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Der Kleine Grenzverkehr

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  • Auenmag

    ERICH KSTNER

    Der kleine Grenzverkehr

  • ERICH KSTNER

    DER KLEINE GRENZVERKEHR

    Bearbeitung von: Gisela Betke Nielsen Illustrationen: Oskar Jorgensen

    ER,

  • ERICH KSTNER (1899-1974)

    Erich Kstner, einer der beliebtesten Schriftsteller Deutschlands, wurde durch seine Kinderbcher, die er fr Kinder von 9 bis 90 Jah ren schrieb, aber auch und ins besondere durch seine Lyrik bekannt. Ursprnglich wollte er Volksschullehrer werden, wurde dann aber nach seinem Studium der Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaft Journalist und spter freier Schriftsteller.

    Mit seinen lyrischen Werken, seinen Romanen und anderer Prosa trat er als ernsthafter Moralist und Satiriker hervor. Seine Erzhlungen sind humorvoll und zeitnahe, sein Ton ist oft scharf. Denn es lag ihm daran, die Mistnde seiner Zeit, die Unmoral, die Lge und die Verflschung der sittlichen Werte in den dreiiger Jahren und der Jahre whrend des Hitler-Regimes blozustellen.

    1957 wurde Erich Kstner mit dem Bchner-Preis, der alljhrlich einem deutschen Schriftsteller von der Deutschen Akademie fr Sprache und Dichtung verliehen wird, ausgezeichnet.

    Werke des Autors, u.a. Kinderbcher: Emil und die Detektive, 1928; Pnktchen und Anton, 1931; Das fliegende Klassenzimmer, 1933; Das doppelte Lottchen, 1949; Gedichtsammlungen: Herz auf Taille, 1927; Lrm im Spiegel, 1929; Ein Mann gibt Auskunft, 1930; Gesang zwischen den Sthlen, 1932; Doktor Erich Kstners Hausapotheke, 1936.

    Romane und andere Prosa: Fabian, 1931; Drei Mnner im Schnee, 1934; Die verschwundene Miniatur, 1935; Der kleine Grenzverkehr, 1938; Der tgliche Kram, 1948; Die kleine Freiheit, 1952; Als ich ein kleiner Junge war, 1957; Notabene, 1961.

  • Inhalt

    Die Vorgeschichte.................................................... 5Der Plan ......................................................... 7Der kleine Grenzverkehr......................................... 9Das groe Ereignis................................................... 15Der freie Tag.............................................................. 38Der Blitz aus heiterem Himmel................................50Die Wendung...............................................................53Das Spiel im Schlo................................................. 60Die Tischszene........................................................... 68Das Interregnum........................................................ 74Fr alle Flle.............................................................. 77Der Abschied............................................................. 86Die Heimkehr...............................................................93

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  • Der kleine Grenzverkehr oder Das Salzburger Tagebuch des Georg Rentmeister

    Die Vorgeschichte

    Berlin, Ende Juli 1937 Karl hat mir aus London geschrieben und fragt, ob ich Mitte August nach Salzburg kommen will. Er ist von dem Leiter der Salzburger Festspiele eingeladen worden, sich einige Auffhrungen anzusehen. Man hat ihm fr jedes Stck zwei Karten versprochen. Ich war lange nicht im Theater und werde fahren.

    hic habitat felicitas, hier wohnt das Glckdie Auffhrung, das Spielen eines Theaterstckes

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  • Da Salzburg in sterreich liegt, mu ich die Grenze berschreiten. Wer zur Zeit die Grenze berschreitet, darf pro Monat hchstens zehn Mark mitnehmen. Nun habe ich mathematisch einwandfrei festgestellt, da ich in diesem Fall an jedem Tag genau 33,3333 Pfennig ausgeben kann, noch genauer 33,333333 Pfennig. Ein bichen wenig! Ich mu noch heute ein Devisengesuch abschicken und um die Bewilligung einer greren Summe bitten.

    Berlin, Mitte August Karl ist schon seit einigen Tagen in Salzburg und hat, da er ungeduldig ist, telegrafiert. Er will wissen, warum ich noch nicht da bin und wann ich wohl eintreffe.

    Ich habe sofort die Devisenstelle angerufen und mich erkundigt, ob ich bald mit einer Antwort auf mein Gesuch rechnen knne. Man verzeihe meine Neugier, aber die Salzburger Festspiele gingen am 1. September zu Ende. Der Beamte hat mir wenig Hoffnung gemacht. Er meinte, es gbe schlielich wichtigere Antrge als die von Vergngungsreisenden!

    Immerhin habe ich aber schon die Erlaubnis der Pastelle: Ich darf fr vier Wochen nach sterreich reisen!

    Doch was ntzt mir das, wenn ich nur zehn Mark mitnehmen kann?

    einwandfrei, ohne Fehlerdie Devisen, das auslndische Gelddas Gesuch, der Antragdie Bewilligung, die Erlaubnis

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  • Berlin, 19. August Karl bombardiert mich mit Telegrammen. Ob ich glaubte, da die Festspiele meinetwegen verlngert wrden! Er sei bereit, mit Toscanini wegen einer Verlngerung zu verhandeln. Ich msse nur noch Bescheid geben, wann ich kommen wollte, im November oder erst im Dezember.

    Was kann ich tun? Die Devisenstelle hat noch nicht geantwortet. Ich wage nicht, schon wieder anzurufen. Die Leute haben schlielich andere Dinge im Kopf als meine Ferien.

    Mein Freund Erich hat mich auf eine Idee gebracht, die nicht schlecht ist: Ich werde mit dem Hotel Axelmannstein in Reichenhall telefonieren und ein Zimmer mit Bad bestellen. Ich kenne das Hotel von frher. Sehr komfortabel mit Golfplatz, Schwimmbad und Tennispltzen. Alles im Hause!

    Meine Sekretrin besorgt die Fahr- und Schlafwagenkarte. Sie soll mir auch die Antwort (Jer Devisenstelle nachschicken.

    Heute abend kann die Reise losgehen!

    Der Plan

    Im Schlafwagen, 19. August Mir ist verschmitzt zumute. Es ist Nacht. Der Zug donnert durch Deutschland. Ich liege im Bett, trinke eine halbe Flasche Rotwein, rauche und freue mich auf Karls dummes Gesicht.

    Er wird kein klgeres Gesicht machen als der alte

    verschmitzt, humorvoll, lustig

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  • Rechtsanwalt Scheinert, den ich am Bahnhof traf. Hallo, Doktor, rief er, wohin fahren Sie denn?

    Nach Salzburg! antwortete ich.Nach Salzburg? Sie Glcklicher! Wo werden Sie

    denn wohnen?In Reichenhall!Der gute Mann hatte noch nie ein sehr kluges

    Gesicht, doch jetzt sah er wirklich wie ein Schaf aus.In sterreich ins Theater gehen, in Deutschland

    essen und schlafen. Die Ferien versprechen lustig zu werden! In meinem alten Schulatlas habe ich gesehen, da Reichenhall und Salzburg keine halbe Bahnstunde auseinanderliegen. Eisenbahnverbindungen sind vorhanden. Mein Pa ist in Ordnung. So werde ich denn im sogenannten kleinen Grenzverkehr hin- und herfahren.

    In Reichenhall werde ich als Grandseigneur leben, in Salzburg als Habenichts. Jeden Tag werde ich der eine und der andere sein. Welch komdienhafte Situation!

    der Grandseigneur, ein vornehmer, reicher Herr der Habenichts, ein armer Mann

    K

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  • Und da haben die Leute Angst, die Welt knnte unro- mantisch werden!

    Die Flasche ist leer. Damm mache ich meine Augen zu.

    Im Speisewagen, 20. August Das Frhstck ist die schnste Tageszeit. Der Schnellzug etdurch die bayrischen Berge. Die Bauern arbeiten auf den Feldern. Die Sommerlandschaft dreht sich um uns wie eine Platte auf Gottes groem Grammophon.

    Wir haben Freilassing passiert. Die nchste Station heit Reichenhall.

    Der kleine Grenzverkehr

    Reichenhall, 20. August, abends Eben bin ich aus Salzburg zurckgekommen. Mitternacht ist vorbei, und ich sitze in meinem Hotel und trinke ein Bier.

    Vor sechs Jahren war ich zum letztenmal in Salzburg. Doch als Karl und ich heute mittag im Garten des Stieglbrus saen und auf die Stadt der streitlustigen und kunstsinnigen Erzbischfe hinunterschauten, war ich von neuem berwltigt. Auch Schnheit kann berwltigen.

    Der Blick auf die durch Portale und Kolonnaden miteinander verbundenen Palste und auf die vielen ver-

    der Erzbischof, ein hoher Beamter der katholischen Kirche berwltigen, hier: groen Eindruck machen das Portal, die Kolonnade, siehe Zeichnung auf Seite 10 der Palast, das Schlo

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  • das Portal die Kolonnade

    schiedenen Trme und Dcher ist hier in Salzburg - nrdlich der Alpen einzigartig.

    Kein Wunder! Diese geistlichen Frsten, die Salzburg schufen, bauten eine italienische Residenzstadt. Die Harmonie der verschiedenen Farben und Farbtne vollendet, was eigentlich keiner Vollendung bedarf. Die Dcher leuchten grn, grau und rot. Darber ragen die Trme des Doms, das dunkelgraue und weinrote Dach der Franziskanerkirche, die altrosa Trme der Kollegienkirche mit ihren Heiligenfiguren, der graugrne Turm des Glockenspiels und andere rote und grne Kuppeln und Trme. Man sieht eine

    Karl erzhlte mir, da Wolf Dietrich von Raitenau, einer der kampflustigen Renaissancefrsten, die sich Erzbischfe nannten, um das Jahr 1600 das alte Mnster und ber hundert Wohnhuser abreien lie. Er wollte einen neuen Dom bauen und holte einen

    der Frst, der Herrscher eines kleineren Reichesbedrfen, ntig habendas Mnster, der Domragen, hher seinder Dom, die Hauptkirche

    IO

  • berhmten Baumeister aus Italien, der mit dem Bau begann. Dann stockte das Bauvorhaben. Wolf Dietrich wurde nmlich auf der Hohensalzburg, seiner eigenen Festung, bis zu seinem Tod von den Bayern, seinen Feinden, gefangen gehalten. Markus Sittikus von Hohenems, sein Vetter und Nachfolger, holte einen anderen italienischen Baumeister. Der ri einen neuen Baugrund heraus und fing von vom an. Erst unter der Regierung des nchsten Erzbischofs, des Grafen Paris Lodron, wurde der Dom vollendet.

    Das war im Jahre 1628, also im Dreiigjhrigen Krieg, der Salzburg berhaupt nicht berhrte.

    Diese drei Herrscher schufen die architektonische Vollkommenheit Salzburgs. Ihre Nachfolger, die im Barock und Rokoko lebenden Kirchenfrsten, brauchten diese Vollkommenheit nur noch rumlich auszubreiten. Auerhalb der Stadt bauten sie fr ihre Mtressen Schlsser, schufen Parks und Lustgrten mit steinernen Tieren und mythologischen Figuren.

    Als Salzburg fertig gebaut war, holten die Erzbischfe andere Knste aus Italien: die Musik und das Theater. Der erste Kapellmeister war immer Italiener. Noch Mozarts Vater brachte es nur bis zum zwei-

    stocken, anhaltendie Festung, ein groes Verteidigungsgebude der Graf, der Titel eines Schloherrn ausbreiten, grer machendie Mtresse, die Geliebte einer hhergestellten Person

  • Karl will mir nchstens das Steinerne Theater zeigen, das Marx Sittich in Hellbrunn bauen lie. In diesem Felsentheater, das mitten im Wald liegt, wurden die ersten italienischen Opern auf deutschem Boden aufgefhrt.

    Salzburg ist zum Schauplatz des Theaters geboren. Es ist kein Zufall, da jetzt - im 20. Jahrhundert - die Salzburger Festspiele internationalen Ruhm haben. Ob man vorJahrhunderten im Steinernen Theater die ersten europischen Opern spielte oder ob man heute vor dem Dom und in der Felsenreitschule Theaterstcke von Hofmannsthal und Goethe auffhrt, diese Stadt war schon immer und ist noch heute mit dem Spieltrieb eng verbunden.

    An unserem Tisch im Stieglbru saen Einheimische. Sie sprachen ber das Theater, als seien sie Kritiker vom Fach. Sie debattierten und diskutierten und verglichen die Schauspieler des Jedermann miteinander, und sie waren sich einig, da der Schauspieler M. am schnsten gestorben sei.

    Nun liege ich im Bett und studiere eine Salzburger Zeitung. Die Redaktion teilt mit, da ber O.OOO Fremde in Salzburg sind und da diese Fremden etwa 15.000 Autos mitgebracht haben. Wenn man daran denkt, da in einem Wagen durchschnittlich drei bis vier Personen sitzen, so bin ich zweifellos der einzige Fremde, der nicht mit dem Auto angekommen ist.

    der Trieb, das starke Verlangender Einheimische, der in seiner Heimat lebende Mensch

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  • Ich fahre mit dem Autobus. Er hlt in Reichenhall vor meinem Hotel und ist - trotz zweier Pakontrollen - eine halbe Stunde spter auf dem Residenzplatz in Salzburg.

