Der Hinduismus

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  • 1. Brahmane

  • HELMUTH V. GLASENAPP

    DER HINDUISMUS

    RELIGION UND GESELLSCHAFTIM HEUTIGEN INDIEN

    .^

    MIT 43 ABBILDUNGENKURT WOLFF VERLAG MNCHEN

  • Copyright 1922 by Kurt Wolff Verlag A.-G. Mnchen.Druck des Textes von der Buchdruckerei G. Kreysing.Druck der Bilder von F. Bruckmann A.-G. Mnchen.

  • MEINEN ELTERN

    Zum Segen ist auf Erden der geboren,Dess' Tun wohlklingt in seines Vaters Ohren.Des Lebens Ziele werden dem gegeben,Dem seine Eltern lieb sind wie sein Leben.

    Tulslds.

  • VORWORT,,In Indien ist alles Religion." Diese Worte, die ein gelehrter

    Brahmano whrend meiner Bonner Studienzeit zu mir sagte, cha-rakterisieren kurz und klar die eigentmliche Stellung, die der Inderder Welt und berwelt gegenber einnimmt. Die Religion ist derLebensnerv des indischen Volkes, sie beherrscht in einem Mae,wie kaum in einem anderen Lande, das ganze Denken und regeltalles Handeln. Die vielverschlungenen Fden des Lebens sindfr den Hindu gleichsam die letzten sichtbaren Auslufer einerber und hinter ihm stehenden bersinnlichen Macht, die, ge^-heimnisvoU in die Welt der irdischen Erscheinungen hinein-

    ragend, sich in der natrlichen und sittlichen Weltordnungoffenbart.

    Die vollkommene Vorrangstellung der Religion im Geisteslebender Hindus ist schon frhzeitig von Abendlndern erkannt worden.

    Schon vor hundert Jahren schrieb der Abbe Dubois: Whrendder langen Jahre, die ich die Gebruche der Hindus studiert habe,mu ich feststellen, nie einen Gebrauch, und sei er auch noch sounbedeutend und einfach und, wie ich hinzufgen mu, selbst nochso unfltig und widerlich, gefunden zu haben, der sich nicht aufdieses oder jenes religise Prinzip grndete. Nichts bleibt dem Zu-fall berlassen: alles ist in Regeln festgelegt, und die Grundlagealler ihrer Sitten ist klar und einfach Religion. Aus diesem Grundehalten die Hindus alle ihre Sitten und Gebruche fr unverletzlich;denn, da sie ihrer tiefsten Gharakteranlage nach religis sind, be-\

    trachten sie diese als so heilig wie die Religion selbst." i)

    ^) J. A. Dubois , Hindu Manners, Customs and Ceremonies", S. 31.

    IX

  • Obwohl seit jener Zeit die wissenschaftliche Erforschung derReligionen Indiens groe Fortschritte gemacht hat und das Inter-esse an ihnen in weiten Kreisen rege ist, begegnet man doch vielfachirrigen Vorstellungen. Dies hat zweifellos seinen Grund darin, daes in deutscher Sprache wohl eine Reihe vortrefflicher Bcher gibt,welche die Religionen der indischen Vergangenheit, denVedismus und Buddhismus, behandeln, da es aber fast gnz-lich an Werken fehlt, die sich mit den lebenden GlaubensformenIndiens beschftigen. Um diesem Mangel abzuhelfen, erschien esgeboten, endlich einmal dasjenige religis-soziale System zusam-menfassend darzustellen, welches seiner geistigen Bedeutung undder Zahl seiner Bekenner nach heutzutage in Indien an erster

    Stelle steht den Hinduismus.

    In dem vorliegenden Buche soll der Versuch unternommen wer-den, einem greren Leserkreise ein zwar nicht erschpfendes, aber

    doch in den Grundlinien vollstndiges Bild von den religisen undsozialen Anschauungen, Einrichtungen und Gebruchen der Hinduszu geben und auf diese W^eise zu einem tieferen Eindringen indieses weite Gebiet anzuregen.

    Bei meiner Arbeit hatte ich mich mehrfacher Untersttzung zuerfreuen, deren ich auch an dieser Stelle gedenken mchte. Mei-nem Vater verdanke ich die poetische Wiedergabe der meistender ohne Namensangabe eines bersetzers mitgeteilten Verse (vergl.im Index unter Verse"). Die Herren Geheimrat Grnwedel,Geheimrat Jacobi, Konsul Neuen hofer unterzogen einzelneTeile des Manuskripts einer Durchsicht, Herr Professor R. Simonlas eine Korrektur, alle untersttzten mich mit wertvollen Rat-schlgen. Die Herren Franz Koenigs, Helmuth v. Krauseund G. G. Krohs gestatteten mir die Reproduktion von in ihremBesitz befindlichen Handmalereien; vor allem aber schulde ich der

    Verwaltung des Preuischen Museums fr Vlker-kunde Dank fr die groe Bereitwilligkeit, mit der sie mir Bilderund andere Gegenstnde in reichem Mae fr photographischeAufnahmen zur Verfgung stellte. Schlielich sei auch dem Ver-

    X

  • lag und der Redaktion des Neuen Orient" mein Dank aus-gesprochen fr die Erlaubnis, einige meiner zuerst in den Spalten

    dieser Zeitschrift erschienenen Aufstze in zum Teil erweiterter

    und umgearbeiteter Form in vorliegendem Buche wieder verffent-lichen zu drfen.

    Berlin, am 2l\. Dezember 1921.

    Dr. Helmuth v. Glasenapp,Privatdozent der indischen Philologie an der Universitt.

    XI

  • INHALTSeite

    Vorwort IX

    Zur Aussprache der indischen Wrter XV

    I. DIE GRUNDLAGEN.1. Indien und die Inder i2. Das Wesen des Hinduismus 63. berblick ber die geschichthche Entwickelung des Hinduismus . 23

    IL DIE GEGENSTNDE DES RELIGISEN DENKENS.A. Das Unbelebte.

    1. Die unbelebte Natur 392. Werke von Menschenhand 513. Heilige Worte, Zeichen und Symbole 53

    B. Die lebenden Wesen der Erde.1. Die Pflanzenwelt 622. Die Tierwelt 663. Die Menschenwelt 74

    C. Die Geister.1. Die Geister der Verstorbenen 832. Heroen und Heilige 883. Naturgeister und Dmonen 105

    D. Die Gtter.I. Die einzelnen Gottheiten 109

    a) Die Dorfgottheiten 109b) Die niederen Gtter des Veda 112c) Die Welthter 114d) Skanda imd Ganesha 116e) Die drei groen Gtter 117

    a) Brahma 117) Vishnu 119

    Y) Shiva 131f) Die Muttergttinnen und die Gtterfrauen 135

    XII

  • Seite

    2. Das Wesen der Gtter 148a) Das Verhltnis der Gtter zueinander 148b) Die Eigenschaften der Gtter und ihr Verhltnis zu anderen

    Wesenheiten 150

    E. Die berwindung des Polytheismus.1. Der Atheismus 1542. Der Monotheismus 1573. Der Akosmismus 169

    III. DIE RELIGISE LITERATUR.Vorbemerkung 176

    A. Die heilige Offenbarung.1. Die vier Sanhits des Veda 1782. Die Brhmanas und Upanishaden 1823. Die Bedeutung des Veda im geistigen Leben des heutigen Indien 187

    B. Die heilige berlieferung.1. Die Lehrbcher 1902. Das Mahabharata 1933. Das Rmyana 1974. Die Puranas 1985. Die Agamas und Tantras 201

    G. Die brige Literatur.1. Der religise Grundzug der weltlichen Literatur Indiens .... 2062. Gtterhymnen und mythologische Erzhlungen 2083. Dichtungen ethisch-didaktischen Inhalts 221

    IV. DIE WELT- UND LERENSANSGHAUUNG.A. Die naturphilosophischen Anschauungen.

    1. Das Weltbild 2272. Die Vorstellimgen von Leib und Seele 233

    B. Die ethischen Anschauungen.1. Das Gesetz der ewigen Vergeltimg 2392. Die drei Ziele des weltlichen Lebens 2533. Die Erlsung 262

    G. Die philosophischen Systeme.1. Geschichtlicher berblick 2722. Skeptiker und Materialisten 275

    XIII

  • Seite

    3. Die sechs orthodoxen Systeme 277a) Vaisheshika und Nyya 277b) Snkhya 284c) Yoga 289d) Mimnsa 300e) Vedanta 302

    4. Die indische Philosophie und das abendlndische Denken . . . . 311

    V. DAS SOZIALE LEBEN UND DER KULTUS.1. Das Kastenwesen 318

    2. Die Religion im tglichen Leben 3293. Tempel und Opfer 3394. Der Festkalender 351

    5. Priester und Ber 3576. Aberglaube und Zauberei 368

    VL DAS SEKTENWESEN.1. Die Stellung der Sekten innerhalb des Hinduismus 3782. Die Verehrer eines hchsten Gottes 384

    a) Die Vaishnavas 384b) Die Shaivas 390c) Die Shktas 395d) Die Brahmas, Sauras, Ganapatyas 398

    3. Die Smrtas 400

    4. Monotheistische bilderfeindliche Reformer 401

    VIL DER EINFLUSS DES ABENDLANDES.1. Die Einwirkungen des Westens 4062. Das Erwachen des neuen Geistes 4083. Soziale Reformbestrebungeji 4144. Die Nationalbewegung 418

    5. Die Neubelebung der Religiositt 432a) Der all-hinduistische Zusammenschlu ......... 432b) Die Verteidigung gegen das Christentum 435c) Die Sekten und ihre Propaganda 440d) Religise Neubildungen 443e) Der Vedanta und seine Mission im Osten und Westen . . . 455

    Schlu 463

    Literatur 465

    Zu den Bildern 477Index 485

    Zeittafel 505

    XIV

  • ZUR AUSSPRACHEDER INDISCHEN WRTER

    Die indischen Wrter werden im vorliegenden Buch im allge-meinen in der Schreibart gegben, die bei den Indern selbst blichist, wenn sie sich der lateinischen Schrift bedienen und die sichvon der wissenschaftlichen Transskription nur durch den Verzichtauf den Gebrauch diakritischer Zeichen unterscheidet. Es ist zusprechen: j etwa wie j" im englischen just", also wie ein wei-ches dsch"; c etwa wie ch" im englischen child", also wieein weiches tsch"; y etwa wie y" im englischen young", alsowie ein deutsches j"; v wie tnendes w"; sh wie deutsches seh";sh vertritt also die beiden indischen sch-Laute, das palatale s (q)wie in Shiva und das cerebrale s wie in Vishnu.

    s ist stets scharf zu sprechen, z wie weiches deutsches s".Die verschiedenen n-Laute des Indischen (n, n, n, n, m) sind

    durch n wiedergegeben; vor Gutturalen und Zischlauten sind siezu nasalieren.

    Das h in indischen kh, gh, ch, jh, th, dh, ph, bh ist als eindeutlich hrbarer Hauch zu sprechen (also kh" etwa wie imdeutschen Blockhaus" usw.).h in der Mitte von Worten (z. B. in Braihm") ist ein reiner

    Brustlaut, es darf daher weder als ein Dehnungs-Konsonant (wie imdeutschen Rahmen") unausgesprochen bleiben, noch, wie sich diesvielfach eingebrgert hat, als ein ch (wie im deutschen WorteDach") gesprochen werden. Die Schwierigkeit, das h vor Kon-sonanten hrbar zu machen, veranlat viele Inder dazu, es bei derAussprache hinter den folgenden Konsonanten zu setzen, indemsie z. B. Bramh" sprechen.

    Der sog. Visarga h ist ein schwaches h, bei welchem der vorher-gehende Vokal oder der letzte Teil eines vorhergehenden Diph-

    XV

  • thongs leise nachklingt, also agnih = agnihS gauh=gauh"(Bhler).

    Die Betonung regelt sich in Sanskritworten nach der Quantittder Vokale. Lange Vokale sind , i, , e, o, ai, au. Der Ton wirdso weit als mglich zurckgezogen, und zwar bis zur viertletztenSilbe, wenn die vor- und drittletzte Silbe kurz sind (dhitaram),bis zur drittletzten, wenn die vorletzte kurz ist (Varuna, Saras-vati); ist die vorletzte Silbe von Natur oder durch Position, d. h.durch folgende Doppelkonsonanz, lang, so trgt sie den Ton (Ku-bera, Govinda).

    Zusammenfassend lt sich feststellen, da man im allgemeinennie fehlgehen wird, wenn man die indischen Worte wie die la-teinischen betont und in ihnen die Konsonanten j, c, y, v, s, sh un-gefhr wie im Englischen, alle anderen Laute ungefhr wie imDeutschen ausspricht, doch mssen die Regeln ber h besonders be-achtet werden.Dem indischen Gebrauch entsprechend schreibe ich indische Wr-

    ter gewhnlich in derjenigen Sanskritform, in welcher sie in dieneuindischen Sprachen (vor allem die Hindi-Sprache) bergegangensind. Dort, wo die neuindischen Formen den sanskritischen nichtentsprechen, wurde die Sanskrit-Stammform gegeben. In einigenFllen wurde die bliche neuindische Form angewandt (z. B. Day-nand" statt Sanskrit Daynanda", Dev Samj" statt SanskritDeva Samja", Singh" (heute in Gurmukhi vielfach so geschrie-ben) statt Sanskrit Sinha *).

