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Der spiegel 28-2013_-_nur_der_snowden_und_nsa_part

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"Die stecken unter einer Decke mit den Deutschen"

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NSA-Chef Alexander in Washington

Obamas ZwergeIm Skandal um Amerikas Lauschangriff auf den Rest der Welt kuschen Regierungen

reihenweise vor Washington. Die Deutschen wollen von nichts gewusst haben – dabei wird jetzt klar, dass die Geheimdienste beider Länder eng kooperieren.

NSA-Rechenzentrum in Utah

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Im sozialen Netzwerk LinkedIn plau-dern Menschen gern über ihre Arbeit.Sie wollen etwas loswerden oder su-

chen einen neuen Job und berichten des-halb, was sie so gemacht haben oder ma-chen. Ein früherer „Signals IntelligenceSupervisor“, ein Amerikaner, erzählt dazum Beispiel leichtsinnig, dass er von Sep-tember 2009 bis Oktober 2010 in Darm-stadt gearbeitet habe. Er sei dafür zustän-dig gewesen, abgefangene ausländischeKommunikation zu sammeln, zu überset-zen und zu verarbeiten. Der Mann waralso im Berufsfeld der Spionage tätig.

Darmstadt ist dafür ein guter Standort,denn hier in der Nähe findet sich das ge-heime Gebäude-Sammelsurium „DaggerComplex“, in dem vor allem Armee-Leu-te der 66th Military Intelligence Brigadearbeiten, das aber auch von der amerika-nischen Lauschbehörde National SecurityAgency (NSA) mitfinanziert wird.

Bei LinkedIn gibt es viele solcher Ein-träge. Manche sind womöglich aufge-bauscht, aber in der Masseentsteht ein recht gutes Bilddavon, wo amerikanische Ge-heimdienstler in Deutschlandoperieren.

Was bislang fehlt, sind Plaudereien darüber, ob undwie eng sie mit Kollegen vom Bundesnachrichten-dienst oder vom Verfassungs-schutz zusammengearbeitethaben. Aber es gibt aus ande-ren Quellen Hinweise, dassman miteinander zu tun hat.Und das stünde im Wider-spruch zu dem, was die Bun-desregierung behauptet: dasssie nichts weiß von den gro-ßen Lauschaktionen der Ame-rikaner bei den Verbündeten.

Der Fall Edward Snowdengeht in die nächste Runde.Zunächst hat der amerikani-sche Computerexperte, der für die NSAgearbeitet hat, offenbart, wie sich der Geheimdienst in Datennetzen bedient. Inder vergangenen Woche wurde durch denSPIEGEL bekannt, dass die USA auchihre Verbündeten ausspionieren lassen,darunter Deutschland. Nun ist zu klären,wie eng diese Verbündeten selbst in denSkandal verstrickt sind. Reine Unschuldist nicht zu erwarten.

Es gibt Zeiten, in denen klarwird, wiedie Welt wirklich tickt, was ihre wahreninneren Gesetze sind. Dann fallen Schlei-er, die Welt sieht plötzlich anders aus. Essind jetzt solche Zeiten.

Ein Mann tut etwas, was in der bestenTradition des Westens steht, was den Wes-ten so richtig erst begründet hat: Er klärtauf, er weist auf Missstände hin und öff-net Augen. Das hat Edward Snowden getan. Aber was geschieht nun mit ihm?Die Führungsmacht dieses Westens, die

USA, jagt ihn auf der ganzen Welt, undfast alle machen mit, vor allem der Restdes Westens.

Snowden hockte am vergangenen Frei-tag wahrscheinlich noch immer im Flug-hafen von Moskau, im Transitbereich, ineinem Niemandsland, weil sich niemandtraute, ihn aufzunehmen, auch Deutsch-land nicht, wo Snowden gern Asyl be-kommen hätte.

Angst regiert gerade diese Welt, Angstvor dem Zorn der Vereinigten Staatenvon Amerika, Angst vor Präsident BarackObama, der einst als Weltenretter begrüßtwurde. Kaum einer will es sich mit derpolitischen und wirtschaftlichen Super-macht verscherzen.

Das wurde besonders deutlich, als einkleines Flugzeug über Österreich eine

Kehrtwende machen musste. An Bord wa-ren der bolivianische Präsident Evo Mo-rales und vielleicht ein Gespenst mit demNamen Edward Snowden. Mehrere euro-päische Staaten verweigerten diesem kleinen, unbewaffneten Flugzeug Lande-oder Überflugrechte. In einigen Haupt-städten hatten sie die Hosen gestrichenvoll, und höchstwahrscheinlich warSnowden nicht einmal unter den Passa-gieren.

Der Westen macht sich gerade lächer-lich durch Unterwürfigkeit, durch freiwil-lige Unfreiheit, durch den Verstoß gegendie eigenen Werte. Und er brüskiert dabeinoch Südamerika, das auch zum erwei-terten Westen gezählt wird. Staaten wieChina oder Russland, stets im Visier west-licher Moralexporteure, können hingegenfrohlocken: Der Aufklärer Snowden such-te zuerst Zuflucht bei ihnen, nicht in denLändern, die auf die Freiheiten stolz sind.

Die Welt steht kopf, und auch Deutsch-land macht dabei keine gute Figur.

Christoph Heusgen, der außenpoliti-sche Berater der Bundeskanzlerin, konn-te sein Wochenende abschreiben, als amSamstag vor zwei Wochen die Enthüllun-gen die Runde machten. Am Sonntag riefer Phil Murphy an. Der scheidende US-Botschafter in Berlin hatte sich auf eineWoche voller Abschiedsfeierlichkeiteneingestellt, doch davon war nun keineRede mehr. Heusgen empfahl Murphy,die beiden SPIEGEL-Geschichten sofortins Englische übersetzen zu lassen unddem Weißen Haus zu schicken.

Dann ließ Heusgen sich mit Tom Do-nilon verbinden, dem Sicherheitsberaterdes US-Präsidenten. Beide vereinbarten,dass Obama spätestens nach der Rück-

kehr von seiner Afrika-Reise mit derKanzlerin sprechen sollte. Den Amerika-nern musste mittlerweile klar sein, wieverärgert die Deutschen waren.

Einen Tag später wurde BotschafterMurphy ins Auswärtige Amt geladen. Aufeine förmliche „Einbestellung“, die ulti-mative Form diplomatischer Missbilli-gung, hatte Berlin zwar verzichtet, aberfaktisch war das Gespräch mit dem zu-ständigen Abteilungsleiter kaum etwasanderes. Merkels RegierungssprecherSteffen Seibert wurde ungewohnt deut-lich: „Abhören von Freunden, das istinakzeptabel, das geht gar nicht.“

Für Europa und die USA steht einigesauf dem Spiel. An diesem Montag begin-nen die Verhandlungen über das geplantetransatlantische Freihandelsabkommen.Die Schnüffelei der Amerikaner gefähr-det das Projekt. Auf Vorschlag des ame-rikanischen Justizministers werden nunzwei europäisch-amerikanische Arbeits-gruppen versuchen, parallel zu den Ver-handlungen die Vorwürfe gegen die NSAaufzuklären.

Am vergangenen Mittwoch telefonier-ten Merkel und Obama. Beide waren da-nach bemüht, den Streit runterzuspielen.Es werde „Gelegenheit zum intensivenAustausch über diese Fragen geben“, hießes anschließend ebenso diplomatisch wienichtssagend. Das dürfte kaum das er-sehnte Machtwort gewesen sein, das sichnach einer Umfrage von Infratest Dimap78 Prozent der befragten Deutschen vonMerkel wünschen.

Im Kanzleramt zittern sie nun dernächsten Enthüllung entgegen, dennlängst spielt das Thema in den Wahl-kampf hinein. So versuchten die beidenSPD-Rivalen Sigmar Gabriel und PeerSteinbrück in seltener Einmütigkeit, Mer-kel direkt anzugreifen. Es könne sein,

Titel

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Snowden

„Abhören von Freunden, das ist

inakzeptabel, das geht gar nicht.“

REUTERS

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„dass sie mehr weiß, als bis-her bekannt geworden ist“,sagte der SPD-Kanzlerkan -didat.

Auch Snowden sagt, deut-sche Behörden würden mitder NSA „unter einer Deckestecken“ (siehe Interview Sei-te 22).

Nachhaltiger als in derNSA-Affäre hat aber nochkeine Bundesregierung ihreAhnungslosigkeit zur Schaugestellt. Seit nunmehr vierWochen weiß die Bundesre-gierung, dass sie nichts weiß.Aber das immerhin konse-quent. Dreimal tagte in dieserZeit das ParlamentarischeKontrollgremium des Bun-destags – dreimal zucktenhohe Regierungsvertreterhinter verschlossenen Türenmit den Schultern.

Der Verfassungsschutz undder Bundesnachrichtendienst:angeblich nicht im Bilde. DasKanzleramt: ahnungslos. DieBundesjustizministerin: recht-schaffen empört, aber un -wissend. Der Bundesinnen -minister: wusste nichts, stelltetrotzdem schon mal klar, dassdie Datenfischerei der ameri-kanischen Freunde sicherlichin Ordnung sein werde. Kritikdaran, so Hans-Peter Fried-rich (CSU), sei „Antiameri-kanismus“.

Und so begann die hoheZeit des Briefeschreibens.Die Antworten, so sie dennerfolgten, machten allerdings auch nie-manden schlauer. Die britische Regie-rung, besonders eifrig beim Mitschneidendes Internetverkehrs, ließ die deutschebrüsk wissen, sie möge sich, bitte schön,direkt an den Geheimdienst wenden. DieAmerikaner zogen es bis Ende vergan-gener Woche vor zu schweigen. Obamasagte Merkel wenigstens zu, die Vorwürfezu prüfen und dann zu berichten. Daskann dauern.