    Die zehn Mark, die ich in einem Monat drben verleben darf, habe ich heute bereits ausgegeben. Ich habe alles gekauft, was ich gesehen habe: Mozartkugeln, Ansichtskarten, Brezeln. Sogar englische Gummibonbons! Ab morgen bin ich - auch wenn ich nur eine Tasse Kaffee trinken will - ganz und gar von Karl abhngig.

    Da wir morgen zum Faust gehen, habe ich schon heute meinen Smoking ber die Grenze transportiert und zu Karl gebracht. Er wohnt im Hllbru, einem wunderbaren, alten Gebude. Man mu ber viele schmale, ausgetretene Treppen klettern, bis man in das kleine Zimmer kommt. Nun hngt mein Smoking also in sterreich. Ob er sich nach mir sehnt?

    Morgen mittag will ich mich im Cafe Glockenspiel mit Karl treffen. Ich werde keinen Pfennig Geld,

    Karl will morgens im Mirabellgarten zeichnen. Er

    die Mozartkugel, mit Nougat und Marzipan gefllte Schokolade ausgetreten, vom vielen Benutzen schief geworden

    der Smoking

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  • malt und zeichnet wie ein Verrckter. Er ist in einem heiteren Zustand, und das hat Salzburgs Schnheit bewirkt!

    Als mein Autobus um elf Uhr nachts vom Residenzplatz losfuhr, stand Karl noch immer vor dem Postamt und malte den Hofbrunnen, dieses italienische Meisterstck aller Brunnen: die vier steinernen Pferde

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  • mit ihren Flossen und Fischschuppen und mit ihren Mhnen, die wie Percken aussehen; die Fontnen, die aus den Nstern der Pferde herausschieen und im knstlichen Licht silbern glnzen; und im Hinter- jr grund der schweigsame Dom und die Vorderseite des noch verschwiegeneren Schlosses!

    Gute Nacht, Herr Malermeister!

    1 )as groe Ereignis

    Reichenhall, 21. August I )ie Nacht geht vorbei, und ich habe nicht geschlafen. Wie ein Verrckter bin ich durch die nchtlichen Straen gerannt. Zum Bahnhof und zurck. Die Salzburger Strae entlang und wieder zurck. Im Hotel sa ich zehn Minuten. Dann lief ich wieder hinaus, setzte mich irgendwo auf einen Stein...

    Da mir das passieren mute!Ich bin verliebt! Ein bichen verliebt wie ein Schul-

    |imge, das wre ja nicht so schlimm! Aber verliebt wie eine ganze Klasse? Ich bekomme keine Luft, wenn ich an das Mdchen denke. Und ich denke unaupialtsam .m sie! Mir ist zum Erstickenl Ein schrecklich herrlicher Zustand!

    Als ich mittags in Salzburg ankam, war Karl noch nicht im Cafe. Meine Brieftasche lag in Reichenhall, und ich ging ohne einen Pfennig - wie das Gesetz es befahl - in die kleine Michaeliskirche und schaute sie

    unaufhaltsam, ohne aufzuhren ersticken, keine Luft bekommen

    *5

  • mir an. Als ich aus der Kirche trat, go es in Strmen. Ich rannte ins Cafe Glockenspiel, bestellte einen Kaffee, las eine Zeitung nach der anderen und wartete auf Karl. Ich sa auf Kohlen. Der Kaffee war getrunken, und der Ober - so schien es mir - umschlich mich wie ein Polizist.

    Was sollte ich tun, wenn Karl nicht kam? Die verabredete Zeit war lngst vorbei. Es hatte keinen Sinn, lnger zu warten. Mir blieb nichts anderes brig, als einen der Gste zu bitten, meinen Kaffee zu bezahlen. Da hatte ich die romantische Situation, die ich mir so schn ausgemalt hatte!

    Ich sah mir die Gste an. Wer knnte einen Fremden zu einer Tasse Kaffee einladen, die er bereits getrunken hatte?

    Und da sah ich sie! Sie heit Konstanze. Kastanienbraunes Haar hat sie und blaue Augen. Aber auch wenn es umgekehrt wre, wre sie vollkommen.

    Wahrscheinlich hatte sie die Unruhe, mit der ich auf jemanden wartete, beobachtet. Und nun blickte sie belustigt zu mir herber. Wenn sie nicht gelchelt htte, dann... ja dann... Aber ihr Lcheln!

    Ich stand auf, ging zu ihr herber, gestand ihr meine Notlage und bat sie, mich zu bedauern und mir zu helfen.

    Sie lachte! Oh, welch eine musikalische Stadt Salzburg ist! Sie lachte und forderte mich zum Sitzen auf. Sie bezahlte den Kaffee und lud mich zu einer zweiten

    auf Kohlen sitzen, ungeduldig und nervs warten umschleichen, leise und langsam herumgehen sich ausmalen, sich in der Phantasie vorstellen belustigt, Spa an etwas haben

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  • lasse ein. Ich wei, da ich das abschlug. Was wir sonst geredet haben, wei ich nicht. (Es gibt keinen Zweifel: Verliebtheit gehrt in das Gebiet des akuten Verrcktseins).

    Dann brach sie auf. Selbstverstndlich kam ich mit. Wir machten Besorgungen: Erst auf dem Marktplatz vor der Kollegienkirche, dann in der Getreidegasse. In einer Bckerei kaufte sie zwei Lebkuchenherzen. Die a en wir auf der Strae. Ich trug ihr Einkaufsnetz und mein Lunchpaket. Dann verabschiedete sie sich. Sie versprach, morgen wieder ins Glockenspiel zu kommen.

    das Lebkuchenherz

    Ja , und dann gab ich ihr einen Ku! Zwischen hun- derten von Menschen! Von allen Sprachen der Welt umgeben! Ich kannte sie kaum und gab ihr einen Ku! Ich konnte gar nicht anders. Mir war, als gbe ich ihn dem Schicksal, das mich zu ihr gefhrt hatte.

    Eben noch hatte sie gelchelt. Nun war sie ernst. So ernst wie ich.

    So war es gewesen. - Karl traf ich dann in seinem Zimmer im Hllbru. Er hatte im Cafe Tomaselli auf mich gewartet. Es war ein Miverstndnis gewesen! Weiter nichts! Ein Miverstndnis!

    Ich zog meinen Smoking an. Spter a ich im

    abschlagen, ablehnen auflrechen, losgehen

    2 Der kleine Grenzverkehr I *J

  • Brustbl, was man mir in Deutschland mitgegeben hatte: gekochte Eier, Wurstbrote, Weintrauben und Pfirsiche.

    Die Kellnerin brachte unaufgefordert Teller, Messer und Gabeln. Bauern, Chauffeure, Theaterbesucher, alle sitzen in diesen Brustuben an ungedeckten, gescheuerten Tischen und essen das mitgebrachte Brot. Mein Bier bezahlte Karl.

    Die Faust-Auffhrung hat mir nicht besonders gut gefallen, aber das lag wohl an meiner Stimmung. Man hat die um 1700 angelegte und in die Felsen gemeielte Reitschule zu einer Freilichtbhne umgebaut. Die Schaupltze liegen manchmal ber-, manchmal nebeneinander. Die Scheinwerfer beleuchten manchmal hier, manchmal da ein Bhnenbild. Die Entfernung zwischen den Bhnenbildern ist oft so gro, da ich den Eindruck hatte, die Schauspieler mten sich beeilen, um rechtzeitig von einer Szene zur anderen zu kommen.

    Warum spielt man eigentlich Goethes Faust? In der Pause hrte ich ein Gesprch zwischen einer Amerikanerin und einem Amerikaner. Sie sprachen ber den Eindruck, den das Stck auf sie gemacht hatte.

    scheuem, mit Wasser, Seife und Brste reinigenmeieln, aus Steinen herausschlagendie Freilichtbhne, das Theater unter freiem Himmel

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  • Do you understand a word? fragte sie.Und er antwortete: No.Nach der Pause begann es zu regnen. ber den

    / u schauerraum wurde eine Plane gerollt. Als nun der Regen auf dieses Zeltdach prasselte, war es unmglich geworden, Goethe zu verstehen. Faust machte den Mund wie ein Nuknacker auf und zu. Gretchen und Mephisto wurden na und durften keinen Regenschirm benutzen.

    Nach der Auffhrung zog ich mich in Karls Zimmer

    die Plane, das Zeltdachprasseln, mit starkem Gerusch aufschlagen

    *9

  • um und erreichte gerade noch den letzten Autobus nach Reichenhall.

    Jetzt will ich zu schlafen versuchen, obgleich mir das Herz im Halse klopft. Sie heit Konstanze, und morgen werde ich sie Wiedersehen. Sie sieht aus wie eine Prinzessin und ist - ein Stubenmdchen! Tatschlich! In einem Schlo in der Nhe von Hellbrunn. Das Schlo gehrt einem Grafen, der mit seiner Familie auf Reisen ist und der das Haus und die Diener whrend der Festspielzeit an reiche Amerikaner vermietet hat.

    Ein Stubenmdchen? Eher eine Zofe aus einer Mozart-Oper'

    Ich gestand ihr, da ich das Geld fr die Tasse Kaf- fee und den Lebkuchen nicht zurckgeben knne. Sie lachte. Sie hat ein Sparbuch.

    Ich kann nicht schlafen.Drauen wird es hell. Ich stehe auf.

    Salzburg, 22. August, mittags Ich habe den ersten Autobus nach Salzburg benutzt. Whrend der Fahrt kam die Sonne hinter den Wolken hervor und schien auf Reichenhall und Salzburg. Zu beiden Seiten der Grenze waren die gleichen Berge; auf beiden Seiten spricht man dieselbe Sprache; hier und dort trgt man die gleiche Tracht, die Lederhosen,

    tatschlich, wirklichdie Zofey die Dienerin einer Grfindie Tracht, die Kleidung, die man in den unterschiedlichen Landschaften trgt

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  • die Lodenmntel, die Dirndlkleider und die lustigen grnen Hte mit den Rasierpinseln. Der einzige Unterschied ist der, da in Deutschland die Autos rechts, in ( )sterreich dagegen links fahren mssen.

    Gleich hinter dem sterreichischen Zollamt liegt ein Ort, der Himmelreich heit. Als ein Bauer beim Schaffner Himmelreich, hin und zurck verlangte, klang es viel poetischer, als es gemeint war.

    Karl sah ich auf einer der Salzachbrcken. Dort zeichnete er einen Angler, der im Flu auf einem groen Stein stand. Ich wartete, bis er auch mit dem Hintergrund, einer Kirche mit einem hbschen roten Dach, fertig war. In der Zwischenzeit betrachtete ich die Auslnder. Viele von ihnen wollen die Einheimischen in der Tracht bertrumpfen. Voll kindlichen Stolzes tra

    gen sie die Kleidung der sterreichischen Bauern und Buerinnen. Sie tragen Kropfketten am Hals, ohne einen Kropf zu besitzen und haben englische Regenschirme ber dem Arm.

    der Lodenmantel, ein Mantel aus festem Wollstoff das Dirndlkleid, ein bayrisches oder sterreichisches Trachtenkleidbertrumpfen, besser sein

    die Kropf kette

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  • Es strt nicht, es belustigt nur!In Salzburg drfen ja auch die Zuschauer Theater

    spielen!Spter bummelten wir durch die Gassen, blickten in

    Tore und Hfe hinein, freuten uns ber alte Holztreppen, ber kunstvolle Handwerks- und Gasthausschilder, ber bunte Heilige in Hausnischen, ber heitere und fromme Sprche unter den Dchern. Wir freuten uns ber alles, was alt war.

    Dann stiegen wir zur Hohensalzburg hinauf. Wir wollten die vielen Trme, Tore und Wlle, die man vom Tal aus sehen kann, aus der Nhe betrachten. Der

    bummeln, Spazierengehendie Gasse, eine kleine, alte Straedie Nische, eine Vertiefung in einer Hausmauerfromm, religisder Spruch, ein kurzer Satz mit einer Lebensweisheit der Wall, eine Schutzmauer an der Festung

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  • Anstieg bot uns viele wechselnde Aussichten auf die schne Stadt und die anmutige Landschaft. Als wir oben waren, schauten wir uns grndlich in der alten Festung um. Karl zeigte mir wichtige Punkte des Panoramas: das Schlo Hellbrunn, den Gaisberg, dessen kleinen Bruder, den Nockstein, die weie Wallfahrtskirche Maria-Plain. Dann setzten wir uns in der Festungsgaststtte unter einen der groen, bunten Sonnenschirme.

    Karl, der immer zu essen anfngt, bevor er hungrig ist, bestellte eine Erbsensuppe. Ich a trotz seiner Proteste aus meiner Reichenhaller Tte.

    Ich werde dir heute sowieso noch groe Ausgaben verursachen, sagte ich.

    Willst du dir eine Lederhose kaufen? fragte er.

    anmutig, hbsch.

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  • Ich brauche heute nachmittag zwei Tassen Kaffee und zwei Stck Kuchen.

