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93 WOLFGANG WIEGAND 1 Die Geschäftsverbindung im E-Banking Inhaltsverzeichnis I. Einleitung 96 II. Ausgangslage und Standortbestimmung 97 A. Strukturenvielfalt der Dienstleistungen 97 B. Rechtliche Erfassung und Einordnung der Dienstleistungsbeziehung im System des Schuldrechts 98 C. Die rechtlichen Besonderheiten der Bank-/Kunden-Beziehung 100 III. Die Begründung der Geschäftsverbindung im E-Banking 101 A. Zwei Varianten 101 1. Ganze oder teilweise Überleitung bei bestehender Geschäfts- beziehung 101 2. Elektronische Begründung 101 B. Die Vertragsanbahnung 102 1. Präsentation der Bankdienstleistungen im Netz 102 2. Verhaltenspflichten 103 a. Vor und bei Vertragsschluss 103 b. Nach Vertragsschluss 104 3. Die speziellen Informationspflichten im E-Commerce 104 a. Die zugrunde liegenden EU-Richtlinien und ihre Integration durch das Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr ... 105 b. Die speziellen Informationspflichten 106 c. Die Vervielfältigung der Verhaltenspflichten und das Schweizer Recht 106 4. Die Lösung des Entwurfs 108 a. Verhaltenspflichten als «Lauterkeitspflichten» 108 b. Vertragsrechtliche Konsequenzen trotz UWG-Lösung 109 c. Zwischenresultat 111 5. Der Vertragsschluss durch Austausch von elektronischen Willens- äusserungen 111 a. Die Abgabe rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen auf elektronischem Wege 112 b. Der Zugang der Willenserklärung 114 6. Praktische Konsequenzen und Anpassungen 117 a. Vertragsschluss durch «Dialog unter den Parteien» 117 b. Der Austausch von Willenserklärungen unter Abwesenden ... . 118 7. Vertragsinhalt 123 a. Ausgangspunkt 123 b. Auswirkungen beim E-Commerce 123 Unter Mitarbeit von lie. iur. MARIO MARTI. Fürsprecher. Assistent am Institut für Bankrecht der Universität Bern.

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93

WOLFGANG W I E G A N D 1

Die Geschäftsverbindung im E-Banking

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung 96 II. Ausgangslage und Standortbestimmung 97

A. Strukturenvielfalt der Dienstleistungen 97 B. Rechtliche Erfassung und Einordnung der Dienstleistungsbeziehung

im System des Schuldrechts 98 C. Die rechtlichen Besonderheiten der Bank-/Kunden-Beziehung 100

III. Die Begründung der Geschäftsverbindung im E-Banking 101 A. Zwei Varianten 101

1. Ganze oder teilweise Überleitung bei bestehender Geschäfts­beziehung 101

2. Elektronische Begründung 101 B. Die Vertragsanbahnung 102

1. Präsentation der Bankdienstleistungen im Netz 102 2. Verhaltenspflichten 103

a. Vor und bei Vertragsschluss 103 b. Nach Vertragsschluss 104

3. Die speziellen Informationspflichten im E-Commerce 104 a. Die zugrunde liegenden EU-Richtlinien und ihre Integration

durch das Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr . . . 105 b. Die speziellen Informationspflichten 106 c. Die Vervielfältigung der Verhaltenspflichten und

das Schweizer Recht 106 4. Die Lösung des Entwurfs 108

a. Verhaltenspflichten als «Lauterkeitspflichten» 108 b. Vertragsrechtliche Konsequenzen trotz UWG-Lösung 109 c. Zwischenresultat 111

5. Der Vertragsschluss durch Austausch von elektronischen Willens­äusserungen 111 a. Die Abgabe rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen

auf elektronischem Wege 112 b. Der Zugang der Willenserklärung 114

6. Praktische Konsequenzen und Anpassungen 117 a. Vertragsschluss durch «Dialog unter den Parteien» 117 b. Der Austausch von Willenserklärungen unter Abwesenden . . . . 118

7. Vertragsinhalt 123 a. Ausgangspunkt 123 b. Auswirkungen beim E-Commerce 123

Unter Mitarbeit von lie. iur. MARIO MARTI. Fürsprecher. Assistent am Institut für Bankrecht der Universität Bern.

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94 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

8. Anfechtung 126 9. Das Formproblem und die digitale Signatur 127

a. Ausgangslage 128 b. Die neue Regelung 129 c. Kritik und Konsequenzen 130

IV. Inhalt und Abwicklung der Geschäftsverbindungen 131 A. Die wechselseitigen Rechte und Pflichten 131 B. Die Funktion und Wirkung der Allgemeinen und Besonderen Geschäfts­

bedingungen 132 C. Einzelregelungen 133

1. Legitimation 133 2. Sorgfaltspflichten 134 3. Zugangssperren 134 4. Bankgeheimnis und Datenschutz 135

V. Leistungsstörungen, Haftungsausschlüsse und Risikoverteilung 136 A. Grundlagen 136

1. Abgrenzung von Risikosphären 136 2. Tendenz zum Schutz des «Produzenten» des Risikos 137 3. Risikoverteilung im E-Banking 138

B. Die Haftungsausschlussklauseln 139 1. Unverbindlichkeit der «Angebote» und deren Inhalte 139 2. Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen 139 3. Generelle Risikoverteilung 140 4. Haftung für Software 141

C. Abschliessende Bemerkungen zur Risikoverteilung 141

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- Die Rechtsbeziehung Bank - Kunde in der Schweiz unter besonderer Berücksich­tigung der AGB-Problematik. Aktuelle Probleme im Bankrecht, Berner Tage für

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96 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

die juristische Praxis (BTJP) 1993, Bern 1994, 129 ff. (zit. WIEGAND, Rechtsbezie­hung Bank - Kunde)

- Haftung beim Online-/Phone-Broking - Ein richtungsweisendes Urteil, recht 2000, 84 (zit. WIEGAND, recht 2000)

- Legal Aspects of the Bank-Customer Relationship in Electronic Banking, Beitrag an der Tagung «Legal Issues in Electronic Banking» des R.I.Z. (Rechtszentrum für europäische und internationale Zusammenarbeit), Köln vom 5./6. April 2001. Der Tagungsband erscheint demnächst: HÖRN NORBERT (ed.), Legal Issues in Electronic Banking, Kluwer Law International, London/The Hague/New York, 2001 (zit. WIE­GAND, Legal Aspects)

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I. Einleitung

Im Januar dieses Jahres hat das Justizdepartement zwei Gesetzesentwürfe in die Vernehmlassung geschickt, die für das E-Banking, aber nicht nur für die­ses, sondern für das gesamte Privatrecht, weit reichende Bedeutung haben werden, wenn sie in Kraft gesetzt werden sollten. Es handelte sich einerseits um das Bundesgesetz über die elektronische Signatur und zum anderen um das Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr, das im Unter­titel als «Teilrevisionen des Obligationenrechts und des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb» bezeichnet wird. Im Juli dieses Jahres hat der Bundesrat die erste Vorlage in überarbeiteter Form und unter dem neuen Titel «Bundesgesetz über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Si­gnatur» verabschiedet2. Bei beiden Gesetzesvorhaben handelt es sich nicht um singulare schweizerische Regelungen, sondern um den Versuch des Ge­setzgebers, das bestehende Rechtssystem modernen Entwicklungen anzupas­sen und dies gewissermassen im Gleichschritt mit den umliegenden Ländern zu tun. Dabei spielen natürlich vor allem die Rechtsentwicklungen in der Eu­ropäischen Union eine Rolle, da die Harmonisierung des schweizerischen und europäischen Rechts seit langem ein erklärtes Ziel und ein beständiges Postu­lat in den politischen Institutionen ist. Infolgedessen geht es bei diesen schwei­zerischen Gesetzesentwürfen um das, was in der korrespondierenden Richt­linie der Europäischen Union über den elektronischen Geschäftsverkehr fol-gendermassen formuliert wird:

Der Text der beiden Gesetzesentwürfe findet sich in den Anhängen 1 und 2.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 97

«Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ihr Rechtssystem den Abschluss von Verträgen auf elektronischem Wege ermöglicht. Die Mitgliedstaaten stellen insbesondere sicher, dass ihre für den Vertragsabschluss geltenden Rechts­vorschriften weder Hindernisse für die Verwendung elektronischer Verträge bilden noch dazu führen, dass diese Verträge aufgrund des Umstandes, dass sie auf elektronischem Wege zustande gekommen sind, keine rechtliche Wir­kung oder Gültigkeit haben3.»

Dieses Zitat gibt mutatis mutandis ziemlich genau die Zielsetzung der in die Vernehmlassung geschickten Gesetze wieder. Um beurteilen zu können, ob dieses Ziel erreicht werden kann, ist zunächst eine Art Standortbestim­mung erforderlich. Ich beschränke mich dabei im Wesentlichen auf die Ge­schäftsbeziehung zwischen Bank und Kunde, um so eine Basis für die Beurtei­lung der Frage zu gewinnen, ob die mit diesen Gesetzen angestrebten Rege­lungen hinreichende Rahmenbedingungen für die elektronische Abwicklung des Bankgeschäfts bilden.

IL Ausgangslage und Standortbestimmung

A. Strukturenvielfalt der Dienstleistungen

Dienstleistungen zählen zu den signifikantesten Erscheinungen des modernen Wirtschaftslebens, die ihnen zugrunde liegenden oder sie begleitenden Rechts­verhältnisse zählen ihrerseits zu den interessantesten und komplexesten recht­lichen Beziehungen. Dies hat vielfältige Gründe. Zum einen liegen sie in der Struktur der Dienstleistungen selbst. Sie werden heute vielfach als Pakete oder im Rahmen einer Dienstleistungspalette angeboten, in der die Dienstleis­tungserbringer mehrere Leistungstypen zur Auswahl oder auch zur Kombina­tion anbieten. Solche Erscheinungen finden sich in nahezu allen Bereichen, in denen Dienstleistungen offeriert werden. Besonders breit ist das Spektrum und besonders gross ist die Vielfalt im Bereich der Finanzdienstleistungen, die hier in erster Linie interessieren und auf die ich mich später beschränken wer­de. Zuvor ist jedoch noch auf ein strukturelles Problem hinzuweisen, das sich für all diese komplexen Dienstleistungen in gleicher Weise stellt.

Art. 9 Ziff. 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, ins­besondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt («Richtlinie über den elek­tronischen Geschäftsverkehr»). Der Text der Richtlinie findet sich im Anhang 3.

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98 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

B. Rechtliche Erfassung und Einordnung der Dienstleistungsbeziehung im System des Schuldrechts

Bei der Erbringung mehrerer kombinierter oder nebeneinander stehender Dienstleistungen durch einen Anbieter ergeben sich zwei prinzipielle Proble­me: Zum einen geht es um die Frage, ob es gewissermassen eine rechtliche Klammer oder einen gemeinsamen Nenner gibt, der die einzelnen Dienstleis­tungen miteinander verknüpft, und zum andern um die Qualifikation dieser einzelnen Leistungen. Zum Ersteren sind verschiedene Modelle entwickelt und eingehend diskutiert worden. Einige Autoren haben vorgeschlagen, vom Konzept eines Rahmenvertrags auszugehen, der gewissermassen die Basis für die einzelnen Rechtsbeziehungen bildet, andere wollen der Geschäftsverbin­dung als solcher noch nicht die Qualifikation eines Vertrages zuerkennen4. Im Bankbereich kreist die Diskussion um die Figur des so genannten Allgemei­nen Bankvertrages, die in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen und in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem von CANARIS und HOPT ge­führt wurde. Während HOPT5 die Theorie vom Allgemeinen Bankvertrag be­fürwortet, lehnt CANARIS6 diese Figur aus prinzipiellen Erwägungen ab. Die Debatte, die inzwischen auch auf die Schweiz übergegriffen hat, ist hier nicht im Einzelnen zu verfolgen7. Ich kann mich auf einige kurze Hinweise be­schränken, da der Streit aus meiner Sicht inzwischen weitgehend gegenstands­los geworden ist.

Zunächst ist klarzustellen, dass es nicht darum gehen kann, ob es den All­gemeinen Bankvertrag gibt oder ihn nicht geben kann. Ein solcher Streit ist ebenso sinnlos wie derjenige, der darüber geführt wird, ob es den «dinglichen Vertrag» an sich und als solchen gibt. In beiden Fällen kann es nur darum ge­hen, ob man mit diesen dogmatischen Konzepten die rechtlichen Verhältnisse besser erfassen und damit sicherere Grundlagen für die Rechtsanwendung er­arbeiten kann.

Für den Allgemeinen Bankvertrag sind unter diesem Aspekt zwei Dinge zu bedenken: Mit Hilfe dieser Figur können sämtliche Bank-/Kunden-Bezie-hungen auf eine einheitliche Basis gestellt und damit die wechselseitigen grundlegenden Rechte und Obliegenheiten fixiert werden. Dies liegt vor al­lem im Interesse der Banken; denn auf diese Weise werden von allem Anfang an ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen in das gesamte Rechtsverhältnis einbezogen und gelten auch für diejenigen Beziehungen, die erst später eröff­net werden. Die dagegen vielfach geäusserte Befürchtung, dass der Allgemei-

4 SCHMID. 63 ff.: WFBER. Rahmenverträge. 403 ff.: MAURFNBRECHER. 173 ff.; WIEGAND. Rechtsbe­

ziehung Bank - Kunde. 129 ff. Grundlegend zum Rahmenvertrag vgl. VON DER CRONE HANS CASPAR. Rahmenverträge, Zürich 1993.

' HOPT KLAUS J.. Kommentar zum HGB. 30. Aufl. 2000. BankGesch. A6/A7. ^ CANARIS. Rn. 2 ff. 7 Vgl. dazu die Nachweise bei WIEGAND. Rechtsbeziehung Bank - Kunde, 133 ff.; BERGER. 38 ff.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 99

ne Bankvertrag die Bank zu einer Kreditgewährung verpflichten könne, ist weder aus dessen Wesen zu begründen noch sonst wie berechtigt. Wenn es je eine solche Pflicht gibt, entsteht sie aus besonderen Situationen und beruht dann auf den allgemeinen Loyalitätspflichten, die ihre Grundlage in Art. 2 ZGB haben und überall dort gelten, wo Parteien im rechtsgeschäftlichen Kon­takt stehen, auch wenn sie noch kein Vertragsverhältnis geschlossen haben.

Dies führt sogleich zum zweiten und entscheidenden Gesichtspunkt: Die Ablehnung des Allgemeinen Bankvertrags verändert in der Sache nur wenig. Was soeben beschrieben wurde, ist heute allgemein anerkannte Doktrin im schweizerischen Recht und vom Bundesgericht seit dem Swissair-Entscheid8

übernommen worden. Es handelt sich um die Doktrin vom gesetzlichen Schutz- oder Schuldverhältnis, das mit der Aufnahme rechtsgeschäftlichen Kontaktes unabhängig vom Willen der Parteien begründet wird und diese zu wechselseitigem loyalem Verhalten führt9. Aufgrund dieser allgemeinen Ver­haltenspflichten entstehen zwischen Bank und Kunden zahlreiche Verpflich­tungen, auf die später näher einzugehen sein wird. Für die Banken hat deshalb die Ablehnung des Allgemeinen Bankvertrags nur nachteilige Folgen: Wäh­rend innerhalb des Allgemeinen Bankvertrags die Allgemeinen Geschäftsbe­dingungen integriert sind und deshalb - in der Regel zu Gunsten der Bank -Anwendung finden, ist dies beim gesetzlichen Schuldverhältnis aus rechtsge­schäftlichem Kontakt nicht der Fall. Unter diesem Aspekt wäre es sinnvoll, die Frage noch einmal zu überdenken, ob der Allgemeine Bankvertrag nicht für beide Parteien zu befriedigenderen und sicheren rechtlichen Regeln führt10.

Unabhängig von der Stellungnahme zum Allgemeinen Bankvertrag ist darauf hinzuweisen, dass die eine wie die andere Konzeption gewichtige Auswirkungen für die Erbringung der einzelnen Dienstleistungen hat. In der Literatur, zumal des Bankrechts, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich um ganz unterschiedliche Geschäfte handle, die dementspre­chend auch verschieden behandelt werden müssten. So gehe es beim Devi­senhandel um Kaufverträge, während der Zahlungsverkehr ein auftrags­rechtliches Verhältnis sei". Dies ist zwar im Ansatz richtig, hat jedoch weit­gehend an Bedeutung verloren. Dieser Bedeutungsverlust erklärt sich dar­aus, dass aus den soeben beschriebenen Loyalitätspflichten in allen Bankge­schäften intensive wechselseitige Verhaltens- und vor allem Informations­pflichten bestehen, die den Unterschied zwischen den verschiedenen Ver­tragstypen weitgehend einebnen. So hat die Bank auch bei Einmaltrans­aktionen heute weit reichende Aufklärungs- und Interessenwahrnehmungs­pflichten gegenüber dem Kunden, die sich nicht nach der Natur des Ge-

8 BGE120I I331 . 9 Zusammenfassende Darstellung bei WIEGAND WOLFGANG. Von der Obligation zum Schuldver­

hältnis, recht 1997.85 ff. "' BERGER. 54. 11 GUGGENHEIM. 11 ff.; SCHMID. 53 f. Vgl. dazu auch WIEGAND (Hrsg.). BBT 7.

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100 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

schäfts, sondern nach dem jeweiligen Aufklärungsbedarf und der Schutzbe­dürftigkeit der betroffenen Person richten. Exemplarisch dafür ist das Urteil des Bundesgerichts bezüglich des Optionshandels12, aus dem sich eindeutig ergibt, dass das Bundesgericht nicht auf die Rechtsnatur der Transaktion, sondern auf die konkrete Interessenlage abstellt.