Anfang dieser Woche wird sich dahereine deutsche Regierungsdelegation nachWashington bemühen. In Gesprächen mitdem Heimatschutzministerium, der NSAund der Regierung erhoffen sich die Vertreter des Kanzleramts, des Innen-und des Justizministeriums, des Auswär-tigen Amts sowie des Verfassungsschut-zes und des Nachrichtendienstes Lernef-fekte. Weil aber die Opposition sogleichlästerte, die Koalition schicke nur Leuteaus der zweiten Reihe, entschied sichFriedrich hinterherzureisen.

Aber ist die geradezu frivol vorgetra-gene Mein-Name-ist-Hase-Haltung auchglaubwürdig? Zweifel sind angebracht.

Schon einmal gab es in Deutschland undEuropa Empörung über ein „globales Ab-hörsystem für private und wirtschaftlicheKommunikation“. Zwölf Jahre ist es her,dass ein Ausschuss des Europäischen Parlaments einen fast 200 Seiten langenBericht über das Spähsystem „Echelon“vorlegte.

In dem Bericht steht, „dass innerhalbEuropas sämtliche Kommunikation viaE-Mail, Telefon und Fax von der NSA re-gelmäßig abgehört wird“. Die Rede istvon einem Geheimdienstverbund derUSA, Großbritanniens, Kanadas, Austra-liens und Neuseelands. „Wenn dann nochder routinemäßige Austausch von Roh-material hinzukommt, dann entsteht einevöllig neue Qualität.“

Die Abgeordneten empfahlen im Juli2001 eine Reihe von Vorschriften und Ab-kommen, um dem ganz großen Lausch-angriff in Europa Grenzen zu setzen.Zwei Monate später flogen TerroristenFlugzeuge ins New Yorker World TradeCenter, und einige der Attentäter hattenin Deutschland gelebt. Die Kritik an„Echelon“ verstummte abrupt.

Aber Union und FDP dürf-te nicht entgangen sein, dassdie Abhörspezialisten ausden USA nach wie vor aufdeutschem Boden präsentsind. Derzeit baut die NSAunter ihrem Chef, GeneralKeith Alexander, ihre hiesigeInfrastruktur mit großemAufwand aus.

Die wohl bekannteste Ab-höranlage liegt im bayeri-schen Bad Aibling. Sie ist im„Echelon“-Bericht hinrei-chend beschrieben. Offiziellhaben die Amerikaner denbayerischen Horchposten2004 aufgegeben. Die weißenKuppeln des „Echelon“-Ab-hörsystems, die sogenanntenRadome, ließen sie allerdingsstehen. Als das Gelände offi-ziell zur zivilen Nutzung um-gewidmet wurde, galt dasnicht für das Areal mit derLauschtechnik.

Ein Verbindungskabel lei-tet seither die abgefangenenSignale auf das Gelände derMangfall-Kaserne, die einpaar hundert Meter entferntliegt. Hier residiert offizielldie „Fernmeldeweitverkehrs-stelle der Bundeswehr“ – hin-ter dem Tarnnamen verbirgtsich der Bundesnachrichten-dienst (BND). In enger Ko-operation mit einer HandvollAbhörspezialisten der NSAanalysiert der deutsche Aus-landsdienst seither Telefon-gespräche, Faxe und alles,

was sonst noch über Satelliten übertragenwird. Offiziell gibt es weder den BND-Posten in Bad Aibling noch die Koopera-tion mit den Amerikanern. In einer ver-traulichen Sitzung des ParlamentarischenKontrollgremiums räumte BND-ChefGerhard Schindler am vergangenen Mitt-woch die Zusammenarbeit mit dem US-Dienst allerdings ein.

Auch anderswo in Deutschland lau-schen die Amerikaner in die Welt hinein.In Griesheim bei Darmstadt betreibt dieUS-Armee einen streng geheimen Horch-posten. Fünf Radome stehen am Randdes August-Euler-Flugplatzes, versteckthinter einem Wäldchen. Wer am „Dag-ger-Complex“ vorbeifährt, wird vonWachleuten kritisch beäugt, Fotografie-ren ist verboten.

Im Innern werten Soldaten Informa-tionen für die Streitkräfte in Europa aus.Die NSA unterstützt die Analysten, auchMitarbeiter amerikanischer Sicherheits-firmen arbeiten auf dem Gelände.

Der Bedarf an Daten ist offenbar sogroß, dass in absehbarer Zeit ein Umzugbevorsteht. Im rund 40 Kilometer ent-

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Computerexperte Snowden 2002: „Er ist eine heiße Kartoffel“

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fernten Wiesbaden baut dieUS-Armee ein neues Conso-lidated Intelligence Center.Für 124 Millionen Dollar ent-stehen in der hessischen Lan-deshauptstadt abhörsichereBüros und ein Hightech- Kontrollzentrum. Sobald die Anlage in Wiesbaden fertig -gestellt ist, wird der „Dagger-Complex“ bei Darmstadt ge-schlossen.

Die US-Armee vertraut beidem Neubau in Wiesbadennur auf Landsleute. Die Bau-firmen müssen aus den USAstammen und sicherheits-überprüft sein. Selbst die Ma-terialien sollen aus den Ver-einigten Staaten importiertund auf ihrem Weg nachDeutschland überwacht wer-den. Damit auch ja keinfremder Spion auf die Bau-stelle kommt, bewachen dieAmerikaner das Areal rundum die Uhr mit eigenen Si-cherheitsleuten.

Ist es wirklich vorstellbar,dass die Bundesregierungnichts weiß vom Treiben derNSA vor ihrer Haustür? Wieist dann zu verstehen, was Innenminister Friedrich vor-vergangene Woche in eineraktuellen Debatte des Bun-destags zur Ausspähaffäresagte: „Deutschland ist glück-licherweise in den letztenJahren von großen Anschlä-gen verschont geblieben. Wirverdanken das auch den Hin-weisen unserer amerikanischen Freun-de.“ Hinter Sätzen wie diesem verbirgtsich eine funktionale Sicht auf den Über-wachungsapparat der Supermacht: Wasgenau die NSA macht, ist zweitrangig –es zählt, was hinten rauskommt. Und dasist, wie Geheimdienstler halb verschämteinräumen, unverzichtbar.

Ohne die Tipps der Amerikaner, heißtes, wäre man bei der Terrorbekämpfungwomöglich auf einem Auge blind. Denn

während das Bundesamt für Verfassungs-schutz und der Bundesnachrichtendienstim Rahmen der G-10-Gesetzgebungstrengen Regeln unterliegen, arbeitenausländische Dienste auf deutschem Bo-den – solange es dem Anti-Terror-Kampfdient – weitgehend unkontrolliert. Wieweit das geht, wird am Beispiel Frankfurtam Main deutlich.

Im weltweit pulsierenden Strom digi-taler Daten ist Frankfurt so etwas wie

eine Herzkammer. Hier treffen Glasfa-serkabel aus Osteuropa und Zentralasienauf Datenleitungen aus Westeuropa.Auch E-Mails, Bilder, Telefonate undTweets aus Krisenländern des Nahen undMittleren Ostens kommen in Frankfurtvorbei.

Internationale Provider unterhaltenhier ihre digitalen Drehscheiben, die Te-lekom oder auch das US-UnternehmenLevel 3, das sich damit brüstet, einen

Großteil des weltweiten Internetverkehrsabzuwickeln. Für Geheimdienste wie denBND oder die NSA ist Frankfurt eine un-erschöpfliche Quelle für Informationen.Wie aus Unterlagen von Snowden her-vorgeht, greift die NSA jeden Monat inDeutschland auf eine halbe MilliardeKommunikationsvorgänge zu, unter an-derem in Frankfurt.

Auch der BND bedient sich hier. Erdarf bis zu 20 Prozent der Daten abzwei-

gen. Aus bundesweit fünfKnotenpunkten schleust derDienst Daten zur Auswer-tung nach Pullach in die Zen-trale, auch in Düsseldorf undMünchen. Die eigentlicheAufgabe für die Spezialistender Abteilung TechnischeAufklärung beginnt aller-dings erst im Anschluss anden Zugriff: Aus dem gigan-tischen Datenmeer müssensie jene Telefongespräche, E-Mails oder anderen In -ter netsplitter heraus fischen,die vielleicht einen Atom-schmuggel decouvrieren odereinen Terrorplot von al- Qaida. Die „Analyse-Tools“(Werkzeuge) für den großenLauschangriff auf das Daten-meer sind komplexe undkostspielige Anlagen.

Um den aus dem NahenOsten eingehenden Telefon-und Internetverkehr auszu-werten, nimmt der BND dieHilfe der NSA in Anspruch.Die Amerikaner stellen denDeutschen zum Beispiel Spe-zial-Tools zur Verfügung, diemit arabischen Suchbegriffenarbeiten. Erhält der US-Dienst im Gegenzug Zugriffauf die Daten? Die Bundes-regierung bestreitet das: EineKooperation gebe es nur inForm von „finished intelli-gence“, von fertigen Geheim-dienstberichten.

Das Verhältnis des deut-schen Auslandsdienstes zur

NSA ist allerdings deutlich enger als öffentlich eingeräumt. In sogenannten„Joint Operations“ gehen die Partner-dienste in klar umgrenzten Einzelfällengemeinsam vor. Die Ziele liegen im Aus-land, zumeist mit Schwerpunkten wieTerrorabwehr und Rüstungslieferungen.