    Seit wann it du denn zwei Stck Kuchen?Er schttelte den Kopf, legte aber gutmtig ein Fnf-

    Schilling-Stck auf den Tisch.

    gutmtig, hilfsbereit und freundlich

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  • Ich sagte: Erstens werde nicht ich den Kuchen essen, und zweitens will ich kein Bargeld haben. Das wre mglicherweise gegen die Bestimmungen. Ich mu dich bitten, mit mir ins Glockenspiel zu kommen und dem Kellner den Geldbetrag fr zwei Tassen Kaffee, zwei Stck Kuchen und das Trinkgeld in die I liind zu drcken. Ich bin ein Habenichts und will es mich bleiben.

    Und sobald ich dem Kellner das Geld gegeben habe, willst du mich nicht lnger zurckhalten!

    Ich wei, da du im Mirabellgarten die steinernen Zwerge zeichnen willst. Knstlern soll man nicht im Wege stehen.

    Deshalb hast du also den Strau Alpenveilchen aus Rrichenhall mitgeschleppt, meinte Karl.

    Und ich sagte: Ich wollte dir nicht auch noch wegen der Blumen Umstnde machen.

    Das war unser erstes Gesprch ber Konstanze.

    das

    Reichenhall, am selben Tag, abends Als sie ins Cafe kam und mir zulchelte, war die l Inruhe der letzten vierundzwanzig Stunden vergessen. Das erste Wiedersehen ist der Richter ber die eiste Begegnung.

    Als Konstanze auf mich zukam, sprte ich, da das

    ZwergAlpenveilchen

    spren, merken

  • Glck diesmal nicht zu vermeiden war. Es mute uns in die Arme laufen.

    Sie freute sich ber die rosaroten Alpenveilchen. Der Kellner stellte den Strau in eine Vase. Ich

    die

    erzhlte ihr, wie erfinderisch ich gewesen war, um den Gastgeber spielen zu knnen. Zum Zeichen ihres Dankes a sie beide Kuchenteller leer. Auf kein Essen, zu dem ich jemals Frauen oder Freunde eingeladen habe, bin ich so stolz gewesen wie auf den von Karl vorausbezahlten Kaffee und Kuchen. Es war wie Weihnachten im August!

    Wir sprachen ber unbedeutende Dinge: ber Kuchen und Autobusverbindungen. Anschlieend erzhlte sie lustige Geschichten aus ihrem Berufsleben. Solch ein sterreichisches, an reiche Amerikaner vermietetes Renaissanceschlo sollte einmal von einem Lustspielautor aufs Korn genommen werden.

    Konstanze ist durchaus nicht ungebildet. Sie hat die Handelsschule besucht. Und sie verstand es, mir sachkundig zuzuhren, als ich ihr von meiner Arbeit erzhlte.

    Die Zeit stand nicht still. Konstanze hatte noch eine

    der Gastgeber, der Wirtaufs Korn nehmen, sich lustig machenungebildet, unwissendsachkundig, fachmnnisch

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  • freie Stunde und brauchte keine Besorgungen mehr zu machen. So beschlossen wir, Karl im Mirabellgar- len zu berraschen. Doch kaum standen wir auf der Strae, als es - wie blich hier am Ort - zu regnen begann. Wir liefen los und kamen atemlos im Portal des Residenzschlosses an. Dort schlossen wir uns einer lhrung durch die prunkvollen, historischen Rume an.

    Solche Fhrungen entbehren nie der Komik. Konst anze kicherte bereits im ersten Raum. Der Fhrer warf uns einen bsen Blick zu, und ehe er in den nchst eil Raum trat, beschlossen wir, allein weiterzugehen. Wir lieen ihn und die Besucher vorausgehen und .|mzierten dann, Hand in Hand, allein und stumm wie in einem Mrchenschlo von Raum zu Raum. Dann wurde Konstanze bermtig. Sie spielte eine Amerikanerin, die mich fr den Fhrer hielt, und sie verlangte < I ie merkwrdigsten Ausknfte ber Bilder, Teppiche, kunstvolle Uhren und was ihr sonst ins Auge fiel.

    Ich stellte mich als Museumsdirektor Doktor Gali- mathias vor und beantwortete ihre Fragen mit haarstrubendem Unsinn. Konstanze spricht brigens ein perfektes Englisch. Was man auf so einer Handelsschule alles lernt! Ich htte auch hingehen sollen!

    Im Schlafzimmer der Erzbischfe, im ltesten Teil des Residenzschlosses, sahen wir die anderen wieder. Der Fhrer ffnete eine Tr. Wir blickten in das

    prunkvoll, kostbar entbehren, hier: fehlenkichern, mit leiser und hoher Stimme lachen das Mrchen, eine erfundene, phantasievolle Geschichte bermtig, bertrieben frhlich haarstrubend, schrecklich

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  • Innere der Franziskanerkirche! Wir traten auf den Balkon, auf dem die Erzbischfe frher dem Gottesdienst beiwohnten.

    Vier gewaltige Sulen ragten hinauf bis in das Kirchendach. Unter uns lag der goldene Altar mit einer kindlichen Madonna. Um sie und ihr Kind schwebten gesunde, vergngte Engel, ein fliegender Kindergarten! Und an den Seiten des Altars standen zwei herrlich bemalte Holzfiguren, der heilige Georg und der heilige Florian. Beide mit blitzendem Panzer, hohen Schnrstiefeln, Turnierlanzen und Helmen, auf denen bunte Pleureusen wippten. Zwei antike Kmpfer aus der Barock-Oper!

    Die Fhrung war beendet, und der Regen hatte aufgehrt. Wir gingen noch einmal - jetzt durch das Hauptportal - in die Franziskanerkirche. Wieder bewunderten wir die runden Sulen und den farbenprchtigen, frhlichen Altar. Dann wanderten wir auf Zehenspitzen durch den ltesten Teil der Kirche. Morgen hat Konstanze keine Zeit fr uns beide. Doch bermorgen ist ihr freier Tag. Den wollen wir gemeinsam verbringen. Ich soll das Badezeug nicht vergessen. Hoffentlich kostet das Baden nichts! Die finanzielle Seite dieses freien Tages macht mir Kummer. Oder soll ich Karl als lebendes Portemonnaie mitschleppen? Lieber bringe ich drei Ruckscke und sechs

    der Rucksack

    beiwohnen, dabei seinschweben, langsam und ruhig fliegenwippen, hin und her bewegen

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  • der Engel

    die Turnierlanze

    dlo Sule der Panzerder Schnrstiefel

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  • Thermosflaschen aus Reichenhall mit! Meinen Vorschlag, sie solle nach Deutschland mitkommen, lehnte sie ab. Sie will, denke ich, in ihrer eigenen Umgebung bleiben.

    In der Haffnerstrae verabschiedeten wir uns. Ich sagte: Also auf bermorgen, Frulein Konstanze! Sie sah mich lchelnd an, gab dem Alpenveilchenstrau einen kleinen Ku und rief frhlich: Gr dich Gott, Georg! Dann war sie verschwunden.

    Abends waren Karl und ich im Domkonzert. Man spielte die C-Dur-Messe, opus 86 von Beethoven. In den vollbesetzten Stuhlreihen saen Mnche, elegante Frauen, auslndische Pressevertreter, Priester, Reisende aus aller Welt, Bauern, Studenten, alte Frauen, Knstler und Offiziere.

    Es war eine unermeliche Stille. Die Frommen schwiegen miteinander, und wir anderen schwiegen fr uns allein.

    Man hat diese Kirche den schnsten Dom Italiens

    gr Gott, der Gru in sterreich und in Sddeutschland unermelich, sehr viel, sehr gro

    30

  • .mf deutschem Boden genannt. Heute abend stimmte . Als sich die Kapelle, der Chor, die Orgel und die >< ilosnger zu der gewaltig klingenden Musik Beetho-

    vrns vereinten,flatterten kleine Fledermuse - im Schlaf gestrt - lautlos in der hohen Kirche ber unseren Kpfen hin und her.

    Ich schrieb auf einen Zettel, den ich zu Karl schob: 11 ier haben selbst die Muse Engelsflgel. Er nickte,

    dm in versank er wieder im Zuhren.Gr dich Gott, Georg! hat sie gesagt.

    Salzburg, 23. August, nachmittags im Tomaselli

    An der Grenze kennt man mich armen Reisenden * hon. Heute wollte der Zollbeamte mein Portemon-

    i i . i i i * sehen. Ich sagte der Wahrheit entsprechend, es Li ge im Schlsselfach des Hotels Axelmannstein. Er liagte besorgt, was ich tte, wenn ich in sterreich I >ii i st bekme. Ich erzhlte ihm von meinem wohlttigen freund Karl.

    Hallern, mit schnellen Bewegungen der Flgel hin und her flie gennicken, den Kopf auf und ab bewegen besorgt, voller Sorgewohlttig sein, mit Geldgeschenken helfen

    3 1

  • Karl erwartete mich vor dem Augustinerkeller in Mlln. Wir wanderten in die Stadt an dem Gsttten- viertel vorbei. Dessen Huser kleben an den Felsen des Mnchsberges und sind zum Teil in die Felsen geschlagen. Man kann durch die offenen Tore niedrige Gewlbe und im Hintergrund sogar Zimmer mit Felswnden erkennen. Es ist nicht ungefhrlich, hier zu wohnen, obwohl die Huser durch besonders groe Dcher geschtzt sind. Trotzdem wurden 1669 zwei Kirchen und eine ganze Huserreihe vernichtet.

    Wir wanderten an der Ursulinerinnenkirche vorbei ins Stdtische Museum. Dort schauten wir uns eine Stunde lang die vielen Kostbarkeiten an, bis uns die Augen schmerzten.

    Das Schnste war fr mich der Spottofen. Jede Kachel des Ofens stellt einen Buchrcken mit einem gelehrten Titel dar. Das Ganze wirkt also wie ein Bcherberg, der verbrannt wird. Und aus den Bcherkacheln ragt ein kleiner, aufgeregt gestikulierender Redner heraus. Man wei nicht recht, ob er predigt oder ob er wtend darber ist, da man die Bcher verbrennt.

    Karl will in den nchsten Tagen das Monatsschlchen bei Hellbrunn zeichnen. Dieses Schlchen war ein spontaner Einfall des Erzbischofs Marx Sittich von Hohenems. 1615 lie er es in einem einzigen Monat bauen. Warum? Er wollte einen Besucher,

    das Gewlbe, die unregelmig geformte Decke eines Raumes der Spott, scharfe Ironiegestikulieren, mit Hnden und Armen lebhafte Bewegungen machenpredigen, in der Kirche von Gottes Wort sprechen der Einfall, die Idee

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  • der Spottofen

    die Kachel

    i In Salzburg bereits kannte, berraschen! Sonst nichts! Andere Zeiten, andere Ideen!

    Zu Mittag aen wir auf dem Mnchsberg. Ich nahm Karls Einladung an und teilte ihm mit, da er heute Kriuen Kuchen und hchstens eine Tasse Kaffee zu br/.ahlen brauchte, und da er mich morgen berhaupt nicht sehen wrde.

    Es tut wohl, wenn Freunde nicht neugierig sind. Doch das kann auch Interesselosigkeit sein! Er n< hwieg.

    *> Wenn es dir recht ist, mchte ich dich bermorgen konstanze vorstellen. Sie ist ein herrliches Mdchen. Sir hat blaue Augen und kastanienbraunes Haar und -

    i Ufi kleine Grenzverkehr 33

    12812744

  • Jawohl, meinte er, sie sieht bezaubernd aus.Du hast uns gesehen?Gestern. Und sie kann gehen! Die meisten Frauen

    knnen nicht gehen, sondern haben nur Beine, man wei nicht recht, wozu.

    Sie lt dir fr Kaffee und Kuchen danken. Oh, bitte.Morgen hat sie ihren freien Tag.Was hat sie morgen?Ihren freien Tag, wiederholte ich. Sie ist Stuben

    mdchen.Da bog sich Karl im Stuhl zurck und lachte so

    laut, da die anderen Gste zusammenschreckten und unfreundlich herbersahen. Ich glaube, ich war rot geworden.

    Wie kannst du denn ber so etwas lachen? sagte ich.

    Als Karl endlich sein nervttendes Gelchter niedergekmpft hatte, sagte er: Menschenskind, diese junge Dame ist doch kein Stubenmdchen!

    Natrlich ist sie eines, antwortete ich, auerdem hat sie die Handelsschule besucht, und sie spricht besser Englisch als wir beide zusammen.

    Na schn, sagte er und zog die Schultern hoch. Dann kannst du sie ja zum Staubwischen nach Berlin mitnehmen!

    Karl ist manchmal zu dumm!

    Reichenhall, 23. August, nachts Die vorige Notiz schrieb ich heute nachmittag im Tomaselli, Salzburgs ltestem Kaffeehaus. Es ist

    bezaubernd, besonders hbsch

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  • sicher fast so alt wie das Kaffeetrinken in Europa. Vorher hatten wir im Mirabellgarten gesessen, zwischen bunten Blumen beeten, steinernen Lwen, Einhrnern, I lalbgttem und barocken Damen.