C. Die rechtlichen Besonderheiten der Bank-/Kunden-Beziehung

Das zuvor Gesagte bezog sich zwar primär auf die Bank-/Kunden-Beziehung, gilt jedoch - wie einleitend erwähnt - im Wesentlichen für alle Dienstleis­tungsverhältnisse. Deshalb besteht Anlass, darauf hinzuweisen, dass das Bank-/Kunden-Verhältnis sich von den übrigen Dienstleistungen durch eine Besonderheit auszeichnet, die in diesem Ausmasse in keinem anderen privat­rechtlichen Verhältnis beobachtet werden kann: Zwar sind wir inzwischen da­ran gewöhnt, dass privatrechtliche Verträge durch öffentlichrechtliche Re­geln, seien sie verwaltungsrechtlicher- oder strafrechtlicher Natur, eingeengt oder wie manche glauben sogar «bevormundet» werden13. In keinem anderen Rechtsverhältnis sind die errichteten Barrieren so hoch und die Eingriffe so stark14. Die strafrechtlichen und die verwaltungsrechtlichen Regeln über die Geldwäscherei, die sich ständig weiter entwickelnden Vorschriften über den Datenschutz und die normativen Charakter annehmenden Vereinbarungen über die Sorgfaltspflichten (VSB)15 durchdringen das Bank-/Kunden-Verhält­nis in einer vielfältigen Weise, die die privatrechtlichen Regeln vielfach ausser Kraft setzt. Die Konsequenzen dieser Besonderheit werden vor allem in den Referaten am Nachmittag verdeutlicht werden16. Insofern befinden sich die Banken, wenn sie heute mit Kunden kontrahieren, in einer sehr speziellen La­ge: Zum einen ist das privatrechtliche Instrumentarium - wie eben skizziert -gerade in diesem Bereich verfeinert und in vieler Hinsicht zu Lasten der Ban­ken verschärft worden, zum andern müssen sie in stets zunehmendem Masse von aussen herangetragene Regeln berücksichtigen, die zu einer weiteren Ein­engung des Spielraums führen. Dies alles ist für die Abwicklung von Bankge­schäften im elektronischen Geschäftsverkehr - wie sich im Weiteren zeigen

12 BGE 124 III 155; vgl. dazu WEBER, Haftung des Anlageberaters. 254 f.; GUTZWUXER, 57 ff.; MOSER/BERGER. 541 ff.; ARTER/JÖRG. 52 ff.

'•' Zu denken ist etwa an das Arztrecht, an den Versicherungsvertrag oder auch an die bankrecht­liche Revisionsstelle, die zwar aufgrund eines privaten Auftragsverhältnisses tätig ist. dessen Vertragsinhalt aber praktisch durch die entsprechenden Regulierungen der EBK fixiert ist.

14 Vgl. dazu die Beiträge in: WIEGAND (Hrsg.), BBT 6. 15 Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB) vom 28.1.1998,

dazu vor allem FRIEDEI GEORG, Die Standesregeln der Banken - Wechselwirkung zwischen Pri­vatrecht und öffentlichem Recht, in: WIEGAND (Hrsg.). BBT 6. 31 ff.

" Vgl. die Referate von MARLIS KOLLER-TUMLER und ODILO GUNTERN in diesem Band.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 101

wird - von besonderer Bedeutung. Doch damit nicht genug. Die oben erwähn­ten Gesetzesvorhaben führen zu weiteren rechtlichen Problemen und zu einer noch erhöhten Komplexität, auf die ich nun im Folgenden im Einzelnen ein­gehen werde. Dabei geht es natürlich primär um die Auswirkungen auf Bank­dienstleistungen, die auf elektronischem Wege angeboten und abgewickelt werden; deren Darstellung kann jedoch nur im Rahmen der allgemeinen Pro­blematik des elektronischen Geschäftsverkehrs erfolgen.

III. Die Begründung der Geschäftsverbindung im E-Banking

A. Zwei Varianten

Bei der Begründung einer Geschäftsbeziehung zwischen Bank und Kunde ist auf Grund der oben erwähnten vielfältigen Restriktionen die Eröffnung des Kontos der schwierigste und problematischste Vorgang. Infolgedessen ist bei der Begründung einer Online-Geschäftsverbindung zwischen zwei Situatio­nen zu unterscheiden: Besteht bereits zwischen Bank und Kunde eine Ge­schäftsverbindung, zu der jedenfalls in den hier interessierenden Bereichen des Electronic-Banking notwendigerweise ein Konto gehört, ist die Situation weitaus einfacher, als wenn die Geschäftsbeziehung erstmals und nur auf elek­tronischem Wege aufgenommen wird.

1. Ganze oder teilweise Überleitung bei bestehender Geschäftsbeziehung

Unterhält ein Kunde bereits Beziehungen zu seiner Bank, so ist der Kontoer­öffnung eine Überprüfung im Rahmen der Sorgfaltspflichtvereinbarungen und der Geldwäschereigesetzgebung17 vorausgegangen. Sollen nun bisher er­brachte Dienstleistungen oder auch neue auf elektronischem Wege abgewi­ckelt werden, so hat das durchaus rechtliche Konsequenzen. Diese werden später behandelt, denn sie decken sich weitgehend mit denjenigen, die auch bei der Neubegründung einer Online-Bankbeziehung bestehen, die sich aber als problematisch erweist.

2. Elektronische Begründung

Wenn eine Bankbeziehung ausschliesslich unter Verwendung elektronischer Mittel, sei es durch Kommunikation per E-Mail oder - was häufiger vorkom­men dürfte - durch Verwendung eines von der Bank speziell zu diesem Zweck

17 Art. 2 ff. VSB; Art. 3 ff. des Bundesgesetzes zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanz­sektor (Geldwäschereigesetz. GwG). SR 955.0.

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102 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

bereitgestellten Online-Kontaktformulars geschehen kann, muss ein Weg ge­funden werden, um den Vorschriften über die Kundenidentifikation gerecht zu werden. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge ist eine reine Online-Kon­toeröffnung, bei der weder ein persönlicher Kontakt zwischen Kunde und Bank noch ein solcher auf dem Postweg stattfindet, nicht möglich. Die derzei­tig praktizierten Verfahren bestehen in einer Kombination aus einer elektro­nischen Kontaktaufnahme und der Verwendung traditioneller Mittel. Die Einzelheiten und auch die Bemühungen um eine neue Lösung sind in dem Beitrag von KUNZ1 8 dargestellt. Im Folgenden geht es ausschliesslich um die privatrechtliche Erfassung und Qualifizierung dieser Kontaktaufnahme und allfälliger sich daran anschliessender Transaktionen. Dabei werde ich, um Doppelspurigkeit zu vermeiden, zunächst denjenigen Fall erörtern, in dem der Kunde ohne vorbestehende Bankbeziehung zu dieser auf elektronischem Wege Kontakt aufnimmt.

B. D i e Vertragsanbahnung

/. Präsentation der Bankdienstleistungen im Netz

Wenn ein Unternehmen Dienstleistungen über eine Homepage anbietet, so hat dies auf den ersten Blick dieselbe Funktion wie eine Annonce in der Zei­tung oder eine dementsprechende Fernsehwerbung. Infolgedessen wird in der Literatur meist eine Parallele dazu und zu der Vorschrift des Art. 7 OR gezo­gen19. Das ist nahe liegend, trifft jedoch nicht den eigentlichen Kern der Sache. Art. 7 OR regelt den Vertragsschluss unter besonderen Bedingungen, weshalb darauf bei der Frage des Zustandekommens eines Vertrages zurückzukom­men sein wird. Zuvor ist jedoch klarzustellen, dass die Präsentation auf einer Homepage sich von der üblichen Werbung in grundlegender Weise unter­scheidet. Die wesentliche Differenz besteht darin, dass dies traditionelle ein­seitige Bekanntgaben sind, die allenfalls nach der erwähnten Vorschrift des Art. 7 OR unter besonderen Umständen als Angebote qualifiziert werden können. Bei dem Angebot von Dienstleistungen im Netz ergibt sich der we­sentliche Unterschied daraus, dass der angesprochene Kunde auf diese Home­page zugreifen kann. Häufig ist diese Teil eines so genannten Portals, in der eine Fülle von Zugriffen und Zugängen eröffnet werden. Dieser Terminus ver­deutlicht die Situation insofern auf anschauliche Weise, als er das Bild nahe legt, dass jemand das Portal durchschreitet. Er gleicht damit derjenigen Per­son, die ein Ladenlokal betritt, um die dort gemachten Angebote zu prüfen, eine Person, die das Deutsche Reichsgericht einen «Kauflustigen» genannt hatte. Ich erwähne das deshalb, weil der Begriff in derjenigen Entscheidung

ls In diesem Band oben S. 23 ff. mit allen erforderlichen Nachweisen. n WEBER. E-Commerce. 314 ff.; WEBER/JÖHW. 42 ff.

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verwendet wird, in der das Deutsche Reichsgericht die Figur der culpa in con­trahendo in die Rechtsprechung eingeführt hat20. Aus diesen Anfängen der culpa in contrahendo hat sich - wie allgemein bekannt und deshalb nicht wei­ter erläuterungsbedürftig - die Lehre vom vorvertraglichen Verhandlungsver­hältnis entwickelt, die ihrerseits heute nur noch einen Ausschnitt aus dem übergreifenden Konzept des gesetzlichen Schuldverhältnisses aufgrund rechtsgeschäftlichen Kontakts bildet. Damit ist das Instrumentarium umris­sen, mit dem die Situation erfasst werden kann, in der der elektronische Dienstleistungsanbieter und der Kunde sich gegenüberstehen21.

2. Verhaltenspflichten

a. Vor und bei Vertragsschluss

Im vorvertraglichen Verhandlungsverhältnis ergibt sich für den Diensteanbie­ter eine Verpflichtung, die das Bundesgericht schon vor längerer Zeit folgen-dermassen umschrieben hat: «Wer Verhandlungen anbahnt und fortführt, aber nicht auf Umstände aufmerksam macht, von denen sich die Gegenpartei selber weder Kenntnisse verschaffen kann noch verschaffen muss, haftet vielmehr auch bei fahrlässiger Verletzung der Aufklärungspflicht11.» In allgemeinerer Form geht man heute davon aus, dass durch die Vertragsanbahnung eine wechsel­seitige Loyalitätspflicht zwischen den Parteien besteht, wobei natürlich in der hier interessierenden Situation das Schwergewicht auf den Verpflichtungen des Leistungsanbieters liegt. Dieser hat Aufklärungs-, Informations- und Be­ratungspflichten, die vor allem die Vermögensinteressen des Kunden betref­fen, daneben auch Sorgfalts- und Obhutspflichten. Das Bindeglied zwischen diesen Pflichtengruppen bildet die Warnpflicht, die sich einerseits auf Risiken bestimmter Geschäfte, anderseits aber auf Risiken technischer Art beziehen kann. Dies wird bei den Haftungsfragen im Einzelnen zu diskutieren sein.

Hier sind einstweilen zwei grundsätzliche Aspekte festzuhalten: Das «Be­treten eines Internetportals» ist mit dem Betreten eines Ladenlokals ver­gleichbar und löst dieselben Rechtsfolgen aus. Sie begründen für beide Par­teien Verhaltenspflichten, für den Dienstleistungsanbieter naturgemäss mehr

20 Vgl. zur «Entdeckung» der culpa in contrahendo KINDEREIT KAI. Wer fühlt nicht, dass es hier einer Schadensersatzklage bedarf - Rudolf von Jhering und die «culpa in contrahendo», in: HOEREN THOMAS (Hrsg.). Zivilrechtliche Entdecker. München 2001. 107 ff.

: | Vgl. zum Ganzen die zusammenfassende Darstellung bei WIEGAND WOLFGANG. Von der Obli­gation zum Schuldverhältnis, recht 1997. 85 ff. Vgl. dazu auch den neuen S 241 Abs. 2 BGB gemäss Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (Stand 9.5.2001): «Das Schuldverhältnis kann nach .seinem Inhalt jeden Teil zu besonderer Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.» Aus dem soeben darge­legten Konzept ergibt sich zugleich auch, dass die im Folgenden dargelegten Verpflichtungen - wie bereits angedeutet - inhaltlich identisch sind, wenn zwischen den Parteien bereits eine Geschäftsverbindung bestand.

2- BGE 105 II 75. 80.

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und intensivere Verpflichtungen. Dass sich die Dienstleistungsanbieter dieses Umstands bewusst sind, lässt sich bei vielen Internetauftritten beobachten. So hat sich insbesondere in den USA die Technik verbreitet, schon auf der ersten zugänglichen Seite Disclaimer anzubringen, die jegliche Haftung für Links und die Folgen der Benutzung solcher Links ausschliessen. Ob und inwieweit dagegen Haftungsausschlüsse und Hinweise auf Allgemeine Geschäftsbedin­gungen wirksam oder auch nur hilfreich sind, wird im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss und den Leistungsstörungen erörtert werden.

b. Nach Vertragsschluss

Die zuvor beschriebene Pflichtenlage bezieht sich auf die Vertragsanbahnung auf elektronischem Wege. Die hier einstweilen nur skizzierten Verpflichtun­gen entstehen jedoch in gleicher Weise, wenn zwischen den Parteien schon eine Geschäftsverbindung und damit ein bankrechtliches Vertragsverhältnis besteht, das jetzt teilweise in elektronisch zu erbringende Dienstleistungen überführt oder durch solche ergänzt werden soll.

Es ist oben dargelegt worden, dass die vorvertraglichen Verhaltenspflich­ten keine isolierte Erscheinung sind, sondern nur die für das Stadium vor dem Vertragsschluss massgebliche Ausprägung des allgemeinen Loyalitätsprinzips, das seine rechtsethische Verankerung im Vertrauensgedanken und seine An­knüpfung im Gesetz im Grundsatz von Treu und Glauben des Art. 2 ZGB fin­det. Diese Allgemeinen Verhaltenspflichten bestehen deshalb, worauf bereits mehrfach hingewiesen wurde, auch nach Vertragsschluss und können sogar dessen Erfüllung überdauern. Infolgedessen ändert sich an der Pflichtenlage nichts, wenn der elektronische Geschäftsverkehr bei bereits bestehender Be­ziehung aufgenommen wird. Allein die dogmatische Erfassung unterscheidet sich dadurch, dass bei der erstmaligen Kontaktaufnahme eine Pflichtverlet­zung des Dienstleistungsanbieters als culpa in contrahendo, im anderen Fall aber eine nichtgehörige Erfüllung i.S.v. Art. 97 ff. OR darstellt23.

3. Die speziellen Informationspflichten im E-Commerce

Das aufgrund der traditionellen Zivilrechtsdogmatik entstehende Bündel von Verhaltenspflichten wird nun ergänzt und erweitert durch die neuen Regeln über den elektronischen Geschäftsverkehr. Diese sind im Folgenden näher zu analysieren und in das zuvor dargelegte Konzept der vertraglichen Verhal­tenspflichten einzufügen. Ehe das geschieht, ist zunächst die Entstehung die-

" Ob sich Konsequenzen bezüglich des elektronischen Geschäftsverkehrs aus der unterschiedli­chen Konzeption Allgemeiner Bankvertrag/Einzelgeschäft ergeben, ist nicht leicht zu beurtei­len. Wird das bisherige Konto nur umgewandelt, so gilt zweifellos das im Text Gesagte. Schwie­riger ist die Beurteilung dann, wenn neben den bisher traditionell abgewickelten Geschäftsfor­men neue wie etwa das Online-Wertpapiergeschäft treten.

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ser Regeln, deren vorgesehene Übernahme in die Schweiz sowie ihr Inhalt darzulegen.

a. Die zugrunde liegenden EU-Richtlinien und ihre Integration durch das Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr

Mit dem vorgeschlagenen Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr24

will die Schweiz im Ergebnis drei EU-Richtlinien so ins schweizerische Recht integrieren, dass die angestrebte Eurokompatibilität erhalten bleibt. Ich wähle bewusst den Ausdruck integrieren, weil es sich hier anders als bei den so ge­nannten Swisslex-Gesetzen nicht um einen simplen, wenn auch autonomen Nachvollzug, sondern um eine Einarbeitung der wesentlichen Kernpunkte des EU-Rechts in das schweizerische Recht handelt. Deshalb trägt das Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr auch den schon erwähnten Unter­titel «Teilrevisionen des Obligationenrechts und des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb». Die drei EU-Richtlinien, um deren Integration es geht, betreffen den Verbrauchsgüterkauf25, den Fernabsatz26 und eben den elektronischen Geschäftsverkehr27. Der vorgesehene Gesetzesentwurf inter­essiert hier nicht, soweit er den Verbrauchsgüterkauf regelt28. Die in der Fern­absatzrichtlinie und in der Richtlinie über elektronischen Geschäftsverkehr geregelten Materien haben gewisse Berührungspunkte. Der schweizerische Gesetzesentwurf hat deshalb den Versuch unternommen, die dort enthaltenen Bestimmungen in einer kombinierten Form in die neu formulierten Art. 40a ff. OR einzufügen und daneben eine ergänzende Regelung im UWG29 vorzuse­hen. Ich beschränke mich im Folgenden auf die für den elektronischen Ge­schäftsverkehr wesentlichen Punkte, da nur diese für das E-Banking von Be­deutung sind30.

24 S. oben die einleitenden Bemerkungen. S 96; vgl. ferner zum Vernehmlassungsentwurf SPIND-I.ER. 259 ff.; HONSELL/PIETRUSZAK, 771 ff.

25 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu be­stimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter.

26 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (Dokument 397L0007). (Der Text dieser Richtlinie findet sich im Anhang 4).

27 S. oben Fn. 3. 28 Die vorgesehenen Art. 197-210 OR enthalten gravierende, zum Teil nicht anders als fatal zu

bezeichnende Änderungen des Kaufrechts, die in dieser Form weder durch die EU-Vorgabe noch durch die Umsetzung in anderen Ländern geboten wäre. Zur Umsetzung in Österreich vgl. FILZMOSER. 111 ff.: zur europäischen Rechtsetzung allgemein ZWIPF, 121 ff.

