Der Mondespfeil - Eine Hindu Liebesgeschichte

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    F. W. Bain

    Der Mondespfeil

    Die schnste Liebesgeschichte des alten Indiens Eine Hindu - Liebesgeschichte

    nach dem Sanskrit-Manuskript

    Impressum

    2007 Edition Lempertz GmbH

    Umschlagentwurf: Grafikbro Schumacher, Knigswinter

    Titelbild: The Yorck Project / Zenodot Verlagsgesellschaft mbH, Berlin

    Printed and bound in Germany ISBN: 978-3-939908-11-1 Reprint

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    Inhalt

    1. Tag .................................................................................................. 11

    2. Tag .................................................................................................. 14

    3. Tag .................................................................................................. 16

    4. Tag .................................................................................................. 18

    5. Tag .................................................................................................. 20

    6. Tag .................................................................................................. 22

    7. Tag .................................................................................................. 24

    8. Tag .................................................................................................. 27

    9. Tag .................................................................................................. 29

    10. Tag ................................................................................................ 31

    11. Tag ................................................................................................ 32

    12. Tag ................................................................................................ 34

    13. Tag ................................................................................................ 36

    14. Tag ................................................................................................ 38

    15. Tag ................................................................................................ 40

    16. Tag ................................................................................................ 4217. Tag ................................................................................................ 44

    18. Tag ................................................................................................ 46

    19. Tag ................................................................................................ 48

    20. Tag ................................................................................................ 50

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    Dass der unbegrenzte Schpfer, Der dem eignen Quell entronnen, Der die Welten rings beherrschet,Von der Wanderung der Seele,

    Ruh mir schenkend, mich erlse!

    Schluseiten der Sakuntald

    Vor zehn Jahren habe ich mir wohl nicht trumen lassen, dass ich jemals, Boccaccio nachahmend,eine Geschichte aus der Zeit der Pest erzhlen wrde. Das Unerwartete kam hier auf folgende Artzustande.

    Da Europa seit kurzem achtsam darauf geworden, dass eine Sanskrit-Literatur existiere, bedachte

    ich, ob nicht hier und da in dem weiten Gebiete Indiens unentdeckte literarische Schtzeverborgen sein mochten, die zu finden spterer Vorsehung vorbehalten wre. Ich erwartete aberkaum, dass meine Trage jemals eine tatschliche Beantwortung finden wrde. Als indes die Pestvor einigen Jahren die Stadt Puna verwstete und ihre Opfer tglich zu Hunderten forderte, hatteich Gelegenheit, einem alten Martha-Brahmanen, dessen Namen ich, auf seinen besonderenWunsch, verschweige, einen unbedeutenden Dienst zu erweisen. Es war nur eine Kleinigkeit, eineSache, von der ein Europer kaum geredet haben wrde. Aber ein Hindu betrachtet so etwas mitanderen Augen. Das Haus eines Hindu ist ein Schrein, ein Heiligtum; es wird als entweihtangesehen, wenn profane Fe es betreten. Mich wunderte es, dass mein alter Brahmane michbehandelte, als htte ich seine Familie vor namenloser, dauernder Schmach bewahrt, lind als erspter erfuhr, dass ich ein bescheidener Studierender der feinen, heiligen Sprache und imstandewre, seinen geliebten Klidsa im Original zu lesen, stieg seine Hochachtung so, dass sie mich inVerlegenheit setzte. Er besuchte mich mehrmals und fand unverkennbar Freude daran, sichweitlufig ber die Vorzge seiner alten Autoren auszusprechen. Ich war jedenfalls einaufmerksamer Zuhrer. Auffallend war mir, dass, so oft er sich verabschiedete, er mit demEntschluss zu kmpfen schien, mir eine wichtige Mitteilung zu machen, ohne den Mut dazu zufinden; und so ging er immer in Verlegenheit fort. Ich vermutete, dass er eine Bitte an mich htte,und frchtete, sie knnte nicht erfllt werden. Ich irrte mich. Unsere Zusammenknfte nahmenein pltzliches Ende. Die Pest hielt ihren Einzug, raffte seine Familie vollstndig dahin, sein

    Weib, alle seine Kinder und viele aus seiner Verwandtschaft, ihn allein verschonend aber nichtfr lange.

    Als ich eines Abends heimkam, nachdem ich fast den ganzen Tag unterwegs gewesen, fand icheinen Boten an meiner Schwelle, der mit der unerschpflichen Geduld des Orientalen vieleStunden bereits auf mich gewartet hatte. Die Pest hatte sich meines alten Brahmanen erinnert. Er lie mich bitten, ihn in einer wichtigen Angelegenheit aufzusuchen. Sofort begab ich mich nachdem abgesonderten hager, in welches man ihn gebracht, und kam zu meiner Beruhigung zeitiggenug, um ihn noch bei Bewusstsein zu treffen. Er war ein feiner, alter Ehrenmann, und wenn einBrahmane ein Ehrenmann ist, ist er ein bewunderungswrdiger Typus der Menschheit. Es

    verwirrte mich fast, dass er mir wohl zum hundertsten Mal fr die ihm geleisteten Dienste dankte,die, wie er hinzufgte, dennoch verschwendet waren, da er, der einzig briggebliebene seinerFamilie jetzt froh wre, denselben Weg zu wandern wie sie. Er hatte, so sagte er, sehnlich

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    gewnscht, mich vor seinem Tode zu sehen, da er mir etwas Wertvolles zu geben htte. Hierauf zog er etwas hervor, was ein Nichtkenner vielleicht fr ein Paket langer Damenhandschuhegehalten htte, die zwischen zwei Holzstreifen gepresst und mit Bindfaden umwunden waren; ichaber wusste aus Erfahrung, dass es ein Manuskript war *)

    *) Ich wage nicht zu versuchen, die Zeit des Ursprungs dieses Manuskriptes zu bestimmen. DerLeser wird wissen, dass in Indien der Druck die Handschrift nicht verdrngt hat. Der Hindu hatreligise Vorurteile gegen gedruckte Bcher, die weder im Tempel, noch sonst bei heiligenHandlungen gebraucht werden.

    Er bergab es mir, mit der Bemerkung: dass es seit unvordenklicher Zeit im Besitz seiner Familiegewesen, und dass nichts ihn je htte bewegen knnen, sich davon zu trennen, wenn nicht alle dieSeinen dahingegangen wren und er nicht auerdem wsste, dass die Pestbehrde es sicherverbrennen lassen wrde, sobald er tot sei. Das Manuskript sollte mein sein, wenn ich esannehmen wollte wenn nicht er sagte es mit einem Versuch zu lcheln so mge es, wie eintreues Weib, ins Teuer gehen bei dem Tod seines Besitzers. Ich nahm sein Geschenk und er sagtemir Lebewohl. Ich verlie den alten Mann tief bewegt Gram und der nahende Tod hatten seinAntlitz zu einer Verkrperung des Elends entstellt. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass er amnchsten Tage in den Morgenstunden gestorben wre.

    Trotz der Andeutungen des Verstorbenen war ich, ich gestehe es, im Zweifel ber den Wertmeines Manuskriptes, denn der Hindu bewundert alles aus dem Sanskrit. Als ich es aber nachdem ich mit Schwierigkeit das Werk von der Verbrennung gerettet und die Pestbehrde esstrenger Desinfektion unterworfen prfte, bat ich die Manen meines alten Brahmanen umVerzeihung fr meinen Zweifel an seinem Urteil und segnete ihn fr sein Geschenk, das, ich wagees zu sagen, einzig in der Literatur dasteht. Der Leser mge selbst urteilen; bemerken will ichnur, dass keine Sprache so viel in der bersetzung verliert wie Sanskrit, anraten mchte ich, dasWerk der Folge nach zu lesen (da der Hauptreiz in der Kunst der Steigerung der Situation beruht).Das Buch unterscheidet sich auch von den bekannten Sanskritwerken durch die Einfachheit seinesStils und den originellen Inhalt. Man wei allgemein, dass klassische Sanskritautoren keinesogenannte Originalitt besitzen. Sie verndern bekannte Themata und suchen sieschnrednerisch zu ergnzen; die Originalitt aber liegt nicht in dem Inhalt, sondern in dessenBehandlung. Unser Autor macht eine Ausnahme. Wer immer er gewesen sein mag, er besa dieGabe der Phantasie und wenn auch der Ursprung des Werkes auf die Wtla =

    panchawimshatik zurckzufhren wre, so ist doch die Art der Anwendung so neu und poetisch,dass sie wohl Anspruch darauf machen darf, der Quelle wenig zu danken, weil alle Geschichtenoriginell und reizvoll erscheinen. Literarische Arabesken deuten fast immer auf Mangel an Etwas-zu-sagen hin, auf Armut an schpferischen Ideen. Unser Autor aber hat wirklich eine Geschichtezu erzhlen und darf sie deshalb ungeschminkt, in aller Einfachheit vorbringen.

    Die Worte, welche als Motto auf dem Titelblatt stehen, haben eine besondere Geschichte. Sie sinddie Schlusszeilen der Sakuntald und bedeuten in Krze: O Shiwa, gewhre, dass ich nie wiedergeboren werde. Die Anwendung derselben am Schluss dieser Geschichte, wo ich sie wirklich auf den Rand des Blattes hin gekritzelt fand, ist eine curiosa felicitas. Beweisen kann ich es nicht, aber

    ich bin berzeugt, dass mein alter Brahmane (der seinen Klidsa auswendig wusste) selbst dieseWorte niederschrieb, in einem Anfalle von Verzweiflung ber die Vernichtung seiner Familie und

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    bei der Trennung von seinem Manuskript. Lasst uns hoffen, dass des alten Mannes letzter Wunscherfllt wurde und dass der purpurfarbene Gott seine Wiedergeburt verhinderte.

    Es lebte vor Zeiten in einem gewissen Lande ein Knig, Sryakanta *) genannt. (* Sonnengeliebter;Name eines sagenhaften Edelsteins Sonnenstein, der magische Eigenschaften besa und siezeigte, wenn die Strahlen der Sonne auf ihn einwirkten.)

    Seine Heere, von Mut und Klugheit gefhrt, drangen vor bis an den Rand des Ozeans, und seinGeist war noch weiter vorgedrungen, bis zur Grenze aller Wissenschaften, so dass nur eins ihmunbekannt war, das Weib und die Liebe des Weibes. Er war sozusagen die Personifikation desWeiberhasses. Er, so schn, dass er mit den Strahlen seiner Herrlichkeit die verzweifelnden Herzenaller schnen Frauen, die ihn zufllig erblickten, versengte, blieb doch selbst kalt wie Schneegegenber ihren schmachtenden Blicken. Und als die Zeit fortschritt, beunruhigten seine Ministersich wegen der Zukunft des Knigreichs. Der Knig hat keinen Sohn, sprachen sie, und wenn ersterben sollte, wird das Reich zugrunde gehen, weil der Erbe fehlt. Sie berieten miteinander undbeschlossen, den Knig in Versuchung zu fhren, indem sie die schnsten Frauen ihm in den Wegbrachten, ihn so gleichsam berflutend mit der Quintessenz aller weiblichen Schnheit. Aber esblieb ohne Erfolg. Ganz gleich, in welcher Gestalt sie erschien, die himmlische Lieblichkeit derFrauen machte so wenig Eindruck auf des Knigs Sinn wie ein Blatt, das im Walde auf den Rckeneines wilden Elefanten fllt. Die Minister gerieten in Verzweiflung und sprachen: In Wahrheit, esgibt eine gewisse Grenze, wo Tugend zum Laster wird. Es geziemt einem Knig denVerfhrungsknsten der Frauen aus dem Wege zu gehen, aber um dieses weiberhassenden Knigswillen wird das Reich zugrunde gerichtet. Und sie hielten abermals Rat und machten dem KnigVorstellungen und ermahnten ihn zur Heirat. Aber er wollte nichts hren. So nahmen sie Zuflucht

    zu einer List, und lieen, ohne dass der Knig es ahnte, durch ihre Spione das Gerchtaussprengen, dass sie demjenigen, der eine nderung der Gesinnung des Knigs hervorrufen undihn zu einer Heirat bewegen knnte, zehn Millionen in Gold zahlen wrden. Aber obwohl mancherScharlatan sich einfand und Zauberformeln und Beschwrungen anwandte, so vermochte dochkeiner das ersehnte Resultat zu erzielen. Im Gegenteil, die feindselige Gesinnung des Knigs gegendas andere Geschlecht verstrkte sich derartig, dass er jede Frau, die es wagte ihm vor die Augenzu kommen, mit Verbannung aus dem Knigreich strafte. Aus Furcht, dass das Land so aller Frauenberaubt wrde, stellten die Minister Spione an, die vor dem Knig hergehen und alle Weiber ausseinem Wege schaffen mussten. Das war fast so schwierig wie das Stehen auf der Schneide einesSchwertes, denn alle Frauen, von Liebe und Neugier getrieben, strebten nach dem Anblick desKnigs, als wre er ein Magnet und sie Stcke von Eisen.