    Auf dem Rckweg wurden wir von einem heftigen Kegen berrascht. Wir liefen ber die Brcke, an dem hbschen Rokoko-Rathaus und am Floriansbrunnen vorbei und hinein in das vollbesetzte Cafe. Im ersten Stock fanden wir schlielich zwei Sthle. Der Regen I h ;isselte gegen die Fenster. Und wir hatten Karten fr

  • rung trotzdem statt, und zwar im Festspielhaus.Vom Nebentisch sagte ein mivergngter Herr:

    Die Festspiele sind fast zu Ende, und nicht eine einzige Auffhrung hat vor dem Dom stattgefunden! Jedesmal hat es geregnet!

    In Salzburg, meinte Karl, regnet es immer mehr als woanders, aber im August regnet es in Salzburg tglich.

    Weil da die Festspiele sind! Der Nachbar war auf die Welt bse.

    Der Nachbar dieses Nachbarn sagte: Die Fremden kommen, auch wenn es tglich regnet. Ich vermute, es regnet hauptschlich, damit die Kaffeehuser voll werden. Dann las er weiter in der Neuen Wiener Zeitung.

    Ich seufzte und erklrte, da ich an Konstanze dachte: Man htte Konditor in Salzburg werden mssen!

    Karl sah mich wie ein Arzt an, der den neuen Patienten zum erstenmal untersucht.

    Spter zogen wir uns in seinem Zimmerchen unsere Smokings an. Und als es Zeit war, eilten wir - vom Regen getrieben - zum Festspielhaus. Die Einheimischen standen trotz des Regens in dichten Reihen und bewunderten wie jeden Abend das Schauspiel vor dem Theater: das Ankommen der Autos, das Aussteigen der kostbar gekleideten Damen, das vornehme Benehmen der Herren und was sich sonst dem Auge bot. In diesem Jahr besuchten die italienische Knigin, der Knig und die Herzogin von Windsor, die Frau des Prsidenten Roosevelt, der amerikanische Snger Lawrence Tibett, der Maharadscha von Kapurthala, Herr Metro-Goldwyn-Mayer und Mar

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  • lene Dietrich das Theater. Und Karl und ich natrlich!Hofmannsthals Jedermann, dieses beste Stck

    aller Schauspiele, hat mich von neuem berwltigt. Das ist wirklich ein Schauspiel, das jeder versteht, ob er aus den USA, aus China oder von den Fidschi- Inseln kommt. Und es ergreift jeden. Die Handlung, die Entwicklung der Hauptperson, die Schuld und die (Inade, alles ist berzeugend und ergreift auch den, der kein Wort davon versteht.

    Nun hngt mein Smoking wieder in sterreich. Ob Karl die Jacke ber den Bgel gehngt hat? Verspro- chen hat er es!

    I Ind morgen ist Konstanzes freier Tag. Ich habe sie vierundzwanzig Stunden nicht gesehen. Mir ist wie einem Kind, das auf Weihnachten wartet.

    Der Portier hat mir einen Rucksack geborgt. Ich habe ihn mit Wurst, Brot, Butter, Kse, Schokolade, Rotwein und Obst fllen lassen, da ich morgen wahrscheinlich zusammenbrechen und wie ein sterbender Soldat auf der Erde liegen werde.

    Seit der Schulzeit bin ich nicht mehr gewandert. Wenn das nur gut geht! Der Mensch ist ein Spielball der Leidenschaften!

    ergreifen, hier: sehr groen Eindruck machen die Gnade, das Verzeihen Gottes borgen, leihenz usammenbrechen, die Krfte verlieren

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  • Der freie Tag

    Hellbrunn, 25. August, morgens Nun ist er vorber, Konstanzes freier Tag! Er ist in die Vergangenheit gesunken, hinunter zu den brigen, den glcklichen und traurigen Tagen, die nicht zurckkehren.

    Ich sitze in einer uralten Allee und bin allein. Es ist noch frh, und die Morgensonne strahlt auf das Schlo Hellbrunn. - In einem anderen, einem kleineren Schlo, nicht weit von hier, wird Konstanze jetzt die F r h s t c k s t /^ die Treppe hinauftragen und an mich denken. Hoffentlich lt sie kein Tablett fallen. Altes Porzellan ist teuer. Ob sie wie andere Stubenmdchen ein schwarzes Kleid, eine kleine weie Tndelschrze und auf dem Haar ein weies Rschenhubchen trgt? Ich darf nicht vergessen, sie danach zu fragen.

    das Rschenhubchen

    Gestern morgen kam sie nicht als*Zofe, sondern als Amazone. Ich erwartete sie auf dem Salzburger Residenzplatz. Mein Rucksack war so schwer, da ich

    uralt, sehr altdie Amazone, ein jungenhaftes, sportliches Mdchen

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  • Mhe hatte, nicht auf den Rcken zu fallen. Da kam ein kleines Sportauto um die Ecke. Jemand winkte. Der Wagen bremste. Am Steuer sa ein junges Mdchen und rief: Servus, Georg!

    Ich traute meinen Augen nicht. Es war Konstanze. Und ich verga vor berraschung, ihr die Hand zu geben.

    Der alte Graf hat mir vor seiner Abreise erlaubt, den Wagen in wichtigen Fllen zu benutzen. Und, fragte sie, ist mein freier Tag nicht ein wichtiger Fall?

    Ja, ja!Na also!Aber das Benzin?Du vergit mein Sparbuch.Und das Fahren? Hast du das auch auf der Han

    delsschule gelernt?Nein. Ich brauchte den Fhrerschein, weil ich die

    Schwester des Grafen oft spazierenfahren mu. So, nun steig aber ein, bevor dich dein Rucksack zu oden wirft!

    Ich verstaute den Rucksack, setzte mich neben sie und schttelte ihr die Hand. Sie gab Gas, und fort ging es. Um das Wandern war ich also herumgekommen.

    In den Dorfgrten blhten Blumen. Auf den Wiesen standen Khe und Pferde. Der Tag wurde hei. Konst anzes Augen strahlten. Ihr Mund war halb geffnet,

    Servus!, ein sddeutscher und sterreichischer Grutrauen, hier: glaubenverstauen, hineinlegenherumkommen, hier: vermeiden knnen

    39

  • und sie sang leise. Wenn ich sie von der Seite ansah, lchelte sie, blickte aber immer geradeaus. Manchmal rief sie mir den Namen eines Ortes zu. Dann sang sie wieder vor sich hin. Schlielich sang ich sogar die zweite Stimme mit.

    Wir setzten uns auf einen Felsblock, schauten ber Berg und Tal und freuten uns, ein Teil dieser schnen Welt zu sein. Ein Segelflugzeug schwebte lautlos wie ein groer, geheimnisvoller Vogel ber den Wldern. Das Gefhl fr Zeit hatten wir verloren. Irgendwann fuhren wir an dem blauen Fuschlsee vorbei bis zum Wolfgangsee. Hinter St. Gilgen parkte Konstanze den Wagen auf einem Wiesenweg. Wir liefen zum Ufer, zogen das Badezeug an, sprangen ins Wasser, schwammen in den See hinaus, lagen hinterher im warmen Gras, bis wir trocken waren und blinzelten in die Sonne. Manchmal fuhren Schiffe mit winkenden und rufenden Touristen vorber. Aber sonst waren wir mit unserer bunten, duftenden Blumenwiese allein.

    Manchmal plauderten wir, manchmal aen wir aus meinem Rucksack, manchmal kten wir uns, und die Heimchen unterhielten uns mit ihrem Konzert. So hnlich mu es im Paradies gewesen sein. Natrlich mit dem Unterschied, da Adam und Eva unartiger waren als wir! Wenn am Abend nicht ein Gewitter gekommen wre, lgen wir wahrscheinlich jetzt noch

    der Felsblock, ein groer Steinblinzeln, die Augen schnell auf- und zumachenduften, gut riechenplaudern, sich unterhaltendas Heimchen, ein Insekt, das im Sommer hohe und scharfe Tne von sich gibT*

    40

  • dort. So aber muten auch wir zwei aus dem Paradies flchten. Es wiederholt sich alles!

    Der Himmel wurde blutrot. ber den Bergen blitzte das Schwert des Erzengels. Und kaum hatten wir das Autodach festgemacht, brach das Gewitter los. Der Regen ging wie eine Lawine auf uns nieder, und der Donner ktachte wie schwere Mrser.

    das Schwert, der Erzengel, siehe Zeichnung auf Seite 42 die Lawine, der Schneesturz krachen, donnernder Mrser, hier: eine schwere Kanone

    4 1

  • In Salzburg regnete, blitzte und donnerte es natrlich auch. Wir landeten schlielich im Bahnhofs warteraum, und dort blieben wir solange, bis der Regen aufgehrt hatte.

    Abends waren wir in einem Mozart-Konzert, das der um Salzburg und dessen grten Sohn verdiente Dr. Bernhard Paumgartner dirigierte. Konstanze hatte die Karten von dem Amerikaner, der das Schlo gemietet hat, geschenkt bekommen. Dieser amerikanische Millionr heit Namarra und besitzt Fabriken, in denen Celophantten hergestellt werden: Celo- phantten fr Bonbons, fr getrocknetes Obst, fr Papiertaschentcher, fr Mandeln, fr Nsse.

    Eine Druckerei hat er auch. Dort werden die gewnschten Firmennamen und Reklametexte auf die bestellten Tten gedruckt.

    Wenn man daran denkt, womit manche Leute reich werden, und wenn man weiterhin daran denkt -

    die Mandel

    42

  • gerade bei Mozart liegt der Gedanke nahe - womit manche Leute arm bleiben, knnte man wtend werden!

    Die Abendmusik war ganz herrlich! Man spielte zwei Stcke von dem noch nicht zwanzigjhrigen Mozart: eine A-Dur-Symphonie und ein Konzert fr Violine mit einem italienischen Virtuosen. Eine Franzsin sang Lieder von Mozart, und zum Schlu spielte man die Linzer Symphonie. Leider waren nicht viele Besucher da. Aber unter den Zuhrern war kein Banause, der sich an der Theaterkasse erkundigt htte, ob der Maestro Toscanini den Jedermann dirigiere. Nein, die Knstler waren in guter Gesellschaft. Und Paumgartner war ein Dirigent nach meinem Herzen.

    Als wir auf dem Residenzplatz ankamen, war der letzte Autobus nach Reichenhall ber alle Berge. Wir fragten im Hllbru nach Karl. Er war nicht da. Ich beschlo, auf der Strae zu warten. Konstanze widersprach heftig und wollte mir fr die Nacht ein Hotelzimmer kaufen. Das wollte ich nun wieder nicht. Nach lngerem Hin und Her sagte sie: Dann bleibt nur eins brig. Du bernachtest im Schlo!

    Wo denn da?In meinem Zimmer. Auf dem Sofa.Wenn das jemand merkt, verlierst du deine Stel

    lung.Wenn du nicht im Schlaf singst oder um Hilfe

    rufst, wird man nichts merken.

    der Banause, ein ungebildeter, uninteressierter Mensch widersprechen, dagegen sprechen

    43

  • Aber Konstanze! Weshalb sollte ich denn in deinem Zimmer um Hilfe rufen?

    Sei nicht unartig, Georg! sagte sie. Und morgen frh schmuggle ich dich aus dem Haus. Komm!

    Wir fuhren weiter.Zehn Minuten spter schlichen wir wie Einbrecher

    im Schlo des Grafen H. ber die Nebentreppe. Es war ganz dunkel, und Konstanze fhrte mich vorsichtig an der Hand. Schlielich ffnete sie eine Tr, schlo lautlos ab und machte das Licht an. Wir waren in einem freundlichen Zimmer. An den Wnden hingen alte Familienbilder und Zeichnungen. Sie zeigte auf ein Sofa. Dann ging sie zum Fenster, das weit geffnet war, und zog die Vorhnge zu. Sie kam leise zu mir zurck und flsterte: Du machst jetzt das Licht aus und machst es erst wieder an, wenn ich es erlaube. Nicht vorher! Sonst bin ich bse.

    Ich nickte, machte das Licht aus und stand im Dunkeln. Konstanzes Kleid raschelte. Ich hrte, wie sie die Schuhe auszog. Das Bett knarrte ein wenig.

    Georg! flsterte sie.Ja? flsterte ich.Jetzt! flsterte sie.Im selben Augenblick hrte ich Schritte auf dem

    Gang. Vor der Tr machten sie halt.Konstanze? fragte jemand halblaut, schlfst du

    schon?

    schmuggeln, unerlaubt und unbemerkt herausbringender Einbrecher, ein Mensch, der ohne Erlaubnis in ein Hausschleicht, um etwas zu stehlenflstern, sehr leise sprechenrascheln, ein leichtes Gerusch machenknarren, ein dunkles, vibrierendes Gerusch machen

    44

  • Noch nicht, Franzi, antwortete sie, und ihre Stimme zitterte. Aber ich habe eben das Licht ausgemacht. Schlaf gut!

    Du auch, sagte der andere. Die Schritte entfernten sich langsam. Wir schwiegen, bis sie nicht mehr zu hren waren.

    Georg?Ja?Ich glaube, es ist besser, du machst das Licht nicht

    an.In Ordnung, sagte ich, aber wo ist denn nun das

    Sofa?Sie lachte leise. Ich stand in tiefster Dunkelheit zwi

    schen fremden Mbeln und wagte nicht, mich von der Stelle zu rhren.

