5
28. Musikpreis 2017 der Stadt Duisburg in Verbindung mit der Köhler Osbahr-Stiftung Fazil Say Pianist - Komponist - Bürgerrechtler Sonntag, 19. November 2017 Thomas Krützberg (Kulturdezernent der Stadt Duisburg), Fazil Say (Preisträger), Brigitte Findeisen (persönliche Nachfolgerin des Stifters), Volker Mosblech (Bürgermeister der Stadt Duisburg), Prof. Dr. Holger Noltze (Laudator), Hans Jürgen Kerkhoff (Vorsitzender der Köhler-Osbahr-Stiftung).

der Stadt Duisburg in Verbindung mit der Köhler Osbahr ...koehler-osbahr-stiftung.de/musik/documents/musikpreis2017online.pdf · 28. Musikpreis 2017 der Stadt Duisburg in Verbindung

  • Upload
    lekhue

  • View
    212

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

28. Musikpreis 2017 der Stadt Duisburg in Verbindung mit

der Köhler Osbahr-Stiftung

Fazil SayPianist - Komponist - Bürgerrechtler

Sonntag, 19. November 2017

Thomas Krützberg (Kulturdezernent der Stadt Duisburg), Fazil Say (Preisträger), Brigitte Findeisen (persönliche Nachfolgerin des Stifters), Volker Mosblech (Bürgermeister der Stadt Duisburg), Prof.

Dr. Holger Noltze (Laudator), Hans Jürgen Kerkhoff (Vorsitzender der Köhler-Osbahr-Stiftung).

„Die Politiker attackieren unser Leben, nicht wir das Leben der Politiker“. Im Gespräch mit dem Journalisten Holger Noltze stellte Fazil Say klar,

dass er sich nicht danach gedrängt habe, als Bürgerrechtler für die Freiheit in der Türkei Schlagzeilen zu machen, sondern dass ihn die Verhältnisse in seiner Heimat dazu zwangen, Stellung zu beziehen. Mit der Verleihung des 28. „Musik-

preises der Stadt Duisburg in Verbindung mit der Köhler-Osbahr-Stiftung“ rückt die Stiftung von der seit 1990 bestehenden Tradition ab, vor allem Künstler für ihr „Le-benswerk“ zu ehren. Mit dem 1970 in An-kara geborenen Fazil Say habe man einen Mann gewürdigt, der mit seinem Wirken als Musiker, aber auch als „Brückenbauer“ zwischen westlichen und orientalischen Kulturen und mit seinem Einsatz für die Er-haltung der Freiheit in seinem türkischen Heimatland mit seinem Werk vollauf „im Leben“ stehe, wie sich Hans-Jürgen Kerk-hoff, der Vorsitzende der Köhler-Osbahr-Stiftung, ausdrückte.

Im nahezu voll besetzten Theater wohnten der Preisverleihung zahlreiche tür-kisch-stämmige Bürger bei, die ihrem „Idol“ besonders frenetischen Beifall zollten. Auch wenn sich Holger Noltze in einem „Künstlergespräch“, das die ge-wohnte Laudatio ersetzen sollte, redlich bemühte, vor allem den Pianisten und Komponisten Fazil Say in den Focus zu setzen und nicht den politischen Visi-onär, lässt sich dieser Aspekt nicht aus Says Wirken und Schaffen verdrängen und bestimmte auch diese Feierstunde. Interessant, dass Say, der immerhin einen Prozess wegen Gottesläste-rung gewonnen hat, sich dennoch als „ideologischer Verlierer“ sieht. Fazil Say: „Ich sehe, dass sich viele Menschen in der Türkei nicht mehr trauen, über Gott und die Religion zu schreiben und zu äußern.“Kulturdezerrnent Thomas Krützberg würdigte den Preisträger als Persön-lichkeit, die nicht im „Elfenbeinturm der Kunst“ verharre, sondern die als Brückenbauer zwischen zwei Kulturen wirke und sich nicht scheue, Stellung zu beziehen. Und davon konnte man sich an den drei musikalischen Programm-teilen überzeugen, vor allem an Says eigenen Kompositionen wie etwa „Black Earth“ für Klavier und tänzerische Gestaltung auf der Grundlage eines anato-lischen Liedes, das der Preisträger am Klavier zusammen mit dem Tänzer Joe Wilson präsentierte. Eindrucksvoll auch „1001 Nights in the Harem“ in einer Fas-sung für Violine, Klavier und türkisches Schlagwerk, das in dem Geiger Önder

Fazil Say, der Preisträger im Kreis von Kul-turdezernent Thomas Krützberg und Hans

Jürgen Kerkhoff

Fazil Say im Gespräch mit Prof. Dr. Holger Noltze

Baloğlu, dem Pianisten Çağdaş Özkan und dem Schlagzeuger Max Klaas berufene Anwäl-te fand. Werke mit deut-lichen Verbindungen zwischen westlichen und türkischen Traditi-onen.Der mit 10.000 Euro dotierte Musikpreis wird seit 1990 jährlich vergeben. In den letz-ten Jahren wurden die Sopranistin Nina Stem-me, der Ballettchef der

Deutschen Oper am Rhein, Martin Schläpfer, sowie der ehemalige Generalmu-sikdirektor der Duisburger Philharmoniker, Bruno Weil, damit ausgezeichnet.

