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Das ZDF heute journal mit Claus Kleber täglich | 21:45
Uhr
Die Flut braucht einen Anchor.
Beziehungen zwischen Politikern und Journalisten sind selten
harmonisch, das
gilt auch für die Beziehung zwischen Guido Westerwelle und dem .
Schon bald nach Westerwelles größtem Triumph, seiner Ernennung zum
deutschen Außenminister 2009, erschienen mehrere Artikel, die sich
mit seiner Eignung für
dieses Amt beschäftigten, mit Dienstreisen, bei denen er von
FDP-nahen Unter- nehmern begleitet wurde. Der schrieb damals, dass
Westerwelle das
Amt des Außenministers beschädige, dass er Politik und Privatleben
vermische. Es folgten Jahre, in denen es nur spärliche Kontakte
gab. So ist es nicht verwun-
derlich, dass Westerwelle Anfang Oktober genau nachdachte über eine
Anfrage von Klaus Brinkbäumer und Dirk Kurbjuweit, ob er für ein
Gespräch über sein Leben nach der Politik und mit dem Krebs bereit
sei. Westerwelle hatte Mitte ver-
gangenen Jahres erfahren, dass er an Leukämie erkrankt ist. Das
Gespräch führten Brinkbäumer und Kurbjuweit in Köln, Westerwelles
Wahlheimat. Westerwelle
hatte versprochen, offen zu sein – und er wünschte sich „keine
oberflächlichen Scharmützel mehr“. Das sagten die -Leute zu.
Seite
Markus Becker und Peter Müller kannten
EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker vor allem als gro- ßen Europäer, als sie im
Sommer ihren
Dienst im Brüsseler Büro des antraten. Doch schon bald bekam
das
Bild Risse, Grund war ein Sonderaus- schuss im Europaparlament, der
sich mit Steuersparmodellen beschäftigt, die Jun-
cker als Luxemburger Premier mit zu verantworten hatte. Als die
-
Redakteure mit dem langjährigen Kor- respondenten Christoph Pauly
interne Protokolle einsehen konnten, wurde ein
Verdacht zur Gewissheit: Die Beneluxstaaten hatten Teile ihres
Steuerrechts darauf ausgerichtet, den Nachbarn zu schaden.
„Das Europaparlament muss auf- klären, wer dafür die Verantwortung
trägt“, sagt Müller, „Juncker lobt das Par-
lament in Sonntagsreden, er soll jetzt für Transparenz sorgen.“
Seite
Als politischer Reporter hat Markus Feldenkirchen viele Wahlkämpfe
verfolgt, in Deutschland wie in den USA, aber keiner ähnelte dem
von Donald
Trump. In Iowa tauchte der Milliardär im eigenen Hubschrauber auf,
in Alabama sah Feldenkirchen, wie Trump mit seiner privaten Boeing
über dem Stadion kreiste, in dem ihm wenig später 30000 Fans
zujubelten. Und nach einer TV-De-
batte in Kalifornien, als all seine Konkurrenten bereits Interviews
gaben, stürmten die Kameraleute plötzlich auf jenen Eingang zu,
durch den er sich näherte.
„Trump unterläuft sämtliche Erwartungen an politische Kampagnen,
sowohl was deren Form als auch was deren Inhalte angeht“, sagt
Feldenkirchen. „Genau
das macht ihn so populär.“ Seite
Um Flüchtlinge geht es in der neuen Ausgabe des
Kinder-Nachrichten-Magazins . Kind- gerecht wird erklärt, vor
welchen Problemen Deutschland
heute steht. Außerdem kommen Flüchtlingskinder selbst zu Wort: Sie
berichten über ihre ersten Eindrücke von
Deutschland. Ein weiteres Thema, wohl auch für Erwach- sene
interessant: Wie kann man beim Spiel „Schere, Stein, Papier“ seine
Chancen erhöhen? erscheint
am Dienstag.
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6 Titelbild: Foto Dmitrij Leltschuk für den
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In der Scheinwelt Sommermärchen-Affäre Drei Wochen nach den ersten
- -Enthüllungen über eine schwarze Kasse beim DFB er- mitteln nun
Staatsanwälte und Steuerfahnder. Ans Licht kommt eine verfilzte
Fußballbranche, die sicher war, auch diesen Skandal nach ihren
Regeln zu lösen. Ein Irrtum. Seite
Die große Kumpanei AutoindustrieDie Politik machte es den Pkw-
Herstellern leicht, bei Abgaswerten zu mogeln. Jetzt wundert sie
sich, dass VW auch unerlaubte Methoden anwendete. Der Konzern
betrog seine Kunden ausgerechnet bei angeblich umweltfreund- lichen
Modellen. Seite
Mutterseelenallein Identität Sie hungerten, sie suchten einen
Schlafplatz, sie streunten durch fremdes Land und wuchsen ohne
Eltern und Geschwister auf: die sogenannten Wolfskinder, kleine
Deutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Flucht verloren
gingen. Erika und Klaus waren solche Kinder. Seite
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Titel Biografien -Gespräch mit dem ehe- maligen Außenminister Guido
Westerwelle über den Kampf gegen seine Krankheit und deren Folgen,
über seine Jugend, seine Homo- sexualität und seine politische
Bilanz
Deutschland Leitartikel Warum der VW-Konzern zerschlagen werden
muss
BND spähte weltweit befreundete Staaten aus / Staatsbürgerkunde für
Flüchtlinge in Bayern / Militärgeheimdienst erforscht
NS-Vergangenheit / Kolumne: Im Zweifel links
Europa Wie Jean-Claude Juncker die Steuer- flucht von Großkonzernen
beförderte
Außenpolitik Berlin will die Ursachen der Migration bekämpfen –
aber wie?
Asyl Wie die Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland funktioniert
– und woran sie scheitert
AfD Neuer Machtkampf bei den Rechtspopulisten
Karrieren Der Absturz des Bestsellerautors Akif Pirinçci
SPD Arbeitsministerin Nahles profiliert sich als Alternative zu
SPD-Chef Gabriel
Seniorenheime Die hochfliegenden Pläne des früheren FDP-Politikers
Chatzimarkakis Bildung Ein neuer Kriminalistik-Abschluss
sorgt für Irritationen
Faktencheck Vor wem flüchten die Syrer?
Katholiken Ein Bischof als Missbrauchstäter Strafjustiz
Warum eine Mutter ihre Kinder tötet und der Ehemann
Verständnis zeigt
Familien Wie Angehörige versuchen, ihre betagten Eltern vom
Autofahren abzubringen
Gesellschaft Sechserpack: Über eine Kunst, die keine sein darf /
Das Profil des typischen deutschen Facebook-Users
Eine Meldung und ihre Geschichte Eine Engländerin benutzte eine
scharfe Granate 30 Jahre lang als Blumenvase
Justiz Was tun mit den Flüchtlingsschleusern, die Bayerns
Gefängnisse verstopfen?
Homestory Der kurze Weg vom Kopfschmerz zum Hirntumor
Wirtschaft Neuer Ärger für RWE? / Bundestag
prüft Aktiendeals / S. Oliver will Zalando angreifen
Autoindustrie Der Fall Volkswagen zeigt, wie die Politik den
Konzern jahrelang protegiert hat
Konjunktur Russlands Industrieminister Denis Manturow über die
Folgen der Wirtschaftssanktionen
Devotionalien In Mühlenbeck bei Berlin kommt der Nachlass von
Pierre Brice unter den Hammer
Immobilien Die steigende Zahl von Einwanderern befeuert den Boom am
Häusermarkt
Die Ausgaben für die Flüchtlinge gefährden die Einhaltung der
Schuldenbremse
Internethandel Wie die Inder zu einem Volk passionierter
Onlinekäufer werden
Ausland Die Ursachen der neuen Protestbewegungen in Südosteuropa /
Erstaunliche Einlassungen von Papst Franziskus zur
Geldverschwendung im Vatikan
USA Die Windmaschine – der unheimliche Erfolg des Donald Trump
erzählt viel über den Zustand eines verunsicherten Landes
Ägypten Ist der „Islamische Staat“ für den Flugzeugabsturz über dem
Sinai verantwortlich?
Russland -Gespräch mit Exschach- weltmeister Garri Kasparow über
die Machtpolitik Putins und die moralische Kapitulation des
Westens
Syrien Der Schweizer Journalist Kurt Pelda über seinen letzten
Aufenthalt in Aleppo
Kommentar Präsident Erdoan hat nach seinem Wahlsieg gegenüber der
EU freie Hand
Türkei Flüchtlinge werfen der Küstenwache vor, Boote bewusst
kentern zu lassen
Global Village Eine Londoner Soziologin und ihr Kampf gegen die
Hipster der Stadt
Sport Das Frauentennis bereitet sich auf das Ende der
Serena-Williams-Ära vor / Verschwundene Dokumente beim HSV: Wurde
auch Sportdirektor Bernhard Peters beklaut?
Sommermärchen-Affäre Geschont, geschönt, gescheitert – der DFB und
das Schwarzgeld
Wissenschaft Löwen zukünftig nur noch im Zoo? / Groteske Preise für
Fachjournal-Abos
Identität Historiker erforschen das Trauma der „Wolfskinder“, die
nach dem Zweiten Weltkrieg in Litauen aufwuchsen
Landwirtschaft Neuartige Wein- erntemaschinen sollen die Perfektion
der Handlese erreichen
Meteorologie Dürren, Waldbrände, Zyklone – steht ein Super-El-Niño
bevor? Nutztiere Biologen entwickeln Methoden, um zu messen,
wie glücklich Kühe und Schweine im Stall wirklich sind
Kultur Der Esstisch als Stammtisch / Woody Allens „Irrational Man“
/ Kolumne: Zur Zeit
Theater Joachim Meyerhoffs neuer Roman „Ach, diese Lücke, diese
entsetzliche Lücke“
Kino Ein Film zeichnet Apple-Gründer Steve Jobs als Mann, der weiß,
was die Massen wollen – und mit Menschen nichts anfangen kann
Zeitgeschichte Beate und Serge Klarsfeld im -Gespräch über eine
Ohrfeige, die Geschichte machte
Social-Media-Kritik Ein Instagram-Star zeigt, was im Netz falsch
läuft
Bestseller
Hohlspiegel /Rückspiegel
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Joachim Meyerhoff
Im Theater ist der Schauspie- ler ein gefeierter, ebenso sanfter
wie explosiver Held, als Schriftsteller gelingen ihm tragikomische
Bestseller. In seinem jüngsten Buch erzählt er herzergreifend von
seinen Künstlerlehrjahren. Seite
Donald Trump
Seit Monaten liegt der Immo- bilienunternehmer mit der irren Frisur
in den meisten Umfragen auf Platz eins unter den Bewerbern der
Republi- kaner um die Präsidentschafts- kandidatur. Was aber sagt
das über die USA? Seite
Garri Kasparow
Er hält Präsident Putin für eine große Gefahr und den Westen für zu
zahm und naiv im Umgang mit Russland. Im -Gespräch blickt der
Exschachweltmeister und Oppositionspolitiker mit Sorge
auf sein Land. Seite Wegweiser für Informanten:
www.spiegel.de/investigativ
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Diktatur und Größenwahn treten meist als Paar auf. Und sie führen
mit großer Sicherheit in die Katastro- phe. Das ist auch bei
Volkswagen so.