Am Horchposten in Bad Aibling arbei-tet ein NSA-Team eng mit den Geheimendes BND zusammen. Der BND nutzt BadAibling unter anderem, um Thuraya-Sa-tellitentelefone zu überwachen, die vorallem in den entlegenen Regionen Paki -stans und Afghanistans eine Rolle spielen.Die Amerikaner unterstützen die Deut-schen dabei. Ist es wirklich denkbar, dassbei so viel Nähe der eine Partner nichtwusste, was der andere tat?

„Wir haben bislang keine Erkenntnisse,dass Internetknotenpunkte in Deutsch-land durch die NSA ausspioniert wur-den“, sagt der Präsident des Bundesamtsfür Verfassungsschutz (BfV), Hans-GeorgMaaßen. Auch Lauschangriffe der USAauf die Bundesregierung seien ihm nichtbekannt. Eine Projektgruppe unter Lei-tung des BfV-Spitzenbeamten Thomas

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E-Mails und Telefonate aus Krisenländern

kommen in Frankfurt vorbei.

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BND-Zentrale in Berlin: Ohne Amerikaner auf einem Auge blind

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SPIEGEL: Herr Arndt, Sie wurden zu Zei-ten von Kanzler Kurt Georg KiesingerMitglied der G-10-Kommission undschieden in der Ära von GerhardSchröder aus. Haben die Amerikanerin diesen Jahrzehnten die Deutschenflächendeckend abgehört?Arndt: Zunächst haben sich die Ameri-kaner aufgeführt wie eine Besatzungs-macht und jedermann abgehört, densie abhören wollten. Das änderte sicherst 1968 mit dem G-10-Gesetz. Für dasAbhören waren danach deutsche Stel-len zuständig. Die Amerikaner muss-ten beantragen, wenn Bundesnachrich-tendienst oder Verfassungsschutz fürsie lauschen sollte. SPIEGEL: Wie lief das in der Praxis?Arndt: Für die Anschlüsse bestimmterPersonen stellten US-Behörden beimInnenminister einen Antrag. Der lei-tete ihn an uns weiter, und wir habendann zugestimmt oder abgelehnt.SPIEGEL: Wie oft kam eine solche An-frage von US-Behörden?Arndt: Das bewegte sich im zweistelli-gen Bereich pro Jahr. SPIEGEL: Haben Sie auch Anfragen ab-gelehnt?Arndt: Natürlich. Ich erinnere den Kocheines amerikanischen Generals, derbei Gesprächen in der Küche oderbeim Essen angeblich Geheimnisse erfuhr und an die Russen verriet. DerAntrag war so allgemein gehalten, dahaben wir den Amerikanern ausrich-ten lassen: „Mit so etwas dürft ihr unsnicht kommen.“ SPIEGEL: Haben die Amerikaner trotz-dem Anschlüsse selbst überwacht?

Arndt: Nicht in der Bundesrepublik,aber in West-Berlin. Dort haben sichdie Amerikaner bis zum 3. Oktober1990 benommen, als wären sie geradeeinmarschiert. Einmal meldete sich einMitarbeiter der LandespostdirektionBerlin. Ein US-Major hatte Streit mitseiner Freundin und angeordnet, ihregesamte Post mitzulesen und ihre Te-lefonate abzuhören. Dem deutschenBeamten kam das spanisch vor, under wollte wissen, ob er diesen Auftragausführen müsse. Ich habe ihm gesagt:„Es tut mir leid, aber Sie müssen das!“So war die Rechtslage. SPIEGEL: Neben dem Abhören einzel-ner Anschlüsse gab es die sogenanntestrategische Aufklärung. Der Westenwollte während des Kalten Krieges herausfinden, ob ein Angriff drohte. Arndt: Die Amerikaner verlangten, dassder Fernmeldeverkehr, etwa zwischenParis und Prag, angezapft wird, undzwar rund um die Uhr. Zuständig istbei uns der BND. Er muss an einemKnotenpunkt des internationalen Te-lefonnetzes aktiv werden, etwa inHamburg. Da fallen riesige Datenmen-gen an. Zu meiner Zeit ging allein vonHamburg wöchentlich ein Lkw mitAnhänger voller Bänder in die BND-Zentrale nach Pullach. SPIEGEL: Gab der BND die Bänder un-gefiltert weiter?Arndt: Ja, so sollte es zwar nicht sein.Vielmehr sollte der BND vorher kon-trollieren, ob die Bänder Informatio-nen enthielten, deren Weitergabe andie Amerikaner die Interessen derBundesrepublik verletzten. Doch eine

solche Kontrolle war nicht möglich.Die Datenmengen waren zu groß. SPIEGEL: Konnten auch Telefonate vonDeutschen auf den Bändern sein?Arndt: Wenn diese auf der abgehörtenLeitung ins Ausland telefonierten oderauf dieser Leitung aus dem Auslandangerufen wurden.SPIEGEL: Teilten die Amerikaner mit,wonach sie suchten? Arndt: Nein, das hätte uns ja Einblickin die Schwerpunkte ihrer Überwa-chung geben können. Um den Scheinzu wahren, fügten sie eine Begründungvon einer halben Schreibmaschinen-seite bei, dass das Abhören dieser Lei-tung für die Sicherheit ihrer Truppenin der Bundesrepublik wichtig sei. SPIEGEL: Nach BND-Unterlagen über-gab Pullach 1977 rund 10000 G-10-Mel-dungen. War das ungewöhnlich viel?Arndt: Nein, das entsprach in meinerZeit der üblichen Menge. Wobei derBegriff G-10-Meldung irreführend ist.Schon das Abhören einer Leitung, wasja viele Telefonate umfasst, kann da-mit gemeint sein. SPIEGEL: 10000 G-10-Meldungen könn-ten Millionen Telefonate bedeuten?Arndt: Ja, wobei ich nicht glaube, dassdie NSA diese Datenmengen auswer-ten konnte. Da wechseln ständig dieGesprächspartner. Eben sprach manrumänisch, dann deutsch, dann rus-sisch. Ich wünsche allen viel Spaß, dieso etwas auswerten wollen. SPIEGEL: Woher nahmen die Amerika-ner das Recht, hier abhören zu lassen? Arndt: Das resultiert aus dem Zusatz-abkommen zum Nato-Truppenstatutvon 1959. Danach ist die Bundesrepu-blik zur Zusammenarbeit mit den USAzum Schutze von deren Truppen ver-pflichtet. Man muss dazu wissen: Ausamerikanischer Sicht gab es nichts, wasnicht für die Sicherheit ihrer Truppenrelevant war. SPIEGEL: Hätten Sie nicht einfach alleAnträge zur strategischen Aufklärungablehnen können?Arndt: Die Amerikaner sind wild ver-sessen auf Informationen, und die Ame-rikaner sind der Hegemon hier. Es istnicht vorstellbar, dass man sich dieseminnerhalb des Bündnisses verweigert.SPIEGEL: Hat die deutsche Einheit etwasan der Situation verändert?Arndt: Nein.SPIEGEL: Dann ist die Bundesrepubliknur beschränkt souverän? Arndt: Theoretisch sind wir souverän.Die Organe der Bundesrepublik habendas Zusatzabkommen ja gebilligt. Inder Praxis sind wir es nicht.

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„Sie sind der Hegemon hier“Der Ex-Bundestagsabgeordnete Claus Arndt, 86 (SPD),

über seinen früheren Job als Geheimdienstkontrolleur und den Informationshunger der Amerikaner

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Haldenwang soll denSnowden-Hinweisen nunnachgehen.

Am Ende ist es relativ unerheblich, ob der Abflussdeutscher Verbindungsdatennach Amerika aufgeklärtwerden kann oder nicht,denn allzu harsche Kritikmüssen die Amerikaner nichtfürchten. „Wir sind erpress-bar“, sagt ein hochrangigerSicherheitsbeamter, „wenndie NSA ihren Hahn zudreht,sind wir blind.“

Die USA sind eben nichteinfach ein Freund, sie sindein Herrscher, mit dem manbefreundet sein kann odernicht. Dass mit einer Freund-schaft oft auch Herrschaftverbunden sein kann, zeigtder Fall Snowden so klar wiekaum ein anderer. Und inner-halb des Falls Snowden zeigtdie Odyssee von Evo Moralesbesonders deutlich, wie dieHerrschaftsverhältnisse sind.

Die Reise des boliviani-schen Präsidenten gehört zuden bizarrsten Vorgängen derWeltpolitik. Sie kann nochnicht zu Ende erzählt wer-den, es gibt Lücken, es gibtwidersprüchliche Aussagen,aber all das hätte wohl nichtgeschehen können, wennnicht einige europäische Politiker eine Menge Angstvor den Amerikanern hätten.

Am 28. Juni genehmigtenportugiesische Behörden ei-nen Reiseplan für eine „Dassault Falcon900EX“ der bolivianischen Luftwaffe.Das Flugzeug von Morales sollte bei sei-ner Reise nach Moskau auf dem Hin- unddem Rückweg einen Zwischenstopp inLissabon einlegen, um zu tanken. Aufdem Hinweg ging alles glatt. Am 1. Juliallerdings schickten die Portugiesen um16.28 Uhr einen Widerruf an die Bolivia-ner: Kein Zwischenstopp auf dem Rück-flug, „aus technischen Gründen“, heißtes in einer Darstellung des portugiesi-schen Außenministeriums. Um 19.19 Uhrsei das Ersuchen der Bolivianer einge-troffen, das Verbot näher zu erläutern.Um 21.10 Uhr habe man geantwortet:Dem Überflug des portugiesischen Ter-rains stehe nichts im Wege, nur eine Lan-dung in Lissabon sei nicht möglich. Wasdiese technischen Hindernisse gewesensein sollen, wollte das Ministerium bis-lang nicht erläutern.

