverehrung war als ein To-tengedächtnis ursprünglich lokal gebunden an das Grab ...Bis in das 8. Jahrhundert ,bleibt in Rom die liturgischeVerehrung des Heiligen an die Gedächtnisstätte gebun-den ~45. In dem Masse wie aber Berührungsreliquien oderauch Reliquienpartikel verbreitet wurden und sogar eineVielzahl, von Reliquien verschiedener Heiliger in den Al-tären einer einzigen Kirche und selbst in einem einzigenAltar deponiert wurde; war Anlass geschaffen, der Heili-gen auch an ihren vervielfachten Reliquiengräbern zugedenken. Schon damit steigerte sich die Zahl der HeiIi-genmessen in ganz erheblichem Masse. Endlich aber be-gann sich das Heiligengedächtnis ganz vom Grab undden Reliquien zu lösen. Zumal seit der Ausbreitung derrömischen Liturgie befolgte man auch ausserhalb Romsden römischen Festkalender. so dass nun primär der Tag,den der Heilige im Kalender hatte, Anlass wurde, seinerregelmässig zu gedenken. Wiederum vervielfachten sichdie Messfeiem zu Ehren der Heiligen. Aus der grossen,Zahl der nun überall und regelmässig gefeierten Heiligentrat dann aber noch einmal eine besondere Schar hervor,nämlich solche, die sich als gute Fürsprecher in besonde-

d' (44) P. SATOBI, Kirchwe,:A, in H. Bäehthold-Stäubli, HandwörUrbuch du"'""cAm Aberglaubem, IV, Berlin und Leipzig 1931/32, pp. 1421·1425.(45) lUu88LlNO (wie Anm. 3i), p. 193.

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ren Anliegen hervorgetan hatten n. So kam es zu einer«Verbindung von Anliegenmessen und Heiligengedächt-nis »'7.

Endlich erfuhr die Liturgie noch eine bedeutsameAusweitung bei den zahlreichen Votivmessen foil, die zurErlangung von Segen und Heil in den alltäglichen Nö-ten und Gebrechen gefeiert wurden. Bot früher die Mess-feier im Nebeneffekt auch die Möglichkeit der Fürbittefür dieses oder jenes Anliegen, so wurde sie jetzt das vor-nehmlichste Mittel zur Erreichung aller nur denkbarenWünsche und Bitten. Schon in jener Handschrift, die~ das gelasianische Sakramentar überliefert und dieum die Mitte des 8. Jahrhunderts im Gebiet des heutigenNordost-Frankreich angefertigt worden ist, gibt' es Mess-formulare zum Beispiel für Reisende, zur Erlangung vonLiebe und Eintracht, gegen Beunruhigung und Tumult,gegen Sterblichkeit, gegen Viehseuchen, gegen Unfrucht-barkeit, für Regen, für Sonnenwetter , bei Sturm und Ge-

(46) ZunmBIülOf (wie Anm. .0), Teil 2. i9 W~. Di6luGftf_ichU'blätW, XXI (1959), p. lOh.

(47) Hlu88LINO (wie Anm. 37), p. Ut; ZI1I' D10atrierung eine Wond~aus SOCt'Gmenwnu", R~ 1111 od. A. lU1cool.A. ScuöNJU'BB, Fret·burg/Schweiz 1970 (Spicilegium Friburg_ Texte sur GtlllChichte d~ kirCh'lichen Lebens. XV), p. 2117: 1Ii8orore domina famulo ~o Illi, qui in honore

aancti tui illius uotorum munera offen, u, per .wfragia oration~ pncto-rum tuorum to protectorem ~WD llemper &gnoecaa. ••• ; R. B.aou, DU W"'". dung' o.J!we 1"'0' ill dw rclm~ Lilvrgi.. lIiinaterfW. 19115 (Liturgie .. ~·IIOhaftliohe Quellen und FOl'IIChungen. XLI).

('8) Der Ausdruck .Vot.ivm_. erklln aich aoa der liturgischen Sp~ehe, So heiMt. ~ beiapienoiee_UD ~'"'' RMrvI~ 130S ('"~Anm .• 7), p, 285: Deus, cntl"_pt.a .unt. uot.aque munera frat.reI kan.iJDloxoramus: ut. uotum IIerUi tu.i illius dignant.er &clCipi..... ; A. STt11II~·D;' Diptychon.Jyrfitd/ür d;' _i_'offermtiuIII illl rc5m~ y...tollO". aßEphemeridu·LiI~. xvm (1954), pp. 127.147, p. 134; VoID redd". be-deut.et ursprünglich, im paganen eboneogu' wie im bibli8chen SprachgebraUCh,• Gelübde einlösen " Da jedoch die Einlösung eine. GoIübd~ f.. , immer d~ein Opfer erfolgt. oder .. onigat.ena mit einem Opfer verbunden ia', wird 101'dem Ausdruck I'OfG reddtwe moh' mehr die Erfiillung eine. vorhergegange-nen Gelübd~ beton'. eondoru vorwiegend die mi' der ErfüllUlll .. erbundeneKulthandlung bezeichnet..

DIE LITURGIE UND DIE ORGAlo'"ISATION 183

witter, am Geburtstag, bei Unfruchtbarkeit einer Frau,bei Ablegung des Keuschheitsgelübdes einer Witwe, fürden Frieden, in Kriegszeiten, für die Könige, gegenschlech-te Richter, gegen Aufsässige, für die Bekehrung derUngläubigen, für die Genesung der Kranken und so fort 49.

Für schlechthin alles ist die Messe gut. Das Altgelasia-num zählt bereits 60 solcher Votivformularien und dasSacramentarium Fuldense des 10. Jahrhunderts sogar1696°. :Mit Recht stellt darum Josef Andreas Jungmannfest: Gegen Ende des 5. Jahrhunderts tritt. in der Ideedes eucharistischen Opfers das ~Ioment von Fürbitte undSegensempfang in den Vordergrund ... Unter allen For-Inen der Segensspende ~rkennt man als die wichtigsteund gewichtigste diejenige, die mit der Feier der Eucha-ristie geschieht ,51. '

Zur Vermehrung der Messfeiern hat weiter nochbeigetragen, dass ihre Zelebration sowohl Bussauflagenabzukürzen verhalf, wie auch die Läuterungspein im~enseits zu lindern versprach. Die wohl tiefste ZäsurIn der Geschichte der abendländischen Busspraxis bildetder Übergang von der in der alten Kirche nur einmalgeWährten Busse zur oftmaligen Bussmöglichkeit im Mit-telalter; diese Änderung ist bekanntlich von der iri-schen Kirche ausgegangen und durch Columban <t 615)~Uf dem Kontinent heimisch geworden. An dem neuen. erfahren springt sofort ins Auge, wie genau bei derJetzt, im Gegensatz zur Antike wiederholbaren Busse die\?olIe A f .. . ied 'V h 1 gt wirdI) . u wagung ernes 1 en erge ens ver an .abel ist dann auch die ~Iessfeier als Sühnemittel einge-

(49) Sn- . R E--.·~-~·ear" D ~.o~"'" Ga-ionu"" eel. L. C. MOHLBEBO. _'" ~,.ni8)'~i hoeu~nlO, &er. maior, fontes IV. Rom 1960, p. XV 88. (Inhaltaverzeich.

(50 e e Cerner FRANZ. Ale ... (wie Anm. 33), pp. 178·217.LJeti/· A. JUXGX.uI'X. Von der • Eucharistiet Kur. Messet. in ZKTA.(51) i.(987), pp. 29.40. p. 38 __

Id., p. 39.

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setzt worden. Weil nämlich das Messopfer Entsühnungbewirkte, minderte es auch das auferlegte Busspensum.'Während aber in der alten Kirche der Büsser wie auchder Verstorbenen nur fürbittweise gedacht wurde 52, gingdas Mittelalter zu der Praxis über, jedes einzelne Messop-fer als ein Sühnemittel von exakt bemessener \Virkungaufzufassen. Dies galt für den Bussprozess auf Erden wieim jenseits. Gregor der Grosse wusste bereits von Erleich-terungen, welche die im Purgatorium büssenden Seelendurch ihnen zugewendete l\Iessfeiern erfuhren; acht oderdreissig an aufeinander folgenden Tagen gefeierte Mes-sen vermochten bereits eine Befreiung aus dem Läute-rungsfeuer zu erreichen 53. Besonders in den mittelalterli-,ehen Jenseitsvisionen wurde anschaulich gemacht, wiejedes Opfer seine Wirkung tat: Visionäre sahen die See-len des Fegefeuers Zoll um Zoll aus den Flammenqua-len emporrücken ". Für die irdischen Büsser aber botendie Bussbücher regelrechte Umrechnungstabellen, die fest-legten, wieviele Fasttage durch eine Messfeier aufge-wogen werden konnten: Eine Messe für 7 Tage, 10 fürvier Monate, 20 für sieben Monate und 30 für ein Jahr.Die Messfeiern aber mussten durch Almosen erkauft wer-den, und dabei galten wiederum feste Verrechnungsmodi:für eine Messe 30 Denare, für zwei Messen ein Solidus,für zwölf 1Pfund und für einhundertzwanzig 100 Solidi 55.

(52) BERGER (wie Anm. 47), pp; 80·200; J.-NTEDIKA, L'evocalion de l'au·dela dans la pt'iere pour Zu moria. Etude de palri.ttique et de liturgie latinu (I V'·VIII' 8.), Louvain-Peris 1971 (Recherchee Africaines de \hc\ologie, 11), pp.84.135.

(53) GREGORDER GROSSE, DitUogi, IV, 57 (14) ad. A. DE VooctjP. AN'TIN, Paris 1980 (Sources Chretiennee, CCLXY), p. 192; siehe auch den Korn-mentar von A. DE VOGct, Grigoirs le {hand: Dialoguu, I, Paris 19,8 (Source.Chrtltiennes, CCLI), p. 7588.; FRANZ (wie Anm. 33), pp. 218·26r.

(54) FRANZ (wie Anm. 33), p. 234.243.(55) C. VOGEL, Compoaition Ugale et eommulalions daru le IIYsteme de III

penitence tarifes (814ita), in R_ de Droit Canonique, IX (1959), pp. 1·38, p.3088.

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Die kultische Vergegenwärtigung des .Opfers, mit demChristus selbst sich zum Lösepreis gemacht hatte, isthier zur kleinen Münze geworden, die Scherflein umScherflein zusammengetragen wird, weil sie erst in derAufhäufung vor Gott ihre Wirkung tut. Das Verlangennach. dieser untrüglich wirksamen Sühne stieg indes insgeradezu Unermessliche. Gelegentlich geben BussbücherAnweisungen, dass ein Priester an einem Tag nicht mehrals sieben, an Feiertagen aber durchaus zwanzig Messenfeiern dürfe 66. Als priesterlicher Sühneakt - genau in die-ser Zeit erfolgt die Umdeutung von der darbringendenGemeinde zur Darbringung allein durch die Priester -war den Priestern eine verlockende Möglichkeit eröffnet,ihre Unentbehrlichkeit auszunutzen, gerade auch finan-ziell; immerwieder müssen Synodalkanones vor priester-licher Habgier warnen 57.

3. Exorziemus und Konsekration

Während des Frühmittelalters lassen sich aber auch·tiefreichende Umwandlungen im Verständnis dessen fest-stellen, was Liturgie bewirken sollte. Nehmen wir wie-derum den Taufritus. Dieser hat in seiner, frühen Ausge-staltung keinen Exorzismus gekannt; ein solcher hatdort erst im 3. Jahrhundert seinen Platz gefunden 58.

her exorzistische Anteil hat sich dann aber stetig ver-grössert. Ursprünglich wurden während der Taufvorbe-reitung drei Skrutinien abgehalten; diese dienten dazu,die Taufkandidaten ID ihrem sittlichen Lebenswandel

(56) Ibid., p. 32 88.

(57) Ibid., p. 33.

7 (liS) Ir. TIlBAEDJ:, Ezorz ........ (chrinlich) in B.A.C., VII, pp .• 4.117, pp.4-100.

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zu überprüfen, was der Bischof mit einem Exorzismusabschloss. Im Frühmittelalter aber sind diese Akte zuformalisierten Riten rein exorzistischen Charakters ge-worden. Jedes Skrutinium besteht aus einer langen Kettevon Exorzismus-Sprüchen, in deren Abfolge der Pate dieStirn des Taufkandidaten fünfmal, ein Akolyt dreimalund am Schluss der Priester einmal mit dem Kreuz sig-niert. So sind die Skrutinien innerlich völlig umgewan-delt worden, und obendrein ist ihre Zahl auch noch vonursprünglich drei auf sieben erhöht worden 59. Diese sie-ben Skrutinien aber bildeten nunmehr das Rückgrat derganzen Taufvorbereitung, und darin ist « der Kampfgegen den Satan ... das zentrale Thema.» 60.

Fragt man nach dem zugrundeliegenden Verständ-nis, so ist auf den Geister- und Dämonenglauben desfrühen Mittelalters zu verweisen 61. Dieser bietet ein ver-hältnismässig einfaches Schema. der Weltdeutung undWeltbewältigung: Alles, Menschen wie Dinge, sind ent-weder beherrscht von guten oder von bösen Geistern. Daeinzelnen Bibelworten zufolge der Satan sogar als Fürstdieser Welt agiert (Joh 12, 31; 14, 30; 16, ll), galtes zuallererst, dessen böse Geister auszutreiben, umdann die guten Geister herbeizurufen. Die Auffassungeiner eliminierenden Reinigung und einer positiven Ein-

(59) Sacramentorium Gelaaianum, ~VIIn-XXXm, (wie Anm. 49), pp.'42-46; Ordo Romanus XI, c. 1-71, in M. A.'I"DBIEU, Lu ordiriu Romani du Haut,Moyen Aue, n,Naohdr, Löwen 1960 (Spicilegium Sa.crum Lovaniense, XXIII)pp. 417-441; siehe dazu A. STENZEL, Die Tau/e. Eine genetische Erklärung derTau/liturgie, Innsbruck 1958 (Forschungen zur Geschichte der Theologie unddes innerkirchlichen Lebens, VII/Villl, pp. 220-240; A_ CHAVASSE, La disci-pline romaine des sept. ecrutin« prebaptiamaux, in Recherches de science religieus6,XLVIII (1960), pp. 227-240. .