2 ' Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). SR 241. "' Die Bestimmungen über den Fernabsatz finden auf Finanzdienstleistungen keine Anwendung

(Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Anhang II der Fernabsatzrichtlinie). Dies ist für die EU allerdings nur ein vorübergehender Zustand, da eine spezielle Richtlinie für den Fernabsatz von Finanzdienst­leistungen in Vorbereitung ist (Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung

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b. Die speziellen Informationspflichten

Die EU-Richtlinie liber den elektronischen Geschäftsverkehr statuiert in Art. 5, der sich im Kapitel 2 «Grundsätze» findet, «Allgemeine Informations­pflichten»31. Im nächsten Abschnitt werden dann weitere Informationspflich­ten für kommerzielle Kommunikationen sowie im Abschnitt 3, der den Ab-schluss von Verträgen auf elektronischem Weg behandelt, weitere Informa­tionspflichten aufgestellt. Die Informationspflichten, die in Art. 5 und 10 sta­tuiert sind (Art. 6, der die Kennzeichnung kommerzieller Kommunikationen verlangt, spielt im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle und ist auch vom Schweizer Gesetzgeber nicht übernommen worden), begründen eine Ver­pflichtung zur Vermittlung der Information vor Vertragsschluss. Sie gehören also in den oben beschriebenen Bereich der Vertragsanbahnung, d.h. sie be­ziehen sich auf die Pflichtenlage in diesem Stadium. Gerade deshalb ist es von besonderer Wichtigkeit, dass in der Richtlinie in beiden Vorschriften der fol­gende Einleitungssatz zu finden ist: «Zusätzlich zu den sonstigen Informa­tionspflichten nach dem Gemeinschaftsrecht stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Diensteanbieter den Nutzern des Dienstes und den zuständigen Behör­den zumindest die nachstehend aufgeführten Informationen leicht, unmittelbar und ständig verfügbar macht (...)» (Art. 5 Ziff. 1) oder in Art. 10 Ziff. 1 «(...) dass - ausser im Fall abweichender Vereinbarung zwischen Parteien, die nicht Verbraucher sind - vom Diensteanbieter zumindest folgende Informationen klar, verständlich und unzweideutig erteilt werden, bevor der Nutzer des Diens­tes die Bestellung abgibt (...).»

c. Die Vervielfältigung der Verhaltenspflichten und das Schweizer Recht

Hieraus ergibt sich, dass in der Phase vor Vertragsabschluss die an sich schon aufgrund der neueren Schuldrechtsdoktrin entwickelte komplexe Pflichtenla­ge nunmehr noch erheblich komplexer wird. Man hat sie sich für ein EU-Mit­gliedsland folgendermassen vorzustellen: Es gelten primär die speziellen In­formationspflichten der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, also insbesondere die in Art. 10 aufgeführten spezifischen und die in Art. 5

der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG. Abi. Nr. C 385 vom 11.12.1998 sowie die Änderungen im Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG. Abi. Nr. C 177 E vom 27.6.2000; der Text der Richtlinie findet sich im Anhang 5). Der schweizerische Gesetzgeber hat angekündigt, dass er bei deren Erlass entsprechende Anpassungen des schweizerischen-Rechts ins Auge fasse (Begleitbericht des Bundesamtes für Justiz zum Entwurf für ein Bundes­gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr, Januar 2001. 32). Inwieweit die derzeitigen und die vorgeschlagenen Art. 40a ff. OR auf Finanzdienstleistungen Anwendung finden, ist fraglich, HUNGER. 70 ff.

" Der Text der Richtlinie findet sich im Anhang.

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enthaltenen allgemeinen Informationspflichten. Daneben kommen die sons­tigen vom Gemeinschaftsrecht aufgestellten Informationspflichten zur An­wendung, die ich hier im Einzelnen nicht aufführe, die aber in zahlreichen Richtlinien aufgrund des Transparenzmodells, auf das zurückzukommen sein wird, eingeführt worden sind32. Daneben und darüber hinaus gilt aber auch das jeweils nationale Vertragsrecht mit den dort von Gesetzes wegen vorge­schriebenen oder von der Rechtsprechung und Doktrin entwickelten Infor­mationspflichten. So heisst es exemplarisch in dem § 312e Abs. 3 Entwurf-BGB33 gemäss Regierungsentwurf zur Modernisierung des deutschen Schuld­rechts: «Weitergehende Informationspflichten auf Grund anderer Vorschriften bleiben unberührt.»

Ehe auf die Umsetzung im Gesetz über den elektronischen Geschäftsver­kehr und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für das schweizerische Recht einzugehen ist, stellt sich natürlich die Frage, ob derart komplexe und vielschichtige Informationsmodelle überhaupt ins schweizerische Recht trans­poniert werden können. Die Frage hat der Gesetzgeber bereits eindeutig be­antwortet, wenngleich dies wohl noch nicht in seiner ganzen Tragweite reali­siert worden ist. Mit der Übernahme der EU-Richtlinien über den Reisever­trag34 und das Verbraucherkreditrecht35 in das Pauschalreisegesetz36 und das Konsumkreditgesetz37 hat man in beiden Erlassen das Informationsmodell, das auf dem bereits erwähnten Transparenzgebot des EU-Rechts beruht, tel quel übernommen und ohne Reflexion umgesetzt38. Dies führt dazu, dass etwa im Pauschalreiserecht in gleicher Weise vielfältige und vielschichtige Informa­tionspflichten einander überlagern, die ähnlich wie im Bereich des elektroni­schen Geschäftsverkehrs auch die Grenzlinie zwischen Vertragsanbahnung und Vertragsschluss überschreiten. Darüber hinaus aber ist darauf hinzuwei­sen, dass eine solche Kumulation von Informationspflichten nicht nur durch die Übernahme des Europäischen Rechts entstanden und inzwischen im Schweizerischen Recht geläufig ist, sondern dass sich derartige Modelle auch in andern Bereichen finden. Exemplarisch dafür ist die Kumulierung von Informationspflichten im Bereich des Effektenhandels, bei der ebenfalls ne­ben die allgemein vertraglichen Informationspflichten diejenigen des Art. 11

12 Dazu KOLLER-TUMLER in diesem Band. 11 (Deutsches) Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896. Zurzeit läuft unter dem Titel «Mo­

dernisierung des Schuldrechts» ein umfassendes Gesetzgebungsverfahren, welches zu zahlrei­chen Änderungen des BGB führen wird. Momentan liegt es als «Regierungsentwurf eines Ge­setzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.5.2001» dem Parlament vor: es wird hier zi­tiert als Schudrechtsmodernisierungsgesetz oder Entwurf-BGB.

14 Richtlinie 90/314 des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen. " Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und

Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit. M Bundesgesetz über Pauschalreisen vom 18.6.1993. SR 944.3. 17 Bundesgesetz über den Konsumkredit (KKG) vom 8.10.1993. SR 221.214.1. 18 Prinzipiell gilt die gleiche Beurteilung für das Produkthaftpflichtrecht, das jedoch hier beiseite

gelassen wird, da es sich dort nicht um ein vertragsrechtliches Informationsmodell handelt.

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BEHG39 treten, welche zudem noch durch die Richtlinien der Schweizeri­schen Bankiervereinigung ergänzt und erweitert werden40. Vor diesem Hin­tergrund ist nun die Regelung zu betrachten, die das Gesetz über den elektro­nischen Geschäftsverkehr vorsieht.

4. Die Lösung des Entwurfs

a. Verhaltenspflichten als «Lauterkeitspflichten»

Zunächst ist nochmals daran zu erinnern, dass der Schweizer Gesetzgeber ei­nen besondern Weg eingeschlagen hat, indem er nicht nur die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, sondern diese kombiniert mit jener über den Fernabsatzvertrag zu integrieren versucht hat. Infolgedessen ist eine Reihe der in den neu formulierten Art. 40a ff. OR enthaltenen Regelungen an sich für den elektronischen Geschäftsverkehr von grosser praktischer Bedeu­tung, kann aber hier ausser Betracht bleiben, weil die Anwendung dieser Vor­schriften auf Finanzdienstleistungen wohl ausgeschlossen sein dürfte41. Die zu­vor beschriebenen Informationspflichten der EU-Richtlinien hat man (anders als in dem soeben zitierten § 312e Entwurf-BGB) nicht ins Obligationenrecht integriert. Man hat stattdessen zwei neue Bestimmungen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) aufgenommen, die folgendermassen lauten:

Art. 3 lit. bbis (neu):

« Unlauter handelt insbesondere, wer: bb". Waren, Werke oder Leistungen im Fernabsatz, einschliesslich des elek­tronischen Geschäftsverkehrs, anbietet und es dabei unterlässt, klare und vollständige Angaben über seine Identität, seinen Sitz oder Wohnsitz, seine Adresse, die wesentlichen Eigenschaften der angebotenen Produkte, deren Preise, sämtliche zu Lasten des Kunden gehenden Kosten oder die Zahlungs­bedingungen zu machen;» Art. 6a Nichteinhaltung von besonderen Informationspflichten im elektro­nischen Geschäftsverkehr {neu):

« Unlauter handelt insbesondere, wer Waren, Werke oder Leistungen im elek­tronischen Geschäftsverkehr anbietet und es dabei unterlässt: a. klare und vollständige Angaben über eine Kontaktadresse einschliesslich derjenigen der elektronischen Post zu machen;

Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Börsen und den Effektenhandel (Börsengesetz, BEHG). SR 951.1. Vgl. dazu WIEGAND/BERGER. 713 ff. Vgl. dazu die bereits oben gegebenen Hinweise für mögliche zukünftige Entwicklungen. Fn. 30. Ob überhaupt und in welchem Umfang die Art. 40a ff. OR auf Finanzdienstleistungen Anwendung finden, ist fraglich, HUNGER. 70 ff.

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b. auf die einzelnen technischen Schritte, die zu einem Vertragsschluss füh­ren, hinzuweisen; c. angemessene technische Mittel zur Verfügung zu stellen, mit denen der Kunde Eingabefehler vor Abgabe der Bestellung erkennen und korrigieren kann. »

Inhaltlich weichen diese Bestimmungen nicht unerheblich von den Anfor­derungen der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr ab. Der schweizerische Gesetzgeber beschränkt sich nach den Worten der Be­gründung42 auf die Übernahme der wesentlichen Kriterien dieser Richtlinie. Diese sind hier zunächst noch nicht zu erörtern, sondern vorab ist die Frage zu stellen, wie der eingeschlagene Weg zu beurteilen ist.

Die dahinter stehende Idee, dass die Verletzung der in den neuen Art. 3 lit. bblsund 6a UWG beschriebenen Informationspflichten den Tatbestand des unlauteren Wettbewerbs erfüllen, ist diskutabel und akzeptabel. Wenig über­zeugend ist dagegen die damit verbundene Hoffnung, dass die Regelung im UWG das Problem erschöpfe. Das ist aus zweierlei Gründen nicht der Fall: Zum einen haben sich die Waffen des UWG bei derartigen Konstellationen als stumpf erwiesen. Eine wirkliche Sanktion käme nur dann zustande, wenn tat­sächlich gemäss Art. 10 UWG eine Verbandsklage durchgeführt würde und allenfalls entsprechende Bussen gemäss Art. 23 UWG ausgesprochen wür­den. Beides ist aufgrund der bisherigen Erfahrungen und der Verhaltensweise der Konsumentenschutzverbände in der Schweiz - im Gegensatz zu ausländi­schen Verbänden - nicht zu erwarten.

b. Vertragsrechtliche Konsequenzen trotz UWG-Lösung

Durch die UWG-Lösung wird indessen das Problem auch insofern nicht ge­löst, als daneben die schuldrechtliche Komponente bestehen bleibt und auch gar nicht ausgeschlossen werden kann. Dies aus folgendem Grunde: Die in Art. 3 lit. bbis und 6a UWG als Lauterkeitsregeln aufgestellten Informations­pflichten sind selbstverständlich zugleich auch vertragsrechtliche Informa­tionspflichten. Dies ergibt sich einerseits schon aus der Überschrift von Art. 6a UWG «Nichteinhaltung von besonderen Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr», vor allem aber aus dem oben dargelegten dogmatischen Konzept: Diese Pflicht ergibt sich mit Selbstverständlichkeit aus dem Loyalitätsprinzip, aus dem alle Verhaltenspflichten im vorvertragli­chen Verhandlungsstadium abgeleitet werden. Die Situation ist nicht anders als diejenige bei dem bereits als Beispiel erwähnten Art. 11 BEHG. Auch dort werden gesetzlich bestimmte Verhaltenspflichten statuiert. Es besteht indessen kein Zweifel, dass diese zugleich auch vertragliche Verhaltens-

4: Begleitbericht des Bundesamtes für Justiz zum Entwurf für ein Bundesgesetz über den elek­tronischen Geschäftsverkehr. Januar 2(K)1. 4 f.

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pflichten gegenüber dem jeweiligen Partner sind, allerdings nur im Sinne eines Mindeststandards43.

Ganz in der gleichen Richtung wird sich die Rechtslage bezüglich des elek­tronischen Geschäftsverkehrs entwickeln, wenn der Entwurf zum Gesetz wird. Die in Art. 3 lit. bbis und 6a UWG statuierten Pflichten werden zugleich als vertragliche Verhaltenspflichten zu qualifizieren sein, aber auch hier nur einen Mindeststandard bilden. Es wird deshalb im Ergebnis eine ebenso viel­schichtige und vielfältige Pflichtenlage entstehen, wie oben für das EU-Recht dargelegt. Wer Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr anbie­tet, muss die nunmehr im UWG festgeschriebenen Informationen vermitteln. Hinzu kommen alle anderen aus dem vorvertraglichen Rechtsverhältnis ent­stehenden Informationspflichten, wie sie aus dem Schweizerischen Obligatio­nenrecht und dessen Interpretation durch Rechtsprechung und Lehre entwi­ckelt worden sind. Es ist deshalb festzuhalten, dass die Regelung im UWG, wie sie im Gesetzesentwurf vorgeschlagen ist, die materielle Rechtslage gegen­über derjenigen in den EU-Ländern nicht verändert, sodass sich allein die Fra­ge stellt, ob der eingeschlagene Weg zweckmässig war. Dabei sind zwei Aspek­te zu unterscheiden: Allfällige Hoffnungen, dass eine verstärkte «Pflichterfül­lung» durch die Sanktionen des UWG erreicht werden könne, sind aus den er­wähnten Gründen eher fragwürdig. Dies wird nicht dadurch abgeschwächt, dass in anderen Ländern der Weg über das Wettbewerbsrecht ebenfalls vor­geschlagen wird44, weil dort daneben eine Verankerung dieser Pflichten im Privatrecht vorgesehen ist (exemplarisch der bereits mehrfach erwähnte § 312e BGB gemäss Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in Deutschland). In der Sache wäre es deshalb wünschenswert, wenn die Informationspflichten auch innerhalb des Obligationenrechts festgeschrieben würden, was im Rah­men der Revision noch ohne weiteres möglich wäre.

Materiell ändert sich freilich nichts. Es handelt sich um vorvertragliche In­formationspflichten, die der Dienstleister im Internet erfüllen muss. Fraglich ist, welche Konsequenzen sich aus der Verletzung dieser Pflichten ergeben. Folgt man dem oben entwickelten Modell der Verletzung von Verhaltens­pflichten, so ist die Rechtsfolge insoweit klar, als es sich bei der Erstan­bahnung von Geschäften um einen Tatbestand der culpa in contrahendo han­delt und es bei allen weiteren Transaktionen sowie bei der Ausdehnung einer bestehenden Bankverbindung auf die elektronischen Transaktionen um den Tatbestand der nichtgehörigen Erfüllung geht. Damit ist meines Erachtens vollkommen klar, dass die Rechtsfolgen dieser beiden Pflichtverletzungen eintreten und jedenfalls Schadensersatz zu leisten ist. Während über diesen Grundsatz relative Übereinstimmung besteht, ist schon unklar, nach welchen Kriterien und nach welchen Formeln ein derartiger Schadensersatz zu bestim-

4 ' BERGER. 102 ff.; WIEGAND/BERGER, 713 ff. insbes. 727 ff. 44 So etwa GRIGOLEIT. 597 ff.

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men wäre. Noch weit umstrittener ist die Frage, ob wegen der Verletzung sol­cher Informationspflichten auch eine Rückabwicklung des Vertrages durch Rücktritt verlangt werden könne.

Hier geht es nicht darum, diese Fragen zu klären, sondern nur darauf hinzu­weisen, dass die Verletzung solcher Informationspflichten im E-Banking für die daran teilnehmenden Banken mit erheblichen Risiken verbunden und eine eindeutige Lösung noch nicht in Sicht ist. Dies wird unterstrichen durch den Umstand, dass auch in den benachbarten Ländern bei der Umsetzung der EU-Richtlinie ähnliche Probleme aufgetaucht sind. So sah in Deutschland der Dis­kussionsentwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesminis­teriums der Justiz45 im geplanten § 305b Abs. 5 BGB vor: «Die Wirksamkeit des Vertrages über die Ware oder die Dienstleistung wird nicht dadurch berührt, dass eine der vorstehenden Verpflichtungen nicht erfüllt wird.» Dieser Absatz ist in der Neuformulierung des erwähnten § 312e Entwurf-BGB inzwischen entfal­len. Die wissenschaftliche Diskussion darüber, welches die geeignete Sanktion für die Verletzung dieser Informationspflichten sei, dauert unvermindert an46.

c. Zwischenresultat

Zusammenfassend ist festzuhalten: Man wird davon ausgehen können, dass die EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, wenn auch noch in der einen oder anderen Weise modifiziert, in das Schweizerische Recht integriert werden wird. Dadurch entsteht im vorvertraglichen Stadium ein gegenüber der schon jetzt komplexen Pflichtenlage noch vielschichtigeres und komplizierteres Netz von Pflichten, insbesondere solchen zur Informa­tion des Kunden. Handelt es sich um Bankgeschäfte, so bringt dies eine Fülle von Verpflichtungen für die Bank mit sich, deren Nichteinhaltung mit einem hohen Risiko verbunden ist. Hinzu kommt ein Umstand, auf den ebenfalls be­reits hingewiesen wurde: Die neue Form der Informationspflicht überschreitet häufig die Grenzlinie zwischen Vertragsschluss und Vertragsdurchführung, wie sich bei den Fragen des Zustandekommens des Vertrages zeigen wird, de­nen ich mich nun zuwende.

5. Der Vertragsschluss durch Austausch von elektronischen Willensäusserungen

Ein Vertrag kommt durch Austausch zweier Willensäusserungen zustande, die zum Konsens führen, der der eigentliche Rechtsgrund für die Bindung der Parteien und für den Inhalt des Vertrages ist (Art. 1 Abs. 1 OR). Wird ein sol­cher Konsens auf elektronischem Wege angestrebt, so sind zwei Fragestellun-

"' Vom 4. August 2000. * Vgl. hierzu grundlegend GRIGOLEIT. 597 ff.