Die Bolivianer hätten insistiert, ohneErfolg. Das Ministerium „bedaure die Unannehmlichkeiten“, habe aber keineSchuld, da „die bolivianischen Stellen fast24 Stunden lang nicht bereit waren, eine

alternative Route in Betracht zu ziehen,und auf einem Vorgehen bestanden, dasdie portugiesische Souveränität verletzthätte“.

Selbst schuld also? Am Nachmittag des2. Juli haben die Bolivianer in Madridangefragt, ob sie spanisches Hoheitsge-biet überfliegen dürften, um einen Tank-stopp in Las Palmas auf Gran Canariaeinzulegen. Das sagt das spanische Au-ßenministerium auf Anfrage. Sofort habeman beides genehmigt. Die Bolivianerhätten sich dafür bedankt.

Am 2. Juli hob Morales’ Maschine ge-gen 20.35 Uhr in Moskau ab, Ziel alsonun: Las Palmas. Doch eine Dreiviertel-stunde bevor der Flieger auf dem Wegnach Las Palmas französischen Luftraumerreichte, verwehrten die Franzosen denÜberflug.

Präsident François Hollande sagte amfolgenden Tag: „Es gab widersprüchlicheAngaben über die Passagiere an Bord.Sobald ich erfuhr, dass es sich um die Maschine des bolivianischen Präsidentenhandelt, habe ich sofort die Erlaubniszum Überflug erteilt.“

Ein anonymer Diplomaterklärte in der Zeitung „LeMonde“: „Wir haben nieauch nur einen Moment langgedacht, Snowden könnte indem Flugzeug sein.“ DieFranzosen behaupten nun, eshabe sich um ein Miss -verständnis gehandelt. Diezuständige Behörde habefälschlicherweise geglaubt,zwei „Falcons“ seien auf demWeg in den französischenLuftraum, doch nur eines derFlugzeuge habe eine Geneh-migung gehabt. Aus techni-schen Gründen sei dann eineder beiden Maschinen ge-stoppt worden, ohne dass jemand gewusst habe, dassMorales an Bord sei.

Hollandes Genehmigungkam spät in der Nacht, zuspät für Boliviens Staatschef.Da das Flugzeug offenbarauch Italien nicht überfliegendurfte, fragte die Crew gegen21 Uhr in Wien nach einerLandeerlaubnis. Der Pilotsagte dem Lotsen: „Wir müs-sen landen, weil wir keinekorrekte Anzeige des Treib-stoffstands bekommen. AlsVorsichtsmaßnahme müssenwir landen.“ Die Erlaubniskam bald, die „Falcon“ wen-dete über Obertauern um 180Grad. Gegen 22 Uhr war Mo-rales in Wien.

Dort saß er über 13 Stun-den lang auf dem Flughafenfest. Nach Angaben der

bolivianischen Regierung verweigerteMorales zunächst eine Durchsuchung desFlugzeugs, die Beamten durften es aberschließlich doch betreten. Die Pässe allerInsassen wurden überprüft. Morales habeden Behörden versichert, dass Snowdennicht an Bord sei. Seiner argentinischenKollegin Cristina Fernández de Kirchnersagte er am Telefon, eine Durchsuchunglasse er nicht zu, „ich bin doch keinDieb“.

Vor allem die Spanier bemühten sich,die Krise zu lösen, verhandelten mit denBolivianern, aber auch mit europäischenStaaten. Der spanische Botschafter inWien sprach bei Morales vor, der in derVIP-Zone des Flughafens Schwechat auf-gehalten wurde. Morales erzählte später,der spanische Botschafter habe ihm vor-geschlagen, einen Kaffee in der „Falcon“zu trinken – wohl um zu kontrollieren,ob Snowden an Bord versteckt werde.

„Es stimmt nicht, dass Spanien um Er-laubnis gebeten hat, das Flugzeug zu un-tersuchen“, widersprach ihm SpaniensAußenminister José Manuel García-Mar-gallo in Madrid. Später räumte er ein,

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Netzwerkverteiler in Frankfurt am Main: Unerschöpfliche Quelle

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man habe ihm gesagt, Snowden sei anBord der „Falcon“. Wer das gesagt hat?„Geheim.“ Das ist ein Wort, hinter demman manches verstecken kann.

Auf Anfrage der Bolivianer erneuertendie Spanier die Landegenehmigung fürLas Palmas. Um 11.30 Uhr am 3. Juli star-tete das Flugzeug in Wien. Um 23.30 UhrOrtszeit kletterte der erschöpfte undübermüdete Präsident schließlich daheimaus seinem Jet. Morales sagte: „Das Flug-zeug eines Präsidenten ist wie eine flie-gende Botschaft. Wenn man es festhältoder umleitet, ist das wie ein Attentat.Es war nicht nur ein Attentat auf unserLand, sondern auf ganz Lateinamerika.“

Von Venezuela bis Feuerland ging einAufschrei durch den Kontinent. „Wirdachten, der Kolonialismus sei überwun-den“, ätzte Argentiniens Präsidentin. Voneinem „Angriff auf ganz Lateinamerika“sprach Ecuadors Präsident Rafael Correa.Die Brasilianerin Dilma Rousseff kritisier-te das Vorgehen der Europäer als „schwer-wiegenden Verstoß gegen das internatio-nale Recht“, der die Verhandlungen überein Freihandelsabkommen mit der Euro-päischen Union gefährden würde.

Auch Ecuadors Präsident Correa hatin dieser Krise erst einmal großspurig rea-giert. Als der demokratische US-SenatorBob Menendez drohte, Zollvergünsti -gungen zu blockieren, wenn EcuadorSnowden Asyl gewähren würde, kündigteCorrea das Abkommen: „Wir lassen unsnicht einschüchtern.“

Wenige Tage später ruderte er zurück.Obamas Vize Joe Biden hatte ihn ange-rufen und gewarnt, dass sich die Bezie-hungen zwischen Washington und Quito„stark verschlechtern“ würden, wenn

Ecuador Snowden Zuflucht gewähre. Dashalbstündige Telefongespräch sei „herz-lich und respektvoll“ gewesen, versicher-te Correa. Er werde Washington selbst-verständlich konsultieren, bevor er eineEntscheidung treffe.

Das Doppelspiel ist typisch für die Hal-tung der meisten südamerikanischen Prä-sidenten: Sie nutzen das Tauziehen umSnowden, um sich vor ihren Anhängernals tapfere Kämpfer gegen die Gringoszu profilieren. Doch in Wirklichkeit sitztWashington am längeren Hebel.

Ecuador ist wirtschaftlich abhängig vonden Amerikanern, Landeswährung ist derUS-Dollar. Washington könnte das kleineLand in den Ruin zwingen.

Da ist man in Quito nicht besondersscharf auf einen weiteren Staatsfeind derUSA. Julian Assange, der Gründer derEnthüllungsplattform WikiLeaks, hat in

der ecuadorianischen Botschaft in Lon-don Zuflucht gesucht und lebt dort seitüber einem Jahr aus Angst, von den Bri-ten an die Schweden und von den Schwe-den an die Amerikaner ausgeliefert zuwerden.

Nun jagt Washington schon zwei Auf-klärer des Internetzeitalters. Jeder Tag,den Edward Snowden im Transitbereichdes Moskauer Flughafens Scheremetjewoverbringt, jeder Fluchtweg, der ihm ver-baut wird, ist ein kleiner Sieg für die ame-rikanische Diplomatie. Die Zahl der Tage,die seit seiner Ankunft in Russland ver-gangen sind, wird auch zum Maß für den

Einfluss, den Amerika, die bloßgestellteSupermacht, trotz aller Empörung in derWelt noch immer hat.

20 Asylanträge hat Snowden bisher ge-stellt, mindestens 13 davon sind bereitsskeptisch sondiert oder abgelehnt worden,unter anderem von Deutschland, Spanienund Polen. In der Nacht zum vergangenenSamstag hieß es aus Nicaragua, man kön-ne Snowden Asyl geben – wenn die Um-stände das zuließen. Kurz danach sagteVenezuelas Präsident Nicolás Maduro, erwolle Snowden Asyl anbieten.

Mit Genugtuung nehmen die Ameri-kaner zur Kenntnis, dass immerhin Russlands Präsident Wladimir Putin dieMöglichkeit eines Asyls nur unter harten Bedingungen erwägen würde. „EdwardSnowden ist eine heiße Kartoffel“, trium-phiert Philip Crowley, Sprecher der ehe-maligen Außenministerin Hillary Clinton.Niemand wolle ihn aufnehmen: „Wenndie Musik ausgeht, will ihn kein Land aufseinem Schoß sitzen haben.“

Nachdem die Regierung Obama zu-nächst auf öffentliche Einschüchterungsetzte, entschärfte sie den Ton und hofftnun offenbar auf Diplomatie. „Ich werdekeine Jets schicken“, um einen Hackerzu fassen, versicherte Obama, aber dasheißt nicht, dass nun Milde gilt fürSnowden, der gerade 30 geworden ist.„Öffentlich versucht die Regierung, dieSache herunterzuspielen“, sagt der ehe-malige Direktor der Nationalen Geheim-dienste, Dennis Blair, „aber unterhalb derWasseroberfläche paddelt die Ente wiewild.“ Jeder soll wissen, dass ein FreundSnowdens kein Freund der USA seinkann.