(60) KRETSCHMAR (wie Anm. 12), p. 253; H. KmSTEN, Die Tau/absage,Berlin 1960, pp. 38-74.

(61) W. VON DEN STEINEN, Der Kosmos des Mittelalters. Von Karl demGrossen zu Bernhard von Olairoau», Bern-München, 21967, pp. 103-10i.

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stiftung guter Geister, sowohlbei Menschenwie bei Din-gen,hat imFrühmittelalter gerade auchdas Taufverständ-nis umzuwandeln begonnen. Der altchristliche Tauf-ritus, der ursprünglich überhaupt keinen Exorzismusgekannt hatte, erfuhr seit dessen Einfügung zu Beginndes 3. Jahrhunderts in wachsendemMasseeine exorzisti-sehe Überformung. so dass sich die ganze Taufvorbe-'.reitung als ein nahezu geschlossener Ritus der Gei-sterbekämpfung darstellte SS.' Selbst in ihrer zentra-len Wirkung konnte die Taufe "als Herrschaftswechselbeschrieben werden: Der Mensch gleicht einem Haus,in dem die bösen Geister herrschen, die aber herausge-trieben werden müssen, damit der Geist Christi seinenEinzug halten kann, wie es zum Beispiel noch Hono-rius Augustodunensis-sagen kann 63. Während die an-tike Tauftheologie eine wahre Fülle von theologischenBildern und Gedanken zur 'Deutung der Taufe aufzu-bieten wusste 64, kennt Alkuin in seinem bekannten

(62) A. ANGENENDT, Der Taufexorzinntul und Beim K,.itil:: in tkr TMologiedes 12. und 13. Jah,.huntkrta, in A. ZIMKEBXANN {Hg.);Die MächU des Gutenund Bösen. Vo,.stellungen im XII. und XIII. Jahrhundm 6ber ihr Wirken inder Heil8geschicJl.U, Berlin-New York 1977 (Miscellanea Mediaevalia, XI),.Pp. 388·409, p, 392-401. ,

(63) HONOBIUS AUGUSTODUNENSIS, Elucidarium, n, 93, ed. Y. LEFEVBE,

L'Elucidarium et lea Lucidaires. Contribution, par Z'hiak>i,.e d'un tute, a Z'hiak>i,." .des croyancu ,.eligi8tules en France au Moyen Age, Paris 1954 (Bibliotheque desEcoles fran~aises d'Athenes et de Rome, CLXXX), p. 439: Corpus hominis inbaptismate ut templum Spiritui Sancto oleo et chrismate dedieetur, ut diei-tur: • Templum Dei sanctum est, quod estis vos (I Cor., m, 17) '. Igitur hoctemplum semper aut Spiritus Sanctus aut immundus spiritus inhabitat.

(64) KBETSCHlUB (wie Anm. 12), pp. 14.48, behandelt u.a, folgende Punk.tel Geistempfang, Taufe auf den NlUllen Jesu, Taufe als Salbung und Prie-Sterweihe, als heilige Hochzeit; als Siegel, als Gelöbnis, alS Bad. Siehe auch E.DAIISMANN, Sündent>ergebung durch Tauf4, Btul811und MartyrerfiirbitU in denZeugniasenfrilAchriatlicher F,.ömmigkeit und Kunst, Münster/W. 1973 (Münsteri.~he Beiträge 'zur Theologie, XXXVI), p. 81 ss. Es fehlt bezeichnenderweiseein eigener Abschnitt über die Taufe als einer Teufeisaustreibung. Siehe dazuO. BOEOHER, Chriatua Ezoreiata, Stuttgart u.a. 1972 (Beiträge zur WissenschaftVOmAlten"und Neuen Testament, XCVIJ, pp. 175-180.

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Taufbrief an den Presbyter Odwin eigentlich nur nochdas Schema des Besitzerwechsels im Haus des Menschen:Zuerst Austreibung des Teufels und dann Einzug JesuChristi. Die zahlreichen anderen Aspekte, wie sie imaltkirchlichen Taufritus zum Ausdruck gekommen wa-ren, sind, bei ihm entfallen oder werden auf dieses eineSchema, hin umgedeutet. Der Heide - so beginnt seineErklärung - werde zuerst Katechumene und trete dannzur Taufe, « um den bösen Geist und seinemverderbli-ehen Pomp abzusagen »; er werde angehaucht, « damitnach der Vertreibung des Teufels unserem Gott Christusder Eintritt bereitet wird s: er werde exorzisiert, « da-mit der böse Geist ausfahre und entweiche und Raumgebe für Jesus Christus s; er empfange Salz, « damit diefauligen und abgestandenen Sünden mit der göttlichenGabe des Salzes der Weisheit gereinigt werden »; dieÜbergabe des 'Gla.ubensbekenntnisses geschehe,« damitdas leere, vom früheren Bewohner verlassene Haus mitdem Glauben ausgestattet und so zur Wohnung Gottesbereitet wird »; dann würden die Skrutinien abgehalten,« um inehrmals zu erkunden, ob nach der Absagung anden Teufel'die Worte des ausgehändigten Glaubens [-be-

I •

kenntnisses] im Herzen Wurzel gefasst haben »; die Brustwerde gesalbt, « um dem Teufel mit dem Zeichen des hei-ligen Kreuzes den Zutritt zu verschliessen ,. 6.\ Und selbstnach der Taufe bleibt der Mensch weiterhin in bedrohli-cher Weise gefährdet. Allzu "leicht kann er wieder unterdie Beherrschung des Teufels und seiner Dämonen zurück-fallen. Darum wird es a}s eine wesentliche Aufgabeder Priester angesehen, die Dämonen abzuwehren. Stän-dig sollen sie deswegen das Buch der Exorzismen bei

(6ti) Ep. 134, in M.O,Tl., Epi8tulae Kcwolin, am, IV, I, p. 202, n ,I' l1li.

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sich haben", und oft sind lange Prozeduren und Kurenerforderlich, um den Bösen aus einem Menschen wiederhinauszuwerfen 67.

Der exorzistische Kampf wird aber nicht nur im Men-schen ausgetragen. Auch die Dinge sind von den Dämo-nen besetzt und müssen, um bei der Berührung mit ihneneine dämonische Infektion zu vermeiden, vor dem Ge-brauch gereinigt werden. So wiederum im Taufritus: DasTaufwasser muss zuerst von allen Geistern gereinigtwerden, bevor es die cirtue Christi aufnimmt, die dannim Wasser den Täuflingen .weitergegeben wird 18.

Ebenso aber muss auch das Salz, das am Allfang desTaufritus verwendet wird, zuvor exorzisiert werden; des-gleichen das Öl It. Erst nach ihrer Reinigung können dieGegenstände gesegnet werden; das aber heisst: mit posi-tiver Kraft aufgefüllt werden 70.

Das Bemühen, den dämonischen Einfluss zu beseiti-gen und gute Kräfte herbeizurufen, ist ein Grundanlie-gen der frühmittelalterlichen Religiosität. Zahlreiche indieser Zeit neu- beziehungsweise unigeschaffene Riten su-chen diesem Bedürfnis nachzukommen: So die vielenSpeisesegnungen, ferner die wichtige Haussegnung, aberauch die zahllosen Segenstexte für Werkstätten, Brunnen,Gärten, Bäume, 'Verkzeuge, kurz für alles, was der Mensch

(66) Q_ 0 pt'ubylen. d~ .int, c. 6, in M.OR., CGpilultJrio regumJroncorum, I, p. 235, 1.17,

(67) Pontifj<XJleRomGM·G_icvm CXV·CXXIII, ed, C. VooEr.jR. ELZB,Le Pon'i/itXJl RomoftO.Gerrnoniq ... du diziime mck, II, CitIA del Vatic8no 1963(Studi e Testi, CCXXVII), pp. 193·22••

(68) E. STOJUllI:L,Stud,- zur Epil:lue d. r6mi«lwm TouJ_t:nDeiAe,Bonn 1950 (Theophanie, V); H. SCHElDT, Di« T_flDGUt:r1DeiMgWeu im Sinn.tlergkicMncler Liturgiefor«hung unlerftldal, MiinaterfW. 1935 (Liturgiewissen.achaftliobe Quellen und Forsebungen, XXIX).

(69) E. BAIlTBCH, Die SocMuauclJrungtm der rlSmilclwm Lilu'llw., MünsterlW. 1967 (Liturgiewiasenach8ftliche Quellen und Forschungen, XLVI), pp.290·31 ••

(70) Ibid., pp. 155·167.

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zu seinem täglichen Leben nötig hat 71. In den litur-gischen Büchern finden wir seitenweise die entsprechen-den Formulare 72. Darunter befindet sich sogar ein For-mular zur Segnung der GrabsteIle, dass heiliger Geist dar-in herniedersteige und der Tote dort seinen « ruhigenSchlaf» finde 73. Wie sehr eine solche Bitte um Ruhe imGrab angebracht war, zeigt sich etwa in Gregors desGrossen zweitem Buch der Dialoge, wo mehrmals vonToten berichtet wird, die in ihrem Grab keine Ruhefinden konnten 74.

Dass die massiven Teufels- und Dämonenvorstellun-gen;' wie wir sie in der Spätantike und im Frühmittelal-ter antreffen, angesichts der genuin christlichen Tradi-tion nicht einfach eine Selbstverständlichkeit oder eine le-gitime Fortentwicklung darstellen, kann man sich daranvergegenwärtigen, dass im Alten Testament gerade drei-mal vom Satan gesprochen wird 75, dass im Neuen Testa-ment zwar Jesus als Exorzist 'auftritt 78, dabei jedochdas Reich Satans entmachtet 77. Auch für Paulus ist mitder Taufe auf den Tod Christi die Satansherrschaft überden einzelnen und die 'Velt gebrochen 78.

(71) A. FRANZ,Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter, I-lI, FreiburglBr, 1909.

(72) BARTscH (wie Anm. 69), pp. 354-417.(73) G.Htl'RLIMANN, Das Rheinauer Rituale, FreiburgJSchweiz 1959 (Spici-

legium Friburgense. Texte zur Geschichte des kirchlichen Lebens, V), p. 157,1.28: benedicere dignare hune tumulum famuli tui •.• , respice, quesumus, suoper hane fabricam sepulture, descendat hue, domine, spiritus sanctus, ut teiubente sit ei in hoc loco quieta dormitio , ••

(74) GREGORDER GROSSE, Dialogi, rr, 23 (,I), 24 (I), ed. A. DE VOG1tt1P. ANTIN (wie Anm. 53), p. 206, 1.26. p. 210, 1. 1.

(75) H. HAAG, ,1'eufelsglaube, Tübingen 1974, pp. 197-217: ibid., p. 166,• Die israelitisohe Religion ist ausgesprochen dämonenfeindlich t.,

(76) BOECHER (wie Anm. 64), pp. 166-175; TlmAEDE (wie Anm. 5S),pp. 58-63.

(77) J. .JEREMIAS, Neutestamentliche Theologie. ErBter Ttil. Die Verkündi.gung Jesu; Gütersloh 1971, pp. 89-99.

(78) R. SCHNACKENBURG,Das Heil8gescJW.en bei der Taufe nach dem Apo'Btel Paulus, München 1950 pIünchener Theologische Studien Ill), pp. 99-207.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 191

Das exorzistische Bestreben, bestimmte Örtlichkeitenund Gegenstände zu reinigen, hat nicht nur allgemeindas religiöse Leben beeinflusst, es hat auch für dieKirchenorganisation tiefprägende Konsequenzen nachsich gezogen. Im Laufe der Spätantike und des Früh-mittelalters hat sich nämlich ein eigener Altar> undKirchweihritus entwickelt 79. Lange Zeit bewirkte einfachdie erste Messfeier die Konsekration der Kirche. Dannaber erhielt der AltaI; - zuerst im gallikanischen Liturgie-bereich - eine besondere Reinigung mit geweihtem Wasserund eine Salbung mit Chrisam. Zudem wurden im Altar-sofern er nicht über einem Heiligengrab stand - Reliquiendeponiert. In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhundertsweitete sich dieser Weiheritus des Altares zu einerWeihe des ganzen Kirchenraumes aus. 'Yiederum ging esdarum, das Kirchengebäude von allem teuflischen Ein-fluss zu reinigen und Gottes Geist herbeizurufen. Im Kirch-weihritus des Drogo-Sakramentars, das vor 839 entstan-den ist, muss ein Diakon sogar im Spiel darstellen, wieder böse Geist beim Einzug des konsekrierenden Bischofsentflieht: quasi fugiens stürzt er zur Kirche hinaus 80.

Die besonderen Konsequenzen für die Kirchenorgani-sation ergaben sich daraus, dass der Kirchweihritus hei-lige Orte entstehen liess. Hier allein durfte die Liturgiegefeiert werden. Vielfach aber zog dieser heilige Ort dannauch noch andere Funktionen an sich; hier bildete sich

(79) S. BENZ, Zur G6IIchicAu der rämuchen Kirchwdhe nach den Texten des8.-7. Jahrhunderts, in H. ElIONDS (Hg.), Enlwinia. Gesammdte Arbeiten zum~_Ojährigen Weihegedächtnu der Abteikirche },[aria Laach am SU. AugU8t 1956,dUsseldOrf 1956, pp. 62.109; DEBS., Unterauchungen zur poliluchen BedeutungJe"': Kirchweihe unter Teilnahme der deutschen Herrscher im hohen Mittelalter.Z.In Beitrag zum Studium du VerhiiUnu868 Z1Diachen welilkher Macht und kirch-~cher Wirklichkeit unter Quo Ill. und Heinrich 11., Kallrnünz 1975 (Regens-Ilrger Historische Forschungen, IV), pp. 8.20.(80) BENZ, (wie Anm. 79), p. 66, p. 103.

