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Die deutsche Verteidigungs- industrie Den Auswirkungen der Corona-Krise effektiv begegnen und gestärkt daraus hervorgehen

Die deutsche Verteidigungs- industrie · Jan H. Wille . ist Partner bei Strategy& in Hamburg im Bereich Sicherheit und Verteidigung. Er berät Kunden an der Schnittstelle zwischen

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Die deutsche Verteidigungs- industrie Den Auswirkungen der Corona-Krise effektiv begegnen und gestärkt daraus hervorgehen

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KontakteDeutschland Dr. Jan H. WillePartner, PwC Strategy& [email protected]

Dr. Hans-Jörg KutscheraPartner, PwC Strategy& Germany+49-89-54525-556hans-joerg.kutschera@strategyand.de.pwc.com

André KellerSenior Manager, PwC Strategy& [email protected]

Dr. Jörg SchweingruberSenior Advisor, PwC Strategy& Germany+49-211-3890-352joerg.s.schweingruber@strategyand.de.pwc.com

Sophia StadlerSenior Associate, PwC Strategy& [email protected]

Schweiz Martin DebusmannManager PwC Strategy& [email protected]

Über die AutorenJan H. Wille ist Partner bei Strategy& in Hamburg im Bereich Sicherheit und Ver tei digung. Er berät Kunden an der Schnitt stelle zwischen öffentlichem und privatem Sektor bei der Strategieentwicklung und Transfor mation, vor allem im Zuge der Digitalisierung.

Jörg Schweingruber ist Senior Advisor bei Strategy& in Düsseldorf. Er berät den öffentlichen sowie privaten Bereich des Verteidigungssektors mit Fokus auf die Themen Strategieentwicklung, Transformation, Operating Model, Supply-Chain, Services und Marine.

Martin Debusmann berät den Öffentlichen Sektor in Deutschland, der Schweiz, Europa, Afrika und dem Nahen Osten zu Verteidigungs- und Sicherheitsanliegen, insbesondere hinsichtlich Digitalisierung, Transformation, Organisation und M&A-Themen. Er ist Manager bei PwC Strategy& in Zürich.

Hans-Jörg Kutschera ist Partner bei Strategy& in München. Er berät Kunden aus der Ver tei digungs industrie, der Luft- und Raum-fahrtbranche sowie des Maschinen- und Anlagenbaus mit Fokus auf strategische Transformation, Supply Chain Management und Operational Excellence.

André Keller ist Senior Manager bei Strategy& in München und spezialisiert auf die strategische Beratung von Klienten in der Verteidigungs-industrie. Der Schwerpunkt seiner Beratungs-tätigkeit liegt in den Bereichen Operational Excellence, Entwicklung strategischer Partner schaften und Operating Model.

Sophia Stadler ist Beraterin bei Strategy& und verfügt über mehrjährige Erfahrung in der Top-Management-Beratung. Sie unterstützt insbesondere die öffentliche Hand bei der Bewältigung der Herausforderungen der Digitalisierung, sowohl mit Fokus auf die IT- als auch die Fachseite.

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Strategy& | Die Zukunft der deutschen Verteildigunsindustrie 1

Den Auswirkungen der Corona-Krise effektiv begegnen und gestärkt daraus hervorgehenDie deutsche Verteidigungsindustrie ist insgesamt weniger als andere produzierende Unternehmen direkt von der aktuellen Corona-Krise betroffen. Gleichwohl können durch den Lockdown innerhalb Deutschlands sowie in vielen anderen europäischen Ländern, aber auch durch den reduzierten grenzüberschreitenden Warenaustausch Lieferengpässe entstehen. Social Distancing und Quarantäne maß-nahmen sorgen zeitweise auch für eine Reduktion der Produktion bei weiter laufenden Kosten. Dennoch dürfte es zunächst nicht zu dem massiven Nachfrageeinbruch kommen, den andere Industrien erfahren, da die staatlichen Aufträge weiterhin laufen. Perspektivisch besteht jedoch sowohl die Gefahr einer Budgetreduzierung wie auch der Verzögerung von Vorhaben, mit entsprechender Auswirkung auf die Zahlungsmeilensteine.