Obamas Leute fürchten, dass die Ent-hüllungen immer weitergehen – über vie-le Wochen. Snowden, so viel ist mittler-weile klar, hat ein großes Archiv mitge-nommen: nicht nur eine Festplatte voll,sondern gleich mehrere. Das Material,aus dem die bislang durch „Guardian“und SPIEGEL publizierten Geschichtenstammen, umfasst nur einen Teil davon.

Weitere spektakuläre Veröffentli -chungen würden aus Sicht der Ameri -kaner dauerhaften Flurschaden anrichten– zumal Snowdens Material mutmaßlichin Teilen nicht nur an die Öffentlich-keit, sondern womöglich auch in die Hände der Chinesen und Russen gelangtist.

Die chinesische Regierung, heißt es imUmfeld des Weißen Hauses, habe bereitssignalisiert, dass sie eine Kopie des Ge-heimdienst-Schatzes besitze – vermutlichohne Snowdens aktives Zutun, der sichausdrücklich nicht als Überläufer gerierenwollte und nicht die Regierung eines an-

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Obamas Leute fürchten, dass die

Enthüllungen immer weitergehen.

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Boliviens Präsident Morales in Wien: „Angriff auf ganz Lateinamerika“

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deren Landes als Adressat suchte, son-dern die kritische Öffentlichkeit.

Zugleich sollen die Chinesen in Wa-shington aber auch versprochen haben,dass sie nicht Teile der NSA-Dokumenteoder gar den gesamten Bestand publizie-ren. Selbst unter Rivalen wie China, Russ-land und den USA gibt es eine Art Kodex,Streitfälle aus der Welt der Geheimdienstenur im Ausnahmefall vor den Augen derWeltöffentlichkeit auszutragen. Jede Re-gierung weiß, dass sie in eine ähnliche Si-tuation geraten kann. Dazu kommt, dassdie Geheimdienste ihr Wissen lieber fürsich behalten, als es auf dem Nachrichten-basar zu präsentieren. Die Chinesen wer-den die Dokumente genüsslich auswertenund dann still ihre Schlüsse daraus ziehen.

Selbst für Putin gilt dieser Kodex. Seineöffentliche Warnung, Snowden müsse da-mit aufhören, den USA Schaden zuzufü-gen, wird in Washington als Signal inter-pretiert, dass die Russen ebenfalls keinInteresse daran haben, die Praktiken derNSA öffentlich zu sezieren.

In Wladimir Putins Brust schlagen imFall Snowden wohl zwei Herzen. Einer-seits sieht der ehemalige KGB-Auslands-aufklärer im flüchtigen Amerikaner einenverachtenswerten Verräter, noch dazu ei-nen unberechenbaren Querkopf, der mitseiner Rebellion gegen staatliche Über-wachung auch zur Symbolfigur für Russ-lands Anti-Putin-Opposition taugen wür-de. Andererseits fiel Putin mit Snowdenein Werkzeug in den Schoß, Amerikaeins auszuwischen. Endlich einmal stehtWashington und nicht Moskau am Pran-ger der westlichen Öffentlichkeit.

Hinter den Kulissen und fern derSchlagzeilen der Kreml-treuen Presseaber arbeitet Putin immer wieder prag-matisch mit Amerika zusammen: So fä-delte Russlands starker Mann über einenVertrauten die Milliardenallianz des rus-sischen Ölgiganten Rosneft mit dem ame-rikanischen ExxonMobil-Konzern ein.Seit 2009 sind mehr als 400000 amerika-nische Soldaten und Armeeangestellteüber russisches Territorium nach Afgha-nistan gebracht worden. Auch Russlandmag nicht alle Brücken zum mächtigstenLand der Welt abbrechen.

Der Kreml scheint sich deshalb für einDoppelspiel entschieden zu haben: Russ-land liefert Snowden nicht an Amerikaaus und betont, dass der flüchtige Com-puterexperte sich ja gar nicht auf russi-schem Territorium, sondern nur in derTransitzone des Flughafens aufhalte.Auch der russische Geheimdienst habemit dem Mann keinen Kontakt, seine Informationen seien am Ende gar nichtso viel wert. „Das ist, wie ein Schweinzu scheren“, mit diesen Worten spieltePutin Snowdens Wissen herunter: „vielGequieke, aber wenig Wolle.“

Gleichwohl dürfte es ein russisches In-teresse an seinen Laptops geben. Je län-

ger sich Snowden am Flughafen aufhält,desto größer ist die Chance, dass MoskausGeheimdienst-Hacker sich Zugang ver-schaffen, selbst wenn Snowdens Rechnergut gesichert sind. Er muss auch malschlafen, seine Situation dürfte ihn all-mählich zermürben.

Wäre es da nicht ein menschliches Ge-bot, ihn aus seiner Lage zu befreien, zumBeispiel durch Asyl in der Bundesrepu-blik?

Schon morgen könnte Snowden vorder Tür stehen. Eine Ausreise aus Russ-land muss nicht an seinem ungültigenReisepass scheitern. Die Russen könntenihn auch so ziehen lassen.

Mit einem Stempel und einer Unter-schrift könnte der Flüchtling in das nächs-te Flugzeug nach Berlin steigen und beider Ankunft Asyl beantragen. Zwarkönnten ihn die deutschen Grenzwächter„zurückweisen“, aber das müssten sienicht tun. Wahrscheinlicher wäre, dasssie Snowden sofort in Gewahrsam näh-men, weil die USA ein Festnahmeersu-chen geschickt haben.

Spätestens dann könnte die Bundesre-gierung eingreifen und den Mann alswichtigen Staatsgast gut bewacht in ei-nem ordentlichen Hotel einquartieren.So oder so würde ein Gericht zu prüfenbeginnen, ob dem Antrag der Amerika-ner, Snowden auszuliefern, entsprochenwerden kann.

Erfahrene Richter, die sich regelmäßigmit solchen Angelegenheiten beschäfti-gen, sind fast sicher, dass das Ausliefe-rungsbegehren als unzulässig abzulehnenwäre. Denn das deutsch-amerikanischeAuslieferungsabkommen verbietet eineÜberstellung wegen politischer Strafta-

ten. Und Landesverrat gelte, so NikolaosGazeas, Fachmann für internationalesStrafrecht an der Uni Köln, zumindest inder deutschen Sicht als politische Straftat.

Wenn die US-Verfolger, was wahr-scheinlich wäre, ihr Auslieferungsbegeh-ren hinter unpolitischen Vorwürfen zuverbergen suchten, würde ihnen auch dasnicht helfen. Wenn „ernstliche Gründe“zu dem Verdacht Anlass gäben, dass esim Kern um eine politische Straftat gehe,so heißt es im Auslieferungsabkommen,sei auch dies ein Auslieferungshindernis.

Es gäbe also in Wahrheit einen Weg,Edward Snowden nach Deutschland zuholen und hierbleiben zu lassen. Manmüsste es wollen, man müsste bereit sein,den Zorn der Amerikaner in Kauf zu neh-men.

Aber das ist man nicht. Realpolitikheißt jetzt, vor den Amerikanern zu ku-schen. Deutschland ist eben abhängig, po-litisch und wirtschaftlich von den Ameri-kanern, wirtschaftlich von den Chinesen,die deshalb beim Thema Menschenrechtekaum noch Widerspruch aus Berlin hören.Deutschland ist ein Land, das sich nichtstraut. Der Fall Snowden zeigt auch, dassDeutschland ein Zwerg des Weltgesche-hens ist. S!"# B"$%"&, T'()*+ D*&#+,-.,,

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Partner Obama, Merkel in Berlin: Der Westen macht sich lächerlich durch Unterwürfigkeit

Video: Clemens Höges über

den Fall Edward Snowden

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Page 10: Der spiegel 28-2013_-_nur_der_snowden_und_nsa_part

Kurz bevor Edward Snowden zumweltweit bekannten Whistleblo-wer wurde, beantwortete er einen

umfangreichen Katalog von Fragen. Siestammten unter anderem von Jacob Ap-pelbaum, 30, einem Entwickler von Ver-schlüsselungs- und Sicherheitssoftware.Appelbaum unterweist internationaleMenschenrechtsgruppen und Journalis-ten im sicheren und anonymen Umgangmit dem Internet.

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er2010 bekannt, als er den WikiLeaks-Grün-der Julian Assange als Redner bei einerHacker-Konferenz in New York vertrat.Zusammen mit Assange und weiteren Co-Autoren veröffentlichte er unlängst denGesprächsband „Cypherpunks: UnsereFreiheit und die Zukunft des Internets“.