Der Autohersteller aus Wolfsburg wollte die Nummer eins seiner
Branche werden. Der Größte. Der Beste. Der Erfolg- reichste. VW als
Markenzeichen für made in Germany. Als Symbol für die Überlegenheit
deutscher Technik. Die Ameri- kaner haben Google und Apple.
Deutschland hat Volkswagen. Unter dem Dach des Konzerns sind der
Motorradhersteller Ducati, die Pkw-Firmen Audi, Škoda, Seat,
Volkswagen, Lam- borghini, Bentley, Bugatti und Porsche sowie die
Last- wagenproduzenten Volkswagen Nutzfahrzeuge, MAN und
Scania vereint. Puh. Schon die Aufzählung zeigt, dass die
Gren- ze zwischen Größe und Größenwahn überschritten wurde.
„Im VW-Konzern wächst das Gras nur dort, wo der VW-Chef hin-
schaut“, hat dessen langjähriger Boss Martin Winterkorn gesagt.
Aber ein Chef kann nicht überall hinschauen, nicht auf 119 Fabriken
in 31 Ländern und nicht auf 12 Mar- ken, die eher zufällig unter
dem Dach des Konzerns zusammenge- kommen sind.
Die meisten wurden von Winter- korns Vorgänger Ferdinand Piëch
eingesammelt. Wenn eine renom- mierte Autofirma zum Kauf stand,
griff er zu. Deshalb gibt es keine innere Logik, die dieses
Unterneh- men zusammenhält. Ein Motorrad hat nichts mit einem Pkw
gemein und ein Pkw kaum etwas mit einem Lastwagen. Die meisten
Marken arbeiten lieber gegen- als mitein- ander. Piëch und
Winterkorn ver- suchten, den Zusammenhalt zu si- chern: mit der
Macht des Diktators, der keinen Widerspruch duldet, und mit der
Vision, der Größte zu werden.
In den USA sollten Diesel-Modelle das Wachstum bringen. Die Motoren
erreichten die strengen Abgaswerte nicht, aber die Techniker
trauten sich nicht, ihren Chefs das einzu- gestehen. Sie bauten
eine Betrugssoftware ein, mit deren Hilfe Abgase nur ausreichend
gereinigt werden, wenn das Auto auf dem Prüfstand steht. In Europa
sollten Modelle mit geringem CO2-Ausstoß („BlueMotion“) den Absatz
in die Höhe treiben. Sie schafften den angestrebten Verbrauch
nicht. Und auch hier lag es für die Entwickler näher, die ei- genen
Kunden mit falschen Angaben zu betrügen, als dem Konzernchef zu
sagen, dass das vorgegebene Ziel nicht zu erreichen war.
Ein solches Verhalten ist mit der Angst vor dem Diktator allein
nicht zu erklären. Hinzu kommt beim Volkswagen-Kon-
zern offenbar eine Kultur des Betrugs, so wie es bei Siemens eine
Kultur der Korruption gab.
Neben den bekannten Skandalen um den Einkaufsvorstand José Ignacio
López, der geheime Unterlagen seines früheren Arbeitgebers mit nach
Wolfsburg brachte, und die Betriebs- räte, denen der Konzern
Bordellbesuche bezahlte, gibt es eine Reihe weiterer Fälle, die
ohne Konsequenzen blieben. Um nur einen zu nennen: Der
Einkaufsvorstand Francisco Javier Garcia Sanz war mit einem
Unternehmer, der von VW Aufträge erhielt, an mehreren
Immobilienfirmen beteiligt. Ein No-Go in jedem Konzern, der Wert
auf korrekte Unter- nehmensführung legt. Sanz ist bis heute
Vorstand.
Ein Verstoß gegen Regeln ist ein Verstoß. Wenn er nicht geahndet
wird, lautet das Signal: weiter so, nur nicht erwi-
schen lassen. Diese Botschaft er- hielt VW auch von der Politik.
Die Bundesregierung duldet bei Abgas- tests seit Jahren
Tricksereien. Und auch die Kunden pflegen eine Kul- tur des
Selbstbetrugs. Sie fordern Umweltschutz und kaufen spritfres- sende
Geländewagen, als wären die Deutschen ein Volk von Förstern.
Möglich wurde der große Abgas- betrug bei VW nur, weil dieser
Konzern nicht zu führen und nicht zu kontrollieren ist.
Deshalb gibt es nur einen Weg: VW sollte zer- schlagen werden. Man
kann dies „schöpferische Zerstörung“ nennen, frei nach dem Ökonomen
Joseph Schumpeter. Das klingt weniger hart.
Zu einem Neuanfang gehört eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Be-
trügereien, und dazu zählt neues Personal. Der alte Finanzvorstand
kann nicht der neue Aufsichtsrats- chef sein. Im Kontrollgremium
müs- sen Politiker und Mitglieder der Fa- milien Porsche und Piëch
durch
Menschen mit Erfahrung in Konzernen ersetzt werden. Ob der
langjährige Winterkorn-Vertraute Matthias Müller zum
Unternehmenschef taugt, muss sich zeigen. Auf jeden Fall sollte VW
in mindestens zwei Unternehmen aufgespalten werden, die Pkw- und
die Lkw-Firma. Dies ist keine Gefahr. Es ist eine Chance, auch für
die knapp 600000 Beschäftigten.
Es gibt ein Vorbild für VW. Konkurrent Daimler wollte auch einmal
der Größte werden. Die Stuttgarter errichteten zusammen mit
Chrysler eine Welt-AG, die dann aber eben- falls nicht zu steuern
war. Chrysler wurde verkauft. Das war eine Zerschlagung. Und es war
ein Glücksfall für Mercedes- Benz und für Chrysler. Beide
Hersteller konnten sich so auf das eigene Geschäft konzentrieren.
Sie sind erfolgreich wie seit Langem nicht mehr. Dietmar
Hawranek
8 DER SPIEGEL /
Zerschlagt diesen Konzern! Volkswagen ist zu groß. Das Unternehmen
ist nicht zu führen und nicht zu kontrollieren.
VW-Werbung von 1969
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12 DER SPIEGEL /
Titel
Er geht langsam, seine Stimme ist lei- se. Es ist ein anderer Guido
Wester- welle als der Politiker, an den man
sich erinnert. Der schritt forsch aus und redete kraftvoll. Das ist
zwei Jahre her. Damals flog die FDP aus dem Bundestag, und
Westerwelle verlor das Amt des Au- ßenministers. Er gründete eine
Stiftung und freute sich auf ein neues Leben. Dann erfuhr er, dass
er an akuter myeloischer Leukämie erkrankt ist. Nach anderthalb
Jahren Kampf gegen die Krankheit und deren Folgen veröffentlicht
Westerwelle in der kommenden Woche ein Buch mit dem Titel „Zwischen
zwei Leben“, das er zusammen mit dem Journalisten Dominik Wichmann
verfasst hat. Jetzt steht Wes- terwelle, 53, im Kölner Stadtwald
und lässt sich fotografieren. Es ist ein sonniger Herbsttag,
Westerwelle geht oft in diesem Park spazieren. Er wohnt in der
Nähe. Als er sich nach dem Fototermin in einem Ho- tel am Park den
Fragen stellt, stehen die Fenster offen. Ein Springbrunnen rauscht,
Enten schnattern. Westerwelle hält vier Stunden Gespräch ohne
Probleme durch. Manchmal nimmt er die Brille ab und reibt sich die
Augen. Er sagt, man solle bloß nicht denken, dass er weine. Die
Folgen seiner Krankheit machen auch den Augen zu schaffen. Einmal
geht er ins Bad, um zu gurgeln. Er hat auch Probleme mit der
Mundhöhle. Westerwelle bleibt stets ge- fasst, nur bei der letzten
Frage, als es um seinen Ehemann Michael Mronz geht, bricht ihm die
Stimme, und er braucht eine Weile, um den Satz beenden zu
können.
SPIEGEL: Herr Westerwelle, am Neujahrstag 2014 sind Sie auf
Mallorca am Ufer ent- langgejoggt, und plötzlich spürten Sie ei-
nen stechenden Schmerz im Knie. Es war, das weiß man jetzt, ein
Schmerz, der Ihr Leben gerettet hat. Wie haben Sie diesen kleinen
Sportunfall erlebt? Westerwelle: Ich bin seit vielen Jahren re-
gelmäßiger Läufer und laufe immer auf derselben Strecke, in einem
kleinen ro- mantischen Hafen in der Nähe von Palma. Am 1. Januar
2014 riss mir dabei der Me- niskus. Normaler Altersverschleiß, ganz
undramatisch. SPIEGEL: Zuerst wollten Sie sich nicht ope- rieren
lassen. Typisch Mann. Westerwelle: Ich habe das am Anfang nicht so
für voll genommen. Das ist schmerz-
13DER SPIEGEL /
„Und dann stirbste“ SPIEGEL-Gespräch Der ehemalige Außenminister
Guido Westerwelle über seinen Kampf gegen eine akute Leukämie und
deren Folgen, über seine Jugend, seine Homosexualität und seine
politische Bilanz
haft, aber man kann es aushalten. Da ha- ben wir alle schon
Schlimmeres gehabt. SPIEGEL: Sie haben sogar versucht, weiter- hin
zu laufen. Westerwelle: Heute frage ich mich auch, wie verrückt ich
war. Ich hatte für einige Monate ausgesetzt mit dem Laufen und
dachte, jetzt ist es aber gut, jetzt wollen wir es wieder wissen.
Das war frühmor- gens im Central Park in New York, der schönste Ort
der Welt zum Laufen. Und man freut sich wie ein Schneekönig, dass
man da im Frühjahr laufen kann, umgeben von Blüten. SPIEGEL: Und
dann sticht es ein bisschen, und man denkt … Westerwelle: … und man
denkt, das wirst du ja noch durchhalten. Dann sticht es stärker,
und man will gegen den Schmerz anlaufen, ihn besiegen,
niederringen. Aber dann geht es nicht mehr. Ich habe einen Termin
im Krankenhaus verabredet und alles vorbereitet, ohne mir Sorgen zu
machen. Meniskus, das ist eine Routine- sache. SPIEGEL: Das war es
dann doch nicht. Am Tag vor der Operation wurde ein Blutbild
gemacht, wie immer. Westerwelle: Aber bei mir kam danach der Arzt
und sagte: „Wir brauchen ein zweites Blutbild. Da ist irgendetwas
möglicherwei- se durcheinander.“ So weit, so gut. Und dann kam er
mit anderen Ärzten wieder, und ich lag da im Bett, und sie
unterhielten sich, und ich hörte Wortfetzen, zum Bei- spiel „Leuk“,
und wusste erst einmal nicht, worum es ging. Ich war immer noch
voller Zuversicht. Als die Ärzte draußen waren, nahm ich mein iPad
und tippte nur Leuk hinein. Dann bildete sich automatisch die- ses
Wort, und damit war der Hammer im Raum. SPIEGEL: Das Wort, das
Google bildete, hieß Leukämie. Was war Ihr erster Gedanke?
Westerwelle: Leukämie? Ich? Niemals, nicht ich. SPIEGEL: Kaum einer
rechnet damit, dass der eigene Körper einem so etwas antun könnte.