    Georg, flsterte sie.Ja?Mache, bitte, zwei Schritte geradeaus!Ich folgte dem Rat.Jetzt drei Schritte halblinks!Zu Befehl!Und nun einen groen Schritt links!Ich machte einen groen Schritt links und stie mit

    dem Knie gegen Holz. Aber irgend etwas stimmte nicht. Entweder hatte ich links und rechts verwechselt oder Konstanze hatte sich beim Befehlen geirrt. Ich stand nicht vor meinem Sofa, sondern vor ihrem Bett.

    Reichenhall, 25. August, nachts Am Nachmittag hoffte Konstanze, kurz in den Heilbrunner Park zu kommen. Ich hatte Zeit und sah mir die Sommerresidenz der Salzburger Erzbischfe in Ruhe an. Das Schlo ist ein sehr schner Renaissance

    45

  • bau. Doch die Umgebung des Schlosses ist ein einziger romantischer Spielzeugladen!

    An schmalen Flchen stehen mechanische Figurengruppen, die durch Wasserkraft in Bewegung gesetzt werden. Volkstmliche und mythologische Szenen wechseln miteinander ab. In Grotten hrt man - gleichfalls durch Wasserkraft erzeugt - knstliche Tier- und Vogelstimmen. Aus dem Geweih und aus den Nstern steinerner Hirsche steigen Springbrunnen auf. Ein mechanisches Theater, das eine Szene vor dem Dom mit Orgelmusik und mit hundert sich bewegenden Figuren darstellt, ist das Meisterwerk dieser Wasserspiele.

    Mir machte an einer Stelle des Parks ein steinerner Tisch mit steinernen Hockern viel Vergngen. Denn aus den Hockern schieen pltzlich zahlreiche Wasserfontnen senkrecht empor. Hier mgen die lustigen Gste frherer Erzbischfe gesessen und mit ihren Damen getrunken und geplaudert haben. Und

    46

  • sobald der gutgelaunte Herr Erzbischof den Dienern einen Wink gab, stiegen aus den Hockern, auf denen die Herrschaften saen, die Wasserfontnen hoch.

    So spielten in Salzburg die vornehmen Leute Theater, doch die Brger und die Bauern standen nicht hinter ihnen zurck. Sie hatten ihre Perchtenspiele. Sie trugen Masken und setzten sich meterhohen Schmuck auf den Kopf. Sie gingen auf Stelzen und spazierten als komische Riesen durch die Drfer.

    Der Hanswurst, diese unsterbliche Figur, hat in Salzburg seine Heimat. Mozarts Leporello und Papa- geno sind zwei wahrhaft volkstmliche Gestalten der groen, heiteren Kunst.

    das Perchtenspiel, das Dmonenspiel der Riese, ein sehr groer Mensch unsterblich, ber den Tod hinaus bleibend wahrhaft, wirklich

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  • Im Monatsschlchen, das auf dem Hgel ber dem Heilbrunner Park liegt, sah ich viele schne Beispiele dieses Spieltriebes.

    Karl sah ich brigens auch hier. Er zeichnete und hatte drei Farbstifte in der Hand und zwei zwischen den Zhnen.

    Vergi nicht, da wir heute abend in den Rosen- kavalier gehen! meinte ich.

    Er blickte auf. Ah, Herr Doktor! Lebst du noch oder bist du schon verheiratet?

    Verliebte Leute haben, auch wenn es ihrem Wesen widerspricht, keinen Humor. Ich sagte beleidigt: La dich bei deiner aufreibenden Ttigkeit nicht stren!

    Karl schmunzelte. Wenn du mich jetzt noch fragst, warum ich nicht fotografiere, statt zu zeichnen, werfe ich dich die Treppe hinunter. Auf frohes Wiedersehen!

    Knstler sind empfindlich! Verliebte sind empfindlich! Ich zog mich zurck.

    Konstanze war pnktlich. Wir hatten uns im Heilbrunner Park bei den Grotten verabredet. Sie wurde rot, als wir uns die Hand gaben, und sie sagte, da sie nur eine halbe Stunde Zeit habe. Dann nahm sie meinen Arm, und wir gingen am Schloteich entlang. Ich fhrte sie zu einer Bank. Hier habe ich heute frh gesessen, sagte ich. Konstanze, ich liebe dich! Ich liebe dich, da mir alles weh tut! Willst du meine Frau werden?

    aufreibend, anstrengend schmunzeln, breit lcheln der Teich, ein kleiner See

    48

  • Sie schlo die Augen fr wenige Sekunden. Dann flsterte sie: Georg! Georg! Sie lchelte. Mir tut ja auch alles weh!

    Sie mute eiligst ins Schlo zurck. Vor morgen nachmittag sehe ich sie nicht wieder.

    Am ersten September kehrt die grfliche Familie zurck. Konstanze mag bleiben, bis man ein anderes Stubenmdchen gefunden hat. Wenn das erledigt ist, mu sie nach Berlin kommen.

    Am Abend waren Karl, ich und mein Smoking im Rosenkavalier. Merkwrdig! Heute frh schlich ich heimlich aus einem sterreichischen Schlo. Und als vorhin der Vorhang aufging, versteckte eine Frau - auch in einem solchen Schlo - ihren Geliebten. Meine eigene Salzburger Komdie erkannte ich in diesem Stck wieder. Ich sa zwar im Zuschauerraum, aber ich war auch auf der Bhne. Das war ein Erlebnis, das ich so bald nicht vergessen werde.

    Jetzt gehe ich in die Bar, bestelle eine Flasche Sekt und feiere meine Verlobung. Ohne meine Verlobte! Prosit!

    PS: Meine Sekretrin hat mir meine Post aus Berlin nachgeschickt. Von der Devisenstelle war nichts dabei.

    heimlich, unbemerkt das Erlebnis, das Ereignis

    4 Der kleine Grenzverkehr 49

  • Der Blitz aus heiterem Himmel

    Reichenhall, 26. August, mittags Nein, nein, nein! Fnfunddreiig Jahre bin ich alt geworden, ohne ans Heiraten zu denken. Gestern habe ich Trottel mich verlobt. Heute ist alles zu Ende.

    Mit dem ersten Autobus fuhr ich frh am Morgen nach Salzburg. Anderthalb Stunden spter fuhr ich, vllig durcheinander, nach Reichenhall zurck und strzte mich in das Schwimmbad des Hotels. Das Wasser war eiskalt und brachte mich wieder zur Besinnung.

    Nun liege ich auf der Badewiese. Das im Hotel angestellte Tanzpaar, der Tennistrainer, seine Frau und andere junge Leute schwimmen, spielen Ball und sind vergngt. Ich komme mir wie ihr Grovater vor. So alt fhle ich mich seit ein paar Stunden. Ach, wenn es einen Hund gbe, so gro wie der Klner Dom - mit einem solchen Hund knnte man Mitleid haben!

    Doch nun der Reihe nach:Ich besuchte Karl und teilte ihm mit, da er mich ab

    heute als zuknftigen Ehemann zu respektieren habe. Er gratulierte. Der Glckwunsch klang ein bichen khl. Das fiel mir allerdings erst spter auf.

    Er fhrte mich in den Peterskeller und bestellte einen Liter Wein. Whrend wir tranken, erzhlte er mir von einem alten Mnnerkloster, von den ersten Bischfen, von alten Dichtem, von gefhrlichen

    der Trottel, ein dummer Menschanderthalb, ein und ein halbdie Besinnung, das ruhige Nachdenkendas Kloster, das Gebude, in dem die Mnche leben

    50

  • Krankheiten, und schlielich schleppte er mich auf den alten Fetersfriedhof Dort hielt er mir einen Vortrag ber Grabsteine, zeigte mir die Katakomben und die kleine, in einen Felsen gemeielte Kapelle.

    Da ri mir die Geduld.

    Warum schleppst du mich gerade heute hierher? fragte ich rgerlich. Warum erzhlst du mir von Klstern, gefhrlichen Krankheiten und Friedhfen? Soll ich ins Kloster gehen? Ich bin ein glcklicher Mensch, du Trottel!

    Er legte mir die Hand schwer auf die Schulter.Mein lieber Georg, sagte er, ich war gestern im

    Mirabell-Kasino und habe beim Roulettespiel hundert Schilling verloren.

    Und? fragte ich. Hast du mich hierhergebracht, um mir mitzuteilen, da du meinen Smoking versetzt hast?

    Ich habe ihn nicht versetzt, sagte er. Wenn die zwei jungen Leute neben mir nicht die ganze Zeit gewonnen htten, wre ich auf sie nicht aufmerksam

    der Friedhof, der Ort, an dem die Toten liegen die Kapelle, hier: die Friedhofskirche die Katakombe, die Grabstelle unter der Erde das Roulettespiel, ein Glckspiel im Kasino versetzen, hier: aus Not verkaufen

    4 5 1

  • geworden. Sie gewannen aber immerzu. Kurz und gut, ich sah mir die beiden nher an. Es waren eine junge Dame und ein junger Mann. Sie trug ein Abendkleid und er einen Smoking.

    Umgekehrt htte es ja auch keinen Sinn gehabt.Karl blieb ruhig. Der Croupier nannte die junge

    Dame Komtesse und den jungen Mann Herr Graf. Die Komtesse nannte ihren Begleiter Franzf, und er nannte sie - oder weit du schon, wie er sie nannte?

    Mir blieb das Herz stehen. Ich sah ihn ratlos an.Konstanze?Konstanze.Ich griff ihn am Arm. Karl, war sie es ganz

    bestimmt?Bestimmt, sagte er. Ich folgte ihnen, als sie auf

    brachen, und ich erkannte sie an ihrem Gang. Vor dem Kasino stiegen sie in ein kleines Sportauto. Sie setzte sich ans Steuer. Dann fuhren sie fort.

    Welche Farbe hatte der Wagen?Es war ein schwarzer Zweisitzer.Ich nickte. Dann drehte ich mich um und rannte

    vom Friedhof. Am Residenzplatz stand ein Autobus nach Reichenhall, als ob er auf mich wartete.

    Und nun liege ich, ein vornehmer Hotelgast, auf der Badewiese und mchte am liebsten ins Kloster gehen. Meine Braut, das Stubenmdchen, ist eine Komtesse! Auch das pat zu meiner Salzburger Komdie! Herr

    der Croupier, der Angestellte im Spielkasino die Komtesse, die unverheiratete Grfin die Braut, die Verlobte

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  • Georg Rentmeister gestaltete die Figur des Trottels sehr lebenswahr!

    Heute abend reist der Trottel ab!

    Die Wendung

    Reichenhall, 26. August, abends Tennis erfordert bekanntlich absolute Konzentration. Man braucht nur den kleinsten Nebengedanken zu haben, und schon macht man die dmmsten Fehler. Ich spielte wie ein Weihnachtsmann, schlug die leichtesten Blle ins Netz, machte in einem einzigen Spiel nicht weniger als drei Doppelfehler und hatte manchmal groe Lust, den Schlger hinter den Bllen herzuwerfen.

    Da setzte sich pltzlich ein junger Mann auf die Bank vor dem Tennisplatz und schaute mir zu. Ich wurde noch nervser. Der junge Mann hatte einen kleinen Schnurrbart. Als mir ein Ball mit der Rckhand

    r ' ^der Schnurrbart

    53

  • gelang, rief er: Bravo! Ich blickte ihn an, und ich glaube nicht, da mein Blick besonders freundlich war.

    Er verbeugte sich leicht und sagte: Entschuldigen Sie, mein Herr! Spielen Sie noch lange? Ich mu Sie unbedingt sprechen. Ich habe sehr wenig Zeit.

    Ich bin bald zu Ihrer Verfgung, sagte ich.Ausgezeichnet. Ich mu nmlich sofort nach Salz

    burg zurck.Nach Salzburg zurck? Was wollte er von mir?Ich verlor natrlich das Spiel, gab dem Trainer die

    Hand und ging zu dem jungen Mann.Ich bin Konstanzes Bruder, sagte er, ich heie

    Franz Xaver Graf H. und werde Franzi genannt.Das war der Franzi? Und Franzi war ihr Bruder?Es freut mich!Auch mich! Wie schon gesagt, habe ich wenig Zeit.

    Ich mu zu Hause den Abendtisch decken.Den Abendtisch decken?Ich will Sie nicht aufhalten, sagte ich.Wunderbar! Ich bin hier, weil mich Konstanze

    darum bat und weil zwischen ihr und Ihnen Miverstndnisse entstanden sind, die beseitigt werden mssen.

    Meines Wissens gab es keinen Grund, solche Miverstndnisse berhaupt erst entstehen zu lassen.

    Die Miverstndnisse waren nicht zu vermeiden!Das kann ich nicht einsehen.

    sich verbeugen, aus Hflichkeit den Kopf nach vom bewegen die Verfgung, das Bereitstehen beseitigen, entfernen einsehen, verstehen

    54

  • Ich bin hierhergekommen, Herr Doktor, um Ihnen das zu erklren.

    Da bin ich aber neugierig, Herr Graf!Der junge Mann zupfte an seinem Schnurrbart.

    Wir mssen den Ton unbedingt mildern, sonst endet unsere freundschaftliche Unterhaltung damit, da wir uns mit Sbeln auf einer Waldwiese schlagen.