Im Zuge der Ermittlungen rund um dieWikiLeaks-Enthüllungen ist Appelbaumins Visier amerikanischer Behörden ge-raten, die Unternehmen wie Twitter undGoogle aufgefordert haben, seine Kontenpreiszugeben. Er selbst bezeichnet seineHaltung zu WikiLeaks als „ambivalent“– und beschreibt im Folgenden, wie erdazu kam, Fragen an Snowden stellen zukönnen:Mitte Mai hat mich die Dokumentarfil-merin Laura Poitras kontaktiert. Sie sag-te mir zu diesem Zeitpunkt, sie sei inKontakt mit einer anonymen NSA-Quel-le, die eingewilligt habe, von ihr inter-viewt zu werden.Sie stellte dafür gerade Fragen zusam-men und bot mir an, selbst Fragen bei-zusteuern. Es ging unter anderem darum

festzustellen, ob es sich wirklich um ei-nen NSA-Whistleblower handelt. Wirschickten unsere Fragen über verschlüs-selte E-Mails. Ich wusste nicht, dass derGesprächspartner Edward Snowden war– bis er sich in Hongkong der Öffentlich-keit offenbarte. Er wusste auch nicht,wer ich war. Ich hatte damit gerechnet,dass es sich um jemanden in den Sechzi-gern handeln würde.Das Folgende ist ein Auszug aus einemumfangreicheren Interview, das nochweitere Punkte behandelte, viele davonsind technischer Natur. Einige der Fragenerscheinen jetzt in anderer Reihenfolge,damit sie im Zusammenhang verständ-lich sind. Bei dem Gespräch ging es fast ausschließ-lich um die Aktivitäten der National

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Plakat von Snowden-Unterstützern in Hongkong

„Als Zielobjekt markiert“Der Enthüller Edward Snowden über die geheime Macht der NSA

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Security Agency und um ihre Fähig -keiten. Es ist wichtig zu wissen, dass die-se Fragen nicht im Zusammenhang mitden Ereignissen der vergangenen Wocheoder des vergangenen Monats gestelltwurden. Sie wurden in einer Zeit totalerRuhe gestellt, als Snowden noch auf Ha-waii war.Ich hatte zu einem späteren Zeitpunktnoch einmal direkten Kontakt mitSnowden, an dem ich auch meine eigeneIdentität offenbarte. Er hat mir damalsdie Einwilligung gegeben, seine Aussagenzu veröffentlichen.

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Frage: Was ist die Aufgabe der NationalSecurity Agency (NSA) – und wie ist de-ren Job mit den Gesetzen in Überein-stimmung zu bringen?Snowden: Aufgabe der NSA ist es, von al-lem Wichtigen zu wissen, das außerhalbder Vereinigten Staaten passiert. Das isteine beträchtliche Aufgabe, und den Leu-ten dort wird vermittelt, dass es eine exis-tentielle Krise bedeuten kann, nicht allesüber jeden zu wissen. Und dann glaubtman irgendwann, dass es schon in Ord-nung ist, sich die Regeln etwas hinzubie-gen. Und wenn die Menschen einen danndafür hassen, dass man die Regeln ver-biegt, wird es auf einmal überlebenswich-tig, sie sogar zu brechen.Frage: Sind deutsche Behörden oder deut-sche Politiker in das Überwachungssys-tem verwickelt?Snowden: Ja natürlich. Die (NSA-Leute –Red.) stecken unter einer Deckemit den Deutschen, genauso wie mit denmeisten anderen westlichen Staaten. Wir(im US-Geheimdienstapparat –Red.) war-nen die anderen, wenn jemand, den wirpacken wollen, einen ihrer Flughäfen be-nutzt – und die liefern ihn uns dann aus.Die Informationen dafür können wir zumBeispiel aus dem überwachten Handy derFreundin eines verdächtigen Hackers ge-zogen haben, die es in einem ganz ande-ren Land benutzt hat, das mit der Sachenichts zu tun hat. Die anderen Behördenfragen uns nicht, woher wir die Hinweisehaben, und wir fragen sie nach nichts. Sokönnen sie ihr politisches Führungsper-sonal vor dem Backlash (deutsch etwa:Rückschlag –Red.) schützen, falls heraus-kommen sollte, wie massiv weltweit diePrivatsphäre von Menschen missachtetwird.Frage: Aber wenn jetzt Details dieses Sys-tems enthüllt werden, wer wird dafür vorGericht gestellt werden?Snowden: Vor US-Gerichte? Das meinenSie doch nicht ernst, oder? Als der letztegroße Abhörskandal untersucht wurde –das Abhören ohne richterlichen Be-schluss, das Abermillionen von Kommu-nikationsvorgängen betraf – hätte das ei-gentlich zu den längsten Haftstrafen derWeltgeschichte führen müssen. Aber

dann haben unsere höchsten Vertreterdie Untersuchung einfach gestoppt. DieFrage, wer theoretisch angeklagt werdenkönnte, ist hinfällig, wenn die Gesetzenicht respektiert werden. Gesetze sindgedacht für Leute wie Sie oder mich –nicht aber für die.Frage: Kooperiert die NSA mit anderenStaaten wie Israel?Snowden: Ja, die ganze Zeit. Die NSA hateine große Abteilung dafür, sie heißt FAD– Foreign Affairs Directorate.Frage: Hat die NSA geholfen, Stuxnet zuprogrammieren? (Jenes Schadprogramm,das gegen iranische Atomanlagen einge-setzt wurde –Red.)Snowden: Die NSA und Israel haben Stux-net zusammen geschrieben.Frage: Welche großen Überwachungspro-gramme sind heute aktiv, und wie helfeninternationale Partner der NSA?

Snowden: Die Partner bei den „Five Eyes“(dahinter verbergen sich die Geheim-dienste der Amerikaner, der Briten, derAustralier, der Neuseeländer und der Ka-nadier –Red.) gehen manchmal weiter alsdie NSA-Leute selbst. Nehmen wir dasTempora-Programm des britischen Ge-heimdienstes GCHQ. Tempora ist der ers-te „Ich speichere alles“-Ansatz („Fulltake“) in der Geheimdienstwelt. Es saugtalle Daten auf, egal worum es geht undwelche Rechte dadurch verletzt werden.Dieser Zwischenspeicher macht nachträg-liche Überwachung möglich, ihm entgehtkein einziges Bit. Jetzt im Moment kanner den Datenverkehr von drei Tagen spei-chern, aber das wird noch optimiert. Drei

Tage, das mag vielleicht nicht nach vielklingen, aber es geht eben nicht nur umVerbindungsdaten. „Full take“ heißt, dassder Speicher alles aufnimmt. Wenn Sieein Datenpaket verschicken und wenndas seinen Weg durch Großbritanniennimmt, werden wir es kriegen. Wenn Sieirgendetwas herunterladen, und der Ser-ver steht in Großbritannien, dann werdenwir es kriegen. Und wenn die Daten Ihrerkranken Tochter in einem Londoner CallCenter verarbeitet werden, dann … Ach,ich glaube, Sie haben verstanden.Frage: Kann man dem entgehen?Snowden: Na ja, wenn man die Wahl hat,sollte man niemals Informationen durchbritische Leitungen oder über britische Ser-ver schicken. Sogar Selfies (meist mit demHandy fotografierte Selbstporträts –Red.)der Königin für ihre Bademeister würdenmitgeschnitten, wenn es sie gäbe.

Frage: Arbeiten die NSA und ihre Partnermit einer Art Schleppnetz-Methode, umTelefonate, Texte und Daten abzufangen?Snowden: Ja, aber wie viel sie mitschnei-den können, hängt von den Möglichkei-ten der jeweiligen Anzapfstellen ab. Esgibt Daten, die für ergiebiger gehaltenwerden und deshalb häufiger mitgeschnit-ten werden können. Aber all das ist eherein Problem bei ausländischen Anzapf-Knotenpunkten, weniger bei US-ameri-kanischen. Das macht die Überwachungauf eigenem Gebiet so erschreckend. DieMöglichkeiten der NSA sind praktischgrenzenlos – was die Rechenleistung an-geht, was den Platz oder die Kühlkapa-zitäten für die Computer angeht.

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Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad in Atomanlage 2008: Schadprogramm von der NSA

„Tempora saugt alle Daten auf –

egal worum es geht.“

Page 12: Der spiegel 28-2013_-_nur_der_snowden_und_nsa_part

Frage: Die NSA baut ein neues Datenzen-trum in Utah. Wozu dient es?Snowden: Das sind die neuen Massenda-tenspeicher.Frage: Für wie lange werden die gesam-melten Daten aufbewahrt?Snowden: Jetzt im Moment ist es noch so,dass im Volltext gesammeltes Materialsehr schnell altert, innerhalb von ein paarTagen, vor allem durch seine gewaltigeMasse. Es sei denn, ein Analytiker mar-kiert ein Ziel oder eine bestimmte Kom-munikation. In dem Fall wird die Kom-munikation bis in alle Ewigkeit gespei-chert, eine Berechtigung dafür bekommtman immer. Die Metadaten (also Verbin-dungsdaten, die verraten, wer wann mitwem kommuniziert hat –Red.) altern we-niger schnell. Die NSA will, dass wenigs-tens alle Metadaten für immer gespei-chert werden können. Meistens sind dieMetadaten wertvoller als der Inhalt derKommunikation. Denn in den meistenFällen kann man den Inhalt wiederbesor-gen, wenn man die Metadaten hat. Undfalls nicht, kann man alle künftige Kom-munikation, die zu diesen Metadatenpasst und einen interessiert, so markie-ren, dass sie komplett aufgezeichnet wird.Die Metadaten sagen einem, was manvom breiten Datenstrom tatsächlich ha-ben will.