    Eines Tages nun kam ein gewisser Maler in die Hauptstadt (* Diese Art, Liebende zusammen zubringen, gehrt zu der romantischen Maschinerie der Hindu-Erzhler.) der gleich nach seinerAnkunft sich nach den Sehenswrdigkeiten der Stadt erkundigte. Das grte Wunder in unsererStadt sagte man ihm ist unser Knig Sryaknta selbst, denn er will durchaus nichts vomWeiblichen wissen; er flieht selbst vor der Pfauhenne, als wre sie eine Schlange. Und er selbst istwie ein Liebesgott schn, und das ist das Wunder: dass einer, den der Gott mit dem Fischbanner (*Der Hindu-Cupido, von dem es heit, dass er fnf kopfverwirrende Waffen besitzt.) der sechstenWaffe, die das Herz des weiblichen Geschlechts erobert, geschaffen hat, kein Begehren zeigt, seineMacht zu brauchen. Soll die Sonne nicht erwrmen, der Wind nicht wehen? Als der Maler dies

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    hrte, lachte er und sprach: Ich besitze einen Zauber, der wirken wrde wie die Sonne auf ihrenEdelstein (= Anspielung auf den Namen des Knigs.)

    Ein Spion der Minister hrte ihn und erzhlte ihnen von dem Erscheinen des Malers und von seinerPrahlerei. Sofort beschieden sie den Maler zu sich und fragten ihn aus, erzhlten ihm, wie dieSache stand, und versprachen ihm den verheienen Lohn, wenn er seine Worte wahr machenknnte. Und der Maler sprach: Bringt es nur zuwege, dass der Knig mich rufen lsst undberlasst mir das brige.

    Die Minister gingen zum Knig und sprachen: Sire, in Eurer Hauptstadt ist ein Malerangekommen, und seinesgleichen in der Kunst ist in den drei Welten nicht wieder zu finden. DerKnig war entzckt, denn er selbst besa Kunstfertigkeit im Malen und allen anderen Knsten; under lie den Maler kommen. Der aber war hingerissen von der wunderbaren Schnheit des Knigsund rief: O Knig, du erteilst mir den Preis meiner Geburt, indem du mir die unschtzbare Gnadespendest, deine unvergessliche Schnheit zu erschauen. Nur einen Wunsch habe ich noch. Ichflehe deine Majestt an, mich ihr Bild malen zu lassen, um es in Zukunft immer zu besitzen. DieSonne wrmt selbst noch dann, wenn nur ein armseliger Spiegel sie reflektiert.

    Und der Knig erwiderte: Zeige mir erst Proben deiner Kunst. Aber hte dich, mir Frauenbilder zuzeigen, sonst bist du verloren. Der Maler brachte ihm eine Sammlung von Gemlden aus allenGegenden der Welt, aber heimlich hatte er das Bild einer Frau dazwischen gemischt. Und als derKnig die Gemlde durchblickte, stie er pltzlich auf das Frauenbild. Aber kaum hatte er esgesehen, als er ohnmchtig zur Erde fiel.

    Da lachte der Maler und sprach zu den Ministern: Die Kur ist gelungen, zahlt dem Arzt sein

    Honorar. Sie aber erwiderten: Erst wollen wir sicher sein, dass der Patient wirklich geheilt ist.Das werdet ihr bald merken. Jetzt helft dem Knig auf und wartet, was er sagen wird, wenn eraus der Ohnmacht erwacht und mich nicht sieht. Ich ziehe mich inzwischen zurck. Die Ministerriefen Diener herbei, die den Knig mit Palmenblttern fcheln und mit sandelholzdurchduftetemWasser besprengen mussten. Der Knig kam zum Bewusstsein, schaute sich um und rief: DerMaler, der Maler! Sire, sagten die Minister, er ist gegangen. Der Knig wechselte die Farbe,als er dies hrte, und seine Stimme zitterte, als er sprach: Wenn ihr ihn habt entwischen lassen,so werde ich euch alle, noch ehe die Sonne untergeht, von Elefanten zu Tode trampeln lassen.Schnell gingen sie hinaus, suchten den Maler und fhrten ihn vor den Knig. Und er fiel dem Knigzu Fen und sprach: Mge der Knig mir verzeihen! Ach! ein Missgeschick lie mich das Bild derDame zwischen meine anderen Gemlde mischen, um mich zu vernichten! Aber der Knig sprach:O bewundernswertester aller Maler der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft, wisse, dassdu mir eine Wohltat durch den Anblick des Bildes erwiesen, das ich kaum mit meinem Knigreichbezahlen knnte. Und zweifellos, diese Dame muss in einer frheren Existenz mein Weib gewesensein, denn Erschtterungen wie diese weisen unverkennbar auf ein frheres Leben hin. Nun denn,sage mir, welches Land beherrscht ihr Vater? Denn ich bin sicher, es ist ein Portrt. SolcheSchnheit konnte kein sterbliches Hirn ersinnen; der Schpfer allein konnte sie bilden. Der Malerlchelte und sprach: O Knig, lass dich warnen! Verbanne diese Dame aus deinem Gedchtnis,erinnere dich ihrer nicht mehr sonst knnte meine Unvorsichtigkeit dich ins Verderben

    bringen. Aber der Knig sprach: Maler, nicht weiter! Whle: Du sagst mir, wer sie ist, und wirstmit Gold beladen oder nicht und ich lasse dich mit Ketten beladen, in einen abscheulichenKerker werfen, ohne Nahrung und Wasser bis du bekennst.

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    von dem, was deinen Krper belebt, ist auf die Prinzessin bergegangen, und nur mit ihrbeschftigt wie willst du sie denn besiegen ohne die andere Hlfte von dir, die in mir lebt undstets bereit ist dir zu dienen? Und was soll ich tun ohne meine bessere Hlfte? Und selbst wenn duunterliegst, was willst du anfangen ohne mich? Glck selbst, ohne einen Freund, ist armselig, wie

    viel mehr noch Trbsal! Da sprach der Knig: Gut, mag es so sein! Komm, lass uns gehen. AberRasaksha sagte: Wusste ich nicht, dass deine Seele umherirrt? Wolltest du zu so gefhrlichemAbenteuer ausziehen, ohne zuvor die Hilfe Winyakas (= Ganesha, der Gott der Hindernisse unddes Erfolges) anzurufen. Wer hatte je Erfolg, der ihn vernachlssigte? Und der Knig sagte: Es istwahr. In meiner Ungeduld htte ich ihn fast vergessen. So pries er Ganesha, sprechend: Heil dir,o du Gott mit dem Elefantenantlitz, dessen Rssel sich im Tanze hebt. Heil dir, vor demHindernisse schwinden wie nchtliche Nebel vor der Morgensonne! Heil dir, ohne dessen HilfeKlugheit eitel und Weisheit Torheit ist! Heil dir, o du, dessen Korbohren schwingen gleichSiegesbannern im Winde!

    Darauf traten sie ihre Reise an. Und sie rasteten weder Tag noch Nacht und durcheilten Wlder,die voll von wilden Tieren, Affen und Shabaras *) waren, wie das Meer von Edelsteinen. *) AlterName fr Bhil, Angehriger des wegen Geschicklichkeit bekannten Bhilstammes (hindost, sanskr.)und anderer wilder Stmme.

    Der Knig, in Nachdenken versunken, sprach nicht, a und trank nicht, lebte von Luft und demAnschauen des Bildes der Prinzessin, das er Nacht und Tag mit den Augen verschlang.

    Eines Nachmittags, als sie unter dem breiten Schatten eines Kadambabaumes rasteten und derKnig wieder lange Zeit in dem Anblick des Bildes geschwelgt hatte, brach er pltzlich dasSchweigen und sprach: Rasaksha, dies ist ein Weib. Und das Weib ist das einzige, von dem ichnichts wei. Sage mir, was ist die Natur des Weibes? Rasaksha lchelte und sprach: Knig, dieseFrage solltest du fr die Prinzessin aufsparen, denn es ist eine schwere Frage. Ein furchtbaresWesen ist das Weib, in der Tat, und aus den fremdesten Elementen gemischt. brigens, ich will direine Geschichte erzhlen, hre:

    Im Anfang, als Twashtri (= Der Vulcan der Hindu) das Weib erschaffen wollte, fand er, dass ersein Material bei Erschaffung des Mannes erschpft hatte und dass keine gediegenen Elementemehr vorhanden waren. In seiner Verlegenheit tat er, nach tiefem Nachdenken, wie folgt: Er nahmdie Rundung des Mondes und die Wellenlinien der Schlingpflanze, das Anschmiegen der zartenRanke, das Zittern des Grases und die Schlankheit des Schilfrohrs und die Blte der Blumen und dieLeichtigkeit der Bltter und den Blick des Rehes und das Schwrmen der Bienen; die froheHeiterkeit der Sonnenstrahlen, das Weinen der Wolken, den Wankelmut der Winde und dieSchchternheit des Hasen und die Eitelkeit des Pfauen und die Weichheit der Papageienbrust, dieHrte des Adamants und die Se des Honigs und die Grausamkeit des Tigers; den warmen Scheindes Feuers und die Klte des Schnees, das Gezwitscher der Holzhher und das Gurren des Kkila(=Indischer Kuckuck), die Schlauheit der Krhe und die Treue des Chakrawka (= Drache), und ausdieser Mischung machte er das Weib und gab es dem Manne. Aber nach einer Woche kam derMann und sprach: ,Herr! dieses Geschpf, das du mir gegeben, macht mein Leben elend. Sieschwatzt unaufhrlich und qult mich unertrglich und lsst mir keine Ruhe; sie fordert bestndige

    Aufmerksamkeit, nimmt mir die Zeit und weint um nichts und ist immer mig; so bin ich hier, umsie zurckzugeben, da ich nicht mit ihr leben kann. Und Twashtri sprach: ,Gut! und nahm siezurck. Nach einer anderen Woche aber kam der Mann wieder und sprach: ,Herr! Ich finde mein

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    1. Tag

    Als die Trme des Palastes ber den Bumen emporragten und wie Gold in der Morgensonneschimmerten, rief der Knig pltzlich: Ha! ich bin verloren! Und Rasaksha frug: Warum denn?Ach! sprach der Knig, ich war Nacht und Tag schlafend und wachend, nur mit dem Bildemeiner Geliebten beschftigt und dachte an nichts weiter in der Welt. Und nun sind wir hier, amEnde der Reise, aber am Anfang der Schwierigkeiten denn ich habe nicht den Schatten einerIdee, was ich die Prinzessin fragen soll. Und wenn schon in der Entfernung der Gedanke an siemich so mchtig verwirrte, so wird ihr Anblick mich der Vernunft vollstndig berauben ich binverloren! Rasaksha sagte: O Knig, dies ist es ja gerade, was der Prinzessin die Macht gab, alleihre Anbeter zu besiegen. Der Zauber ihrer Schnheit beraubt sie der Vernunft, legt ihre Gedankenin Ketten, und so werden sie ihr eine leichte Beute. Ein Glck fr dich, o Knig, dass, whrenddeine bessere Hlfte von deinem Krper abwesend war, deine andere Hlfte (* Rasaksha selbst.

    Anspielung auf die Macht der in Yoga Eingeweihten, die Seele vom Krper loszulsen.) diesenFall bedacht hat. Sei ohne Sorge! Wenn wir der Prinzessin vorgestellt werden, sage ihr, dass dudurch meinen Mund zu ihr sprichst, und berlasse mir alles andere. Der Knig ward beruhigt, und jeden anderen Gedanken vergessend, versenkte sich sein Geist nur im Sinnen an die Prinzessin.

    So erreichten sie endlich die Umwallung des Palastes. Die Wchter fragten, wer sie wren undgingen und kndigten der Prinzessin an, der Knig Sryaknta sei gekommen als Bewerber um ihreHand. Da sandte sie Kammerherren und andere, die den Knig nach einem Lusthaus aus weiemMarmor geleiteten, das in einem wundervollen Garten, mit einem See und kristallklaren

    Bdern stand. Der Garten war voll schattiger Bume, duftete vom Aroma der Blumen und erklangvon dem Gesnge unzhliger Vgel. Hier brachten sie den Tag zu. Der Knig aber, im Fieber derSehnsucht nach dem Anblick der Prinzessin, hatte weder Augen noch Ohren fr das, was ihnumgab, und war allein mit dem Bilde beschftigt.