Sie offenbar auch nicht? Westerwelle: Man hat das nicht auf dem
Schirm. Ich bin immer zu Vorsorgeunter- suchungen gegangen, aber
eine akute Leu- kämie kommt ja von jetzt auf gleich. Und bringt
dich auch von jetzt auf gleich um. SPIEGEL: Wann haben Sie eine
erste Dia- gnose bekommen?
Titel
ich hatte, war, dass die Ärzte keine Kulis- sen geschoben haben.
Sie waren offen zu mir. SPIEGEL: Haben Sie sich sofort mit dem
Thema Tod befasst? Westerwelle: Ja. Der Gedanke ist sofort da. Sie
sitzen da, vergießen Tränen, Sie sind sehr traurig, und die
Wahrscheinlichkeit ist ja nicht so groß, dass man diese Art von
Leukämie überlebt. Ein wichtiger Ge- danke war aber auch, dass ich
in die Jahre meines Lebens viel hineingepackt habe. Ich habe viel
erlebt, vieles gesehen und habe nichts versäumt. SPIEGEL: Sie
hatten ein perfektes Leben? Westerwelle: Das gibt es nicht, ich
habe Menschen gekränkt und Fehler gemacht, aber ich wusste, dass
ich ein erfülltes Leben gehabt hatte. Meine Antwort auf die
Frage „Was bereuen Sie?“ wäre der Klassiker gewesen: Ich habe zu
viel gear- beitet. SPIEGEL: Der Tod ist für uns wie eine Mau- er.
Wir wissen nicht, wie es auf der an- deren Seite aussieht. Haben
Sie sich in dieser Situation Vorstellungen davon ge- macht,
wie es hinter dieser Mauer aus- sehen könnte? Westerwelle: Ich bin
in der Kirche, und das nicht aus Zufall. Da hat man natürlich eine
Vorstellung vom Jenseits. Aber ich habe mir weniger über den Tod
Gedanken ge- macht, sondern mehr über das Leben da- vor und
darüber, wie man den Tod abwen- den kann. SPIEGEL: Wenn man einen
Unfall hat, zum Beispiel von einem Auto angefahren wird, dann kommt
die Zerstörung des Körpers von außen. Bei Krebs ist es der eigene
Kör- per, der einen vernichtet. Ein Teil des Ichs greift das Ich
an. Wie sind Sie damit um- gegangen? Westerwelle: Gar nicht. Sie
gehen damit nicht um. Sie nehmen es als Schicksal, nehmen es so,
wie es ist. Das Verrückte ist ja bei dieser Krankheit, dass man sie
nicht lokalisieren kann. Wenn Sie einen Tumor haben, wissen Sie, wo
der sitzt. Bei mir saß der Krebs überall. Im kleinen Zeh, in der
Niere, in der Lunge, überall, wo Blut ist. SPIEGEL: Und Blut wird
Lebenssaft ge- nannt. Westerwelle: So ist es. Aber damit beschäf-
tigen Sie sich ab einem bestimmten Punkt gar nicht mehr. SPIEGEL:
Weil man es nicht ertragen kann? Westerwelle: Nein, Sie haben
andere Sa- chen im Kopf. Sie sind nicht mehr damit beschäftigt,
jede Verwinkelung der Krank- heit zu verstehen. Sie fragen sich,
was Sie tun müssen, um Ihre Chancen zu verbes- sern. Ich wollte und
will unbedingt weiter- leben. SPIEGEL: Wir kommen später auf Ihre
Krankheit zurück. Lassen Sie uns an die- sem Punkt auf Ihr Leben
schauen. Sie
schreiben in Ihrem Buch, in Ihrer Jugend habe Ihr Gesicht zuerst
ausgesehen wie ein Streuselkuchen, dann wie eine Mond- landschaft.
Und Sie waren, in Ihren Wor- ten, dick und schwul. Klingt nach
einer schwierigen Jugend. Westerwelle: Einerseits hatte ich es
leicht. Weil ich von meinen Eltern gute Anlagen mitbekommen habe,
was Auffassungsgabe oder Aufgewecktheit angeht und Ähnli- ches.
Andererseits hatte ich es schwer. Meine Eltern, beide Juristen,
hatten nicht viel Zeit für ihre Kinder, sie arbeiteten viel und
stellten sich nicht die Frage, wer bleibt eigentlich zu Hause.
Keiner blieb zu Hause. Es kam die Patentante oder die Oma. SPIEGEL:
Reden Sie von Einsamkeit? Westerwelle: Nein, das will ich nicht
sagen. Aber es gab eine gewisse Härte. Bei uns zu Hause wurden
keine großen Gefühle gezeigt, weder vom Vater noch von der Mutter.
Es ging um Leistung. Wenn du et- was erreichen möchtest, musst du
dafür hart arbeiten. Und das wurde auch so ge- macht. SPIEGEL:
Heute ist Schwulsein in Deutsch- land weitgehend akzeptiert. Wie
war das
in Ihrer Jugendzeit, im Bonn der Siebzi- gerjahre? Westerwelle: Das
ist eine schwere Zeit ge- wesen für junge Männer, die plötzlich
merkten, dass sie nicht mit Mädchen, son- dern mit Jungs zusammen
sein möchten. Das sind Zerwürfnisse, die einen für das ganze Leben
prägen. Man wird vorlaut,
jedenfalls vorlauter, als man sein sollte. Reiner
Selbstschutz, reine Überkompen- sation. Nach dem Motto: Angriff ist
die beste Verteidigung. SPIEGEL: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie
lieber mit einem Jungen zusammen sein wollten als mit einem
Mädchen? Westerwelle: Zu Beginn der Pubertät, nein, noch vor der
Pubertät. Ganz früh. Und es war mir ganz klar, ohne Zweifel. Ich
wurde dann ja mit 17 zur Musterung geladen. Ich habe diesem
Musterungskomitee gesagt: „Ich wollte Ihnen nur sagen, meine Her-
ren, dass ich nicht gerne zur Bundeswehr möchte, weil ich
homosexuell bin.“ Die Gesichter werde ich nie vergessen. Ich wurde
ausgemustert. Das war der Vorteil der frechen Schnauze. SPIEGEL:
Und ein Vorteil der Homosexua- lität. Was waren die
Schwierigkeiten? Westerwelle: Das waren ja keine aufgeklär- ten
Zeiten. Damals war es das Ende Ihrer Karriere, wenn Sie sich als
schwul outeten. Damals haben Lehrer auf Ihre Kosten Wit- ze
gemacht. Damals gab es in der Altstadt in Bonn ein kleines Lokal,
das war das einzige, wie man das nannte, einschlägige Lokal. Da
wurde an der Tür von hinten ein Kläppchen weggeschoben, und dann
guckte der Inhaber durch und sagte in rhei- nischer Mundart:
„Jung’, du weißt aber
14 DER SPIEGEL /
Spaßpolitiker Westerwelle 2002, als Parteichef mit Partner Mronz
vor dem Schloss Bellevue
schon, dass hier nur Männer hinkommen?“ Ich dachte, Mensch, warum
stellt der mir diese Frage, wie peinlich. Und dann ging man rein,
das war so klandestin wie in der Zeit der Prohibition. SPIEGEL:
Ihre Mutter hat versucht, Ihnen Ihre Veranlagung auszutreiben.
Westerwelle: Nicht auszutreiben. Meine Mutter meinte, es wächst
sich aus, und dann wurde ich zu einem Psychologen ge- schickt, der
war, in meinen Augen damals, mindestens 104, und dann saß ich da,
und der hat mir erklärt, dass sich das wirklich auswachsen kann.
Ach so, dachte ich. Bei dem war ich genau eine Dreiviertelstunde
lang, und dann habe ich meiner Mutter gesagt, du, das ist schade
ums Geld. Da- nach haben wir nie wieder über irgend- welche
Probleme geredet, es war dann auch für die Eltern völlig normal.
SPIEGEL: Sie gingen früh in die Politik. Wa- rum zu den Liberalen?
Westerwelle: Das Liberale habe ich immer mit dem Leistungsprinzip
verbunden, also etwas für mich Positivem. Dazu kommt die innere
Liberalität, leben und leben las- sen, das ist in mir drin. Dazu
kommt eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem, das, was man
Weltoffenheit nennt. Das brachte mich zur einzigen liberalen Partei
in Deutschland. SPIEGEL: Sie sagten vor einigen Jahren, dass Ihre
Generation sich als erste gegen die 68er aufgelehnt habe, die
Generation Ihrer Lehrer. Warum mochten Sie die nicht? Westerwelle:
Ich habe Lehrer nie besonders gut gefunden, die einem schon in der
zwei- ten Unterrichtsstunde das Du anboten. Komm mal her, Guido,
und so. Ich dachte,
das ist doch mein Lehrer, der kann doch nicht einfach „komm mal
her“ sagen, so geht das doch nicht. Das fand ich entsetz- lich.
Aber ich gebe zu: Früher habe ich auf diese Generation zu
schnippisch und unsensibel reagiert. SPIEGEL: Und heute?
Westerwelle: Ein bisschen hat sich das ausgewachsen. Je älter man
wird, desto besser erkennt man die geschichtlichen und persönlichen
Leistungen dieser Gene- ration an. SPIEGEL: Was wollten Sie
erreichen, als Sie ein junger Mann waren? Hatten Sie Ziele?
Westerwelle: Mein Berufsziel war selbst- ständiger Anwalt. Ich
hatte immer den Petrocelli im Kopf, den Anwalt aus der
Fernsehserie. Das war ich. Mit wehender Robe. Die unschuldigen
Angeklagten in letzter Minute retten. SPIEGEL: Wie konnte es Sie in
die Berufs- politik verschlagen, wenn Sie unbedingt ein Petrocelli
werden wollten? Westerwelle: Als Vorsitzender der Jungen Liberalen
saß ich im Bundesvorstand der FDP. Habe Leute kennengelernt, die
mich total begeistert haben, Genscher, Lambs- dorff. Und dann, nach
der Wahl ’94, kam Herr Kinkel und fragte mich, ob ich sein
Generalsekretär werden wolle. Das war der erste echte Schritt.
SPIEGEL: Und Sie hatten es nicht darauf an- gelegt?
Westerwelle: Überhaupt nicht. Also, natür- lich kokettiert man
damit. Es gibt ja auch dem eigenen Affen Zucker, wenn solche
Angebote plötzlich kommen. Klar. Und dann war es wie immer im
Leben. Wenn man etwas anfängt und feststellt, das macht einem
richtig Freude, und der Erfolg belohnt einen für den Fleiß, dann
will man weiter, und dann will man mehr. Und so kam es bei mir. Und
dann kam ja Herr Möllemann und streckte die Hand nach dem
Parteivorsitz aus, und dann habe ich gesagt, nee, das mache ich
selber. Und so wurde ich mit 39 Jahren Vorsitzender. SPIEGEL: Und
machten erst einmal eine Menge falsch. Westerwelle: Das würde ich
nicht sagen. Die FDP holte nie bessere Wahlergebnisse als mit mir.
