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Chirurg 2013 · 84:835–840 DOI 10.1007/s00104-013-2533-9 Online publiziert: 28. August 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 A. Wierlemann · J. Baur · C.T. Germer Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Würzburg Die chirurgische  Frontalvorlesung Heute noch von Bedeutung   für die studentische Lehre? Das traditionelle Konzept der chirur- gischen Hauptvorlesung wird in der heutigen Zeit durch ein vielfältiges Angebot an alternativen Lehrmetho- den herausgefordert und infrage ge- stellt [1]. In Zeiten von „e-learning“, „blended learning“ und einem brei- ten Angebot an digitalen Lerninhal- ten scheint es nicht mehr sinnvoll zu sein, eine Frontalvorlesung zu besu- chen. Dennoch hat sie nach wie vor einen großen Stellenwert in der stu- dentischen Lehre. Um diese Stellung in Zukunft behaupten zu können, ist ein Paradigmenwechsel von der rei- nen Wissensvermittlung hin zur Wis- sensvernetzung notwendig. Die Frontalvorlesung wird sowohl von Seiten der Dozenten als auch von Seiten der Studierenden nach wie vor als die ef- fektivste Form der Wissensvermittlung angesehen [1, 2], dennoch hat die Zahl der Vorlesungsbesucher in den letzten Jahren eher abgenommen [3]. Diese Einschät- zung erfolgt ungeachtet der Tatsache, dass bekanntermaßen das vermittelte Wissen in frontalen Unterrichtssituationen nur zu einem geringen Anteil nachhaltig vermit- telt wird. Zudem bietet diese Unterrichts- form weitere Nachteile, die den Rückgang der Anzahl an Vorlesungsbesuchern er- klären könnten [4]. Das Lehr- bzw. Prä- sentationstempo einer Frontalvorlesung ist starr vorgegeben und ignoriert die in- dividuellen Bedürfnisse der Studierenden. Diese können aus unterschiedlichen Stu- fen des Vorwissens resultieren, aber auch aus unterschiedlichen Lerntempi und ver- schiedenen Lernstrategien. Darüber hi- naus findet die Vorlesung notgedrungen zu einem vorgegeben Zeitpunkt statt, der nicht immer passend erscheinen mag [2]. Tatsächlich konkurriert die Präsenzvorle- sung mit asynchron verfügbaren Inhalten, die jederzeit in Anspruch genommen wer- den können. Paradigmenwechsel Die Nachteile einer Frontalvorlesung kommen insbesondere dann zum Tra- gen, wenn man sie als Instrument der rei- nen Wissensvermittlung versteht. Mög- lichst viel Wissen in möglichst kompakter Form vermitteln zu wollen, erscheint als optimale Nutzung der verfügbaren Zeit in einem immer enger gestaffelten Kurriku- lum der Studierenden. Aber gerade dann ist es umso unerfreulicher, wenn von dem vermeintlich optimal vermittelten Wissen wenig im Gedächtnis bleibt. »   Evidenzen und Literatur  richtig zu beurteilen, wird  zur zentralen Fähigkeit Es ist sicherlich nicht richtig, die entstan- dene Vielfalt an alternativen Lernressour- cen als Bedrohung der eigenen Hauptvor- lesung zu sehen, unabhängig davon, ob dies Angebote der eigenen Fakultät sind oder überregionale bzw. internationale Programme. Vielmehr sollten sie als Be- reicherung und Herausforderung gesehen werden, die eigene Lehre aktuell, interes- sant und prägnant zu gestalten. Die Aufgabe der universitären Lehre sollte mehr sein als die reine Wissensver- mittlung. Nicht das „teaching“ sollte das Ziel eines Hochschullehrers sein, son- dern die Fähigkeit „learning“ zu vermit- teln. Die Studierenden sollten in die Lage versetzt werden, das vorhandene Wissen und die verfügbaren Lehrinhalte selbst- ständig einordnen und bewerten zu kön- nen. Dies stellt eine Schlüsselqualifikati- on dar, die im heutigen Arztberuf unver- zichtbar ist. Das medizinische Fachwissen vermehrt sich in immer kürzeren Zeiträu- men. Evidenzen und Literatur richtig zu beurteilen, wird dabei zur zentralen Fähigkeit, ohne die eine moderne Medi- zin nicht mehr denkbar ist. Wenn es den Dozenten gelingt, die Frontalvorlesung zu einem Instrument der Wissensvernetzung umzugestalten und sie ihr Hauptaugen- merk nicht auf die reine Wissensvermitt- lung legen, wird die chirurgische Frontal- vorlesung mehr denn je ein unverzicht- barer Bestandteil der studentischen Lehre sein. Sie gewinnt eher noch an Bedeutung, wenn es gelingt, die verfügbaren Lernin- halte zu strukturieren und in Relation zu- einander zu stellen und den Studierenden dadurch eine Orientierung zu bieten. 835 Der Chirurg 10 · 2013| Leitthema