    Wrter, die deutsches Sprachgut geworden sind, wie z. B. Brah-mane (Sanskrit: Brahmana) wurden ohne Lngezeichen geschrie-ben; Ortsnamen, die sich bei uns in einer bestimmten Form ein-gebrgert haben, wie Benares (Varnasi, Banras), Kalkutta (Ka-likta) usw. erscheinen in dieser Gestalt, whrend hingegen sonstnach Mglichkeit die richtige indische Schreibung, wo sie zu er-mitteln war, beibehalten wurde, z. B. Panjb (nicht Punjab" oderPendschab"), Lakhnau (nicht Lucknow") usw.

  • 3o^

  • IDIE GRUNDLAGEN

    I. INDIEN UND DIE INDER

    INDIEN ist das Land der Lnder, ist das schnste Land von allen.Unser Rosengarten ist es, wir sind drin die Nachtigallen.

    Unser Herz bleibt in der Heimat, ob wir auch daraus vertrieben.Ihr sollt wissen, da wir weilen dort, wo unser Herz geblieben.O du heil'ger Strom der Ganga, magst du noch des Tags gedenken.Als mein Volk zu dir herabstieg, sich an deiner Flut zu trnken?Seht den Berg, den Himmelsnachbar, grten aller Bergesriesen;Unser Schild und uns're Wache, unser Hter sei gepriesen.Berg, in dessen grnem Sche spielen Tausende von Flssen,Berg, um dessen Schnheit alle Vlker uns beneiden mssen.Griechen, Rmer und gypter schwanden hin und muten weichen,Unser Name ist gebheben, uns'res Stammes Mal und Zeichen.Will Gott, da wir uns befehden, die wir eines Landes Kinder?Indien ist meine Heimat und wir alle, wir sind Inder!Ist es nicht ein Wunder, da v^r heut* noch leben, mu ich fragen.Da der Himmel uns so feindlich schon seit altersgrauen Tagen?

    IkbJ, wir haben keinen Freund auf Erden weit und breit;Einsam tragen wir im Innern unser tiefes Herzeleid.

    Diese Verse Mohammed Ikbls, eines der bedeutendsten zeit-genssischen Dichter Indiens, geben in kurzen und anschaulichenZgen ein Bild des wunderbaren Landes, das der Ganges durch-rauscht imd der Himalaya krnt, und des merkwrdigen Volkes,

    1 V. Glasenapp, Hinduismus I

  • das im Bewutsein seiner eigenen Gre die niederdrckende Ge-genwart mit Schwermut ertrgt und in der Erinnerung an eineglorreiche Vergangenheit eine bessere Zukunft ersehnt. Ikbl ent-stammt einer Hindu-Familie, die erst vor wenigen Generationenzum Islam bertrat und nahm whrend eines lngeren Aufent-haltes in Europal) die abendlndische Bildung in sich auf. Ervereinigt somit in sich gewissermaen die vielfachen in Indien vor-handenen, nebeneinander laufenden und sich durchkreuzenden re-ligisen, sozialen und kulturellen Elemente, die in der Vergangen-heit so oft gegeneinander gestritten haben. Die Zukunft Indiensaber wird davon abhngen, ob es gelingen wird, diese Elemente,wie der Dichter hofft, dauernd miteinander zu vershnen und zuverschmelzen und damit die Gesamtbevlkerung eines Kontinentszu gemeinsamem Fhlen und Wollen dauernd zu vereinigen.Denn in Wahrheit, Indien ist ein Kontinent. Umrahmt von ge-

    waltigen Bergen und Meeren ist es von jeher eine deutlich abge-grenzte geographische Einheit gewesen. Fast so gro wie Europamit Ausschlu des ehemaligen Russischen Reiches birgt es in sichdie grten geographischen und klimatischen Gegenstze: Gebirgemit ewigem Schnee und heie Ebenen, Felder von ppiger Frucht-barkeit, undurchdringliche Wlder und de Wsten.

    Gleich mannigfaltig wie die Gestaltung des Bodens ist das Leben,das hier gedeiht: die Pflanzen, die Tiere, die Menschen. Die drei-hundert Millionen Bewohner des weiten Landes d. h. also einFnftel der gesamten Menschheit weisen untereinander diegrten Verschiedenheiten auf. Im Nordwesten leben iranischeStmme wie die Afghanen und Balucen, ber den Durchschnittgroe Leute von heller Hautfarbe, mit breiten Schdeln, schwarzenHaaren, dunklen Augen, langen Nasen und reichlichem Bartwuchs.Im Himalaya-Gebiet und in Assam finden wir Mongolen, kleinezierliche Menschen mit gelblicher Hautfarbe und sprlicher Ge-sichtsbehaarung, mit hervorstehenden Backenknochen, eingesunke-nen Nasenwurzeln und schrggestellten Augenlidern. In Kashmir,im Panjb, in Rajputna, kurz im ganzen Norden wohnen vor-

    ^) Mohammed Ikbl hat in Heidelberg studiert, das er in einem schnenGedicht verherrlichte. (Dieses Lied ist bersetzt im Korrespondenz-blatt der Nachrichtenstelle fr den Orient*, II. Jahrgang, S. 118.)

  • wiegend hochgewachsene hellbraune Indo-Arier mit lnglicherSchdelform und schmaler Nase. Im Sden begegnen wir hingegenden kleineren dunkelbraunen Draviden mit langen Kpfen, breiten,flachen Nasen und gewellten Haaren. Neben diesen vier Haupt-typen unterscheidet man nach Risley noch drei Mischtypen: einenmongolo-dravidischen in Bengalen, einen ario-dravidischen in den

    Vereinigten Provinzen und einen anderen in Westindien, in Bom-bay und in den angrenzenden Gebieten, der als skytho-dravidischoder alpin bezeichnet wird. Alle diese verschiedenen Typen kommennur selten in vlliger Reinheit vor; berall finden wir bergngeund Vermischungen, die das durch die Einwanderung von Semiten,Hamiten, Europern u. a. so mannigfach gestaltete Bild, das dieBevlkerung Indiens in anthropologischer und ethnographischer Be-ziehung bietet, noch abwechslungsreicher machen.Wenn wir von den Bewohnern der Randlnder und von den Ein-

    wanderern absehen, sind es in erster Linie zwei Sprachstmme,welchen die Hauptmasse der indischen Bevlkerung angehrt: dieDraviden und die Indo-Arier.

    Die Draviden gehren zu denjenigen Menschenrassen, ber derenHerkunft bisher noch keine Einstimmigkeit unter den Gelehrtenerzielt worden ist. Whrend die einen sie der kaukasischen Rassezurechnen wollen und andere sie mit den Turaniern in Verbindungbringen, halten sie manche wieder fr eine selbstndige Menschen-gruppe. Die Draviden bewohnten in der Vorzeit den grten TeilIndiens; ob sie, wie manche annehmen, berhaupt die indische Ur-bevlkerung darstellen, oder ob diese nicht vielmehr in den halb-wilden Stmmen zu suchen ist, die noch heute in den Gebirgenund Wldern hausen, die Draviden selbst aber erst nach Indieneingewandert sind, steht dahin. Tatsache ist es jedenfalls, da siefrher einen greren Teil des indischen Kontinents bevlkertenals heutzutage, und da sie durch die arische Invasion weiter nachSden herabgedrngt wurden. Die etwa 63 Millionen Draviden zer-fallen in eine Reihe von Vlkern, welche verschiedene Sprachenreden. Die wichtigsten dieser Sprachen sind das Tamil (i8 MillionenSprecher), das Malaylam (7 Millionen), das Kanaresische (10^/2Millionen) und das Telugu (231/2 Millionen).

    Die Indo-Arier gehren der indogermanischen Sprachgruppe an.

  • zu welcher bekanntlich auch die Germanen, Kelten, Romanen, Sla-ven, Iranier usw. gerechnet werden. Die Sprache, von welcherdie Sprachen dieser indischen Vlker abgeleitet sind, ist das Sans-krit, das von den Ariern gesprochen wurde, welche Jahrtausendevor Beginn unserer Zeitrechnung aus Iran nach Nordwestindieneindrangen und dann kmpfend, kolonisierend und mit den bis-herigen Einwohnern sich vermischend, sich immer weiter nachSden ausbreiteten. Das Sanskrit, das schon frhzeitig gramma-tisch fixiert worden war, wurde auch spterhin bis zur Gegenwartals Literatur- und Gelehrtensprache beibehalten. Im Umgangwurden schon vor Buddha's Zeit dem Sanskrit nahestehende Mund-arten verwendet, die sogenannten Prkritdialekte, aus denen sichdann die modernen indo-arischen Sprachen entwickelt haben. Diesearischen Sprachen werden heutzutage von mehr als 280 MillionenMenschen geredet: die wichtigsten derselben sind: Panjabi (16 Mil-lionen), Rjasthani (i4 Millionen), Hindi im engeren Sinne (4oMillionen), Ost-Hindi (22 Millionen), Bihri (35 Millionen), Oriy(ig MilUonen), Bengali (48 Millionen), Gujarati (11 Millionen)und Marthi (20 Millionen). Es wre aber verfehlt, alle die Vlker,welche diese Sprachen reden, deshalb fr reine Arier zu halten.Die Arier haben sich vielmehr mit den anderen Vlkern Indiensin hohem Mae vermischt und vieles von ihnen angenommen, ihnenselbst aber ihre Sprache und Kultur aufgeprgt, so da also dersprachlichen Zugehrigkeit zum Ariertum nicht eine anthropolo-gische zu entsprechen braucht.

    Schon die hier gegebene kurze bersicht lt erkennen, wie man-nigfach die Bevlkerung Indiens ist und wie gro die Zahl derSprachen, die dort gebraucht werden. Rechnet man zu den hiergenannten noch die groe Menge der weniger verbreiteten, die wirhier bergangen haben, sowie die iranischen, mongolischen, tibeto-birmanischen, malayischen, kolarischen usw. Mundarten, die Ver-wendung finden, so kann man eine Vorstellung gewinnen von dengewaltigen Verschiedenheiten, die innerhalb des indischen Volkesvorhanden sind, und die sich dem Aufkommen eines einheitlichennationalen Gedankens, wie es die groen Geister der Gegenwartersehnen, hindernd in den Weg stellen.

    Ebenso mannigfach wde die Sprachen der indischen Vlker sind

  • auch ihre Sitten und ihr Denken. Die Vielgestaltigkeit des indischenGeisteslebens offenbart sich aufs deutlichste auch auf demjenigenGebiete, in welchem, wie Hegel sagt, alle mannigfachen Gebildeund weiteren Verschlingungen der menschlichen Verhltnisse, T-tigkeiten, Gensse alles, was Wert und Achtung fr den Men-schen hat, worin er sein Glck, seinen Ruhm, seinen Stolz sucht,seinen Mittelpunkt findet" in der Religion. Kein anderes Volkder Erde hat so verschiedenartige religise Anschauungen aus sichhervorgebracht und so viel fremde Glaubensformen in sich aufge-nommen, als die Inder. Das erklrt sich teilweise durch eine be-sondere metaphysische Veranlagung und durch die Vielseitigkeitder vlkischen Elemente, die hier zusammenkamen, wurde aberzweifellos in hohem Mae begnstigt durch die geographischenund klimatischen Verhltnisse. Die groe Freigebigkeit, mit wel-cher Mutter Natur den grten Teil Indiens ausgestattet hatte, er-mglichte OS hier dem Menschen, mit geringer Mhe des LeibesNahrung und Notdurft zu gewinnen, whrend die oft sehr starketropische Hitze ihn zu sorgloser Kontemplation einlud und die stn-dige Anschauung der unerschpflich reichen Natur seine Phantasieimmer aufs neue anregte. Mit Recht kann man Indien daher alsdas klassische Land der Religionswissenschaft bezeichnen und anihm als an einem unbertrefflichen Beispiel erkennen lernen, wieverschiedenartig und wie entwickelungsfhig die Gestalten sind,in denen das religise Denken der Menschheit nach Ausdruck ringt.

    Die Religionen Indiens zerfallen in zwei Gruppen: i. in die ein-heimischen Religionen, die auf indischem Boden entstanden und2. in die fremden Religionen, die aus dem Auslande eingefhrtwurden. Zur ersten Gruppe gehren die Religionen der primitivenNaturvlker, die noch heute in abgelegenen Gegenden in fast un-kultiviertem Zustande leben, ferner der Hinduismus, der Jainismusund der Buddhismus; zur zweiten Gruppe der Parsismus, das Ju-dentum, der Islam und das Christentum.Das numerische Verhltnis der Anhnger der verschiedenen Re-

    ligionen in Vorderindien (ohne Birma, die Andamanen und Ceylon)zueinander ergibt sich aus der folgenden Tafel, welcher die An-gaben des Census of India'* von 191 1 zugrunde gelegt wordensind.