Man kann ja eine Menge über mich sagen, aber meine Wahlbilanz ist
blitzsauber. SPIEGEL: Das meinten wir nicht. Wir mein- ten die
Spaßpolitik. Westerwelle: Mensch, das war eine andere Zeit, das ist
20 Jahre her. Damals stritten sich Thomas Gottschalk und „Big
Brother“ darüber, wer der Quotenführer am Abend war. Das war Kult.
Und ich war der erste Politiker, der bei Harald Schmidt war. Der
erste, der bei Stefan Raab war. Heute wol- len alle rein und freuen
sich, wenn sie ein- geladen werden. Damals habe ich gesagt, wenn
ich die jungen Wähler kriegen will, muss ich dahin. Ich habe mich
Sachen ge- traut, die sich andere nicht getraut haben, ich habe
großen Erfolg gehabt. Punkt. Aus. Feierabend. SPIEGEL: Das
Guidomobil wirkte ein wenig lächerlich. Westerwelle: Damals fuhr
ich im Tunnel. Natürlich denke ich mit bald 54 Jahren komplett
anders über meinen Bus als da- mals. Ist doch logisch. SPIEGEL:
Heute würden Sie es nicht mehr tun? Westerwelle: Ich kann Ihnen
versichern, dass ich gereift bin. Ich käme nicht mehr auf diese
Idee. Ich würde mir auch keine 18 unter die Schuhe malen, für unser
Pro-
jekt 18. Natürlich nicht. Und das war, ne- benbei, damals
schon daneben. Aber das ist immer so. Mal liegst du richtig, mal
liegst du falsch. Dann verlässt dich dein Instinkt. Das gibt es bei
mir, und das gibt es bei anderen. SPIEGEL: Jürgen Möllemann, einst
Bundes- wirtschaftsminister und Landesvorsitzen- der der FDP in
Nordrhein-Westfalen, sprang 2003 mit dem Fallschirm in den Tod. In
Ihrem Buch heißt es, Sie hätten sich viele Gedanken gemacht,
nachdem das passiert war. Sie schreiben nicht, wel- che Gedanken.
Sagen Sie es uns? Westerwelle: Ich habe überlegt, mit der Politik
aufzuhören. Das hatte ja die Aus- maße einer griechischen Tragödie.
Ich war Parteivorsitzender und musste Mölle-
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2009: „Bei mir saß der Krebs überall, im kleinen Zeh, in der Niere,
in der Lunge, überall, wo Blut ist“
Animation:
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Titel
manns Tod vor der Presse kommentieren. Ihre Kollegen wollten
natürlich nachfra- gen, aber ich bin direkt gegangen. Hätte ich
irgendeinen weiteren Satz sagen müs- sen, ich wäre innerlich
implodiert. SPIEGEL: Warum dachten Sie daran aufzu- hören? Weil Sie
spürten, dass Politik etwas Destruktives hat? Westerwelle: Nein,
weil mir etwas wider- fahren ist, das alle Klischees vom schmut-
zigen Geschäft Politik füttert. Und ich mich gefragt habe, ist das
nicht zu viel, und willst du das? Willst du in so was rein-
rutschen? Und genau in dem Sommer habe ich Michael kennengelernt.
Das Leben ist manchmal verrückt. SPIEGEL: Möllemann wurde illegale
Partei- enfinanzierung vorgeworfen. Westerwelle: Ja, es ging um
Gelder, von denen ich nichts wusste, die in Plastiktüten
transportiert wurden, und mehr will ich dazu gar nicht sagen.
SPIEGEL: Möllemann hatte auch mit anti- semitischen Klischees
gearbeitet, um am rechten Rand Stimmen zu sammeln. Und Sie haben
ihn eine Weile lang gewähren lassen. Wie denken Sie heute darüber?
Westerwelle: Ich habe anfangs gedacht, der denkt ja nicht wirklich
so. Da war ich zu naiv, ich hätte zupackender und mutiger sein
müssen. Ich habe zu spät reagiert. Aber ich habe dann reagiert,
darauf lege ich großen Wert. SPIEGEL: Nagt diese anfängliche
Zögerlich- keit manchmal noch an Ihnen? Westerwelle: Das sind
Sachen, die vergibt man sich. So wie Sie sich ein paar ge-
schmackliche Verirrungen vergeben. Das passiert jedem pausenlos.
Aber bei den Richtungsentscheidungen, den wesentli- chen Dingen,
müssen Sie richtig liegen. SPIEGEL: 2009 wurden Sie Außenminister
einer schwarz-gelben Koalition. Schon bald nach Regierungsantritt
machten Ihnen Heckenschützen aus der FDP das Leben sauer.
Westerwelle: Ja, die Zukurzgekommenen aus der eigenen Partei fingen
sofort an, warteten keine hundert Tage ab, um mich anzugreifen. Wir
hatten auch Pech, die Griechenlandkrise kam, und wir konnten unsere
große Steuerreform nicht mehr um- setzen. Ich stand vor der Wahl:
in die Op- position zu gehen oder angesichts einer geschichtlichen
Situation Abstriche zu ma- chen. Ich habe mich für die Geschichte
entschieden und Abstriche gemacht. Das hat mir bei meiner Partei
geschadet. SPIEGEL: Gab es eigene Fehler? Westerwelle: Natürlich
kamen eigene Feh- ler dazu, wie immer. Und in bestimmten
Drucksituationen verhalten Sie sich ja auch nicht immer gut. Und
dann kommen einige, die sehen die Chance, dass sie ein bisschen
weiterkommen können. Das ist eben so. Das ist Politik, und Sie
dürfen nicht vergessen, ich war insgesamt zehn
Jahre lang Parteivorsitzender. Das ist un- heimlich lange. Nur
Genscher hat beinahe elf Jahre gemacht. SPIEGEL: Da wir von Fehlern
reden: Wie konnte Ihnen die „spätrömische Deka- denz“ passieren?
Westerwelle: Sehr ärgerlich, ja. Ich hatte mich unheimlich darüber
geärgert, dass die Hartz-IV-Sätze steigen konnten, eine Entlastung
der Mittelschicht aber nicht mehr möglich war. Deshalb ist das pas-
siert. SPIEGEL: War das Ihr Satz? Oder hat den
jemand für Sie aufgeschrieben? Westerwelle: Für diesen Satz
hafte ich al- leine. Es ist passiert. Aber ehrlich gesagt: Es ist
ein Satz, mehr nicht. Es ist nieman- dem ein Unrecht geschehen,
kein Mensch hat darunter gelitten, nichts hat sich real verändert
in der Welt. Ich habe einen Ar- tikel mit einem Satz geschrieben,
den ich heute so mit Sicherheit nicht mehr schrei- ben würde. Und
zwar nicht, weil ich mich von dem Gedanken, alles was man haben
will, muss man erwirtschaften, verabschie- de, im Gegenteil,
sondern weil der Satz missverständlich verletzend war. Und das
hätte ich erkennen müssen, und das habe ich nicht erkannt. Da war
ich zu rechtha- berisch. SPIEGEL: Den Parteivorsitz mussten Sie ab-
geben, als der Druck Ihrer sogenannten Parteifreunde zu stark
wurde. Schmerzt Sie das noch manchmal? Westerwelle: Es ist vorbei.
Es ist nicht mehr wichtig, ich sage das ohne Gram, ohne Groll. Wenn
ich heute zurückblicke, er- scheint mir das so unbedeutend. Die Ge-
meinheiten, die Verletzungen, sie schrump- fen. Sie können sich
nicht vorstellen, wie unwichtig mir das heute ist. Und dann habe
ich ja auch in den eineinhalb Jahren nach meiner Erkrankung
gesehen, wie viel Ver- trauen, das ich Menschen gegeben habe,
gerechtfertigt war. Von Menschen, auch von politischen Gegnern und
Weggefähr- ten, bei denen ich es nie für möglich ge- halten habe.
Die wirklich standen, sich er- kundigten und Zuspruch gaben. Es ist
nicht so, dass die Politik nur eine kalte, hässliche Welt ist.
SPIEGEL: Haben sich auch die Parteifreunde gemeldet, die Ihnen das
Leben schwer ge- macht hatten? Westerwelle: Ja, natürlich. Eine
solche Krankheit versöhnt ja auch. Man fragt sich:
Mann, worüber haben wir uns eigentlich gestritten wie verrückt?
Aber ein paar Sa- chen werden auch klarer. Dazu zähle ich vor allen
Dingen meine Politik der militä- rischen Zurückhaltung. Heute wird
sie nicht mehr ernsthaft bestritten. Auch da kann man übrigens
fragen, ob ich in jedem Augenblick das richtige Wort gefunden habe.
Wahrscheinlich nicht, aber die Ent- scheidung war richtig. Das ist
heute be- wiesen. SPIEGEL: „Bewiesen“ ist in diesem Zusam- menhang
ein schwieriges Wort, weil wir nicht wissen, wie es gewesen wäre,
hätte sich Deutschland bei der Abstimmung zum Libyen-Einsatz nicht
enthalten. Westerwelle: Richtig, hypothetische Ge- schichtsverläufe
sind schwierig. Das kor- rigiere ich, da haben Sie recht. Aber
heute ist es offensichtlich, dass die militärische Intervention in
Libyen zu einem zerfal- lenden Staat geführt hat, und das hat einen
Teil der Migrationsbewegungen ausgelöst. SPIEGEL: Gegen Syriens
Machthaber wurde seitens des Westens nicht interveniert, und dort
ist die Situation noch schlimmer als in Libyen. Westerwelle: Ich
sehe das in einem größe- ren Zusammenhang. Es hat mit dem Irak
begonnen, mit einer Lüge der amerikani- schen Regierung.
Interventionen sind sel- ten erfolgreich, weil es selten Pläne und
Geduld für die vielen Jahre danach gibt. SPIEGEL: Nach Ihrer Abwahl
im Herbst 2013 hat sich die Bundesregierung schnell von Ihrer
Politik der militärischen Zurückhal- tung verabschiedet. Ihr
Nachfolger Frank- Walter Steinmeier und Verteidigungsmi- nisterin
Ursula von der Leyen sprachen sich dafür aus, dass Deutschland eine
ak- tivere Rolle in der Welt spielen müsse, not- falls auch
militärisch. Ist es verletzend, dass Ihre Positionierung so schnell
abge- räumt wurde? Westerwelle: Ich nehme mit einer gewissen
Genugtuung zur Kenntnis, dass ich das von meinem Nachfolger so
nicht mehr höre. Das war eine kurze Phase. Deutschland wird nicht
dadurch größer, stärker, segens- reicher, wenn es mehr militärische
Inter- ventionen macht. Das war der große Irr- tum der letzten 20
Jahre. SPIEGEL: Würde sich Deutschland aus allem raushalten, würde
es von den Verbündeten nicht mehr ernst genommen. Und die Be-
reitschaft, Soldaten zu schicken, ist die härteste Währung in der
Nato. Westerwelle: Das stimmt, das ist die här- teste Währung, mit
vielen Kollateralschä- den. Aber seitdem ich dem Tod sehr nahe war,
habe ich zum Wort „Kollateralscha- den“ eine äußerst allergische
Einstellung. Es hört sich so abstrakt an, aber es bedeu- tet das
Ende von Leben, von Kindern, von Frauen, von Männern. Wenn man über
Le- ben und Tod entscheidet, muss man sich schon ganz, ganz, ganz
sicher sein.