Die politische Agenda konzentriert sich derzeit auf breite Stabilisierungs- und Konjunktur-programme, um die Privatwirtschaft in allen Industrien massiv zu stützen. Der dadurch zusätzlich anfallende Finanzbedarf dürfte sich, den Erfahrungen aus vorherigen Krisen wie der Finanzkrise 2009 folgend, zumindest auch in den nächsten Jahren auf den Verteidigungshaushalt auswirken. Darüber hinaus agieren viele Staaten angesichts der Krise derzeit verstärkt national. Sollte sich dies über die Krise hinaus verfestigen, könnte sich das negativ auf die europäische Zusammenarbeit auswirken, wenn z.B. Staaten versuchen, ihre nationale Verteidigungsindustrie mit protektionistischen Mitteln abzuschirmen.

Damit die aktuellen Entwicklungen nicht zu langfristigen, strukturellen Problemen für die deutsche Verteidigungsindustrie führen, sollten zum einen Lehren aus vergangenen Krisen gezogen werden und zum anderen durch die Corona-Krise beeinflusste Treiber für die Entwicklung des Verteidigungshaushaltes sorgfältig analysiert werden. Daraus lässt sich ein Paket an wirksamen Maßnahmen auf industrieller und auch staatlicher Ebene ableiten.

EXECUTIVE SUMMARY

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Strategy& | Die Zukunft der deutschen Verteildigunsindustrie2

Unternehmen sollten jetzt mehr denn je einen besonderen Fokus auf ihre individuellen Kern fähig keiten lenken, um daraus ein starkes Produkt- und Serviceportfolio abzuleiten und zielgerichtet die richtigen Einsparpotenziale zu identifizieren. Gleichzeitig gilt es in der aktuellen Krise die Nachfrage und die Budgets zu stabilisieren, um auch das Über leben der kleineren Unternehmen in der Lieferkette abzusichern. Nach einer ersten Stabilisierung kann die aktuelle Krise auch als Impuls dienen, die notwendige Digitalisie-rungs agenda der Verteidigungsindustrie hinsichtlich der Prozesse, der Produktion und des Produktportfolios umzusetzen.

Auch der Staat kann einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung der Verteidigungs industrie und zur Sicherheitsvorsorge leisten, indem staatliche Aufträge an die Verteidigungsindustrie auch mittelfristig nicht reduziert werden. Kurzfristig dürfte die Auftragslage der OEMs aufgrund langer Vertragslaufzeiten zunächst unkritisch sein. Dieses gilt allerdings nicht für die Zulieferer, auf die die OEMs ihrerseits angewiesen sind, da diese oftmals nur einen gewissen Teil ihres Geschäftes im Bereich Verteidigung machen. Insbesondere bei denjenigen Zulieferern, die auch stark im Bereich der zivilen Luftfahrt, der Automobil in dustrie oder einer anderen von starken Reduktionen betroffenen Branche engagiert sind, drohen Ausfälle. Stabilisierende Maßnahmen für eine unbürokratische und schnelle Unterstützung sollten in Betracht gezogen werden, um die gesamte Branche, vor allem aber auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Verteidigungsindustrie, als wichtigen bzw. sogar systemrelevanten deutschen Wirtschaftszweig nachhaltig durch die Krise zu navigieren.

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3Strategy& | Die Zukunft der deutschen Verteildigunsindustrie

Lehren aus der VergangenheitAuch wenn die Verteidigungsindustrie kurzfristig die Folgen der Krise noch nicht vollum fänglich spürt, sind bereits negative Auswirkungen absehbar. Die Vergangenheit zeigt, dass die Branche insbesondere mittel- bis langfristig an den Folgen einer Wirtschaftskrise leiden dürfte: Der Rückgang des BIP in 2009 in den meisten Ländern hatte in den Folgejahren bis 2012 ebenfalls einen Rückgang der Verteidigungsausgaben zur Folge (siehe Abbildung 1).