  • Primitive 9589716Hindus (inkl. Sikhs) 220194004Jainas 1247687Buddhisten

    .M^??Parsis 99 796Juden 19954Mohammedaner 66221942Christen 3j565 556Andere 86985

    Mit seinen 220 Millionen Anhngern hat der Hinduismus unter denReligionen Indiens am meisten Bekenner, da ihm zwei Drittel allerInder zugehren. Die Hindus bilden in den meisten Teilen Indiensdie absolute Majoritt: in Madras machen sie 89 0/0, in den Ver-einigten Provinzen 85 0/0, in Bihr, Orissa, den Zentralprovinzen

    und Berr 82 0/0, in Bombay 70 0/0 und in Assam 54^/0 der Bevl-kerung aus.

    2. DAS WESEN DES HINDUISMUS

    Unter den groen Pveligionen der Erde steht der Hinduismus derZahl seiner Bekenner nach an vierter Stelle; nur das Christentum,der Buddhismus und der Islam scharen eine grere Menge vonAnhngern um sich als er. Trotz der Tatsache, da die Hindusetw^a ein Siebentel der Menschheit ausmachen, ist die Mehrzahl derGebildeten ber keine Religion so mangelhaft unterrichtet, w^ie ge-rade ber ihn. Dies liegt einmal daran, da er keine eigentlicheWeltreligion ist, sondern sein Wirkungsfeld (wenn ich von den in-dischen Niederlassungen in Ost-Asien, Ost- und Sd-Afrika, Ame-rika und Australien absehe) auf Indien beschrnkt, und hat sodannund vor allem seinen Gruind darin, da er sich von den genanntendrei Religionen und den meisten anderen in eigenartiger Weiseunterscheidet.

    Der Europer ist von Haus aus gewohnt, jede Religion ihremWesen nach durch ein paar kennzeichnende Schlagworte als mono-theistisch oder polytheistisch, Naturreligion oder Moralittsreligion,als weltbejahend oder weltverneinend, als national oder universa-

    6

  • listisch zu charakterisieren. Beim Hinduismus versagt jeder Ver-such einer derartigen Klassifizierung. Betrachtet man ihn auf seine

    Glaubenslehren hin, so erscheint er vielmehr als ein wstes Quod-libet widerspruchsvoller Ideen und Superstitionen''. Man kann vonihm in dieser Hinsicht nicht als von einer einheitlichen Religionreden, sondern mu geradezu von einer Enzyklopdie der gesamtenReligionskunde sprechen. Manche Hindus verehren Fetische, Him-melskrper, Pflanzen und Tiere, sie beten zu guten und bsen Gei-stern, zu Heroen und vergtterten Heiligen, sie haben ein Pantheon,das an Reichhaltigkeit kaum bertroffen werden kann, und andereverehren wieder nur einen geistigen Gott. Manche stellen sich Gotttheopanistisch^) als eins mit der Welt vor, und andere leugnenberhaupt das Dasein eines hchsten Weltenlenkers. Die einenbringen dem Gegenstande ihrer Verehrung blutige Schlachtopferdar, und andere scheuen sich, selbst Ungeziefer zu tten. Die einenergeben sich orgiastischer Wollust, und andere suchen durch ra-sende Askese ihre Sinne zu ertten. berblickt man die Vielgestal-tigkeit der Formen, in denen sich der Hinduismus uert, dann ist

    1) ,Der Pantheismus" vertritt die Anschauung: Das All ist Gott, d. h.es ist selber Trger und Objekt der Beziehung des religis-sthetischenGefhles. Das Gottsein ist hier eine Funktion der Welt. Die Weltselbst wird zum Absoluten gesteigert. Der denkbar uerste Gegensatzzum Pantheismus ist das, was man^ gewhnlich mit ihm gleichsetzt undverwechselt: der lTheopanismus ". t Hier heit es :i Gott ist das All. 1Das Allsein ist hier eine Funktion der Gottheit. Dasist der diametraleWiderspruch zu:, t)as All ist GottyXDie Gottheit ist das Reale, dieWelt nur ihre sekundre Funktion. Diese Anschauung hat, im schrfstenGegensatz zuni Pantheismus^ die Neigung, die Welt zu mindern undschlielich untergehen zu lassen, nmlich in der Gottheit. Darin gibtes verschiedene Grade. Die uerste Stufe dieses Theopanismus istdann Akosmismus. Auf dieser Stufe noch von Pantheismus zu reden,ist absurd, auf den frheren Stufen gedankenlos." In bereinstimmungmit diesen treffenden Bemerkungen R. Otto's (Vishnu-Nryana".Texte zur indischen Gottesmystik. I, (Jena 1917) S. 59f.) wurde indiesem Buche statt des gewhnlich gebrauchten, aber wie Otto gezeigthat, irrigen Ausdrucks Pantheismus" stets die Bezeichnung Theopanis-mus" angewandt, denn einen Pantheismus im Sinne der Stoiker oderGiordano Bruno's gibt es in Indien nicht, wohl aber einen Theopanismusvergleichbar dem der christlichen Mystiker, einen Theopanismus, dersich in der Lehre Shankara's bis zur vollstndigen Leugnung derRealitt der Welt, bis zum Akosmismus steigert.

  • es, als fnde man dort alle Stadien vereinigt, welche das religiseBewutsein der Menschheit durchlaufen hat, vom Animismus undDmonenkult der Wilden und den polytheistischen Naturreligionenbis zu den spiritualistisch-ethischen Offenbarungsreligionen mo-notheistischen und theopanistischen Geprges.Wenn die Hindus so verschiedene Glaubensvorstellungen hegen

    und so disparate ethische und kultische Ideale verfolgen, kann manda berhaupt von einem Hinduismus als solchem sprechen? Gibtes etwas, das alle diese widerspruchsvollen Ideen verbindet undihnen allen einen gemeinsamen Stempel aufdrckt? Das einigendeBand, das sie alle zu einem Ganzen zusammenschliet, ist nicht dergemeinsame Glaube an bestimmte Gtter oder das Frwahrhaltenbestimmter religiser Lehren, sondern ein Komplex von gewissenallgemein anerkannten sozial-ethischen Grundanschauungen.

    In der ganzen Welt offenbart sich dem Hindu ein ewdges Gesetz,der Dharma. Dieser Dharma manifestiert sich als Naturgesetz inden Eigenschaften, die einem Dinge oder einem Wesen eigentmlichsind, sofern es ein wirklicher Reprsentant seiner Gattung sein soll,

    z. B. im Abwrtsflieen des Wassers, im Milchgeben der Khe.Er manifestiert sich weiterhin aber auch als Sittengesetz, als dieNorm, die Summe der ethischen und rechtlichen Vorschriften, Ge-bote und Pflichten, denen ein Wesen nachkommen mu, um seinernatrlichen Bestimmung zu entsprechen. Der Dharma ist unend-lich; auf endliche Wesen kann er daher immer nur in begrenztemUmfange Anwendung finden. Die zahllosen Wesen, welche die Weltbevlkern, liegen dem Dharma in verschiedenem Mae ob. Der re-lativen Hhe der von ihnen zu erfllenden Verpflichtungen ent-spricht ein grerer oder geringerer Zustand sittlicher und rituellerReinheit. Auch die Menschen zerfallen fr den Hindu in eine groeZahl von Kategorien, die von Geburt einen mehr oder weniger um-fangreichen Teil des Dharma zu verwirklichen suchen und sich dem-entsprechend auf einer hheren oder geringeren Stufe der Rein-heit befinden. ber dreitausend solcher Menschenklassen werdenin Indien angenommen, die sogenannten Kasten, d. h. endogameGruppen von Personen, welche die gleiche traditionelle Beschfti-gung ausben und durch feste, vererbte Rechte, Pflichten und An-schauuungen zu einem Ganzen verbunden sind. Diese Kasten wer-

    8

  • den unter vier Stnde rubriziert, als Brahmanen oder Priester,Kshatriyas oder Krieger, Vaishyas oder Ackerbauer und Gewerbe-treibende und schlielich als Shdras, als die Plebejer, die den dreioberen Stnden gegenber als unrein und minderwertig gelten.Noch unter den Shdras stehen alle Menschen, die nicht den vondiesen noch zu erfllenden Reinheitsgesetzen folgen, also alle Nicht-Hindus, die Ureinwohner, die Mohammedaner, Christen usw. Diehchste Stellung auf dieser sozialen Stufenleiter nehmen die Brah-manen ein, da diese in physischer und ethischer Hinsicht sowieauch im Hinblick auf ihre Beschftigung, der Theorie nach ammeisten dem Reinheitsideal des Hindu entsprechen. Sie sind dieberufenen Behter des Gesetzes, weil sie mit den Quellen desDharma am besten vertraut sind. Die Kenntnis des gttlichen undmenschlichen Rechts schpfen sie aus den ewigen Offenbarungs-schriften, aus den Veden. Der Veda, eine groe Sammlung vonreligisen Schriften, die zu verschiedenen Zeiten, lange vor demBeginn unserer ra, entstanden sind, gilt allen Hindus als der un-fehlbare Schatz alles irdischen und berirdischen Wissens. Aufdieser Autoritt oder auf der theoretisch auf ihr fuenden Tradi-tion sollen letzten Endes alle die verschiedenen Anschauungen, Ge-setze und Riten beruhen, welche innerhalb der einzelnen Gesell-schaftsschichten in Kraft sind und von denen einige wie die Ver-ehrung bestimmter Gtter, der Glaube an die Seelenwanderung,das Feiern bestimmter Feste, das Ausfhren bestimmter Zeremo-nien, das Verbot, Rinder zu tten und ihr Fleisch zu essen, dieSitte, die Toten zu verbrennen, das Empfangen einer religisenInitiationsformel (Mantra) durch einen hinduistischen Lehrer(Guru) u. a. so allgemein sind, da in ihnen vielfach ein Charak-teristikum des Hinduismus erblickt wird.

    Ausschlaggebend fr die Zugehrigkeit zum Hindutum ist des-halb die Zugehrigkeit zu einer allgemein als Glied des Hinduismusanerkannten Kaste, die Erfllung der in dieser blichen religisen,rituellen, sittlichen und sozialen Pflichten, der Genu der von ihrgewhrten Rechte, die Anerkennung des Vorranges der Brahmanenals des privilegierten Priesterstandes und die berzeugung von derInfallibilitt des Veda als der heiligen Offenbarung.

    Jeder, der diesen Punkten, sei es auch nur theoretisch und uer-

  • lieh, entspricht, ist ein Hindu, mag er seinem Glauben nach einAnimist, Polytheist, Monotheist, Theopanist oder Atheist sein. Dadie Mitgliedschaft einer Kaste in der Regel nur durch die Geburt

    erlangt werden kann, kann man als Hindu nur geboren werden.Da die Zugehrigkeit zum Hinduismus in der Einhaltung bestimm-ter Vorschriften und im stillschweigenden Nichtbestreiten der Auto-ritt des Yeda und der Brahmanen besteht, ; ist ein Hindu nichtjemand, der glaubt, was die Hindus (oder die meisten von ihnen)glauben, sondern jemand, der tut, was die Hindus (oder die meistenvon ihnen) t\m.\

    Diese Umgrenzung der Zugehrigkeit zum Hinduismus ist nunaber keine feste, sondern eine flieende. Sie trifft wohl der Haupt-sache nach auf die meisten Hindus zu, lt sich aber nicht auf alleanwenden.

    Im Census Report von 191 1, Band X, S. 78 teilt J. T. Mrtenmit, da er bei der Untersuchung von 82 Hindukasten der Zentral-provinzen, deren individuelle Strke 1 0/0 der Gesamtbevlkerung

    bersteigt und die insgesamt 92 0/0 der Gesamtbevlkerung aus-machen, feststellte, da eine ganze Reihe von diesen Punkten aufsie nicht zutreffen. In seiner Berechnung finden sich die folgen-

    den Angaben:

    Angehrige von Kasten,

    a) welche die Suprematie der Brahmanen leugnen,28/401^2 Personen 190/0

    b) welche keinerlei Brahmanen als Priester beschftigen,Ao2 56i Personen

    c) welche das Mantra nicht von Brahmanen oder anderen all-gemein anerkannten Hindu-Gurus empfangen,

    6809716 Personen 43 0/0d) welche die groen Hindugtter nicht verehren,

    3300692 Personen 22 0/0e) welche die Autoritt des Veda nicht anerkennen,

    3 Ol 4 023 Personen 200/0f) welchen das Betreten von Hindutempeln nicht gestattet ist,

    8769338 Personen 2 5 0/0g) welche durch ihre Berhrung bei Mitgliedern der oberen Kasten

    10

  • (inkl. der besseren Shdras) rituelle Unreinheit verursachen,3060282 Personen 20 0/0

    h) welche Rindfleisch essen, 4888570 Personen 33 0/0i) welche ihre Toten begraben, 1649959 Personen

    Mgen die von Mrten mitgeteilten Zahlen korrekt sein odernicht in ihrer Gesamtheit beweisen sie allerdings, wie hoffnungs-los es ist, eine in allen Teilen befriedigende Definition des Hin-duismus zu finden. Einige Forscher haben deshalb den Vorschlaggemacht, man solle berhaupt auf jede Abgrenzung des BegriffesHinduismus verzichten, und jeden Inder, der nicht klar ersichtlicheiner allgemein als auerhalb der Hinduismus stehend geltendenReligionsgemeinschaft angehrt, als Hindu bezeichnen. So schriebSir Denzil Ibbetson: ,,Every native who was unable to define hiscreed, or described it by any other name than that of some re-cognised religion or of a sect of some such religion, was held to beand classed as a Hindu." i)

    Diese Abgrenzung des Begriffes Hinduismus ist ganz und garvon praktischen Rcksichten diktiert. Sie kam auf dieselbe Weisezustande, wie das Wort Hindu selbst. x\ls nmlich die Mohamme-daner in Nord-Indien eindrangen, bezeichneten sie die dortigen Be-wohner, die sich ja sehr wesentlich von ihnen unterschieden, ins-gesamt als ,,Hindus" und dehnten diesen Namen spterhin auchauf alle anderen Inder aus. Das Wort Hindu ist anscheinend kor-rumpiert aus dem Wort Sindhu, dem indischen Namen des FlussesIndus, von welchem schon die Griechen die Bezeichnung Inder"abgeleitet hatten. Mit der Zeit brgerte sich dieses Wort auch beiden Indern selbst eiui, so da sogar moderne Pandits versuchthaben, es durch knstliche Interpretationen als sanskritisch zu er-weisen und ihm eine religise Bedeutung zu geben. Diese Ablei-tungen (z. B. aus Ayendu", einem Namen der Gttin Durg, oderaus Hin" und du" Schmerz vertreibend) sind aber natrlich will-krliche Knsteleien.