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SPIEGEL: Damit sind wir wieder bei Ihrer Erkrankung. In Ihrem Buch
schreiben Sie, nach der Diagnose hätten Sie sich gefühlt wie Gregor
Samsa in Kafkas Geschichte „Die Verwandlung“. Können Sie dieses
Gefühl beschreiben? Westerwelle: So gut wie Kafka kann ich es
leider nicht beschreiben. Sie wachen auf und fühlen sich wie ein
Käfer auf dem Rücken. SPIEGEL: Sie durften lange niemanden
be- rühren, durften nicht berührt werden, und das in einer Zeit, da
jede Berührung Trost und Halt sein kann. Wie haben Sie das
ausgehalten? Westerwelle: Sie glauben gar nicht, was der Mensch
alles aushält. Man muss da eben durch. Eine Zeit lang wurde ich nur
mit Gummihandschuhen angefasst. SPIEGEL: Sie schreiben, dass die
Krankheit egalitär sei. Dass alles verwischt werde, reich/arm,
alt/jung, machtlos/mächtig. Krebs als großer Gleichmacher.
Westerwelle: Das ist wirklich so. Im Kran- kenhaus ging ich im
Bademantel und in Schlappen über den Flur wie alle dort. Die
anderen Patienten und Pfleger kannten mich ja nur aus dem
Fernsehen, und nun war ich bei ihnen. SPIEGEL: War das erniedrigend
für Sie, oder hatte das Egalitäre auch etwas Schönes? Westerwelle:
Da haben Sie weder schöne noch hässliche Gedanken. SPIEGEL:
Entsteht da eine Gemeinschaft? Westerwelle: Ja, eine Gemeinschaft
ent- steht in jedem Fall. Es gab bei den Pfle- gern, Schwestern,
Ärzten, Reinigungskräf- ten und Mitpatienten nur eine Devise: Wir
bauen uns auf. Keiner zieht einen anderen runter. Und jeder hätte
viele Gründe ge- habt, zu jammern und zu weinen. Es sind
ja einige verstorben in der Zeit. SPIEGEL: Eine
Schicksalsgemeinschaft? Westerwelle: Ja, eine Schicksalsgemein-
schaft. Man duzt sich sofort, und man ver- sucht, einander
aufzubauen. Ich meine, das sind absurde Situationen. Sie sitzen auf
so einem Fahrrad in so einem Jogging-Schlaf- anzug, haben Schlappen
an, blaue Hand- schuhe, Mundschutz und denken, das ist
Fahrradfahren. SPIEGEL: Können Sie heute darüber lachen?
Westerwelle: Nee, lachen kann ich immer noch nicht darüber. Ist
auch so ein Phäno- men, dass man eine Zeit lang das Lachen völlig
verlernt. SPIEGEL: Ist es wieder da? Westerwelle: Mal mehr, mal
weniger. Hängt davon ab, was ich gerade durchmache. SPIEGEL: Ihr
erster Stammzellspender sprang kurz vor dem Eingriff ab.
Westerwelle: Das war ein erschütternder Moment. Ich dachte sofort,
jetzt geht der Wettlauf gegen die Zeit los. Aber ich dach-
* Mit dem schleswig-holsteinischen FDP-Fraktionsvor- sitzenden
Wolfgang Kubicki.
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Gondelfahrer Westerwelle 1999: „Meine Herren, ich bin
homosexuell“
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Beachvolleyballer Westerwelle 2000*: „Gestritten wie
verrückt“
te auch: Wer weiß, was beim Spender vor- gefallen ist. Kann man
doch niemandem übel nehmen. Und ich hab’s auch nicht ge- tan. Nicht
eine Sekunde. Ehrlich nicht. SPIEGEL: Der schlimmste Schmerz ist
offen- bar die Punktion des Knochenmarks. Westerwelle: Das war
nicht so schlimm, das war nach einer Viertelstunde vorbei. Schlimm
war, als ich dachte, ich muss sterben. SPIEGEL: Wann dachten
Sie das? Westerwelle: Kurz nach der Transplanta- tion. Ich bekam
drei Injektionen, und die ersten beiden waren prima, aber auf die
dritte reagierte ich mit einem allergischen Schock. Da stürzten
dann die Pfleger rein, und ich habe dort gelegen und gedacht, so
fühlt sich also Sterben an. SPIEGEL: Noch einmal Volkshochschule,
bit- te. Wie wird Leukämie behandelt? Warum eine Stammzellspende?
Westerwelle: Wenn Sie eine akute Leukä- mie haben, werden die
Krebszellen zu- nächst mit der Chemo zerstört. Danach bekommt der
Patient über die Stammzell- spende ein neues Immunsystem verpasst.
Das Risiko dabei ist, dass das neue Im- munsystem den Körper
angreift, aber das versucht man dann mit sogenannten Im-
munsuppressiva in den Griff zu kriegen. Das ist es eigentlich.
SPIEGEL: Warum war es so dramatisch, dass in diesem Moment der
Spender absprang? Westerwelle: Es war nach der Chemo, und ich war
unheimlich geschwächt. Das sind ja keine schwachen Pillen,
die man da be- kommt. Sie werden im Grunde genommen lebensuntüchtig
gemacht, um überleben zu können. SPIEGEL: Hätten Sie einen zweiten
Chemo- block möglicherweise nicht überstanden? Westerwelle: Das
kann man nie sagen. Aber jede Chemo schwächt. SPIEGEL: Sie hatten
Glück. Bald tauchte der zweite Spender auf, und Sie saßen
ausgerechnet mit Angela Merkel beim
Mittagessen zusammen, als Sie davon erfuhren. Westerwelle:
Ist das nicht verrückt? Bei meinem Lieblingsitaliener hier in Köln.
SPIEGEL: Wie hat Merkel reagiert? Westerwelle: Ganz normal. Na, das
ist doch eine gute Sache, hat sie gesagt, gratuliere, ich freue
mich. SPIEGEL: Wie haben Sie reagiert? Westerwelle: In dieser Lage
jubeln Sie nicht über gute Nachrichten. Weder als Betrof- fener
noch als Freund oder Angehöriger. Sie sind da ganz abergläubisch.
Erst mal gucken, wie es kommt. SPIEGEL: Wie läuft eine
Transplantation ab? Können Sie das beschreiben? Westerwelle:
Undramatisch. Der Beutel mit der Spende wird an einen
Infusionsständer gehängt und mit Ihnen verbunden. Und dann kriegen
Sie statt einer Infusion eben Stammzellen verabreicht. SPIEGEL: Wie
lange dauert das? Westerwelle: Ein, zwei Stündchen. SPIEGEL: Sie
beschreiben das so nüchtern. Westerwelle: Es ist eine nüchterne
Sache. SPIEGEL: Reden wir noch einmal über Poli- tik. Gibt es in
der Politik so etwas wie Auf- gehobenheit? Oder nur die permanente
Verunsicherung, weil man allzeit durch irgendwen infrage
gestellt wird? Westerwelle: Beides, in Phasen. Wenn Sie über 30
Jahre lang Politik machen, sind da auch die schönsten Erlebnisse –
Sie er- fahren Momente, in denen die Partei eine Familie ist. Sie
erleben Solidarität und
Freundschaft, entgegen allen Klischees, aber Sie erleben auch Härte
und Gegner- schaft, Aggression, Intrige, Neid. SPIEGEL: Führt das
Zweite, also das Wissen um die Intrigen, nicht dazu, dass Sie dem
Ersten, der Freundschaft, nie wirklich ver- trauen können?
Westerwelle: Ist das nicht in allen Spitzen- positionen so? In der
Wirtschaft oder auch in der Medienwelt? Die Luft ist halt dünn,
je weiter man nach oben kommt. Die Redaktion des ist ja
auch kein Familienklub. SPIEGEL: Bei uns ist man nett zueinander.
Westerwelle: Ich sehe Ihr Grinsen. Es wird immer um Macht
gefochten, das ist nor- mal. Soll ich Ihnen etwas über Vorstände
erzählen? Aufsichtsräte? Politik ist gewiss nicht grausamer als das
sonstige Leben. SPIEGEL: Wenn Sie in diesen Tagen auf Mer- kel
blicken: Macht sie die richtige Politik? Westerwelle: Was hätte sie
denn machen sollen? Hätte sie den Schusswaffenge- brauch an der
Grenze schon vorbereiten sollen, wie es von rechtsaußen vorgeschla-
gen wird? Hätte sie Wasserwerfer in Be- wegung setzen sollen? Das
wären Bilder gewesen, mit denen sich kein Deutscher hätte zufrieden
geben dürfen und können. Die große Geste, die gesendet wurde, über
die mag man streiten, zum Beispiel die be- rühmten Selfies, die von
den Flüchtlingen nach Hause geschickt wurden, mit den ganzen
Gerüchten und Falschheiten. SPIEGEL: Erleben Sie zurzeit eine neue
Kanzlerin? Westerwelle: Ich kannte Angela Merkel als zupackende
Entscheiderin auch in anderen Zusammenhängen, allerdings im selben
Moment auch als vorsichtig. Jetzt ist sie seit zehn Jahren
Kanzlerin, und wer hat schon die Gelegenheit, so viel Lebenser-
fahrung in einem so mächtigen Amt zu er- werben? Als ich ihre
Darmstädter Rede sah, nahm ich ihr jedes Wort ab. Dass die
Menschenwürde nicht auf Deutsche be- schränkt ist, ist ein großer
Satz. Und mir ist eine Kanzlerin lieber, die diese Men- schenwürde
unterstreicht, als ein Kanzler, der das für Gedöns hält. SPIEGEL:
Deutschland zeigt sich derzeit auch von einer sehr hässlichen
Seite. Was sagen Sie zu den Angriffen auf Flüchtlings- heime, zu
den Hassparolen? Westerwelle: Entsetzlich. Zero tolerance. Kein
Pardon. Die ganze Härte des Rechts- staates. Wenn Sie das zulassen,
dann kom- men Sie auf eine schiefe Bahn, von der kommen Sie nie
wieder herunter. Das geht dann immer schneller, immer schneller,
immer schneller. SPIEGEL : Wie beurteilen Sie den Zustand
Europas? Westerwelle: Mit Sorge. Europa ist noch nicht durch. Noch
lange nicht durch. Und damit meine ich nicht die Milliarden für
griechische Banken.
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Rekonvaleszent Westerwelle: „Eine solche Krankheit versöhnt ja
auch“
SPIEGEL: Was meinen Sie denn? Westerwelle: Ich meine damit, dass
Europa als politisches Projekt noch nicht durch ist. Alles, was man
baut, kann auch zusam- menfallen. Das gilt auch für Europa. Im
Moment sehe ich vor allem Fliehkräfte. SPIEGEL : War das nicht
auch schon zu Ihrer Zeit als Außenminister so? Westerwelle: Ich
habe oft Verhandlungen erlebt, die bis drei Uhr morgens gingen, und
dann werden da so zweideutige Signa- le gegeben. Man sagt sich in
seiner Müdig- keit, dein Anliegen ist ja durch, prima. Hast du gut
hingekriegt. Schön. Und dann ist es sechs Uhr morgens, du bist noch
gar nicht aufgestanden, und draußen klopft dein Pressesprecher. Er
wollte nur mal sagen, was wir da gestern als großen Durchbruch
verkün- det haben, ich glaube, Herr Mi- nister, das gilt nicht
mehr. Das gab’s damals auch. Aber heute sind die Fliehkräfte noch
stärker. Wir müssen aufpassen, Europa ist so kostbar. SPIEGEL: Herr
Westerwelle, wie geht es Ihnen heute? Westerwelle: Heute geht es
mir weit besser, als es mir in den 18 Monaten oft ergangen ist.