Die chirurgische Frontalvorlesung; Surgical frontal lecture;

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Page 1: Die chirurgische Frontalvorlesung; Surgical frontal lecture;

Chirurg 2013 · 84:835–840DOI 10.1007/s00104-013-2533-9Online publiziert: 28. August 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

A. Wierlemann · J. Baur · C.T. GermerKlinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Würzburg

Die chirurgische FrontalvorlesungHeute noch von Bedeutung  für die studentische Lehre?

Das traditionelle Konzept der chirur-gischen Hauptvorlesung wird in der heutigen Zeit durch ein vielfältiges Angebot an alternativen Lehrmetho-den herausgefordert und infrage ge-stellt [1]. In Zeiten von „e-learning“, „blended learning“ und einem brei-ten Angebot an digitalen Lerninhal-ten scheint es nicht mehr sinnvoll zu sein, eine Frontalvorlesung zu besu-chen. Dennoch hat sie nach wie vor einen großen Stellenwert in der stu-dentischen Lehre. Um diese Stellung in Zukunft behaupten zu können, ist ein Paradigmenwechsel von der rei-nen Wissensvermittlung hin zur Wis-sensvernetzung notwendig.

Die Frontalvorlesung wird sowohl von Seiten der Dozenten als auch von Seiten der Studierenden nach wie vor als die ef-fektivste Form der Wissensvermittlung angesehen [1, 2], dennoch hat die Zahl der Vorlesungsbesucher in den letzten Jahren eher abgenommen [3]. Diese Einschät-zung erfolgt ungeachtet der Tatsache, dass bekanntermaßen das vermittelte Wissen in frontalen Unterrichtssituationen nur zu einem geringen Anteil nachhaltig vermit-telt wird. Zudem bietet diese Unterrichts-form weitere Nachteile, die den Rückgang der Anzahl an Vorlesungsbesuchern er-klären könnten [4]. Das Lehr- bzw. Prä-sentationstempo einer Frontalvorlesung ist starr vorgegeben und ignoriert die in-dividuellen Bedürfnisse der Studierenden. Diese können aus unterschiedlichen Stu-

fen des Vorwissens resultieren, aber auch aus unterschiedlichen Lerntempi und ver-schiedenen Lernstrategien. Darüber hi-naus findet die Vorlesung notgedrungen zu einem vorgegeben Zeitpunkt statt, der nicht immer passend erscheinen mag [2]. Tatsächlich konkurriert die Präsenzvorle-sung mit asynchron verfügbaren Inhalten, die jederzeit in Anspruch genommen wer-den können.

Paradigmenwechsel

Die Nachteile einer Frontalvorlesung kommen insbesondere dann zum Tra-gen, wenn man sie als Instrument der rei-nen Wissensvermittlung versteht. Mög-lichst viel Wissen in möglichst kompakter Form vermitteln zu wollen, erscheint als optimale Nutzung der verfügbaren Zeit in einem immer enger gestaffelten Kurriku-lum der Studierenden. Aber gerade dann ist es umso unerfreulicher, wenn von dem vermeintlich optimal vermittelten Wissen wenig im Gedächtnis bleibt.

»  Evidenzen und Literatur richtig zu beurteilen, wird zur zentralen Fähigkeit

Es ist sicherlich nicht richtig, die entstan-dene Vielfalt an alternativen Lernressour-cen als Bedrohung der eigenen Hauptvor-lesung zu sehen, unabhängig davon, ob dies Angebote der eigenen Fakultät sind oder überregionale bzw. internationale

Programme. Vielmehr sollten sie als Be-reicherung und Herausforderung gesehen werden, die eigene Lehre aktuell, interes-sant und prägnant zu gestalten.