ABBILDUNG 1

EU28 Veränderung (%) BIP 2009 und Verteidigungsausgaben 2008-2012

Quelle: BIP – International Monetary Fund, World Economic Outlook Database; Verteidigungsausgaben – Stockholm International Peace Research Institute Military Expenditure Database; in Anlehnung an DGAP Policy Brief Nr. 9-2020

EU28 Veränderung (%) BIP 2009 und Verteidigungsausgaben 2008−2012

-60

-50

-40

-30

-20

-10

0

10

-35 -30 -25 -20 -15 -10 -5 0 5 10

Veränderung BIP 2009

Verä

nd

eru

ng

Ver

teid

igu

ng

sau

sgab

en

2008

−20

12 (%

)

Griechenland

Lettland

Lithuania

Bulgarien

Malta

Schweden

BelgienÖsterreich

Estland

Slowakische Republik

SloveniaUngarn

IrlandKroatien

Spanien Portugal

Italien

Rumänien

Tschechis-che Republik

Niederlande

DeutschlandDänemark

FrankreichGB

PolenZypern

Finnland Luxemburg

Mehr als 10 Jahre später spürt die Bundeswehr die Auswirkungen der Finanzkrise 2009 immer noch deutlich. Die Kürzungen der Verteidigungsausgaben 2009-2012 haben zu Einsparungen mit erheblicher Langzeitwirkung geführt, z.B. Zusammenführung von Rüstung, Nutzung und IT im BAAINBw unter massivem Abbau von Dienstposten sowie Lagerkapazitäten, Einsparungen bei Materialerhalt und Ersatzteilbeschaffungen. Alle diese Maßnahmen strahlen bis heute auf den in 2015 eingeleiteten Fähigkeitsaufbau der Bundeswehr aus.

Die mittel- und langfristige Reduktion der Verteidigungsausgaben würde daher auch heute die seit dem Gipfel von Wales eingeleitete Trendwende abrupt unterbrechen und unter Umständen die Finanzierung wichtiger Beschaffungsvorhaben wie z.B. FCAS oder MGCS verzögern bzw. sogar komplett gefährden. Damit einhergehend würde die Kürzung der Etats den gerade begonnenen Aufbau an Fähigkeiten und Kapazitäten auf Seiten der Streitkräfte wie auch in der Industrie entschieden unterbrechen. Die Vergangenheit zeigt auch, dass nach einer solchen Unterbrechung die Verteidigungsindustrie lange Zeiträume benötigt, um die Entwicklungs- und Produktionskapazitäten wiederaufzubauen. So erfordert der Aufbau von personellen Kapazitäten aufgrund des benötigten Spezialwissens und der geringen Verfügbarkeit von entsprechenden Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt oft Jahre.

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Hohe Qualitäts- und Zulassungsanforderungen an das Material sowie oftmals geringe Stück zahlen schränken die Anzahl und damit die kurzfristige Verfügbarkeit möglicher Zulieferer, aber auch das wirtschaftliche Interesse mancher Zulieferunternehmen ein. Behördliche Genehmigungen müssen aufwendige und zeitintensive Prozesse durchlaufen. Kleinere Lieferanten ohne besondere Spezialisierung dürften besonders betroffen sein und könnten durch Insolvenzen ausfallen. Sie zu ersetzen, dürfte sich für ihre Abnehmer schwierig gestalten.

Aufgrund dieser spezifischen Herausforderungen der Industrie ist es insbesondere wichtig, dass der Trend zum Bestandsaufbau durch eine erneute Krise nicht gedämpft wird. Wie Abbildung 2 zeigt: Durch den Anstieg der Verteidigungsausgaben seit 2015 konnten sich die Bestände der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr allmählich erholen. Damit wurde ein wesentlicher Schritt in Richtung des dringend notwendigen Fähigkeitsaufbaus geleistet. Dieser Schritt nach vorne sollte durch die aktuelle Krise nicht abrupt unterbrochen, sondern zukunftsgerichtet weiter beschritten werden.

ABBILDUNG 2

Entwicklung Verteidigungsausgaben Deutschland und Bestände Hauptwaffensysteme Bundeswehr

Panzer

Überwasserkampf-schiffe/-boote

Artilleriesysteme

Verteidigungsausgaben

Kampfflugzeuge

9.500

1.500

1.000

60

50

40

30

20

10

0

500

1990

861

805

655

198

130 162

229

906

9.463

1.006

7.742

23

1994 1998 2002 2006 2010 2014 2015 2016 2017 2018 2019

0

55

15

1.312

Bestände Hauptwaffen-systeme Bundeswehr

Verteidigungsausgaben Deutschland in USD Mrd.