    Die Hindus haben keine eigene Bezeichnung fr sich selbst be-sessen, weil sie einer solchen nicht bedurften. Sie kamen zu einemeigentlichen Bewutsein ihrer Eigenart erst zu der Zeit, als die

    1) Census 1881, Panjb, S. 101.

    II

  • Mohammedaner und spter die portugiesischen Christen ihnen mitFeuer und Schwert demonstrierten, da sie eine besondere Men-schengruppe fr sich bildeten. Bis dahin hatten die Inder, wie siees in der Theorie auch heute noch tun, sich selbst als die eigent-liche Vertretung der Menschheit betrachtet, und alle anderen Vl-ker, mit denen sie in Berhrung kamen, als Yavanas (Griechen),Hnas (Hunnen), Mlecchas (Barbaren) angesehen, die nur hinsicht-lich ihrer Reinheit und ihrer Gebruche, nicht aber essentiell vonihnen verschieden wren.Da ihre religisen Anschauungen nicht auf eine bestimmte histo-

    rische Persnlichkeit zurckgefhrt werden knnen, konnten dieHindus diese auch nicht so fest durch ein Glaubensbekenntnis um-grenzen wie die Christen und Mohammedaner. Die orthodoxenHindus bezeichnen ihre Religion vielmehr als den ,,SanatanaDharma", als das ewige Gesetz, das durch den Veda und die sichan ihn anschlieende heilige berlieferung bermittelt worden ist(Shruti-smriti-purndi-pratipditah Santanadharmah), ein Gesetz,das immer bestand und fr alle Menschen gilt, mag es auch vonden Shdras, von den Angehrigen noch tiefer stehender Kastenund von Barbaren nicht in seiner vollen Ausdehnung erfat wer-den. Dieser Dharma aber bezieht sich auf alle die verschiedenenKasten und Lebensstadien in gleicher Weise (daher Varnshrama-dharma); seine Charakteristika gibt der folgende Sanskritvers:

    pramnya-buddhir vedeshu, sdhananam anekt,upsynm aniyama etad dharmasya lakshanam."

    Das Kennzeichen des Dharma ist: die berzeugung, da der VedaAutoritt ist, die Vielheit der Heilsmittel und die unbeschrnkteMannigfaltigkeit der Objekte der Verehrung."!)

    Diese Definition ist so elastisch, da es letzten Endes ganz indas subjektive Belieben des Beurteilers gestellt wird, ob er jeman-den als Hindu rechnen will oder nicht, denn die Anerkennung desVeda als Autoritt hat in Wahrheit nur eine rein formale Bedeutung,weil die ganz berwiegende Mehrzahl aller Hindus den in schwie-rigem Sanskrit verfaten Veda nicht kennt, da er ihnen vllig un-verstndlich ist. Den wesentlichen Unterschied zwischen der indi-

    1) Census 1911, XVI, Baroda, S. 63.

  • sehen und der europischen Auffcissung von der Zugehrigkeit zumHinduismus zeigt deutHch der Inder Shridhar V. Ketkar, wenn erin seinem Essay on Hinduism*' S. 33 schreibt: Der Europer

    versteht unter einem Hindu einen Menschen, dem gew^isse An-schauungen und Gebruche eigen sind, die sich bei den Hindusfinden oder von ihnen gebilUgt werden. Hindus definieren einenHindu als einen Mann, der nicht vom Hinduismus abgefallen ist,d. h. der nicht Mitglied einer Gemeinschaft geworden, die nichtals eine hinduistische Gemeinschaft gilt . . . Die Unterscheidungzwischen einem Hindu und einem Nichthindu hat daher nur pro-visorische Geltung. Sie kann jederzeit wechseln. Der Hinduismuskann mglicherweise in Zukunft auch Christen, Mohammedanerund Buddhisten einschlieen. Der Hinduismus ist eine immerwechselnde Gemeinschaft, welche die Mglichkeit hat, sich auszu-dehnen und Rassen und Vlker ohne Rcksicht auf ihre religisenAnschauungen in sich aufzunehmen. Was fr Religionsgemeindener absorbieren wird, das hngt ganz und gar von denUmstnden ab.**

    Dieser eigentmlichen Auffassung vom Wesen des Hinduismusentspricht die charakteristische Art und Weise, in welcher er mis-sioniert. Man kann nicht Hindu werden, wie man Christ oder Mu-selman wird, d. h. durch einfachen bertritt und durch Annahmebestimmter Glaubenslehren. Deshalb ist es unrichtig, wenn euro-pische Schriftsteller von sich sagen, sie seien zum Hinduismusbergetreten, oder wenn erzhlt wird, Mrs. Annie Besant sei Hindugeworden. Hindu wird man nicht dadurch, da man bestimmtemetaphysische Anschauungen der Hindus teilt, sondern nur da-durch, da man als MitgUed einer als dem Hinduismus angehrigbetrachteten sozialen Gemeinschaft, also einer hinduistischen Kasteoder Sekte, anerkannt wird. Hindu ist man deshalb nur entwedervon Geburt, oder dadurch, da die frhere (tatschliche oder angeb-liche) Zugehrigkeit zum Hinduismus wieder hergestellt wird.Da der Hinduismus der Sanatanadharma, die ewige Religion"

    ist, mu jeder Mensch, der nicht zu ihm gehrt, entweder selbstvon ihm abgefallen sein, oder seine Vorfahren mssen sich durchNichterfllung seiner Reinheitsvorschriften von ihm losgesagthaben, so da er oder schon sie auf eine Stufe herabsanken, dieunter- und deswegen auerhalb des Hinduismus liegt. Wird

    i3

  • durch Ausfhrung einer besonderen Reinigungszeremonie (Shuddhi)ein Mensch wieder rein, so wird er dadurch ein Hindu gleich-gltig, was fr besondere religise Vorstellungen ihn bewegen.

    Da Christen oder Mohammedaner auf diese Weise den Status desHindutums wieder erreichen, kommt in erster Linie bei Personenvor, die selbst oder deren Vorfahren vom Hinduismus zum Christen-tum oder Islam bekehrt worden waren. Da Nicht-Inder auf dieseWeise in eine hinduistische Kaste oder Sekte Eingang finden, istseltener, ist aber doch mehrfach der Fall gewesen, besonders beiReformgemeinden wie dem Arya- oder Brahma-Samaj, wo Euro-per oder Muselmanen Mitglieder wurden. Dagegen ist es seit jeherhufig, da Personen Hindus wurden, die einer Religion angehr-ten, die sich nicht in so klaren Gegensatz zum Hindutum stellte.Die vielen fremden Einwanderer, die in Indien erobernd eindrangen,wie die Griechen, Skythen, Gurkhas usw. sind auf diese Weise hin-duisiert worden. In der Gegenwart erweitert der Hinduismus dieZahl seiner Anhnger vor allem durch Aufnahme von Personenaus denjenigen primitiven Vlkern, die man ihren religisen An-schauungen nach mit einem bequemen, aber nicht ganz zutreffen-den Ausdruck als Animisten bezeichnet. Namentlich in den letz-ten Jahren sind die Bestrebungen zur Bekehrung von Animistenmethodisch betrieben worden von Organisationen wie der AU-IndiaShuddhi Sabh, an welcher Mitglieder verschiedener Reformsek-ten, vornehmlich des Arya-Samaj, interessiert sind. Die Personen,welche zu Hindus gemacht werden sollen, haben vor der Shuddhi-Zeremonie zu fasten und zu baden und werden dann unter Rezita-tion heiliger Sprche feierlich fr rein erklrt. In den Jahrenigoi 1910 sollen in der Provinz Panjb allein 70000 Personenauf diese Weise in den Hinduismus aufgenommen worden sein,darunter auch 2000 Christen und 4ooo Mohammedaner. i)

    Bedeutender als die organisierte Missionsttigkeit derartiger Ver-eine, die erst in neuerer Zeit und offenbar in Nachahmung christ-licher Propagandagesellschaften entstanden sind, ist von jeher derallmhliche, nicht einheitlich organisierte und mehr zufllige Zu-zug, den der Hinduismus durch Aufnahme von Aboriginern erhlt.

    1) Census 1911, XIV, Panjb, S. 150.

    i4

  • Durch die Berhrung mit ihren hher stehenden hinduistischenNachbarn werden die wenig zivilisierten Vlkerschaften nach undnach durch deren religise Vorstellungen und Gebruche beeinflut.Sie nehmen wahr, da die Hindus sie als niedriger stehende Wesenbetrachten, sie als unrein ansehen und sich deshalb im Verkehrmit ihnen einer groen Reserve auferlegen. Allmhlich teilt sich

    die Anschauung, welche die Hindus ber sie haben, den Aboriginernselbst mit; sie suchen daher ihnen hnlich zu werden. Diesem Be-streben kommen die hinduistischen Lehrer, seien es nun Brahmanenniedrigeren Ranges oder Gosins, Mitglieder von Mnchsorden, ent-

    gegen, die auf der Suche nach einem passenden Lebensunterhaltin diesen Gebieten umherwandern. Diese fangen an, unter ihnenzu predigen und ihnen durch ihre Zaubersprche in Not und Be-drngnis beizustehen. Dadurch erlangen sie Einflu neben deneinheimischen Seelsorgern und drngen diese vielfach in den Hin-tergrund. Die Verwendung von Hindupriestern hebt das sozialeAnsehen der Aboriginer in den Augen der Hindus und veranlatdaher mit der Zeit auch ihre weniger vorgeschrittenen Verwandtendazu, es ihnen nachzutun. Ohne da ein formelles Vertauschen desRituals oder eine regelrechte Bekehrung stattgefunden htte, wer-den so alljhrlich mehr und mehr Aboriginer zu Hindus.

    Dieses Aufgehen in den Hinduismus wird sehr erleichtert da-durch, da die Animisten den Hindus als Leute gelten, deren Vor-fahren einst Hindus waren, die aber von diesem Zustande herab-sanken, so da es sich bei ihrer Aufnahme in den Hinduismusnicht um eine Neuerwerbung, sondern um eine Re-Annexion frhe-ren Besitzes handelt. Die Art und Weise, in der diese Theorie indie Praxis umgesetzt wird, sei hier an dem Beispiel assamesischerStmme verdeutlicht. Den Knigen der Kocs wurde von denBrahmanen dargelegt, sie stammten von Shiva ab, der als HariaMandal menschliche Gestalt angenommen habe. Ebenso wie ihrVolk seien sie Mitglieder der Krieger-Kaste, die vor vielen Jahr-hunderten vor dem Zorn Parashuramas geflohen seien und jahr-hundertelang als der verachtete Stamm der Kocs in Assam ge-lebt, die aber jetzt durch eine Reinigungszeremonie ihre alte Stel-lung wieder erlangt htten. Sie tragen seitdem wieder die heiligeSchnur und gelten alsKshatriyas.

    i5

  • Ni(^ht allen Stammen freilich gelang es, gleich in eine so hoheKaste zu kommen. Whrend die Kacri-Knige von Hiramba alsNachkommen des Helden Bhima gelten und ebenso wie ihr Volkzum Range von Kshatriyas erhoben w^urden, seitdem ihre beidenHuptlinge Krishna und Govind Gandra nach der Erfllung derntigen Zeremonien im Jahre 1790 n. Chr. aus dem Bauche einergroen kupfernen Kuh herausstiegen, haben die Kacris des Brah-maputra-Tales nicht an dieser hohen Stellung teil. Wenn ein der-artiger Kacari sich zuerst unter die geistige Leitung eines Gosainstellt, so heit er ein Saraniy. Auf dieser Stufe ist der Hinduismusfr um nicht viel mehr als ein Name. Er it auch weiterhinSchweine und Hhner und fhrt fort, starke geistige Getrnke zugenieen. Nach einiger Zeit ndert er seine Lebensweise etwas undwird ein Modahi. Einige Generationen spter, wenn er seine Vor-liebe fr alles verbotene Essen und Trinken aufgegeben oder ver-heimlicht hat und uerlich wenigstens ein zeremoniell reiner Hindugeworden ist, dann gilt er als Kamtli oder Bar Koc.**^)

    Der bertritt eines Animisten zum Hindutum bedingt also keinebedeutende Vernderung in seinen religisen Anschauungen. DerHinduismus ist ja gegenber den Glaubensvorstellungen seiner Be-kenner all tolerant, all compliant, all comprehensive, all ab-

    sorbing" (Monier-Williams) . Die alten Gtter werden ruhig weiterverehrt, werden aber von den Brahmanen zu den groen Gtterndes Hindu-Pantheons in Beziehung gebracht, indem sie fr Inkar-nationen oder Erscheinungsformen Vishnu's, Shiva's, Durga's usw.erklrt werden.