Aber es geht mir heute auch schlechter, als es mir in den 18
Monaten oft ergangen ist. Im Moment ist mein Mund entzündet. Das
ist beim Es- sen wirklich entsetzlich. Es fühlt sich an, als hätte
man Stachel- draht im Mund. Aber das ist halt so. Das kriegen wir
alles wieder hin. SPIEGEL: Sie erholen sich gerade von einer
Lungenentzündung. Westerwelle: Ich hatte sechs Monate lang großes
Glück. Aber dann saß ich im Flug- hafenbus, und da hat sich jemand
die Seele aus dem Leib gehustet. Das war es dann. Ich bekam eine
Lungenentzündung und musste für fünf Tage ins Krankenhaus, auf die
Station, wo ich erstmals mit der Chemo behandelt wurde. Das waren
keine guten Erinnerungen. SPIEGEL: Sind Sie müde, erschöpft?
Westerwelle: Ich schlafe viel, lese viel, was
ja auch eine Form von Erholung ist. Am Anfang konnte ich das
überhaupt nicht, konnte mich nicht konzentrieren. SPIEGEL: Können
Sie Sport treiben? Westerwelle: Spazieren gehen, ja. Ich war auch
schon mal auf dem Golfplatz. Auf Sylt bin ich Fahrrad gefahren. Es
geht alles sehr langsam voran. Sie gehen erst eine Runde um den
Teich, eine kleine Runde, und brauchen 20 Minuten. Dann gehen Sie
eine größere Runde, 30 Minuten. Jetzt habe ich zweimal
hintereinander eine Stunde geschafft. Da sitzt jetzt eine ge-
* Dirk Kurbjuweit und Klaus Brinkbäumer in einem Kölner
Hotel.
sunde Leserschaft und sagt sich, eine Stun- de spazieren gehen, was
soll das? Huh, für mich sind das Erfolgserlebnisse, da möch- ten
Sie anschließend ein Stück Torte essen. SPIEGEL: Was Sie aber nicht
tun. Westerwelle: Doch, klar. SPIEGEL: Torte geht? Westerwelle:
Bestimmte Sorten. Alles, was die Schleimhäute reizt, geht nicht,
Obst zum Beispiel. Sie können sich nicht vor- stellen, wie viel
Glück eine Dosensuppe mit Reis und Hühnerbrühe für mich be- deutet.
Das beißt nicht im Mund. Heute Mittag habe ich versucht, eine Wurst
zu essen. Das hätte ich besser gelassen. Aber das ist alles
hinzukriegen.
SPIEGEL: Sie haben jetzt eine an- dere Blutgruppe als früher, die
Blutgruppe des Spenders. Verän- dert das auch Ihre Identität?
Westerwelle: Nein. Sie bleiben derselbe Mensch. Aber mit einem
Erfahrungsgewinn im Hochge- schwindigkeitsraffer. SPIEGEL: Ihr
Ehemann hatte die Sorge, dass sich etwas Entschei- dendes Ihrer
Identität verändern könne. Westerwelle: Der Michael hörte: neues
Immunsystem, neue Blut- gruppe. Da hat er gefragt: „Än- dert sich
sonst noch etwas?“ Der Arzt sagte: „Wie meinen Sie das?“ Michael:
„Nicht, dass Gui- do anschließend mit den Kran- kenschwestern
flirtet.“ Das hätte
die Grundlagen unserer Beziehung ge- ändert. Aber nein, da hat sich
nichts verschoben. SPIEGEL: Sie sind immer noch der Guido
Westerwelle von früher? Westerwelle: Durch das Erlebnis werden Sie
ein anderer Mensch. Sie bleiben Guido, mit all den Vorteilen und
Nachteilen und guten Eigenschaften. Aber durch die Er- fahrungen
werden Sie schon ein anderer. SPIEGEL: Was ist anders geworden?
Westerwelle: Sie freuen sich an den kleinen Dingen des Lebens,
wundern sich, worü- ber Sie sich aufgeregt haben, möchten am
liebsten jedem Gesunden sagen, nutze dein Leben. Carpe diem.
SPIEGEL: Leben Sie in ständiger Angst vor einem Rückfall?
Westerwelle: Nein, aber ich freue mich über jeden guten
Blutwert. SPIEGEL: In Ihrem Buch schildern Sie eine Szene, da sagen
Sie zu Ihrem Mann: Du erzählst nichts mehr von deiner Arbeit. Und
er sagt: Du fragst mich ja nicht mehr danach. Macht Krebs
egozentrisch? Westerwelle: Nein, nicht egozentrisch. SPIEGEL:
Besessen? Westerwelle: Besessen auch nicht. Das ist mir beides zu
hart. Aber Ihre Gedanken kreisen natürlich ums Existenzielle, ums
Überleben, um Ihre Schmerzen, um Ihre Probleme. Man kümmert sich
eigentlich nur noch um die existenziellen Sachen, aber irgendwann
platzt dann der Knoten, und man sagt sich: Das geht so nicht. Du
kannst ja nicht spazieren gehen und statt die Schönheit der Bäume
zu sehen, be- schäftigst du dich damit, ob deine Leuko- zyten jetzt
bei über fünf oder unter zwei sind. Mein Ziel war es, nicht nur zu
über- leben, sondern auch wieder zu leben. SPIEGEL: Mussten Sie
sich das ganz bewusst beibringen? Also auch, mal wieder ins Konzert
zu gehen? Westerwelle: Ja. Ich bin zum Beispiel ge- fragt worden:
Musstest du nach Salzburg fahren? Klassische Frage. Nein, musste
ich nicht. Es hat mir aber unglaublich viel gegeben. Ich war oft
dort, und ich liebe Opern. Und da kann man sagen, ja, es ist ein
Risiko, doch egal, ich möchte es. Musste ich zu dem
Geburtstag nach Sylt reisen, wo ich mir auf dem Rückweg die
Lungenentzündung geholt habe? Nein, musste ich nicht. Aber ich
möchte ja nicht die nächsten Jahre meines Lebens in Pan- toffeln im
Park um den Teich herum- schluffen. SPIEGEL: Gibt es so etwas wie
eine voll- ständige Genesung: dass Sie so leben kön- nen wie
früher? Westerwelle: Das weiß man noch nicht. SPIEGEL: Aber das ist
möglich? Westerwelle: Ja, das Ziel ist vollständige Genesung. Aber
das kann dauern. SPIEGEL: Ihr Buch liest sich übrigens auch wie
eine Liebeserklärung an den Ehe- mann, wie eine Dankesschrift, wie
eine Streitschrift gegen Klischees. Als wollten Sie ganz beiläufig
sagen, selbstverständlich können auch Homosexuelle tiefe Verbun-
denheit fühlen, Fürsorge zeigen, füreinan- der da sein. War das
Ihre Absicht? Westerwelle: Es ist meine Absicht, und das ist auch
die Lehre dieser Zeit. Man sagt gleichgeschlechtlichen Ehen eine
gewisse Oberflächlichkeit nach, weil schon das Wort homosexuell die
Sexualität betont. Aber das ist nicht so, bei Michael und mir schon
gar nicht. Ich wusste das vorher, aber jetzt noch tausendmal mehr:
Wir füh- ren keine Ehe zweiter Klasse. SPIEGEL: Herr Westerwelle,
wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Twitter: @Brinkbaeumer, @DirkKurbjuweit
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Westerwelle, SPIEGEL-Redakteure*
Zwischen zwei Leben
Titel
Geschwindigkeits- und Flughöhenrekordhalterin sowie
Wegbereiterin
für Weltraumflüge. Produktionsleiter: Breitling, der privilegierte
Partner
der Aeronautik dank seiner zuverlässigen, präzisen und bahn
bre-
chenden Instrumente – wie der Chronomat, des Pilotenchronografen
par
excellence. Willkommen in der Welt der Legende, der
Spitzenleistung
und der Performance.
Der Bundesnachrich- tendienst (BND) hat Freunde aus aller Welt
systematisch ausge- späht, unter anderem die Innenministerien der
USA, Polens, Österreichs, Däne- marks und Kroatiens. Auch
Anschlüsse der US-Vertretungen bei der Europäischen Union in
Brüssel und den Vereinten Natio- nen in New York sowie des
amerikanischen Finanzministeriums in Washington gehör- ten zu
den Suchbe- griffen, die der BND zur Spionage nutzte. Sogar die
Hotline des US-Außenministeriums für Reisewarnungen stand auf der
Liste.
Das Interesse des deutschen Dienstes beschränkte sich nicht auf
staatliche Einrichtun- gen: Er spähte auch Nichtre-
gierungsorganisationen wie Care International, Oxfam oder das
Internationale Komi-
tee des Roten Kreuzes in Genf aus. In Deutschland standen
zahlreiche ausländische Bot- schaften und Konsulate auf der
BND-eigenen Selektoren- liste: So wurden E-Mail-Adres- sen,
Telefon- und Faxnum- mern von Vertretungen der USA, Frankreichs,
Großbri-
tanniens, Schwedens, Portugals, Griechen- lands, Spaniens, Ita-
liens, Österreichs, der Schweiz und selbst des Vatikans überwacht.
Diplomatische Einrich- tungen fallen nicht unter Artikel 10
des Grundgesetzes, der deutsche Telekommu- nikationsteilnehmer vor
dem Abhören schützt. Vor drei Wochen war bekannt geworden,
dass der BND nicht nur im Auftrag des US-Ge- heimdienstes NSA
europäische Partner ausspioniert, sondern diese auch in
eigener Regie abgehört hat.
Im Oktober 2013 hatte Kanzlerin Angela Merkel einen
Spähangriff der NSA auf eines ihrer Handys mit den Worten
verurteilt: „Aus- spähen unter Freunden – das geht gar nicht.“ Für
den BND galt diese Losung offenkundig nicht. jös, mkn
Integration
Richter unterrichten
Bayern startet im Januar ein neues Integrationsprojekt für
Asylbewerber mit Bleibeper- spektive. Richter, Staatsanwäl- te und
Rechtspfleger werden in den Flüchtlingsheimen Rechtskunde lehren.
Migran- ten sollten „insbesondere die Werte der Demokratie, der
Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Toleranz, der Meinungs-
und Religionsfrei- heit sowie die Grundprinzi- pien unserer
Rechtsordnung“ lernen, schreibt der bayeri- sche Justizminister
Winfried Bausback in einem internen Rundbrief. Dolmetscher kön- nen
vor Ort den Unterricht übersetzen. Mit einer überar- beiteten
Broschüre über die deutsche Rechtsordnung in den Sprachen Englisch,
Ara- bisch, Paschtu, Urdu und Dari möchte Bausback auch „das
Phänomen Paralleljustiz“ be- kämpfen. Zudem soll es eine App für
Smartphones und einen Erklärfilm mit dem Arbeitstitel
„Willkommen in Deutschland – Was Sie über das deutsche Recht wissen
müssen“ geben. cnm
Kittihawk
22 DER SPIEGEL / Ein Impressum mit dem Verzeichnis der Namenskürzel
aller Redakteure finden Sie unter www.spiegel.de/kuerzel
Bundesnachrichtendienst
Geht richtig gut In großem Ausmaß hat der BND befreundete Staaten
ausspioniert.