Die Aufgabe der universitären Lehre sollte mehr sein als die reine Wissensver-mittlung. Nicht das „teaching“ sollte das Ziel eines Hochschullehrers sein, son-dern die Fähigkeit „learning“ zu vermit-teln. Die Studierenden sollten in die Lage versetzt werden, das vorhandene Wissen und die verfügbaren Lehrinhalte selbst-ständig einordnen und bewerten zu kön-nen. Dies stellt eine Schlüsselqualifikati-on dar, die im heutigen Arztberuf unver-zichtbar ist. Das medizinische Fachwissen vermehrt sich in immer kürzeren Zeiträu-men. Evidenzen und Literatur richtig zu beurteilen, wird dabei zur zentralen Fähigkeit, ohne die eine moderne Medi-zin nicht mehr denkbar ist. Wenn es den Dozenten gelingt, die Frontalvorlesung zu einem Instrument der Wissensvernetzung umzugestalten und sie ihr Hauptaugen-merk nicht auf die reine Wissensvermitt-lung legen, wird die chirurgische Frontal-vorlesung mehr denn je ein unverzicht-barer Bestandteil der studentischen Lehre sein. Sie gewinnt eher noch an Bedeutung, wenn es gelingt, die verfügbaren Lernin-halte zu strukturieren und in Relation zu-einander zu stellen und den Studierenden dadurch eine Orientierung zu bieten.

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Leitthema

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Praxisrelevanz

Verba docent, expemla trahunt. – Worte lehren, Beispiele reißen mit.

Dieses römische Sprichwort unbe-kannter Herkunft drückt aus, was chi-rurgische Lehre ausmachen sollte. Die Praxisrelevanz wird als entscheidendes

Kriterium in der Bewertung der studen-tischen Lehre angesehen. Selbstverständ-lich können auch digitale Lehrangebote zum Selbststudium durch Praxisbeispiele und Patientenfälle bereichert werden. Der Funke der Begeisterung für das Fach Chi-rurgie springt jedoch viel leichter im di-rekten Dialog mit den Studierenden über. Durch Einladung von Patienten in die

Vorlesung, durch Live-Schaltungen in den Operationssaal und durch Vermitt-lung chirurgischer Techniken in der Vor-lesung wird die Praxisrelevanz der behan-delten Themen unterstrichen.

Die Entscheidung, eine chirurgische Laufbahn einzuschlagen, wird sicherlich nicht alleine in der Vorlesung getroffen, hierfür sind Famulaturen und praxisnahe

Abb. 1 8 Screenshot Vorlesungswebseite (Copyright: Universitätsklinikum Würzburg)

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Leitthema

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Einsätzen im Operationssaal und auf chi-rurgischen Stationen besser geeignet. Aber das Interesse für das Fach kann durch ei-nen begeisterten und begeisternden Do-zenten sicherlich besser geweckt werden, als durch nüchterne Lehrmaterialien. Und auch diejenigen Studierenden, die eine Karriere in einem nichtoperativen Fach anstreben, lassen sich mit Bezügen zur Praxis besser erreichen und für das chi-rurgische Fach interessieren, wenn klar wird, dass chirurgische Fragestellungen im Alltag jedes Arztes vorkommen wer-den, sei er nun Internist, Dermatologe oder Allgemeinarzt. Letztlich geht es da-rum, die Studenten einzubinden, ihnen die Praxisrelevanz des Gelehrten anhand anschaulicher Beispiele aufzuzeigen und sie durch ein vielfältiges interaktives An-gebot zu motivieren, selbständig den Stoff zu vertiefen [5].

Die chirurgische Hauptvorlesung ist ein wesentlicher und zentraler Bestand-teil dieser Strategie. Schafft es der Dozent, hier als begeisternde Persönlichkeit aufzu-treten, die mit Empathie und Engagement das eigene Fach vertritt, wird den Studie-renden ein Rollenmodell vorgelebt, dem es nachzueifern lohnt.