(2018, konstant)

Quelle: Stockholm International Peace Research Institute Military Expenditure Database, Strategy&-Analyse

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Mögliche Treiber für die Anpassung des Verteidigungsetats durch die Corona-Krise Die aktuelle Krise unterscheidet sich vor allem durch ihre gesellschaftlichen und geo poli-tischen Treiber von der Finanzkrise vor zehn Jahren. Diese dürften mittel- und langfristige Auswirkungen auf den deutschen Verteidigungsetat haben. Sie sollten daher für eine nachhaltige Krisenbewältigungsstrategie der Verteidigungsindustrie berücksichtigt werden:

Extrem hohe Staatsausgaben für Kon junktur-programme in Europa

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie haben in Deutschland und den meisten anderen betroffenen Ländern eine „Koste was es wolle“-Mentalität hinsichtlich der Staatsausgaben zur Wirtschaftsförderung ausgelöst. Auch wenn bereits bewilligte Verteidigungsetats und -projekte davon zunächst nicht betroffen sind, wäre eine Umverteilung von Haushaltsmitteln zugunsten von Konjunkturprogrammen und mittelfristig zur Schuldentilgung zulasten der Verteidigungsausgaben scheinbar plausibel. Eine solche Entwicklung ist vor dem Hintergrund einer ähnlichen Entwicklung in der Finanzkrise 2008-2012 zu erwarten. Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, dass Investitionen in den Bereichen F&E und F&T für Technologieprogramme wie FCAS, MGCS oder EuroMALE die Konjunktur sowie die politische und technologische Beitragsfähigkeit Deutschlands langfristig beflügeln.

Ein sinkendes BIP könnte auch zu politischen Forderungen führen, die Verteidigungsausgaben nur langsamer in Richtung des 2%-Ziels zu erhöhen.

Nationalisierung von Krisen-reaktionen

Die Corona-Krise hat vor allem innerhalb der EU zu verstärkt nationalem Handeln geführt: Krisenreaktionen wie Grenz-schließungen, Gesetzes initiativen und Regelungen sowie Konjunkturprogramme werden (bislang) primär national und ohne europäische oder internationale Koordinierung umgesetzt. Dieser Trend zu einer zunehmenden Nationalisierung könnte sich auch über die aktuelle Krise hinaus fortsetzen und die gemeinsam geplanten Rüstungsvorhaben auf EU-Ebene, z.B. im Rahmen der PESCO, beeinflussen. Nationale Alleingänge in großen und spezialisierten Rüstungsprojekten dürften jedoch die Seltenheit sein, da z.B. bestimmte Fähigkeiten nicht auf allein nationaler Ebene aufgebaut werden können oder kleinere Losgrößen zu ungewünschten Preissteigerungen führen dürften.

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Fokus auf Systemrelevanz

Durch die Corona-Krise wird die Bedeutung der „Systemrelevanz“ verstärkt gesellschaftlich diskutiert. Es ist davon auszugehen, dass die als systemrelevant angesehenen Wirtschaftszweige besondere Wertschätzung in der Bevölkerung genießen sowie eine gesteigerte Akzeptanz vorhanden ist, diese Bereiche durch staatliche Gelder zu unterstützen. Es gibt sicherlich gute Gründe, die Verteidigungsindustrie als wesentliches Element der Sicher-heitspolitik und -vorsorge als systemrelevant einzustufen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass eine derartige Wahrnehmung weitere Aufklärungsarbeit durch Verbände und Politik erfordert.

Angeschlagenes Amerika

Die US-amerikanische Politik der letzten Jahre hat die anderen NATO- Staaten, insbesondere Deutschland, bereits unter großen Druck gesetzt, die nationalen Verteidigungsausgaben zu erhöhen (NATO-2% BIP-Ziel). Die aktuell prekäre medizinische und wirt schaftliche Situation steigert in den USA den innenpolitischen Druck, Sozial-, Gesundheits- und Konjunkturprogramme auf den Weg zu bringen. Diese zusätzliche finanzielle Belastung dürfte zu einer geringeren Bereitschaft in den USA führen, den Verteidigungsetat für das NATO-Bündnis einzusetzen. Die übrigen NATO-Staaten wären dann gefragt, zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Bündnisses ihre eigenen Verteidigungs kapazitäten auszubauen.