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Merkel
Flüchtlinge
Mehr Schutz
Wuppertaler Modell
Die Wuppertaler Steuerfahn- dung und die Kölner Staats-
anwaltschaft ermitteln gegen weit mehr Banken wegen des Verdachts
der Beihilfe zur Steuerhinterziehung als bis- her bekannt. Es soll
sich um fast 30 Verfahren gegen inter- nationale Geldinstitute und
deren Filialen handeln, die in den meisten Fällen ihren Sitz in der
Schweiz haben. Sie basieren auf Informationen aus angekauften
Datensätzen und einer rastermäßigen Aus- wertung von Selbstanzeigen
( 49/2014). Ergeben sich daraus Hinweise auf die Beihilfe zur
Steuerhinterzie- hung durch Bank und Mit-
arbeiter, leiten die Wupper- taler Steuerfahnder Verfah- ren ein.
Ziel ist die Verhän- gung einer sogenannten Verbandsgeldbuße.
Die Steu-
erfahnder haben dazu das „Wuppertaler Modell“ ent- worfen. Damit
werden die Gewinne der Bank abge- schöpft, die sie durch die
Betreuung steuerunehrlicher Kunden erzielt haben. Zu- sammen
mit einem Straf- zuschlag wird eine Geldbuße festgelegt. Die Banken
zah- len in der Regel, damit die Verfahren gegen ihre Mitar- beiter
eingestellt werden – und in der Hoffnung, dass die Öffentlichkeit
nichts da- von erfährt. Was nicht immer gelingt: So wurde zuletzt
eine 17 Millionen Euro teure Geldbuße gegen die Com- merzbank
bekannt. Zuvor hatten die UBS 300 Millionen und die Credit Suisse
149 Mil- lionen gezahlt. Für Nord- rhein-Westfalen ist das Wup-
pertaler Modell ausgespro- chen lukrativ – mehr als 600 Millionen
Euro wurden be- reits eingenommen. bas
Auf dem Mobiltelefon des mutmaßlichen Kindermörders Silvio
S., 32, befanden sich Fotos von Jungen, aber auch von Mädchen, wie
eine erste Auswertung des Geräts ergab. Die Ermittler hatten
gelöschte Dateien wieder sichtbar machen können: Auf einem Video
ist der Missbrauch des vierjährigen Mohamed zu sehen. Ein Bild
zeigt einen „bewusstlosen, toten oder schlafenden Jungen, bei
dem es sich um Elias han- deln könnte“, wie aus einem internen
Polizeibericht hervor-
geht. Im Schrank von Silvio S. im brandenburgischen Nieder-
görsdorf stellten die Beamten zudem Jungen- und Mädchen- bekleidung
sicher. Fraglich ist, ob diese neu oder getragen war. Ob S. auch
etwas mit dem Verschwinden der fünfjähri- gen Inga aus
Sachsen-Anhalt zu tun hat, ist weiterhin unklar. In einer ersten
Vernehmung hatte er gestanden, neben Mohamed auch Elias aus
Potsdam getötet zu haben. Seitdem schweigt S. win
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Neue Beweise
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Schweizer Bankensitz am Paradeplatz in Zürich
Kondolenzbücher für Mohamed und Elias
Wehrpflicht
Freiwilliger Gesellschaftsdienst Angesichts der Herausforde-
rungen, die auf Staat und Gesellschaft durch Einwande- rung
und Alterung zukom- men, wird die Aussetzung der Wehrpflicht im
Jahr 2011 in Teilen der CDU als Fehler an- gesehen. „Ich hätte die
Wehr- pflicht nie abgeschafft“, sagte der stellvertretende Vorsit-
zende der Unionsfraktion und ehemalige Verteidigungs- minister
Franz Josef Jung. Weil eine Wiedereinführung des Zwangsdienstes der
Be- völkerung jedoch schwer zu vermitteln wäre, wollen die
Wehrpflicht-Anhänger in der CDU Wehr- und zivile Diens-
te auf freiwilliger Basis aus- weiten. In einem Antrag für den
Parteitag im Dezember in Karlsruhe fordert der
CDU-Bundesfachausschuss Außen-, Entwicklungs- und
Menschenrechtspolitik den Ausbau des bestehenden Bun-
desfreiwilligendienstes zu ei- nem „Freiwilligen Gesell-
schaftsdienst“. Dieser richtet sich an 18- bis 25-jährige Deutsche
und „insbesondere“ Migranten. Er soll, so das Pa- pier, „bis zu
400000 Stellen, also zwei Drittel eines Ge- burtsjahrganges,
umfassen“. Anders als beim Bundesfrei- willigendienst sollen die
Teilnehmer auch in der Bun- deswehr dienen dürfen, und zwar
im Status von Re- servisten. csc, gt
24 DER SPIEGEL /
Ortsmeldungen aus den vergangenen Tagen: Wismar, Magdeburg, Pirna,
Freital, Sehnde, Krölpa, Niederau. Die Gewalt breitet sich aus.
Base- ballschläger, Fausthiebe, Brandan- schläge, Sprengladungen.
Bei Pegi-
da-Demonstrationen werden Jour- nalisten geschlagen. Rotes Kreuz
und
Technisches Hilfswerk melden Angriffe. Nicht nur Ausländer leben
gefährlich in Deutschland; die Menschen, die ihnen helfen wollen,
auch.
Ist das Weimar? Fängt es so an? Woran würden wir es merken? Gibt es
ein Vorgefühl des Verderbens? Eine Ahnung am Abgrund? Werden wir
später auf das Jahr 2015 blicken und uns fragen, warum wir die
Katastro- phe nicht kommen sahen?
Wie sähe unser „Weimar 2015“ aus? Es ist ja niemand in Sicht, auf
den die Zeilen von Stefan George passen würden: „Er führt durch
sturm und grausige signale / Des frührots seiner treuen schar zum
werk / Des wa- chen tags und pflanzt das Neue Reich.“ Weder der
AfD- Mann Björn Höcke (der mit der Deutschlandfahne) noch der
Shootingstar Marcus Pretzell (der mit dem Schießbefehl) haben das
rechte Führer-Format.
Aber die „Frankfurter Allgemeine“ erinnert schon mal an den
Untergang des weströmischen Reiches: „Guido Westerwelle, der uns
‚spätrömische Dekadenz‘ vorhielt, und Thilo Sarrazin, der vor der
‚Abschaffung‘ Deutschlands warnte, erfahren durch Merkel eine
späte, sicher ungewollte Rechtfertigung.“ Muslime ante
portas! Das Abendland in Gefahr! Von da ist es nur ein
kleiner Schritt bis zum Recht auf Notwehr.
Eine Stimmung des nationalen Notstands breitet sich aus. Das ist
gefährlich. Denn die öffentliche Ordnung beruht auf der Fiktion,
dass der Staat sie garantieren kann. Aber wenn die Ordnung an zu
vielen Orten gleichzeitig gebrochen wird, ist der Staat dann macht-
los und die Ordnung dahin?
Sebastian Haffner hat über den Moment der „Machter- greifung“ 1933
geschrieben: „Es war, man kann es nicht anders nennen, ein sehr
verbreitetes Gefühl der Erlö- sung und Befreiung von der
Demokratie.“ Kann man sich das heute vorstellen? Kann das wieder
passieren?
Es heißt, Weimar sei nicht an einer zu großen Zahl von Radikalen
zugrunde gegangen, sondern an einer zu kleinen Zahl von Demokraten.
Das ist die These von der Res publica amissa, so der an Cicero
angelehnte Titel eines Buches des Altphilologen Christian
Meier. Das vernachlässigte Gemeinwesen hatte keine Zukunft.
Wir würden unser Weimar erleben, wenn wir den Sieg der neoliberalen
Alternativlosigkeit zuließen, den Triumph des nationalen Egoismus
und der Verachtung für die Schwachen. Wenn wir die Niederlage der
repu- blikanischen Zivilität duldeten.
Ist das vorstellbar? Ja. Es ist vorstellbar, dass das Gift des
Neoliberalismus den republikanischen Geist zer- setzt und die
verbleibenden Hohlräume sich mit rech- tem Denken füllen.
Die Demokratie endet nicht mit einem Knall, sondern mit einem
Wimmern.
An dieser Stelle schreiben Jakob Augstein und Jan Fleischhauer im
Wechsel.
Jakob Augstein Im Zweifel links
Weimar 2015
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Bundeswehrhelfer in Berliner Notunterkunft
Archiv gefunden
Auch der Militärische Ab- schirmdienst (MAD) lässt nun seine
Geschichte aufar- beiten. In der Vergangenheit hatte der
Geheimdienst der Bundeswehr Anfragen zur eigenen Historie
unter ande- rem mit dem Hinweis abge- wiegelt, man habe kein Ar-
chiv. Inzwischen räumt der Dienst ein, dass sich dieses in Köln
befinde. Die Aufar- beitung übernimmt das Zen- trum für
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in
Potsdam. Der MAD ist damit die 14. Bundesbehörde (darunter sieben
Ministerien), die ihre Vergangenheit auf braune
Sicherheit
Abhören leichter gemacht Das Bundesinnenministe- rium will eine
neue Sicher- heitsbehörde aufbauen. Mit deren Hilfe soll
Internetkom- munikation besser über- wacht und Verschlüsselung
geknackt werden. Aufgabe der Behörde sei es unter an- derem, neue
Methoden zu entwickeln, um in verschlüs- selte Kommunikation, etwa
bei Messenger-Diensten ein- dringen zu können, heißt es in
Regierungskreisen. Auch
bei der Onlinedurchsuchung, bei der der Rechner einer Zielperson
infiltriert wird, sowie beim Abhören von Gesprächen könnte die Be-
hörde neue technische Werk- zeuge entwickeln. Dafür will das
Innenministerium bis zu hundert Kryptologen und Netzwerkexperten
einstel- len. Die Institution soll aller- dings nicht selbst
überwa- chen, sondern nur die Tech- nik dafür entwickeln. Die
Anwendung würde weiter- hin Sicherheitsbehörden wie dem
Bundeskriminalamt oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz
obliegen. Die Pläne sind allerdings regierungsintern
umstritten. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) will das
Projekt demnächst vor Ab- geordneten des Bundestags
präsentieren. hst, jös
26 DER SPIEGEL /
Deutschland investigativ
Nein, so darf man dem Fürsten nicht kommen. Nicht in dieser Causa.