Prüfungsrelevanz

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Stu-dierenden ist natürlich die Prüfungs-relevanz des behandelten Stoffgebietes. Wenngleich gezeigt werden konnte, dass die Teilnahme an Vorlesungen nur un-zureichend mit dem Abschneiden bei Klausuren korreliert [2], so ist dies doch für viele Studierenden einer der Hauptgründe, in die Hauptvorlesung zu kommen. In Würzburg wird dieser Tat-sache Rechnung getragen, indem nach je-dem Themengebiet in Form eines Quiz mit Prüfungsfragen das Gelernte rekapi-tuliert und durch Redundanz vertieft wird [6]. Dieses „Wer wird Arzt“-Spiel ist fester Bestandteil der Vorlesung und wird von den Studierenden sehr gut angenommen. Zum einen kann dadurch die Prüfungs-relevanz des Stoffes verdeutlicht werden, andererseits wird aber auch beständig der Fragenstil der Multiple-Choice-Prüfun-gen des IMPP (Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen) geübt, der z. T. auf erhebliches Detailwis-

sen abzielt. Letztlich lassen sich durch die Art und Weise, wie Studenten lernen und welche Form der Lehrangebote sie bevor-zugen, keine Rückschlüsse auf deren Zu-friedenheit mit dem jeweiligen Lernkon-zept und dem Abschneiden bei einer Prü-fung ziehen [7, 8]. Daher scheint es in der heutigen Zeit wichtig zu sein, ein mög-lichst breites Spektrum an Lehrangeboten zu offerieren, das viele Studenten auf ver-schiedene Weise anspricht.

Vernetzte Vorlesung

Die Möglichkeiten des Internets, multi-mediale Gestaltungselemente und „ social media“ werden heutzutage als Selbstver-ständlichkeit wahrgenommen. Daher ist es ein schlüssiges Konzept, diese Elemente auch zur Bereicherung der studentischen Lehre heranzuziehen. Ein Konzept je-doch, das alleine darauf basiert, abge-filmte Vorlesungen ins Netz zu stellen, kann mitnichten als zukunftsweisend be-zeichnet werden [9]. Es geht nicht darum, einen neuen Platz für veraltete Konzepte zu finden, sondern tatsächlich neue Wege zu beschreiten, um den Studierenden ver-netztes Lernen zu ermöglichen. Genauso wenig kann eine Online-Ressource die Interaktion mit einem Dozenten erset-zen [10]. Das Ziel muss es sein, das Beste aus beiden Welten zu vereinen und dabei nicht die Technologie bzw. die Form der Lehre in den Vordergrund zu stellen, son-dern die Inhalte.

»  Die vorlesungsbegleitende Webseite erreicht bis zu 2500 Besucher im Monat

Die Teilnahme an einer Präsenzveranstal-tung ist nach wie vor die vorherrschende Methode, eine Vorlesung zu besuchen [11]. Vorlesungsbegleitend wird den Stu-dierenden in Würzburg daher auf einer eigens erstellten Webseite (http://www.chirurgievorlesung-wuerzburg.de) die Möglichkeit gegeben, die Vorlesungsin-halte vor- und nachzubereiten (. Abb. 1). Dabei wird bewusst auf das Einstellen ganzer Vorlesungspodcasts und Power-Point-Vorträge verzichtet. Der Besuch der Webseite soll nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der Vorlesung dienen [12].

Zusammenfassung · Abstract

Chirurg 2013 · 84:835–840DOI 10.1007/s00104-013-2533-9© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

A. Wierlemann · J. Baur · C.T. Germer

Die chirurgische Frontalvorlesung. Heute noch von Bedeutung für die studentische Lehre?

ZusammenfassungDie chirurgische Hauptvorlesung hat auch im Zeitalter vielfältiger digitaler und frei verfüg-barer Lerninhalte eine zentrale Bedeutung. Sie dient als Diskussionsplattform mit dem Dozenten und bietet die Möglichkeit, mit Li-ve-Operationen und Patientenbeispielen die Lehre anschaulich und lebendig zu gestal-ten. Gelingt der Paradigmenwechsel weg von der reinen Wissensvermittlung zur Wissens-vernetzung, wird die chirurgische Hauptvor-lesung auch in Zukunft ein elementarer Be-standteil der studentischen Lehre sein, durch den der Dozent mit seiner Begeisterung für das eigene Fach die Studenten erreichen und für die Chirurgie interessieren kann.