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Mögliche Auswirkungen auf die VerteidigungsindustrieDie Corona-Krise wird sich in bisher nicht gekanntem Maße sowohl auf die Nachfrage als auch das Angebot auswirken und die Unternehmensfinanzierung beeinflussen.

1Nachfrage

• In einem Low-Change-Szenario erwarten wir sowohl kurz- als auch langfristig nur geringe Rückgänge der Verteidigungsausgaben, da Haushaltsmittel bereits zugewiesen wurden und der politische Wille an den vereinbarten Zielen (NATO: 2% des BIP), an der Trendwende zur Modernisierung und an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern festhält. Kurzfristig werden sich in Deutschland jedoch einzelne Parlamentsentscheidungen (25 Mio-Vorlagen) verzögern.

• Im High-Change-Szenario steht der bereits beschlossene Verteidigungshaushalt teilweise zur Disposition. Dies könnte zumindest mittelfristig zu einer Reduzierung der Verteidigungsausgaben führen. Gestärkte nationale Interessen und die Gefahr von länger anhaltenden Grenzschließungen verzögern staatenübergreifende Auftragsvergaben für die anstehenden Großprojekte wie FCAS, MGCS oder Tornado-Nachfolge. Sie könnten theoretisch sogar zu einem Umdenken hinsichtlich gemeinschaftlicher Rüstungsprojekte (z.B. U212CD) insgesamt führen, wobei Projekte dieser Größenordnung technologisch und finanziell kaum mehr national zu realisieren sind. Der bestehende Megatrend der Digitalisierung gewinnt durch die Corona-Krise und die damit verbundenen Maßnahmen wie Social Distancing zusätzlich an Momentum, da die Bedeutung digitaler Infrastruktur und Kanäle steigt – auch für die Verteidigungsindustrie. Durch eine stärkere Verschmelzung der Verteidigungsindustrie mit der IT ergeben sich mittelfristig zusätzliche Marktpotenziale, zum Beispiel im Bereich der Cybersicherheit, die ein langfristiges Wachstum der Branche stützen und damit einen eventuellen Umsatzrückgang abfedern können.

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2Angebot

• Im Low-Change-Szenario bedeuten die Lockdown-Maßnahmen nur temporäre Auswirkungen auf die Produktion. Maßnahmen wie „Deep Cleaning“ ermöglichen eine schnelle Rückkehr der Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz. Die Verteidigungsindustrie wird dabei, ggf. sogar als systemrelevante Branche, durch den Bund unterstützt. Grenzschließungen und Stillstand der Produktionen erfolgen nur kurzfristig, so dass Lieferketten nicht langfristig gestört werden. Der Verteidigungsindustrie gelingt es mittelfristig, auf einem Arbeitsmarkt mit einem Überangebot an Personalressourcen dringend benötigte Talente einzustellen und neue Produkte und Technologien durch die Nutzung freier Kapazitäten zu entwickeln.

• Kurzarbeit und eine unsichere Zukunftsprognose lassen in einem High-Change-Szenario vor allem spezialisierte Fachkräfte in diejenigen Industrien abwandern, die sich z.B. durch rechtzeitige Digitalisierungsmaßnahmen auch in einer Welt mit Corona behaupten können. Diese Entwicklung lässt sich primär in der zivilen Welt beobachten, hat aber auch das Potenzial die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu erfassen. Eine Nachbesetzung fällt schwer, weil auch der internationale Fachkräftemarkt durch erhöhte Migrationsauflagen gestört ist. Dadurch wird auch die Entwicklung neuer Produkte und Technologien verzögert. Zulieferer, vor allem im KMU-Bereich, fallen aufgrund von Insolvenzwellen aus. Internationale Lieferketten erweisen sich als unzuverlässig. Den auf die Krise folgenden Wirtschaftsaufschwung kann die Verteidigungs-industrie erst verzögert nutzen, weil die Produktion nur mit langen Anlaufzeiten wieder aufgenommen werden kann.