    Und als die Sonne sank, ging der Knig mit Rasaksha in den Palast der Prinzessin. Sie traten ein indie Audienzhalle, deren Flur mit Tafeln von dunkelblauem Kristall eingelegt, ihre Fewiderspiegelten, und deren Wnde in den Facetten von Juwelen das Licht unzhliger Lampenverdoppelten. Und da sahen sie Anagarg auf einem goldenen Throne sitzen, gehllt in einseegrnes Gewand, das Mieder von Korallen berst. Und sie glich Lakshmi (= Die Gttin desGlcks und des Reichtums, die von schumenden Wellen aus dem Ozean emporgetragen wurde.Nach Einigen erschien sie auf einer offenen Lotosblume ruhend.) wie sie dem Ozean frischentsteigt. Ihre Augen waren langgeschlitzt, von der Form wie sie ein Bienenschwarm zeigt, undihre Augenlider pechschwarz von Collyrium (= Augenschminke) und ihre Lippen frisch mit Zinnoberbemalt, und ihrem hohen Busen entstrmte der Duft von Sandal. Und um ihre schlanken Hftenschlang sich ein goldener Grtel, und um ihre Hand- und Fugelenke lagen Spangen, und dieSohlen ihrer kleinen Fe waren rot von Lack, und in ihrem schwarzen Haar lag eine Tiara in Formeiner Schlange, mit Augen von Rubinen und einer Zunge von Smaragd. Und in dem strahlendenGlanz ihrer Schnheit blickte sie verchtlich auf den Knig, und ihr Haupt abwendend, ohne auf eine Anrede zu warten, sprach sie: Stellt Eure Frage. Der Knig aber, von ihrer verblffenden

    Schnheit wie von einem Blitzstrahl getroffen, sank stumm und bebend auf ein Lager, ihrgegenber, und schaute hin zu ihr, gleich einem von einer Schlange hypnotisierten Vogel. Daschritt Rasaksha vor, warf sich der Prinzessin zu Fen und sprach: Herrin, dieser unwrdige

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    Sterbliche ist der Mund des Knigs. Ist es ihm erlaubt zu sprechen? Und die Prinzessin sprach:Vorwrts! Da erhob Rasaksha sich und stand vor ihr und begann: Herrin, es lebte vor Zeiten ineinem gewissen Lande ein Charwk (= Ein Atheist), der wollte sich verheiraten. Und als erVorbereitungen fr die feierliche Handlung traf, kam ein Freund zu ihm und gab ihm den Rat: ,Rufe

    die Gnade Ganeshas an, damit nichts Widerwrtiges deine Heirat stre. Da lachte der Charwkspttisch und sagte: ,Mein guter Freund, du bist ein Narr. Wei ich etwa nicht, dass Schelme undToren die Wdas erfanden und die Opferbruche zu ihrem eigenen Nutzen einsetzten? All diesenrrischen Geschichten von den Gttern sind nur Trume Wahnsinniger oderAusbeutungsversuche von Schurken, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Was soll mir dieserGanesha, von dem du sprichst, ntzen? Oder wie kann ein Gott mit einem Elefantenkopf existieren? Was htte er mit meinem Erfolg zu tun? Der, der seine Plne mit Klugheit ersinnt undmit Weisheit ausfhrt, kann auf Erfolg rechnen. Geh mir mit deinem Ganesha! Ich will mein Glckselbst erringen.

    So sprach er. Aber der Gott mit dem Elefantengesicht hrte ihn und lachte, seinen Rssel sanftschwenkend. Und der Charwk fuhr mit seinen Vorbereitungen fort. Aber als alles bereit und derglckliche Tag fest bestimmt war, sprach am Morgen dieses Tages Ganesha zu einer gewissen Kuh,die durch die Straen wandelte: Kuh, geh und lass deinen heiligen Kot auf die Schwelle diesesCharwk fallen. Und die Kuh ging und tat so. Und als der Charwk aus seinem Hause kam, trater mit dem Fu in den Kuhdnger, glitt aus und fiel und brach ein Bein. Und bevor sein Bein geheiltwar, starb seine Braut.

    Und der Freund kam wieder und sprach: Sieh was erfolgt, wenn man Ganapati (Gansha?) dieAnbetung versagt. Aber der Charwk erwiderte: ,Geh! du bist ein Idiot. Wer konnte

    voraussehen, dass eine elende Kuh ihren Dung auf meine Trschwelle fallen lassen wrde? Washat Gansha damit zu tun? Frwahr! sieht er nach und dirigiert er den Auswurf aller Khe in derWelt? Eine hbsche Idee, sicherlich! So sprechend trieb er seinen Freund fort und weigerte sichihn anzuhren. Und als sein Bein geheilt war, suchte er sich eine andere Braut und machte dieVorbereitungen zur Heirat. Und er mietete eine Bande Straenkehrer, die vor ihm hergehen undalles vor seinen Fen wegfegen mussten. Aber als der Tag kam, sandte Ganapati (Gansha) nacheiner Krhe, die von den tglichen Opfergaben sich nhrte, und sprach zu ihr: ,Krhe, ein Charwkwill sich heute verheiraten. Nun hre: es gibt einen Bogen ber einer gewissen Strae, unterwelchem er durchgehen muss. Und auf dem Bogen steht ein Bildnis meiner selbst aus Stein; aberes ist sehr alt, und Regen und Hitze haben es zerbrechlich gemacht, so dass es jeden Augenblickherniederfallen kann. Gib du also acht, und wenn der Charwk unter den Bogen tritt, dann setzedich auf mich und ich werde herunterfallen. Die Krhe flog hin, ersphte den Augenblick, setztesich auf das Steinbild Ganeshas und es fiel auf den Charwk und zerschmetterte ihm den Arm.Man hob ihn auf und trug ihn nach seinem Hause. Und bevor sein Arm geheilt war, starb seineBraut. Und noch einmal kam der Freund und sprach: ,Ist das deine Weisheit? Was sagte ich dir? Istes nicht klar, wer deine Bestrebungen durchkreuzt? Da wurde der Charwk wtend und schrie:Hr auf mit deinem Geschwtz! Ganesha zum Trotz will ich verheiratet werden. Was kann mandenn voraussehen in dieser elenden Stadt, wo die Khe die Straen besudeln und die Gebudeeinstrzen! Ich will mich gegen fernere Unflle schtzen. Sobald er geheilt war, suchte er eineandere Braut und traf die Vorbereitungen zur Heirat. Aber er ging zu dem Hause der Braut auf einem Umweg, auerhalb der Mauern der Stadt und vermied die Straen. Aber am Morgen desTages trat Ganesha vor Indra und sprach: ,Wajradhara! (= Schwinger des Donnerkeils) ein

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    Charwk will sich heute verheiraten. Aber er muss ber einen Fluss gehen, der ausgetrocknet ist.Leihe mir deine Regenwolken, denn ich muss diesem Unglubigen eine Lektion erteilen. So sandteIndra seine Wolken und es regnete wtend auf die Berge hernieder. Und als der Charwk berden Fluss wollte, strmte es von den Bergen und der Fluss schwoll hoch und trug ihn hinweg, und

    er ertrank.Und Ganesha sah es und lchelte. Aber gleich darauf weinte er heftig.

    Nun sage mir, Prinzessin, warum der Gott der Hindernisse lachte und weinte? Und Rasakshaschwieg.

    Und die Prinzessin antwortete: Er lachte ber die Blindheit und Unverschmtheit dieses elendenUnglubigen. Aber pltzlich ergriff ihn groes Mitleid, als er der schrecklichen Strafe gedachte, dieden Toren in der Zukunft erwartete, wie alle diejenigen, die durch ihre eigenen Handlungen einerfurchtbaren Vergeltung in einem anderen Leben und einer anderen Welt entgegengehen; und

    deshalb weinte er.

    Und als sie so gesprochen, erhob sich die Prinzessin und schritt hinaus, den Knig durch eineHandbewegung entlassend, ohne ihn anzusehen: und das Herz des Knigs ging mit ihr. Aber derKnig und Rasaksha kehrten zurck in ihre Gemcher.

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    2. Tag

    Und der Knig sprach zu Rasaksha: Mein Freund, die Prinzessin hat deine Frage beantwortet undein Tag ist mir verloren. Doch verzeihe ich dir um der Handbewegung willen, die sie mir gnnte, alssie fort ging. O, glich sie nicht der Neigung eines bltenbeladenen Zweiges der Liane, die der Windbewegt? Wre das Bild nicht mein, wie ertrge ich wohl die Pein der Trennung bis morgen! Under verbrachte die Nacht wie im Rausch, trunken im Anblick des Bildes. Und er sprach: DieserMaler war Meister seiner Kunst. Dies ist kein Bild, es ist ein Spiegel. Selbst der verchtliche Zug umdie Lippen ist wiedergegeben. Und als endlich die Sonne aufging, erhob der Knig sich undverbrachte den Tag in dem Garten, mit Rasaksha, den Augenblick des Wiedersehensherbeisehnend. Als die Sonne sank, betraten sie wieder die Audienzhalle. Und da erblickten sie diePrinzessin auf ihrem Throne sitzend, in ein rotes Gewand gekleidet, das Mieder mit Perlen beset,im vollen Schmuck. Und der Knig erbebte, als sie ihn ansah und sank auf ein Lager, stumm,

    bezaubert durch ihre Lieblichkeit. Rasaksha aber trat vor, stand vor der Prinzessin und begannwieder:

    Herrin, vor Zeiten lebte in dem Lande eines Knigs, mit Namen Dharmsana (= Sitz derGerechtigkeit) ein alter Brahmane, der drei Shne hatte. Er besa nichts weiter als neunzehnKhe. Als er zum Sterben kam, rief er seine Shne zu sich und sprach zu ihnen: ,Meine Shne, ichbin im Munde des Todes; hret deshalb aufmerksam das an, was ich euch sage. Alles was ich euchhinterlasse, sind diese Khe. Teilet sie unter euch; und der lteste von euch soll die Hlftenehmen, der zweite ein Viertel und der jngste ein Fnftel der Khe. Wenn ein berrest bleibt, sosollt ihr alle drei ihn essen. Tut ihr nicht so, dann sollen alle Khe dem Knig gehren, und mein

    Fluch wird auf euch fallen wegen Ungehorsams gegen meinen letzten Willen. Und nachdem er sogesprochen, starb der alte Brahmane. Und seine Shne besorgten die Trauerfeierlichkeiten fr ihnund verbrannten ihn, dem Ritus gem. Dann wollten sie die Teilung vornehmen. Und der ltesteBruder sagte: ,Die Hlfte dieser Khe, also neun und eine halbe Kuh, sind mein Und der zweitesprach: ,Ein Viertel dieser Khe, also vier und drei Viertel einer Kuh gebhren mir Der jngstesagte: ,Ein Fnftel dieser Khe, also drei Khe und vier Fnftel einer Kuh fordere ich Der ltestesprach darauf: ,Aber die Summe alles dieses zusammengezogen ergibt nur achtzehn Khe und einBruchteil. So muss ein Teil der letzten Kuh brig bleiben. Und in dem Falle mssen wir es essen.Aber wie ist es einem Brahmanen mglich, das Fleisch einer Kuh zu essen? (* Eine Kuh zu tten,oder gar sie zu essen, wre eine der schwersten Snden, deren ein Brahmane sich schuldigmachen knnte.)

    Oder wie knnen wir verschiedene Teile von irgendeiner Kuh nehmen und sie lebendig lassen?Was sollen wir beginnen? Teilen wir nicht in dem uns vorgeschriebenen Verhltnis, so gehren dieKhe dem Knig, und auf uns fllt unseres Vaters Fluch. Was kann unser Vater gemeint haben, umuns in so schreckliche Verlegenheit zu bringen? So besprachen sie sich untereinander, und der Tagschwand hin, aber nicht die Schwierigkeit, und die Nacht fand sie noch beratend, aber ohne eineLsung zu finden.

    Nun, Prinzessin, sage mir, wie kann diese Angelegenheit zu Ende gefhrt werden, um zugleich den

    Vater, die drei Brder und den Knig zufrieden zu stellen? Und Rasaksha schwieg. Die Prinzessinaber neigte ihr Haupt und blieb einen Augenblick in Nachdenken versunken, whrend die Seeledes Knigs fast den Krper verlie. Dann, den Kopf erhebend, antwortete die Prinzessin: Lasset

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    die Brder eine Kuh borgen. Und von den zwanzig Khen nehme der lteste die Hlfte, also zehnKhe; der zweite ein Viertel, also fnf Khe, und der jngste ein Fnftel, also vier Khe. Dannwerde die geborgte Kuh zurckgegeben. So wren die neunzehn Khe vergriffen, ohne einen Restzu lassen, der Vater zufrieden gestellt, und jeder Bruder htte mehr erhalten, als bei ihrer eigenen

    Teilung. Schlielich htte es so dem Knig gefallen; denn er war ein gerechter Knig. Und washtte einem solchen Knig mehr missfallen knnen, als wenn in seinem eigenen GebietBrahmanen Khe tteten und verzehrten und ihres Vaters Befehl missachteten! Lieber wrde ernicht nur neunzehn Khe, sondern zehn Millionen verlieren.