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der Friedhof und bald auch eine Asylstätte 81; in vielenFällen wurde der Kirchplatz überhaupt zum Mittelpunktder Ortschaft.

4. Die besondere Reinheit der Altardiener

Endlich ist noch festzustellen, dass sich die Auffas-sung vom Liturgen und von den an ihn zu stellendenAnforderungen gewandelt hab-en. Genau in dem für un-sere Fragestellung anvisierten Zeitraum ist zunehmendstärker darauf. gedrängt worden, dass der Priester undüberhaupt jeder Altardiener wie ein Asket, und das hiessunter anderem auch geschlechtlich enthaltsam, lebensollte. Hinter dem Bestreben, die Kleriker zu Asketenzu machen und zu einem enthaltsr men Leben anzuhal-ten, standen zwei Motivkreise. die geistliche Brautschaftund die geistliche Zeugung.

Paulus hatte im 1. Korintherbrief davon gesprochen,dass die Christen mit ihren Leibern Glieder Christi sei-en und sich deswegen nicht zu Gliedern der Dirne ma-chen dürften. «Oder wisst ihr nicht: wer mit der Dirnezusammen lebt, wird ein .Fleisch- mit ihr ... ; .wer abermit dem Herrn [Christus] zusammen lebt, wird ein Geistmit ihm » (1 Cor 6, 17). Christus und die Dirne sind hier,.wie Hans von Campenhausen es ausgedrückt hat, « gleich-sam Konkurrenten auf ein und demselben Gebiet ge-worden » 82. Diese Konkurrenz ist später zur Ausschliess-lichkeit gesteigert worden. Gerade diejenigen, die Chri-stus in seinem Heilshandeln vertraten und seine Sakra-

(81) P. LANDAU,Asylrecht, in T.R.E., IV, pp. 319-327; Concilium Arau-'8icanum a.HI, c. 5, in C.C.L., CXLVIII, p. 79,1.19: Eos qui ad eeclesiam con-fugerint·Otradi non oportere, sed loci reuerentia et intercessione defendi:

(82) H. VON CAMPENHAUSEY,Die .A8ku~ im Urchristentum, Tübingen 1949(Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebietder Theologie und Religionsgeschichte, CXCII), p. 32.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 193

mente austeilten, sollten im Geist der Christus angetrau-ten Braut angehören, nicht aber länger « im Fleisch»verkehren. Für die Prieser und dann generell für die Altar-diener wurde daraus die Forderung abgeleitet, vom Tagder Ordination an nicht mehr im Fleisch einer Ehe, son-dern im Geist des Herrn zu leben und sozusagen in Mo-nogamie mit der Sponsa Christi, der Kirche, zu verblei-ben. Wer daher - zum Altardiener promoviert werdenwollte, brauchte sich' zwar zunächst noch nicht direktvon seiner Frau zu lösen, musste jedoch den Ehevollzugvom Tag der Ordination an abbrechen 83. Um aufkom-menden Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, wurdealsbald' ein Enthaltsamkeitsgelübde gefordert. GallischeSynoden propagieren ein solches Propositum seit dem 5.Jahrhundert, zum ersten Mal die Synode von Orangeim Jahre 441: « Zu Diakonen können nur geweiht werden,die vorher mit einem Gelübde der Askese die geschlecht-liche Enthaltsamkeit gelobt haben» 84.

Zur Begründung der Forderung nach geschlechtlicherEnthaltsamkeit wurde weiter die Vorstellung von dergeistlichen Zeugung und Vaterschaft angeführt. Wieder-um PauIus hatte davon gesprochen, seine Gemeinde imGlauben gezeugt zu haben (Gal 4,19). Demzufolge er-,schien der Amtsträger als der Zeugende und die MutterKirche als die Gebärende ss. Doch ist im Umgang mit die-Sen Metaphern eine breite und recht dehnbare Inter-pretation zu beobachten. Verbunden mit dem Gedankender Christusgeburt im menschlichen Herzen konnte Gre-

" (83) R. GRYSON, Lu originu du dlibat eccu..;tUtique du prmaw au 8eptiema-liede, Gembloux 1968 (Recherehes et Syntheses. Section d'Histoire, II), p.61·197.(84) COnciliu;" Araullica~um a. Ill, c. 21 in C.C.L. CXLVIII; p. 84. 1.91.

P (85 K. DELAHAYE. Ermuerung der SulIr0f'g8forrM'fl GU8 der Sidit tIff frühenat ' 'k~l rteti , Freiburg/Br. 1958 (Untersuchungen zur Theologie der Seelsorge,ni.

13

194 ARNOLD ANGENENDT

gor der Grosse daraus zum Beispiel folgern: « Wer ChristiBruder und Schwester im Glauben ist, wird dessen Mut-ter im Verkündigen, denn er gebiert gleichsamden Herrn,den: er dem Herzen des Hörers eingibt. Dessen Mutterwird er, wenn durch seine Stimme die Liebe Gottes imGeist des Nächsten erzeugt wird .86. Wird aber der Amts-träger zur « Mutter », ist der Gedanke nicht. mehr fern,dass er,Christus im Herzen der anderen auch « jungfräu-lich» gebären muss. Von daher rührt die auf den erstenBlick so überraschende Vorstellung eines « jungfräuli-chen» Priesters. Dahinter aber steht der Gedanke: WerChristus gebiert oder auch nur seinen Leib anrührt, mussjungfräulich sein 87.

. Die Forderung, das Heilige nur mit reinen Händenanrühren zu dürfen, verband sich dann mit den religions-geschichtlich .weit verbreiteten Vorstellungen von kulti-scher Reinheit, für die' sich besonders im Alten Testamentreiches 'Belegmaterial fand. Zum Opfern, und allgemeinzur Sakramentenspendung musste man reine Hände ha-ben. Deswegen istim 8./9. Jahrhundert eine Händesal-bung in den Ritus der Priesterweihe eingefügt worden 88.

,(86) GREGOR DER GROSSE, Homilia 111 in Eoongelia, in P .L., 76, p. 1086DISed soienduni nobis est quia qui Christi frater et soror est credendo, materefficitur· praedicando. Quasi enim parit Dominum, quem cordi audientis in-,fuderit. Et mater ejus efficitur, Bi per ejus vocem amor Domini in proximimente generatur. H. RAHNER, Die Gottugeburl. Die Lehre der Kirchenvätervon der Geburt Ohriati aus dem Herum der Kirche und der Gläubigen, in DEllS.,Symbole der Kirche. Die Ekkleaiologieder Väter, Salzburg 1964, pp. 11·87, pp.65·80. _~' ,/

(87) Vita· Ermelondi .ir, inl M.G.H., Scriptorum Rerum Merovingicarum,V, p. 703, 1.7: mente virgo et corpore; Vita Melonii I, in M.G.H., Scripto-t'Um Rerum Merovingicarum, IIIr1I: 372, 1.30: perpetuaque virginitatis eratintegerrimus custos; R. GREGOIRE, 11matrimonio miatico, in Settimane di 8tudiodel Oentro italiano di 8tud. BUll'alto medioet>O, XXIV!2, Spoleto 1977, pp. 701-794, PIl,/741.758. \' ,

(88) AMALARVON lliTZ (wie Anm. 21), II (Studi e Testi, CXXXIX), c.13, p. 227, 1.34; B. KLEINHEYBR, Die PrieB~ im römiBche-ß Ritus, Eintliturgiehiatoriache Studie, Trier 1962 (Trierer Theologische Studien, XII), pp.114·122. '

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 195

Dass unreine Priester und Diakone keine Sakramente zuspenden vermochten, ist eine weithin verbreitete Auffas-sung gewesen. Bonifatius war sein Leben lang beun-ruhigt wegender Taufen, die verheiratete Diakone gespen-det hatten 811. Zwar bestätigte Papst Zacharias dem Erz-bischof die Gültigkeit der formgerecht 'vollzogenen Tau-fen, gebot aber gleichzeitig, dass konkubinarische Bi-schöfe, Priester und Diakone abzusetzen seien 110, wasBonifatius schon gleich auf seiner ersten grossen Reform-synode, dem sogenannten ConciliumGermanicum, zu ver-wirklichen suchte ". Den romtreuen Angelsachsen magdas energische Papstwort über die Gültigkeit der einmalgespendeten Taufen für seine letzten Lebensjahre be-ruhigt haben, das Problem aber war damit keineswegsausgeräumt. Das Bestreben, dem Klerus eine quasimo-nastische Lebensform aufzuerlegen, zählt zu den gewich-tigsten Punkten der karolingischen Reformgesetzge-bung. Die auf der Reichssynode vom August 816 inAachen beschlossene Institutio canonicorum beabsichtigtenichts· geringeres, «als den gesamten nichtmonastischenlGerus des weiten Frankenreiches einer einzigen Normin Liturgie und Lebensführung zu unterwerfen &, und«niemals zuvor und nie später ist in der mittelalterlichenlGrchengeschichte ein ähnlich umfassender Versuch un-ternommen worden, das Leben der Kleriker bis ins ein-zelne'verbindlich zu 'reglementieren'. 11. Auch die Ka-

(89) Epütola SO,in M.G.H., Epi6toZa. nkdae. I, p. 82, 1.20.(90) Epütola 11, in M.G.H." EpütoZa. .~, I, p. 87, 1.21.(91) Concilitlm Germanictlm G. 71JI, e, 1, e, 7, in M.G.H., Concilio, H, 1,

p, 3,1.11, p. 4,1.16.19 (92) R. SCHIEnB., Dü EnUUAtlng t>Oft DombJpiUln in Dftll«:lwn.d, Bonn76 (Bonnel' Historische Fonchungen, XLill), p. 232; AaeMmr Reiehuy.

~ G: UI, in M.a.H., COftCililJ, 11, 1, pp. 312.421; aiehe dazu J. SE)(l(LB.,~ find IcircJolieM Gumgehung, in Zeiue1tr.l. KireMngu~Io., LXXI (1960),

:Pg~7.61i; DUR., DÜI BueJolüu. du Aae1oetoerKcnuiU im JaIor. IlIJ, in Zeil«M.• .rchmgue1o., LXXIV (1963), pp. 111-82.

196 ARNOLD ANGENENDT

nonikerbewegung des 11. und 12. Jahrhunderts hat demZiel gedient, dem Klerus monastisierende Lebensformenaufzuerlegen. Dabei haben auch die Zweifel an den vonbeweibten Klerikern gespendeten Sakramenten noch jahr-hundertelang nachgewirkt 93. Herbert Grundmann hatdas Verlangen nach dem (C heiligen Priester» den Kernaller ketzerischen Bewegungen des Mittelalters genannt 94.

In der offiziellen Gesetzgebung wurde immer wieder nach-drückliehst die geschlechtliche Enthaltsamkeit gefordert 95,

ohne dabei aber der Tendenz zu folgen, die Gültigkeitder von unreinen Priestern gespendeten Sakramente inFrage zu stellen. Für die Organisierung des kirchlichenLebens auf dem Lande hat die Forderung nach «( reinen»Altardienern nicht unerhebliche Folgen gehabt. 'Veil dieKleriker im Grunde wie Mönche leben sollten, haben ka-rolingische Reformbestimmungen allgemein vom Klerusdie geschlechtliche Enthaltsamkeit wie auch den Vollzugdes Stundengebetes verlangt. So heisst es in einer aus der 1.Hälfte des 9. Jahrhunderts entstammenden Vermahnungüber die Pflichten des Priesters: « Dass er eifrig in der stän-digen Lesung (lectio) sei, dass er die geschlechtliche Un-berührtheit einhalte, dass er Frauen nicht in seinemHause wohnen lasse noch ihre Besuche gestatte, dass erimmer Zeugen für seinen Lebenswandel habe, dass ergebefreudig, gastlich, bescheiden, gütig, barmherzig, gross-zügig und kirchlich sei, dass er predige, auch Kranke,

(93) F. KEMPIl', Gregorianische Reform, in LThKl, IV, pp. 1196-2001.(94) H. GRUNDMANN, ReligiÖ8e Bewegungen im Mittelalter, Dannstadt "1961,

p. 14 ss.; DERs., Ketzergeschichte du Mittelalters, in D. SCHMIDTfE. WOLFF

(Hgg.), Die Kirche in ihrer Geschichte, II G, Göttingen 11967, pp. 8-22_, (95), M. BOELENS, Die KleriTrerehe in der Gesetzgebung der Kirche unter be-80nderer BerilckBichtigung der Strofe. Eine rechtaguchichtliche Untersuchungvon den Anfängen der Kirche bis zum Jahr 1139, Paderbom 1968, pp. 116-163;B. SCHIMMELPFENNIG, Zölibat und Lage der • Prieslersöhne. vom 11. bis 14.Jahrhundert, in HZ, CCXXYII (1978), pp. 1-44.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 197

Gefangene und Bedrückte besuche. Weiter, dass er esnicht unterlasse, zu den geistlichen Gebetszeiten dieKirche aufzusuchen, und zwar bei den Gebetsdienstender Nacht, am Morgen, zur Prim als dem zweiten Gebet,zur Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet ...• U.