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3Unternehmens- finanzierung

• Im Low-Change-Szenario leidet die Ver tei di-gungs industrie vergleichsweise gering, da sie grundsätzlich über langfristige Projekte beauftragt ist, regelmäßige Zahlungsmeilensteine vertraglich vereinbart sind und vor der Krise teilweise einen Höchststand im Auftragseingang verzeichnen konnte. Auf Kundenseite stehen Regierungen, die auch in Krisenzeiten den eingegangenen Zahlungsverpflichtungen nachkommen können und werden.

• Im High-Change-Szenario führt ein langfristiger Einbruch der Nachfrage durch die Regierung sowie auch der Exportkunden zu einer permanenten Unterauslastung und kontinuierlichen Verlusten. Da die Branche in diesem Fall Schwierigkeiten hätte, ihr Produktportfolio kurzfristig an neue Märkte anzupassen, wäre mit einem Abbau von Kapazitäten zu rechnen. Langfristig würde dieses innerhalb der großen Unternehmen zu einem Fähigkeitsverlust führen. Kleinere Unternehmen wären gegebenenfalls nicht überlebensfähig, da sie zu stark von einzelnen OEMs oder Produkten abhängig sind.

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Industrie

Maßnahmen zur Abschwächung negativer Auswirkungen und zur Bewältigung der KriseDurch die vielen unterschiedlichen Treiber in der Corona-Krise mit teilweise gegensätzlichen Auswirkungen auf den Verteidigungssektor ist eine eindeutige Prognose derzeit kaum möglich. Vielmehr soll das hier vorgestellte Paket möglicher Maßnahmen für die Verteidigungsindustrie selbst sowie für die Bundesregierung zur rechtzeitigen Diskussion anregen.

Fokus auf Kernfähigkeiten und Schlüsseltechnologien

Um der Krise entschlossen zu begegnen und die Leistungsfähigkeit der deutschen Verteidigungs-industrie aufrechtzuerhalten, könnten Industrie-koope rationen, möglicherweise auch auf europäischer Ebene, eine wesentliche Maßnahme sein. Dabei sollte insbesondere ein Fokus auf Schlüsseltechnologien wie z.B. Kryptotechnologie, Sensorik und „Systems-of-Systems“-Fähigkeiten gesetzt werden, um Deutschland auch weiterhin als Forschungs- und Technologiegröße im Verteidigungsmarkt zu positionieren.

Darüber hinaus können notwendige, krisen ge trie-bene Kostenreduktionen in den Bereichen außerhalb der Kernfähigkeiten zielgerichtet umgesetzt werden, ohne die Lieferfähigkeit der deutschen Vertei-di gungs industrie zu beeinträchtigen. Dabei muss jedoch stets beachtet werden, wichtige Produktionslosgrößen nicht zu unterschreiten.

Weiterentwicklung der Organisation und Lieferkette

Während der Krise haben viele Unternehmen ihre Produktion zeitweise auf die unmittelbaren Bedarfe der Krise angepasst; Parfümhersteller produzieren beispielsweise Desinfektionsmittel, Bekleidungsunternehmen fertigen Atemmasken. Verteidigungsunternehmen sollten an den gelebten Beispielen erkennen, dass der mittel- und langfristige Aufbau einer agilen Organisation und Produktion die Möglichkeit eröffnet, flexibel auf Krisen und kurzfristige Bedarfsanpassungen zu reagieren. Dies kann insbesondere durch flexible Automatisierung, z.B. in der Materialflusstechnik oder in der Fertigung (3D-Druck), durch volle Transparenz über die Lieferketten sowie durch eine durchgehende Digitalisierung von der Produktentwicklung bis in den Service (Product Lifecycle Management Systeme) erreicht werden.

Die erhöhte Autarkie von Lieferketten, die sich ein agiles Unternehmen schafft, kann auch kurzfristigen, akuten Lieferengpässen aufgrund von Grenzschließungen begegnen und zur Überlebensfähigkeit des Unternehmens beitragen.

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Bundesregierung

Digitalisierung der Produktion, des Produktportfolios und der Zusammenarbeit

Auch wenn die Notwendigkeit einer umfassenden Digitalisierung der Produktion und einer Fokussierung auf digitale Produkte und Technologien bereits vor der aktuellen Krise bestand, wird diese durch den Digitalisierungsschub infolge der Corona-Krise noch einmal verstärkt.

Dies bedeutet insbesondere den Ausbau der Cyber-Fähigkeiten und eine noch stärkere Ausrichtung auf die Erlangung von „Systems-of-Systems“-Fähigkeiten in der Industrie als Ganzes.