    Und als sie so gesprochen, erhob die Prinzessin sich und schritt hinaus, dem Knig einen Blickgnnend. Und des Knigs Herz ging mit ihr. Aber der Knig und Rasaksha kehrten zurck in ihreGemcher.

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    3. Tag

    Da sprach der Knig zu Rasaksha: Mein Freund, die Prinzessin hat deine Frage beantwortet undein anderer Tag ist verloren; dennoch vergebe ich dir, um des Blickes willen, den sie mir geschenkt,als sie sich entfernte. O, er khlte meine verschmachtende Seele, wie Regentropfen die verdorrte,durstige Erde. Und htte ich nicht das Bild, so wrde mein Leben erlschen, ehe der Morgen daist. So klagte der Knig und verbrachte die Nacht in Sehnsucht, in das Bild seiner Geliebtenversenkt. Aber als die Sonne aufging, erhob er sich und verbrachte den Tag mit Rasaksha in demGarten, den Augenblick des Wiedersehens erwartend. Und als die Sonne sank, gingen sie in dieAudienzhalle. Und da sahen sie die Prinzessin auf ihrem Throne sitzend, in ein gelbes Gewandgekleidet, das Mieder von Diamanten berset, im vollen Schmuck und mit der Krone auf demHaupt. Und sinnend blickte sie den Knig an, der sprachlos und wie gefesselt auf ein Lager sank,von ihrer Lieblichkeit bezaubert. Da trat Rasaksha heran, stand vor der Prinzessin und begann:

    Herrin, in vergangenen Zeiten wurde ein Knig vom Fieber dahingerafft. Und sein Erbe war einKind, das noch nicht gehen und sprechen konnte. Der Bruder des verstorbenen Knigs aberbegehrte das Knigreich fr sich selbst. Um dies zu erreichen, beschloss er, den kleinen Raja ausder Welt zu schaffen. Das war nach seiner Meinung leicht genug, denn ein Kind kann rasch, auf tausenderlei Art, gettet werden.

    Eines Abends brachte er die Dienerschaft des Kindes durch Bestechung dahin, es allein in seinemZimmer zu lassen. Er hatte einen Mrder gedungen, ihn im Palast verborgen und ihm aufgetragen:Um die und die Stunde betrittst du des Knigs Gemach. Du wirst ihn da allein treffen und tten.Der Mrder aber war ein Rayput vom Dekkan, zum ersten Mal in der Stadt und kannte den Knignicht. Zur bestimmten Stunde trat er in das Zimmer des Knigs, erwartete einen Mann zu finden,sah aber nur ein Baby auf dem Boden sitzen und mit einer Frucht spielen. Und die Frucht fiel ihmaus den Hnden und rollte zu den Fen des Mrders. Und der kleine Raja rief: ,Be, be! DerMrder rollte die Frucht zurck, und das Kind lachte und klatschte in die Hndchen. So spielten siezusammen mit der Frucht, bis die Wrter zurckkamen und den Mrder fanden. Und da siefrugen, was er hier wolle, antwortete er: ,Ich habe dem Knig eine Botschaft von meinem Gebieterzu berbringen. Da lachten die Diener und sagten: ,Der Knig ist tot; da sitzt der Knig. Aber dasverwirrte den Mrder und er sprach: ,Wie kann ich einem Kinde, das noch nicht sprechen kann,eine Mitteilung machen ? Und sie lieen ihn laufen, und fr sein eigenes Leben frchtend, entfloh

    er sofort aus der Stadt.

    Des Knigs Bruder mietete, als er seinen Anschlag vereitelt sah, eine ganze Bande von Rubern.Und die Gelegenheit abwartend, stellte er sie auf Posten an dem Wege, der zu einem Tempelfhrte und befahl: ,ber diesen Weg wird ein Kind, prachtvoll gekleidet, mit Juwelen geschmckt,von groer Dienerschaft begleitet, kommen. Fallt ber die Leute her, plndert sie, wenn ihr wollt das Kind aber msst ihr unfehlbar tten! Aber whrend die Ruber warteten, hatte eine andereRuberbande, von der Pracht der Juwelen des kleinen Rajas angelockt, das Gefolge desselbenberfallen und alle, mit Ausnahme eines einzigen, der nackt entfloh, gemordet, den kleinen Rjvon allem, was er an sich hatte, entblt, aber ihn am Leben gelassen. ,Er kann es ja keinem

    erzhlen, sprachen die Ruber, ,lassen wir ihn am Leben. Und eilig entfernten sie sich. DerEntflohene schlich zurck, fand das Baby am Wege, nahm es auf, hllte es in ein Tuch und trug esheim. Und er ging an dem Trupp vorber, der aufgestellt war, das Baby- Rj zu ermorden, aber

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    sie hielten ihn fr einen Bettler und beachteten ihn nicht weiter. So entging das Kind zum zweitenMal dem Tode.

    Darauf bestach des Knigs Bruder einen Koch, der tdliches Gift in die Milch des kleinen Rjsmischte. Das Kind nahm den Becher in beide Hnde und setzte ihn an den Mund, um zu trinken. Indem Augenblick nieste der Diener, der vor ihm stand, laut und heftig. Und der kleine Rj lie denBecher fallen und schlug entzckt in die Hndchen. Der Becher lag in tausend Scherben, und derInhalt war auf der Erde verspritzt. So entkam das Kind zum drittenmal. Und bevor des KnigsBruder einen neuen Plan ersinnen konnte, wurde er selbst erschlagen von dem Gatten einer Frauaus der Kshatriya-Kaste, die er entfhrt und entehrt hatte. Nun sage mir, Prinzessin, wie kam es,dass die Rnke des Bsewichts gegen den kleinen Knig, der doch ein wehrloses Kind war, stetsmisslangen? Und Rasaksha schwieg. Da sprach die Prinzessin: Es war gerade die wehrloseKindheit, die siegte. Denn wie ein Stein, der frei auf der Erde liegt und wegen seiner Wertlosigkeitkeine Gelste erzeugt, sicherer ist als ein von Demant-Barren eingehegter kostbarer Edelstein, so

    ist ein Wesen, so schwach, dass keiner es angreifen mchte, mchtiger geschtzt durch seineSchwche, als durch tausend Wchter. Kein Gegengift so gut wie das Nichtvorhandensein von Gift:keine Tugend so leicht, als wenn keine Schnheit vorhanden: keine Befestigung so gut wie dieAbwesenheit von Angreifern: keine Wache so mchtig wie die Hilflosigkeit eines Kindes. Denn wosind die Feinde des zerbrechlichen Lotus?

    Und als sie so gesprochen, erhob die Prinzessin sich, und im Hinausschreiten blickte sie zurcknach dem Knig, dessen Herz mit ihr ging. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurck in ihreGemcher.

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    4. Tag

    Dann sprach der Knig zu Rasaksha: Mein Freund, deine Frage ist wieder von der Prinzessinbeantwortet und wieder ist mir ein Tag verloren; dennoch vergebe ich dir gern, um des Blickeswillen, durch den sie mich beim Fortgehen beglckte. O, er umgarnte meine Seele, als wre sie ineinem Netz gefangen. Und htte ich nicht das Bild, mich am Leben zu erhalten, so wrde ich dasLicht des Tages nicht wieder schauen. Er verbrachte die Nacht ohne Schlaf, indem er das Bildbetrachtete und sich in Liebe verzehrte. Und als die Sonne aufging, erhob er sich und verbrachteden Tag, wie es eben ging, mit Hilfe Rasakoshas, im Garten. Als die Sonne sank, betraten sie dieAudienzhalle. Da sa die Prinzessin auf ihrem Thron, in ein dunkelfarbiges Gewand gekleidet, dasMieder mit Saphiren bestickt, im vollen Schmuck, die Krone auf dem Haupt. Huldvoll blickte sie auf den Knig, der bebend auf ein Lager sank, sprachlos und gefesselt vom Zauber ihrer Schnheit.Und Rasaksha schritt vor, stand vor der Prinzessin und begann:

    Herrin, vor Zeiten lebten in einem gewissen Lande zwei Brder, Brahmanen, Zwillinge, Bimba undPatribimba genannt. Ich glaube, dass der Schpfer, nachdem er den einen geschaffen, unterWasser ging, um den anderen zu bilden. Denn der Mond kann sein eigenes Bild nicht treuer ineinem See widerspiegeln, oder das Blatt eines Zweiges dem anderen besser gleichen, als sie sichglichen. Als sie Kinder waren, unterschied man sie durch ein um den Nacken geschlungenesAmulett. Als sie erwachsen waren, konnte man ihre Augen fr Feinde halten, weil jedes nachseiner Art denselben Gegenstand zurckstrahlte. Und wie ihre uere Gestalt, so war ihre Stimmeund ihre Gemtsart gleich. Sie glichen sich in jedem Atom, von der Farbe der Haut bis zu deninnersten Regungen des Herzens.

    Eines Tages, zur Zeit des Frhlingsfestes, geschah es, dass Bimba einer jungen Frau begegnete, undsie sahen sich gegenseitig im selben Momente an (= Die Hetre spielt in Hindu-Geschichten einegrere Rolle noch als in Griechenland.). Und der Gott der Liebe durchbohrte ihre Herzen, ihreBlicke als Waffe brauchend. Bimba erforschte ihren Wohnsitz und besuchte sie drei Tage in jederWoche. In dem berma seines Glcks und stolz auf die auerordentliche Schnheit seinerGeliebten, konnte er sich nicht beherrschen und das Geheimnis seines Glcks verschweigen. Soerzhlte er seinem Bruder alles und fand eine passende Gelegenheit, ihm seine Geliebte zu zeigen,ohne dass sie es merkte. Patribimba aber, das zweite Ich seines Bruders, ward augenblicklich vonderselben heftigen Leidenschaft fr sie ergriffen. Und ohne Skrupel denn was hat Liebe mit

    Skrupeln zu schaffen? ging er an den anderen drei Tagen der Woche zu ihr. Sie aber, in demGlauben Bimba selbst zu haben, denn sie merkte keinen Unterschied, erfreute sich derGesellschaft ihres Geliebten zweimal so oft als bisher.

    Nach einiger Zeit aber kam Bimba, von heftiger Sehnsucht getrieben, zu seiner Geliebten an einemvon seines Bruders Tagen. Und da er eintrat, sah er Patribimba schlafend auf einem Ruhebettliegen und seine Geliebte ihm mit einem Palmblatt Khlung fcheln. Und sie, als sie Bimbaerblickte, stie einen Schreckensschrei aus, der Patribimba erweckte. Und whrend sie inErstaunen von dem einen nach dem anderen sah, strzte Bimba, rasend und vor Eifersuchtheulend, sich auf Patribimba, und Patribimba tat desgleichen. Und miteinander ringend, sich

    tretend und schlagend, fielen sie zur Erde, bis ein Unterbeamter des Knigs, das Schreien desWeibes hrend, hereinkam, die Kmpfenden trennte und alle drei vor den Richter fhrte. UndBimba sprach: ,Dieser Mann ist mein Bruder, er hat mir meine Geliebte gestohlen. Aber

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    Patribimba sagte: ,Nein, sie ist mein, und du bist der Dieb. Und Bimba schrie: ,Ich war zuerst beiihr, und du bist ein Schurke. Und Patribimba gab ihm das Wort zurck. Der Richter aber fragte dasWeib: ,Welcher von beiden ist dein Liebhaber? Und sie antwortete: ,Herr, ich kann nicht sagen,welcher es ist, und bis heute wusste ich nicht, dass es zwei von ihnen gibt.

    Nun sage mir, Prinzessin, wie soll der Richter zwischen ihnen entscheiden? Und Rasakshaschwieg.

    Und die Prinzessin sprach: Mge der Richter jeden einzeln vernehmen und sich genau dieUmstnde beschreiben lassen, unter welchen die Brder die Frau zuerst gesehen. Denn wenn derBetrger auch gehrt hatte, dass es am Frhlingsfeste war, so wird doch das Auge, das sah,untersttzt von dem Herzen, das sich des ersten Blickes erinnert, das Ohr, das nur hrte,widerlegen.