SchlüsselwörterChirurgie · Hauptvorlesung  · Live-Operationen · Patientenbeispielen ·  E-Learning

Surgical frontal lecture. Still important for teaching students?

AbstractIn times of manifold digital learning resour-ces open to public access  lectures in sur-gery still play a major role in medical train-ing. It is a platform for discussion with the medical teacher and provides the opportu-nity to create a vivid learning experience by showing live operations via video streaming and inviting patients to the lectures. When then change in paradigm is achieved from pure knowledge transfer to cross-linkage of knowledge, the surgical lecture will be a ma-jor future keystone in medical education, where the lecturer can reach the students with his own passion for the field of expertise and get them interested in surgery.

KeywordsSurgery · Plenary lecture · Live operations · Blended learning · E-learning

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Gleichzeitig bietet die Webseite eine Platt-form, auf der sich die Studenten austau-schen und die Vorlesung kommentieren können. Sie dient somit auch der asyn-chronen Kommunikation untereinander und mit den Dozenten. Die Resonanz auf dieses Angebot ist überwältigend. Monat-lich verzeichnet die Seite in Spitzenzeiten etwa 2500 Besucher mit ca. 7000 Seiten-aufrufen. Die überwiegende Zahl der Be-sucher stammt aus Deutschland, wobei die Seite auch aus dem deutschsprachigen europäischen Ausland aufgerufen wird (. Abb. 2). Mit solchen interaktiven An-geboten lassen sich weit mehr Studenten erreichen und für das Fach der Chirurgie begeistern, als dies mit einer Vorlesung al-leine möglich wäre. Die zahlreichen sehr positiven Bewertungen und Kommentare im Gästebuch der Seite bestätigen dies in eindrucksvoller Weise.

Die Vernetzung mit anderen Fachdis-ziplinen ist im heutigen chirurgischen Alltag vor dem Hintergrund interdiszipli-närer Behandlungsstrategien eine Selbst-verständlichkeit und Voraussetzung für eine aktuelle und leitliniengerechte Be-handlung unserer Patienten. Ebenso selbstverständlich ist die interdiszipli-näre Vernetzung der studentischen Leh-re. Neben der Pathophysiologie und an-deren klinischen Fächern spielt vor allem

in der Viszeralchirurgie die Anatomie ei-ne herausragende Rolle. Ohne genaue anatomische Kenntnisse sind moderne Operationstechniken nicht denkbar und für die Studierenden nicht nachvollzieh-bar. Daher haben wir regelmäßige Gast-vorlesungen durch Dozenten der Ana-tomie in die Hauptvorlesung integriert. Von den Studierenden wird dieses Ele-ment der vernetzten Vorlesung ebenfalls sehr gut angenommen und auch aus Do-zentensicht stellt diese Zusammenarbeit eine wertvolle Bereicherung dar.

Neue Wege: Der didaktische Imperativ

Das Ziel eines vernetzten modernen Lehrangebots ist es, ein möglichst breites, überregionales Publikum anzusprechen. Man könnte so weit gehen, in Anlehnung an Immanuel Kant vom didaktischen Im-perativ zu sprechen:

Gestalte die Lehre immer so, dass sie als Vorbild für die Lehre der anderen dienen kann.

Dies gelingt nur durch hochwertige, ak-tuelle und vor allem ohne Zugangsbe-schränkung frei verfügbare Lehrinhalte, die didaktisch und multimedial so aufbe-

reitet sind, dass sie eine intrinsische Mo-tivation erzeugen, sich vertiefend mit der Materie auseinanderzusetzen.

Diese Maxime war der Anlass, von Würzburg aus die Lernplattform http://www.elearning-chirurgie.de ins Leben zu rufen (. Abb. 3). Auf dieser Webseite ha-ben sowohl die Studierenden als auch die in Weiterbildung befindlichen Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit, das Themen-gebiet der Allgemein- und Viszeralchirur-gie systematisch kennenzulernen. Der In-halt orientiert sich dabei bewusst am Ge-genstandskatalog, ohne sich in Detailwis-sen zu verlieren. Der pragmatische An-satz, den die Seite verfolgt, wird durch multimediale Elemente und interaktive Grafiken sowie zahlreiche Videos unter-stützt. Die Akzeptanz dieses Angebots ist ebenfalls hervorragend, ca. 5500 Besucher pro Monat erzeugen ca. 8500 Seitenauf-rufe (. Abb. 4).