Da diese quasimonastische Lebensform am ehestenin der :Gemeinschaft verwirklichbar erschien, sind imLaufe des Mittelalters immer wieder Versuche unternom-men worden, den Klerus zu einer vita communis zu ver-pflichten. An den Bischofssitzen hat dieses Bemühen umeine Klaustrierung immerhin zu dem Erfolg geführt,dass hier Domklöster gebildet worden sind, die späterenDomkapitel '7. Wie aber ansonsten die Wirklichkeit aus-gesehen hat, vermögen einige Zahlen zu veranschau-lichen, die sich in Italien haben feststellen lassen. Zwi-schen 724 und 773 sind für die Lombardei 21 legale Kle-rikerehen bezeugt, davon neun bei Priestern; bei zweiPriestern wird die presbitera ausdrücklich erwähnt, undfür sechs von ihnen sind Klerikersöhne bezeugt. Für dieka.rolingische Epoche (774-885) sind 66 legitime Ehenund 15 Konkubinate festzustellen; dann aber verschiebtsich diese Relation zu 106 Konkubinaten gegenüber nursieben Ehen 1Nl. Solche Zahlen illustrieren, welche Schwie-rigkeiten der Durchsetzung des Zölibates entgegenwirk-ten: Ein Teil des Klerus wich aus und lebte in iIIegiti-lllen Verhältnissen. Wohl sind immer wieder Versuche

(96) • Institutio eeeleeiesticae auctoritatis, quam hi, qui provenendi Bun'ad 811Cerdotium, profiteri debent ••• " ed, \V. IlAllTlIL'P.{, ];·eue Tute zur bi-.rhlJfl· L_ • D·If .Ie,,,,,, R./onngudzgebung OtU den Johrm I!!g/JI, Yid IlJzuaruynode"n~lgar. 1>0" Combrai, in DA, xxx V (19;9),. pp. 3G8·39-&, p, 329811. Zur

eraeUung von mi._ JOOdUrnGe siebe JUNGXAICf (.,..ie Anm. 36), p. 232.(9i) SCHIEFFEB (wie Anm. 9!!), pp. 28-&.287.

S ~98) G. ROSSE7TI, Il motrimonio del d60 nello .acida a.ltomediellGl., inS tlhnaane di .tudio del Cmlro itGliono di .tudi ...Jl'alto ~iottlO, x..'{IV,I,I>oll'to 19;7, pp. 47S-55", pp. 533.53;.

198 ARNOLD ANGENE~DT

unternommen worden, Reformen durchzusetzen. Nachden Vorstellungen Gerhochs von Reichersberg, des « deut-schen Bernhard von Clairvaux» 99, sollte zum Beispieldas Regularkanonikertum gerade auf den Seelsorgskle-rus einwirken. Das Kanonikertum sollte « zur allein gül-tigen Lebensform des gesamten Klerus werden; an jederTaufkirche muss die Vita communis, zumindest von ei-nem Priester und Diakon versehen, gelebt werden» 100.

Dass aber solche Forderungen beim Landklerus nur schwerdurchzuführen waren, erweist noch die Geschichte desspäten Mittelalters: « Die Verwilderung der Sitten imKlerus kann auf keinen Fall bestritten werden» 101. Ja,der Zölibat ist noch eine wesentliche Streitfrage der Re-formation gewesen, die « als ein besonders heisses Eisenvon den Reformatoren erkannt und aufgegriffen wor-den [ist]. Der Zölibat wurde weithin nicht mehr vom All-gemeinbewusstsein des christlichen Volkes getragen, weilsein Sinn durch die Praxis entstellt war s 102.

Für die Liturgie des frühen Mittelalters ist demnachzusa mmenfassend festzustellen:

1. Die schöpferische Liturgie-Epoche ist zu Ende.Die Kodifizierung zeigt an, dass die Liturgie ein heiligerund intangibler Ritus geworden ist. Bald gibt es über-

(99) J. MOlS, Das Stift RoUenbuch in der Kirchenreform du XI..XII. JaM-hunderts. Ein Beitrag zur Ordensgeschichte der Augustiner-Ohorherren, 1I1ünchen1953 (Beiträge zur Altbayrischen Kirchengeschichte, XIX), p, 114.

(100) P. CLASSEN, Gerhoch oon Reichersberg und die Regularkanoniker inBayern und Oeeterreich, in La vit<J tOmu~ del clero net seroli XI e XII, I, Mi-Iano 1962 (:r.Iiscellanea del Centro di studi medievaIi, ID), pp. 304-340.

(101) O. VASELLA, Reform und Reformation in der Schweiz. Zur WfJrdigungder Anfänge der Gwubenskrise, Münster/W. 1958 (Katholisches Leben undKämpfen im Zeitalter der Glaubensspaltung, XVI), p. 36./ (102) A. FRANZEN, Zölibat und Prieeterebe in der Auseinandersetzung der

Reformationszeit und der katholischen Reform du 16. Jahrhunderts, 1I1ünsterl'V.11969 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubenespe-ltung, XXIX), p. 22.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 199

haupt nur noch eine kanonische Liturgie, diejenige desheiligen Petrus. Andere Liturgien, so die gallikanische,verschwinden,

2. In der Liturgie schlägt sich die wachsende Ver-ehrung' der Heiligen nieder, die als besondere Patroneangerufen werden. Gewachsen ist ferner die Zahl derVotivmessen, weil die Messfeier das vorrangige Mittelwird, Segen zu erflehen.

3. Die Liturgie wird apotropäisch und konsekrato-risch; sie hat einmal Dämonen- und Teufelsaustreibun-gen zu bewirken und zum anderen der Herbeiführung desgutenGeistes Gottes zu dienen.

4. Von den Liturgen wird gefordert, dass sie « rein »

sein soUen; das bedeutet, dass sie asketisch und geschlecht-lich enthaltsam leben müssen. Um dies sicherzustel-len, wird zunehmend danach gestrebt, dass sie klösterlichoder wenigstens « kanonisch» zusammenleben.

11. DIE LITURGIE IN IHRER EINWIRKUNG AUF DAS LÄND-

LICHE CHRISTENTUM

Nach der allgemeinen Charakterisierung der frühmit-telalterlichen Liturgie und ihrer Wandlungstendenzenseien nun zwei grössere Komplexe herausgestellt, diezur Entstehung eigenständiger Landkirchen in besondererWeise beigetragen haben.

1. Taufe und Eucharisiie

Die Taufspendung, die grundsätzlich von jedermann'\Tollzogenwerden konnte, galt schon bald als Vorrecht desBischofs, denn sie bewirkte die Eingliederung in die Chri-

200 ARNOLD ANGENENDT

stengemeinde, welcher eralsverantwortlicher Leitervorstand 103.' Während noch in der Apostelgeschichte derDiakon Philippus den Wagen des Kämmerers der' Kö-nigin Kandake bei der nächstbesten WasserstelIe anhal-ten liess und. dort die Taufe vollzog (Act 8, 36-38)104,dürfte deren Spendung in den Christengemeinden rascheine liturgische Form erhalten haben. Die ApostolischeTradition Hippolyts (t 236) zeigt beispielsweise an, wiein Rom die Taufe liturgisch ausgestaltet worden ist 105.

, ., j

Auch erbaute man Taufbrunnen und sogar gesonderteBeptisterien 106. In derMission konnte zwar weiterhindraussen am Wasser getauft werden, wie es ausder Be-kehrungsgeschichte der Angelsachsen oder auch der Awa-ren überliefert ist ~07; im Regelfall aber erforderte dieTaufe einen heiligen Brunnen 108. Die bischöfliche Pasto-ralgesetzgebung der Karolingerzeit verlangte generell einmöglichst aus Stein verfertigtes Becken, das aussehliess-lieh dem heiligen Taufwasser dienen solIte und. dement-sprechend in Ehren zu halten war 109.

(103) J. GAUDEMET,L'egliae daM "mtpire romain (lV"- V. ".) Paris 1958(Histoire du Droit et des Institutions de l'Eglise en Occident, ID), pp. 55-69,bes. 62 SS; O. HEGGELBACHER,Di8 chrilttlidle TGfJfe aU Bechtsalcl nach demZeugni" der frühen Ohri8tenheit, Freiburg/Schweiz 1953 (Paradosis. Beiträge_zur Gesohichte der altchristlichen Literatur und Tbeologie,' VID), pp. 44-49;DERS., Vam rßmi8cMn zum chriIttlichen BuAl. Juri8tuche Elemente in den Sehnf-'ten du Bogen. Ambr08ia8ter, Freitiurg/Schweiz 1959 (Arbeiten aus dem juristi.'sohen Seminar der Universität Freiburg/Schweiz, XIX), p. 108 ss.

(104) G. SCHNEIDER,DU Apo8telguchichte, I, Freiburg 1980 (Herders Theo-logisoher Kommentar zum Neuen/Testament, V), pp. 496-509., (105) KLAUSER (wie.Aruil. 10), pp.·17-22; KRETSCBMAR (wie Anm. 12),

pp. 86-114; W. RORDORJ', Le baptIme "don la Didache, in A. VERBEUL (Hg.),Melangu liturgiqtiU offerl8 DU B. Bptte, Louvain 1972, pp. 499-509.

(106) F;W. DEICBMANN",BaPtuterium, in BoA.O., I, pp. 1157-1167; E.FAERBER, Der Ort der Tau/spendung, in Archi" für Liturgüwilt"enscha/', XIII(1971), pp.- 36-114, pp. 42-63.

(107(FAERBER (wie Anm. 106), p. 41s; TB. KLAUSER, Taufer in 'eben-digem' Was8er. Zum religi0n8- und hdturguchichtlidlen Ver8tändni.t "on Dida-eM '1.1/3, in DERB. (wie Anm. 15), pp. 177-183.

(108) FAERBER (wie Anm. 106), pp. 63-71.(109) HmXIIIAR, Oapilula SynotI.ica I, 3, in P .L., CXXV, 773 C: qui

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 201

Für die Herausbildung der Landpfarreien erlangte dieliturgisieIte Taufe eine fundsmentale Bedeutung. Das.Christentum ist in der Antike über lange Zeit eine Reli-gion 'der Stadt gewesen. Dies hatte zur Folge, dass jeneChristen, die auf dem Land lebten, Mitglieder der städti-schen Christengemeinden werden mussten. Die seelsorg-liche Betreuung der Christen drsussen unterstand demBischof der Stadt, und meist wurde nur ein Diakon zuihnen aufs Land hinausgeschickt no. Erst die Notwendig-keit, auch ausserhalb der Bischofsstadt Taufbrunnenzu errichten, legte den ersten Grundstein für die eigen-ständige Landpfarrei ID, und der Status der zu relativerSelbständigkeit erhobenen Landgemeinden ist noch langeVomTaufrecht her definiert worden; die Vollform derPrarrechte besessen nur die ecdesiae baptiemale» W.

Von noch grösserer Bedeutung für die Landkirche istdie Messfeier. gewesen. Gerade das Zugeständnis einereigenen Eucharistie, deren sonntäglicher Besuch im. Laufedes 6. und 7. Jahrhunderts zur strengen Pflicht erklärt'Wurdeus, und deren Zelebration immer häufiger wurde,sta.bilisierte in erheblichem Masse die neue Gemeinde..Allem voran erga.b sich als Konsequenz die Anwesenheit

route. )apid_ habere nequiverit, v .. conveniens ad hoc aoIurnmodo bapti.':~diofficium habe&t; .dd_itio Synodal .. '0, ed. R. AIlIET, UN • .dd_i.:: 8t1nodol ... de "ipoquc CQI"Olingä.ft-. Eeude eril~ ., ~ilioft, in MedieflOluel4diu XXVI H' ..,- ._,.~-~. 7'.At" , 1964, pp. 12·82, p. 57: AlTO, CopOI_...-.-t(:G ,lD

Z.• G.H., CopituloriG regu"'jroflCOn£m, I, p. 363, L 31; P. BIWJußa, DMbiaeM/.

PldaeGUdzgebung TAeodulfuo" OrUaN, in Z.R.G., K&Il. Abt. LX. C IV 1974,p. 1·120.' ,

(1101 G.lUDICIIET (wie Anm. 1031, pp. 101·104.~Il L D. L.l TOUB, Lu origi_ religiewu tU lG FrG,,", Lu poroi6..., du IY· 0" :Xl. ftkk, Paria 1899, pp. 511·88.

, It (1121 H. E. FICDm, Kircltlic1M R«ÄUguc1tleAU., DM lot.\oIinM Kirclw,(Im/Wien 611172, pp. 182-1118. ,

Lie (1I~1R.KOTT"., 8tudüm RM Ei"tr_ tU. .dltcftT..co_" -I Ree1aI ,,""~ ~ du IrllAm M iUeloller. (' ••1. JAde.), Bonn 111M(Bonner HiatoNah. For·

IUleIll1, XXlIIl, pp.«.58.

.202 ARNOLD_ANGENENDT

.eines Priesters. Es genügte nicht mehr ein Diakon, derdie' Kommunion von der Stadt mitbrachte und austeilte.Da zudem die Altardiener wegen ihrer Enthaltsamkeitgemeinschaftlich leben sollten, bildeten sich jetzt kle-rikale Gemeinschaften ausserhalb der Bisehofsstädte, dieanfangs oft einemArchipresbyter 114, später einem Propst,Dekan 'oder Archidiakon 115 unterstellt waren. Dasgemeinschaftliche Leben, das die Bischöfe in den Städten'mit ihrem Klerus praktizierten, setzte sichso in verein-fachter Weise auf dem Land fort. Im Sprengel von Trierwaren in der Zeit vor 1000 an dem Prozess der Christia-nisierung des weiten Umlandes etwa 15 klösterliche Nie-derlassungen beteiligt; sie bildeten die Kernzellen des spä-teren . Pfarrnetzes 111. Weiter verschafften die bei derMessfeier einkommenden Oblationen der Landkirche,

v : wiewohl sie vermögensrechtlich noch lange dem Bischofunterstellt blieb, bereits eine erste Rechts- und Eigen-.turnsfähigkeit, wie ausserdem noch diese Einkünfte all-mählich zu einem gesonderten, vom BischofunabhängigenEinkommen der Kleriker führten 117.