    Und als sie so gesprochen, erhob die Prinzessin sich, im Fortgehen dem Knige zulchelnd, und des

    Knigs Herz folgte ihr. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurck in ihre Gemcher.

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    5. Tag

    Der Knig sprach zu Rasaksha: Mein Freund, auch dieses Mal hat meine Geliebte deine Fragebeantwortet und vier Tage sind mir verloren. Dennoch verzeihe ich dir, um des Lchelns willen, dassie beim Hinausgehen mir schenkte. O, es lichtete das Dunkel meiner Seele, wie das Mondlichteine Waldwiese in der Nacht. Aber als sie entschwunden, war wieder alles dster! Htte ich dasBild nicht ich wre ein toter Mann, bevor der Tag anbricht. Er verbrachte die Nacht infieberhafter Aufregung. Als die Sonne aufging, erhob er sich und schleppte sich durch den Tag mitHilfe Rasakshas und des Gartens. Und als die Sonne sank, gingen sie in die Audienzhalle. Da sahensie die Prinzessin auf dem Throne sitzen, in blass rotem Gewnde, das Mieder mit Smaragdenbedeckt, die Krone auf dem Haupt. Als sie den Knig sah, schlug sie die Augen nieder, er aber sankpochenden Herzens auf ein Lager, stumm, geblendet von ihrer Schnheit. Wieder trat Rasakshavor die Prinzessin und begann:

    Herrin, vor Zeiten fhrte ein Knig Krieg mit einem benachbarten Herrscher und es kam zu einergroen Schlacht. In dem Heere des Knigs war ein Kshatriya, der unermdlich kmpfte und eineMenge der Feinde allein durch die Kraft seines Armes erschlug. Endlich aber war er erschpft undtaumelte. Als die Feinde dies sahen, fielen sie alle ber ihn her, berwltigten ihn und lieen ihn,mit Wunden bedeckt, fr tot auf dem Platze liegen. Als der Mond aufging, kam der Kshatriya zumBewusstsein, richtete sich auf und schleppte sich mit Anstrengung bis zu einem Dorf in der Nhe.Da verlieen ihn die Krfte, erschpft sank er vor der Tr eines Hauses nieder und klopfte an; dannverlieen ihn die Sinne.

    In dem Hause lebte eine Brahmanen-Frau, deren Gatte abwesend war. Sie war schn wie eineJasminblte und rein wie Schnee und ihr Name war Suwarnashil. Das Klopfen in der Stille derNacht erschreckte sie; sie ffnete ein kleines rundes Fenster und sah im hellen Mondschein einenMann, wie tot, vor ihrer Tre liegen. Das knnte ein Fallstrick sein, dachte sie. Ach ja, die Nachbarnbewundern meine Schnheit, und Schnheit erweckt Begierde. Und Schnheit, gleich einerkostbaren Perle, ist in Gefahr, wenn ihr Hter fort ist. Aber wieder blickte sie auf den Mann undsah einen blutigen Strom von seinem Krper ber den weien Grund flieen. Und ihr Herz wardvon Mitleid ergriffen und sie dachte: Der Mann ist verwundet, vielleicht stirbt er. Die grte Sndewre es, ihn vor meiner Tr sterben zu lassen (= Ihn hineinzunehmen, in Abwesenheit des Gatten,wre schlimm genug. Selbst heute noch wrde ein Hindu sein Weib um eines geringeren

    Verbrechens willen, als dieses, tten). Sie rief ihre Dienerin, sie gingen hinaus, holten denverwundeten Mann herein, verbanden seine Wunden und die Frau pflegte ihn und behielt ihn inihrem Hause, bis er gesund war.

    Der Kshatriya sah sie tglich, ward von dem Glanz ihrer Schnheit zu Asche verbrannt und machteihr bse Antrge. Sie aber wollte ihn nicht anhren und sprach: ,Wie! willst du Wohltaten mitUndank und Verrat vergelten? Wisse, einer tugendhaften Frau ist ihr Gatte Gott. Geh und verlassemein Haus. Da er nichts erreichen konnte, sprach der Kshatriya: ,Du bist die Gottheit, nicht deinGatte. Deine Schnheit knnte einen heiligen Asketen von seiner Bue abwendig machen. Und obich dir auch mein Leben verdanke, du hast mich wieder des Lebens beraubt. Ich muss mich rasch

    entfernen, sonst gewinnt meine Leidenschaft die Herrschaft ber mich, denn Liebe ist strker alsDankbarkeit. Und widerstrebend floh er von ihr.

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    Als der Gatte zurckkehrte, kam ihm die Frau des Barbiers, die neidisch auf SuwarnashilsSchnheit war, entgegen und redete ihn an: ,Glcklich die, die Schtze besitzen. In deinerAbwesenheit aber war ein anderer Mann Herr deines Kronjuwels. Der Gatte entbrannte vonEifersucht, ging heim und stellte seine Frau zur Rede. Sie erzhlte ihm alles. Er aber glaubte ihr

    nicht. Da streckte sie ihre Hand nach dem Feuer aus und sprach: ,Ich rufe das Feuer zum Zeugenan, ob ich dir einen Augenblick, im Traum nur, untreu war. Und das Feuer schoss empor, einebreite Flamme leckte die Decke und zwei Feuerzungen kssten die Heilige auf den Mund und auf das Herz. Aber vor Eifersucht rasend, sprach der Mann: ,Das ist Zauberei! Und sein Schwertergreifend, rief er: ,Folge mir! Und sie sprach: ,Wie es meinem Herrn gefllt. Da fhrte er sie inden Wald, band sie an einen Baum, hieb ihr Nase, Hnde und Fe ab und verlie sie. Und nacheiner Weile starb sie im Walde vor Klte, vor Schmerz und vom Blutverlust.

    Der Kshatriya erfuhr, was geschehen war. Von Wut und Verzweiflung erfllt, suchte er den Gattenauf und sprach: ,O du Tor, wisse, dass du eine Heilige gemordet hast. Und wsste ich nicht, dass

    fortan das Leben eine hrtere Strafe als der Tod fr dich ist, so wrde ich dich hier auf der Stelleniederschlagen. So lebe denn, und mgest du sterben, ohne einen Sohn gehabt zu haben. DerGatte ward von Gewissensbissen geqult als er die Wahrheit erfuhr; er verlie die Welt undwallfahrtete zum Ganges, um seine Schuld zu ben. Der Kshatriya aber strzte sich in seineigenes Schwert.

    So, Prinzessin, nun sage mir, warum verhngt das Schicksal so furchtbare Strafe ber denUnschuldigen? Rasaksha schwieg. Die Prinzessin aber sprach: Kann Erlsung von anderen, alsdie deren wrdig sind, erlangt werden? Ist das Feuer nicht der Prfstein des Goldes? UndSuwarnashil bestand die Prfung: ohne Zweifel hat sie ihre Belohnung erhalten. Denn selbst der

    Tod ist nicht so machtvoll als die Folgen selbst der geringfgigsten Tat. Da wurde eine Stimmevom Himmel gehrt, die laut sagte: Wohl gesprochen, liebes Kind. Und die Prinzessin erhob sich;und im Verlassen der Halle sah sie den Knig mit feuchten Augen an, und das Herz des Knigs gingmit ihr. Der Knig und Rasaksha kehrten zurck in ihre Gemcher.

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    6. Tag

    Der Knig sprach zu Rasaksha: Mein Freund, wieder ist ein Tag verloren, und wieder hat diePrinzessin deine Frage beantwortet. Aber ich vergebe dir von Herzen um der Trne willen, die inihrem Auge glnzte, als sie uns verlie. War sie doch wie ein Tautropfen in einer aufgeblhtenLotusblume! Er verbrachte die Nacht in einer Art Betubung, das Bild der Geliebten vor sich. Alsdie Sonne aufging, erhob er sich. Mit Anstrengung aller Krfte half er sich ber die Stunden desTages hinweg. Als endlich die Sonne sank, gingen sie in die Audienzhalle. Da sa die Prinzessin auf ihrem Thron, die Krone auf dem Haupt, im vollen Schmuck, in ein blutrotes Gewand gekleidet,dessen Mieder mit Opalen bedeckt war. Sie blickte den Knig an, als er eintrat, und er sank stummauf ein Ruhebett, hingerissen von ihrer Lieblichkeit. Rasaksha trat vor und begann: Herrin, einstlebte ein Knig, der drei Kniginnen von so unbeschreiblicher Schnheit sein eigen nannte, dass,wenn der Mond schien, man nicht wusste, welches der richtige Mond war. In einer Nacht der

    heien Jahreszeit schlief der Knig, umgeben von seinen Kniginnen, auf der Terrasse desPalastes. Er erwachte aber, whrend sie noch schliefen. Er erhob sich, und beim Lichte desMondes betrachtete er seine schlafenden Kniginnen. Und er sprach zu sich selber: ,Wunderbar istes, in wie verschiedenen Formen die Schnheit des Weibes sich darstellt. Wei ich doch nicht,welche von meinen Kniginnen die schnste ist! Er ging von einer zur anderen und sah sieaufmerksam an. Eine Knigin lag im vollen Licht des Mondes, den Arm unter dem Haupt. Einleichter Lufthauch bewegte ihr Gewand und entblte ihren Busen. Eine andere lag im Schatteneines Obstspaliers. Wechselnd erschienen, in Licht und Schatten, Wellenlinien wie Elfenbein undEbenholz. Die dritte lag in tiefem Schatten; ein einziger Strahl des Mondes nur fiel sanft auf dieMuschel ihres kleinen Ohres. Der Knig wanderte von einer zur anderen und zerbrach sich den

    Kopf ber die schwierige Frage und hielt jede Knigin fr die schnste, bis er zu der nchsten kam.Die Sonne ging auf, bevor er seiner Sache sicher war.

    Als der Knig seine tglichen ritualistischen Zeremonien beendet und seinen Sitz auf dem Throneeingenommen hatte, trat sein erster Minister Nayanetri (= Polizeiminster) heran und sprach: ,OKnig, sind deine kniglichen Augen von Schlaflosigkeit so gertet? Und der Knig sagte:,Nayanetri, letzte Nacht kam es mir in den Sinn, zu erforschen, welche meiner Kniginnen dieschnste sei. Und das raubte mir den Schlaf; und bis jetzt habe ich das Rtsel noch nicht gelst. Dasprach Nayanetri: ,O Knig, sei zufrieden, dass unter deinen Kniginnen kein Unterschied in derSchnheit und kein Grund zur Eifersucht zu finden ist. berflssige Wissbegier zerstrt denFrieden des Gemts und schafft Unheil. Der Knig aber erwiderte: ,Ich bin entschlossen, koste es,was es wolle, die Frage, die mich qult, zu lsen! Nayanetri sah ein, dass der Knig auf seinemKopf bestand, und sagte: ,Knig, Minister sind wie Reiter: ein Ross, das sie nicht zurckhaltenknnen, mssen sie auf alle Flle zu lenken suchen. Da du es fr durchaus notwendig hltst, zuentscheiden, welche deiner Kniginnen die schnste ist, so hre meinen Rat: es ist krzlich indeiner Hauptstadt ein junger Brahmane angekommen, ein Lebemann, Kntigrha genannt, der inden drei Welten gerhmt wird als Beurteiler weiblicher Schnheit. Lasse ihn kommen und dieKniginnen sehen. Er wird dir sicher sagen, welche die schnste ist. Denn ein Schwan kann nichtgenauer Milch von Wasser unterscheiden als er die verschiedenen Nuancen der Schnheit.

    Sofort berief der Knig Kntigrha und lie, whrend er sich mit ihm unterhielt, die dreiKniginnen, eine nach der anderen, durch das Zimmer gehen. Als die erste Knigin an ihm

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    vorbeischritt, stand der Brahmane, wie an den Boden gewurzelt, still. Beim Vorbeigehen derzweiten zitterte er leicht. Aber als die dritte kam, erbleichte er. Als alle drei fort waren, sprach derKnig: ,Brahmane, du hast ein Urteil; sage mir jetzt, welche von den dreien die schnste ist. DerBrahmane aber dachte: ,Sage ich dem Knig die Wahrheit, so knnte ich ihm missfallen, indem ich

    vielleicht gerade seine Favoritin unterschtze. berdies werden die anderen zwei Kniginnen,wenn sie die Sache erfahren, mich vergiften. So verbeugte er sich und sprach: ,Knig, ich mussZeit haben, zu entscheiden. Warte bis morgen. Und der Knig entlie ihn. Kntigrha entferntesich eilig, entschlossen, die Stadt noch vor der Nacht zu verlassen. Doch tat er es halb mitWiderstreben, denn eine der Kniginnen hatte solchen Eindruck auf ihn gemacht, dass er vieldarum gegeben htte, sich ihrer zu erfreuen.