    Von sehr vielen Aborginern, die auf diese Weise Hindus gewor-den sein sollen, ist es sehr schwer zu sagen, ob man sie bei objek-tiver Betrachtung wirklich schon als solche ansehen kann, da sie

    sich in ihrem praktischen Verhalten kaum von ihren animistischenStammesgenossen unterscheiden. Der Hinduismus ist fr sie vor-lufig noch ein uerlich aufgetragener Firnis und wird erst beiihren Nachkommen vielleicht eine wirkliche Macht. J. Mc. Swineyberichtet darber:

    Im Brahmaputra-Tale ist es schwer zu bestimmen, wann die

    1) Census 1891, 1, Assam, S. 84.

    16

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  • neuen Konvertiten wirklich Hindus werden, da viele von ihnen noch

    an ihren alten Gebruchen hinsichtlich des Essens und Trinkensfesthalten. Ich erinnere mich, einige Miris im Osten von Darranggetroffen zu haben, die mir erzhlten, sie fhren fort, Geflgel zuessen und Alkohol zu trinken, obwohl ein Gosain ihr Seelsorger sei.Sie vermieden es aber sorgfltig, in seiner Anwesenheit sich dieserVerfehlungen schuldig zu machen. Als ich sie fragte, warum sieBhakats (Anhnger) eines Hindu-Gosin geworden seien, wenn sieseinen Speisegeboten nicht Folge leisteten, sagten sie, sie seien

    Fremde in einem fremden Lande, und wenn sie nicht ein Abkommenmit den Gttern des Ortes oder mit ihrem Stellvertreter trfen, soknnte man nicht wissen, was fr ein bel sie befallen wrde.Deshalb htten sie sich unter die Obhut eines Gosain gestellt undzahlten ihm jhrlich ein Honorar, um so auf jeden Fall sicher zugehen. Zweifellos werden diese Leute in wenigen Generationen alsorthodoxe Hindus anerkannt werden, doch ist es unmglich, dieGrenzlinie festzulegen, die sie berschreiten mssen." i)

    hnlich wie mit dem Hinduismus der halbwilden Stmme verhlt(BS sich mit dom der ihnen nahestehenden verachteten, als unreingeltenden Kaste der Gassenkehrer (Hari, Mehtar, Ghra). DieseLeute bezeichnen sich zwar, soweit sie nicht Mohammedaner oderSikhs sind, als Hindus, doch ist ihr Hindutum von dem der Ortho-doxen so vollstndig verschieden, da die Hindus hherer StndeIn ihnen zumeist die Bekenner einer Religion erblicken, die auer-halb der ihrigen liegt. Das Hauptelement der Religion of theSweepers*' besteht in der Verehrung von Heiligen wie Llbeg,Balmik usw., deren rohe Idole vielfach ein rotes Fhnchenan einem Stock auf einem Erdhgel in primitiver Weise

  • Gegenstck zu diesen bildet eine Reihe von Reformsekten, welcheauf dem Boden des Hindutums entstanden sind, in mancher Hin-sicht aber ber ihn hinausgehen. Die Mahanubhavas, die Lingyats,die Sikhs erkennen das Kastensystem der Hindus nicht an, die AryaSamajis bestreiten die Autoritt der Puranas und zahlreicher an-derer sonst allgemein anerkannter Werke. Die Anhnger desBrhma-Samaj sehen im Veda nicht die alleinige gttliche Offen-barung und die Jainas leugnen berhaupt die Unfehlbarkeit derVeden und setzen an Stelle der ganzen heiligen berlieferung derBrahmanen eine abweichende eigene. Kann man diese und zahl-reiche andere Sekten, die in einem oder in vielen Punkten von denAnschauungen der orthodoxen Hindus differieren, noch als Hindusbezeichnen oder mu man sie als besondere religise Gemeinschaftansehen? Das Verhalten der einzelnen Sekten selbst wird man kaiunzur Richtschnur nehmen knnen, weil es zu verschiedenen Zeitenverschieden ist. Whrend manche das eine Mal Wert darauf legen,als Hindus zu gelten, erklren sie sich ein anderes Mal fr Anhngereiner auerhalb des Hindutums stehenden, selbstndigen Religion.Fr diese wechselnde Stellungnahme sind meist politische und so-ziale Grnde magebend. Die Hoffnung, von der englischen Re-gierung das Recht auf eine Sondervertretung in einer konstitutio-

    nellen Krperschaft zu erhalten, hat beispielsweise oft dazu ge-

    fhrt, den Zusammenhang mit dem Hindutum zu leugnen. Aushistorischen und philosophischen Grnden klassifizieren die Euro-per vielfach die Jains, Sikhs, die Brahma- und die Arya-Samdjisals Anhnger einer besonderen Religion. Mit Recht macht E. D.Maclagani) demgegenber darauf aufmerksam, da dieses Vor-gehen inkonsequent sei. Es gibt keinen logischen Grund dafr,diese als Anhnger besonderer Religionen anzufhren, whrend manandererseits so zahlreiche andere kleine Hindu-Sekten, welche

    ebensowenig orthodoxe Lehren vertreten und ebenso abweichendeGebruche haben als diese, im Sche des Hinduismus belt. Dieeinheimischen Bewohner einer Provinz trumen kaum davon, einedieser Sekten als auerhalb des Hindutums befindlich zu klassifi-zieren. Es ist zumeist nur ihre Gre und ihre politische Geschichte,

    1) Census 1891, XIX, Panjb, S. 90.

    i8

  • die zur Anerkennung ihres Anspruchs, als etwas Besonderes zu gel-

    ten, gefhrt hat."

    Streng genommen kann jede autochthone Religion Vorder-In-diens, die sich in irgendeiner Form in die geistige Entwicklung, wiesie unter der gide des Brahmanentums stattfand, einreiht, alseine Form des Hinduismus betrachtet werden. Das gilt auch vonden schon seit ber 24oo Jahren bestehenden Religionsgemeindender Buddhisten, welche die ganze vedische Tradition und den Vor-rang der Brahmanen nicht anerkennen und ein besonderes religisesSystem entwickelt haben. Mit Recht stimmen Kern, Bhandarkar,Senart, Barth und La Vallee Poussin darin berein: Le Boud-dhisme, en derniere analyse, est une des faces de THindouisme".!)

    So gerechtfertigt diese Betrachtungsweise auch ist und so sehrsie auch die Tatsachen bekrftigen, (ich erinnere an die Abhngig-keit des alten Buddhismus von der brahmanischen Philosophie undTradition, an das hinduistische Geprge des Mahayana, an die Sekteder Shravakas in Orissa u. a.) so wird man doch die wenigen Bud-dhisten, die es heutzutage in Vorder-Indien gibt, in praxi kaumzu den Hindus rechnen. Dadurch, da der Buddhismus lngst eineWeltreligion geworden ist, deren Bekenner fast insgesamt auer-halb seines Heimatlandes wohnen, empfiehlt es sich aus praktischenGrnden, die indischen Buddhisten nicht in das Sektentum desHinduismus einzubeziehen, sondern im Zusammenhang mit demBuddhismus berhaupt zu behandeln.

    hnlich verhlt es sich mit den Jainas, welche bis zum heutigenTag in Indien eine etwa 1^/4 Millionen starke Gemeinde bilden.So sehr diese freilich auch ihrer Tradition und ihren Lehren nachvom Hindutum abweichen, so ist doch ihr tatschliches Verhaltenzu den Hindus ein derartiges, da sie nicht gleich den Mohamme-danern, den Parsis oder den Christen als etwas toto genere auer-halb des Hindutum Stehendes angesehen werden knnen. Pandit'Bai Candra Shastri vom Sanskrit College in Jaipur schrieb in einemGutachten : Das Wort Jaina bedeutet einen Anhnger des Jina oderTirthankara. Die Zugehrigkeit zum Jainismus ist nicht an einebestimmte Kastenzugehrigkeit gebunden. Jeder Mann aus jeder

    1) Barth, Revue des Religions XIX, 277; Oeuvres II, 56. La ValleePoussin Bouddhisme. Etudes et materiaux", p. 7.

    2* 19

  • Kaste kann Jaina werden. Dies zeigt, da Kaste und Religion zweiverschiedene Dinge sind. Er gibt verschiedene Kasten unter denJainas, z. B. die Osvls, die Porvls, Shrimls, Saraogis, Agar-

    vls usw. Obwohl diese ihrer Religion nach Jainas sind, so werdendoch ihre Hochzeiten und andere soziale Riten nach den Zeremo-nien der Hindus ausgefhrt. Der Religion, den Gttern und denBruchen der Hindus stehen sie nicht antagonistisch gegenber.Viele glauben an Ganesh, den Gott der Weisheit, und andere Gtterund beten diese an. Sie halten die Brahmanen fr hherstehendund erweisen ihnen deshalb Verehrung. Sie betrachten das Ganges-wasser als heilig. Oft ist bemerkt worden, da in einer Familiedie Mnner Jainas sind und die Frauen der Religion der Veden an-gehren. Von zwei Brdern kann der eine ein Jaina und der andereein Vaishnava sein. In der Familie des Seth Maniram baute dereine Bruder einen Vaishnava-Tempel in Brindban und der andereeinen Jaina-Tempel in Muttra (Mathura). Diese Einzelheiten be-weisen, da Leute zwar verschiedenen religisen Anschauungen an-gehren knnen, darum aber noch nicht verschiedenen Kasten an-gehren. Folglich mssen die Jainas den Hindus zugerechnetwerden."!)

    Diese Bemerkungen eines gelehrten Hindu finden durch die Be-obachtungen anderer eine Besttigung. Wie Gensus 1891, XVI,p. i83 aus den N-W-Provinzen berichtet wird, geben dort mancheJainas an, da sie Vsudeva, Devi, Shiva, Nagasena, Ganpat Nathund Gorakh Nth anbeten, auch werden von ihnen Gaur Brahmanenin den Tempeln gebraucht, obwohl diese selbst keine Jainas sind.ber die Verhltnisse im Fanjab berichtet der Census 1891, XIX,p. 181 : Der Jainismus ist in dieser Provinz in gleichem Mae einZAveig des Hinduismus, wie es der Sikhismus ist. Und die Mehr-zahl der Jains im Panjab wrde sich als zu den Hindu gehrig auf-fhren, wofern sie nicht dazu aufgefordert werden, anders zu han-deln.'' Aus dem Gesagten ergibt sich, da der Jainismus vom so-zialen Gresichtspunkt aus als eine Religionsgemeinde innerhalb des

    Hinduismus zu gelten hat wenn auch die Abweichungen in derLehre und in vielen andern Dingen beweisen, da er, vom Stand-

    ij Census 1911, XXII, Rajputna, S. 103.

    20

  • punkte seiner Dogmatik aus betrachtet, unzweifelhaft als eine selb-stndige Religion angesehen werden kann.

    Was fr die Buddhisten und Jainas zutrifft, das gilt auch vonanderen Religionsgemeinden, die wie die Sikhs, der Arya-, Brhma-und Deva-Samj hinsichtlich ihrer theologischen Anschauungenund in manch anderer Hinsicht auerhalb des Hindutums stehenund deshalb in vielen Statistiken als besondere Religionen aufge-fhrt werden.

    Eine ganz befriedigende Antwort auf die Frage: Was ist Hin-duismus? ist daher unmglich. Je nachdem man das soziale oderdas religise Moment in den Vordergrund stellt, kommt man zueiner weit- oder einer enggefaten Definition des Begriffes undkann unter ihm je nach Wunsch die eine oder die andere Sektesubsumieren oder von ihm ausschlieen. Letzten Endes werdendaher rein praktische Gesichtspunkte ausschlaggebend sein mssenund man wird danach am besten daran tun, als Hindus alle die-jenigen Bewohner der Vorderindischen Halbinsel zu bezeichnen,welche nicht einer fremden, aus dem Auslande eingefhrten Re-ligionsgemeinschaft angehren, zugleich aber auch ihrem religisenDenken und vor allem ihrem Verhalten nach sich in nicht zu hohemMae von dem Durchschnitt der unzweifelhaft als Hindus Gelten-den entfernen. Die Bestimmung der Grenzen dieses Standard aberwird bis zu einem gewissen Grade der Willkr und der praktischenZweckmigkeit anheimgestellt werden mssen. i)

    Ebenso schwer wie die (wenn man so sagen darf) rumliche Ab-grenzung des heutigen Hinduismus gegenber anderen Religions-gemeinden ist es, seine Stellung innerhalb der indischen Religions-geschichte zeitlich zu fixieren. Der moderne Hindu glaubt, derHinduismus sei so alt als die Welt und die alten Inder seien alsoschon in vedischer Zeit Hindus gewesen. Der Religionshistoriker

    ^) Wie sehr die Anschauungen der Hindus selbst ber das, was denwesentlichen Inhalt des Hinduismus ausmacht, in manchen Dingen von-einander abweichen, ersieht man aus dem Ergebnis einer Rundfrage,welche die Zeitung Leader" in Allahbd vor einigen Jahren ver-anstaltete. Die Antworten, welche eine Anzahl hervorragender Hinduserteilten, sind gesammelt erschienen in dem Schrifteben Essentials ofHinduism" 2 ed., Madras, G. A. Natesan.