Die konstitutive Bedeutung der 1tIessfeie~für die Ent-

(114) J. B. SÄ.GJdtLLEB, Di« EnItDidlung du .dn:1aipr~ UM DektJ· .nots bis zum EMe du KcwolingerreicAs. Tübingen 1898, pp. 29.46; I). ~TOUB (wie Anm. Ill). pp. 74·87. .

(115) A. F'BANzEN. Die K61_ ,AreAidiaionau in _. wad nacAIriJB1IIifli.scher Zeit. Eine kireAm. und ~escAieAIlicAa UfIÜf'sucAung Obet' tIMWuen der Archidiakonate und die GrilrttH i1aru ForIbuImadf18 noc.\ Mm gqtaJil"on Triem, MÜD8terfW. 1955 (ReformatioDBgeschichtliche Studien und T~'LXXVIII/LXXIX), pp. 1-10; ~ HBDrrz. Die ,A"rangedu LtmddeJ:ofIIJUB .111Rahmen der kirchlichen YtJrfaistmgsg~ du Erzhi..tums Trier, Trier 1951(Trierer Theolop,che Studien. llIl.-pp. 6-27; ~ (wie A.nm. ~12), pp.201·204. ~- /. .

(116) F. PAl1Ly"SUdlung wad PjanorgoniBalion im alun ErzbiBIUIII Tri4"ZusammenfaslJUng und ErgelmiBH, Koblena 1976 (Veröffentlichungen der J,aIl'desarchivverwaltung Rheinland.PfaJz, des Bistumsarchiva Trier. XXV), pp. --42888 •.

(U7) U. S=, Guchichtedu lireAlicAm Btmtizial"'_' """ uinefl .A"",Jä,,:,en bis auf die Zei' ,AkzandersIII., Aalen 219&1, pp. 41.79; I).,LA To~• (WIe Anm. IU), pp. 6988; hINK (wie Anm. 112), p. 132.

DIE LITURGIE UND DIE ORG.uaSATION 203

stehung einer eigenständigen Gottesdienstgemeinde hatübrigens auch in der Geschichte des ~IönchtuD?-Seinewichtige Rolle gespielt. Die Regula Magistri kannte nochkeine regelmässige ~Iessfeier im klostereigenen Oratorium.Ja, dieser Regel zufolge sollte das Kloster eine Laien-gemeinschaft sein, weswegen Priester bewusst ausge-schlossen blieben. Die Mönche gingen sonntags in den re-

. gu1ären Gemeindegottesdienst und nahmen sich von dortdie Kommunion mit, die dann wochentags im eigenenOratorium ausgeteilt wurde llB. Die Regel Benedikts hin-gegen erlaubte es auch Priestern, in die Mönchsgemein-schaft einzutreten, und diese konnten dann auch imKloster die Eucharistic feiern 111. Die benediktinischeMönchsgemeinschaft hat sich dadurch als eigenständigeGottesdienstgemeinde etabliert, ein Prozess, welcher pa-rallel zur Entstehung der Landpfarreien verläuft.

So ist also festzustellen, dass sowohl Tauf.spe~dungwie Messfeier überall dort, wo das Netz "der Bischofssitzeweniger dicht war und eine unzumutbare EntfernungZum Bischofssitz vorlag, so in Norditalien, Gallien undSpanien, den Anlass gaben, eigene Gottesdienstgemein-den auf dem Land zu schaffen.

Gleichzeitig ist noch ein weiteres zu beobachten: Alsdas Christentum aura Land vordrang, war es allenfallsllOC? als Übergangslösung geduldet, sich wie die frii:henChr18tengruppen in irgendeinem Haus zur Taufe oder~r Eucharistie zu versammeln. Die sakralisierte Litur-~e erforderte geweihte Sakralräume, einen konsekriertenltar und daruberhinaus noch konsekriertes Altargerät,

aUch' gottesdienstliche Gewandung und Liturgiebücher,

~l:! A. Da Vooo-t. lA Rig'- cl. MaU,.., I, Paria liM (80urcea Chritioo·1-' J. p. tI3 L '

~ ~i) Dba... lA B~ cl. BoiAI B-". VI, Paria lIIil (Souroee Chretien·LXxxVl), pp. 131511... Wt1ULDJQ (.ne Anm. 3i). pp. 23·31.

204 ARNOLD ANGENENDT

also einen recht umfänglichen kultischen Apparat. Diekarolingische Kirchenreform mit ihren vielfältigen liturgi-schen Vorschriften gibt auch hier. bemerkenswerte Ein-blicke: Ausdrücklich wird verordnet, dass die Messfei-er allein in den vom Bischof geweihten Kirchenräumenstattfinden darf und nicht irgendwo in Häusern 120. Auchsoll sie.nur an einem ebenfalls geweihten Altar zelebriertwerden; auf Reisen oder bei Kriegszügen muss einTragaltar mitgeführt werden w. Selbstverständlich istbei jeder Zelebration konsekriertes Altargerät, 80 Kelch.und Patene, zu benutzen HI. Für eine dörfliche Kirchen-gemeinde aber erforderte das alles hohe Aufwendungen;mindestens ein Sakramentar, Lektionar, Kalender .undBussbuch waren erforderlich, aber auch der Psalter fürdas Stundengebet und die Predigtvorlagen 1!S; endlichmussten die besonderen Gewänder beschafft werden, sodie KIerikergewandung W und vor allem der liturgischeOrnat wie auch noch die heiligen Gefässe 125.

(120) Capitula uaeerdotwtu 1'f'01'Oft1G " inM.G.H., Capiluloria regum Iron •. Cortlm, I, p, 106, 1.35: Ut nullus __ rdoa in domibus vel in aIiis loeis nisi inaeocleaiis dedicatis oelebrare missaa audeat. AhnIiche Bestimmungen aus derbischöflichen Geeetzgebung des 9. Jhdt&. bei BBollllBB (wie Anm. 109), p,78 s; HÄU88LlNG (wie Anm. 37), p. 232 ..

{121) Concilium Moguntionen8tl G. ''', c. 9, in J. D. M4N81, Socrorvm eon·ciliorum _ et ompli88i1ftO coUtJetioXVIII A, p. 87: In itinere vera poeitis, .iecclesia defuerit, Bub divo, seu in tentoriis, Ii tabula altaris conaecrata, eaete-raque ministerie sacr& ad id officium pertinentia &daunt, mlessrum solemnieoelebrari permittimus; BED~, Bi8Iorta ~ico, V, 10, eel. Cu. PLUlOIER

(wie Anm. 17), p. 300; habentes BOOumUMCula sacr& et tabulam altaris uicededioatam; BBOJllU!B (wie Anm. 109), p. 79.

(122) J. BUUN, Do. ehri8tliche .Altargerät in .#linens Sein und in .einer Em·wicklung, Münohen 1932, pp. 17·%48; V. H. ELBERN, Der euehori8ti8ch4 Kelchim jrlJ.Mn Mitltllal~, Berlin 1964. '

(123) Haito von Baael erwähnt in Capitula ~ico " in M.G.H., Co·pitulario ..regum Ironcorum, I, p. 363, 1.20: II&Cramentarium, lectionariua,antifornarill8, baptisterium, compotus, canon penitential is, psalterium, ho-meliae per oirculum anni ••• ; weitere Belege bei BBOJuO!!B(wieAnm. 10~) p. '8.

'(124) Concilium Germon""'m G. 74!, o. 7, in M.G.H., Concilio, n, I, p." 1.111.

(1211)J. BBAUN, Die 'ilurgi«M GCWOMung im Occident und Orienl. N oe"

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 205

:Mit der Einrichtung einer regelmässigen Messfeier aufdem Lande war die Einheit des bischöflichen Priester-kollegi ums verlorengegangen. Zwar suchte man nocheine Zeitlang den Zusammenhalt zu wahren, 'zunächstdadurch, dass die draussen lebenden Priester. und Dia-kone gerade bei den Hochfesten an der Bischofsliturgieteilnehmen oder zumindest sich turnusmässig am dorti-gen Stundengebet beteiligen sollten 128. Doch musstensich solche Bemühungen bald als undurchführbar erwei-sen. Das wirklich Verbindende, jedenfalls aus dem Blick-winkel der Liturgie, blieb allein das bischöfliche Wei-herecht. Die Personen- und auch die Sachweihen, die einBischof vornahm, schufen eine Bindung an seine Personund seine Diözese; dieser durfte allerdings Weihen nurinnerha.lb seiner Diözese vornehmen, wie andererseitsKleriker, die er geweiht hatte, und Kirchen oder Altäre,die er konsekriert hatte, seiner Hoheit unterstellt waren 121•

. In diesen Weihebindungen erhielt sich der eigentlicheZusammenhalt der Diözese.

Unter das bischöfliche Weiherecht fiel aber auch dieBereitung des Chrisma, das bei der Taufe gebraucht wurde.' .Obwohl nun auf dem Land eine eigene Taufliturgie statt-fand, blieb mittels des Chrisma eine wichtige Verbin-dung zum Bischof erhalten, die sogar in karolingischer

fr8Pl"Ung und Entwic1clung, Verwendung und Symbolik, Darmstadt 219M, pp.J65-785; BROMMER (wie Awn. 109), p. 47. Inventarbeschreibungen des 9.d~hrhunderts, die auch von einigen Landkirchen überliefert sind, zeigen, dasslese Utensilien tatsächlich vorhanden gewesen sind; Mittelalterliche Schatz-

~erzeiehniB88, I, Vonder Zeit Kar'" du (;..0888n biB zur MilU du 1J. J ahrhun.Berta,. ed, Zentralinstitut für Kunstgeschichte in Zusammenarbeit mit B.I\..ISCHOFF, München 1967 (Verö~entlichungen des Zentralinstituts für

. unstgeechichte in München, IV), Nr. 16, p. 268. . . I

k" (126) SCHlEFFER (wie Arun. 92), p. 100-122; J. SIEGWABT, Der gallo-Jrän.1~8che KanonikerbegrifJ, in ZeitBchr. f. schweiz. Kirchenguch. LXI, 1967, rr-

3-244, pp. 226-244.(127) GAUDBYET (wie Anm. 103), p. 1I5 B. (la competence territoriale)

206 ARNOLD ANGENENDT

Zeit inbedeutsamer Weiseverstärkt worden ist. Es wurdenämlich verlangt, dass die Priester, wenn sie die für die.Taufspendung in der Ostemacht notwendigen heiligenÖle am Gründonnerstag beim Bischof abholten, sich beidieser Gelegenheit auch dem Bischof zur Überprüfungder Lehens- und Amtsführung präsentierten 128. Der Grün-donnerstag ist mancherorts noch lange der Termin fürdie diözesanen Klerussynoden geblieben 129. In grossenDiözesen aber musste es zu Schwierigkeiten kommen,.denn der Gründonnerstag, der römische Termin der ÖI-weihe 130, Iiess für lange Reisen und Überprüfungen nichtgenügend Zeit. Bereits ein Kapitular Ludwigs des From-men schlug deswegen vor, dass von den weitab wohnen-den Priestern gewöhnlich nur einer aus ~cht oder zehnanreisen solle, und die Synode zu einem späteren Terminim Mai abzuhalten sei 131.

Aber noch in anderer Hinsicht hat das Chrisma derTaufe in der Geschichte der Landkirchen eine bemerkens-werte Rolle gespielt. Den Hintergrund bildet dabei dieFii-insalbung. Die gallikanische Tautliturgie kannte - wieübrigens alle ausserrömisehen Liturgien - nur eine einzigeSalbung nach der Taufe, die von einem Priester und so-gar von einem Diakon gespendet werden konnte, so-fern er nur das vom Bischof konsekrierte Chrisma ver-

(128) OonciUum Germanicum G. ;", e, 3, in M.G.H., Ooncilia, II, I, p. 3,1.22: Et in eena domini semper novum crisme. ab episeopo querat, ut epiaOO"pum testis adaistat oastitatil( et vitae et fidei ei doctrine illiUII. .

(129) W. OEDIOER, JJG8 Büi- K61ft _ cUrl A"ratl9efl In. zum EruU dUts, JhdllJ., Köln 21972 (G-mlchte dea .Erzbistums Köln I), p, 196.

(130) A. ~~A8SE, La bbt«lieülin d" cArfmc 11ft Gouk 0:-, l'adopIioft inU'g"~lede la Hfurgie Romaine, in R_ d" MoymAge Loti", I, 1945, pp. 109·128;Mta80le GaUioa""m tIdua, XIX, eel. 1I0BLBIlBG (wie Anm. 20), fontell Ill,Rom 1958, p.:25 88; AlrGEliEJIDT (wie Anm. 22), p. IU _; E. Vn:o~Lu ~"'ene du clerge pGI'OiMal c) l'ipoqw CGrGli~ in R.H.E., XIV (111}3),pp. 81·96.