Frage: Helfen Privatunternehmen derNSA?Snowden: Ja. Aber es ist schwer, das nach-zuweisen. Die Namen der kooperie -renden Telekom-Firmen sind die Kron-juwelen der NSA … Generell kann man sagen, dass man multinationalen Kon-zernen mit Sitz in den USA nicht trauensollte, bis sie das Gegenteil bewiesen ha-ben. Das ist bedauerlich, denn diese Un-ternehmen hätten die Fähigkeiten, denweltweit besten und zuverlässigsten Ser-vice zu liefern – wenn sie es denn woll-ten. Um das zu erleichtern, sollten Bür-gerrechtsbewegungen diese Enthüllun-gen jetzt nutzen, um sie anzutreiben. DieUnternehmen sollten einklagbare Klau-seln in ihre Nutzungsbedingungen schrei-ben, die ihren Kunden garantieren, dasssie nicht ausspioniert werden. Und siemüssen technische Sicherungen einbau-en. Wenn man auch nur eine einzige Firma zu so etwas bewegen könnte, wür-de das die Sicherheit der weltweitenKommunikation verbessern. Und wenndas nicht zu schaffen ist, sollte man sichüberlegen, selbst eine solche Firma zugründen.Frage: Gibt es Unternehmen, die sich wei-gern, mit der NSA zu kooperieren?Snowden: Ja, aber ich weiß nichts von ei-ner entsprechenden Liste. Es würde je-

doch sicher mehr Firmen dieser Art ge-ben, wenn die kollaborierenden Konzer-ne von den Kunden abgestraft würden.Das sollte höchste Priorität aller Com-puternutzer sein, die an die Freiheit derGedanken glauben.Frage: Vor welchen Websites sollte mansich hüten, wenn man nicht ins Visier derNSA geraten will?Snowden: Normalerweise wird man auf-grund etwa des Facebook-Profils oderder eigenen E-Mails als Zielobjekt mar-kiert. Der einzige Ort, von dem ich persönlich weiß, dass man ohne diese spezifische Markierung zum Ziel wer -den kann, sind die Foren von Dschiha-disten.Frage: Was passiert, wenn die NSA einenNutzer im Visier hat?Snowden: Die Zielperson wird komplettüberwacht. Ein Analytiker wird täglicheinen Report über das bekommen, wassich im Computersystem der Zielpersongeändert hat. Es wird auch … Pakete jener Daten geben, die die automati-schen Analysesysteme nicht verstandenhaben, und so weiter. Der Analytikerkann entscheiden, was er tun will – derComputer der Zielperson gehört nichtmehr ihr, er gehört dann quasi der US-Regierung. J!"#$ A%%&'$!(),

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„Wir sind alle verwundbar“Der US-Aktivist und „Cypherpunk“ Jacob Appelbaum über die Enthüllungen

von Edward Snowden – und was sie bedeuten

Vor den Veröffentlichungen vonGlenn Greenwald, Laura Poitrasund Barton Gellman, in denen sie

Edward Snowdens Enthüllungen über dieVerstöße gegen Menschenrechte detail-liert darlegten, wusste die Öffentlichkeitnur sehr wenig über die dunkle Realitätder weltweiten Überwachung.

Einen Vorläufer dessen, was wir geradeerleben, gab es in den USA mit dem Se-nator Frank Church in den siebziger Jah-re des vorigen Jahrhunderts. Er stieß da-mals eine intensive Debatte um schwerenMachtmissbrauch bei Geheimdienstenund bei der Bundespolizei an. DerChurch-Ausschuss untersuchte die Akti-vitäten der Central Intelligence Agency(CIA), der National Security Agency(NSA) und des Federal Bureau of Investi-gation (FBI).

Senator Church warnte damals dasamerikanische Volk und die Welt vor der Macht der NSA. Er sagte, diese Be-

hörde würde es einem Diktator ermögli-chen, ein System totaler Tyrannei zu er-richten, gegen das niemand ankämpfenkönnte. Damals war es allerdings nochunvorstellbar, dass einige wenige Staatenmit der Hilfe privater Firmen irgend-wann in der Lage sein könnten, gegen

alle demokratischen Spielregeln ein Netz an nähernd globaler Überwachungauf zubauen. Und das ist eben keine Ver schwörungstheorie, sondern ein Ge-schäftsmodell.

Diejenigen, die das wussten oder diees zumindest ahnten, aber auch dieje -nigen, die dafür sorgen wollten, dass die-ses Thema offen diskutiert wird, wurdenin den vergangenen Jahren weitgehendignoriert oder als Paranoiker bezeichnet.

Aber es gab sie, und es gab sogar zuviele, als dass man sie alle nennen könnte.Gruppen wie die Electronic FrontierFoundation oder die American Civil Li-berties Union sind längst nicht allen be-kannt. Auch Einzelkämpfer wie MarkKlein, der eine Abhöranlage in einer Ein-richtung des Telefonriesen AT&T ent-deckt hatte, kennen nur wenige. Die In-formationen, die Klein enthüllte, wurdenheruntergespielt, dabei waren sie einwichtiges Beispiel für das umfassende

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Chiffrier-Experte Appelbaum

„Bestätigung von ganz oben“

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Spionageprogramm der NSA. Auch an-dere Whistleblower, die als NSA-Ange-stellte Geheimnisse ihrer Behörde offen-gelegt haben, wie Thomas Drake und William Binney, werden durch die neuenEnthüllungen jetzt bestätigt – allerdingsnur indirekt und widerwillig.

Denn die Bestätigung kommt von ganzoben, von Präsident Barack Obamaselbst. Er rechtfertigte die Überwachung,indem er alle Menschen als potentielleGefahrenquellen darstellte, die keinenUS-amerikanischen Pass besitzen odernicht das Glück haben, auf US-amerika-nischem Boden zu leben. Eine Bestäti-gung kommt aber auch ausgerechnet vonjenem Justizministerium, das so hart daran arbeitet, amerikanische Whistle-blower zu verfolgen.

Dieses Justizministerium schreckt nichtdavor zurück, die Existenz von Menschenzu bedrohen, die es gewagt haben, gehei-me Gesetze und die absolute Straflosig-keit für die Ausführenden solcher Geset-ze anzuprangern.

Etwa die Existenz von Leuten wie demehemaligen CIA-Mann John Kiriakou,der es gewagt hat, das sogenannte Wa-terboarding aufzudecken, die Foltertech-nik des Dienstes – und der heute der Ein-

zige ist, der wegen dieser Folterpraktikenim Gefängnis sitzt. Er wurde inhaftiert,weil er die Wahrheit enthüllt hat, wäh-rend es scheint, dass nicht ein einzigerAgent für seine Beteiligung an diesenFolter programmen verurteilt wurde.

Es gibt einen Zusammenhang zwischensolchen Praktiken und den Überwa-chungsprogrammen, der nur wegen derabsoluten Geheimhaltung dieser Vorgän-ge verborgen bleibt. Die illegalen, verfas-sungswidrigen und unmoralischen Hand-lungsweisen jener beinahe weltweit ope-rierenden Dienste geschehen ja nicht imluftleeren Raum. Genauso wenig, wie sieauf der Basis demokratischer Prinzipiengeschehen.

Diejenigen, die keine direkten Verbin-dungen zur NSA haben, wie beispielswei-

se ich, wie der WikiLeaks-Gründer JulianAssange und andere aus der Cypherpunk-Bewegung wurden mit der Begründungverleumdet, uns fehle schlicht der Bezugzur Realität. Die angeprangerten Verstö-ße gehörten, so hieß es, vielleicht in Nord-korea zur Realität, in Burma oder im au-toritären, kommunistischen China – aberdoch nicht im freien Westen. Selbst wenndieser freie Westen genau jenen autoritä-ren Regimen die technologische Ausrüs-

tung lieferte, die damit dann ihre kontrol-lierten Gesellschaften schufen, ausbautenund absicherten.

Während der Westen also in der Öf-fentlichkeit die totale Kontrolle über eineGesellschaft verurteilt, haben wir es ge-schafft, ein umfassendes Überwachungs-system zu etablieren und zugleich vonder Warte der moralischen Überlegenheitaus zu argumentieren. Diese moralischeÜberlegenheit mag hart erkämpft wordensein, doch nun wird sie zum Gegenstandöffentlichen Spotts, weil die EnthüllungenEdward Snowdens das Ausmaß der Über-wachung eines jeden gewöhnlichen Bür-gers offenlegen.

Die Massenüberwachung von Mailsruft Bilder von dampfenden Kesseln undvon Geheimpolizisten hervor, die übersolchen Kesseln unermüdlich Briefe öff-nen. Zu Recht oder zu Unrecht hat eingroßer Teil der Weltbevölkerung gedacht,solche Zeiten lägen hinter uns. Schließ -lich haben wir nicht für einen scheinbarallumfassenden Überwachungsstaat ge-stimmt und würden auch nicht dafür stimmen. Und ganz sicher nicht für einen,der im Geheimen operiert, in dem auch US-Bürger kaum eine Möglichkeit haben,irgendjemanden zur Verantwortung zuziehen.

Wenn wir über das sogenannte „legaleAbhören“ nachdenken, nehmen wir ver-nünftiger- oder unvernünftigerweise an,dass nur unsere Gerichte befugt wären,

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„Verschlüsselungs-Software kann uns helfen,

eine Schleppnetzsuche zu verhindern.“

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Bildschirm mit Snowden im Moskauer Flughafen: „Heute zieht beinahe jeder eine Datenspur hinter sich her, die manipuliert werden kann“

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Lichtwellenleiter

Ummantelungaus Polyethylen

verdrillteStahlseile

Wasserbarriereaus Aluminium

Paraffin

Freund hört mit Methoden zum Abhören von Glasfasernetzen

SpleißenDie Glasfasern werden mit der Spleißmaschine getrennt und mit Verbindungssteckern versehen. Dann kann ein Lesegerät zwischengeschaltet werden.

– Die Verbindung muss unterbrochen werden, was Verdacht erregen kann.

Das vom britischen Geheimdienst abgehörte Kabel zwischen Europa und den USA ist 5 cm dünn, 15000 Kilometer lang und enthält nur 8 Glasfasern.

BiegekopplungDas Licht folgt größtenteils der Kurve des Glasfaserkerns.Ein kleiner Teil strahlt aber über die Ummantelung hinausund kann aufgefangen und ausgewertet werden.

+ Biegekoppler gibt es ganz legal für ein paar hundert Euro im Fachhandel für Fernmeldetechniker.