Zudem sollte die Branche das digitale Zusammen-arbeiten in der gesamten Lieferkette ermöglichen und weiter vorantreiben. Erste erfolgreiche Schritte sind getan, nun gilt es diese langfristig abzusichern und weiter auszubauen.

Aktive Unterstützung

Neben den Maßnahmen, die Unternehmen un-mittel bar und selbstständig ergreifen können, wäre auch eine aktive Unterstützung durch die Bundesregierung möglich. So können bei spiels-weise Meilensteinzahlungen für große Projekte teilweise vorgezogen und eine Bevorratung wichtiger Ressourcen nun eingeleitet werden. Dies würde sowohl die Liquidität der Unternehmen absichern und auch die Grundbefähigung zur selbstständigen Systembetreuung gewährleisten. Weitere Maßnahmen wären beispielsweise die Verlängerung von Fristen z.B. für die Abgabe von Angeboten oder für das Erreichen von Meilensteinen sowie eine Stundung von Strafzahlungen bei Nicht-Erreichen von Meilensteinen.

Gleichzeitig gilt es zu überlegen, an welcher Stelle die Bundesregierung die Verteidigungsindustrie über spezielle Konjunkturprogramme direkt fördern kann. Als Möglichkeit bieten sich zum Beispiel Übergangskredite an. Da es an dieser Stelle unmöglich ist, alle Unternehmen in gleichem Maße zu unterstützen, gilt es eng abzuwägen, ob die Regierung tendenziell die OEMs oder angeschlagene, mittelständische Lieferketten stützt. Sollte die Wahl auf die OEMs fallen, müssten diese verpflichtet werden, die anderen Beteiligten der Lieferkette mittelbar durch Unter- und Zulieferaufträge von der staatlichen Unterstützung profitieren zu lassen.

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Mögliche Auswirkungen auf die VerteidigungsindustrieDie deutsche Verteidigungsindustrie hat gute Chancen, die Corona-Krise ohne stärkere Einbrüche zu überstehen und sogar gestärkt aus ihr hervorzugehen. Die eingeleitete Trendwende in der Beschaffung moderner Verteidigungstechnologie hat weiterhin Bestand. Die Branche ist durch einen derzeit vergleichsweise starken Auftragsbestand gerüstet, um einen kurzfristigen Rückgang bei Neuaufträgen zu verkraften.

Es gilt daher, nach vorne zu schauen und die aktuelle Situation zu nutzen, um wichtige strategische Themen z.B. im Bereich der Digitalisierung anzugehen und die richtigen Fachkräfte für die nächste Dekade zu gewinnen. Hierfür bedarf es jedoch einer belastbaren Planungsgrundlage durch den öffentlichen Auftraggeber. Eine Kürzung von Haushaltsmitteln wäre ein kontraproduktives Signal für die Branche und könnte den erforderlichen Fähigkeitsaufbau langfristig behindern.

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Strategy&Strategy& ist die globale Strategieberatung von PwC. Wir entwickeln individuelle Geschäftsstrategien für weltweit führende Unternehmen. „Strategy, made real“ heißt für uns, den digitalen Wandel voranzutreiben, die Zukunft mitzugestalten und Visionen Wirklichkeit werden zu lassen.

Unser praxisorientierter Beratungsansatz stellt die Kernkompetenzen unserer Klienten in den Vordergrund. Wir kombinieren unsere Expertise mit Technologie und erarbeiten daraus eine passende Strategie, die effizient umsetzbar ist. Wir unterstützen Unternehmen bei der Definition und dem Ausbau differenzierender Wettbewerbsvorteile, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu meistern.

3.000 Strategieberater und mehr als 250.000 PwC-Mitarbeiter an 736 Standorten in 158 Ländern tragen hierzu mit einem breiten Spektrum an hochwertigen, branchen spezifischen Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuer- und Unternehmensberatung bei. Unsere Erfahrung aus 100 Jahren Beratung namhafter Unternehmen und öffentlich-rechtlicher Institutionen bringen wir zusätzlich in zahlreiche Studien, Veröffentlichungen sowie unser mehrfach ausgezeichnetes Management Magazin strategy+business ein.

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