    21

  • mu demgegenber feststellen, da die religisen Anschauungender Inder sich im Laufe der Jahrhunderte sehr gewandelt haben.Gewhnlich werden von ihm drei Perioden unterschieden:

    1 . der Vedismus, der Naturkult der arischen Inder, wie er in denlteren Werken des Veda gelehrt wird,

    2. der Brahmanismus, die Religionsform, die sich aus dem Ve-dismus allmhlich entwickelte und in welcher das Kastenwesen, dieOpfertechnik und die mystische Spekulation zur Entfaltung kamen,

    3. der Hinduismus, der auf den Brahmanismus fut, aber durchdie Aufnahme vieler fremder Ideen, Gtter und Riten ber ihnhinausgeht.

    Keine dieser drei Phasen lt sich deutlich abgrenzen, da derStrom der kontinuierlichen Entwicklung nirgends gewaltsam unter-brochen worden, sondern das Sptere allmhlich aus dem Frlierenhervorgegangen ist. Jeder Versuch, das Ende der einen und denBeginn der nchsten Periode festzulegen, ist daher willkrlich undungenau. Eine scharfe Trennung des Brahmanismus vom Vedis-mus und des Hinduismus vom Brahmanismus ist schon deshalbnicht durchfhrbar, weil jedesmal die sptere Entwicklungsstufedie ihr vorhergehende restlos in sich aufgenommen hat, so da alsoder Brahmanismus einen durch verschiedene Elemente erweitertenVedismus und der Hinduismus einen durch vieles neu hinzugekom-mene vergrerten Brahmanismus darstellt. i)

    Suchen wir zum Schlu den Begriff Hinduismus, wie er in die-sem Buche angewandt wird, zu definieren, so lt sich dies etwamit folgenden Worten tun: Hinduismus ist das indische, autoch-thone religis-soziale System, das sich aus dem Brahmanismus durchweitgehende Aufnahme ursprnglich unbrahmanischer Elemente ge-bildet hat und dem seit dem Siege der gegen den Buddhismus ge-

    ^) Wenn in populren Werken vielfach gesagt wird, die in Indienherrschende Religion sei der Brahmanismus, so ist dies nach dem Ge-sagten zwar nicht ganz unzutreffend, erweckt aber falsche Vorstellungenund sollte besser vermieden werden. Die mitunter zutage tretendeAnschauung, der Brahmanismus sei die Religion derjenigen BewohnerIndiens, die im Gegensatz zu Mohammedanern, Christen, Buddhisten usw.Brahma als den hchsten Gott verehren, beruht auf einer irrtmlichenAuffassung. Unter Brahmanismus ist vielmehr diejenige Religion zuverstehen, die sich auf die Autoritt der Brahmanen grndet.

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  • richteten priesterlichen Gegenreformation die berwiegende Mehr-

    heit der Bevlkerung des heutigen Indien anhngt. Er umfat dieGesamtheit aller Riten, religisen Bruche und Anschauungen, Tra-ditionen und Mythologien, die durch die heiligen Bcher und dieVorschriften der Brahmanen direkt oder indirekt ihre Sanktion er-halten.

    3. BERBLICK BER DIEGESCHICHTLICHE ENTWICKELUNG DES HINDUISMUS

    Der Hinduismus der Gegenwart mit seiner unbersehbaren Fllevon religisen und sozialen Anschauungen und Gebruchen ist dasEndprodukt eines langen historischen Prozesses. Er ist nicht dasErgebnis der geistigen Entwicklung eines Volkes, das nach undnach von den rohen Vorstellungen und Riten primitiver Menschenzu hheren Stufen des religisen Lebens emporstieg, sondern dasResultat einer gewaltigen Rassenmischung. Er entstand im Kampfund im Ausgleich der verschiedenen Vlker, die sich in Indien nie-derlieen, vornehmlich der Draviden und Arier.Von der Religion der alten Draviden, welche den grten Teil

    Indiens bewohnten, bevor sie durch die arischen Einwanderer immerweiter nach Sden gedrngt und dann auch dort ihrer Kultur ge-wonnen wurden, haben wir infolge des Mangels an literarischenDenkmlern keine genauere Kenntnis. Ihr hauptschlichster W^e-senszug scheint im Naturdienst und im Ahnenkult bestanden zuhaben, sowie vor allem in der Verehrung grausamer Dmonen.Diesen feierten sie orgiastische Feste, bei welchen ihre Priester imZustande der Verzckung prophetische Aussprche taten. EineReihe von Tatsachen lassen darauf schlieen, da die Dravidenschon in frherer Zeit eine verhltnismig hohe Kulturstufe er-reicht hatten, die auch in ihren religisen Ideen zum Ausdruck ge-kommen sein mag.Whrend wir ber die alte Religion der Draviden nicht unter-

    richtet sind, besitzen wir fr die Religion der alten Arier eineliterarische Quelle von unersetzlichem Wert: den Veda, eine ge-waltige Sammlung von Liedern und Sprchen, deren Inhalt zum

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  • Teil bis weit ber das zweite Jahrtausend v. Chr. zurckgeht. Dieeuropische Forschung hat durch philologische Untersuchung die-ser riesigen Traditionsmasse, die sich im Laufe von Jahrhundertenangesammelt hat und dann von Priesterschulen nach sakralen Ge-sichtspunkten geordnet worden ist, dargetan, da in der Flle desim Veda berlieferten mehrere Schichten zu unterscheiden sind,welche den Niederschlag verschiedener Kulturepochen bilden.Whrend der ltesten Periode der vedischen Zeit, welche die l-

    testen Hymnen des Rig-Veda widerspiegeln, lebten die Arier imNordwesten, im Panjab. Hier wohnten sie, zu Stmmen vereinigt,in Drfern, hauptschlich als Viehzchter ihren Unterhalt gewin-nend, aber doch schon in Ackerbau, Handel und Gewerbe Hervor-ragendes leistend, ein lebensfrohes, kampflustiges Volk, dem auchdie Blten einer raffinierten Kultur nicht unbekannt waren. IhreReligion, die auf dieser Stufe als Vedismus" bezeichnet wird,ist ein naiver Polytheismus. Sie glaubten an eine Vielheit von Gt-tern, die, nicht wie ein hierarchisch geordneter Staat, sondern eherwie eine groe Familie die Weltgeschichte lenkten. Eine Reihe vonihnen sind Naturgtter: so Srya, der Sonnengott, Soma, der Mond-gott, Vyu, der Windgott, Parjanya, der Regengott, Agni, derFeuergott, Ushas, die Gttin der Morgenrte. Bei manchen vondiesen ist der Zusammenhang mit den von ihnen beherrschten Na-turobjekten noch sehr deutlich. Sie sind ursprnglich die beseeltgedachten Naturphnomene selbst und werden erst nach und nachzu berirdischen Wesen, die von den ihnen zugrunde liegenden Na-tursubstraten loslsbar gedacht werden; sie werden durch Hinzu-fgung menschlicher Zge mehr und mehr anthropomorphisiert,bis sie schlielich durch das Hineinlegen von sittlichen Ideen zuetwas von den Naturobjekten Verschiedenem geworden sind. Bei an-deren Gttergestalten des Veda, die in indo-germanischer Vorzeitwohl auch Naturgtter waren, ist dieser ihr ursprnglicher Wesens-zug schon mehr verblat. Die Ashvis, die Dioskuren, in welchenman Sonne und Mond, Morgen- und Abendstern oder das Zwielichthat erkennen wollen, sind im Veda Helfer und rzte. Der National-gott der vedischen Inder, Indra, der mit seinem Donnerkeil denDrachen Vritra erschlug und im Kampfe gegen Feinde angerufenwird, ist nicht mehr der reine Gewittergott, der er in der Vorzeit

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  • gewesen sein mu. Einen mehr abstrakten Charakter zeigen Gtterwie Savita ,,der Antreiber", der spter mit der Sonne identifiziertwurde und andere. Die hchsten Hter der sittlichen Ordnung, desRita, der Wahrheit, sind drei Gtter, die aus der indo-germanischenVorzeit stammen: Varuna, der ber den Eid wacht und ber dieWasser, bei denen er geschworen wird, Mitra (persisch Mithra"),der Patron von Freundschaft und Vertrgen und Aryam, der Gottder Heirat. Zu diesen Lieblingsfiguren der priesterlichen Dichtungtreten dann noch eine groe Flle von Halbgttern, himmlischenHeerscharen, Dmonen und Kobolden, die im Glauben des Volkesund in seinen Zauberhandlungen eine groe Rolle gespielt haben.Der den Gttern geweihte Kultus, durch dessen Ausbung man

    von ihnen Segen erflehen und Unheil abwehren wollte, ging nichtin Tempeln, sondern vor grasumstreuten Opferfeuern vor sich. Erbestand in der Lobpreisung der Gtter und in der Darbringungvon mehr oder weniger feierlichen Opfern, namentlich solchen vonallerlei Kuchen und Tieren. Die vornehmste Opfergabe aber warder berauschende, geprete Saft der Soma-Pflanze (Sarcostemaviminalis oder Asclepias acida), der von den Priestern getrunkenwurde. Das bei den Opfern gebruchliche Ritual wurde mit derZeit immer komplizierter. Es entwickelte sich eine besondere Opfer-wissenschaft, deren Kenntnis ein grndliches Studium erforderte.Dadurch, da diese Opfertechnik in bestimmten Kreisen monopo-lisiert und vom Vater auf den Sohn vererbt wurde, bildete sichein besonderer Priesterstand, dessen Macht und Einflu sich stei-gerte, je grere Bedeutung man dem Opfer beima. Mehr undmehr brach sich die Anschauung Bahn, da auf die Gtter durchdas Opfer ein magischer Zwang ausgebt werden knne, da diePriester die Gtter durch das Opfer fangen, wie die Vogelstellerdie Vgel (Rig-Veda 3, A5, i), da die Verehrung und damitder Verehrer ber die Gtter herrscht (Rig-Veda 6, 5i, 8). Da-mit war der Weg bereitet fr die Vormacht des Priestertums, diein der Folgezeit ein charakteristisches Kennzeichen der indischenKultur darstellt.

    Die Anthropomorphisierung der Gtter und die weitgehende Aus-bildung des Rituals ist vollzogen zu der Zeit, wo die Arier nachvielen Wanderungen und Kmpfen in die Ebene des Ganges vor-

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  • gedrungen waren. Die Kultur dieser Zeit findet ihren Ausdruckin den sptesten Hymnen des Rig-Veda, in den an die Veden sichanschlieenden theologischen Werken ber die Opferwissenschaft,den sogenannten Brhmanas und in den theosophischen Abhand-lungen der Upanishaden. Die gesamte Bevlkerung gliedert sichjetzt in vier Stnde: in die drei zweimal geborenen Kasten" d. h.ursprnglich wohl die Nachkommen der arischen Einwanderer: dieBrahmanen oder Priester, die Kshatriyas oder Krieger, die VaishyasoderAckerbauer undGeWierbetreibende und in die vierte unreine Kasteder Shdras, das niedere Volk, die versklavten Urbewohner. Dieoberste dieser Kasten ist der Priesteradel der Brahmanen. Er alleinvermittelt zwischen GDttern und Menschen, er leitet Kultus undErziehungswesen, er beherrscht das ganze geistige Leben so voll-kommen, da man diese Periode der indischen Religionsgeschichtenach ihm geradezu als Brahmanismus bezeichnet.Auch der Ideengehalt der indischen Religion wird ein anderer.

    Die Gtter erfahren durchgehends eine ethische Vertiefung undneue, abstrakte Gttergestalten wie die des Weltschpfers Praj-pati und des Gebetsherrn Brihaspati, der Verkrperung des Prie-stertums, treten in den Vordergrund. Zugleich vermgen die vielenanthropomorphen Gtter dem vorgeschrittenen Denken nicht mehrzu gengen. Zweifel und Spott erhebt sich; man sucht nach demunbekannten Gott, der selber unvergnglich, die Welt mit allen ihrenGttern geschaffen hat und regiert. Man findet den Urgrund desSeins im Brahma. Das Brahma ist ursprnglich wohl der heiligeZauberspruch, mi;t welchem die Gtter und die Naturkrfte be-zwungen wurden, die Zauberkraft, die wie das Mana der Natur-vlker als bernatrliche Potenz alle bermenschlichen Erschei-nungen zustande bringt. Der Begriff des Brahma wird in der phi-losophischen Spekulation immer mehr gesteigert. Es wird zur All-seele, zum Absolutum. Dieses Brahma finden die Upanishaden inder Seele jedes Wesens wieder, sie erkennen alles was ist als vonjenem durchwaltet, als einen Teil von ihm, als ihm wesenshnlichoder wesensgleich.

