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65 Swiss Bull. angew. Geol. Vol. 22/1, 2017 S. 65-69 Das Bauwerk als Rohstofflager David Hiltbrunner 1 1 Bundesamt für Umwelt BAFU, Bern david.hiltbrunner@bafu.admin.ch 1 Einleitung Das Thema Kreislaufwirtschaft hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewon- nen. Im Rahmen des Berichtes Massnahmen des Bundes für eine ressourcenschonende, zukunftsfähige Schweiz (BAFU, 2016) wurde die Schliessung von Stoffkreisläufen als Schwerpunkt festgelegt. Mit demselben Zweck schreibt die neue Abfallverordnung VVEA (SR 814.600) konkret eine Verwer- tungspflicht für Bauabfälle fest. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Mehrkosten, welche durch die Verwertung von Bauabfällen ent- stehen, durch den ökologischen Nutzen zu rechtfertigen sind. Vergleicht man beispiels- weise die Ökobilanzen von herkömmlichem Beton und Recyclingbeton, sind die Unter- schiede minimal. So werden die Umweltaus- wirkungen des Betons hauptsächlich durch den Zement bestimmt und der Zementanteil unterscheidet sich kaum zwischen Recy- cling- und herkömmlichem Beton (AHB 2016). Ein genereller Nutzen des Bauabfallre- cyclings für die Umwelt lässt sich somit aus den Ökobilanzdaten nicht ableiten. Darum sei die Frage erlaubt: Muss die Kreislaufwirt- schaft im Bereich der Bauabfälle überhaupt beschleunigt werden? 2 Das Bauwerk als Materiallager und Rohstofflieferant Im gesamten Gebäudepark und sämtlichen Infrastrukturbauten des Landes (Bauwerk Schweiz) sind rund 3000 Mio. Tonnen (t) Baumaterialien verbaut, jeweils rund die Hälfte im Hoch- und Tiefbau (Tab.1). Die überaus grösste Fraktion dieser Materialien ist mineralischen Ursprungs (Kies/Sand, Beton, Mauerwerk und Asphalt). Weiter führt die aktuell sehr hohe Bautätigkeit zu enormen Materialflüssen in das Bauwerk und aus dem Bauwerk heraus. Im Jahre 2014 betrug der Baumaterialbedarf der Schweiz rund 80 Mio. t und es fielen rund 70 Mio. t Aushubmaterial und 15 Mio. t Rückbaumate- rialien an (Fig. 1). Das Aushubmaterial wurde hauptsächlich zur Rekultivierung von Kiesgruben und ande- ren Abbaustellen verwendet, während rund 70% der Rückbaustoffe zu Recycling-Baustof- fen (RC-Baustoffen) aufbereitet (8.6 Mio. t) oder direkt auf der Baustelle verwertet wur- den (1.5 Mio. t). Der Rest (4.5 Mio. t) wurde auf Deponien abgelagert. Die Menge der nichtmineralischen Bauabfälle (Kunststoffe, Altholz, Metall etc.) ist im Vergleich zu den mineralischen Bauabfällen sehr gering und liegt bei weniger als 0.5 Mio. t (Tab. 2). Alle vorgenannten Zahlen beruhen auf Modellbe- rechnungen (siehe KAR-Modell, www.kar- modell.ch) und sind mit entsprechenden Unsicherheiten im Bereich von ca. ±10% behaftet. Im Bauwerk Schweiz sind somit enorme Materialmengen, mehrheitlich an zentraler Lage zwischengelagert. Gleichzeitig besteht durch die rege Bautätigkeit ein grosser Bau- materialbedarf, und es fallen grosse Mengen an hauptsächlich mineralischen Bauabfällen an. Wie aber können die unterschiedlichen Materialströme möglichst effizient miteinan- der gekoppelt werden?

Das Bauwerk als Rohstofflager David Hiltbrunner 1

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Swiss Bull. angew. Geol. Vol. 22/1, 2017 S. 65-69

Das Bauwerk als Rohstofflager David Hiltbrunner1

1 Bundesamt für Umwelt BAFU, [email protected]

1 Einleitung

Das Thema Kreislaufwirtschaft hat in denletzten Jahren stark an Bedeutung gewon-nen. Im Rahmen des Berichtes Massnahmendes Bundes für eine ressourcenschonende,zukunftsfähige Schweiz (BAFU, 2016) wurdedie Schliessung von Stoffkreisläufen alsSchwerpunkt festgelegt. Mit demselbenZweck schreibt die neue AbfallverordnungVVEA (SR 814.600) konkret eine Verwer-tungspflicht für Bauabfälle fest. Es stellt sichjedoch die Frage, ob die Mehrkosten, welchedurch die Verwertung von Bauabfällen ent-stehen, durch den ökologischen Nutzen zurechtfertigen sind. Vergleicht man beispiels-weise die Ökobilanzen von herkömmlichemBeton und Recyclingbeton, sind die Unter-schiede minimal. So werden die Umweltaus-wirkungen des Betons hauptsächlich durchden Zement bestimmt und der Zementanteilunterscheidet sich kaum zwischen Recy-cling- und herkömmlichem Beton (AHB2016). Ein genereller Nutzen des Bauabfallre-cyclings für die Umwelt lässt sich somit ausden Ökobilanzdaten nicht ableiten. Darumsei die Frage erlaubt: Muss die Kreislaufwirt-schaft im Bereich der Bauabfälle überhauptbeschleunigt werden?