    Bevor wir uns dazu entschlieen, bitte ich Sie, mir klipp und klar mitzuteilen, aus welchem Grund Ihr Frulein Schwester gezwungen war, die Miverstndnisse entstehen zu lassen. Wie vorauszusehen war, muten diese Miverstndnisse hchst unerfreuliche

    Folgen haben.Er nahm meinen Arm und fhrte mich in den Park.Konstanze hat Ihnen erzhlt, Graf H. sei mit seiner

    Familie whrend der Festspiele verreist und habe sein Personal bei den amerikanischen Mietern zurckgelassen. Es ist wahr, da Amerikaner bei uns wohnen. Es ist nicht wahr, da wir verreisten. Wir blieben im Schlo. Die Diener verreisten, und unsere Familie bernahm ihre Aufgaben. Konstanze wurde Stubenmdchen, ich wurde Kellner, unsere Tante ist die Kchin, Mizzi, unsere jngste Schwester, hilft der Tante. Und das Oberhaupt der Familie, der Herr Vater,

    zupfen, kurz und leicht ziehen mildern, hier: freundlicher machen klipp und klar, ganz deutlich unerfreulich, unangenehm das Oberhaupt, die Hauptperson

    der Sbel

    55

  • ist Portier, Empfangschef und Geschftsfhrer.Ich mute mich auf eine Bank setzen.Haben Sie eine Zigarette? fragte ich.Ich bekam Zigarette und Feuer und schaute vor

    mich hin.Die Idee ist von Papa, sagte er. Er schreibt Thea

    terstcke. Und eines Tages beschlo er, eine Situationskomdie zu schreiben, die in einem Schlo spielt. Er wollte den als Dienerschaft maskierten sterreichischen Adel mit Millionren aus der Neuen Welt vergleichen.

    Franz Xaver Graf H. zndete sich eine Zigarette an.Unser Familienoberhaupt hoffte, fr seine Kom

    die Erfahrungen sammeln zu knnen und seiner Phantasie damit auf die Beine zu helfen. Er wollte Material fr sein Stck sammeln. Im Frhjahr setzte er uns von seinem Vorhaben in Kenntnis. Wir muten ihm versprechen, mitzumachen und den Mund zu halten. Das Projekt machte uns sogar Spa. Schlielich sind wir die Kinder dieses komischen Herrn. Und wir sind nicht zufllig in Salzburg zur Welt gekommen.

    Bestimmt nicht, erklrte ich.Er lachte.Wie das so ist: An die Hauptsache hatte der Herr

    Vater nicht gedacht. Das Stubenmdchen verliebte sich! ln einen Herrn aus Deutschland, der ohne Geld nach Salzburg gekommen war. Heute nachmittag fuhr die Schwester wieder in die Stadt. Sie, mit dem Konstanze sich treffen wollte, waren nicht da. Sie wurde unruhig und beschlo, wieder nach Hause zu

    der Adel, die vornehmste soziale Klasse der Bevlkerung

    56

  • fahren. Da stand ein Herr am Nebentisch auf.Karl, sagte ich.Ganz recht. Ihr Freund. Der Maler. Er hatte uns

    gestern im Kasino beobachtet. Er sprach sie an und erklrte ihr, warum Sie nicht da wren. Sie rief mich an. Ich putzte gerade das Silber. Ich lie alles stehen und liegen und fuhr ins Cafe Glockenspiel. Nun bin ich hier, und ich wte nicht, was ich Ihnen noch zu erzhlen htte.

    Ich drckte ihm die Hand.Entschuldigen Sie mein Benehmen, Herr..., sagte

    ich.Franzi heie ich, sagte er.Ich bitte sehr um Entschuldigung, Franzi!Warum denn, Georg? Ich htte es genau wie Sie

    gemacht.Wo ist Konstanze? Ich mu sie sprechen. Knnen

    Sie mich im Wagen mitnehmen?Im Wagen ist leider kein Platz mehr.Franzi kniff ein Auge zu.Der Wagen steht drben vor dem Hotel.Ich sprang auf, rannte mit Riesenschritten durch

    den Park, durch das Tor, auf die Strae, sah das Auto und sah Konstanze. Sie war bla und hatte Trnen in den Augen. Wir kten uns und sprachen kein Wort. Die Leute, die an uns vorbergingen, blieben stehen und verstanden die Welt nicht mehr.

    Mein Georg, flsterte sie, da du mir nie wieder davonlufst!

    Nie wieder! Nie wieder!

    zukneifen, hier: zumachen

    57

  • Herzlichen Glckwunsch, sagte jemand neben uns. Es war der Bruder.

    Ich danke dir schn, Franzi, sagte Konstanze.Hren Sie zu, Georg! Wir machen Ihnen einen

    Vorschlag. Der erste Sekretr unseres Amerikaners ist gestern abgereist. So ist also ein Zimmer frei geworden. Wir laden Sie nun ein, zwei Tage unser Gast zu sein. Unserem Herrn Vater erzhle ich vorlufig ein Mrchen. Die Gebhren bezahle ich in Ihrem Namen. Sobald die Amerikaner fort sind, erzhlen wir ihm die Wahrheit. Dann mu er mir das Geld zurckgeben.

    Er lachte vergngt wie ein Schuljunge.Morgen frh kommen Sie als Gast bei uns an, spie

    len den Ahnungslosen und schauen sich unser lebendiges Theater aus der Nhe an. Wie vorJahrhunderten, als die vornehmen Zuschauer auf der Bhne saen. Warum sollen Sie es nicht auch einmal so gut haben?

    Konstanze drckte meine Hand. Wenn du nicht kommst, heirate ich einen anderen.

    Franzi fuhr fort: Wegen des alten Herrn knnen Sie unbesorgt sein. Der merkt nichts. Und wenn er schlielich erfhrt, wer Sie sind, wird er Ihnen fr die Mitarbeit an seinem Theaterstck dankbar sein und Ihnen seinen vterlichen Segen geben.

    Er stieg ins Auto.Ich komme, sagte ich.Konstanze gab Gas.Das wird herrlich! rief sie.Sie fuhren los. Ich winkte.

    der Ahnungslose, der Unwissendeder Segen, die gttliche Gnade, hier: die vterliche Erlaubnis

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  • Dann hpfte ich vor bermut auf einem Bein ins Hotel, und der Portier fragte besorgt, ob ich mir weh getan htte.

    hpfen, kurze Sprnge machen

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  • Das Spiel im Schlo

    Schlo H., 27. August, abends Ich sitze in meinem SchloRgemach und werde bald zu Bett gehen. Vorher will ich noch eine Zigarre rauchen und ein Glas Burgunder trinken. Der Kellner Franz hat mir eine Flasche auf den Tisch gestellt.

    Franzi hatte mich morgens in Salzburg abgeholt. Ich hatte gerade noch Zeit, Karl Guten Tag zu sagen und ihm dafr zu danken, da er Konstanze und mir geholfen hatte. Dann trennten sich unsere Wege. Karl wollte noch einmal den wunderbaren Hofbrunnen mit den prachtvollen Pferden malen. Ich fuhr mit dem jungen Grafen zum Schlo hinaus.

    Konstanze stand zufllig auf der Freitreppe und machte einen Knicks. Sie trug tatschlich ein kurzes, schwarzes Kleid, eine noch viel krzere Tndelschrze und ein weies Rschenhubchen.

    Wie heien Sie, schnes Kind? fragte ich.Konstanze, gndiger Herr.Warum gndiger Herr? Sagen Sie nur Herr Dok

    tor zu mir! Das gengt.Ich wandte mich an Franzi, der meinen Koffer trug.

    Das gilt auch fr Sie, Franzi!Das Stubenmdchen machte wieder einen Knicks

    und sagte: Wie Sie wnschen, gndiger Herr Doktor!

    das Gemach, ein wertvolles Zimmer prachtvoll, wunderbardie Freitreppe, eine groe, vornehme Treppe der Knicks, das Beugen des Knies Gndiger Herr\ eine sehr hfliche Anrede

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  • Vorsicht! sagte Franzi leise.Im Schloportal erschien ein grogewachsener

    Herr mit grauem Haar. Er verbeugte sich.Erlauben Sie mir, Sie willkommen zu heien. Ich

    bin der Diener des Grafen und betreue zur Zeit das ganze Haus. Haben Sie schon gefrhstckt?

    In Reichenhall.Sehr wohl. Das Mittagessen findet um ein Uhr im

    Gelben Zimmer statt. Franz wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen und das Gepck nach oben bringen. Hoffentlich fhlen Sie sich bei uns wohl.

    In seinem Gesicht bewegte sich keine Miene. Er verbeugte sich und ging ins Schlo.

    Franzi zeigte mir mein Zimmer und ging sofort, um den Mittagstisch zu decken. Kaum war er aus der Tr, da klopfte es.

    Herein!Es war das Stubenmdchen. Sie fragte, ob sie mir

    beim Auspacken des Koffers helfen knnte.Treten Sie nher, schnes Kind! sagte ich.Ich nahm eine Jacke aus dem Koffer und warf sie ihr

    zu.Wohin hngt ein Stubenmdchen die Jacke?ber das Schlsselloch, Herr Doktor!

    Beim Mittagessen lernte ich die Amerikaner, die alle als schmucke Tiroler ankamen, kennen: Den beleibten und sehr schweigsamen Celophanttenfabrikanten;

    betreuen, sich um etwas kmmern die Miene, der Gesichtsausdruck schmuck, schn, hbsch beleibt, sehr dick

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  • seine hagere Ehefrau; den zweiten Sekretr, einen dicken Mann mit groen Brillenglsern; den Sohn, einen stmmigen jungen Mann, der prinzipiell nur spricht, whrend er kaut; und die Tochter Emily, eine jener unsentimentalen, bildhbschen, blonden jungen Damen, vor denen man Angst bekommen kann.

    Franzi brachte die Speisen herein. Ich glaube brigens, da er Angst vor der blonden Emily und ihren blauen Augen hat. Konstanze brachte den Wein. Mizzi, ihre jngere Schwester, fuhr die Schsseln auf einem Servierwagen in das Zimmer. Sie ist ein schlankes Mdchen mit zwei lustigen Grbchen.

    Der alte Graf beaufsichtigte den Verlauf der Mahlzeit und gab der Millionrin, die auergewhnlich viel wissen wollte, bereitwillig Auskunft. Emily wollte sich mit mir unterhalten. Das Stubenmdchen Konstanze blickte besorgt herber. Deshalb zog ich es yqx, der jungen Dame durch den Servierkellner mitteilen zu lassen, da ich kein Wort Englisch verstnde. Aber

    hager, sehr dnnstmmig, krftig gewachsenbeaufsichtigen, Wache haltender Verlauf die Entwicklung eines Geschehensbereitwillig, ohne zu protestieren

  • Emily Namarra scheint Unterhaltungen zwischen zwei Menschen, die einander nicht verstehen knnen, fr besonders interessant zu halten. Zum Glck fuhr die ganze Familie sehr bald in einem riesigen Wagen fort. Und auch am Abend hatten sie es eilig. Sie gingen in Figaros Hochzeit.

    Am Nachmittag traf ich im Schlo den alten Grafen, der noch keine Ahnung hat, da ich sein Schwiegersohn bin. Wir gingen miteinander ber den Hof.

    Sind Sie schon lange auf Schlo H. in Diensten? fragte ich leutselig.

    Sehr lange, Herr Doktor.Stimmt es, da Graf H. Theaterstcke schreibt?Das mag schon seine Richtigkeit haben.Wo haben Sie ein so gutes Englisch gelernt?In Cambridge.Ich lachte. Sie haben studiert?Graf H., nicht ich. Ich war ihm von seinen Eltern

    zur Bedienung mitgegeben worden.Er bewegte keine Miene.Schade, da der Graf auf Reisen ist. Ich htte ihn

    gern kennengelemt, da mich die Meinung deutscher Schriftsteller ber den Konjunktiv interessiert.

    Worber?ber den Konjunktiv! Das ist die Mglichkeits

    form der Ttigkeitswrter. Und ber den Optativ.Aha, sagte er. Der Herr Graf wird es sicher

    der Schwiegersohn, der Ehemann der Tochterleutselig, bertrieben freundlichdas Ttigkeitswort, das Verbder Optativ, die Wunschform eines Verbs

    63

  • bedauern, sich mit Ihnen nicht ber diese Formen der Verben unterhalten zu knnen. Interessante Themen liebt er ber alles.

    Er hatte sich vllig in der Gewalt und tat, als verstnde er gar nichts.

    Ich knnte vielleicht die Fragen, die mir am Herzen liegen, notieren, und Sie knnten ihm diese Notizen geben, wenn er zurckkommt.

    Eine ausgezeichnete Idee!Sie glauben nicht, da er mir eine solche Bitte bel

    nimmt?Gewi nicht. Der Herr Graf ist ein sehr hflicher

    Mensch.Ich finde, man soll Schriftsteller, die etwas Besonde

    res schreiben wollen, untersttzen. Ich machte also ein besorgtes Gesicht und fragte: Wo ist der Graf H. eigentlich zur Zeit?