+ Das Signal ändert sich kaum wahrnehmbar.

ohne KontaktAus jedem Kabel strahlen minimale Lichtmengen,

die sogenannte Rayleigh-Streuung. HochempfindlicheFotodetektoren fangen diese auf und verstärken sie.

+ Der Datenklau ist überhaupt nicht nachweisbar.

Biegekoppler für einfache Glasfaserkabel

eine solche Verletzung der Privatsphärezu genehmigen und damit ein grund -legendes, verfassungsgeschütztes Men-schenrecht einzuschränken. Eine Abhör-erlaubnis verlangt ein rechtsstaatlichesVerfahren, schließlich sollte jede Formvon Kommunikationsüberwachung nichtohne guten Grund und nur unter recht -lichen Auflagen geschehen. Und wenn eseine solche Überwachung gibt, sollte sieangemessen und ausgewogen sein. Hinterdieser Vorstellung steckt der Glaube, dassdas Recht Überwachungsmaßnahmen ein-schränkt und abwägt. Doch das ist einTrugschluss, der am besten als ein Vor-täuschen von Rechtsstaatlichkeit bezeich-net werden kann.

Die Vorstellung, es sei in der Tat dasRecht, das darüber entscheidet, was pas-siert und wie es passiert, trifft nicht zu;in Wirklichkeit ist es die Technologie,sind es die Hardware und die Codes. DieDienste wägen auch nicht amerikanischeoder europäische Verfassungsgrundsätzeab, bevor sie mit ihrer taktischen oderstrategischen Überwachung beginnen,

mit der gezielten Überwachung oder derInformationsgewinnung per Schleppnetz.

Die Erkenntnis, dass für einen Großteilder Welt der gesamte Überwachungskom-plex und seine Ergebnisse in der Tat eineneue Realität darstellen, ist Snowden zuverdanken. Und die Zyniker haben ebennicht recht, wenn sie behaupten, dass da-gegen nichts getan werden könne. DerSchleppnetzüberwachung kann man aufdrei Arten begegnen.

Als Erstes müssen wir uns klarmachen,dass der gegenwärtige Zustand nicht dienatürliche Ordnung der Dinge ist. Wir soll-ten uns fragen, wie wir dazu stehen. Undwir sollten nicht nur im Blick behalten,was nun bestätigt ist, sondern auch das,was in Sachen Überwachung technolo-gisch in naher Zukunft möglich sein wird.

Zweitens müssen wir verstehen, dasses nicht von Menschen gemachte Gesetzesind, welche die Technologie und die Ka-pazitäten eines technologischen Systemseinschränken können, allenfalls Natur -gesetze können das. Und es sind mathe-matische Formeln, die festlegen, was man

mit einem nahezu allumfassenden Zu-gang zu Informationen anfangen kann.Zugang zu Informationen, die übertragenoder gespeichert wurden ohne denSchutz, den kryptografische Verfahrenbieten, ist einfach ein zu einladendes Ziel,als dass irgendjemand widerstehen könn-te. Und deshalb widerstehen die Geheim-dienste auch nicht, sondern arbeiten ineinem beispiellosen Umfang zusammen.Sie handeln mit Daten, die zu sammelnfür die beteiligten Behörden in ihren ei-genen Ländern illegal wäre, die sie aberals Handelsobjekte den jeweils anderenanbieten können.

Kryptografie, die Wissenschaft von Ver-schlüsselung und Informationssicherheit,ist das Feld, auf dem Computersystemeund mathematische Formeln zusammen-treffen, wobei Vertraulichkeit, Authentizi-tät und Integrität einer Information her-gestellt werden kann – um die Privatsphä-re zu sichern. Verschlüsselungs-Softwarekann uns helfen, eine effektive Schlepp-netzsuche zu verhindern. Sie erlaubt esaußerdem, gewisse Formen von Manipu-lation bei einer zielgerichteten Überwa-chung zu erkennen. Normalerweise sollteman denken, dass solche Schutzmechanis-men längst Teil der Informationsübertra-gung sind. In Wahrheit sind derartigeÜbertragungssysteme wegen allzu großerInteressenkonflikte in voller Absicht mitSchwachstellen behaftet.

Die dritte Tatsache ist nur schwer ein-zugestehen. Wenn es um das „legale Ab-hören“ geht, sind wir grundsätzlich alleverwundbar. Wenn das FBI mein Telefonabhört oder das von Journalisten derNachrichtenagentur AP – wie es das Wa-shingtoner Justizministerium vor kurzemveranlasst hat –, dann ist letztlich jederBürger verwundbar. Und diese Verwund-barkeit reicht weit über die GrenzenAmerikas hinaus. Diejenigen, die sich anden Protesten in Iran beteiligt haben, wur-den überwacht mit Hilfe eines Systems,das ursprünglich für eine legale Über -wachung entwickelt worden ist. Es wurdespäter unter völlig anderen Umständeneingesetzt – unter Umständen, in denenes nicht mal einen Hauch von Respektvor Menschenrechten gab.

Das ist ein Effekt, der breite soziale,wirtschaftliche und sogar emotionale Fol-

gen hat und den wir gerade erst an-fangen zu diskutieren. Wir haben die-se Effekte noch nicht einmal richtigbegreifen können, weil ihre wahrenUrsachen verdunkelt werden durcheine unverständliche Sprache, durchstumpfsinnige technologische De-tailversessenheit und natürlichdurch die obsessive Geheimniskrä-merei der Dienste.Deshalb ist dieser Mechanismus so

schwer zu verstehen: Jedes Mal, wennetwa die deutsche Regierung hier Kom-

promisse eingeht, ist die amerikanische

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Page 15: Der spiegel 28-2013_-_nur_der_snowden_und_nsa_part

NSA in der Lage, den demokratischenProzess in Deutschland zu unterlaufen.Das haben Snowdens Enthüllungen zum„Boundless Informant“-System gezeigt:Denn in den USA liegen in riesiger Zahldeutsche Verbindungsdaten vor, derenSpeicherung hierzulande nicht verfas-sungsgemäß ist.

Erschwerend wirkt sich dabei aus, dassder deutsche Bundesnachrichtendienstund andere europäische Nachrichten-dienste mit der NSA kooperieren. Dieje-nigen also, deren Aufgabe es eigentlichist, Deutschland, die Niederlande, Frank-

reich oder Spanien zu schützen, tauschenÜberwachungsinformationen mit denenaus, die außerhalb europäischer Rechts-grundlagen die Bevölkerung dieser Län-der ausspähen.

Wir haben erfahren müssen, dass wirin einem Goldenen Zeitalter der Über-wachung leben. Snowden hat Informatio-nen bekanntgemacht, die weit über vor-herige Enthüllungen hinausgehen: DerBauplan des Überwachungssystems, diePartner in diesem System und die Plänefür die Zukunft werden nun öffentlich er-kennbar.

Bei diesen Überwachungssystemengeht es nicht einfach nur um Informa -

tionen, die von allen möglichen Ge -heimdiensten abgefangen werden. Dasmacht das Schicksal von Joseph Nacchiodeutlich.

Als Chef der US-Telekommunikations-firma Qwest Communications Internatio-nal lehnte er eine Forderung der NSA ab,Kundendaten herauszugeben, das war bereits sieben Monate vor den dunklen Ereignissen vom September 2001 in NewYork. Ein Gericht verurteilte ihn wegenInsider-Handels. Seine Unterstützer sindüberzeugt, dass dies geschah, weil ernicht mit dem Dienst kooperierte.

Nacchio saß bis zum Frühjahr im Gefäng-nis und ist nun immer noch im offenenVollzug.

Heute zieht beinahe jeder eine Daten-spur hinter sich her, die manipuliert undverdreht werden kann. Firmenvorständewissen um diese Machtdynamik, und nurwenige wagen es aufzumucken – falls esüberhaupt einige wagen und falls es über-haupt welche gibt, die das Spiel durch-schauen.

Wenn wir die Dementis lesen, welchedie Firmenchefs von Google, Microsoftund Co. nach der Enthüllung des Über-wachungsprogramms Prism abgaben,müssen wir immer an beides denken: an

das Schicksal von Joseph Nacchio und daran, dass die Manager wenig wussten,dass sie möglicherweise keine Berechti-gung für den Zugang zu diesem Staats-geheimnis hatten – oder es ihnen ver -boten ist, darüber zu reden. Schließlichhaben sogar amerikanische Kongress -mitglieder eingestanden, dass auch sieim Dunkeln gelassen wurden, obwohl sieZugang zur höchsten Geheimhaltungs-stufe hatten.

In den vergangenen Jahren haben wirmehr und mehr Daten über diese Über-wachungsprogramme gesehen. Das ver-danken wir Whistleblowern wie dem Sol-daten Bradley Manning, dem eine lebens-lange Haftstrafe droht, weil er uns dieDetails schwerer Staatsverbrechen ver-raten hat – inklusive solcher über die Tö-tung von Reuters-Mitarbeitern im Irak.Dank Snowden haben wir jetzt ein brei-teres Verständnis von der Architekturdes sogenannten Sicherheitssystems –und damit eine bessere Grundlage, umdie längst überfällige Diskussion über un-sere alltägliche Überwachung und derenFolgen zu führen.

Snowden hat schon jetzt viel bewegt.Es ist Zeit für Staaten in aller Welt, ihmpolitisches Asyl zu gewähren. Und eswäre Zeit für einen neuen Church-Aus-schuss, einen internationalen.

„Die Wahrheit wird herauskommen“,sagt Snowden, „man kann sie nicht stoppen.“ !

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Snowden-Unterstützer in Berlin: „Es ist Zeit, ihm politisches Asyl zu gewähren“

„Wir leben in einem Goldenen Zeitalterder Überwachung.“