(131) Oapitulare E~, e. 18, inM.G.H.,· CopiIultniG ".gu_ ,rtIfl-corum, I, p. 278, 1.13; BBOlDm& (wie Amn. 109), pp. 43-451.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 207

wandte. Als bischöflicher Anteil war in der gallikanischenTaufliturgie eine absehliessende Handauflegung vor-gesehen, die aber nur ganz spärlich. bezeugt ist, und fürdie seit dem späten 6. Jahrhundert überhaupt kein Be-leg mehr beizubringen ist 131. Anders nun seit der karolin-gischen Liturgiereform. Die römische Liturgie kannte zweiPGstbaptismale Salbungen. Die erste wurde vom Tauf-priester gespendet, die zweite aber, eine Salbung ver-bunden mit einer Handauflegung, eben die Confirmatio,vom Bischof. Diese zweite postbaptismale Salbung wareine Besonderheit der römischen Liturgie 131. :Mitder Aus-breitung dieser Liturgie kam sie in den Norden, und derAngelsachse Beda machte sich zu ihrem eifrigen FÜr-Bprecher. In einem lIahnbrief an Bischof Egbert von York .erhob er den Vorwurf, dass manche Bischöfe nicht dieDÖrfer auf den Bergen oder in den Wäldern visitierten,~ folglich die Gläubigen auch nicht durch eine bischöf-liche Handaußegung konfirmiert würden. Der gelehrte,Mönch forderte deswegen, die Anzahl der Bischöfe zu ver-Illehren und neue kleinere Diözesen einzurichten u&. Ge-nau das hat Bonifatius in seiner Kirchenreform auf deml(ontinent zu verwirklichen gesucht. Bei der Aussendungd~ch Papst Gregor H. am 15. Mai 719 hat er sich aus-drücklich auf eine Spendung des lnitiationssakra.mentesDach römischer Art verpflichtet w. Demzufolge mussteer ~uch die römische Firmung erteilen. Und tatsächlich

Co~%) L. L. If.nocIllU.L, Bopli4Mdl .d.ttOi"'i..,. London lees (AJcuin Club(1 ona, XLVIII). pp. 112-131; AlcOBIOXM (wie Anm. I!). pp. 145-1110.

l> 33) L V".AmlT. GreM BoplilMol f'~. I,. Origi GM -',lG~' Niunretren IN! (GrsecitN ~onun primae I). pp.elll.Iiv~· p. 3~6: _The doabl. pcm-bapüsmal anoiotln« ia typioally and u-

U3 y Romau.; AxOIlJrItJrDT (wi. Anm. Itl. pp. 141·145.(lri 41 BilD.. Baedo. EpüIol4 fMI Eg6ImI_ ."._".... 7·•• eeL PL~

~I~ 171. p. 410.. .(lrie ~~ It. ill JI.O.B••E"..... ~ I. p. 18. 1.4; AlcOlllfKlfD'7:

H~~I»L .

208 ARNOLD ANOENENDT

ist bei der Gründung der bayerischen Bistümer von derbischöflichen Pirmung die Rede gewesenUI. Klar unddeutlich verordnet dann auch das Concilium Germani-cum, dass der Pfarrer den Bischof, wenn er zur Visi-tation und. zur Firmung in die Pfarrei komme, ZU

empfangen habe und sein Pfarrvolk vor ihm versam-meln müsse 117. Aber offenbar blieb die Firmspendungbeschwerlich genug. So suchte man durch zusätzlicheBischöfe abzuhelfen; es waren die Chorbischöfe. Esdürfte keineswegs zufällig sein, dass gerade Angelsach-sen, nämlich Willibrord und Bonifatius, die ersten wa-ren, die solche Chorbischöfe geweiht haben 111; als Grundist die bischöfliche Finnspendung anzunehmen. Aberauch für die Firmsalbung selbst ergaben sich Konsequen-zen. In der Stadt Rom war es noch relativ leicht gewe-sen, die Taufe durch die bischöfliche Handaußegung undFirmsalbung vollenden zu lassen.. In den grossen Diö-zesen des Nordens aber spaltete sich dieser Ritus vonder TaufhandIung ab und wurde bei der bischöflichen Vi-,sitation nachgeholt, nicht selten erst viele Jao/e nachder Taufe.

So haben also die vermehrten liturgischen Anforde-rungen bei der Taufe und Eucharistie ganz wesentlichzu der Herausbildung eigener Landkirchen beigetragen.Andererseits hat aber auch die besondere Situation der

(13G) E,m1olG 0, in M.G.H .. ~ -.ao.. I. p. 73. U. J(137) Concilium a-~ ,0. 741. 0. 3. iD M.G.H •• Cortdlio, n.. '

p. 3, 1. 111:E~ quandocum'que lUre e&DOnioo epi8eopu. cireum~' parroch1alllpopulos ad oonflnnandae, prsbiter -per pvatu. 8i'. . . S

(138) TIr •. 000m.o •• D•. ~rtdi«M.~. Am8terdam tillS(Kanooiat;.ohe S~udien und Teste. I). pp. to.t~. p. to: • Eot.eheidend CilrAuftreten nnd EntwioklDD« de. abeDdliryljrbea Chorepiakol»" ab da,,:etG·der Einriohtung ia~ die ancelelcb.ieab. Hia8iOQ.· V. Fucu D" Ordi~'.itel _ .. i_ ErtlIWa_, N _Il~ Ill. zi,.. UtlWnd"'" .., ~reAl~Men RecIIüg.. cAidau "'U ~ BfIrlkbidli'_'''' ,AucM""""" R~""SolIfM. Amaterdam I1IIS3 (KaD.oniatieebe StudieD Uftd Tesk. IV). pp. ,11'2211, AxQ.IIJ:MD~ (wie Anm. !!), pp. 166 ..

DIE UTUROIE UND DIE OROAlnSATION 209

grossen Diözesen mit ihrer Vielzahl von Pfarreien dieLiturgie nicht unberührt gelassen; die Ablösung der Fir-mung von der Taufe ist dafür ein Beispiel.

2. Tolenlilurgie

Ein anderer Liturgiebereich, der stark auf die Situa-tion der Landkirehen eingewirkt hat, ist die Totenlitur-gie. Es gibt Anzeichen dafür, dass gerade die Jenseitsvor-&teilungen nachhaltig auf das einfache Volk eingewirkthaben. Auffälligerweise stammen nämlich nicht wenigefrübmittelalterliche Jenseitavisionen aus einfachen Laien-kreisen lit. Beda hielt es bereits für angebracht, in seinerKirchengeschichte die Jenseitsvision eines nordhumbri-sehen Familienvaters namens Drythelm wiederzugeben 140.

Aus dem 9. Jahrhundert gibt es die Vision einer Pauper-cuIa 1(1. Gegen IIII erlebte ein zehnjähriger Ritterssohnnamens Alberich aus der Umgebung von lIonteca.ssinoVisionen, die manche als eine wichtige Quelle Dantesha.ben ansehen wollen lU. Ende No¥ember 1125 wurdeein 14 Jahre alter .Junge namens Orm aus .Yorkshirezur grossen Jenseitswanderung fortgerissen. Vom übli-chen mittelalterlichen Katechismuswissen vermochte derjunge Visionär gerade das Vsterunser und nicht einmalda.s Glaubensbekenntnis aufzusagen; seine Jenseits·Er-

o (1.S8)P. DDfULIIAcn:a, Dä. F~ tU. JliltfllolW •• ZiA ~lllkMr

P--. in ~. fUr ReligioN. __, ~urÄ. xxx. 1878.pp. lIS-IU,·Uh.303~ICOIB&DA.HÜIoriG~. V, It. eeL PL~ (wie ADm. in, pp.

301. .,a ~) B. HOt7aEJI, YYio n&i-'-'_~ rrtVlNrü. Ckrli4J.rt1ft9 __,~ ot!:rei~/rlUua~AM Y~.iD~fUrflM~

(I A.i.... CXXIV, 18;8, pp. JI-4!. :. .. .,\>, Ill!'> o~ Y01l )lonscuauro, Y_ AINriri. UI Bl6l.~ Can-...lla,.,. II~ UN. pp. It I .. ; A. R~. Dä. Jr.' _.c.Il....,.,. -~'" ''''cl clMCibriga. l~ F_.od ...,...". .Dirriao C_...liG·,

~i«.W- K , I, Ei... edelD IN5, pp. U8 ..

1&

210 ARNOLD ANGENENDT

fahrungen aber wurden als grosse Offenbarung eilfertigstaufgezeichnet 143. In Irland schaute der Ritter Tnngdaleine Vision, von der 200 lateinische :Mannskripte und 170deutsche Übersetzungen vorliegen 1". Ein holsteinischerBauer namens Gottschalk erfuhr .um die Jahreswende1189/90 eine Vision, die ein Kanoniker aus Neumünsteraufzeichnete 14.5. _

In diesen Visionen geht es um das, 'ras der Seele im Jen-seite bevorsteht. Sie hat dort einen gefährlichen Weg zu-rückzulegen, auf dem sie von Dämonen angefallen, vonEngeln aber beschützt wird 146. Gernäss der im Frühmit-·telalter weiter geltenden Eschatologie der Patristik 147 sindnur die :Märtyrer oder die ihnen gleichkommenden Aske-ten im Himmel; die übrigen Gerechten aber müssen nochbis zum Ende der Tage in den Vorhöfen des Himmels,im Paradies oder im Schoss Abrahams warten. Die Bösenbefinden sich im Feuer der Hölle, wobei allerdings man-che die Vergünstigung erfahren, nur am Rande des Höllen-feuers sich aufhalten zu müssen; sie werden dann nacheiner gebührenden Läuterung von dort befreit werden us.So gibt es angesichts des Todes nur eine Hauptsorge. sichvor. dem Zugriff des Teufels zu sichern. :Mittels guterWerke muss man möglichst selber im voraus dafür sor-gen, dass für alles begangene Böse, das auf der himmli-

(143) H. FAlUIER, TM V~D/ OnR, in AnokeI4 Boll4ndi4_, LXXV,(1957), pp. 72-82. '.'"

(144) Vim Tnugdali, e4.0. 8ca.wB, H8ue 1869; H. SPlLLIll'O, Di. V~Tnugdali.Eig_' tmd SIdlUflg in der rrtilUlalIerlicAm V~iUraIur"" ",,,,End. du lB. JaArhU1llkrü, lIiincheD 1875 (MÜDCheDer Beiträge sur Medilvi8•tik und R~ce-Fonchun~., (14W}:. AssxAKN (HrBg_),G~ tmd Vim GorlucAalci, NeUIDonatet1979 (Quellen und Fonchungen sur Geachicb&e 8chJMWig-Hokteina. LXXJV).. (146) NTEDllU. (wie Anm. 62), pp. 46-83 •. (147) A. ST11IBBB, BeJrigeri_ inWim. Die Vor.,ellungm _ ZVJi¥~

_wnd und dN~~, Bonn 1957 (Tbeophaneia, Xl), pp.11-105, 201 ..

(148) NTEDIIU. (wie Anm. 62), pp. 136-U6.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION . 211

sehen Gerichtswaage gewogen wird, gute 'Verke zum Aus-gleich zur Verfügung stehen. Wer aber selber nicht hin-reichend gute Werke aufzuweisen hat, kann immer nocha.n.derebitten, für ihn gute Werke in die Waagschale zuwerfen oder auch Messen feiern zu lassen. Es ist darumangesichts des Todes entscheidend wichtig, Menschenum sich zu wissen, die fürbittend für einen eintreten UI.

Die eigene Vorsorge für das jenseitige Seelenheil, aberI

auch der Beistand anderer für die Ereignisse nach demTod sind folglich eine ganz erstrangige Christenpflicht.

&) Der Sterbebei8tand

Solche Vorstellungen bilden den Hintergrund für denSterbebeistand und die Totenliturgie, wie sie im frü-hen Mittelalter entstanden sind. Was hier im einzelnenZU tun war, sei anband einer Beschreibung erläutert,'~e im Werk des Theodulf von Orleans tt 823) über-liefert ist, aber wohl erst von Adhemar von Ohabennes(t 1Un 1030) herrührt uo.Ala erstes hat der Seelsorger am~nkenbett die Beichte abzunehmen; sofern der Kran-e bereits spreehunfähig ist, muss der Priester sich auf~.rund von glaubwürdigen Zeugen ein Bild über dessennltuation verschaffen, insbesondere über eine eventuelle~rtschur bzw. Einkleidung zum Mönch. Kraft seinerd tsgewalt hat der Priester dann Bürgen, die sich für~n. Kranken zur Verfügung stellen, mit der Busse zuf ..legen, die diese dann auszuführen haben. Die Busseur den Toten kann von Freunden sogar noch nach des-lien. Tod. übernommen werden, wenn ihre Liebe dazu be-

(148) N(lao 1'an~ (wie Anm. 1I!l. pp. ""US.

2'1.08,,) 1'nonuu .0. OIlL&£ll. Co~ ill P.L .• 105. pp. t07.!!4. pp.I4ed~.CI BaolDB. (wieAnm.·IOt'. p. to .. ; H. B. Po~ Tu"'I'"~ CAe _', -icI4l. ... I: SI. TModwll 0/ 0ri«aIu. iD Tu J__ 0/

8ht4~. X. 185t. pp. Ü-U.