    Nayanetri, der die Gedanken der Menschen aus ueren Zeichen erriet, sprach zum Knig: ,Knig,dieser Brahmane will dir entschlpfen. Er hat Furcht und wird vor Nacht aus der Stadt flchten. Ichaber habe ihn durchschaut und kann dir sein Urteil verknden. So erfuhr der Knig, welche von

    den Kniginnen die schnste war, und die wurde seine Favoritin. Die anderen beiden abervergifteten sie aus Eifersucht; und der Knig, als er dies erfuhr, lie sie hinrichten. So verlor derKnig, wie Nayanetri es voraus gesehen, durch seine Wunderlichkeit alle seine Kniginnen. So,Prinzessin, nun sage mir, was tat Nayanetri, dass er so genau das Urteil Kntigrhas dem Knigemitteilen konnte? Und Rasaksha schwieg.

    Die Prinzessin antwortete: Er brauchte nichts zu tun! Die dritte Knigin war die schnste. DieSchnheit der ersten verblffte den Brahmanen, die der zweiten flte ihm gewaltigen Respektein; die Schnheit der dritten aber rhrte sein Herz. Nayan6tri aber lie, um den Knig zuberuhigen, an Kntigrha falsche Briefe senden, in denen die Kniginnen ihm Liebe schwuren und

    zu einer Zusammenkunft einluden, alle um die gleiche Stunde. Kntigrha aber suchte nur zu derKnigin zu gelangen, die er fr die schnste hielt. Da ergriffen ihn die Wchter und der Knig lieihn in den Kerker werfen. Die Handlungen der Menschen kennzeichnen ihren Charakter deutlicherals alle Worte.

    Und als die Prinzessin so gesprochen, erhob sie sich und schritt hinaus, den Knig mitleidiganschauend. Und das Herz des Knigs ging mit ihr. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurckin ihre Gemcher.

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    Den nchsten Tag aber kam die Prinzessin wieder an dem Baum vorbei und den Asketen baumelnsehend, brach sie, trotz des ihrem Vater gegebenen Versprechens, in lautes Gelchter aus. Alsoging der Asket wiederum zum Knig, der schreckensbleich die unterwrfigsten Entschuldigungenvorbrachte und den Zorn des heiligen Mannes nochmals besnftigte. Der kehrte wieder zu seinem

    Baum zurck, und der Knig schalt seine Tochter wieder aus, und sie versprach, nie wieder zulachen.

    Hasamrti whlte von nun an einen anderen Weg, um den Asketen nicht zu beleidigen. Aber nacheiniger Zeit verga sie es und kam wieder an dem Baum vorbei, sah ihn wieder baumeln und, wievon Shiwa (= Attahsa = lautes Lachen ist einer der Namen Shivas) selbst inspiriert, brach sie inschallendes Gelchter aus und lachte noch, als sie den Palast betrat.

    Wieder kletterte der Asket von dem Baum herab und ging zum Knig. ,O Knig, sprach er, ,deinLand ist dem Untergang verfallen und deine Tochter ist von einem bsen Geist besessen. Sie hatwieder ber mich gelacht, lauter als je zuvor und Jahre meiner Belohnung mir geraubt durchStrung meiner Meditationen. Mache dich deshalb bereit, strenge Strafe auf dich zu nehmen. DerKnig, der sich nicht mehr zu raten wusste, sagte: ,Heiliger Mann, gibt es absolut kein Heilmittel?Der Asket antwortete: ,Soll ich mich immerfort in meinen Bubungen stren lassen? Es gibt keinHeilmittel; deine Tochter ist unheilbar. Und wieder sprach der Knig: ,Weit du keinen wirksamenZauberspruch, die Krankheit meiner Tochter auszutreiben? Der Bsewicht, innerlich erfreut,sagte: ,Aus Barmherzigkeit will ich noch dies fr dich tun: Ich will deine Tochter sehen undBeschwrungen vornehmen. Kann ich den bsen Geist des unschicklichen Lachens, der sie besitzt,austreiben, gut! wenn nicht, bleibt der Fluch bestehen.

    So geleitete der Knig ihn zu den Gemchern seiner Tochter und sprach: ,Meine Tochter, deinLachen strt diesen heiligen Mann unaufhrlich in seinen Bubungen. Nun ist er aus Gnadegekommen, um den Lachdmon, von dem du besessen bist, auszutreiben. Gelingt ihm das nicht,so muss mein Land, von ihm verflucht, zugrunde gehen, aus Mangel an Regen. Der Asketsprach: ,Knig, lass alle sich entfernen und mich mit der Prinzessin allein. Der Knig aber flstertedem Heiligen zu: ,Herr, meine Tochter darf mit keinem Mann allein bleiben. ,Von mir hast dunichts zu befrchten, Knig, sagte der Schelm, ,ich bin kein Mann. Vor Jahren schon opferte ichmeine Mannheit dem Bewohner der Windhya-Berge (*= Prwati oder Durga, Shiwas andereHlfte, in der genauen Bedeutung des Wortes.)

    Aber Hasamrti hatte ihn gehrt und dachte: Mein Vater ist ein Tor und sicher hat dieser MannAbsichten auf meine Ehre. Er soll finden, dass ich mehr kann, als lachen. Sie sprach zu ihrem Vater:,Habe keine Sorge meinethalben. Dies ist ja ein heiliger Mann. Heimlich aber stellte sie ihreDienerinnen im nchsten Gemach in Bereitschaft. Als der Asket sich mit der Knigstochter alleinsah, wurde seine Leidenschaft so mchtig, dass er sich kaum beherrschen konnte. Mit zitternderHand zog er einen Kreis um sie herum, murmelte unverstndliche Worte und sprach endlich:,Meine Tochter, du darfst nur die vier Himmelsgegenden als Bekleidung haben, wenn der Zauberwirken soll. Lege deine Gewnder ab. Hasamrti aber erwiderte: ,Ehrwrdiger Herr, das istunmglich. Da fasste er sie an. Die Prinzessin klatschte in die Hnde und ihre Dienerinnen strztenherbei und ergriffen ihn. Und sie befahl: untersucht diesen Asketen, ob er ein Mann ist oder nicht.

    Sie gehorchten und sagten lachend: ,Herrin, er hat alle Zeichen der Mnnlichkeit. Hasamrtibefahl: ,Nehmt dieses Messer und beraubt ihn seiner Mannheit. Und sie gehorchten.

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    Hasamrti aber sprach zu ihm: ,Geh! die Beschwrung ist beendet. Beklage dich beim Knig,meinem Vater, wenn du willst. Ich habe den Beweis, dich zu berfhren. Er, sobald er freigelassen, fing an zu lachen und lachte noch, als er zum Knig kam und sprach: ,Knig, lass michgewhren. Sieh, ich habe die Beschwrung erfolgreich beendet, den Lachdmon ausgetrieben, und

    trage ihn mit mir fort. Und lachend entfernte er sich, den Tod im Herzen.Nun sage mir, Prinzessin, warum lachte der Asket? Und Rasaksha schwieg. Die Prinzessin, dieStirne leicht runzelnd, antwortete: Er lachte in der Feigheit seiner Seele, die froh war, aus demMund des Todes entschlpft zu sein und achtete das Misslingen seiner Plne nicht im Vergleichmit der Rettung des nackten Lebens. Denn Feiglinge halten den Verlust des Lebens fr das grteUnglck, whrend groe Seelen ihn fr das Geringste achten und lieber tausendmal ihr Lebenverlieren als das Ziel verfehlen wrden, dem sie nachgestrebt.

    So sprechend, blickte die Prinzessin den Knig bedeutungsvoll an, erhob sich und schritt hinaus.Des Knigs Herz ging mit ihr. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurck in ihre Gemcher.

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    ging zu ihm hin und frug: ,Herr, wie nennt Ihr diesen Flu? Und der Pilger antwortete: ,Ist esmglich, dass du den heiligen Nermada nicht kennst? Da seufzte der Brahmane tief und sprach:,Ihr habt mich aufgeklrt, Herr. Und er nahm Topf und Stab und wanderte.

    Aber er war jetzt alt und hinfllig. Lange Askese hatte seinen Krper geschwcht und seinen Muterschpft. Mit Mhe schleppte er sich vorwrts ber die heie Erde und die Sonne traf ihn auf denKopf wie der Blitzstrahl Indras, und Fieber ergriff ihn. Doch raffte er seine letzte Kraft zusammenund strebte vorwrts. Von Tag zu Tag wurde er schwcher und schwcher, bis er nicht weiterkonnte, niederfiel und kraftlos auf der Erde lag. Noch einen letzten verzweifelten Versuch machteer und kroch auf einen niedrigen Hgel, der vor ihm lag. Und o! da vor ihm rollte der mchtigeStrom des Ganges und zahllose Pilger taten Bue auf seinem Ufer und badeten in seinen Wassern.Und in seinem Schmerze rief er laut: ,O Mutter Ganges! wehe mir! Dich suchte ich mein ganzesLeben, und nun sterbe ich hier hilflos vor deinem Anblick. Und sein Herz brach.

    Als er in die andere Welt kam, sprach Yama (= der Richter der Gestorbenen) zu Chitragupta (= seinProtokollfhrer, der die Taten der Menschen berichtet) : ,Was hat er gesndigt? Und Chitraguptaantwortete: ,Er hat eine furchtbare Snde begangen; aber er hat sie geshnt durch fnfzehn JahreBue am Ufer des Ganges. Der Brahmane aber sprach: ,O Herr! Du irrst. Ich habe den Gangesniemals erreicht. Da lchelte Yama. Nun sage mir Prinzessin, warum lchelte Yama? UndRasaksha schwieg. Die Prinzessin sprach: Yama ist gerecht und kann nicht irren, und Chitraguptatuscht sich nicht. Aber was ist diese ganze Welt als Tuschung? Und gleichwie Bue, von einemunreinen Geist gebt, selbst auf dem richtigen Ufer des Ganges, keine wahre Bue ist, so wurdedie Bue des armen einfltigen Brahmanen, vollbracht in dem Glauben, dass er an dem wahrenGanges gebt von dem Erhabenen als in Wahrheit vollbracht, angenommen. Menschen

    urteilen nach dem trgerischen Schein der Sinne; die Gtter aber beurteilen das Herz.

    Und als die Prinzessin so gesprochen, erhob sie sich, und im Fortgehen lchelte sie dem Knig zu,und sein Herz ging mit ihr. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurck in ihre Gemcher.

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    9. Tag

    Der Knig sprach zu Rasaksha: Mein Freund, die Prinzessin ist auch diesmal siegreich, und achtTage sind mir verloren. Verzeihen aber muss ich dir, um des Lchelns willen, das mir zuteilgeworden. O, es strahlte in meine Seele wie das blendende Wei des kniglichen Schwans, wennes die Sonne beleuchtet. Ach, selbst ihr Bild gibt mir keine Ruhe mehr. Die Nacht verbrachte derKnig in einem Zustand von Verwirrung und betrachtete traurig das Bild. Mit der Sonne erhob ersich, und der lange Tag wollte kein Ende nehmen. Als die Sonne sank, standen sie in derAudienzhalle. Die Prinzessin sa in einer purpurfarbenen, mit brniertem Golde verzierten Robeauf ihrem Thron, die Krone auf dem Haupte. Freudig blickte sie den Knig an, der stumm,bezaubert von ihrer Lieblichkeit, auf ein Lager sank. Sofort trat Rasaksha vor und begann: Herrin,es lebte in einer gewissen Stadt ein reicher Kaufmann, der ein wunderschnes Weib besa. Abersie war leichtfertig, ging ihre eigenen Wege, unabhngig (= eine unabhngige Frau ist im Sanskrit

    ein Synonym fr Dirne) von ihrem Gatten, und sah nach anderen Mnnern. Kam ihre Tugend inVersuchung, so schwankte sie wie ein Grashalm beim Waldbrand. Der Gatte aber liebte sie mehrals seine Seele und verzieh ihr alle ihre Fehler. Deshalb verachtete sie ihn aber nur und hasste ihn.

    Eines Tages sah sie von ihrem Fenster aus einen jungen schnen Rajput. Von Leidenschaft sofortergriffen, verlie sie ihren Mann und ihr Heim und entfloh mit ihm. Der Gatte verzweifelte fast, alser ihre Flucht erfuhr, und nur die Hoffnung, dass sie zurckkehren wrde, hielt ihn am Leben. DieHoffnung allein bindet die durch Verrat elend Gewordenen an die Welt. Aber er wurde gleichgltiggegen alles, vernachlssigte sein Geschft, verarmte, und seine Freunde verachteten ihn. Erverschloss sich in sein verdetes Haus und bewahrte das Andenken seines entflohenen Weibes

    Nacht und Tag im Herzen. So verbrachte er drei Jahre, die ihm onen duchten, in dstererTrostlosigkeit.