Sie sorgten für die musikalische Umrahmung: Önder Baloğlu und Bian-ca Adamek (Violine), Çağdaş Özkan (Cembalo), Anja Schröder (Violon-

cello) und Max Klaas (Schlagzeug)

Fazil Sayvon Pedro Obiera

Dass der diesjährige Preisträger des Duisburger Musikpreises, der türkische Pianist Fazil Say, in den letzten Jahren nicht nur als hervorragender Musiker, sondern

auch als Bürgerrechtler in die Schlagzeilen geriet, lag nicht in der Absicht des Musikers. Die politischen Änderungen in seinem Geburtsland verbaten ihm jedoch, angesichts bedrohlicher innenpolitischer Entwicklungen zu schweigen. Und dieses Schweigen durchbrach er kompro-misslos und nahm damit auch Nachteile in Kauf.Am 14. Januar 1970 in Ankara zur Welt gekom-men, wuchs der Sohn des Musikwissenschaft-lers und Schriftstellers Ahmet Say in einem noch weltoffenen Land auf, in dem der kleine Fazil mit fünf Jahren Kla-vierunterricht bei einem Schüler Alfred Cortots aufnehmen konnte und später als junger Kompositions- und Klavierschüler westlichen Musikern wie David Levine und Aribert Reimann bei einem Workshop in Ankara begegnen konnte.

Da die westliche klassische Musik in der Türkei recht konservativ und stiefmütterlich behandelt wurde, studierte Say, der sich frühzeitig für viele Bereiche der Musik interes-sierte, ab 1987 bei David Levine an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf und wechselte fünf Jahre später an die Universität der Künste Berlin. In dieser Zeit gewann er erste Wettbewerbe und startete zielstrebig eine internationale Karriere an, die ihn in alle großen Konzerthäuser der Welt brachte. Als Solist, als Partner berühmter Orchester und als Kammermusiker mit Kollegen wie Shlomo Mintz, Yuri Bashmet und Maxim Vengerov. In der Region erinnert man sich gern an die Saison 2006/2007, in der Fazil Says fünfjähriges Wirken als Exklusivkünstler des Konzerthauses Dortmund für künstlerisches Aufsehen erregte. Als „Artist in Residence“ huldigte man ihm auch in Paris, Bremen und Hamburg. Das sorgenfreie Künstlerleben wurde durch die politischen Ereignisse in Says türkischer Heimat belastet. In einem Zeitungsinterview im Dezember 2007 beklagte er die Lage der Menschenrechte in der Türkei und zog seine Auswanderung in Erwägung. Die Spannungen mit der türkischen Regierung und einflussreichen Teilen der Öffentlichkeit eskalierten 2012, als er sich als bekennender Atheist über einen Muezzin und den Koran amüsierte. Drei türkische Bürger erstatteten Anzeige, wobei unklar geblieben ist, ob die Anzeigen aus eigenem Antrieb der Bürger erfolgten oder auf Betreiben mächtiger Hin-termänner. Dem mittlerweile 42-jährigen Pianisten wurde der Prozess gemacht auf der Grundlage des Artikels 216 des türkischen Strafgesetzbuchs, der die „Verunglimpfung der religiösen Werte von Teilen der Bevölkerung“ unter Strafe stellt. Die Staatsanwalt-

schaft forderte eine Gefängnis-strafe von einein-halb Jahren, das Gericht entschied auf zehn Mo-nate Haft auf Be-währung wegen „Blasphemie“.Das gemessen an späteren Prak-tiken milde Urteil rief dennoch hef-tige Proteste im Ausland hervor, auch im Deut-schen Bundes-

tag. Mehr als 100 Bundestagsabgeordnete unterzeichneten eine Erklärung, die sich gegen die Einschränkung der Meinungsäußerung aussprach.Als Künstler würde man Fazil Say nicht gerecht, wenn man ihn auf seine Erfolge als Pianist beschränkt. Bereits im Alter von 16 Jahren begann er zu komponieren und mitt-lerweile sind zahlreiche seiner vielen Kompositionen auf CD erschienen und erklangen anfangs in der Türkei und später u.a. in Wien und Salzburg. Seine Dortmunder Zeit be-endete er mit der Uraufführung seiner ersten Symphonie über seine Wahlheimat Istan-

bul. Neben Oratorien, Ballettmusiken, Solo- und Orchesterwerken hat er sich auch als Filmkomponist an internationalen Produktionen in Japan und Italien beteiligt.In sehr persönlich gefärbten Musikalben bereicherte er das Repertoire durch thema-tisch gebundene Programmzusammenstellungen, u.a. mit seiner preisgekrönten, nach seinem Violinkonzert benannten CD „1001 Nights in the Harem“, die ausschließlich eigene Kompositionen enthält. Und auch als Jazzmusiker betätigte er sich, indem er mit einer Reihe virtuoser Jazz-Adaptionen klassischer Werke in Erscheinung trat, aber auch als Partner von Jazzmusikern wie Kudsi Ergüner oder Bobby McFerrin.In einigen seiner Kompositionen thematisiert er unerschrocken seine Meinung zur poli-tischen und religiösen Situation in der Türkei. In dem Zyklus „Gezi Park“ arbeitet er die gewaltsame Niederschlagung der Proteste im Istanbuler Gezi Park im Jahre 2013/14 auf. Und in seiner „Istanbul Symphony“ persifliert er mit musikalischen Mitteln den Missbrauch der Religion durch die Politik.