212 ARNOLD ANGENENDT

reit ist. Dann soll der Kranke, sofern sein Zustand es nocherlaubt, gewaschen, weiss angezogen und in die Kirchegetragen werden. Dort muss man ihn auf eine Bussmatte(cillcium) legen, dieüber Asche ausgebreitet ist, wie auchihm selbst Asche auf Haupt und Brust gestreut wird.Nach den Busspsalmen und der (Heiligen-) Litanei folgtdie Ölung mit insgesamt zwölfkreuzförmigen Salbungen.Man beginnt auf dem Rücken mit einem grossen Kreuzbis hinauf zum Nacken und quer über die Schulterblätter;dann ein Kreuz im Nacken, ein weiteres oben auf dem.Kopf, durchgezogen bis zur Stirn und von Ohr zu Ohr;bekreuzigt werden ferner die Gesichtssinne, die Augen,die Nase, die Lippen, die Ohren und endlich noch die Brustsowie die äusseren Handflächen und die Füsse .._'zusam-mengenommen fünfzehn kreuzförmige Salbungen, was we:'gen der angerufenen Dreifaltigkeit und der fünf Sinnedes Menschen auch ganz sinnvoll sei. Für alle gelte dieNotwendigkeit. einer solchen Salbung: für Priester undLaien, Männer und Frauen, jung und alt. Mit dem Va-terunser, dem Glaubensbekenntnis und einem Kreuzzei-chen sei die Seele noch einmal Gott anzubefehlen; dannerst dürften der «Frieden. und die Kommunion verabreichtwerden.' Es ist ein komplizierter liturgischer Vorgang. Erstellteine Verkettung mehrerer ursprünglich selbständi.-ger Riten dar: der Krankenbu8se, der Krankensalbungund des Viaticum.

b) Busse

;DieBusse auf dem Sterbebett bildete ein altes Pro-blem U]. Der Sünder gehörte nämlich nicht mehr zur vol-

.(161) B. POSCJll(Alfl(. In. CIbertdllmdi«1. Ki~ im ,AtUtJ0"9 rJIIMmtlieMn ,AlUnv_. lIiiDchen 19%8 (lIiincbener Studien sur biat.orieCb~Theologie. VII). pp. 104-115.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 213

len Gemeinschaft der Kirche; er war von der euchari-stischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Erst nach demDurchstehen einer meist längeren Busszeit konnte erwieder zur Kommunion zugelassen werden. Dieses Ver-fahren der Busse und der Wiederaufnahme galt in deralten Kirche bekanntlich als nur einmaliges, nicht wieder-holbares Zugeständnis. Die auferlegten Busszeiten, weiloft v(;mbeträchtlicher Länge, stellten aber die Seelsor-ger immer wieder vor die Frage, wie mit Sterhenden zuverfahren sei, die ihre Busszeit noch nicht abgeleistetha.tten~. Nun ist gerade im Frühmittelalter die Kirchen-busse in grundlegender \Veise verändert worden. Die iri-schen Peregrini auf dem Kontinent propagierten die oft-Inalige Busse, verlangten dabei aber, dass jedes Verge-hen mit einem exakt abgemessenen .Äquivalent abzubüs-sen sei us. Hatte man in der alten Kirche das Angebotder nur einmaligen Busse in der Regel his zum Sterbenaufgeschoben, so bildeten jetzt Beichte und Lossprechungauf dem Sterbebett nurmehr den letzten Akt in einerl~gen Reihe bereits voraufgegangener Sündenbekennt-Disse sa.mt Bussübungen und stellten insofern etwas Nor-~ales dar. Während jedoch das Altgelasianum noch inelllem Messformular solche Bü.sser,denen der Tod in der~O~tändigen Abbüssung zuvorgekommen war, der Barm-~~gkeit Gottes anempfiehlt ...., verfahrt demgegenübere neue Buaspraxis ganz unerbittlich: Die vollständige

214 ARNOLD ANGENENDT

Ableistung ist unerlässlich; denn was auf Erden Dichtabgebüsst wird, muss im Jenseits abgegolten werden. Wieaber sollte ein Sterbender noch Busswerke verrichten !Oft kann man nun feststellen; dass die Angehörigen,ganz in Entsprechung zur gemeinüblichen Kollektivhaf-tung der Familie im Frühmittelalter, die Bussleistung .übernehmen müssen. So haben wir denn auch bei demeingangs zitierten Sterberitual gehört, dass anstelle desSterbenden Bürgen für die Ableistung der-noch ausste-henden Busse herangezogen werden. Was der Sterbendeversäumt hat, müssen andere jetzt nachholen: durch Be-ten, Fasten, Almosengeben Und Opferspenden für einemöglichst häufige 1t:[essfeier.Eine in Mainz 847 unter Rha-banus Maurus abgehaltene Synode bestimmte, dass einemSterbenden' das Busspensum zwar nicht mehr verbind-lich aufzuerlegen, wohl aber noch mitzuteilen sei. Dochwird die Busse deswegen nicht einfach erlassen; hilfs-bereite Freunde sollen mittels Gebet und Almosen dieverbliebene Last erleichtern. Im Falle der Genesung muSSselbstverständlichder Absolvierte selber seine BU88Schulder ledigen 155•

So hat auch die' Sterbebusse mit dazu beigetragen,die Liturgie zu vervielfältigen, insbesondere die Messfei-ern 'zu vermehren. Im Sacramentarlum RhenaugieDS6findet sich unter den Messformularen für Tote eine Um-rechnungstabelle, wieviel an Bussfasten und BussPsal-

/ .men jeweils mit Hilfe einer Geldspende durch Messfel-ern ersetzt werden konnte 151.

(155) Ooncilium MogunIinum CI. 147. e, 28, in M.G.H •• CapitulMi4 ~/raflCO<fUm. n, p. 182, L 18.

(156) BacrornmtIJrium m-o._ 1IU (wie Anm. 41). p. 281; M. j.Jf.J)RI1IlU, Beg'_'" cl'Angilra ...... tU Mdz (716.111) lizonllu Aorwroiru tü f"".quu Jonctione lilurgiquu, in R_ du ~ Rel~ X (1930), pp. 349-~~ .--_

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 215

c) K ranken8albung

Im Jakobus-Brief (5.14-16) wird angeraten. dass eiD.Erkrankter die Presbyter herbeirufen solle; diese möch-ten über ihn beten und ihn im Namen des Herrn mit

. Öl salben; das Gebet des Glaubens werde den Krankenretten. und wenn er Sünden begangen habe. so würden.sie ihm dadurch vergeben, Diese· recht klar gehalteneAnweisung hat aber. anders als man erwarten möchte.nicht sofort einen Ritus der Krankensalbung entstehenlassen; jedenfalls fällt auf. dass aus der alten Zeit «kei-nerlei Anzeichen einer kirchlich-rechtlichen' Regelungerhalten sind. U7. Wohl gibt es mancherlei geistlichelIiIren für die Kranken. darunter auch die Salbung niitgeweihtem Öl. Dieses hat der Bischof zu konsekrieren.steht dann aber - wie Papst Innozenz I.158 und ihmfolgend noch Beda u, betonen - auch Laien zur freienVerfügung und kann von ihnen in Krankheitsfällen ange-lVendet werden.

Die karolingische Liturgiereform hat dann der Kran-kensalbung einen festgefügten Ritus gegeben. In denIrapitularien Karls des Grossen wird den Priestem gleichtnehrmals die Pflicht der Krankensalbung eingeschärft;

216 ARNOLD ANGENENDT

diese solle freilich nicht mit dem heiligen Chrisma, son-demnur mit dem reinigenden Katechumenen-Öl voll-'zogen werden 160. Die Spendung wurde zudem als aus-sohliesslieh priesterliche Tätigkeit deklariert; man befürch-tete, dass die Laien' das geweihte Öl in abergläubischerWeise missbrauchen könnten 1st. Alsbald wird auch einmit genauen Anweisungen versehener Ritus greifbar, etwa.in dem zitierten Text aus Theodulf von Orleans.

Die Erteilung der Krankensa.lbung ist im weiterenVerlauf des Mittelalters wie kaum eine andere Seelsorgs-aufgabean ein Entgelt geknüpft worden. Im hohen Mit-telalter pflegte der Klerus die bei der Spendung bereit-zustellenden Utensilien einzufordern, so das dem Kran-ken unterlegte Leinentuch. desgleichen die in grösserer-~ahl erforderlichen Kerzen und anderes mehr; zuletztwaren es Forderungen nach Geld oder nach einzelnenBesitzstücken wie dem besten Gewand oder einem StückVieh 182. Auch in der Krarikensalbung tritt also die Ten-denz hervor, einen ursprünglich nicht liturgischen Vor-gang zu ritualisieren und zu klerikalisieren.

, (160) Capitula a lIIJUnlotibtu ~ 21, in M.G.H., CopitulariG regv'"trancorum, I;p. 107, I. 24; Capitula «duituIko 1'1, in M.G.H., ibid., p. 179,1. 12; BwtukJ BoniJacii 29, in P.L. 89, p. 823 A. Tbeodulf von Orleans propa-glert die Krankenölung auch deswegen, um damit, Zauberpraktiken IIU =:terdrücken; De imtilulWtlc 104cali III 14, in P.L. 106, p. 261 B: Uode oparte'ut quando quia ioftrmatUJ\.noD adivinia et divinatricibua, quae uti que habita-tionea sunt daemonum, sed .,äb Ecclesia, ejusque sacerdotibus, et; unctionssanctificati olei, .JIibi remedium' ooq.JIOlum in corpore sed etiam in anilna ..Domino J~to postulee adfuturum. ' ., (161) Oapitula e canonibtu «UerpI4 1'1, in M.G.H., Copitularia, I, p. l:~'I., 23: Ut preabiteri Bub aigillo custodian, criama et; nulli aub praetextu mediCl'oa.e velmaleflcii donare praeaumanL ' .

(162) P. BBOWlC, Die ktzIe 01tmg ia d. obtmdldrtdüclw1aKircM de. Mi"'"alter8, in Zeit8c1wift ftW huA. TMolDgie. LV. 1931, pp. 615-661. pp. 6!1.63'~K. ~TeBEB, Com~ cmi-. 81erbtrA ia Mindolt.er. BernfFrankfurS 191(GelBi und Werk der Zeiten. XXXX\·ill). pp. 118-8-&.

DIE LITURGIE UND DIE ORGANISATION 217

e) . V ia.ticum

Einem Sterbenden den Herrenleib zu reichen, ist einealte Form kirchlicher Sterbehilfe, von deren Pflicht wirimmer wieder hören: Im Moment des Sterbens, beimAushauchen der Seele, sollte die Wegzehr gereicht we~-den. Vom sterbenden Ambrosius heisst es beispielsweise,dass er seinen Geist von sich gegeben und dabei das guteViaticum mit sich getragen habe la. Ursprünglich scheintInan sich dabei Christus als Seelengeleiter . vorgestelltZu haben. Ein ferner Nachklang dürfte in jenen demälteren römischen Bestand des Gelasianums beigefügtenTotengebeten zu finden sein, wo für den Verstorbenendie Bitte geäussert wird, dass er auf den Schulterndes guten Hirten zurückgebracht und so der. ewigenFreUden teilhaft werden möge. Dergute Hirt, der dem~erlorenen Schaf nachgeht und es auf seinen SchulternZurückträgt (Mt 18, 12ft"), erscheint hier als die biblischeDegründung für den Geleitdienst Christi 1... So wird esaUch verständlich, dass man direkt mit der eucharisti-.8ch~n Wegzehr auf der Zunge st-erben woll~ 115, weswe-gen es noch bis weit ins Mittelalter hinein Laien, fürgeWöhnlich den im Sterbehause anwesenden Angehöri-gen, Zugestanden worden ist, das Viaticum zu reichen 111.

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Wiewohl dasViaticum seit alters üblich gewesen ist..sind aus vorkarolingischer Zeit doch auch recht auffallendeLücken in dessen Bezeugung festzustellen. Im Werk desGregor von Tours' wird es beispielsweise nicht erwähnt; 187.

Seit der karolingischen Kirchenreform gehörte die Ster-'bekommunion jedoch zu den strengstens vorgeschrie-benen Seelsorgspflichten 168. Dabei erscheinen auch Bestim-mungen, die eine Aushändigung des Viaticum an Laienverbieten 169. Seit dem Hochmittelalter wurde die kon-sekrierte' Hostie, die zunächst oft noch ein Diakon hin-_ausgetragen hatte, sogar in einer theophorischen Pro-zession feierlich dem Kranken überbracht 170.

f) Bestattung

Die Quellen zur römischen Beerdigungsliturgie, wiesie uns aus dem Frühmittelalter überliefert sind, gebennur eine verhältnismässig kurze Beschreibung, welche die .einzelnen Stationen des liturgischen Ablaufs auiitihrt:Der Leichnam wird gewaschen, anschliessend neu bekIei';det, dann auf die Bahre gelegt und aus dem Hause zurKirche getragen, wo die Messe gefeiert wird; darauf fol-gen die Übertragung zum Friedhofund.die Beerdigung 171•

. (167) BRoWl: (wie Anm. 166)._ p. 2; P. BooLJoNt, lA dne tU 10 mort da'"lu pre1'fliMuhagiographiqloli_. in C. Surro (Hg.), lA ....,ifJlCfll tU 10 rrtD"au.Moym Age, Quebec 1979, pp. 183-210, p. 129 L

(168) CGpituIo G ~ proporiIG 11, in M.O.H., CGpitularitJ r~IrGncorum~ 107, L 21: Ut.~ -motea ... omnibus infirmia ante eS1' -tum vitae viatioum et communionem oorporis Christi miaerioorditer tribuant;Concilium AquiGgrG~ G. "If, e, 29, in M.O.H., Concilio, n, p. 712, I. 10.

(169) BBQ)un:B (wie Anm. 109), p. 85.. .• (170) SrOBER (wie Anm. 162). pp. 85-90' BBOWJI (wie Anm. 166), pP-a~ ,

.' (171) D~ SlC4JlD, lA liturvic de 10 _, .... rlgl;' Ioli,.. du origi_ b liJr~/orme carolingienne, lIiinaterfW, 1978 (Liturgiewiaeoechaf\liohe Quellen unciForschungen, LXIII). pp. 2.33.