    Nachdem die Frau eine Zeitlang mit dem Rajput gelebt hatte, ward sie seiner berdrssig undverlie ihn um eines anderen Liebhabers willen und diesen wieder um einen anderen. So flattertesie von einem zum anderen, wie eine Biene von Blume zu Blume. Und es geschah in der Nacht, alssie mit dem Sohn eines Kaufherrn zusammen war. dass dieser im Feuer der Bewunderung ihrerSchnheit niederfiel, um ihre Fe zu kssen. Sie erkannte seine Absicht nicht, zog pltzlich ihrenFu zurck und stie gegen den Edelstein in seinem Ohrring. Der Fu wurde verwundet undbehielt auch nach der Heilung eine Narbe.

    Eines Tages, nachdem drei Jahre dahingegangen, sa der verlassene Mann einsam in seinem denHause und sah mit dem Auge des Herzens das Bild seines Weibes an. Da pltzlich wurde an die Trgeklopft. Er stand auf um zu ffnen, denn seine Diener hatten ihn lngst verlassen, weil er sie nichtbezahlen konnte; da stand sein Weib vor ihm. Sie erschien erschpft und gealtert; die Blume ihrerSchnheit war dahin. Sie war in Lumpen gekleidet, mit Staub von der Wanderung bedeckt und sahihren Gatten an mit Augen voll Trnen, Scham und Furcht. Sie lehnte am Pfosten der Tr, fastohnmchtig vor Hunger und Durst. Als er sie erblickte, stand sein Herz still, sein Haar strubte sichund er stie einen Ruf des Erstaunens und der Freude aus. Er nahm sie in seine Arme und trug siehinein und legte sie auf das Bett, das sie verlassen und entehrt hatte. Auer sich vor Freude, mit

    schwankenden Schritten, holte er Nahrung fr sie und Wasser, wusch ihr den Staub ab, trstetesie, suchte ihren Mut zu beleben. Kein Vorwurf kam ber seine Lippen. Unter Weinen und Lachensegnete er ihre Rckkehr. Es war, als sei sie, selbst im Traum, nicht treulos gewesen. Und wie er sie

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    so hegte und pflegte, fiel sein Blick auf die Narbe an ihrem Fu: ,Armer wunder Fu! sagte er,,endlich hast du einen Ruheplatz gefunden! Schweigend, mit groen Augen, sah sie den Mann an;dann pltzlich lachte sie auf, sank zurck und ihr Herz brach. Und er, als er sie tot da liegen sah,sank neben ihr auf den Boden nieder und folgte ihr im Tode nach.

    Nun sage mir Prinzessin, wie kam es, dass der Frau das Herz brach? Und Rasaksha schwieg. DiePrinzessin sprach: Es brach vor Reue und Schmerz. Als sie fand, dass ihr Gatte all ihreSchlechtigkeit mit Gte vergalt, und des Umstandes gedachte, der die Wunde verursacht hatte, daberflutete Reue und Gram ihr Herz wie ein Strom, den es nicht fassen konnte; es musste brechen und so starb sie.

    Und als sie so gesprochen, erhob die Prinzessin sich, schritt zgernd hinaus, schaute den Knigkummervoll an, und sein Herz ging mit ihr. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurck in ihreGemcher.

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    10. Tag

    Der Knig sprach zu Rasaksha: Mein Freund, neun Tage sind vergangen und ich verzage fast.Verzeihen kann ich dir nicht, wenn ich meine Geliebte verliere. Denn sie schaut mich jetzt andersan als bisher, sanft, zrtlich, als empfnde sie selbst die Qual der Trennung. Ersinne deshalb eineschlaue Frage, die sie nicht beantworten kann. Ich will das uerste tun, mich aufrecht zu halten.Die Nacht brachte der Knig in groer Gemtsunruhe zu, erhob sich mit der Sonne und endlosschien ihm der Tag. Als sie mit sinkender Sonne in die Audienzhalle traten, sa die Prinzessin auf ihrem Throne in blendend weiem, mit Amethysten bestem Gewnde. Sie blickte tief aufatmendden Knig an, der wie immer, vor dem Zauber ihrer Schnheit verstummte, Rasaksha trat vor undbegann:

    Herrin, es lebte einmal in einem gewissen Dorf ein gelbbraunhaariger Ringkmpfer, der hatte einverzogenes Lieblingstierchen im Hause. (Der Zweck dieser listig erdachten kleinen Geschichte, diein der bersetzung sehr verliert, ist: die Prinzessin zu fangen, damit sie ein Affe sagt. Sie ist aberzu schlau. Braungelbfarbig bedeutet buchstblich: affenfarbig.) Als er einst heimkam, war esfort.

    Er lief ins Dorf, es zu suchen, sah einen Mann an der Straenecke sitzen und fragte ihn: ,Hast dumeinen Liebling gesehen? ,Hatte er einen Strick um den Nacken? fragte der Mann. Ja! ,Dann ister hier ber den Weg gekommen. Der Athlet ging weiter und fragte wieder. ,Ich sah es auf zweiBeinen stehen und sich abmhen, an dieser Mauer hinauf zu klettern sagte ein anderer. ,Und ichsah es auf allen Vieren an der Mauer entlang kriechen, wieder ein anderer. Und wieder einanderer sagte: ,Ich sah es auf drei Beinen stehen und mit dem vierten sich den Kopf kratzen.Weiter hin traf er einen Wscher am Wasser, der sagte: ,Es kam hierher und schnitt seinem eignenGesicht im Wasser Gesichter zu. Und ein Fruchthndler sagte: ,Es sa hier unter dem Baum,zupfte einer blutenden Krhe die Federn aus und ich gab ihm eine Handvoll Affennsse. Und als ernochmals fragte, sagte man ihm: ,Ich sah es mit einem seiner Art; sie suchten sich die Flhe ausdem Haar. ,Welche Farbe hatte denn sein Haar? ,Dieselbe wie mein Haar, antwortete derAthlet. ,Dann ist es das, das da oben in dem Baum sich auf einem Zweige schaukelt.

    Nun sage mir, Prinzessin, welch eine Art Geschpf war der Liebling des Ringkmpfers? UndRasaksha schwieg. Die Prinzessin antwortete lchelnd: Es war kein Affe; es war ein Kind;vielleicht sein eigner Sohn.

    Und als die Prinzessin so gesprochen, erhob sie sich; das Fortgehen schien ihr schwer zu werden.Sie blickte vorwurfsvoll den Knig an. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurck in ihreGemcher.

    *) Das Suchen nach Flhen, selbst von Kindern, wird keinen, der in Indien war, berraschen.

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    11. Tag

    Der Knig sprach zu Rasaksha: Mein Freund, die Prinzessin ist noch unbesiegt und zehn Tagesind mir verloren. Dennoch wrde ich dir verzeihen, wre deine Geschichte nicht so kurz gewesen.Kaum begonnen war sie schon zu Ende; und wie einem Verdurstenden, dem der Trank zu knappgespendet, ist es mir, da der Anblick meiner Geliebten mir nur so kurze Zeit vergnnt war. Seiwenigstens darauf bedacht, dass deine Erzhlungen lnger sind. Nun liegt wieder eine Nacht derTrennung vor mir, und wie soll ich sie ertragen! Ist doch selbst ihr Bild nur eine schwache Hilfe,denn von Tag zu Tag wirkt der Kontrast mit dem Original strker. Mit der Sonne erhob der Knigsich, und schwer wurde es Rasaksha, ihm ber den Tag hinweg zu helfen. Mit Sonnenuntergangstanden sie in der Audienzhalle. Die Prinzessin sa auf dem Throne in smaragdfarbenem Gewande,die Krone auf dem Haupte und blickte den Knig zrtlich an, er war sprachlos, bezaubert vonihrem Liebreiz. Rasaksha begann eilig:

    Herrin, vor Zeiten regierte ein Knig in einem gewissen Lande. Sein Hausgeistlicher war von einerbsen Leidenschaft fr eines anderen Mannes Weib ergriffen. Die Frau war schlecht und erwiderteseine Leidenschaft. Aber dank der wachsamen Eifersucht des Gatten fanden sie keine Gelegenheitsich allein zu treffen. Da ersann der Geistliche eine List. Er heuchelte groe Freundschaft fr denMann und berhufte ihn mit Aufmerksamkeiten. Und da er ein Eingeweihter in Yoga war, gab erProben seiner bermenschlichen Knste zum besten. Eines Tages sagte er: ,Ich besitze die Machtin Anderer Krper einzudringen und kann dir dazu helfen das gleiche zu tun, wenn du Lust hast.Und der trichte Gatte, der die Absicht nicht durchschaute, nahm, von Neugier getrieben, denVorschlag an. So fhrte der Priester ihn in der Nacht auf den Kirchhof und durch magische Macht

    und Zauberei erreichte er, dass der Mann aus seinem Krper schlpfte.

    Kaum aber war das geschehen, so schlpfte der Priester selbst hinein und eilte so schnell erkonnte, nach dem Hause seiner Geliebten, in der Gestalt ihres Gatten. Als dieser sich seinesKrpers beraubt sah, rief er: ,Weh mir, ich bin verloren! Ihm blieb nur ein Ausweg, nmlich in denKrper des Priesters, der leer neben ihm lag, zu fahren. Und langsam, kummervoll, verlie er denKirchhof. Das Schicksal aber wollte es, dass seine Fe ihn, ohne dass er es beabsichtigte, ganz vonselbst, nach dem Hause des Priesters, dessen Gestalt er hatte, trugen. Inzwischen hatte sein Weib,vom Fieber der Begierde getrieben, die Abwesenheit ihres Mannes benutzt, um ihren Brahmanen-Liebhaber in seiner Wohnung aufzusuchen. Und so geschah es, dass der Priester sie nicht in ihrem

    Hause traf, und er wartete dort, von Ungeduld verzehrt, die ganze Nacht. Die Frau aber erreichteseine Wohnung einen Augenblick frher, als ihr Mann, in der Gestalt des Priesters, dort eintraf. Erwar erstaunt, seine Frau zu sehen. Sie aber, ihn fr ihren Liebhaber haltend, strzte auf ihn zu,schlang ihre Arme um seinen Nacken und rief: ,Endlich habe ich dich! Und der trichte Gatte, derseine vernderte Gestalt vergessen hatte, war entzckt von der Zrtlichkeit seiner Frau, die ihnlange Zeit so khl behandelt, und verbrachte die Nacht freudig in ihrer Gesellschaft.

    Am Morgen erhob die Frau sich in aller Frhe, whrend er noch schlief, und stahl sich zurck nachihrem Hause, das der Priester, vom vergeblichen Warten ermdet, kurz vorher verlassen hatte.Und als er in seiner Behausung ankam, sah er voll Erstaunen den Gatten seiner Geliebten, in seiner

    eigenen Gestalt, in seinem eigenen Bette liegen. Er rttelte ihn wach und schrie: ,Was hast du inmeinem Bett zu suchen? Der Mann schrie wieder: ,Was hast du mit meinem Krper fortzulaufen?,Hre! sagte der Kaplan, ich habe Hllenqualen in deinem abscheulichen Krper ausgestanden;

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    ich werde ihn verbrennen. Der Mann zitterte vor Furcht und entschuldigte sich demtig: ,Ich fandnur deinen Krper zum Unterschlupf und es war kalt; gib mir den meinen zurck und nimm dendeinen so schnell wie mglich wieder. So fhrte der Kaplan ihn wieder auf den Kirchhof, und mitHilfe seiner magischen Knste verlieen sie ihre Krper und jeder nahm von dem seinigen Besitz.

    Kaum aber befand der Mann sich in seinem Krper, als er wie aus einem Traum erwachend, sichalles Vorgefallenen erinnerte und rief: ,Schurke von Brahmane, du hast mein Weib umarmt! DerPriester aber schrie: ,Was habe ich mit deinem Weibe zu tun? Toll vor Wut zerrte der Mann denBrahmanen vor den Richter des Knigs, holte auch seine Frau herbei und trug dem Richter dieSache vor. ,Bestrafe diese Elenden, rief er, ,sie haben mich meiner Ehre beraubt. Der Priesterverteidigte sich: ,Ich habe deine Frau nicht berhrt. Und sie sprach: Worber klagst du denn? ichhabe ja nur dich umarmt. (Es ist nicht klar, wie sie dies wissen konnte, es sei denn, dass sie hrte,was ihr Mann dem Richter erzhlte.) Der Richter wurde verwirrt und wusste nicht, was er dazusagen sollte.

    Nun, Prinzessin, entscheide du fr den Richter. Und Rasaksha schwieg.