    Von ausschlaggebender Bedeutung wurde fr diese Spekulationauch noch eine andere Anschauung. Frher war der Blick der In-der auf das Diesseits gerichtet gewesen; man stellte sich vor, da

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  • die Seelen der Abgeschiedenen im Himmel bei Knig Yama weiltenund dort die Manenopfer der Hinterbliebenen genssen. Jetzt aberwurde der Glaube an eine Seelenwanderung herrschend, die Vor-stellung, da jedes Wesen nach seinem Tode entsprechend seinenguten oder bsen Taten (Karma) immer aufs neue wiedergeborenwerden msse, als Pflanze, als Tier, als Mensch oder als himm-lisches Wesen, um so den Lohn seiner Taten in frheren Existen-zen zu ernten. Der Glaube an eine anfangslose Kette von Reinkar-nationen, zugleich mit der Erkenntnis der Vergnglichkeit alles

    Irdischen rief den Wunsch wach, frei zu werden von dem ewigenWechsel von Geburt und Sterben. Um die Erlsung zu erlangen,entsagte man den Genssen der Welt, zog sich als Asket in den

    Wald zurck und suchte durch Kasteiung und Meditation sich vonden Fesseln der Welt zu befreien, um dadurch die Erkenntnis desber allem Wandel erhabenen Ewigen zu erlangen und nach demTode mit diesem dauernd vereinigt zu werden.

    So finden wir um das 6. Jahrhundert v. Chr. im religisenDenken der Inder zwei Strmungen: auf der einen Seite ein aufshchste gesteigerter Ritualismus und eine von einem anmaendenPriestertum systematisierte Gtterlehre und auf der anderen Seite,im Gegensatz hierzu, eine verinnerlichte Religiositt und einephilosophische Weltbetrachtung. Eine Reihe von Mnnern such-ten, sei es als Glieder einer Priesterschule, sei es als selbstndige

    Denker, die Frage nach dem Wesen von Welt und berwelt, nachdem Sinn des Lebens und nach dem Weg zum Heil zu lsen.Neben dem Vedanta, der auf der Einheitslehre der Upanishadenfute, entstand damals das dualistische Sankhya und der Yoga, derdurch besondere geistige bungen die Loslsung der Seele von denBanden der Welt erstrebte. Whrend diese Systeme trotz ihrer Aus-schaltung der ritualistischen Werklehre im Rahmen des orthodoxenBrahmanismus verblieben, weil sie die Unfehlbarkeit des Veda unddie Vorrechte der Brahmanenkaste nicht direkt in Zweifel zogen,leugneten zwei andere Heilslehren, welche damals hervortraten,jene beiden Haupterfordernisse der Rechtglubigkeit. Diese bei-den Religionssysteme, die dem Sche des Brahmanismus ent-sprangen, sich dann aber von ihm trennten und zu selbstndigenReligionen wurden, sind der Jainismus und der Buddhismus. Beide

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  • laufen fortan als selbstndige Gebilde neben dem ungehemmt wei-terflieenden Strom der Entwickelung der alten brahmanischenReligion her; wenn sie diesen aber auch zeitweilig stark beeinflu-

    ten, vermochten sie doch nicht, ihn in ihr eigenes Bette zu lenken.Als Stifter des Jainismus gilt Vardhamana, von seinen An-

    hngern auch Mahvira (der groe Held) oder Jina (der Sieger)genannt, der im 6. Jh. v. Chr. lebte. Einem nordindischen Adelsge-schlecht entstammend, wurde er im frhen Mannesalter Asket,schlo sich dem, wie es scheint, schon lange vor ihm bestehendenOrden der Nirgranthas (Fessellosen) an und reformierte diesen mitso viel Erfolg, da die Mitglieder ihn als den letzten groen Tir-thankara (Bahnbrecher) betrachteten und sich nach ihm, dem Jina,Jainas", d. h. Anhnger des* Jina nannten. Der Grundgedankeseiner Metaphysik ist folgender: die vielen, an sich reinen, geistigenIndividualseelen werden durch Unwissenheit und Leidenschaft mitmateriellen Atomen angefllt. Diese der Seele anhaftenden fein-

    stofflichen Korpuskeln mssen durch geistige Zucht aus ihr ent-fernt werden, wenn erneute Wiedergeburten verhindert werdensollen. Gelingt es, die Seele von den materiellen Teilchen, welche

    sie in Fesseln schlagen, zu befreien, so erreicht sie dadurch einenreinen, seligen Zustand. Auf dem Gipfel der Welt verharrt sie dannauf ewig erlst. Die ethischen Vorschriften der Jainas sind vongroer Reinheit. Als hchste sittliche Vorschrift gilt die Nicht-

    verletzung von Lebewesen, ein Gebot, das auch auf alle Tiere bis

    herab auf die Insekten ausgedehnt wird. Die Anhnger des Jainis-mus zerfallen in Asketen, d. h. Mnche und Nonnen, welche ehelosin Klstern leben und sich selbstqulerischer Kasteiung hingeben,sowie in Laien. Die Jainas haben ihre besonderen heiligen Schrif-ten, die Angas, an welche sich eine ausgedehnte religise, philoso-

    phische und Legendenliteratur anschliet. Obwohl ihre Lehre einenpersnlichen Gott nicht anerkennt und auch die Seelen der Erlstenin den Weltproze nicht eingreifen knnen, verehren die Jainasdieselben Gtter wie die Hindus als hhere, wiewohl in ihrer Machtbegrenzte Wesenheiten. Vor allem aber feiern sie Mahvira undseine 28 Vorlufer in prchtigen Tempeln, in der Meinung, dadie sittliche Vollkommenheit der Glubigen hierdurch gehobenVTrde. Mit der Zeit entstanden mehrere Sekten, welche der mitt-

    28

  • lerweile aufgekommenen Bilderverehrung und bestimmten Vor-schriften und Lehren gegenber eine verschiedene Stellung ein-nehmen. Whrend des Mittelalters gewann der Jainismus in man-chen Teilen Indiens eine bedeutende Verbreitung, ging dann aberin seiner Anhngerzahl zurck und hat heutzutage nur 1^/4 MillionenBekenner, die hauptschlich als Kaufleute im Westen Indiens leben.

    Grere Bedeutung als die Religion Mahaviras erlangte derDharma" seines jngeren Zeitgenossen Siddhrtha aus demAdelsgeschlecht der Shkyas, der nach dem Ahnherrn seiner Fa-milie, dem Seher Gotama auch Gautama genannt wird. Dieser ver-lie als Jngling das Schlo seiner Vter und ging als Asket beiverschiedenen Lehrern in die Lehre, bis ihm unter einem Feigen-baum in der Nhe von Gay die erlsende Erkenntnis aufging under so zu einem Erwachten, einem Buddha wurde. Die von ihm er-fate Wahrheit predigte er, als Bettelmnch ganz Nordindien durch-wandernd, dem Volk in seiner eigenen Sprache; er wandte sichnicht, wde die meisten Lehrer seiner Zeit, nur an eine kleine Schicht

    von philosophisch durchgebildeten Sanskritkundigen. Er starb

    80jhrig um 480 v. Chr. in Kushinar im heutigen Nepal.Nach Buddha ist alles vergnglich, wesenlos und leidvoll. Auch

    das Ich ist keine konstante Gre, sondern etwas dauernd Wechseln-des, vergleichbar einer Flamme, die immer dieselbe zu sein scheintimd in Wahrheit doch in jedem Augenblick einen neuen Wert dar-stellt. Der Lebensdurst, das Anhaften an den Sinnendingen, fhrtdiesem Feuer immer neuen Brennstoff zu. Wenn eine irdischeErscheinungsform zu Ende ist, entsteht eine neue, entsprechendden durch das Karma geschaffenen Voraussetzungen. Die gestor-bene Persnlichkeit ist nicht identisch mit der neugeborenen, unddoch ist jede ein Glied in der streng gesetzlichen Aufeinanderfolgedes sich jeden Augenblick neu erzeugenden Geschehens, so wie dieFlamme, die in der ersten Nachtwache brennt, etwas anderes istals die, welche die zweite Nachtwache erleuchtet und doch die zweiteaus der ersten ohne Unterbrechung herauswchst. i) Dieser ewige

    ^) Die Lehre, da es kein Ich, kein Selbst, keine Seele gibt, unter-scheidet den Buddhismus von allen anderen Religionen. Der Einzig-artigkeit dieser ihrer metaphysischen Position sind sich die Buddhistenstets bewut gewesen; vergl. z. B. den folgenden Vers eines Stotrakra,

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  • Verbrennungsproze findet ein Ende nur durch die Erkenntnis derleidvollen Vergnglichkeit und urschlichen Bedingtheit aller Ele-mente der Wirklichkeit. Wenn der Mensch zu diesem Wissen er-wacht ist imd nicht mehr an der Welt hngt, dann verlischt dieFlamme wie das Feuer einer llampe, deren l restlos zu Endeist. Dann ist der Heilige erhaben ber das, was vergnglich, leid-voll und nicht sein Selbst ist, und erlangt den unvergnglichen, leid-losen, bernatrlichen Zustand des Nirvna.

    Der von Buddha gelehrte Weg, der zu diesem Ziele fhrt, hatzur Vorbedingung das sittliche Verhalten:

    Sich allem Bsen abwenden,Sich allem Guten einzig weihn,

    Das eigne Herze rein zu glhn:

    Das ist der Buddlias Heilsordnung."

    (hammapada XIV, 5, bers, v. K. E. Neumann).

    Das Wissen, das zum Nirvna fhrt, wird nicht erreicht durchSpekulieren ber abstrakte Begriffe noch durch das Studium derVeden, die dem Buddhismus nicht als heilige Offenbarungsschriftengelten, sondern durch die Meditation. Dieses Ziel lt der Buddhanie aus dem Auge; er erteilt deshalb seinen Jngern absichtlichkeine Antwort auf viele Fragen, weil ihm dies wertlos erschien frdie, die den Pfad zur Erlsung betreten wollen. So wie ein Mann,der von einem Pfeil verwundet wurde, sofort Vorkehrungen trifft,um seine Wunden zu heilen, nicht aber danach forscht, wie der

    den Yashomitra im Kommentar zum Abhidharmakosha des Vasubandhu(5. Jh. n. Chr.) zitiert:

    shaipkre manasi na samam yti janmaprabandhonhamtra calati hrdayd tmadrstau ca satym,anyah st jagati ca yato nsti nairtmyavdlnnyas tasmd upaamavidhes tanmatd asti mrgah".

    Solange die Selbst- Sucht im Geiste wurzelt kommt der Kreislauf derExistenzen nicht zur Ruhe; die Selbst-Sucht schwindet nicht aus demHerzen, solange die Ich-Vorstellung vorhanden ist, und weil auf derWelt kein anderer Lehrer ist, der die Nichtexistenz eines Ich verkndetbat, deshalb gibt es keinen anderen Weg zur Erlsung als seine Lehre."(Th. Stcherbatsky ,The Soul Theory of the Buddhists^ Bulletin del'Academie des Sciences de Russie 1919, S. 951.)

    3o

  • Feind aussah, der ihn traf, so soll auch der im Sansra^) leidendeMensch nicht danach fragen, ob die Welt ewig oder nicht ewig,

    endlich oder unendlich sei, ob der Erlste nach dem Tode in irgend-einer Form fortlebe oder nicht. Unter Verzicht auf alle Spekula-

    tionen soll er seinen Sinn allein auf das richten, was den heiligen

    Wandel frdert, was zur Erleuchtung und zur Erlsung fhrt.Buddha beruft sich fr seine Lehre nicht auf eine ihm erteilteOffenbarung, sondern begrndet ihre Richtigkeit damit, da ihmdie Erkenntnis der Wahrheit durch eigenesNachdenken aufgegangensei. Er behauptet, jeder Mensch, der sich sittlich lutere und seineErkenntnismglichkeit durch Meditationsbungen hebe, knne

    gleich ihm die Einsicht in das wahre Wesen der Welt erreichen.Er selbst will nur den Ansto zu dieser Erkenntnisttigkeit geben

    und den Weg weisen, welchen sie zu gehen haben. Wenn derBuddhaauch den Brahmanen das Vorrecht auf den Alleinbesitz des Wissensbestritt und alle Menschen fr gleichberechtigt hielt, den zur Er-lsung fhrenden Pfad zu betreten, so war er doch nichts wenigerals ein sozialer Reformator oder ein rationalistischer Aufklrer.