    In Ventimiglia, Herr Doktor.So, so. In Ventimiglia. Ich kratzte mich nachdenk

    lich hinter dem Ohr und sagte: Sptestens morgen mu ich nmlich eine Arbeit ber die bayrisch-sterreichischen Idiotika abschicken. Der Graf knnte mir in dieser Sache bestimmt wichtige Hinweise geben. Nun tat ich, als htte ich eine pltzliche Idee: Das ist ein guter Gedanke! Ich werde mit dem Grafen telefonieren! Seien Sie doch so liebenswrdig und melden Sie am Abend ein Ferngesprch nach Ventimiglia an.

    Er zgerte einen kurzen Augenblick. Dann sagte er:

    belnehmen, beleidigt seinkratzen, mit einem scharfen Gegenstand reibendie Idiotika, ein Wrterbuch der verschiedenen Dialektezgern, unentschlossen warten

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  • Wie Sie befehlen, Herr Doktor.Ich bot ihm eine Zigarre an.Danke hflichst. - Ich mu leider ins Bro.Er verbeugte sich und ging mit ruhigen Schritten

    ins Schlo.

    Beim Abendessen trat er geheimnisvoll neben meinen Stuhl und teilte mir mit, da der Herr Graf Ventimig- lia bereits am Nachmittag verlassen habe. Ich bedauerte das und dankte ihm fr sein Bemhen. Konstanze und Franzi blickten ihn und mich verwundert an. Sie wuten nichts von unserem Gesprch im Hof und konnten nichts verstehen.

    Nachdem die Amerikaner aus dem Haus gegangen waren, spazierte ich in aller Ruhe um das Schlo herum. In einem Fenster zu ebener Erde war Licht. Ich ging vorsichtig nher und blickte in eine gerumige Kche. Die ganze Dienerschaft sa am Tisch und a Abendbrot. Der alte Graf mute ihnen gerade etwas Spaiges erzhlt haben. Das Fenster war offen. Die beiden Schwestern lachten, und Franzi sagte: Papa, ich kann mir nicht helfen, aber ich finde, du httest in dieser Sache mutiger sein sollen.

    Wie denn?Du httest den Doktor ans Telefon rufen knnen,

    und dann httest du von einem der Zimmerapparate als Graf H. aus Ventimiglia mit ihm sprechen knnen.

    Das wre gerade das Richtige gewesen! Optativ,

    verwundert, erstaunt gerumig, sehr gro

    5 Der kleine Grenzverkehr

  • Konjunktiv, bayrisch-sterreichische Idiotika! Ich bin doch -

    Kein Idiot! meinte Mizzi, die jngere Schwester. Kein Schulmeister, wollte ich eigentlich sagen,

    korrigierte der Graf.Neben dem Grafen sa eine entzckende alte Dame.

    Sie sah aus wie die Kaiserin Maria Theresia. Schreib dir wenigstens Franzis Vorschlag auf, erklrte sie. Vielleicht kannst du etwas hnliches in deinem Stck verwenden.

    Der alte Herr nickte, zog ein Bchlein aus der Tasche und machte sich Notizen.

    Ist Doktor Rentmeister eine brauchbare Figur in dem Stck? fragte Konstanze.

    Du hast dich wohl in ihn verliebt? Mizzi beugte sich neugierig vor.

    Verliebt? Eine ausgezeichnete Idee, sagte der Graf und schrieb weiter.

    Konstanze lchelte. Fr das Stck?Liebschaften mit rarfesunterschied sind immer

    gut! behauptete Franzi.Die Tante Grfin erhob sich und ging zum Fenster.

    Da schlich ich leise davon.

    Von meinem Zimmer aus kann ich das Salzburger Schlo sehen. Sogar jetzt, am spten Abend. Denn ein Scheinwerfer, der zu Ehren der Fremden ber die

    entzckend, sehr hbschdie Liebschaft, eine kurze, intime Verbindung zwischen Mann und Frauder Stand, hier: die soziale Klasse sich erheben, auf stehen

    6 6

  • f>7

  • Stadt wandert, hebt dieses alte Schlo aus der Dunkelheit heraus und lt es in Helligkeit strahlen.

    Eben hat es geklopft.Wer ist da?Das Stubenmdchen, Herr Doktor. Ich mchte fra

    gen, ob der Herr Doktor noch einen Wunsch hat.Gewi, schnes Kind. Knnte ich einen Gute

    nachtku bekommen?Aber selbstverstndlich, Herr Doktor. Unsere

    Gste sollen sich doch wohl fhlen!Ich ffne die Tr.

    Die Tischszene

    Reichenhall, 28. August, nachts Der Vormittag verlief friedlich. Die Sonne schien, der Himmel war blau, und ich traf mich mit Karl auf dem Sebastiansfriedhof. Hier liegen Mozarts Vater und Mozarts Frau begraben, und in der Mitte des Friedhofs steht die Gabrielskapelle, in der Wolf Dietrich von Raitenau, der groe Salzburger Renaissancefrst, ruht.

    Am Nachmittag schien die Sonne noch immer! Tatschlich! Nun sind die Festspiele fast zu Ende, und das Wetter wird schn. Und so wurde heute zum erstenmal der Jedermann im Freien gespielt.

    Konstanze kam in die Stadt, um einzukaufen. Wir erledigten gemeinsam ihre Besorgungen und wander- ten dann ber die Pltze, die an dem Domplatz, dem Zuschauerplatz des Jedermannspieles, liegen.

    begraben, in die Erde bringen

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  • Die Stimme des Jedermann klang zu uns herber. Jedermanns alte, fromme Mutter sa am Residenzplatz in den Kolonnaden und wartete auf ihr Stichwort. Auf dem Kapitelplatz standen der Gute Gesell und die Buhlschaft. Auch der Bettler, der Jedermanns Gewissen vergeblich zu bewegen versucht, und die Kinder, die mit Blumenkrben zur Tischszene kommen, waren da. Ab und zu erschien ein Spielwart und holte die Schauspieler zu ihrem Auftritt.

    So war der Tag harmonisch vergangen. Aber bei unserem Abendessen brach das Drama aus. Da hatten wir unsere eigene Tischszene.

    Emily Namarra, die amerikanische Blondine, gab das Stichwort. Sie winkte den alten Grafen an den Tisch und fragte ihn trocken, ob Zrtlichkeiten mit der Dienerschaft im Preis inbegriffen seien.

    Der alte Herr erkundigte sich erstaunt, was sie zu einer so auergewhnlichen Frage veranlasse. Mit ihrem schneeweien Finger zeigte sie auf mich und erklrte, da ich das Stubenmdchen gekt habe.

    Der alte Graf sah Konstanze prfend an. Sie wurde feuerrot. Er blickte erstaunt zu mir herber. Die Situation war ziemlich peinlich. Dann wandte er sich an die Amerikanerin. Ihre Vermutung, das Kssen sei im

    das Stichwort, das Kennwortder Geselle, der Helfer eines Handwerksmeistersdie Buhlschaft, die Liebschaftder Bettler, ein Mensch, der fremde Menschen um Geld bittetder Spielwart, der Helfer eines Regisseursder Auftritt, die Szeneinbegriffen, eingeschlossenveranlassen, verursachen

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  • Preis inbegriffen, msse er energisch abweisen. Vertraulichkeiten zwischen den Gsten und der Dienerschaft seien auf Schlo H. hchst unerwnscht.

    Zu Konstanze sagte er: Ehrvergessene Stubenmdchen kann ich nicht gebrauchen. Ich kndige Ihnen zum Ersten des Monats!

    Nun wurde ich bse. Konstanze, Ehrvergessenheit brauchst du dir von einem Diener nicht vorwerfen zu lassen!

    Mit Ihnen rede ich spter, sagte er wrdevoll.Tun Sie es gleich, sagte ich, spter bin ich nicht

    mehr hier!Franzi flsterte seiner Schwester ein paar Worte zu.

    Und jetzt fragte sie: Was soll ich denn tun, Georg?Das wird ja immer besser. Das Stubenmdchen

    duzt die Gste! Ich glaube, der Graf war wirklich ent-

    die Vertraulichkeit, hier: das intime Verhalten , vorwerfen, die Handlungsweise kritisieren duzen, du zu jemandem sagen

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  • rstet. Konstanze, Sie sind ein... ein Frauenzimmer!Ich erhob mich und stie ejnprt den Stuhl zurck.

    Jetzt ists aber genug! Konstanze, du verlt dieses Haus nicht am ersten September, sondern sofort! Packe deinen Koffer! Ich bringe dich zunchst nach Salzburg. Eine Stellung wie hier findest du jeden Tag.

    Die Amerikaner folgten unserer Auseinandersetzung mit Interesse. Nur der Sohn des Millionrs a ruhig weiter. Heute schwieg er sogar beim Kauen.

    Ich verbiete Ihnen, ber mein Stubenfndchen zu bestimmen, rief der Graf. Sie bleibt hier!

    Sie bleibt nicht hier. Sie ist nicht mehr Ihr Stubenmdchen. Derartige Beleidigungen brechen jeden Vertrag.

    entrstet, aufgeregt, schockiertdas Frauenzimmer, eine Frau, die viele Liebschaften hatemprt, bsedie Auseinandersetzung, ein heftiger Wortstreitderartig, so, solch

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  • Franzi spielte mit. Er sagte: Ich fahre Sie in die Stadt.

    Das wirst du... Der alte Graf verga fast seine Rolle. Das werden Sie nicht tun, Franzi! Sonst wird auch Ihnen gekndigt!

    Aber Leopold, sagte Franzi, ich achte Sie viel zu sehr! Ich werde Sie doch nicht im Stich lassen\ Nein, nein, ich bleibe bei Ihnen!

    Konstanze band ihre weie Tndelschrze ab und drckte sie dem sprachlosen Vater in die Hand. Dann lief sie aus dem Zimmer.

    Es ging alles so schnell, da der alte Graf berhaupt

    im Stich lassen, allein lassen

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  • keine Gelegenheit hatte, mit Konstanze ein privates Wort zu sprechen. Die Amerikaner hngten sich mit neugierigen Blicken an den alten Grafen. Die Tante kam, von Mizzi gerufen, verwundert aus der Kche und war fassungslos. Mizzi amsierte sich, ohne die Zusammenhnge nher zu kennen. Und Franzi bemhte sich, das Tempo dieser Szene nicht zu verschleppen.

    Ehe die anderen die Situation begriffen hatten, saen wir, Konstanze, Franzi und ich - aneinandergedrckt und von Koffern umgeben - in dem kleinen Auto und fuhren nach Salzburg hinein, durch Salzburg hindurch, ber die Grenze, nach Reichenhall, vor das Hotel Axelmannstein. Konstanze lie sich ein Zimmer geben. Dann tranken wir darauf, da alles gut enden mge.

    Franzi war bester Laune. Er sagte: Ich verstehe zwar nichts vom Dichten, aber eines steht fest: Der alte Herr soll nicht mit lebendigen Menschen experimentieren.

    Konstanze war mitleidiger. Wann willst du Papa die Wahrheit sagen?

    Um Fehler einzusehen, braucht man Zeit. Vierundzwanzig Stunden mu er zappeln.

    Konstanze ist in ihr Zimmer gegangen. Franzi ist zurckgefahren. Morgen frh wird er anrufen und einen Bericht geben. Ich habe jetzt Hunger. Im SchloH. haben wir ja nur die Suppe gegessen!

    fassungslos, vllig verwirrtverschleppen, hier: langsam werden lassenmitleidig, das Unglck eines anderen Menschen bedauerndzappeln, hier: warten

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  • Das Interregnum

    Reichenhall, 29. August, nachmittags Franzi rief uns frh am Morgen an. Sein Vater ist noch immer unruhig. Gestern abend war er heimlich in Salzburg und hat in der ganzen Stadt nach Konstanze gesucht. Er ist sich natrlich darber klar, da die Komdie nicht eine Tragdie werden wird. Aber immerhin: Eine seiner Tchter ist mit einem vllig fremden Menschen, der sie fr ein Stubenmdchen hlt, weggelaufen! Das will ihm nicht in den Kopf gehen. Und er vesteht im Grunde sein eigenes Theaterstck nicht mehr.

    Ich bin neugierig, wie das Wiedersehen mit ihm wird!

    Vor dem Mittagessen spielten Konstanze und ich Tennis, und nach dem Essen mietete ich ein Auto. Wir fuhren zum Knigssee und mit dem Schiff nach St. Bartholom. Der Kapitn erklrte uns die herrliche Landschaft und blies schlielich, um das Echo hren zu knnen, wunderbar auf einer Trompete.

    Aber noch schner war die herrliche Fahrt ber die Alpenstrae. ber und neben uns der Watzmann und

    das Interregnum, hier: die Zwischenzeitblasen, Luft aus dem Mund stoen; hier:. Musik machen

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  • die anderen Gipfel mit ihrem Schnee. Unter uns grne Tler, kleine Drfer und Bauemgrten. Es war fast zu schn!

    Der Grostdter, der die Natur nur in kleinen Mengen erlebt, ist der Natur in Groausgabe kaum gewachsen!

    brigens welch ein Tag! Eben noch mitten im ewigen Schnee. Jetzt in der Hotelhalle. In zwei Stunden drben im Salzburger Dom zu Mozarts Requiem. - Karl hat angerufen. Er hat Karten fr uns.