    Die Prinzessin sprach: Der Priester war ein Bsewicht und hatte Snde beabsichtigt; doch dergesetzlichen Strafe war er nicht verfallen, denn wenn er auch Schlechtes plante, so hatte er esdoch nicht ausfhren knnen. Und die Frau, obwohl sie Bses tat, tat sie es unter den Augen undmit Einwilligung ihres Gatten. Aber dieser Mann, der seiner Leidenschaft so wenig Herr war, dasser seiner Frau half seine eigene Ehre zu beflecken, verdient nur Spott und Verachtung als Schpferseines eigenen Unglcks. So mgen alle drei unbestraft entlassen werden.

    Die Prinzessin erhob sich und widerstrebend verlie sie die Halle, und das Herz des Knigs ging mitihr. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurck in ihre Gemcher.

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    12. Tag

    Der Knig sprach zu Rasaksha: Mein Freund, von deinen Geschichten hre ich wenig, denn dieSchnheit meiner Geliebten hlt all meine Sinne in Banden. Aber ihre Klugheit mussbermenschlich sein, da es selbst dir noch nicht gelungen ist, sie durch eine Frage in Verlegenheitzu bringen. Nun sind elf Tage dahin; nur zehn bleiben mir noch. Wenn ich die Prinzessin nichtgewinne, kann ich dir nie verzeihen. Denn von Tag zu Tag blickt sie mich freundlicher an und vonTag zu Tag wird mir die Trennung schwerer. Die Wirkung ihres Bildes wird immer schwcher. Ichbegreife nicht, wie ich das Leben noch ertrage! Der Knig wurde krank in der Nacht, erhob sichaber dennoch mit Sonnenaufgang und verbrachte den Tag, wie es eben mglich war. Mitsinkender Sonne traten sie in die Halle. Die Prinzessin, die Krone auf dem Haupt, sa inrosenfarbigem, mit Juwelen verziertem Gewnde auf dem Thron. Mit verlangenden Augen sah siedem Knig entgegen, der sprachlos niedersank. Rasaksha trat vor und begann:

    Herrin, es war einmal ein kniglicher Elefant, der Leiter einer Herde im Walde. Er strmte durchden Wald wie Indras Donnerkeil, und der Schwei strmte von seinen mchtigen Schlfen, wenner Bume und Bsche in seinem Ansturm ausriss. Und wenn er sich so ausgetobt hatte, trottete erlangsam ber die Waldwiesen, seine Herde hinter sich. Und er kam an einen Ameisenhgel, bohrteseine Stozhne hinein und warf die Erde auf. Dann ruhte er in einem Sumpf aus, sammelteWasser in seinem Rssel und besprengte seine Flanken. Seine Stozhne in einen Erdwall gesenkt,lehnte er an einem Herrn des Waldes (= ein mchtiger Baum) , sich langsam hin und her wiegend,die Ohren und den Rssel niederhngend. Und das Elfenbein seiner Zhne hob sich gegen seinendunkelblauen Krper ab, wie eine Doppelreihe weier Schwne gegen eine Gewitterwolke.

    Indes waren die Ameisen in groer Not wegen der Zerstrung ihres Hgels, die viele Tausendegettet hatte. Und sie sprachen untereinander: ,Was! sollen wir zugrunde gehen durch denbermtigen Sport dieses Taugenichts von Elefanten? Und sie beschlossen eine Deputation anden Elefanten zu schicken und Entschdigung zu fordern. Sieben der weisesten unter ihnenwurden ausgewhlt. Die Gesandten zogen ab und krochen in einer Reihe an dem Baum hinauf, andem der Knig der Elefanten lehnte, bis sie die Hhe seines Ohres erreichten. Dann berbrachtensie ihre Botschaft, indem siesprachen: ,O Knig der Elefanten, die Ameisen senden uns alsGesandte, um Entschdigung von dir zu fordern fr die Zerstrung einer so groen Zahl ihrerKaste. Entschdigst du sie nicht, so bleibt nur Krieg brig. Der Elefant zwinkerte nur mit den

    Augen nach den Ameisen hin und dachte: ,Das ist ein Hauptspa! was knnen diese erbrmlichenkleinen Ameisen uns Elefanten tun? Und er nahm Wasser in seinen Rssel, schoss es mit einemSto auf die Ameisen und vernichtete sie.

    Als die Ameisen aber den Tod ihrer Gesandten erfuhren, wurden sie rasend. Sie warteten dieNacht ab, bis die Elefanten schliefen, dann krochen sie in unzhligen Myriaden aus der Erde undzernagten die Haut der Zehen der Elefanten und ihre Fusohlen. (* Der Autor wusste wohl, dassdie Fe der Elefanten sehr empfindlich und leicht verwundbar sind.) Und am Morgen, als dieElefanten sich in Bewegung setzten, waren ihre Fe so wund, dass sie sie kaum brauchenkonnten. Sie trompeteten vor Schmerz und Wut und schleppten sich durch den Wald, um die

    Ameisenhgel zu zerstren. Aber die Ameisen verkrochen sich in die Erde, und je mehr dieElefanten umherliefen, je mehr schmerzten ihre Fe. Als all ihr Wten nichts half, lieen sie abund entschlossen sich, Frieden mit den Ameisen zu machen, um in Zukunft vor ihnen sicher zu

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    sein. Sie konnten aber keine Ameise finden, und so schickten sie eine Maus unter die Erde, um denAmeisen ihre Botschaft vorzutragen. Die Ameisen aber antworteten: ,Wir schlieen nur Friedenmit den Elefanten, wenn sie uns ihren Knig ausliefern, damit wir ihn strafen fr den Mord unsererGesandten. Die Maus kam zurck und brachte die Antwort. Und da die Elefanten sich nicht anders

    helfen konnten, unterwarfen sie sich.Und der Knig der Elefanten ging ganz allein in den Wald mit hngenden Ohren und berliefertesich den Ameisen. Da sprachen die Ameisen zu der Shami-Schlingpflanze (* berhmt wegen ihrerauerordentlichen Zhigkeit) : ,Binde diesen Missetter, oder wir zernagen deine Wurzeln undzerstren dich. Da schlang die Schlingpflanze ihre Arme um den Elefanten und schnrte ihn sofest, dass er sich nicht rhren konnte. Dann krabbelten die Ameisen in Myriaden ber ihn hin undbegruben ihn mit Erde, bis er wie ein Berg aussah. Und die Wrmer verzehrten sein Fleisch und esblieb nichts von ihm brig als die Knochen und die Zhne. So waren nun die Ameisen ungestrt imWalde, und die Elefanten whlten einen anderen Knig.

    Nun, Prinzessin, erklre mir die Moral dieser Geschichte. Und Rasaksha schwieg.

    Die Prinzessin sann eine Weile nach, dann sprach sie: Selbst in groer Vereinigung sind dieSchwachen nicht immer strker als der Starke. Denn ein Elefant bleibt eben ein Elefant und eineAmeise nur eine Ameise.

    Die Strke des Starken aber ist: seine schwache Seite zu kennen. Htten die Elefanten dies getanund ihre Fe geschtzt, so htten sie alles, was die Ameisen gegen sie unternehmen konnten,belacht; denn ein einziger Elefant knnte es mit allen Ameisen in der Welt aufnehmen.

    Als die Prinzessin so gesprochen, erhob sie sich und schritt langsam hinaus, den Knig trauriganblickend, und des Knigs Herz ging mit ihr. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurck in ihreGemcher.

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    13. Tag

    Mein Freund, wenn Liebe und Einbildung mich nicht blind macht, so zeigt die Prinzessin, dass siegeneigt ist, mich zu begnstigen. Aber ach! zwlf Tage sind dahin; nur neun bleiben noch. O, gibacht, dass ich meine Geliebte nicht verliere. Selbst das Bild gewhrt keinen Trost mehr, denn esgleicht ihr von Tag zu Tag weniger. Sie sieht mich zrtlich an; das Bild nur spttisch. Wie soll ich dieTrennung noch ertragen! Mit der Sonne war der Knig im Garten. Der Tag schien ihm endlos.Kaum sank die Sonne, so standen sie in der Audienzhalle. Die Prinzessin sa auf dem Thron, inorangefarbenem, mit Rubinen geziertem Gewnde, die Krone auf dem Haupt. Ein Schatten flogber ihr Antlitz, als sie den Knig erblickte. Alsbald trat Rasaksha vor und begann: Herrin, einstzog der Herr einer Karawane durch die groe Wste. Auf seinem Kamele reitend, sah er pltzlichvor sich in der Ferne die Mauern einer groen Stadt, an einem See von himmlischem Blau. Erwurde erregt, und heie Sehnsucht ergriff ihn nach dem Nektar des Sees und nach der Stadt.

    Darum trieb er sein Kamel nach der Richtung hin. Aber er konnte sie nicht erreichen und pltzlichverschwand alles, und er war allein in der Wste mit der Sonne und dem Sand; und kein Wasserund keine Stadt. ,Das ist ja wunderbar! sagte er, ,meinen ganzen Reichtum wrde ich hingeben,knnte ich die Stadt erreichen. Sein Gefolge rief ihm zu: ,Herr, es ist eine Sinnestuschung. Es istdie Fata Morgana. Es ist weder Stadt noch Wasser da. Aber er glaubte es nicht. Er blieb auf derStelle in der Wste und wartete bis zum nchsten Tag. Und um dieselbe Stunde sah er dasselbeBild. Er bestieg sein schnellstes Kamel und verfolgte die Erscheinung stundenlang ohne sie zuerreichen, und wieder verschwand sie pltzlich.

    Da verlie er seine Reisebegleitung, schlug sein Lager in der Wste auf und Tag fr Tag jagte er der

    Stadt mit ihrem See nach und nie erreichte er sie. Je lnger er es so trieb, je grer ward seineSehnsucht, bis er endlich alles andere in der Welt verga.

    Inzwischen ging sein Geschft zugrunde. Seine Verwandten suchten ihn in der Wste auf undmachten ihm Vorstellungen: ,Was tust du hier? Welcher Wahnsinn hat dich befallen? Weit dunicht, dass dies die Fata Morgana ist, dass du deine Zeit verlierst, um Phantomen nachzujagen,dass dein Vermgen zugrunde geht? Er versetzte: ,Was sind Worte im Vergleich mitaugenscheinlichen Beweisen? Sehe ich nicht die Stadt und den See wie ich euch selbst sehe? Wiekann es denn Tuschung sein? Da bermannte sie die Wut und sie schalten: ,Narr, es ist die FataMorgana. ,Wenn es also nichts ist, wie kann ich es sehen? sprach er. ,Erklrt es mir. Das konnten

    sie nicht. Sie verspotteten ihn, lachten ihn aus und lieen ihn in der Wste allein. Und dort blieber; gab sein Letztes aus fr Kamele und jagte jeden Tag der Stadt nach, bis sie verschwand. SeineKamele starben, und er selbst starb und die Sonne bleichte seine Gebeine.

    Als die Geschichte bekannt wurde, hie es: ,Was ist da zu verwundern? Die Sonne der Wste hatihn wahnsinnig gemacht. Seine Familie verwnschte ihn. Und ein Asket, der von der Sache hrte,lachte und sagte: ,Trashy trishy, washy wishy. Der Topf sagt zum irdenen Tpfchen: ,Aus dem Wegmit dir, elender Ton!

    Nun sage, Prinzessin, was meinte der Asket mit den Worten? Und Rasaksha schwieg.

    Die Prinzessin sprach: Der Karawanenfhrer ward von seinen Angehrigen fr wahnsinnig erklrt,weil er eine Luftspiegelung fr Wirklichkeit hielt sie aber waren nicht weniger wahnsinnig als er,

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  • 8/14/2019 Der Mondespfeil - Eine Hindu Liebesgeschichte

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    da sie diese Welt und ihre vergnglichen Schtze fr Wirklichkeit hielten; und sie wie er jagtenPhantomen nach. Denn was ist diese Welt anders als Wahn! So waren auch sie gleich Tontpfen,die Tontpfchen verspotten, weil sie von Ton gemacht sind.

    Und als sie so gesprochen, schritt die Prinzessin langsam aus der Halle und blickte den Knigtraurig an. Und des Knigs Herz ging mit ihr. Der Knig aber und Rasaksha kehrten zurck in ihreGemcher.

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    14. Tag

    Mein Freund, sprach der Knig zu Rasaksha, auch dieser Tag ist verloren; nur noch acht Tagebleiben mir. Und die herannahende Trennung erscheint mir immer schrecklicher. Die Wirkung desBildes nimmt ab wie der Mond, und meiner Seele droht vollstndige Dunkelheit. Und doch, was istdie Trennung einer Nacht im Verg