Der nächste Schritt sind online verfüg-bare Kursangebote, die fest in das Kurri-kulum eingebettet sind. „Massive open on-line courses“, kurz „mooc“, erfahren mo-mentan einen regen Zulauf. Durch Inte-gration dieser online verfügbaren Kurs-modelle und Lernressourcen wird die Präsenzlehre bereichert und auf eine neue Ebene gehoben. Es entsteht echtes „blended learning“, mit dem sich ein ganz

Abb. 2 9 Verteilung der Zugriffe auf http://www.chirurgievorlesung-wuerz-burg.de

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Leitthema

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neues Publikum auf eine noch viel bessere Weise erreichen lässt als mit traditionellen Konzepten.

Das Portfolio unserer studentischen Lehre wird von den Studierenden sehr

gut angenommen, in der fakultätsinter-nen Evaluation wird die chirurgische Hauptvorlesung regelmäßig mit Bestno-ten evaluiert. 2009 wurde das Lehrkon-zept mit dem Kölliker-Lehrpreis der Uni-

versität Würzburg ausgezeichnet, im Jahr 2012 folgte die Auszeichnung mit dem Preis für gute Lehre durch das bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, For-schung und Kunst.

Abb. 3 8 Screenshot E-Learning-Webseite (Copyright: Universitätsklinikum Würzburg)

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Fazit für die Praxis

F  Der chirurgischen Hauptvorlesung kommt in der Welt vielfältiger digi-taler und frei verfügbarer Lernres-sourcen nach wie vor eine zentrale Bedeutung zu. Sie als Instrument der reinen Wissensvermittlung zu sehen, ist sicherlich antiquiert. Vielmehr ist der Dozent heute der Moderator und „anchor man“ in einer Welt sich stän-dig wandelnder Informationsquellen und schnell expandierenden Fachwis-sens.

F  Wenn diese Rolle angenommen wird und nicht alleine die Zahl der Anwe-senden in der Vorlesung als Maßstab des Erfolges gesehen wird, sondern die tatsächliche Reichweite der ei-genen Lehre, ist dies für die studen-tische Lehre ein tragfähiges Konzept von zentraler und zukunftsweisender Bedeutung [13].

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. C.T. GermerKlinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Würzburg,Oberdürrbacher Str. 6, 97080 Wü[email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  A. Wierlemann, J. Baur und C.T. Germer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

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  3.  Manzoor I, Mumtaz A, Habib M et al (2011) Lec-tures in medical education: students‘ views. J Ayub Med Coll Abbottabad 23:118–121

  4.  Bati AH, Mandiracioglu A, Orgun F et al (2013) Why do students miss lectures? A study of lecture at-tendance amongst students of health science. Nurse Educ Today 33:596–601

  5.  Stegers-Jager KM, Cohen-Schotanus J, Themmen AP (2012) Motivation, learning strategies, partici-pation and medical school performance. Med Ed-uc 46:678–688

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  8.  Horton DM, Wiederman SD, Saint DA (2012) As-sessment outcome is weakly correlated with lectu-re attendance: influence of learning style and use of alternative materials. Adv Physiol Educ 36:108–115

  9.  Bacro TR, Gebregziabher M, Fitzharris TP (2010) Evaluation of a lecture recording system in a medi-cal curriculum. Anat Sci Educ 3:300–308

10.  White JS, Sharma N, Boora P (2011) Surgery 101: evaluating the use of podcasting in a general sur-gery clerkship. Med Teach 33:941–943

11.  Cardall S, Krupat E, Ulrich M (2008) Live lecture versus video-recorded lecture: are students voting with their feet? Acad Med 83:1174–1178

12.  Dibacco PM, Hetherington VJ, Putman D (2012) Lecture capture: enhancing learning through tech-nology at the Kent State University College of Po-diatric Medicine. J Am Podiatr Med Assoc 102:491–498

13.  Martin SI, Way DP, Verbeck N et al (2013) The im-pact of lecture attendance and other variables on how medical students evaluate faculty in a precli-nical program. Acad Med 88:972–977

Abb. 4 9 Verteilung der Zugriffe auf http://www.elearning-chirurgie.de

840 |  Der Chirurg 10 · 2013

Leitthema