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gen zu unterscheiden: Zum einen geht es darum, ob und inwieweit Willensäus­serungen auf elektronischem Wege wirksam abgegeben werden können, und für den Fall, dass dies bejaht wird, ob die vom Gesetz in Art. 3-6 OR aufge­stellten Regeln über Vertragsangebot und dessen Annahme auf derartige Wil­lensäusserungen Anwendung finden können oder ob eventuell Modifikatio­nen erforderlich sind.

a. Die Abgabe rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen auf elektronischem Wege

Die Willenserklärung wird üblicherweise folgendermassen definiert: «Zur Kenntnisnahme durch andere bestimmte Äusserung, durch die der Erklären­de zu erkennen gibt, dass eine bestimmte Rechtsfolge oder ein Komplex von Rechtsfolgen nach seinem Willen eintreten soll47.» Als wesentliche Elemente einer solchen Willensäusserung gelten der Handlungswille und der Erklä­rungswille48, der von einem Teil der Doktrin noch aufgegliedert wird in die Geltungsanordnung und den Verpflichtungswillen. Während über diese Punk­te im Wesentlichen Einigkeit herrscht, ist fraglich, ob und inwieweit zu alle­dem zusätzlich ein Erklärungsbewusstsein erforderlich ist. Letzteres ist im Zu­sammenhang mit elektronischen Willenserklärungen und insbesondere dem so genannten Mausklick problematisiert worden49. Ehe darauf einzugehen ist, ist zunächst eine Klarstellung erforderlich:

Dass Willensäusserungen prinzipiell auf elektronischem Wege oder in au­tomatisierter Form abgegeben werden können, ist seit längerem als selbstver­ständlich anerkannt. Die wissenschaftliche Diskussion darum reicht zurück in die Siebzigerjahre und knüpft an die schon seit langem diskutierte Problema­tik des Vertragsschlusses durch Benutzung von Warenautomaten an5ü. Seit Be­ginn der Achtzigerjahre hat mit dem Einsetzen des Warenvertriebs über das Fernsehen einerseits51 und mit dem Einsetzen der Computerisierung eine um­fassendere Debatte über automatisierte und elektronische Willenserklärun­gen begonnen52. Seither war man sich darüber einig, dass der Austausch von

47 LARENZ KARL/WOLF MANFRED, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 8. Aufl., München 1997. §24 N 1.

48 SCHWENZER. N 27.02; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, Nr. 169 ff. n S. dazu ausführlich MEHRINGS JOSEF, Vertragsabschluss im Internet, in: HOEREN/SIEBER,

Teil 13.1.. Rn. 18 ff. m.w.H. 50 Hierzu STAUDINGER/WIEGAND, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. 13. Aufl.. Berlin

1995. §929 N 94 ff. M In der Schweiz war dies das inzwischen wieder verschwundene Videotex-Model; dazu die ein­

gehende Abhandlung von ATIA-OFF KATRIN, Videotex - Zivilreehtliche Aspekte. Diss. Bern 1988, in der alle wesentlichen Fragen der elektronischen Kommunikation durch Willenserklä­rungen bereits abgehandelt und brauchbaren Lösungen zugeführt worden sind.

, ; Grundlegend vor allem die Arbeiten von KÖHLER HELMUT, Die Problematik automatischer Rechtsvorgänge, insbesondere von Willenserklärungen. AcP 182 (1982). 126 ff. und ders. Rechtsgeschäfte mittels Bildschirm. Schriftenreihe des Instituts für Rundfunkrecht der Uni­versität Köln, München 1986, 51 ff.

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Willenserklärungen in automatisierter oder elektronischer Form keine grund­sätzlichen Probleme bereite53. Im Lauf der Neunzigerjahre ist dieser Vorgang in quantitativer Hinsicht vervielfacht worden, vor allem durch das Aufkom­men der Zahlung durch elektronische Mittel wie die EC-Karte54. In der mate­riellen Beurteilung hat sich indessen nichts geändert, wenngleich durch Recht­sprechung und Literatur einige Verdeutlichungen erfolgt sind55.

Zusammenfassend lässt sich deshalb festhalten, dass sich bei der Abgabe von rechtsgeschäftlichen Erklärungen durch E-Mail oder direkt via Internet keine eigentlichen neuen Rechtsprobleme stellen. Es handelt sich zunächst einmal bei vom Erklärenden selbst formulierten Willensäusserungen nur um eine neuartige Übermittlungsform. Die Situation ist nicht anders als diejenige, bei der eine mündliche Erklärung nicht direkt, sondern via Telefon erfolgt, weshalb dieser Vorgang vom Gesetzgeber auch der Erklärung unter Anwe­senden gleichgestellt wurde (worauf nochmals zurückzukommen sein wird). Dasselbe muss im Ergebnis aber auch für diejenigen Willensäusserungen gel­ten, die in automatisierter Form erfolgen, was bei der Inanspruchnahme vieler Dienstleistungen, insbesondere etwa beim Abwickeln des Zahlungsverkehrs durch Electronic-Banking, der Fall sein wird. Schliesslich gilt dies alles auch für die viel zitierte Willenserklärung per Mausklick. Hier wie bei der automa­tisierten Erklärung liegt eine echte Willensäusserung deshalb vor, weil dem mechanischen Vorgang ein Willensentschluss vorausgeht, der nur auf neue technische Weise umgesetzt wird.

In diesem Vorgang sind zweifellos alle (oben besprochenen) wesentlichen Elemente einer Willenserklärung enthalten. Die in diesem Zusammenhang gelegentlich diskutierten Fallbeispiele ändern daran nichts. Bei der berühmten Coca-Cola-Dose, die auf die Tastatur des Computers fällt und dadurch einen Bestellvorgang auslöst, handelt es sich um eine versehentlich abgegebene Er­klärung, wie sie auch bei der Benutzung anderer technischer Hilfsmittel oder sogar selbst beim Absenden eines vertauschten Briefes vorkommt, weshalb die dort entwickelten Lösungen selbstverständlich auch hier zutreffen. Und auch bei der immer wieder aufgeworfenen Frage, ob es denn angehe, dass ein Mausklick derartig weit reichende Rechtsfolgen auslöse, ist die Frage falsch gestellt. Es geht dabei offenkundig darum, die betreffende Vertragspartei vor den Folgen unbedachten oder unbewussten Handelns zu bewahren. Dieses an sich berechtigte Anliegen lässt sich aber nicht über die Theorie der Willenser­klärung lösen. Es bieten sich vielmehr zwei Alternativen an: Zum einen kön-

" SCHÖBI, 98; WEBER. Rechtsfragen. 240. 14 Hierzu VON DER CRONE HANS CASPAR. Rechtliche Aspekte der direkten Zahlung mit elektroni­

scher Überweisung (EFTPOS). Diss. Zürich 1988. Gleiches gilt für das elektronische Kredit­kartengeschäft.

s> Vgl. die Hinweise bei SPINDLER GERALD. Bankrecht und E-Commerce. Referat am Bankrechts­tag vom 29. Juni 2001 in Kiel (D). Der Tagungsband erscheint demnächst im Verlag Walter de Gruyter. Berlin.

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nen gewisse Fallkonstellationen durch das Irrtumsrecht aufgefangen werden, zum andern aber sehen die neuen rechtlichen Regelungen über Fernabsatz, Haustürgeschäfte und eben auch über den elektronischen Geschäftsverkehr besondere Mechanismen vor, die zumindest Konsumenten vor den Folgen ei­nes solchen Handelns schützen sollen. Dies geschieht insbesondere durch spe­zielle Widerrufsrechte, auf die noch einzugehen sein wird.

b. Der Zugang der Willenserklärung

Das zuvor Gesagte gilt für alle Willenserklärungen. Es bedarf deshalb im Hin­blick auf den Vertragsschluss und insbesondere für einen solchen durch elek­tronische Mittel der Präzisierung und der Differenzierung. Die geläufige Dif­ferenzierung in der Literatur ist diejenige zwischen empfangsbedürftigen und nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen56, die auf eine grundlegende Abhandlung von ZITELMANN zurückgeht, der diese Unterscheidung einge­führt hat57. Sie ist indessen insofern irreführend, als es eigentlich nichtemp­fangsbedürftige Willenserklärungen überhaupt nicht gibt. Es gehört zum We­sen jeder Willenserklärung, dass sie einen oder mehrere bestimmte oder un­bestimmte Adressaten hat. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Gruppen besteht darin, dass die empfangsbedürftige Willenserklärung erst und nur dann wirksam wird, wenn sie ihrem Empfänger zugegangen ist. Ich spreche deshalb im Folgenden der Klarheit halber von zugangsbedürftigen Willenserklärungen.

aa) Damit ist jedoch nur eine Kategorienbildung erfolgt, der allerdings eine zentrale dogmatische Frage zugrunde liegt, die damit zugleich entschieden ist. In der gemeinrechtlichen Theorie war umstritten, unter welchen Vorausset­zungen eine Willenserklärung Wirksamkeit erlangt. Während ein Teil der Doktrin diese bereits an die Äusserung des Willens knüpfte (Entäusserungs-theorie), wollten andere die Wirksamkeit erst dann eintreten lassen, wenn der Empfänger von der Erklärung tatsächlich Kenntnis genommen hatte (Verneh­mungstheorie)58. Die Verfasser des BGB haben nach eingehender Diskussion denjenigen Mittelweg gefunden, den man heute als Zugangstheorie bezeich­net, und ihn in § 130 Abs. 1 BGB kodifiziert: «Eine Willenserklärung, die ei­nem andern gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit ab-

* SCHWENZER, N 27.13 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY. Nr. 193 ff. und 205. >7 ZITELMANN ERNST. Die Rechtsgeschäfte im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das

Deutsche Reich 1.1889/1890,23. Kritisch zur Begriffsbildung zu Recht KRAMER ERNST A.. Ber­ner Kommentar VI/1/1, 1986, Art. 1 OR N 27 ff. (zit. BK-KRAMER). dort auch zum Folgenden.

5* Dazu m.w.Nw. BK-KRAMER, Art. 1 OR N 82 ff., und grundlegend FLUME WERNER. Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Rechtsgeschäft. 4. Aufl., Berlin/Heidelberg 1992. II § 14 mit weiteren Einzelheiten und hier nicht weiter interessierenden Differenzierun­gen.

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gegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht59.» Ob­wohl das schweizerische Recht eine derart explizite gesetzliche Regelung nicht enthält, besteht Einverständnis darüber, dass auch dem OR dieses Kon­zept zugrunde liegt60. Indirekt lässt sich dies auch aus den heutigen Art. 3-9 OR schliessen, wobei insbesondere auf Art. 9 OR zurückzukommen sein wird.

bb) Die Zugangstheorie wird heute allgemein als ein Kompromiss verstanden, durch den die Risikosphären des Absenders und des Empfängers von Willens­erklärungen gegeneinander abgegrenzt werden sollen. Infolgedessen hat man versucht, diese Grenzlinien durch Interpretation des Begriffs Zugang mög­lichst präzise zu ziehen, was freilich nicht ganz einfach ist. In verkürzender Form spricht man allgemein davon, dass die Erklärung dann zugegangen ist, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist. Dies präzisierend, umschreibt KRAMER im Anschluss an LARENZ die Abgrenzung: «Zugang der Willenserklärung sollte daher dann angenommen werden, wenn die Erklä­rung dem Empfänger in der Art näher gebracht worden ist, dass er unter nor­malen Umständen von ihr Kenntnis nehmen kann und die Kenntnisnahme nach den von ihm selbst getroffenen Vorkehrungen oder nach den Gepflogen­heiten des Verkehrs auch erwartet werden kann61.»

cc) Für die Fragen des elektronischen Vertragsschlusses ist die zuvor dargeleg­te Konzeption von besonderer Bedeutung, und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen ist wesentlich, dass die Zugangstheorie auf dem Gedanken der sachgerechten Risikoabgrenzung zwischen den beteiligten Parteien beruht. Dies ist ein Gesichtspunkt, der für die gesamte Abwicklung von Rechtsge­schäften im elektronischen Verkehr von zentraler Bedeutung und deshalb im Folgenden mehrfach zu diskutieren ist. Darüber hinaus zeigt die zuletzt wie­dergegebene Formel sehr deutlich, dass es sich um einen differenzierten Wer­tungsvorgang handelt, der es ermöglicht, die Grenzziehung zwischen den Ri­sikobereichen fall- und situationsbezogen zu ziehen. Das ist deshalb beson­ders wichtig, weil damit zugleich klargestellt wird, dass mit den sich wandeln­den Techniken der Übermittlung die Abgrenzung den jeweiligen Verhältnis­sen angepasst werden kann62.

59 Dazu STAUDINGER/DILCHER, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl.. § 130 N 1 ff. mit Einzelheiten zur Gesetzgebungsgeschichte und der im Folgenden beschriebenen Interpre­tation.

60 Dies war schon der Standpunkt des Zürcher Privatgesetzbuchs (PGB) in dessen §§ 904/906 und galt ohne Zweifel bereits für das alte OR. Einzelheiten bei BK-KRAMER. Art. 1 N 83.

M BK-KRAMER. Art. 1 N 87 im Anschluss an LARENZ. Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerli­chen Rechts. 5. Aufl.. München 1980. § 21 II: in der 8. Aufl. (Fn. 47) vgl. § 26 N 17.

62 Dass dies möglich und notwendig ist. zeigt sich bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs. Je stärker dieser elektronisiert und über Rechner abgewickelt wird, desto schwieriger ist die Frage geworden, wann der Eingang der Zahlung dem Leistungsempfänger in einer Weise zur Verfü­gung steht, die ihm die Disposition über die Summe ermöglicht. Davon hängt die Frage ab.

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dd) Versucht man vor diesem Hintergrund zu bestimmen, wann die elektro­nisch abgegebene Willenserklärung zum Vertragsschluss (sei es Angebot oder Annahme) der gegnerischen Partei zugegangen ist, so muss bestimmt werden, wo derjenige Bereich beginnt, in dem der Empfänger «unter normalen Um­ständen von der Erklärung Kenntnis nehmen kann und die Kenntnisnahme nach den von ihm selbst getroffenen Vorkehrungen auch erwartet werden kann»63. In der Literatur wird vorgeschlagen, dies dann anzunehmen, wenn die entsprechende Erklärung auf dem Server des Empfängers oder gegebe­nenfalls auf einem von ihm selbst betriebenen Rechner eingetroffen ist64. Das ist konsequent und entspricht der von der Rechtsprechung für die traditionel­len Übermittlungstechniken entwickelten Praxis65.

ee) Eine gewisse Bestätigung findet diese Konzeption in der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, die in Art. 11 die Abgabe einer Bestellung regelt. In dieser im Rahmen des Vertragsschlusses noch näher zu besprechenden Bestimmung heisst es, «Bestellung und Empfangsbestätigung gelten als eingegangen, wenn die Parteien, für die sie bestimmt sind, sie abrufen können». Noch etwas verfeinert findet sich diese Bestimmung in der Umset­zung dieser Richtlinie, wie sie der bereits mehrfach erwähnte § 312e Entwurf-BGB vorsieht, der die Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr festlegt. Dort heisst es im letzten Satz von Abs. 1: «Bestellung und Empfangsbestäti­gung (...) gelten als zugegangen, wenn die Parteien, für die sie bestimmt sind, sie unter gewöhnlichen Umständen abrufen können.» Mit der Erwähnung der ge­wöhnlichen Umstände trägt der deutsche Entwurf den von der Rechtspre­chung generell zu § 130 BGB entwickelten Grundsätzen66, die - wie erwähnt - auch im Schweizerischen Recht akzeptiert worden sind, in der Weise Rech­nung, dass im Einzelfall eine abweichende Beurteilung stattfinden kann. Von genereller Bedeutung aber ist die Tatsache, dass das in beiden Bestimmungen verwendete Wort «abrufen» klarstellt, dass - von den erwähnten Ausnahmen abgesehen - die Erklärung als zugegangen gilt, wenn sie beim jeweiligen Ser­ver oder in der E-Mail-Box oder aber auf dem Rechner des Empfängers ein­getroffen ist. Es wird also bei der Mail-Box nicht anders als beim traditionellen Hausbriefkasten nicht darauf abgestellt, ob der Empfänger diese leert, son­dern allein auf den Umstand, dass er Zugriff auf die jeweilige Nachricht hat67.

wann man die Erfüllung der Schuld annehmen kann. In der Diskussion darüber ist dieser Zeit­punkt von einigen Autoren auf den Eingang im Rechner des Kreditinstituts des Gläubigers vor­verschoben worden, andere wollen ihn sogar noch weiter vorverlagern. Einzelheiten dazu bei WIEGAND WOLEGANG/HODEL ANNETTE, Die bargeldlose Zahlung im schweizerischen Recht, in: WIEGAND (Hrsg.), BBT 7, 179 ff. m.w.Nw.

" ' Vgl. BK-KRAMER und LARENZ. a.a.O. (Fn. 61). M WEBER. Rechtsfragen. 246 f.; MEHRINGS. Vertragsabschluss im Internet, in: HOEREN/SIEBER, Teil

13.1.. Rn. 75 ff. 65 Darstellung dieser Praxis bei BK-KRAMER. Art. 1 OR N 88 ff. •* Dazu STAUDINGER/DILCHER. § 130 N 1 ff. " Vgl. dazu ausführlich auch HUNGER. 54 ff.

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Man wird davon ausgehen können, dass dieses Konzept auch in der Schweiz Anwendung findet, obwohl im Entwurf des Gesetzes über den elek­tronischen Geschäftsverkehr eine der eben zitierten Regelungen des Euro­päischen Rechts vergleichbare Bestimmung nicht aufgenommen wurde. Da­gegen enthält der Gesetzesentwurf in Bezug auf die Vertragserklärungen ei­nige Neuerungen, die teils der Anpassung an das Europäische Recht dienen, zum Teil aber durch die andere Natur der Übermittlung der Erklärungen be­dingt sind. Die dadurch sich ergebenden Modifikationen sind im Folgenden anhand der Art. 3-9 OR zu besprechen, wobei zugleich die oben skizzierten neu formulierten Informationspflichten einzubeziehen sind.

6. Praktische Konsequenzen und Anpassungen

a. Vertragsschluss durch «Dialog unter den Parteien»

In Bezug auf die Art. 3 und 4 Abs. 1 OR ergeben sich keine inhaltlichen Ver­änderungen, eine Anpassung war jedoch in Anbetracht der neuen Kommuni­kationsformen bei Art. 4 Abs. 2 OR geboten. Dieser soll gemäss Entwurf zum neuen Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr in Zukunft folgendermassen lauten: «Bedienen sich die Vertragsschliessenden oder ihre Bevollmächtigten persönlich des Telefons oder eines anderen elektronischen Kommunikationsmittels, das einen Dialog unter ihnen ermöglicht, so gilt der Vertrag als unter Anwesenden abgeschlossen.»

Sieht man einmal davon ab, dass die Entwurfsverfasser an der antiquierten Formel des Eingangssatzes wohl aus Gründen der Behutsamkeit festgehalten haben, so ist die Neuerung einerseits eine Selbstverständlichkeit, anderseits aber doch ein erheblicher Fortschritt. Er ist vor allem darin zu sehen, dass die Möglichkeit des Dialoges das entscheidende Kriterium ist68.

Ist eine solche Kommunikation möglich, so kommt es in direktem Aus­tausch von Willenserklärungen zum Konsens, wobei im Übrigen die Frage, welches als Angebot und welches als Annahme zu qualifizieren ist, wie bei al­len unter Anwesenden geschlossenen Verträgen keine Rolle spielt.