2 Das Bauwerk als Materiallager und Rohstofflieferant

Im gesamten Gebäudepark und sämtlichenInfrastrukturbauten des Landes (BauwerkSchweiz) sind rund 3000 Mio. Tonnen (t)

Baumaterialien verbaut, jeweils rund dieHälfte im Hoch- und Tiefbau (Tab.1). Dieüberaus grösste Fraktion dieser Materialienist mineralischen Ursprungs (Kies/Sand,Beton, Mauerwerk und Asphalt). Weiterführt die aktuell sehr hohe Bautätigkeit zuenormen Materialflüssen in das Bauwerkund aus dem Bauwerk heraus. Im Jahre 2014betrug der Baumaterialbedarf der Schweizrund 80 Mio. t und es fielen rund 70 Mio. tAushubmaterial und 15 Mio. t Rückbaumate-rialien an (Fig. 1).

Das Aushubmaterial wurde hauptsächlichzur Rekultivierung von Kiesgruben und ande-ren Abbaustellen verwendet, während rund70% der Rückbaustoffe zu Recycling-Baustof-fen (RC-Baustoffen) aufbereitet (8.6 Mio. t)oder direkt auf der Baustelle verwertet wur-den (1.5 Mio. t). Der Rest (4.5 Mio. t) wurdeauf Deponien abgelagert. Die Menge dernichtmineralischen Bauabfälle (Kunststoffe,Altholz, Metall etc.) ist im Vergleich zu denmineralischen Bauabfällen sehr gering undliegt bei weniger als 0.5 Mio. t (Tab. 2). Allevorgenannten Zahlen beruhen auf Modellbe-rechnungen (siehe KAR-Modell, www.kar-modell.ch) und sind mit entsprechendenUnsicherheiten im Bereich von ca. ±10%behaftet.Im Bauwerk Schweiz sind somit enormeMaterialmengen, mehrheitlich an zentralerLage zwischengelagert. Gleichzeitig bestehtdurch die rege Bautätigkeit ein grosser Bau-materialbedarf, und es fallen grosse Mengenan hauptsächlich mineralischen Bauabfällenan. Wie aber können die unterschiedlichenMaterialströme möglichst effizient miteinan-der gekoppelt werden?

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Fig. 1: Materialflüsse in der Schweizer Bauwirtschaft 2014 (m3 fest); Quelle: www.kar-modell.ch.

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Tab. 1: Verbautes Material im Bauwerk Schweiz(Hoch- und Tiefbau) 2014.

Tab. 2: Anfall Rückbaumaterial 2014.

Fig. 2: Mischabbruch aus Gebäuderückbau (Foto:D. Hiltbrunner).

Fig. 3: Betonabbruch mit leichter Armierung (Foto:D. Hiltbrunner).

3 Verwertung von Bauabfällen heute

Der aktuell sehr hohe Baumaterialbedarfführt generell zu einem zufriedenstellendenAbsatz von RC-Baustoffen, wobei diese vor-nehmlich in Anwendungen mit untergeord-neten technischen Anforderungen wie Koffe-rungen, Magerbeton etc. verbaut werden.Der gesamte Baustoffbedarf von 80 Mio.Tonnen wird aktuell jedoch nur zu 10%durch RC-Baustoffe gedeckt (Tab. 3). Auchbei einer vollständigen Verwertung des Rük-kbaumaterials könnten RC-Baustoffe nurrund 20% des aktuellen Bedarfs decken; aufden Einsatz von Primärmaterial kann daherheute nicht verzichtet werden. Weiter gibt eszwischen den verschiedenen RC-Baustoffenund Regionen erhebliche Unterschiede inder Nachfrage. Mischabbruch (Fig. 2) wirdbeispielsweise in einigen Kantonen nichtaufbereitet, sondern vornehmlich depo-niert. Betonabbruch dagegen (Fig. 3) wirdvielerorts fast vollständig verwertet, daBetongranulat aufgrund seiner technischenEigenschaften besser verkauft werden kannals Mischabbruchgranulat. Generell kann

man aber festhalten, dass der Absatz vonRC-Baustoffen aktuell durch die hohe Nach-frage nach Baustoffen begünstigt wird.