    Am Kastensystem als einer Institution der Gresellschaft hat er eben-sowenig unmittelbar gerttelt als an dem Glauben an das Vorhanden-sein berirdischer, wiewohl endlicher Wesenheiten oder an dieMacht von Zauber und Weissagungen.Der Orden der Mnche und Nonnen des Erhabenen breitete sich

    schnell ber ganz Indien aus; um ihn bildeten sich groe Gemein-den von Laienanhngern. Mchtige Knige, vor allem der groeAshoka (272281 v. Chr.) frderten seine Bestrebungen und glau-benseifrige Missionare verbreiteten den Buddhismus nach Ceylonund Hinterindien und spter auch nach Ostturkestan, nach China,Japan und Tibet.Whrend sich so ber Indien eine Lehre verbreitete, die den Veda

    nicht anerkannte und als heilige Schrift die Reden des Buddha ka-nonisierte, eine Lehre, die zwar das Kastenwesen nicht direkt auf-

    hob, aber doch den geistigen Vorrang der Brahmanen bestritt undjedem gleicherweise den Zugang zur Erkenntnis erschlo, vollzog

    ^) Sansra (von sam -{- ")/sar umherwandern*') bezeichnet das Wandernaus einem Leben in ein anderes, das sich immer wieder erneuerndeweltliche Dasein mit seinen Leiden.

    3i

  • sich auch innerhalb der alten orthodoxen Religion eine gewaltigeUmwlzung. Durch ihre zunehmende Herrschaft ber immer wei-tere Teile Indiens, durch den Hinzutritt von Stmmen mit andersgearteten Glaubensformen, durch die systematische Ausbildung desErerbten und das Aufkommen neuer Ideen nahm sie eine vernderteGestalt an. Der Brahmanismus wird mehr und mehr zum Hin-duismus. Neue Gtter treten in den Vordergrund; Brahma, derWeltschpfer, der milde Vishnu, der wilde Shiva und ihre Gattin-nen Sarasvati, Lakshmi und die grausige Durga, ferner der ele-fantenkpfige Ganesha, der Kriegsgott Skanda und eine Reihe an-derer finden glubige Verehrer. Immer mehr werden die Kulte vonlokalen Gottheiten, von Heroen und Heiligen arischer und nicht-arischer Stmme in den Kreis des neuen Pantheons einbezogen, indie berlieferung eingeordnet und mit dem Bestehenden verschmol-zen. Monotheistische und theopanistische Tendenzen wechseln mitroher Vielgtterei, und Sekten entstehen, die den einen oder anderenGott, zumeist Vishnu oder Shiva, als den hchsten verehren. Auchdas religise Ideal erfhrt eine Vernderung. War in der ltestenZeit das Opfer, in den Upanishaden die Erkenntnis das Endziel desreligisen Denkens gewesen, so wird jetzt die hingebende Liebe zueiner bestimmten Gottheit der Gedanke, der die Gemter der From-men beherrscht, ohne freilich die beiden anderen zu verdrngen.In den heiligen Schriften dieser Epoche, in den groen Epen R-myana und Ptlahbharata und spter in den Purnas wuchert ppigeine neue Mythologie, wchst eine neue Welt- und Lebensan-schauung. Lehrbcher der Philosophie behandeln metaphysischeProbleme; neben Vedanta, Sankhya und Yoga erfhrt die Atomi-stik (Vaisheshika) und die Logik (Nyya) ihre systematische x\us-bildung. Medizin und Astronomie, Grammatik, Staatskunst undLebensklugheit, ja sogar die Erotik finden gelehrte Bearbeiter. DieKomplizierung des sozialen Lebens fhrte zu einer weiteren Aus-bildung des Kastenwesens, dem in den Rechtsbchern eine wissen-schaftliche Grundlage gegeben wurde. So wie das Leben, zumalin den volkreichen Stdten, an Luxus und Glanz zunahm, so wirdauch der Kultus immer reicher und prchtiger. Die neuen Gttererheischen anders geartete Verehrung als die des Veda. Sie habenIdole in groartigen Tempeln und ihr Dienst erfolgt nach einem

    32

  • zwar vielfach an vedische Vorbilder sich anlehnenden, teilweise aber

    vllig verschiedenen Ritual, das dann spter in den gamas undTantras seinen literarischen Ausdruck findet.Auch im Buddhismus vollzieht sich mit der Zeit eine wesentliche

    Entwickelung und Umgestaltung. Die schlichte Lehre des Buddhamit ihrem Verzicht auf die Lsung vieler Rtsel und ihrer weisenBeschrnkung auf die sittliche Arbeit am eigenen Selbst gengtenicht den Bedrfnissen der immer grer werdenden Schar seinerBekenner. Das Aufkommen neuer Gredanken und die Durch-trnkung mit den religisen Ideen der Vlker, unter denen derBuddhismus Fu fate, fhrte dazu, da der alte Bau von einemneuen reichen berbau umgeben wurde. Der Buddha hatte seineJnger gelehrt, in steter Selbstzucht fr sich selbst die Erlsungzu erlangen; whrend viele sich nach wie vor treu an diese Lehredes Meisters hielten, war es anderen nicht mehr genug, fr sichallein das Heil zu erringen. Sie wollten selbst Kandidaten derBuddhaschaft (Bodhisattva), selbst zuknftige Buddhas werden, ummit allumfassender Liebe allen W^esen die Erlsung zu bringen.Man wollte nicht mehr sich selbst allein auf einem kleinen W^gel-chen aus dem brennenden Hause des Weltleids retten, sondern ineinem groen Fahrzeug alle anderen Wesen aus uneigenntzigerBarmherzigkeit zum Nirvana fahren. Die Lehre des Kleinen Fahr-zeugs" (Hinayna) galt als gering, als Vorstufe der neuen Lehredes Groen Fahrzeugs" (Mahyna). Der Buddha hatte in seinenPredigten keine Aufklrung gegeben ber die hchsten Dinge undber das Absolute. Jetzt konnte man sich nicht bescheiden, sichvon diesen Problemen fernzuhalten. Eine Reihe von philosophi-schen Systemen suchen diese Fragen zu losen, die Lcken zu er-gnzen, die der Erhabene offen gelassen hatte. Wenn die Welt desLeids der Vergnglichkeit angehrt, das unbeschreibliche Nirvanaallein ewig und unvergnglich ist, dann ist das Nirvana das Abso-lute, die Erscheinungswelt nur ein tuschender Traum fr den Er-wachten, nur eine trgerische Verhllung des allem zugrunde lie-genden, all -einen Nirvana. Wenn der Buddha im Zustand derseligen Ruhe das Nirvana ist, dann ist er als irdische Persnlichkeitnur eine zeitliche Ausstrahlung desselben, nur eine irdische Ver-krperung der Wahrheit, die schon auf Erden die Loslsung vom

    3 V. Glasenapp, Hinduismus 33

  • empirischen Ich erreicht hat. Dann ist er die ewige Weltordnungberhaupt, die allem zugrunde liegt und innerhalb der sich derganze Weltproze abspielt. So wurde die Lehre des Buddhismusdurch Ausbau und berbau im Mahayana zu einem Theopanismus,zu einer Mystik, die das Transzendente durch Spekulationen zu er-reichen sucht.

    Das Herzensbedrfnis des Menschen, hhere Mchte ber sich zuwissen, von denen er Hilfe erbitten kann, lie sich an derartigenmetaphysischen Konzeptionen nicht gengen. Die Bodhisattvas sindin den hheren Welten wohnende, bermenschliche Wesen, die aufGrund ihrer Erkenntnis fr die Buddhawrde und fr das Eingehenin das Nirvana reif geworden sind, aber aus Mitleid mit der leiden-den Menschheit vorlufig darauf verzichten. Ihnen naht man sichmit Glauben und Hingebung, um sie in Not und Bedrngnis anzu-flehen. Auf diesem Wege fanden theistische und polytheistischeZge in den Buddhaglauben Eingang. In immer wachsendem Maepate er sich den Vorstellungen der Volksmassen an und nahmalles in sich auf, was ihren Inhalt ausmachte. Er kanonisierte ihre

    Gtter, paktierte mit ihrem Kultus und ihrem Bitual und schloKompromisse mit ihren Zauberbruchen, ihrem Beliquiendienst undihren aberglubischen Praktiken. So sehr diese Assimilation der

    Verbreitung des Buddhismus auch zunchst ntzte, auf die Dauerfrderte sie seinen Zerfall. Er hatte sich so sehr mit dem Glaubenujid Kult der Stmme, unter denen er lebte, identifiziert, da erdem Ansturm einer Gegenreformation, welche alles, was darin wert-voll war, aufnahm, aber zugleich auch ein auerordentlich regeseigenes geistiges Leben hatte, auf die Dauer nicht zu widerstehenvermochte.

    Die Benaissance der brahmanischen Beligion setzte im 8. Jahr-hundert ein mit der Wirksamkeit Kumrilas, der zum Mondeder Herbstvollmondnacht fr den Ozean der Begeln des vedischenBituals" wurde. Indem dieser die von der Mimns gelehrte spe-kulative Theologie des Werkdienstes neu begrndete, verhalf erder brahmanischen Ordnung der Kasten und Lebensstadien imKampfe gegen die Buddhisten zum Siege. Nach ihm sanktioniertedann, Shankara (9. Jh.) die bestehenden Kulte und Bruche alsniederes Wissen" und lehrte ber diesem das hhere Wissen**^

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  • der Erkenntnis von der illusorischen Beschaffenheit der Welt undder All-Einheit des transzendenten Brahma in seinem Kommentarzu den Brahma-Stren. Anknpfend an die Lehre der Upanisha-den und der Bhagavadgit, die er von seinem Standpunkte auslegte,und die Errungenschaften der buddhistischen Erkenntnistheorie frsein System benutzend, verkndete er die Lehre von der May unddem Absoluten, die auf das indische Geistesleben bis auf den heu-tigen Tag von ungeheuerem Einflu gewesen ist. Sein philosophi-sches System und seine energische Verteidigung der Rechtglubig-keit zog die indischen Denker so in seinen Bann, da dadurch nachund nach Indien der Lehre des Veda wiedergewonnen wurde.Langsam erlosch der Buddhismus in seinem Heimatlande. Da

    der Proze seines allmhlichen Verschwindens sehr lange gedauerthat, ergibt sich daraus, da noch um 1 5oo die Buddhisten in Benga-len eine gewisse Rolle spielten. Die Vertreibung des Buddhismusscheint in der Hauptsache ohne Blutvergieen vor sich gegangenzu sein, doch haben die Hindus zweifellos dabei auch allerlei Ver-folgungen und Schikanen angewandt. i) Heutzutage finden sichsprliche berreste des Buddhismus auf dem vorderindischen Fest-lande nur noch im Himlaya-Gebiet, namentlich in Nepal, sowieneuerdings auch in Sdindien, wo eine von Ceylon ausgehende Pro-paganda der Lehre des Buddha wieder Eingang verschaffen will.Im heu^tigen Hinduismus gibt es hingegen vieles, das aus dem Bud-dhismus bernommen wurde. Buddha selbst gilt als Inkarnation

    ^) Vereinzelt finden wir hingegen auch Zeugnisse dafr, da die Hindusdie vedenfeindlichen Ketzer erschlugen; im Shankaradigvijaya" be-richtet Mdhava (um 1350 n. Chr.) ber die Ausrottung des Buddhis-mus, der Knig Sudhanv habe seinen Leuten geboten: von derBrcke (des Bma, bei Ceylon) an bis zu den Schneegebirgen (demHimlaya) hin, wer die Buddhisten mitsamt Greisen und Kindern nichterschlgt, soll erschlagen werden", und dieser Befehl soll auch aus-gefhrt worden sein (Deussen, Allgemeine Geschichte der Philosophie"I, 3, S. 188) und in dem buddhistischen Shnya-Purna des bengalischenDichters Rmi Pandit wird erzhlt, die Brahmanen htten dieBuddhisten arg gepeinigt; zur Strafe dafr htten sich die buddhistischenGtter dann als mohammedanische Heilige inkarniert und die Hindusmit Feuer und Schwert verfolgt. (D.C. Sen History of Bengali Lan-guage and Literature" S. 36 f.). Vergl. auch H. W. Schomerus DasEnde des Buddhismus in Indien" N. 0. 7, S. 30.

    3* 35

  • des Vishnu, buddhistische Tempel wie der des Jagannath zu Orissasind jetzt hinduistische Heiligtmer, und der in Bengalen von derunreinen Kaste der Doms verehrte Gott Dharma, von dem es inseinem Mantra heit seine Gestalt ist das Leere*' (Shnyamrti),ist eine Form des Buddha. i)

    Die Lehre Shankaras lie zwar den Glauben und Kultus dervielen Gtter des indischen Pantheons bestehen, ja sie lehrte sogardas Dasein eines hchsten persnlichen Gottes (Ishvara) im Bereicheder Erscheinungswelt der My, erkannte dem allen aber doch nurden Wert eines Hilfsmittels zur Erlangung der wahren Erkenntniszu. Die theistischen Anschauungen, wie sie in den zahlreichenSekten zu Hause waren, die Vishnu oder Shiva als den hchsten,einen und ewigen Gott betrachteten, wurden durch die Vorrang-stellung, welche Shankaras Philosophie geno, in den Hintergrundgedrngt. Auf die Dauer konnte dieser Zustand nicht diejenigenbefriedigen, denen es ein Herzensbedrfnis war, den Glauben aneinen persnlichen Gott, der an den Sorgen und Mhen