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Von Norbert Wallet
„Das Schachspiel hat wie die Liebe, wieMusik die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen. Ich habe ein leichtes Gefühldes Bedauerns für jeden, der das Schachspiel nicht kennt, so wie ich jeden bedaure,der die Liebe nicht kennengelernt hat.“
Siegbert Tarrasch hat das gesagt – ein großer Meister an der Wende zum 20. Jahrhundert. Tarrasch konnte ein ziemlicher Rechthaber sein. Meistens hatte er tatsächlichrecht. Dass er auch mit seinem schönen Zitatvollkommen recht hat, wissen alle Schachspieler. Aber das ist das Problem. Wer einbisschen mehr als die ersten Grundregelndes Schachs kennt, der weiß um die Magiedieser Welt aus Logik und Leidenschaft; derist ein Eingeweihter. Aber wer das Spielnichtkennt,kannmitdessenLobpreisnichtsanfangen. Von außen gesehen ist es ebenauch nur eine Form von Klötzchenschieberei. Man muss also einfach selbst anfangen.Dieser Text soll eine Ermutigung sein.
Nur kommen die üblichen Anstiftungenzum Schachspielen immer so außerordentlich pompös daher. Was da alles bemühtwird: Schach – das Spiel der Könige undMächtigen, die ganze ehrwürdige Geschichte des Spiels und diese bombastische Zahlenmystik rund um das Spiel.
Es stimmt ja auch alles. Haken wir es kurzab. Zuerst die Macht. Ludwig XIV., der Sonnenkönig, liebte das Schach mit lebenden
Figuren. Peter der Große schnitzte selbstSpielsteine, Friedrich der Große philosophierte in seinem Briefwechsel mit Voltaireüber das Schachspiel, Katharina die Großewar eine passionierte und gute Spielerin,Napoleon ein passionierter und schlechterSchachspieler.
Dann das ehrwürdige Alter des Spiels, dasirgendwie insMenschheitsdunkelzurückzuführen scheint. Die Araber brachten es inschristlichmittelalterliche Abendland. Kennengelernt hatten sie es wohl bei der Eroberung Persiens im siebten Jahrhundert. Unddie Perser hatten es wohl von den Hindus inIndien gelernt.
Ehrfurchterweckend wie das Zahlengewaber rund ums Schach. Zum Beispiel: Esgibt 64 Felder und 32 Figuren. Klingt übersichtlich. Aber die möglichen Spielverläufesindbuchstäblichastronomisch.DerMathematiker G. H. Hardy hat die Zahl möglicherZugfolgen auf „10 hoch 10 hoch 50“ geschätzt – mehr als Atome im Weltall, das sindnämlich nur lächerliche 10 hoch 80. Undjetzt muss natürlich die Legende vom Weizenkorn kommen. Die geht so: Der Kalifbedankt sich bei einem Untertanen undfragt nach seinem Wunsch. Weil er so bescheiden klingt, wird er ihm gewährt – einWeizenkorn auf das erste Feld des Schachbretts, zwei auf das zweite, vier auf das dritte. Und so weiter, es sind ja nur 64 Felder.Nun ja, es sind am Ende18446744073709551615 Körner, mehr als
18 Trillionen. In Eisenbahnwaggons geladenwürde der Zug 14 500mal um die Erde reichen, haben Logistiker errechnet. So kannmanunverhofftvomSchachbrett insUnendliche fallen. Aber Hand aufs Herz! Dasklingt nicht wie eine Ermutigung. Zu edel,zu vornehm, zu groß für eine Freizeitbeschäftigung. Also schnell vergessen. Es gehtauch eine Nummer kleiner. Schachspielersind keine Genies, sondern normale Leute,also meistens ganz nett. Vielleicht ist IhrNachbar einer.
Vom Nachbarn im Fußballverein erwartetja auch niemand, ein Ribéry zu sein. Fast100 000 Menschen sind in Schachvereinenorganisiert, in rund 5000 Mannschaftenwird um Sieg und Remis gekämpft. In denVereinen spielen Menschen aller Altersgruppen, Männer und Frauen, Behinderte undnicht Behinderte – und ohne Sprachbarrieren. In diversen Internetplattformen tretenalltäglich Zehntausende Schachfans gegenGegner von irgendwo auf dem Globus an.Dazu braucht man keine Genialität, keinenzyklopädisches Wissen über Eröffnungsvarianten und Endspieltechniken. Dasbrauchen Spitzensportler. Die gibt es auch
im Schach. Aber an denen muss sich nichtorientieren, wer einfach nur den Spaß an derFreud sucht. Obwohl es auch Extremsportlerim Schach gibt. Wie den Günzburger MarkLang, der den Weltrekord im BlindSimultanSchach hält. Er spielte 2012 gegen46 Gegner gleichzeitig, ohne das Brett vorAugen zu haben. 22 Stunden hat das gedauert – 1044 Züge hat er dabei ausgeführt.„Zwei bis drei Monate“ veranschlagt Lang,bis alle Partien wieder im Kopf zerfallen, dasHirn wieder frei wird.
Aber damit kann man ja wohl nicht fürsSchach werben. Das Spiel ist weder fürMächtige noch für Gehirnakrobaten. Werbebotschaften muss man positiv formulieren. Hier kommt sie: Schach macht gesund,klugundsexy!!!Dassolltedochüberzeugen.Gut, alle Werbeslogans sind ein wenig überzogen. Aber in diesem Fall nur ein wenig.Punkt für Punkt lässt sich das zeigen.
Punkt eins: Gesundheit. Im „New England Journal of Medicine“ (2003) berichtetProfessor Joe Verghese von Versuchen amAlbert Einstein College New York, wonachSchach das Risiko einer Demenz um bis zu74 Prozent vermindern kann. Ähnliche Ergebnisse brachten auch Untersuchungen amHospital Clinico in Valencia von der Neuropsychologin Isabel de la Fuente. Aber nichtnur das: Drei bis fünf Prozent aller Kinderweltweit leidenunterderAufmerksamkeitsstörung ADHS.
E Fortsetzung auf Seite V2
Schach macht gesund, klug und sexyEine Anstiftung zur Freude an einemGrenzen überschreitenden Brettspiel
Das Spiel kann das Risikoeiner Demenzerkrankungum bis zu 74 Prozent verringern
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Attraktive Preise
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Ersatzkrieg auf dem Brett
Auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegsgewinnt der Amerikaner Bobby Fischergegen den amtierenden russischen Weltmeister Boris Spasski. Es war das Matchdes Jahrhunderts. Ein politisches Duell.
Carlsen contra Anand
Foto:dpa
Er ist telegen, sehr selbstbewusst undstürmte meteorhaft an die Weltspitze imSchach: Magnus Carlsen (22) aus Norwegen tritt bei der Weltmeisterschaft gegenden Titelträger Viswanathan Anand (43)aus Indien an. Ein Medienereignis.
Foto:Bildagentur-on
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Das Spielder SpieleIn der kommendenWoche beginnt die Schach-WM zwischen dem indischenTitelträger Vishy Anand und demnorwegischen Herausforderer Magnus Carlsen.Anlass genug, den Geheimnissen des königlichen Spiels auf den Grund zu gehen.Wir stellen die Kontrahenten vor, blicken auf die größteWM aller Zeiten zurück,fragen nach demBezug von Schach und Kunst und ergründen dieMagie des Spiels.
V1Nummer 254 • Samstag, 2. November 2013Solo