Inkonsequent ist in dieser Hinsicht nur, dass man nicht allein auf dieses Kriterium abgestellt hat, sondern es ausschliesslich im Zusammenhang mit dem elektronischen Kommunikationsmittel erwähnt. Gerade im Hinblick auf die rasante Entwicklung im Kommunikationsbereich wäre eine neutralere, auch das Telefon umfassende Formulierung möglich, die etwa dahingehend lauten müsste: «Bedienen sich die Vertragsschliessenden eines Kommunika-

M Der Begleitbericht des Bundesamtes für Justiz zum Entwurf für ein neues Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr, 10, nennt als Beispiel: «Internet-Seiten (...). bei denen die Beteiligten schriftlich oder mittels am Computer angeschalteter Hörer und Mikrophone ei­nen direkten Dialog fuhren können»; daraufstellt auch das EU-Recht verschiedentlich ah. Vgl. auch HUNGER. 46 ff.

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tionsmittels, das den Dialog unter ihnen ermöglicht, so gilt der Vertrag als unter Anwesenden geschlossen69.»

b. Der Austausch von Willenserklärungen unter Abwesenden

Eigentliche Schwierigkeiten ergeben sich jedoch bei der Verwendung elektro­nischer Kommunikationsmittel unter Abwesenden, also bei all denjenigen Formen, die keinen direkten Dialog ermöglichen. Es liegt auf der Hand, dass die in Art. 5 OR enthaltene, an sich sehr differenzierte und die Interessen bei­der Parteien sorgsam abwägende Lösung in diesen Fällen nicht ohne weiteres angewandt werden kann. Das ist deshalb besonders wichtig, weil es im Bereich von Dienstleistungen und zumal im Rahmen des E-Banking besonders häufig zu der in Art. 5 OR geregelten Konstellation kommen wird, und zwar aus fol­gen Gründen:

aa) Praktisch alle Finanzdienstleistungen, die über das Netz angeboten wer­den, sind - wie bereits oben angedeutet wurde - nach Artikel 7 OR abzuwi­ckeln, dessen Absätze 2 und 3 wie folgt neu formuliert werden sollen:

«Die Versendung oder Veröffentlichung von Tarifen, Preislisten u. dgl., na­mentlich auf elektronischem Weg, bedeutet an sich keinen Antrag.»

«Dagegen gilt die Präsentation, namentlich auf elektronischem Weg, von in­dividualisierten Waren oder Dienstleistungen mit Angaben des Preises in der Regel als Antrag.»

Der vorgesehene Absatz 2 dehnt lediglich die bisherige Regelung auf die neue Kommunikationsform aus. Er entspricht nicht nur schweizerischer Tra­dition, sondern auch für den Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs europa-, ja sogar weltweiter Auffassung70. Auch Absatz 3 bestätigt allein die bisherige Rechtslage für die neue Kommunikationsform. Hier gilt, was bisher schon immer üblich war. Wer nicht gebunden sein will, muss gemäss Art. 7 Abs. 1 OR eine diesbezügliche klare Erklärung hinzufügen oder mit anderen Worten den in Art. 7 Abs. 1 OR vorgesehenen Vorbehalt anbringen71.

bb) Handelt es sich also bei den «Angeboten» nicht um Offerten im Rechts­sinne, sondern lediglich um eine «invitatio ad offerendum»72, so geht das An­gebot zum Vertragsschluss vom Kunden aus73. Infolgedessen bieten sich nach Art. 5 und 6 OR zwei Alternativen an74:

m Kritisch in diesem Punkt auch zu Recht SPINDLER, 259 ff. 7" WIEGAND WOLFGANG, Legal Aspects. 71 Der Vorbehalt hat bei genauer Betrachtung mit den in Art. 7 Abs. 2 und 3 OR enthaltenen Aus­

legungsregeln nichts gemein, dazu unten S. 123. 72 Zu den Konsequenzen für den Vertragsinhalt unten S. 124. " HUNGER. 42 ff. 74 Theoretisch käme auch eine mit Frist verbundene Antragsstellung nach Art. 3 OR in Betracht,

was jedoch praktisch nicht vorkommen und von den Finanzdienstleistern auch kaum akzeptiert werden dürfte.

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Bei der Anwendung von Art. 5 OR ergibt sich aufgrund der verwendeten Technik eine gewisse Modifikation der Abläufe. Zunächst wird Art. 5 Abs. 2 OR dahingehend zu verstehen sein, dass der die Offerte absendende Kunde davon ausgehen darf, dass sein Antrag sofort angekommen ist, denn nach der Zugangstheorie75 ist dies der Fall, wenn er in den oben beschriebenen Herr­schaftsbereich des Dienstleistungsunternehmens gelangt ist. Fraglich kann un­ter diesen Umständen nur sein, wie die Kalkulation der für die Antwort zur Verfügung stehenden Zeit vorzunehmen ist. Dabei hängt nahezu alles von der Art der vom Anbieter zu erbringenden Leistung ab.

In vielen Fällen wird man davon ausgehen können, dass die Annahme so­fort erklärt werden kann und muss. In der Praxis geschieht dies häufig durch automatisierte Erklärungen des Anbieters, die durch den Eingang der «Be­stellung» ausgelöst werden. Das Wort Bestellung, das ich bewusst verwende -es knüpft an die EU-Richtlinie an, die eine diesbezügliche Regelung76 enthält, auf die sogleich einzugehen sein wird -, soll signalisieren, dass es um die Lie­ferung von Waren geht, also den ursprünglichen Kernbereich des E-Commer­ce. Bei dieser Art von Geschäften kann man vom Anbieter gerade wegen der von ihm selbst gewählten Geschäftsform erwarten, dass er die Offerte unmit­telbar annimmt.

Bei Dienstleistungen wird man differenzieren müssen: Auch hier gibt es Leistungen, bei denen eine unmittelbare Antwort erwartet werden kann -etwa bei Buchungen einer Reise oder beim Kauf von Wertpapieren. Bei kom­plexeren Leistungen wird man dagegen eine Bearbeitungszeit einräumen müssen, dies gilt ganz sicher für die meisten Finanzdienstleistungen77. Obwohl sich das in der Regel aus der Natur des Geschäfts ergeben wird, hat der Kunde keine Möglichkeit, den Zeitraum zu ermitteln, in dem er mit einer Antwort rechnen kann. Infolgedessen sollten in jedem Falle in der invitatio ad offeren­dum die erforderlichen Bearbeitungszeiten und die «Geschäftszeiten» ange­geben werden; dies erscheint deshalb geboten, weil das Anbieten im Internet Schnelligkeit und Allzeitigkeit gerade suggeriert78.

Noch grösser sind die Schwierigkeiten bei Art. 6 OR, und zwar in zweifa­cher Hinsicht: Zum einen geht es wie bei Art. 5 OR um die Frage, was als an­gemessene Frist für die Ablehnung des Antrags anzusehen ist. Auch hier gilt, was bei Art. 5 OR gesagt wurde: Wer elektronische Dienste anbietet, gibt da­mit zu erkennen, dass eine effiziente und speditive Abwicklung erreicht wer­den soll. Da die über elektronische Kommunikation abgewickelten Vorgänge bei den Dienstleistungsanbietern weitgehend automatisiert sind, kann der

75 S. oben S. 114 f. 76 Art. 11 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr. 77 HUNGER, 63 ff.

™ Vgl. dazu das unten S. 124 f, beschriebene Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.5.1999. A.Z. 14 O 9971/98. besprochen von WIEGAND. recht 2000. 84 und KRÜGER/BUTTER. 221 ff. Das Urteil findet sich im Internet unter <www.justiz.bayern.de/olgn/przivl75v.htm>.

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Kunde deshalb mit einer sofortigen Stellungnahme, d.h. konkret mit einer Ab­lehnung rechnen. Erfolgt sie nicht, so gilt der Vertrag als abgeschlossen. Dies freilich nur, wenn man die Voraussetzungen des Art. 6 OR bejaht. Wann das der Fall sein wird, dürfte im elektronischen Geschäftsverkehr noch schwieri­ger zu entscheiden sein als bisher. Denkbar ist etwa bei allgemeinen Geschäf­ten, dass auf eine eingegangene Buchbestellung eine Antwort nicht erwartet wird und auch nicht erforderlich ist, sodass Art. 6 OR zur Anwendung käme. Ähnliches könnte gelten, wenn man innerhalb des E-Banking einen Überwei­sungsauftrag erteilt und die Bank dessen Durchführung nicht innerhalb der umschriebenen Frist ablehnt79.

cc) Die kurzen Hinweise zeigen, dass bei der Anwendung von Art. 5 und 6 OR erhebliche Zweifel entstehen, die sich natürlich in allen Ländern mit ver­gleichbarer Vertragsentstehungsdogmatik ergeben. Dies war einer, wenn auch nicht der einzige Grund dafür, dass in der EU-Richtlinie bei allen elektroni­schen Geschäftsabwicklungen eine besondere Bestimmung getroffen wurde, die sich in dem bereits erwähnten Art. 11 Ziff. 1 der Richtlinie über den elek­tronischen Geschäftsverkehr findet. Sie lautet:

«Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass - ausser im Fall abweichender Ver­einbarungen zwischen Parteien, die nicht Verbraucher sind - im Falle einer Bestellung durch einen Nutzer auf elektronischem Wege folgende Grundsät­ze gelten:

Der Diensteanbieter hat den Eingang der Bestellung des Nutzers unverzüg­lich auf elektronischem Wege zu bestätigen;

< • • • ) • »

Der korrespondierende § 312e Abs. 1 BGB gemäss Schuldrechtsmodernisie-rungsgesetz lautet:

«Bedient sich ein Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrages über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistun­gen eines Tele- oder Mediendienstes (Vertrag im elektronischen Geschäfts­verkehr), hat er dem Empfänger (Kunden)

(...)

3. den Zugang von dessen Bestellung unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen und

(...).»

7" Im Giroverhältnis wird nach Schweizer Recht der einzelne Zahlungsauftrag nur als eine Wei­sung des Auftraggebers verstanden, für die aber Art. 6 OR sinngemäss gelten muss Nach dem neuen deutschen Überweisungsrecht (Überweisungsgesetz vom 21.7.1999). das bei Umsetzung der EU-Richtlinie über den Zahlungsverkehr (Richtlinie 97/5/EWG vom 27.1.1997) völlig neu konzipiert wurde, stellt jede einzelne Überweisung einen Vertrag dar; vgl. zum Ganzen WIE­GAND (Hrsg.). BBT 7.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 121

Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass es sich dabei - wie vor allem der Hinweis der EU-Richtlinie darauf, dass Parteien, die nicht Verbraucher sind, eine Abänderung vereinbaren können, erkennen lässt - um eine Regelung handelt, die zumindest auch verbraucherschützende Funktion hat, so er­scheint sie dessen ungeachtet als sehr sinnvoll. Die Anwendung der Art. 5 und 6 OR führt nämlich im elektronischen Geschäftsverkehr bei der Bestellung von Waren oder Dienstleistungen, insbesondere bei der Inanspruchnahme von Finanzdienstleistungen, zu einer erheblichen Unsicherheit bezüglich des Zeitpunktes, in dem der Vertrag wirksam wird. Infolgedessen wäre es zu be-grüssen, wenn eine dem Art. 11 der Richtlinie über den elektronischen Ge­schäftsverkehr entsprechende Bestimmung in die Vertragsentstehungsregeln des OR eingeführt würde. Dies würde allerdings dann bedeuten, dass das Aus­bleiben der sofortigen Bestätigung zur Folge hätte, dass der Vertrag als nicht geschlossen gilt80.

dd) Die Regeln über den Austausch von Angebot und Annahme bedürfen schliesslich im Hinblick auf einen letzten Punkt einer gewissen Modifikation. Es könnte nämlich der bisher eher exotische und vor allem in Lehrbüchern und im akademischen Unterricht traktierte Art. 9 OR erheblich an Bedeu­tung gewinnen. Dieser betrifft den Widerruf einer Vertragsabschlusserklä­rung und deren Wirksamkeit, die bisher vor allem Gegenstand theoretischer Abhandlungen und akademischer Übungen war. In Zukunft könnte sich das deshalb ändern, weil gerade im Hinblick auf die Gefahren des raschen Mausklicks Widerrufe von Willenserklärungen häufiger als heute vorkom­men dürften. Dabei geht es - um dies von vornherein klarzustellen - nicht um die in Art. 40a ff. OR und zahlreichen verbraucherrechtlichen Regelun­gen der Schweiz und der EU-Länder vorgesehenen Widerrufsrechte, son­dern allein um den Tatbestand des Widerrufs einer abgegebenen Erklärung, bevor diese wirksam wird. Trifft sie «bei dem anderen Teile vor oder mit dem Antrage ein, (...) so ist der Antrag als nicht geschehen zu betrachten» (Art. 9 Abs. 1 OR). Während der erste Teil dieser Aussage eine pure Selbstverständ­lichkeit darstellt und sich bereits aus der Zugangstheorie ergibt, ist der zwei­te schon problematischer. Er beruht auf der vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidung, dass bei gleichzeitigem Eintreffen die Korrektur der getroffe­nen Entscheidung möglich sein soll. Schwieriger zu verstehen ist die im Zitat ausgelassene Variante, wonach der Widerruf auch dann wirksam sein soll, wenn «er bei späterem Eintreffen dem anderen zur Kenntnis gebracht (wird), bevor dieser vom Antrag Kenntnis genommen hat». Hier hat der Gesetzgeber zum Schutz derjenigen Partei, die die Erklärung abgegeben hat, die Zu-

Die Rolle der Bestätigung ist freilich auch für das EU-Recht noch nicht hinreichend klar. Vgl. WIEGAND. Legal Aspects.

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122 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

gangstheorie verlassen und ist zur oben erwähnten Vernehmungstheorie81

zurückgekehrt. Er stellt nämlich nicht mehr auf den Zugang in den Herr­schaftsbereich, sondern auf die Kenntnisnahme der anderen Partei ab. Frag­lich ist, wie dieses Konzept im elektronischen Verkehr gehandhabt werden soll. Problematisch ist dies deshalb, weil die Grundsituation, von der der Ge­setzgeber ausgegangen ist, sich heute praktisch nicht mehr ergeben kann. Bei technisch reibungslosem Ablauf, von dem man prinzipiell ausgehen muss, kann es nicht mehr vorkommen, dass die eine Erklärung, nämlich der Wider­ruf, die andere, das Angebot oder die Annahme, überholt. Vielmehr werden alle elektronisch abgegebenen Willenserklärungen in der zeitlichen Reihen­folge, in der sie veranlasst wurden, im Machtbereich des Empfängers eintref­fen, noch dazu versehen mit einer genauen Zeitangabe. Damit entfällt auch die zweite Variante, nämlich die Gleichzeitigkeit des Zugangs. Wendet man also die Vorschrift ihrem Wortlaut nach korrekt an, so stellt sich das in Art. 9 OR gelöste Problem - von zu vernachlässigenden technischen Pannen abge­sehen - überhaupt nicht.

Fraglich ist, ob dieses Resultat angesichts der ratio legis so aufrecht erhal­ten werden kann. Sinn der in Art. 9 OR getroffenen Regelung ist es ja, in den dort aufgeführten Problemfällen den Erklärenden zu schützen, ohne dem Er­klärungsempfänger unzumutbare Nachteile zuzufügen. Dies tut der Gesetzge­ber, indem er in der Sache die Rückgängigmachung der Erklärung vor ihrer Wahrnehmung erlaubt und damit zur Vernehmungstheorie zurückkehrt. Wen­det man diesen Gedanken auf die moderne Kommunikation an, so wird in vie­len Fällen die Gleichzeitigkeit des Zugangs zu bejahen sein. Dies ist jedenfalls immer dann so, wenn bei der Wahrnehmung der abgegebenen Willenserklä­rung durch den Empfänger schon beide im jeweiligen Rechner gespeichert oder in der Mail-Box vorhanden sind. Hier kann auf den zeitlichen Eingang nicht abgestellt werden, sondern auf die Gleichzeitigkeit der Kenntnisnahme. Auf diese Weise kann ein Teil der als problematisch empfundenen Konstella­tionen problemlos gelöst werden. Insbesondere trifft das zu auf die versehent­lich und/oder übereilt gegebene Willenserklärung per Mausklick, die umge­hend widerrufen wird. Erfolgt das Ganze ausserhalb der üblichen Bearbei-tungs- oder Geschäftszeiten, so bleibt die Chance des Widerrufs sogar «bis zur Wiedereröffnung des Betriebes» bestehen. Es ist indessen klar, dass diese Konzeption nur einen Teilbereich der Fälle erfasst und Art. 9 OR auch nur auf solche Gestaltungen Anwendung findet, in denen auf der Empfängerseite nicht eine automatisierte Antwort ausgelöst wird. Ist Letzteres der Fall, so bleibt für den Widerruf der abgegebenen Erklärung und die Anwendung des Art. 9 OR kein Spielraum82.

81 S. oben S. ! 14. *: Vgl. zur Frage des Widerrufs HUNGER. 70 ff.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 123

7. Vertragsinhalt

Wichtiger als die zuvor diskutierten und eher als vorübergehende Erschei­nungen zu betrachtenden Anwendungsprobleme ist die grundsätzliche Fra­ge, wie der Vertragsinhalt zu bestimmen ist. Hierbei ist an die traditionelle Lehre anzuknüpfen, die schon für den Vertragsschluss aufgrund von versen­deten Tarifen, Zeitungsanzeigen und dergleichen gemäss Art. 7 OR Lö­sungsansätze entwickelt hat. Sie werden allerdings im Bereich des elektroni­schen Geschäftsverkehrs und vor allem für die Banken eine grundsätzliche Bedeutung gewinnen, wie im Folgenden zumindest ansatzweise dargelegt werden soll.

a. Ausgangspunkt

Auszugehen ist wiederum von Art. 7 OR, und zwar von Abs. 1. Die Vorschrift hat nur deklaratorischen Charakter; sie stellt klar, dass man unverbindliche Angebote zum Vertragsschluss machen kann und dass dies nicht als wider­sprüchliches (gegen Art. 2 ZGB verstossendes) Verhalten anzusehen ist. Der Erklärende kann und darf sich die Entscheidung, ob er den Vertrag schliessen will, aus beliebigen (meist ökonomischen) Gründen offen halten.

Der in Art. 7 Abs. 1 OR vorgesehene Vorbehalt bezieht sich deshalb nach seiner Struktur und Zielsetzung nicht auf den Inhalt der Erklärung, obwohl dieser natürlich bei Ablehnung des Vertragsschlusses durch den Anbieter ebenfalls obsolet wird. Wenn dagegen Erklärungen abgegeben werden, die von vornherein auch inhaltlich unverbindlich sind, handelt es sich um Wer­bung und nicht um die Einladung zur Offertstellung; denn diese setzt voraus, dass es sich bei dem (unverbindlichen) Antrag um einen annahmefähigen Antrag handelt, d.h. er muss alle Elemente eines Angebots enthalten. An­dernfalls wäre der Zusatz, dass der Antrag unverbindlich sei, von vornherein entbehrlich; ein unvollständiges Angebot kann nämlich nicht angenommen werden.

b. Auswirkungen beim E-Commerce

Vor diesem Hintergrund ist zu erörtern, welche Bedeutung den Hinweisen zu­kommt, die sich praktisch auf allen Homepages von Finanzdienstleistungsun­ternehmen finden.