Denn es geht um eines der allerheiligsten Spiele des Adels und um
ein Hochamt europäischer Blau- blüter zugleich: Es geht um die
Jagd! Und so klagt Ferdi- nand Fürst von Bismarck auch gleich via
„Bild“ pluralis majestierend: „Wir können nicht hinnehmen, dass die
Tradition zerstört wird.“ Sein Sohn, der Gregor, Graf von Bismarck,
assistiert: „Wir haben uns entschlossen, die Fra- ge gerichtlich
klären zu lassen.“ Dabei ist die Frage gar keine Frage, sie ist
Gesetz. Und das schon seit 1999. Da- mals hat der
schleswig-holsteinische Landtag beschlossen, Jagdgatter zu
verbieten, eingezäunte Waldgebiete also, in denen Wild gehalten
wird, auf dass es sich nicht davon- machen kann, wenn es erlegt
werden soll. Die Bismarcks haben zwei derartige Gehege im
familieneigenen Sach- senwald bei Friedrichsruh. Wenn sie zur Jagd
rufen und die geladenen Gäste unter Waffen heranschreiten, kön- nen
diese fröhlich auf Damhirsch und Wildschwein bal- lern – und beim
Totverblasen garantiert auf eine schöne Strecke schauen.
Waidgerecht sei das nicht, klagen Kriti- ker schon lange.
Mancherorts werden Tiere sogar gefüt- tert und traben zutraulich
heran, wenn der Jagdmann naht. Wie putzig! Und peng: Wildbret. „Mit
einer moder- nen, naturnahen Jagd hat das rein gar nichts zu tun“,
fin- det Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck. Andere
Spielverderber sprechen gar von einem „Jagd- Bordell“. 15 Jahre
Übergangsfrist hatte das Kieler Parla- ment seinerzeit den
Bismarcks eingeräumt, bis Ende Ok- tober 2014. Seit zwölf Monaten
also müssten die Zäune verschwunden sein, doch die Nachkommen des
Reichs- kanzlers schert das nicht. „Unsere Familie ist seit etwa
140 Jahren Eigentümerin des Wildgatters und betreibt die- ses
rechtmäßig und erlaubt“, befindet Ottos Ururenkel Gregor. Und daran
will er festhalten. Eisern. ldt
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Jagdhornbläser „Fürst Bismarck“
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Kontroverse Anträge Die gewerkschaftsnahen Politiker in der
Union wollen Selbstständige, die keine Angestellten haben –
soge- nannte Solo-Selbstständige – künftig in die gesetzliche
Altersvorsorge einbeziehen. Dabei gehe es „insbesondere um
eine Absicherung in der gesetzlichen Rentenversiche- rung“, heißt
es in einem An- trag des Arbeitnehmerflügels der Union (CDA) für
den CDU-Parteitag im Dezember in Karlsruhe. Die CDA drängt auf mehr
Rechte für Beschäftigte in einer zuneh-
mend digitalisierten Arbeits- welt. „Auch muss es in der digitalen
Arbeitswelt faire Löhne und gute Arbeitsbe- dingungen geben“, heißt
es in den Anträgen der CDA zum Parteitag. Der CDU- Bundesvorstand
will dort durchsetzen, dass künftig ein größerer Anteil der
Mitgliedsbeiträge in die Kasse der Zentrale fließt.
Demnach sollen die Landes- und Kreisverbände pro Mitglied
statt wie bisher 64 Cent bis zum Jahr 2018 einen Euro im
Monat dem Konrad-Adenauer-Haus überlassen. In mehreren
Landesverbänden stößt das auf Unmut. ama, mad, ran
Afghanistan
Angriff aufs Konsulat Im Norden Afghanistans ist ein Anschlag auf
das deut- sche Generalkonsulat nur knapp gescheitert. Laut
internen Bundeswehr-Papie- ren schleuderten Unbekann- te am
20. Oktober aus einem fahrenden Auto eine Hand- granate auf die
Vertretung der Bundesrepublik im Zen- trum der
Provinzhauptstadt
Masar-i-Scharif; sie explo- dierte jedoch in einem Gra- ben vor dem
Konsulat. Die Hintergründe des Anschlags sind unklar. Im früher
rela- tiv sicheren Masar-i-Scharif, wo die Bundeswehr ihr letz- tes
Feldlager in Afghanistan betreibt, verschlechtert sich die Lage
zunehmend. Das Auswärtige Amt hat des- wegen vor Kurzem die
Sicherheitsvorkehrungen für die Außenstelle dort ver-
schärft. mgb
Waidmannsheil!
A n Selbstbewusstsein hat es Jean- Claude Juncker noch nie geman-
gelt. Kurz bevor sich die Staats-
und Regierungschefs der 20 größten In- dustrienationen im
türkischen Antalya zum Gipfel treffen, verteilt der Chef der
Brüsseler EU-Kommission schon mal fleißig Lob – an sich
selbst. „Die EU hat Führungsstärke bewiesen“, schreibt Jun- cker an
die Teilnehmer. Jetzt sei es an ihnen, dem Beispiel Europas
„im Kampf gegen schädlichen Steuerwettbewerb“ zu
folgen.
Ausgerechnet Juncker. Ausgerechnet der Mann, unter dessen
Dauerregentschaft sich der Kleinststaat Luxemburg zur inter-
nationalen Steueroase mauserte, gibt nun
den Vorkämpfer gegen die Abgabentrick- ser aus den Chefetagen
internationaler Großkonzerne.
Dabei vergeht kaum ein Tag, an dem der Behördenchef nicht von
seiner Vergan- genheit als Premier des wirtschaftsfreund- lichen
Großherzogtums eingeholt wird. Noch im November will das
EU-Parlament einen Bericht verabschieden, in dem jene ruinösen
Arrangements der Luxemburger Steuerverwaltung gebrandmarkt werden,
mit denen Multis wie Amazon oder Fiat ihre Steuerlast jahrelang oft
auf nahezu null drücken konnten.
Einen politisch Verantwortlichen be- nennt das Abschlusspapier der
sogenann- ten Lux-Leaks-Affäre allerdings nicht. Der
Grund: Neben dem Rat der Mitgliedstaa- ten hat sich auch Junckers
Kommission immer wieder geweigert, den Parlamen- tariern Zugang zu
wichtigen Akten zu verschaffen, zum Beispiel zu den Pro-
tokollen einer vertraulichen Expertenrun- de aus den
Finanzministerien der 28 Mit- gliedsländer, die regelmäßig die EU-
Besteuerungsregeln für Großkonzerne un- tersuchte.
Der konnte diese und andere Dokumente der Gruppe Verhaltenskodex
(„Code of Conduct Group“) und der Rats- arbeitsgruppe Steuern,
insgesamt mehrere Hundert Seiten, einsehen. Sie belegen, wie weit
Worte und Taten in der europäischen Steuerpolitik
auseinanderklafften, zumal
28 DER SPIEGEL /
bei jenem langjährigen Regierungschef, der seit Jahren eine
Schlüsselfigur in der europäischen Finanzpolitik ist.
In seinen Reden und Interviews beteu- erte Juncker stets, dass sich
das Großher- zogtum natürlich keineswegs „auf Kosten der
Nachbarländer“ bereichert habe – und schon gar nicht, indem es
Steuerhinterzie- her angelockt habe. Im politischen Alltag aber
kämpften seine Leute um genau jene Konzernvorteile, die ihr Chef so
wortreich anprangerte. Das Steuerprivileg – der oberste Paragraf
von Luxemburg.
Um möglichst viel Firmengeld ins Land zu locken, stritten seine
Beamten um Steu- ermodelle mit „hybriden Finanzinstru- menten“ und
vor allem für die sogenannte Patentbox. Eingeführt, um den techni-
schen Fortschritt anzuregen, hatten vor allem belgische,
niederländische und luxemburgische Finanzpolitiker den Steu-
ervorteil in ein Instrument verwandelt, mit dem Konzerne die
Erträge aus Paten- ten oder Lizenzen in ihre Benelux-Töchter lenken
und dort zu niedrigen Sätzen ver- steuern konnten. Zum Vorteil der
eigenen
Staatskasse und zum Nachteil aller ande- ren EU-Länder sowie der
großen Mehrheit kleiner und mittlerer Unternehmen, für die eine
solche Vorzugsbehandlung nicht infrage kam.
Dabei wussten die Vertreter der übrigen EU-Länder bestens Bescheid,
mit welchen Tricks sie über den Tisch gezogen werden sollten; das
deutsche Mitglied in einer Steu- ergruppe des Rats kabelte im März
2013 im EU-typischen Kürzeljargon nach Berlin: Immer wieder seien
„Zweifel an der Un- schädlichkeit“ einiger Steuermodelle auf-
gekommen, „es handelt sich vornehmlich um die Lizenzboxregelungen
von LUX und NDL“.
Doch geschehen ist über die Jahre – nichts. Immer wenn die
Steuergruppe Än- derungen vorschlug, setzten sich Luxem- burg,
Belgien und die Niederlande erfolg- reich zur Wehr: kein Wunder,
pflegen sich die Vertreter der Beneluxländer doch vor den Sitzungen
in Brüssel regelmäßig in se- paraten Runden abzusprechen.
Sogar einen Informationsaustausch über Steuervorbescheide für große
Konzerne lehnten Luxemburg und die Niederlande im engen
Schulterschluss ab – und zwar bereits 2010, vier Jahre vor dem
späteren Lux-Leaks-Skandal.
Der Befund ist heikel. Nicht nur den Kommissionspräsidenten Juncker
holt ein- mal mehr seine Vergangenheit als Regie- rungschef der
Steuersparoase Luxemburg ein. Auch ein zweiter wichtiger Mann an
der Spitze der europäischen Institutionen muss sich unangenehmen
Fragen stellen: der niederländische Finanzminister Jeroen
Dijsselbloem. Selbst nachdem er zum Chef der Euro-Gruppe
aufgestiegen war, blockte sein Land alle Änderungen ab.
Einer, der seit Jahren versucht, Licht in das Dunkel der
EU-Konzernbesteuerung zu bringen, ist Sven Giegold, 45. Der grüne
Europaparlamentarier ist Widerstand ge- wohnt. Doch was er erlebte,
als er nach den Sitzungsprotokollen jener geheimnis- vollen
Steuerarbeitsgruppe fragte, war auch für ihn neu. Giegold wurde
behandelt wie ein Spion, der Geheimdienstberichte einsehen
möchte.
Zuerst mauerte der Rat, dann lieferte die EU-Kommission Papiere,
die an den entscheidenden Stellen geschwärzt waren. Trotzdem musste
der Abgeordnete sein Handy abgeben, als er in Raum 232 eines
Brüsseler Kommissionsgebäudes einige Dokumente zu lesen bekam. Mit
Bleistift und Papier konnte er sich Notizen machen, mitnehmen
durfte er seine Aufzeichnun- gen nicht.
Was die zuständigen EU-Behörden so hartnäckig verweigerten,
entpuppte sich beim Lesen als Geschichte eines giganti- schen
Betrugs mithilfe des Steuerrechts. Interne EU-Papiere belegen, wie
Vergüns- tigungen bei der sogenannten Patentbox
vor allem Konzernen zugutekamen, die ihre Lizenzen, Copyrights,
Patente oder Markenrechte einfach einer Tochterfirma in Luxemburg
oder Den Haag überschrie- ben, um sie dort mit dem Unternehmens-
gewinn zu verrechnen. Ob in den Bene- lux-Niederlassungen
tatsächlich geforscht wurde, spielte dagegen keine Rolle.
Die Folge: Selbst für Milliardengewinne ging die Steuerlast gegen
null, wie eine Aufstellung der EU-Experten beweist. In Belgien, das
die Patentbox 2007 eingeführt hatte, sank der Steuersatz fü