    Reichenhall, 29. August, nachts Wie schn war doch das Leben!... Heiteren Sinnes

    der Grostdter, der Mensch, der in der Grostadt lebt ewig, immer dauernd der Sinn, hier: die Laune

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  • mu man es auf sich nehmen... So beende ich nun meinen Todesgesang. Ich darf ihn nicht unvollendet lassen.

    Das sind die Worte in einem Brief, den Mozart zwei Monate vor seinem Tod schrieb. Was er nicht unvollendet lassen durfte, war das Requiem. Er vollendete es nicht. Als man am Bett des jungen sterbenden Mozart die fertigen Teile spielte, brach er in Schluchzen aus. Habe ich es nicht gesagt, da ich dieses Requiem fr mich schreibe?

    In der folgenden Nacht starb er.Dieses letzte Werk des groen Salzburger Kompo

    nisten entstand als Salzburger Komdie! Mozart schrieb das Werk im Auftrag eines groen Unbekannten, der ihm mehrmals einen Diener schickte und ihn mahnen lie, die Arbeit zu vollenden.

    Der groe Unbekannte war ein Graf Franz von Walsegg. Dieser Graf Walsegg behauptete sein Leben lang, ein bedeutender Komponist zu sein. Fr diese Idee brauchte er viel Geld. Er gab den Meistern seiner Zeit heimliche Auftrge, und unter seinem Namen wurden ihre Werke aufgefhrt. Alle wuten, da er nicht der Komponist war, und doch taten sie, als ob er es wre. Er brauchte ein Requiem, als seine Ehefrau gestorben war und er ihr einen Totengesang zu komponieren schuldete.

    Deshalb schickte er seinen alten Diener zu Mozart, und deshalb schrieb Mozart das Requiem.

    Graf H., Konstanzes Vater, und jener Graf Walsegg

    schluchzen, stark weinenmahnen, an eine Verpflichtung erinnern

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  • sind beide von dem gleichen sterreichischen Adel und aus derselben komdiantischen Familie!

    Kunst und Wirklichkeit, Theater und Leben sind sonst zwei getrennte Gebiete. Hier sind beide ein unlsbar Ganzes!

    Sollte das der Grund sein, da hier - wie schon die alten Italiener meinten - das Glck wohnt?

    Fr alle Flle

    Schlo H., 30. August, abends Frh am Morgen waren wir mit der Seilbahn auf den Predigtstuhl gefahren. Kaum standen wir oben, entdeckte Konstanze einen mchtigen Bussard, der im Kreise flog.

    der Bussard

    unlsbar, zusammenhngend

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  • Sie war, als sie den selten gewordenen Vogel sah, ganz begeistert und war lange Zeit nicht von der Stelle zu bringen. Stumm und verzckt wie ein beschenktes Kind beobachtete sie seinen Flug. Sie liebt und kennt die Natur, liebt sie wie ich, kennt alle Blumen und ist mit den Tieren in Feld und Wald aufgewachsen.

    Eines steht fr mich fest: Als Hochzeitsgeschenk bekommt sie von mir keinen kostbaren Ring, sondern ein kleines Bauernhaus. Irgendwo in der Nhe von Berlin. An einem See, in dem sich die Kiefern und Birken spiegeln.

    Mittags rief Franzi an. Konstanze eilte zum Telefon. Als sie zu mir zurckkehrte, war sie blasser als sonst.

    Schlechte Nachrichten?Die Amerikaner reisen schon heute ab. Wir sollen

    gegen fnf Uhr drben sein. Und du sollst deinen Smoking nicht vergessen.

    Ich sprang auf. Dein Vater hat ja gesagt?Er wei noch gar nichts.Warum soll ich dann den Smoking mitbringen?Franzi meinte: fr alle Flle.Fr alle Flle? Ich mute lachen.Aha! Wenn dein Vater einverstanden ist, wird der

    Smoking ausgepackt, sonst nicht!Aber Georg! Wenn Papa nicht einverstanden ist,

    sage ich ihm doch... Sie schwieg.Was denn?Da er einwilligen mu, ob er will oder nicht!

    verzckt, begeistertdie Kiefer, die Birke, siehe Zeichnung auf Seite 77einwilligen, die Erlaubnis geben

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  • Pltzlich lief sie in ihr Zimmer. Ich rannte hinterher und legte ein frisches, weies Oberhemd auf ihren Koffer.

    Fr alle Flle.

    Auf Schlo H. ffnete diesmal ein richtiger Diener.Gr Gott, Ferdl! rief Konstanze. Wie kommen

    Sie denn so schnell hierher?Ferdl nahm mir den Koffer ab. Der junge Herr hat

    uns im Auto hierhergebracht.Gut erholt?Gut erholt, gndiges Frulein.In der Halle kam uns Franzi entgegen und konnte

    vor Lachen nicht reden. Wir hatten mit so einem frhlichen Empfang nicht gerechnet.

    Entschuldigt! meinte er, aber die Sache ist wirklich komisch!

    Unsere Verlobung?Ach nein!Konstanze wurde nervs. Hast du denn immer

    noch nicht mit Papa gesprochen?Doch.Und?Er war von der anderen Sache so erschttert, da er

    nur halb zugehrt hat. Franzi lachte schon wieder.Ich verstand berhaupt nichts mehr.Franzi schob seine Schwester und mich zu einer Tr

    und sagte: Der Papa braucht Ablenkung. Unterhaltet euch ein bichen mit ihm!

    erschttert, im Innersten tief ergriffen die Ablenkung, die Abwechslung

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  • Konstanze ffnete die Tr, schaute durch den Spalt und zog mich zgernd in das Zimmer.

    Graf H. sa in einem Sessel am Fenster und nickte, als er uns sah.

    Da bist du ja endlich wieder, sagte er, du verlorene Tochter! Er gab mir die Hand. Und der Doktor, der hbschen Stubenmdchen woanders eine Stellung verschafft

    Konstanze streichelte seinen grauen Kopf. Wir wollen heiraten, Papa!

    Er lchelte. Franzi hat mir schon davon erzhlt. Aber mu es denn wirklich dieser Berliner Herr sein, der mich mit Ventimiglia und mit dem Konjunktiv rgern wollte?

    Es mu dieser Berliner Herr sein, Papa, sagte sie leise.

    Er sah mich an. Bevor ich meine Einwilligung gebe, mu ich Sie bitten, mir eine Frage zu beantworten.

    Ich bin zu jeder Auskunft bereit. Mein Einkommen ist nicht unbetrchtlich. Mein Gesundheitszustand ist vorzglich. Mein...

    Er schttelte den Kopf. Ich will etwas anderes wissen.

    Was denn?Was ist der Optativ?Der Optativ ist eine Nebenform des Konjunktivs,

    die sogenannte Wunschform. Die Glckwunschform, Herr Graf.

    der Spalt, eine kleine ffnung verschaffen, besorgen streicheln, etwas leicht berhren unbetrchtlich, unbedeutend

    80

  • Aha! Er erhob sich und sagte: Mget ihr glcklich werden, liebe Kinder!

    Konstanze fiel ihm um den Hals. Hinter ihrem Rk- ken schttelten wir Mnner einander die Hnde.

    War das der Optativ? fragte er.Das war einer, sagte ich, und nicht der schlech

    teste, Herr Schwiegervater! Falls ich Ihre Tochter unglcklich machen sollte, knnen Sie ja ein Stck ber mich schreiben.

    Bitte, jetzt nicht frotzelnl meinte er. Im Augenblick denke ich berhaupt nicht gern ans Schreiben.

    Er klopfte Konstanze auf die Schulter. Geh, Kleine! La mich mit diesem Herrn mal allein! Ich mu ihm etwas erzhlen.

    Von der Sache, ber die Franzi so gelacht hat?Dein Bruder ist ein Rohling.Darf ich es nicht auch hren, Papa?Nicht aus meinem Mund! In deiner Gegenwart

    will ich nicht so blamable Dinge ber mich berichten mssen.

    Dann fiel sie mir um denJHals. Anschlieend ihm. Dann wieder mir. Frauen haben es leicht. Sie sind fhig, ihren Gefhlen Ausdruck zu geben.

    Nachdem sie aus dem Zimmer gegangen war, machten wir es uns am Fenster gemtlich. Er bot mir eine Zigarre an. Wir rauchten und schwiegen. Ich sprte, wie mich der alte Herr von der Seite ansah.

    der Schwiegervater, der Vater der Ehefrau frotzeln, mit spttischen Bemerkungen rgern der Rohling, ein grober Mensch blamabel, sich schmend

    6 Der kleine Grenzverkehr 81

  • Endlich sagte er: Sie haben das Ihre getan, mein Lustspiel zu frdern.

    Ich zog an der Zigarre und sagte: Wir fanden die Idee in der Tat nicht schlecht: Der alte Graf glaubt, die Tochter werde fr ein Stubenmdchen gehalten. Einer der Gste luft mit ihr weg. Der Graf mu die Tochter notgedrungen gehen lassen und bleibt in groer Aufregung zurck. Er findet keine Minute Zeit, allein mit ihr zu reden. Mit dieser Situation schliet die vorletzte Szene. In der letzten Szene erlebt die Hauptperson weitere berraschungen, an denen der Zuschauer sich vergngen wird. Hier gengt die Einfhrung einer neuen Nebenfigur, und der Heiterkeitserfolg des Stckes ist gewhrleistet.

    Sie haben vorhin gehrt, wie mein Sohn lachte?Jawohl!Da haben Sies, meinte er melancholisch, er war

    der Zuschauer, der die letzte Szene miterlebt und komisch gefunden hat - ohne eine neue Figur.

    Solche Lustspiele gibt es auch, sagte ich. In einem solchen Fall mu die Situation vor dem Schlu allerdings eine vllig neue berraschung bringen.

    Das wei der Himmel! - Stimmt es, da Sie nur ein wenig Englisch verstehen? Oder ist das auch ein Beitrag zu meinem Stck?

    Mein Englisch ist tatschlich nicht sehr gut, erklrte ich.

    Also, letzte Szene: Mister Namarra, der Zelle-

    frdern, weiterbringen, untersttzen notgedrungen, gezwungen gewhrleisten, garantieren der Beitrag, hier: die Untersttzung

  • phant, wie Mizzi ihn nannte, mute schon heute abreisen. Wegen einer pltzlichen Verabredung in Paris. Wir Diener stellten uns auf die Freitreppe, um unseren Kratzfu zu machen und das Trinkgeld in Empfang zu nehmen. Meine Schwester strubte sich bis zum letzten Augenblick. Da sie von einem amerikanischen Millionr ein Trinkgeld annehmen sollte, sei nicht mehr komisch, meinte sie. Wir hatten Mhe, sie schlielich doch auf die Freitreppe zu schleppen. Endlich standen wir schn nebeneinander: meine Schwester, Mizzi, mein Herr Sohn und ich. Die Amerikaner kamen die Treppe herunter. Wir verbeugten uns. Mister Namarra blieb bei mir stehen. Da sagte er... Wollen Sie einen Whisky?

    Ich erschrak. Er bot Ihnen beim Abschied einen Whisky an?

    Aber nein! Ich frage Sie, jetzt und hier, ob Sie einen Whisky haben wollen.

    Nein danke. Im Augenblick nicht. Vielleicht ist ein Schluck Alkohol am Ende Ihres Lustspiels angebrachter.

    Also, der Millionr blieb stehen, klopfte mir freundlich auf die Schulter und sagte:

    - Es war wunderbar bei Ihnen. Und Sie haben Ihre Sache ausgezeichnet gemacht. Ich nehme an, da es sich um eine Wette handelt.

    - Eine Wette? Was meinte er?

    der Kratzfu, die tiefe Verbeugungsich struben, etwas nicht annehmen wollenangebracht, passenddie Wette, die Verabredung zwischen zwei Menschen, zu bewei sen, da eine Behauptung richtig ist

    (>* 83

  • 84

  • - Er lchelte und fuhr fort: Ich bin viel in der Welt herumgekommen, aber einem Grafen, der so gut Theater spielt, bin ich noch nie begegnet.

    - Seine Tochter lchelte zuckers und sagte: Auch die brigen Mitglieder der grflichen Familie haben sich vorzglich bewhrt. Nur nicht Konstanze. Aber so etwas kommt in den besten Familien vor!

    - Der junge Namarra kaute Gummi und sagte: Tatschlich, es war wirklich guter Sport.

    - Die magere Millionrin nickte und sagte: Ich hoffe, da wir den Spielregeln gefolgt sind.

    - Wir vier vom Schlo H. standen wie vom Blitz getroffen. Franzi machte zuerst den Mund auf: Seit wann wissen Sie es denn? fragte er.

    - Namarras zweiter Sekretr zog wortlos eine illustrierte Zeitschrift aus dem Mantel und zeigte auf eine Fotografie. Darauf waren ich und meine Familie zu sehen, und darunter stand ausfhrlich, um wen es sich handelte. Die Fotografie gehrte zu einem Bericht ber sterreichische Schlsser und ihre Besitzer.

    - Die blonde Tochter sagte kalt: Wir wuten es vom ersten Tage an.

    - Dann stiegen sie alle in ihr Auto. Der Chauffeur grinste wie ein Nuknacker. Ich ri mich zusammen und trat an den Wagen. Mister Namarra, warum haben Sie uns das nicht glei