Der allenthalben angebrachte Vermerk «Dies ist keine Offerte» kann zwei­erlei bedeuten: 1. Ausschluss des Verpflichtungswillens im eben dargelegten Sinne und damit

Anbringen eines Vorbehalts nach Art. 7 Abs. 1 OR. 2. Ausschluss jeglicher Verbindlichkeit, insbesondere der inhaltlichen Anga­

ben (Preise etc).

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124 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

aa) Im ersten Fall ist davon auszugehen, dass eine invitatio ad offerendum vor­liegt und das Angebot zum Vertragsschluss oder in der Diktion der EU-Richt­linien die «Bestellung» vom Kunden ausgeht.

Dies heisst freilich nicht, dass die Angaben, die der Dienstleistungs­anbieter gemacht hat, ohne Bedeutung wären. Sie spielen vielmehr - wie sogleich zu erörtern sein wird - für den Vertragsinhalt eine entscheidende Rolle.

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Konzeption, nach der das Angebot vom Kunden ausgeht, wenn der Waren- oder Dienstleistungsanbieter Tarife und Preislisten veröffentlicht, natürlich eine Modifikation des gesamten Ver­tragsentstehungskonzepts beinhaltet. Denn an sich muss die Offerte alle we­sentlichen Vertragspunkte enthalten, denen der Vertragspartner dann durch seine Annahmeerklärung zustimmt und so Konsens herstellt. Bei der vorheri­gen Publikation von Tarifen, Preislisten oder sonstigen Angeboten verläuft der Vorgang indessen anders. Das Angebot des «Kunden» bezieht sich auf die vor­ausgegangene (nicht bindende) Offerte des Waren- oder Dienstleistungsan­bieters und macht diese, selbst wenn das nicht ausdrücklich erklärt wird, zum Teil des Angebots.

bb) Wendet man dies auf elektronische Vertragsschlüsse an, so ist klar, dass nach dem oben Gesagten zwar das Angebot vom Kunden ausgeht, dass dieses jedoch die zuvor auf der Homepage angebotene Dienstleistung gewisser-massen in sich aufnimmt, sodass der Mausklick nichts anderes bedeutet als die Aussage: Ich mache ein Angebot zum Vertragsschluss über die von Ihnen an­gebotene Dienstleistung zu den publizierten Bedingungen.

cc) Das hat für das E-Banking weit reichende Konsequenzen. Insbesondere bedeutet dies, dass die Bank, die im Internet Dienste und Leistungen aller Art anbietet, zwar die Verbindlichkeit des Angebots gemäss Art. 7 Abs. 1 OR aus-schliessen kann, jedoch an den Inhalt der dort publizierten Informationen prinzipiell gebunden ist. Der auf solchen Homepages weit verbreitete Vorbe­halt, dass die dortigen Angaben unverbindlich seien (Fall 2), ist meines Erach-tens unbeachtlich, da er in sich widersprüchlich ist und infolgedessen einen un­zulässigen Vorbehalt darstellt.

dd) Die zuvor dargelegte Lösung wird auf eindrucksvolle Weise bestätigt durch ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth83, in dem es um die Frage der Konsequenzen einer verspäteten Ausführung eines durch Einwahl in das Computersystem der «Beklagten» erteilten Kaufvertrags für Aktien ging. In dem hier interessierenden Zusammenhang geht es ausschliesslich darum, ob die in den verschiedenen Publikationen des Anbieters gemachten Zusagen Vertragsinhalt geworden waren. Das Gericht führte dazu aus:

"•' Vgl. oben Fn. 78.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 125

«Vertragsgrundlage dieses Geschäftsbesorgungsvertrages war (...) die beim XY-Online-Broking zugesagte Weiterleitung der Kundenorder über das Routing-System an die Handelsplätze in wenigen Sekunden. Diese Zusage findet sich in den dem Kläger mit seinen Kontounterlagen zugesandten Bro­schüren (...). Diese Broschüren sind Grundlage der jeweiligen Geschäftsbe­sorgungsverträge zwischen den Parteien bei Inanspruchnahme des XY-Pho-ne-Broking und des XY-Online-Broking. Soweit die Beklagte (...) ausfiihrt, es handele sich bei dieser Werbung lediglich um eine Anpreisung bzw. un­verbindliche Beschreibung der Zugangsmöglichkeiten, welche nicht Ver­tragsbestandteil geworden sei, (...) kann die Kammer dem nicht folgen.»

ee) Diese hier noch mit traditionellen Auslegungsmitteln gewonnene Lösung des Gerichts wird durch die neuere Gesetzgebung nicht nur bestätigt, sondern weiter verfestigt. Ich beschränke mich dabei auf zwei Beispiele aus der Schweiz, die beide an die Entwicklung in der EU anknüpfen.

Zum einen handelt es sich um Art. 3 des Pauschalreisegesetzes, der aus­drücklich festhält:

«Veröffentlicht ein Veranstalter oder Vermittler einen Prospekt, so sind die darin enthaltenen Angaben für ihn verbindlich; sie können nur geändert wer­den:

a) durch spätere Parteivereinbarung;

b) wenn der Prospekt ausdrücklich auf die Änderungsmöglichkeit hinweist und die Änderung dem Konsumenten vor Vertragsschluss klar mitgeteilt wird. »

Damit geht das Gesetz über das oben zum allgemeinen Vertragsrecht Ge­sagte noch hinaus; denn Vertragsinhalt wird die gesamte Werbeaussage, wenn diese nicht vor Vertragsschluss widerrufen wird. Noch weiter geht die neue EU-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf, die - wie oben erwähnt84 - in dem Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr ebenfalls in das schweizerische Recht integriert werden soll. Dabei soll ein neuer Art. 197 Abs. 3 in das OR eingefügt werden, der folgenden Wortlaut hat:

«Der Verkäufer, der im Rahmen einer beruflichen oder gewerblichen Tätig­keit gehandelt hat, haftet auch für die Eigenschaften der Sache, die der Her­steller oder sein Vertreter in öffentlichen Äusserungen, namentlich in der Werbung oder bei der Etikettierung zugesichert hat, es sei denn, dass er be­weist, dass er diese Zusicherung nicht kannte, dass er sie nicht kennen konnte oder dass er sie korrigiert hat. »

M Oben S. 105.

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126 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

Ohne auf die Problematik dieser Bestimmung aus kaufrechtlicher Sicht einzugehen, kann man festhalten, dass darin das Vertragsentstehungskonzept nochmals erweitert wird. Die beschriebenen Aussagen von Hersteller und Im­porteur werden zur Haftungsgrundlage gemacht, was notwendigerweise vor­aussetzt, dass sie gewissermassen automatisch zum Vertragsinhalt geworden sind. Dies hat man sich in der gleichen Weise vorzustellen, wie das oben be­züglich der unverbindlichen Anträge nach Art. 7 OR beschrieben ist.

ff) Aus dem dargelegten Konzept der Vertragsentstehung ergibt sich zugleich aber auch die Lösung für das AGB-Problem85. Hier geht es um die Frage, ob und in welcher Weise Allgemeine Geschäftsbedingungen Vertragsinhalt wer­den. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass auch beim Vertragsschluss auf elek­tronischem Wege keine höheren Anforderungen gestellt werden können als beim gewöhnlichen Vertragsschlussverfahren. Infolgedessen sind die dort all­gemein akzeptierten Grundsätze anzuwenden. Danach genügt es, wenn ein geeigneter Hinweis auf die AGB erfolgt, der zugleich klarstellen muss, dass diese Vertragsinhalt werden sollen.

Daraus folgt, dass die AGB im Angebotspaket, das den Kunden über das Internet offeriert wird, enthalten sein müssen. Es muss sich dort ein klarer Hinweis auf die AGB und deren Bedeutung befinden und der Kunde, der sein Angebot abgibt, akzeptiert damit prinzipiell die AGB. Im Hinblick auf deren Bedeutung und Tragweite wird man jedoch auch hier - wie inzwischen in der allgemeinen Vertragspraxis üblich - eine gesonderte Bestätigung vorsehen müssen86. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Rechtsprechung die In­tegration solcher AGB in den Vertrag nicht anerkennt. Dies entspricht auch der Praxis auf den meisten Internetseiten, wo ausdrücklich eine Bestätigung der Kenntnisnahme der AGB verlangt wird. Eine solche Bestätigung bedeutet hier wie beim normalen Vertragsschluss freilich nicht, dass der Kunde Kennt­nis vom eigentlichen Inhalt und der Tragweite der Regelungen hat. Insoweit kommen die bekannten Mechanismen in Betracht, die unter den Schlagwor­ten Ungewöhnlichkeits- und Unklarheitenregel in Literatur und Rechtspre­chung entwickelt worden sind87. Inwieweit im Bereich des E-Commerce und speziell des elektronischen Bankgeschäfts weitergehende Eingriffe in den In­halt der AGB erforderlich sind, wird unten im Zusammenhang mit den Leis­tungsstörungen diskutiert werden.

8. Anfechtung

Der Anfechtung kommt im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs keine besondere und schon gar keine gesteigerte Bedeutung zu. Zwar werden

s5 Vgl. hierzu grundlegend WIEGAND. Rechtsbeziehung Bank - Kunde. 129 ff. s" WEBER. Rechtsfragen. 241 f.: NESTIE. 249 ff., insbes. 267 ff.: WEBER. E-Commerce. 326 ff. "" SCHWENZER. N 45.07 und 45.10: BITHER. 156 ff.: GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/RFY. Nr. 1141 ff.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 127

hier wie bei anderen Kommunikationsformen Übermittlungsfehler im Sinne des Art. 27 OR vorkommen, die jedoch keine Probleme aufwerfen. So gut wie ausgeschlossen ist dagegen ein Erklärungsirrtum i.S. des Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1-3 OR; denn aufgrund der oben beschriebenen Abläufe bezieht sich das vom Kunden abgegebene Angebot auf die vorgegebenen Vertragsinhalte, sodass es nur in Ausnahmefällen zu einem Erklärungsirrtum kommen kann. Keinerlei Besonderheiten ergeben sich aus der speziellen Form der Kommunikation für den Grundlagenirrtum. Das eigentliche Problem der Kommunikationsform liegt nicht im Irrtumsrecht, sondern - wie bereits erwähnt - im Nichterkennen der rechtserheblichen Bedeutung des Mausklicks88. In der Sache geht es ei­gentlich nicht um Irrtumsfragen, sondern darum, dem Benutzer die Tragweite seines Handelns bewusst zu machen89. Genau diesem Zweck dienen die tech­nischen Informationspflichten, die einerseits eine übereilte und unbewusste Abgabe von Willenserklärungen verhindern und anderseits die jederzeitige Korrekturmöglichkeit eröffnen sollen. Es ist deshalb nochmals festzuhalten, dass die geplante Regelung dieser Informationspflichten im Rahmen des UWG nicht genügt. Nur wenn man sie, wie hier geschehen, zugleich als vor­vertragliche Informationspflichten betrachtet, können sie ihre Funktion erfül­len. Werden den bestellenden Kunden nicht die im vorgeschlagenen Art. 6a UWG90 vorgeschriebenen Informationen und Hilfsmittel vor Vertragsschluss übermittelt, so liegt ein Tatbestand der culpa in contrahendo oder aber der po­sitiven Vertragsverletzung vor, mit dem Ergebnis, dass der Kunde den Vertrag aufheben kann.

9. Das Formproblem und die digitale Signatur

Zu den zentralen Problemen bei der Abwicklung von Rechtsgeschäften durch elektronische Kommunikation gehört die Formfrage. Nur wenn es gelingt, die­se in befriedigender Weise zu lösen, kann dem elektronischen Geschäftsver­kehr die ihm von der Wirtschaft und von den politischen Institutionen zuge­dachte Bedeutung zukommen. Infolgedessen ist in allen Teilen der Welt der Versuch unternommen worden. Techniken und korrespondierende Regelun­gen zu entwickeln, die zumindest einen Teil der traditionellen Formerforder­nisse substituieren können. Der eingangs bereits erwähnte Entwurf zu einem Bundesgesetz über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Sig­natur bewegt sich in diesem Rahmen, er «entspricht grundsätzlich den Vorga-

Vgl. die Ausführungen hierzu oben S. 113 f. In solchen Fällen kommt allenfalls eine analoge Anwendung des Irrtumsrechts in Betracht. WEBER/JÖHRI. 44. Vgl. den Text oben S. 108 f.

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128 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

ben des europäischen Rechts»91. Im Folgenden geht es nicht darum, die ver­schiedenen Varianten elektronischer Signaturen, deren Technik, die Sicher­heitsfragen und die Haftungsprobleme darzulegen92. Ich beschränke mich vielmehr ausschliesslich auf die Auswirkungen, die sich für die Anwendung der Formvorschriften bei elektronischen Vertragsschlüssen und insbesondere bei Bankgeschäften ergeben.

a. Ausgangslage

Zunächst ist eine Unterscheidung anzubringen, die vor allem in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen hat: Das Schweizerische Recht geht grundsätzlich von der Definition der Schriftlichkeit aus, die in den Art. 13 und 14 OR ent­halten ist und üblicherweise als die einfache Schriftform bezeichnet wird. Daneben finden sich zahlreiche Bestimmungen, in denen das Gesetz Schrift­lichkeit vorsieht, wobei aber aus dem Kontext und der ratio legis klar ersicht­lich ist, dass es sich hier nicht um die einfache Schriftlichkeit im Sinne der Art. 13 und 14 OR handelt. Dies gilt etwa für die Informationspflichten des Reiseveranstalters gemäss Art. 4 Pauschalreisegesetz oder die dem Konsu­menten auszuhändigende Kopie nach Art. 8 Abs. 1 KKG93; schliesslich für die Versicherungspolice, die dem Versicherungsnehmer zu übergeben ist (Art. 11 WG)94. Im deutschen Recht wurde für diese Arten der Schriftlich­keit ein neuer Begriff eingeführt, die so genannte Textform95. Der schweize­rische Gesetzesvorschlag hat diese überflüssige Begriffsbildung nicht auf­genommen96, sondern die Abgrenzung zwischen diesen Formen und der ei­gentlichen einfachen Schriftlichkeit Wissenschaft und Rechtsprechung über­lassen.

Vgl. die Botschaft über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur (ZertES), BB12001,5713, mit Hinweisen auf die EU-Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingun­gen für elektronische Signaturen, die in den Mitgliedstaaten bis zum 19. Juli 2001 umgesetzt werden musste. Vgl. auch PESTALOZZI/VEJT, 599 ff.; für Deutschland ROSSNAGEL, 1817 ff. mit umfangreichen Nachweisen auch zum europäischen Recht. Zum schweizerischen Entwurf vgl. SCHLAURI/KOHLAS, 253 ff.; ROSENTHAL DAVID, Digitale Signaturen: Von Missverständnissen und gesetzlichen Tücken, in: Jusletter 29. Januar 2001 <www.weblaw.cn/jusletter/Artikel.jsp7Artic-leNr=947>. Vgl. dazu JÖRG FLORIAN S./ARTER OLIVER, Digitale Signaturen: Die Public-Key-Infrastruktur nach der neuen Zertifizierungsdiensteverordnung, ZBJV 136. 449 ff. Zur Kopie des Konsumkreditvertrages gemäss Art. 8 Abs. 1 KKG vgl. WIEGAND WOLFGANG, Die zentralen Elemente des Konsumkreditgesetzes, in: WIEGAND (Hrsg.). Das neue Konsum­kreditgesetz (KKG). Berner Bankrechtstag Band 1.37 ff., insb. 41 f. und KOLLER-TUMLER MAR-LIS. in: HONSELL/VOGT/WIEGAND (Hrsg.). Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht. Abzah­lungsrecht/Konsumkreditrecht. Basel 1996. N 2 f. zu Art. 8 KKG. Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag ( W G ) vom 2.4.1908. SR 221.229.1. § 126b BGB. Vgl. hierzu wie zum Ganzen Botschaft ZertES. BB1 2001, 5687 f.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 129

b. Die neue Regelung

Der Entwurf für ein Bundesgesetz über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur (ZertES) sieht für die einfache Schriftlichkeit einen neuen Art. 14 Abs. 2bls OR vor, der folgendermassen lautet:

«Der eigenhändigen Unterschrift gleichgestellt ist die qualifizierte elektroni­sche Signatur, die auf einem qualifizierten Zertifikat einer anerkannten An­bieterin von Zertifizierungsdiensten im Sinne des Bundesgesetzes vom (...) über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur beruht und auf den Namen einer natürlichen Person lautet.»

Sieht man einmal von den (sogleich zu besprechenden) Risiken und den praktischen Problemen ab, die diese Regelung mit sich bringt, so ist sie eine konsequente Umsetzung der mit dem Gesetz verfolgten Zwecke; sie erfordert aber einige Klarstellungen:

Da das OR darauf verzichtet hat, einen Allgemeinen Teil zu schaffen, der Vorschriften für alle Rechtsgeschäfte enthält, beschränken sich die rechtsge­schäftlichen Grundregeln jeweils auf den Vertrag. So kann nach dem Wort­laut des Gesetzes nur ein Vertrag an Willensmängeln leiden und die Stell­vertretung wäre auch nur beim Vertragsschluss möglich. Auch die Form­vorschriften beziehen sich nach dem Wortlaut des Gesetzes nur auf Verträge. Es ist indessen anerkannt, dass all diese Regeln selbstverständlich auch auf alle anderen rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen Anwendung finden, wobei man dahinstehen lassen kann, ob es sich um eine extensive Ausle­gung oder eine Analogie handelt. Gleiches wird für den neuen Art. 14 Abs. 2bis OR gelten, der auf alle rechtsgeschäftlichen Erklärungen Anwen­dung findet, bei denen die eigenhändige Unterschrift als Formerfordernis aufgestellt ist.

Für die Bankpraxis wird die neue Vorschrift von ganz erheblicher Bedeu­tung sein, da dann Schuldanerkennungen97 in elektronischer Form abgegeben. Zessionen98 formgültig im elektronischen Verkehr vorgenommen und Pfand­bestellungsverträge99 errichtet werden können, was insbesondere für die Rechtsverpfändung von grosser Tragweite sein wird.