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Besser als diese knappen Bemerkungen zeigen unsdie sogenannten Canones Theodori, was bei der. Beerdi-gung besonders zu beachten war. In der römischen Kir-che sei es Brauch; so heisst es in diesen Canones, die ver-storbenen Mönche und Asketen in die Kirche zu tragen,ihnen die Brust zu salben, dort die Messe für sie zu fei-ern und sie dann z~ beerdigen; ferner solle man am er-eten, dann am dritten, neunten und dreissigsten Tag dieMesse für den Verstorbenen feiern. Ganz anders dagegendie Bestimmungen für die Nicht-Mönche: Für einen • gu-ten Laien. darf nämlich die Messe erst am dritten odergar erst .am sechsten Tag gefeiert werden, jedenfallsnur nach einem. vorher abgeleisteten Fasten. Bei einemRüsser solle man sie am dreissigsten Tag feiern, allen-falls am siebenten; denn die Anverwandten hätten zu-\>or ein fünftägiges Fasten und zusätzlich noch Opferga-ben zu erbringen 171. Die Deutung des ganzen kann nichtZWeifelhaft sein: Die neue Busspraxls mit ihrer gensuenAufwägung der einzelnen Vergehen sehen wir hier aufdie Totenliturgie einwirken, und die Mesafeier ist in die-Ben BU88vorgang einbezogen. Das gerade im Sterbefalldrängende Problem der noch ausstehenden Bussableistungführt auch hier dazu, dass die von dem säumigen BÜ8Serhinterlassenen Lücken von den Angehörigen aufgefüllt~erden müssen. Sie haben das, was der Busse des Ver-storbenen noch fehlt, durch Fasten und durch Opferga-~n bei der Messfeier auszugleichen. All diese UmständeOllnten demgegenüber bei. Mönchen und Asketen ent-

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fallen, weil sie durch ihr Bussleben alle Schuld abgetra-gen hatten. Im Alltag des ländlichen Christentums aberwerden diese reinen Asketen gefehlt haben: In der Ster-beliturgie galten deswegen die verschärften Bestimmun-gen für die Büsser. Eine wohl kurz \vor 800 in Bayernabgehaltene Synode stellt -allen, die Messopfergaben dar-bringen, in Aussicht, dadurch eine «grosse Absolution. zuerhalten, sowohl für die Spender selbst als auch für derenAngehörige, -die Lebenden wie die Toten 173. Die Opfer-gaben und die Messfeiern für die Toten werden damit zurRegel. Karolingische Sakramentare enthalten darum nichtnur Messformulare für den Beerdigungstag, sondern re-gelmässig auch für den 3.,7. und 30. Tag 174. Wir stehenhier am Beginn der Seelenmessen, die im weiteren Ver-lauf des Mittelalters eine 80 grosse Bedeutung erlangthaben.

Dass diese Vorstellungen auch für das ländliche Chri-stentum gegolten haben, sei an einer Urkunde aus demJahre 772 aufgewiesen, die im Kloster Sankt Gallen über-'liefert ist und sich auf das Dorf Fischingen im BreisgaUbezieht. Die zwei Besitzer der Fischinger Kirche kaufenvon dem an ihrer Kirche tätigen Priester - er war offen-bar ein Freier - cLändereien, Weinberge, Hörige, Vieh,Mobiliar, Gebäude und alles, was er durch die Messfeiernund Gebete sich erworben hat. m. Wir sehen hier, dass

(173) COfICili"", BcrivfJOric ..... Cl. 4. in M.O.H •• COftCiliG. U. I. p. lit. L 18:.Ut. oblat.ioDe. au .. adferre U8WIl ad.um&ll& .&que pro .. ipU. e\ pro parentib~lieU vivia IleI1.Munctia, ofI'erre DOD Pi«eat; in-quo ~m 'oona&at. _. ~.marum .rdelioti. abeolutionem. BeMpiele in SGt'f'OOIICftIGr_ Gd4IiD"- (tri-Anm. 411).p. !48. L !3. '" (174)SacrolllMlori_ Ru-..p.....CCLXXIX (wieAmn. 4i) p. !S8 .. :_£·FnIll'ttD'l'. Alk1Iri.aicM T~ IIrttI w. Bcr:NIt""f _ J.,.,..,..glaub", und T~ fÜr AtIIäA, XiiDNrfW. III!S (LilW'li_~Uob_ Quellen UDd FoncbDDleD. XXlY). '

(171i) H.W~~. Ur~_A""8oAdaau.. I.IS83,P.8e,'"~&craa&Do&a801_. aancti 'Petri, qui en oonatnlet.a in -rill. q:U clioit.uJ' FiaI'lI'

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selbst auf dem Dorf eine Kirche gewinnbringend seinkonnte, sowohl für den Eigenkirchenherren wie auch fürden Priester.

g) Friedhof und Grab

Die Einstellung zum Toten - und damit indirekt auchzum Tod - zeigt sich endlich auch in der Anlage, derPlazierung sowie dem Aufbau des Grabes, ja überhauptin der ganzen Art und Pflege des Begräbnisortes. Das Grabstellt schon deswegen eine Besonderheit dar, weil hierder Tote, wie kaum irgendwo sonst, einen konkreten Ortin der Welt behält und dadurch für die Hinterbliebeneneine Kontaktmöglichkeit bietet. Die VerbundenheitJll..itihm mU88folglich gerade am Grab ihren Ausdruckfinden.. Für die Beerdigung ist es in der Spätantike von immer.

grö88erer Bedeutung geworden, den eigenen Bestattungs-ort in die Nähe eines Märtyrergrabes zu verlegen 171.

Die Voraussetzungen dafür waren durch eine geradezu~ische Reliquienverehrung geschaffen worden, in de-ren Auswirkung jede Kirche eigene Reliquien erhaltenhatte. Die vielfältigen Entwicklungslinien dieses Prozes-. ses können hier nur in den zum Verständnis notwendig-sten Zusammenhängen erläutert werden. Die Märtyrer,

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denen der Aufenthalt am Fusse des himmlischen Altareszugewiesen war (Ape 6,9), sollten auf Erden einen gleich-artig gestalteten Ort erhalten. Ambrosius formuliertein aller Kürze: Christus, der für alle gelitten hat, auf demAltar - die Märtyrer unter dem Altar 177. Und wie imHimmel, so musste es auch auf Erden sein. Die Gräberder christlichen Märtyrer verlangten darum nach einerÜberbauung mit Altar und Kirche .. So fordern auch ka-rolingische Reformbestimmungen bei einem ~[ärtyrer-grab ein Oratorium und kultische Verehrung 178. Kircheund Märtyrergrab unter dem Altar verschmolzen dabeizu' einer so untrennbaren Vorstellung, dass man sich baldan jedem Altar ein Grab wünschte und deshalb begann,trotz des antiken Verbotes von Beerdigungen innerhalbeiner Stadt, "Märtyrerleiber in bestehende innerstädtischeGemeindekirchen zu übertragen l7t. Im frühen Mittel-alter galt ein Altar ohne Reliquien als befremdliche Anor-malität 180.

Alle Jenseitshoffnung der Christen aber richtete sichdarauf, den Märtyrern einmal beigesellt zu werden. Denam himmlischen Altar Beheimateten wollte man nahe-kommen und stellte sich deswegen schon auf Erden inihre Nähe. Dies galt um so 'dringlicher, als die Fürbittean die Märtyrer gerade auch auf die kritische Situationnach dem eigenen Tod abzielte, auf den Beistand beider Reise zum Himmel sowie bei der Auferstehung und

(177) AIIBJIOSIUII, z"illolta :", in P.L .. HI, p. Ion B; B. KOTrDfO, DIIf'lrlJhd&rVtlicM R~imhlt u,.., dä. ~ ,. K~ KÖln.Opt ..den 1964 (AJobtiiu.gemelnaehaft dell I.aDcIee Nordrbein.W.tr.len (lir Geia--wiaenachafton, CXXIII), p. 13 .. , p. n.

(178) Dupl«i: legolüm .. «lidvffl 7, in M.GB .. CopitvIGriG. I, p. es, L 101Ut ubi OOrpora _torum requi_UD' aliud oratorium ~wr, ubi ~8eCrete poeain~ Ol'al'e.

~79) KÖTTnfo (wie Anm. 177), p. 10.. , pp. 15.:!",; IUnruLllAlfJ' (~ •• '3), pp. 25.31.

(180) HlullllLDlo (wie AIlm. 37), p. t!3.

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beim Gericht. Im Verein mit einem in seinem Heil nichtmehr gefährdeten Märtyrer schien grössere Sicherheit ge-geben für diese entscheidenden' Stadien des Übergangs.Weil man aber für das Jenseits so sehr nach der Näheder Märtyrer verlangte, glaubte man, im Diesseits be-reits eine Verbundenheit mit ihnen knüpfen zu Bollen,sowohl durch fromme Verehrung als auch .durch einGrab in ihrer Nähe 181.

Auch von diesen Vorstellungen her wird verständlich,Warum man in jeder Kirche ein heiliges Grab haben woll-~. Seit dem 7. Jahrhundert- gab es denn auch keineAltarweihe mehr ohne Reliquienübertragung IllS. Die arm-. seligste HoIz- oder Feldsteinkirche, sofern sie ihren Altar~atte, besass fortan ein heiliges Grab, freilich nicht miteinem vollständigen Leichnam, sondern mit nur win-zigen Partikeln, die aber genügten, eine Verbindung mitdem Patron im Himmel herzustellen. Im Karolingerreich .erreichte die Verkirchlichung ~ine Intensität und Dichte,'dass auch das flache Land mit Kirchen überzogen wurdellS•Das aber hatte zur Folge, dass nun auch für jeden der~unsch nach einer Beerdigung in der Nähe eines Heili-gen erfüllt werden konnte, ja inzwischen kirchlicherseitsaUch kategorisch gefordert wurde IN. Für eben diese Zeithaben die Archäologen beobachtet, dass man bestehen-de Friedhöfe entweder aufgab und die Beatattungen an

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die' Kirche verlegte, oder aber eine Kirche mitten aufdem alten Gräberfeld errichtete. 'Vo die Pfostenlöchereiner Holzkirche oder die Fundamentgruben eines Stein-baues ältere Gräber zerstören, da. spricht alle Wahrschein-lichkeit dafür, dass der Bestattungsort, gelegentlich so-gar von heidnischer Zeit an, kontinuierlich weiter be-nutzt worden ist, nicht selten sogar bis zur Gegen-wart 185.

Ergebnis:

, Die Liturgie ist durch das ganze Frühmittelalter, alsogenau in der Periode der Christianisierung des Landes:eine stetig wachsende Grösse gewesen. Dieses Wachstumzeigt deutliche Tendenzen zur Ritualisierung und Kleri-kalisierung, und mit genau diesen ihren typisch frühmit-telalterlichen Eigenarten hat die Liturgie stärkstens aufden Prozess der Christianisierung des Landes eingewirkt.Die Liturgie konnte nur an einem geweihten Ort geschehen:für die Taufe war ein Brunnen mit geheiligtem Wasser not-wendig, für die Messfeier konsekriertes heiliges Gerät so-wie ein konsekrierter Altar mit einem Reliquiengrab, wo-bei letzteres auch noch den Bezugspunkt für die Totenbildete, die in und um die Kirche beerdigt wurden. DieMesse konnte nur von einem Priester gefeiert werden;in dessen Zuständigkeit aber fielen bald auch Aufgaben,die ,früher von Laien oder Diakonen hatten ausgeführtwerden können. Zur/Betreuung der Christen auf demLande waren deswegen das Kirchengebäude und die stän-dige Anwesenheit einesPriesters vonnöten. Vom gesamten

(185) K. BÖRNER,Das Grab eineafränkiachen Herren Qua Marken im Rhein·'land, Köln-Graz 1959 (Kunst und Altertum am Rhein, IV), pp. 30-40; DERs.,Die fränkiachen AltertUmer dea Trierer Landes I, Berlin 1958 (Germanische Denk·mäler der Völkerwanderungszeit B, I), pp. 258.281.

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Klerus aber wurde verlangt, dass er « rein & lebe, weswe-gen eine quasimönchische Askese und zu deren Sicher-steIlung ein gemeinschaftliches Leben gefordert wurden.Diese von der Liturgie herrührenden Erfordernisse habendie typische Erscheinungsweise der mittelalterlichen Land-pfarrei begründet: Kirche mit Friedhof und Pfarrhaus.Dass es die besondere Art der frühmittelalterliche~ Li-turgie war, welche das Weichbild des mittelalterlichenDorfes geschaffen hat, kann man sich am besten im Ver-gleich mit den neutestamentlichen Liturgie-Vorstellun-gen veranschaulichen. Im Neuen Testament werden ge-rade nur erste Ansätze zu einem Ritus für die Taufe undfür die Eucharistie sichtbar. Allgemein verbreitete Kult-vorstellungen sind von der ersten Christengenerationabgelehnt worden. Weder für die Taufe noch für die Eu-charistie war ein geheiligter Ort notwendig; man konnteGott überall verehren, denn man betete im Geist und inder Wahrheit und nicht an einem heiligen Ort. Es istt auffallend, dass der Kuli und zumal das Bild des Prie-sters in den Sprüchen J esu keine Verwendung findet & 186.

Der Ausdruck LEpEu.;-Priesterwird überhaupt vermie-den. Nach der Didache vom Beginn des zweiten Jahrhun-derts konnten neben den Bischöfen UIId Diakonen auchcharismatisch erweckte Wanderapostel und Prophetenden Dienst in den Gemeinden erfüllen, die Eucharistieeingeschlossen. Für das eucharistische Trinkgefäss wähl-te man bewusst eine alltägliche, nichtsakrale Bezeich-nung ': 7toTIJpLov-Becher,Trinkgefäss 187. Wäre diesesakultische Verhalten der frühen Christen weiterhin inGeltung geblieben, so wäre die friihmittelalterliche Chri-stianisierung des Landes gewiss anders verlaufen.' Aber

(186) G. SCHRENK, tE;pEtJ~. in Th. W.NT. m. pp. 257-265, 263•.1187). L. GOPPELT, r.o't-i);aov. in s». W. NT. VI. pp. 148-158.

15

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das frühe Mittelalter war nach Ernst Kantorowicz « anage of liturgifying » 188 und nach Etienne Delaruelle« une civilisation de la liturgie s 189.

(188) E. H. lUNTOROWICZ. Laudes regiae. A Study oJ Liturgical Acclama.lions, Berkeley/Los Angeles 1958 (University of California Publications inHistory, XXXIII), p. 60.

(189) E. DELARUELLE, La Gaule chrilienne ii l'epoque Eranqu«, n. L'ipo.que carolingienne, in Revue d'histoire de l'Eglise de France, xxxvm (1952),pp. 64.72, p. 71; A. VAUClIEZ, La spiritualite du Moyen Age occidental. VIIIe.XII6 sieclee, Vendöme 1975 (L'historien, section dirigäe par Roland Mousnier,XIX), pp. 1488.