4 Zukünftige Szenarien bei der Verwertung von Bauabfällen

Das Referenzszenario zur Bevölkerungsent-wicklung (BfS 2015) zeigt, dass die Bevölke-rung zukünftig langsamer wachsen wird. Die-se Verlangsamung wird einen direkten Ein-fluss auf die Anzahl der Neubauten haben.Modellrechnungen zeigen, dass die Neubau-raten künftig vermutlich sinken werden, waseinen rückläufigen Baumaterialbedarf zurFolge hat. Da das Bauwerk jedoch weiterhinwächst – nur weniger schnell – nimmt die

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Menge des Rückbaumaterials aus demUnterhalt (Umbau, Rückbau, Sanierung)künftig zu. Man kann somit davon ausgehen,dass in Zukunft weniger Baumaterial ver-baut wird und gleichzeitig mehr Rückbauma-terial anfällt (Tab. 3). Auch wenn Zukunfts-szenarien mit erheblichen Unsicherheitenverbunden sind und es daher schwierig ist,quantitative Aussagen zu machen, zeichnetsich mittelfristig eine zunehmende Konkur-renzsituation zwischen Primär- und RC-Bau-stoffen ab.

5 Herausforderungen für die Zukunft

Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten,wie die steigenden Mengen an Rückbauma-terialien bewältigt werden können und zwarvia Verwertung (Recycling) oder Ablagerung(Deponierung).

Die Errichtung von neuen Deponien stelltschon heute Kantone und Betreiber vorimmer grössere Probleme. Deponien müs-sen umfangreiche Standortanforderungenerfüllen und können nicht überall errichtetwerden. Es gibt zudem Konflikte mit anderenpotenziellen Nutzern oder mit dem Schutz-status des Standortes. Nicht zuletzt schei-tern viele Projekte am Widerstand derbetroffenen Anwohner. Die Konflikte sindsomit dieselben wie bei der Planung vonMaterialabbaustellen, nur haben Deponienein schlechteres Image, da hier Abfälle abge-lagert werden.

Sollen zukünftig Bauabfälle aber nicht mehrim grossen Stil deponiert werden, bleibt nurdie Möglichkeit, den Einsatz von RC-Baustof-fen markant zu erhöhen. Dies ist bei derUmsetzung jedoch mit zahlreichen Heraus-forderungen verbunden. Beispielsweisemüssen die Rückbaumaterialien mittels ver-besserter Verfahren (z.B. Nassaufbereitung)aufbereitet werden, um höhere Qualitätsan-forderungen zu erfüllen. Das Rückbaumate-rial sollte möglichst schadstoff- und stör-stofffrei sein, bevor es in die Aufbereitunggelangt. Und ganz grundsätzlich muss dasImage der RC-Baustoffe verbessert werden.

Trotz all dieser Herausforderungen gibt esauch positive Entwicklungen zu vermelden.So hat sich um die Stadt Zürich eine erfolg-reiche Industrie etabliert, welche die Aufbe-reitungsverfahren ständig weiterentwickeltund vorantreibt. Aber auch anderswo ent-decken immer mehr Unternehmen das wirt-schaftliche Potenzial des Bauabfallrecy-clings. Gerade die Vermeidung der Deponie-kosten durch die Verwertung der Bauabfällewird zunehmend als Chance wahrgenom-men. Auch die vermehrten Schwierigkeitenbei der Erteilung von Bewilligungen für denKiesabbau begünstigt das Recycling länger-fristig. Weiter haben sich immer mehr Kan-tone die Förderung von RC-Baustoffen zumZiel gesetzt. Dies hat vor allem im Tiefbau,wo die öffentliche Hand der wichtigste Bau-herr ist, eine erhebliche Wirkung. Und nichtzuletzt begünstigt die VVEA das Bauabfallre-cycling, indem darin neu eine Schadstoffer-

Tab. 3: Materialflüsse undEntsorgungswege (Mio. Ton-nen) in der Bauwirtschaftheute (2014) und in derZukunft (2035) basierend aufdem Referenzszenario zurBevölkerungsentwicklungdes BfS. Berechnung: www.kar-modell.ch.

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mittlungspflicht bei Bauvorhaben festge-schrieben ist.

6 Die Notwendigkeit einer Kreislaufwirtschaft im Bausektor

Bauabfälle fallen künftig in zunehmendenMengen vor allem in städtischen Gebietenan, wo wiederum eine hohe Nachfrage nachBaumaterialien besteht. In diesen starkbesiedelten Gebieten wird es immer schwie-riger, die Interessen von Schutz und Nutzungder Landschaft in Einklang zu bringen.Abbauprojekte für Primärrohstoffe und dieErrichtung von neuen Deponien stossen hierauf Widerstand und sind – wenn überhaupt –nur mit langen Vorlaufzeiten und grossemAufwand zu realisieren. Nur wenn es gelingt,die Interessen gezielt abzuwägen und dieanfallenden Rückbaumaterialien effizient zunutzen anstatt zu deponieren, können dieseKonflikte zumindest teilweise entschärftwerden. Der vermehrte Einsatz von RC-Bau-stoffen ist somit unabdingbar, jedoch sind inder Praxis noch viele Herausforderungen zumeistern!

Referenzen

Massnahmen des Bundes für eine ressourcen-schonende, zukunftsfähige Schweiz (BAFU,2016)

Verordnung über die Vermeidung und die Entsor-gung von Abfällen VVEA (SR 814.600) Ökobilanzausgewählter Betonsorten, Amt für Hochbau-ten Stadt Zürich, Fachstelle nachhaltiges Bau-en (2016)

Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung derSchweiz 2015 – 2045, Bundesamt für Statistik(2015)

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