Art. 82 Abs. 1 SchKG. Art. 165 Abs. 1 OR. Art. 900 Abs. 1 ZGB. vgl. dazu WIEGAND WOLFGANG. Eigentumsvorbehalt. Sicherungsübereig­nung und Fahrnispfand, in: WIEGAND (Hrsg.), Mobiliarsicherheiten. Berner Bankrechtstag 1998, BBT 5. Bern 1998. 75 ff., insbes. 115 ff.

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130 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

c. Kritik und Konsequenzen

Die am ursprünglichen Gesetzesvorschlag geübte Kritik wird durch die Ver­änderungen im neuen Entwurf nur zum Teil gegenstandslos100. Sie bezieht sich allerdings weniger auf die gesetzliche Reglung als auf Grundsatzfragen.

Zum einen wird das hohe Risikopotenzial betont, das sich vor allem da­durch ergibt, dass die Signatur kopiert und von einem Dritten verwendet wer­den kann, ohne dass der eigentliche Inhaber des Signaturschlüssels dies be­merkt und ohne dass der Empfänger der damit gezeichneten Nachricht dies erkennen kann. Zum andern wird darauf hingewiesen, dass die digitale Signa­tur in der derzeit vorgesehenen Form keine hinreichende Beweissicherheit mit sich bringt101.

Diese Schwierigkeiten, die weltweit in gleicher Weise auftreten, sind der­zeit wohl nur partiell lösbar, sie werden indessen die Einführung der digitalen Signatur in den Industriestaaten nicht aufhalten. Infolgedessen wird zumin­dest bis zur Bereitstellung verbesserter Technologie die Lösung in der Haf­tungsfrage zu suchen sein, ein Weg, der schon bei anderen modernen Bankge­schäftsformen, wie der elektronisierten Zahlung mittels Kreditkarten oder EC-Karten, beschritten worden ist.

Das Gesetz enthält hierzu eine Regelung, die in diesem Rahmen nicht zu diskutieren ist, die aber dazu führt, dass der Benutzer des privaten Signatur­schlüssels einen erheblichen Teil des Risikos mitträgt102. Die Frage, wo die Ri-sikotragungsgrenze zu ziehen ist, ist einerseits eine Wertungsfrage und ander­seits eine solche der Akzeptanz durch das Publikum.

Gerade in Bezug auf diese Akzeptanz hat sich gezeigt, dass die euphori­schen Vorstellungen über die Ausbreitung digitaler Signaturen verfehlt waren. Das Publikum hat sehr rasch gemerkt, dass ihm ein erheblicher Teil der Kosten

100 Vgl. etwa bezüglich einiger dogmatischer Aspekte bei der Haftung VISCHER FRANK/ALBRECHT ANDREAS C , Problematische Seiten der digitalen Signatur, NZZ vom 22.5.2001. S. 18.

101 Vgl. immerhin das Erfordernis eines Zeitstempels, das der neue Entwurf ZertES in Art. 12 vor­sieht; dazu SCHÖBI FELIX, Bundesgesetz über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektroni­schen Signatur: Botschaft liegt vor, in: Jusletter 9. Juli 2001. <www.weblaw.ch/jusletter/Arti-kel.jsp?ArticleNr=1186>

102 Art. 17 der ursprünglichen Vernehmlassungsvorlage für ein Bundesgesetz über die elektroni­sche Signatur (BGES) wurde denn auch heftig kritisiert, vgl. etwa VISCHER/ALBRECHT. a.a.O. (Fn. 100). Der neue Entwurf sieht einen neuen Art. 59a OR vor: «Haftung für Signaturschlüssel 1 Der Inhaber eines Signaturschlüssels haftet Drittpersonen für Schaden, die diese erleiden, weil sie sich auf das qualifizierte gültige Zertifikat einer anerkannten Anbieterin von Zertifizierungs­diensten im Sinne des Bundesgesetzes über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur verlassen haben. ~ Die Haftung entfällt, wenn der Inhaber des Signaturschlüssels beweist, dass er die nach den Um­ständen notwendigen Vorkehrungen zu dessen Geheimhaltung getroffen hat oder wegen man­gelnder Urteilsfähigkeit nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. ' Der Inhaber des Signaturschlüssels haftet auch für das Verhalten von Personen, denen er seinen Signatürschlüssel anvertraut hat. 4 Der Bundesrat umschreibt die Vorkehrungen zur Geheimhaltung des Signaturschlüssels.»

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 131

und der Risiken des Systems auferlegt werden sollte. Dies hat dazu geführt, dass das ökonomische Interesse an der Produktion von verwendbaren priva­ten Schlüsseln praktisch zum Erliegen gekommen ist. Da das Gesetzesvorha­ben gleichwohl weiterverfolgt wird, werden andere Möglichkeiten der Pro­duktion und Zertifizierung von Schlüsseln gesucht werden müssen, wobei wohl eine verstärkte Einbindung staatlicher Behörden erfolgen wird103.

Für das Electronic-Banking folgt daraus, dass die Banken soweit als mög­lich nach eigenen Identifizierungs- und Authentizitätsmechanismen suchen werden, wie dies bereits im Bereich der elektronischen Kontoführung und des elektronischen Zahlungsverkehrs mit Erfolg geschehen ist. Dessen ungeach­tet besteht an der Einführung der digitalen Signatur auch im Bankgeschäft ein grosses wirtschaftliches und praktisches Interesse, insbesondere im Hinblick auf das zentrale Problem der Kontoeröffnung, das so vermutlich langfristig am besten gelöst werden könnte104. Ein weiterer Vorteil für die Finanzinstitute be­stünde darin, dass bei Verwendung digitaler Signaturen für einen Teil der auf­tretenden Abwicklungsprobleme eine gesetzliche Haftungsordnung vorhan­den wäre, sodass diese Fragen nicht ausschliesslich in Allgemeinen Geschäfts­bedingungen geregelt werden müssten. Dies ist heute der Fall und führt zu er­heblichen Problemen, denen ich mich nun zuwende.

IV. Inhalt und Abwicklung der Geschäftsverbindungen

A . D i e wechselseitigen Rechte und Pflichten

Bevor es zu einer konkreten Dienstleistung unter «Einsatz elektronischer Hilfsmittel» (so die Umschreibung einer Bank) kommt, geht in jedem Falle ein Vertragsschluss voraus, der ein Bank-/Kunden-Rechtsverhältnis begründet, aus dem wechselseitige Rechte und Pflichten entstehen105. Das Bank-/Kun-den-Verhältnis ist unabhängig von der Art der abzuwickelnden Geschäfte nach ganz unbestrittener Auffassung eine auftragsrechtliche Beziehung. Dar­aus ergibt sich, dass die Bank Treue- und Sorgfaltspflichten hat. Man kann die­se spezifisch aus dem Auftragsrecht ableiten, sie ergeben sich aber schon aus den oben dargelegten allgemeinen Verhaltenspflichten, wobei man verkür­zend sagen kann, dass die im Auftragsrecht geregelten Treue- und Sorgfalts­pflichten nur eine spezifische Ausprägung der aus Art. 2 ZGB abgeleiteten all-

Vgl. zum Ganzen, insbesondere zur «Aufgabe» von Swisskey und den Konsequenzen, die Aus­führungen in der Bolschaft zum ZertES. BB1 2001. 5686. Vgl. hierzu ausführlich den Beitrag von KUNZ. in diesem Band. WIEGAND. Rechtsbeziehung Bank - Kunde. 129 ff. In diesem Stadium spielt die Frage, ob es ei­nen allgemeinen Bankvertrag gibt, keine Rolle mehr.

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132 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

gemeinen Verhaltenspflichten sind106. Der Inhalt dieser Pflichten bestimmt sich bis zu einem gewissen Grade nach der Art des beabsichtigten Geschäfts, das indessen nicht allein massgebend ist. Insbesondere bezüglich der Informa-tionspflichten kommt es in mindestens gleichem Ausmass, wenn nicht sogar vermehrt, auf die beteiligten Personen an. So bestimmt sich etwa der Informa­tionsbedarf bei Börsen- oder Devisengeschäften nach den vorbestehenden Kenntnissen des Kunden, auf die die Bank bei ihrer Informationsvermittlung abzustellen hat107.

Anderseits erwachsen auch dem Bankkunden eine Reihe von Verpflich­tungen. Er hat der Bank die erforderlichen Informationen zu geben und sie auf besondere Umstände aufmerksam zu machen, die für die Durchführung des beabsichtigten Geschäfts von Bedeutung sind. Dabei handelt es sich nach meinem Verständnis nicht um Obliegenheiten, sondern um echte Vertrags­pflichten, deren Verletzung nach Art. 97 OR zu sanktionieren ist108.

B. Die Funktion und Wirkung der Allgemeinen und Besonderen Geschäftsbedingungen

Die Pflichten beider Parteien werden im Bank-/Kunden-Verhältnis durch die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ergänzt und modifiziert. Dies führt zu einer vielschichtigen und komplexen Rechtsbeziehung109. Grundlage der Beziehung bildet das Vertragsverhältnis. Hinzu treten die für alle Geschäftspartner geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die im Rahmen des Zulässigen das allgemeine Vertragsrecht häufig modifizieren und ergänzende Regelungen hinzufügen, die hier nicht interessieren. Auf einer nächsten Stufe kommen dann Spezialreglemente zur Anwendung, die neben­einander, manchmal auch übereinander, gestaffelt sein können, wie dies häu­fig bei Sicherungsgeschäften der Fall ist110. Im Bereich des E-Banking kommt nun eine Besonderheit hinzu, die in dieser Form im Wesentlichen bei allen

m Ausführlich dazu WIEGAND WOLFGANG, Zur Haftung für Dienstleistungen, recht 1990. 134 ff. (Urteilsanmerkung zu BGE 115 II 62).

107 Dazu WIEGAND WOLFGANG/WICHTERMANN JÜRG, Der Einfluss des Privatrechts auf das öffentli­che Bankrecht, in: WIEGAND (Hrsg.), BBT 6, 119 ff., 146 ff., wo dies im Zusammenhang mit Art. 11 BEHG nochmals verdeutlicht ist.

1118 Zu dieser Problematik, die sich in vielen Dienstleistungsbereichen stellt, grundlegend die Ar­beit von CONTI CHRISTIAN, Die Pflichten des Patienten im Behandlungsvertrag. Diss. Bern 2000. insbesondere 81 ff. und 158 ff.

m WIEGAND, Rechtsbeziehung Bank - Kunde, 129 ff. "" Z.B. der allgemeine Pfandvertrag und der hinzutretende Sicherungs-Zessionsvertrag, wobei

sich nicht selten Kollisionsprobleme ergeben: So ist etwa nicht klar, wie sich das Pfandrecht aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu demjenigen aus SpezialVerpfändungen verhält.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 133

Schweizer Banken111 anzutreffen ist. Sie haben zusätzliche Regeln aufgestellt, die (in dem schon zitierten Beispiel) in anschaulicher Weise als «Rahmenbe­stimmungen beim Einsatz elektronischer Hilfsmittel» bezeichnet werden. So wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gewissermassen die Rahmenbe­stimmung für die Abwicklung aller Bankgeschäfte mit Kunden darstellen, sol­len diese Bestimmungen für alle elektronisch abgewickelten Geschäfte gelten. In einer nächsten Stufe kommen dann die Besonderen Bestimmungen für die elektronisch in Anspruch genommenen Dienstleistungen zur Anwendung. Im Ergebnis liest sich das folgendermassen:

«Die vorliegenden Rahmenbestimmungen gelten für vom Kunden ge­wünschte Dienstleistungen von der Bank, bei denen elektronische Hilfsmittel eingesetzt werden, so namentlich bei Kundenkarten mit Pincode und E-Ban­king. Dabei gehen die Besonderen Bestimmungen zu einzelnen Dienstleis­tungen den vorliegenden Rahmenbestimmungen vor, falls Widersprüche be­stehen sollten, andernfalls ergänzen sie sich. Zusätzlich gelten alle übrigen, das Verhältnis zur Bank regelnden Bestimmungen wie etwa jene der Konto-/ Depoteröffnung, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und das Depot-und XX-Konto-Reglement. »

Damit ist das Über- und Nebeneinander, um nicht zu sagen Durcheinan­der, der verschiedenen Réglemente anschaulich beschrieben. Es ist sympto­matisch für die Komplexität der Lage, dass die Bank selbst einen Vorbehalt bezüglich möglicherweise bestehender Widersprüche macht. Ich verzichte darauf, dies unter dem Aspekt der AGB-Kontrolle zu diskutieren und möchte nur festhalten, dass es eigentlich nicht Sache des Bankkunden sein kann, zu ermitteln, ob und in welchen Punkten Widersprüche zwischen den ihm von der Bank auferlegten verschiedenen Reglementen bestehen. In diesem Rah­men geht es vielmehr darum, die Besonderheiten derjenigen Réglemente zu besprechen, die spezifische Probleme des E-Banking behandeln.

C. Einzelregelungen

/. Legitimation

Mehr oder weniger übereinstimmend regeln alle diesbezüglichen Bedingun­gen die Frage der Legitimation etwa in folgender Weise: «Sämtliche Aktivitä­ten, denen eine systemmässig fehlerfreie Legitimationsprüfung zugrunde liegt, sind dem betreffenden Kunden zuzurechnen und für diesen rechtsverbindlich.»

Die im Folgenden zitierten Geschäftsbedingungen sind den Formularen verschiedener Banken entnommen, wobei sie teilweise kombiniert oder paraphrasiert wiedergegeben werden.

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134 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

Da dem eine automatisierte Legitimationsprüfung vorausgeht, ist nach den schweizerischen Massstäben der AGB-Prüfung wohl gegen eine derartige Re­gelung nichts einzuwenden112.

2. Sorgfaltspflichten

In einem weiteren Schritt werden dem Bankkunden zahlreiche Sorgfalts­pflichten auferlegt, die dazu dienen sollen, das Risiko der unbefugten Verwen­dung zu minimieren. Es handelt sich um die typischen schon aus den EC- und Kreditkartengeschäften geläufigen Vorsichtsmassnahmen der getrennten Aufbewahrung von Codes und Karten, der unbedingten Geheimhaltungs­pflicht und das Verbot der Weitergabe an andere Personen.

Hier stellt sich im Gegensatz zu den oben behandelten Verhaltenspflichten - durch deren Nichtbeachtung die Bank geschädigt werden kann - die Frage, ob es sich um wirkliche Pflichten handelt. Die Nichtbeachtung der hier ver­langten Vorsichtsmassnahmen kann allenfalls dazu führen, dass dem Kunden ein Verlust entsteht. In der Sache handelt es sich deshalb um Obliegenheiten, die der Bankkunde wahrzunehmen hat, um eigene Schädigungen abzuwen­den. Die einzige Konsequenz aus der Nichtbeachtung der Obliegenheit ist die, dass die Kunden gegenüber der Bank die Legitimationswirkung gelten lassen müssen113.

Eine Schädigung der Bank fehlt regelmässig, weil sie sich eben wegen der geschilderten Regelung über die Legitimation praktisch immer schadlos hal­ten kann. Erst und nur dann und nur insoweit, als eine Verhaltensweise des Kunden schadensbegründend für die Bank wird, stellt sich die Frage, ob eine Pflichtverletzung i.S.v. Art. 97 OR vorliegt.

3. Zugangssperren

Aus den Formulierungen aller greifbaren Bedingungen für elektronisch abge­wickelte Bankgeschäfte ergibt sich, dass diese Bedingungen als Bestandteil ei­ner bestehenden Vertragsbeziehung verstanden werden. Teil dieser Vertrags­beziehungen ist das Angebot, Bankgeschäfte auf elektronischem Weg abzuwi-

" ; Zu beachten ist freilich dass die Bestimmung, soweit es um die digitale Signatur geht, von der im Gesetzesentwurf vorgeschlagenen Haftungsordnung abweicht, die in Art. 59a Abs. 2 OR ei­nen Haftungsausschluss vorsieht »wenn der Inhaber des Signaturschlüssels beweist, dass er die nach den Umständen notwendigen Vorkehrungen zu dessen Geheimhaltung getroffen hat oder wegen mangelnder Urteilsfähigkeit nicht zur Verantwortung gezogen werden kann». Die Bot­schaft geht allerdings davon aus. dass diese Haftungsordnung dispositiv ist. BBI 2001. 5709.

1 " Es kann ja nicht im Ernst Sinn dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen sein, eine Pflichtver­letzung zu konstruieren, wenn etwa Familienmitglieder untereinander Codes. Passwörter und dergleichen austauschen, um elektronische Transaktionen abzuwickeln. Geld zu beziehen oder sonstige Bankgeschäfte zu tätigen: so auch die Botschaft ZertES. BBI 2001, 5708 f.

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ekeln. Umso überraschender ist es dann, dass sich in einzelnen Bedingungen die folgende Bestimmung findet:

«Die Bank ist berechtigt, den Zugang zu E-Banking-Dienstleistungen ihres Vertragspartners und einzelner oder aller seiner Bevollmächtigten jederzeit ohne Angabe von Gründen und ohne Voranzeige zu sperren, wenn ihr dies nach eigenem Ermessen aus sachlichen Gründen erforderlich erscheint.» Eine derartige Regelung ist weder sachlich noch rechtlich akzeptabel.

Sachlich lässt sie sich nicht rechtfertigen, weil es in der Regel die Banken sind, die das Publikum aus durchaus nachvollziehbaren ökonomischen Gründen dazu drängen, das kostengünstigere E-Banking anstelle zeit- und personalauf­wendiger Transaktionen zu wählen. Das kann jedoch nur dann gelten, wenn diese Form der Dienstleistung, wie jede andere Vertragsleistung, die ein Schuldner zu erbringen verspricht, für den Gläubiger jederzeit zur Verfügung steht und nicht beliebig «abgeschaltet» werden kann. Unter rechtlichen Ge­sichtspunkten könnte man allenfalls daran denken, dass sich die Bestimmung im Hinblick auf Art. 404 OR rechtfertigen liesse, weil - wie oben mehrfach be­tont - allen Bankdienstleistungen ein auftragsrechtliches Element innewohnt. Sieht man einmal davon ab, dass nach richtiger Auffassung Art. 404 OR auf diese Konstellation gar nicht anwendbar ist114, so läge in jedem Fall ein Wider­ruf zur Unzeit vor, der gemäss Art. 404 Abs. 2 OR die Bank zu möglicherweise ganz erheblichem Schadensersatz verpflichten würde. Mag man zunächst an einen Ausrutscher eines etwas übereifrigen Kautelarjuristen denken, so er­weist sich sehr bald, dass dahinter eine Grundeinstellung steht, die sich bei den Störungen der Vertragsabwicklung nicht in so krasser, aber im Ergebnis glei­cher Weise wiederfindet. Bevor darauf einzugehen ist, sind zunächst noch die­jenigen Bestimmungen kurz zu betrachten, die die Information des Bankkun­den betreffen.

4. Bankgeheimnis und Datenschutz

Die Formulierungen, die das Bankgeheimnis und den Datenschutz betreffen, weichen stark voneinander ab. Allerdings beschränken sich die meisten Ban­ken auf sehr allgemeine Hinweise, zum Beispiel:

«Es wird darauf hingewiesen, dass sich das schweizerische Recht (z.B. zum Bankengeheimnis, Datenschutz) allein auf schweizerisches Territorium be­schränkt und somit alle ins Ausland gelangenden Daten keinen Schutz nach schweizerischem Recht mehr gemessen.»

114 Dazu grundlegend RUBER MARKUS. Die Baubindung beim Grundstückskauf. Diss. Bern l ' W (ASR 626). 98 ff.

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oder ausführlicher:

«Der Kunde nimmt zur Kenntnis, dass die Daten über ein offenes, jedermann zugängliches Netz, das Internet, transportiert werden. Die Daten werden so­mit regelmässig und unkontrolliert grenzüberschreitend übermittelt. Das gilt auch für eine Datenübermittlung, wenn sich Sender und Empfänger in der Schweiz befinden. Zwar werden die einzelnen Datenpakete verschlüsselt übermittelt. Unverschlüsselt bleiben jedoch jeweils Absender und Empfän­ger. Diese können auch von Dritten gelesen werden. Der Rückschluss auf eine bestehende Bankbeziehung ist deshalb für einen Dritten möglich.»

Auffällig an diesen mehr oder weniger ausführlichen Hinweisen ist der Umstand, dass keinerlei Konsequenzen aufgezeigt oder verlangt werden. Es erscheint mehr als zweifelhaft, ob unter diesen Umständen die Akzeptanz der Geschäftsbedingungen zugleich als ein Verzicht auf das Bankgeheimnis ge­deutet werden kann115.

Schliesslich finden sich in den meisten Bedingungen so genannte Risiko­hinweise, ohne dass auch hier irgendwelche Konsequenzen beschrieben und die Haftungsfrage angesprochen würde. Zur Haftung finden sich jedoch dann überall sehr ausführliche und dezidierte Bestimmungen, auf die im Folgenden abschliessend einzugehen ist.

Y. Leistungsstörungen, Haftungsausschlüsse und Risikoverteilung

A. Grundlagen

/. Abgrenzung von Risikosphären

Die Regeln über Leistungsstörungen dienen in allen Rechtsordnungen der Abgrenzung von Risikosphären. Diese erfolgt aber nicht überall nach den gleichen Grundsätzen, sondern nach der jeweiligen Vorstellung von angemes­sener Risikoverteilung. Die schweizerische Konzeption, die auf gemeinrecht­licher Grundlage beruht, basiert auf eher banal anmutenden Regeln, die aber gerade deshalb plausibel sind. Prinzipiell hat jede Partei das Risiko der Er-bringbarkeit der ihr versprochenen Leistung zu tragen. Dies gilt indessen nur solange und insoweit, als die Störung der Leistungsbeziehung nicht vom Schuldner zu verantworten ist. Dieses einfache in den Art. 119 und 97 OR festgelegte Schema war freilich von Anfang an nicht geeignet, sämtliche Kon-

115 Vgl. hierzu WIEGAND WOLFGANG. Zur Konvention XVI der Schweizerischen Bankiervereini­gung, in: VON GRAFFENRIED RUDOLF (Hrsg.). Beiträge zum Schweizerischen Bankenrecht. Bern 1987. 277 ff.

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stellationen in angemessener Weise zu erfassen. Insbesondere hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass eine Partei auch dann für Störungen verant­wortlich sein könne, wenn sie diese nicht durch eine vorwerfbare Pflichtver­letzung hervorgerufen hat, die Ursachen der Störung aber in dem Bereich lie­gen, der ihr zuzurechnen ist116. Diese Zurechnung wird in der Dogmatik als Sphärentheorie bezeichnet und findet im Gesetz verschiedentlich, etwa in Art. 378 OR Niederschlag. Mit dieser Konzeption ist freilich nur ein Modell geschaffen, das die eigentliche Problematik nicht lösen, sondern nur struktu­rieren kann. Auch hier geht es - wie bei der oben geschilderten Zugangstheo­rie117 - um die Abgrenzung der Risikosphären und damit um eine Wertungs­frage. Im Bereich, in dem wir uns bewegen, geht es konkret darum, wer die Risiken der Verwendung moderner Technologien zu tragen hat oder, in dem soeben beschriebenen Konzept ausgedrückt, in wessen Sphäre Störungen bei der Abwicklung von Bankgeschäften mit Hilfe elektronischer Kommunika­tionsmittel fallen. Dabei handelt es sich um eine Frage, die sich in der Entwick­lung der privatrechtlichen Haftung immer wieder gestellt hat und bei der im­mer wieder das gleiche Phänomen zu beobachten war.

2. Tendenz zum Schutz des «Produzenten» des Risikos

Mit dem Aufkommen neuer Wirtschafts-, Produktions- und Lebensformen er­gab sich jeweils die Frage nach der Zuordnung der neu geschaffenen Risiken. Dabei lässt sich ein klares Muster beobachten. Zunächst neigen Gesetzgeber wie Rechtsprechung dazu, den «Produzenten» des Risikos zu schützen. Dies in der Erwägung, dass das Recht die Entwicklung neuer Technologien und da­mit neuen Wohlstands nicht behindern dürfe. Exemplarisch für diese Denk­weise und die ihr entsprechende Jurisprudenz sind die folgenden berühmten Beispiele:

Die Verfasser des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbu­ches (ABGB) von 1811 haben die Haftung des eine Droschke benutzenden Geschäftsmannes auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt118. In ganz ähnlicher Weise wurden zunächst die Betreiber von Eisenbahnen begünstigt, dies nicht nur in Europa, sondern mit nahezu identischen Begründungen in Amerika. Aus Amerika stammt wohl auch das berühmteste Beispiel für diese Grundhal­tung, das Urteil eines New Yorker Gerichts aus dem Jahre 1911lll):

116 Vgl. dazu oben S. 114 f. 117 Vgl. dazu oben S. 114 ff. " s KOTZ HEIN, Deliktsrecht. 2. Aufl.. Neuwied/Kriftel 1979, 30. 1,9 Ives v. South Buffalo Railway Co.. 94 N. E. 431 ( 1911 ). zit. nach Körz HEIN/WAGNER GERHARD.

Deliktsrecht. 9. Aufl.. Neuwied/Kriftel 2001.14. Vgl. zum Einfluss des Amerikanischen Rechts auf die Schweizerische Rechtsordnung WIEGAND WOLFGANG. Die Rezeption Amerikanischen Rechts, in: JENNY GUIDO/KÄLIN WALTER (Hrsg.), Die Schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen. Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1988. Bern 1988. 229 ff.

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«It would be quite as logical and effective to argue that this legislation only reverses the laws of nature, for in everything within the sphere of human activity the risks which are inherent and unavoidable must fall upon those who are exposed to them ... The Constitution, ... in substance and effect, forbids that a citizen shall be penalized or subjected to liability unless he has violated some law or has been guilty of some fault.»

Natürlich ist heute jedermann klar, dass nach Etablierung der jeweiligen Techniken aufgrund der sich rasch wandelnden sozial- und wirtschaftspoliti­schen Verhältnisse diese Wertung revidiert und die rechtliche Beurteilung ge­radezu umgekehrt wurde. Für den vorliegenden Zusammenhang ist indessen der beschriebene Prozess als solcher von zentraler Bedeutung, denn auch hier bei der Entwicklung der Informationstechnologie wird wieder der Versuch unternommen, die Risiken der neuen Technologie von denjenigen, die sie zu ihrem Vorteil verwenden, auf die Benutzer zu überwälzen120. Dies soll zu­nächst anhand einiger Klauseln erläutert werden.

3. Risikoverteilung im E-Banking

In den Geschäftsbedingungen der meisten schweizerischen Banken, die elek­tronische Dienste anbieten, finden sich zwei Komplexe, die geregelt werden. Zum einen geht es um die Richtigkeit der übermittelten Daten, zum andern um das eigentliche Systemrisiko, welches wiederum aufzuteilen ist in das Ri­siko des bankinternen Systems und das Netzrisiko. Auffällig dabei ist, dass all diese Fragen unter dem Schlagwort Haftungsausschluss behandelt werden. Dies ist insofern aufschlussreich (und aus meiner Sicht für die Banken auch sehr gefährlich), weil der Ausschluss einer Haftung ja zunächst voraussetzt, dass eine solche Haftung an sich besteht. Damit räumen die Banken - vermut­lich ungewollt - ein, dass sie für beide Bereiche nach der dem Vertragsverhält­nis zugrunde liegenden Risikoverteilung einstehen müssten. Ehe dazu ab­schliessend Stellung genommen wird, sind zunächst die wichtigsten Klauseln kurz zu erörtern.

Dabei ist zu beachten, dass dies nicht nur für das E-Banking gilt, sondern im gesamten Gebiet des E-Commerce. Als Beispiel mag die Haftungsbeschränkung zu Gunsten von Telekommuni­kationsanbietern nach deutschem Recht dienen (§ 40 des Telekommunikationsgesetzes vom 25.7.1996 i.V.m. § 7 Abs. 1 der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung vom 1.1.1998). vgl. hierzu den Hinweis bei MARTI MARIO. Entgeltklauseln und E-Commerce in der Kreditwirt­schaft. Bankrechtstag vom 29. Juni 2001 in Kiel (D). in: Jusletter 6. August 2001. Rz. 7. <www.weblaw.ch/jusletter/Artikel.jsp?ArticleNr=1233>.

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B. Die Haftungsausschlussklauseln

1. Unverbindlichkeit der «Angebote» und deren Inhalte

Mehr oder weniger übereinstimmend findet sich folgende Formulierung in den Bedingungen für E-Banking:

«Die Bank übernimmt keinerlei Gewähr für die Richtigkeit und Vollständig­keit der von ihr via Internet übermittelten Daten, insbesondere gelten Infor­mationen über Konti und Depots (Saldi, Auszüge, Transaktionen usw.) als vorläufig und unverbindlich. Für die Bank sind stets die auf dem Computer­system der Bank getätigten Transaktionen verbindlich, wie sie in elektroni­schen Aufzeichnungen und allfälligen Auszügen und anderen Computer­auswertungen der Bank aufgezeichnet sind. Ebenso stellen Mitteilungen der Bank keine verbindlichen Offerten dar (so etwa Börsen- und Devisenkurse), es sei denn, sie seien ausdrücklich als solche gekennzeichnet.»

Während der letzte Zusatz - wie oben eingehend dargelegt121 - einen nach Art. 7 Abs. 1 OR zulässigen Vorbehalt darstellt, lässt sich der Vorbehalt der Unverbindlichkeit bezüglich des Inhalts der Angaben nicht halten. Dies ist schon unter dem Aspekt der Vertragsentstehungsregeln einlässlich dargelegt worden122, gilt aber natürlich auch für die Abwicklung des Vertragsverhältnis­ses. Es kann nicht angehen, dass den Kunden die elektronische Kontoführung als Dienstleistung angeboten wird, gleichzeitig aber Angaben über Kontostän­de und dergleichen als vorläufig und nicht verbindlich bezeichnet werden. Dass das für alle Formen des Internet-Broking erst recht gilt, erscheint mir selbstverständlich. Es wäre geradezu aberwitzig, wenn man dem Bankkunden zumuten würde, Wertpapiere zu den im Internet angegebenen Kursen zu kau­fen oder zu verkaufen und gleichzeitig den Vorbehalt zu machen, dass die an­gegebenen Kurse vielleicht nicht richtig sind.

2. Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen

Nachdem das Bundesgericht sich bisher beharrlich geweigert hat, eine aus­drückliche Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorzu­nehmen, ist zu fragen, ob mit dem zur Verfügung stehenden Instrumentarium Abhilfe geschaffen werden kann. Das ist meines Erachtens aus folgenden Gründen zu bejahen: Der Fall ist vergleichbar dem vom Bundesgericht ent­schiedenen versicherungsrechtlichen Fall111. Wie dort ist auch hier davon aus­zugehen, dass der Ausschluss für die Richtigkeit und Vollständigkeit der über-

121 Vgl. oben S. 118. 122 Vgl. oben S. 124. 121 BGE 119 II 443 und dazu WIEGAND WOLFGANG, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bun­

desgerichts im Jahre 1993.ZBJV 131. 345 ff.. 348 ff.

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mittelten Daten für den Kunden eine überraschende Klausel darstellt. Nach dem durch Werbung und sonstiges Verhalten der Banken verursachten und bewusst hervorgerufenen Eindruck handelt es sich beim E-Banking um eine im Interesse des Kunden geschaffene speditive Abwicklung der Bankgeschäf­te. Unter diesen Umständen kann kein Kunde damit rechnen, dass gerade die Grundlage für diese Abwicklung, nämlich die zuverlässige Übermittlung von Daten, nicht gewährleistet werden soll. Darüber hinaus aber dürfte ein Fall von Art. 8 UWG vorliegen. Das Bundesgericht hat im erwähnten Entscheid ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es die Voraussetzung einer Anwendung von Art. 8 UWG ebenfalls für gegeben hielt. Das trifft auch hier zu. Wobei im vorliegenden Fall zudem das Merkmal der Irreführung wohl ohne weiteres be­jaht werden könnte.

3. Generelle Risikoverteilung

Schwieriger zu beurteilen ist die generelle Risikoverteilung. Auch hier ver­wenden die Banken im Wesentlichen übereinstimmende Klauseln, die etwa folgendermassen lauten:

«Jede Haftung der Bank für Schäden, die dem Kunden infolge von Übermitt­lungsfehlern, technischen Mängeln, Unterbrachen, Störungen oder rechts­widrigen Eingriffen Dritter in die Datenübertragungseinrichtungen entste­hen, ist ausgeschlossen. Ebenso entfällt jegliche Haftung für Schäden auf­grund von Störungen, Unterbrüchen (inkl. systembedingten Wartungsarbei­ten) oder Überlastungen in Automaten bzw. EDV-Systemen der Bank.»

Hier handelt es sich um einen typischen Fall der Risikoüberwälzung, die -wie oben beschrieben - immer wieder bei der Einführung neuer Produkte und Technologie versucht wird. Eine Abhilfe mit den nach schweizerischem Recht zur Verfügung stehenden Kontrollmechanismen für Allgemeine Geschäftsbe­dingungen kommt hier kaum in Betracht. Es lassen sich aber immerhin An­sätze zur Lösung der Problematik erkennen.

Einmal zeigt das oben erwähnte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth124, dass die Berufung auf Systemüberlastung nicht akzeptiert wird, wenn zuvor ausdrücklich gegenteilige Zusicherungen abgegeben worden sind. Dar­über hinaus hat der Deutsche Bundesgerichtshof klargestellt, dass nach Deut­schem AGB-Recht125 «Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Kreditinstituten, nach denen das Institut bei aus technischen oder betrieblichen Gründen erfolgten, zeitweiligen Beschränkungen und Unterbrechungen des

124 Vgl. oben Fn. 78. 125 Die gesetzlichen Grundlagen finden sich im Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen

Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) vom 9.12.1976. Zu beachten ist auch die EU-Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträ­gen.

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WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking 141

Zugangs zum Online-Service auch bei grossem grobem Verschulden nicht haf­tet» nichtig sind126.

Das gleiche Resultat ergibt sich in der Schweiz aus der Anwendung von Art. 100 OR: Da die Banken die Risikoverteilung als Haftungsausschlussklau­sel formuliert haben, unterliegen sie der Kontrolle nach Art. 100 OR. Diese führt zunächst dazu, dass der Ausschluss jeglicher Haftung für systembedingte Störungen innerhalb der Bank nur ihm Rahmen von Art. 100 OR zulässig ist, d.h. dass er dann nicht greift, wenn grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Zieht man weiter in Betracht, dass das Bundesgericht die Banken als obrigkeitlich kon­zessioniertes Gewerbe behandelt127, so unterliegt der Haftungsausschluss auch hinsichtlich des leichten Verschuldens der richterlichen Überprüfung. Meines Erachtens wird gerade hier deutlich, dass die Verwendung von Haf­tungsausschlüssen nicht der richtige Ansatz ist. Die Banken werden insoweit Opfer ihrer eigenen Formularpraxis. Das gilt auch für einen weiteren Haf­tungsausschluss, auf den zumindest hinzuweisen ist.

4. Haftung für Software

Die Kreditinstitute verwenden nämlich in einem weiteren Punkt eine ein­heitliche Klausel, die die zur Verfügung gestellte Software betrifft. Sie lautet in etwa:

«Eine Haftung der Bank für von ihr gelieferte oder installierte Software so­wie für die Folgen, die sich aus und während dem Transport der Software via Internet ergeben, ist ausdrücklich ausgeschlossen.»

Hier gilt das zuvor Gesagte. Selbstverständlich kommt ein Ausschluss für grobe Fahrlässigkeit nicht in Betracht und meines Erachtens wäre ein Aus­schluss für leichtes Verschulden hier auch nicht zu tolerieren128.

C. Abschliessende Bemerkungen zur Risikoverteilung

Es ist zuvor gezeigt worden, dass die in den Bedingungen für das E-Banking aufgestellten Bestimmungen und insbesondere die Haftungsausschlüsse zu­mindest zu problematischen Ergebnissen führen. Dies beruht zunächst einmal darauf, dass es an einem gesetzlichen Parameter fehlt, an dem das ganze Ge­schäft gemessen werden kann, sodass in der Tat den Banken keine andere

nk BGH Urteil vom 12.12.2000. XI ZR 138/00. Der Entscheid ist wiedergegeben in: Jusletter 26. Februar 2001. <www.weblaw.ch/jusletter/Artikel.isp?ArticleNr=983>.

127 BGE 112 II 450. 454 ff.; SJZ 90 (1994). 65 ff.; w.Nw. bei OR-WIFGAND. Art. 100 N S ff r-g Diese Konsequenz würde sich m.E. auch aus den neuen Art. 197 Abs. .1 (vgl. oben S. 125) sowie

aus Art. 199 lit. b OR ergeben, die wohl auf diesen Sachverhalt zumindest analog anwendbar sind.

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142 WOLFGANG WIEGAND: Die Geschäftsverbindung im E-Banking

Wahl bleibt, als die Rechte und Pflichten der Parteien durch Besondere Ge­schäftsbedingungen festzuhalten. Dass man dabei versucht hat, das Risiko na­hezu vollkommen auf den Benutzer abzuwälzen, entspricht zwar - wie bereits mehrfach hervorgehoben - in jeder Beziehung einer Tradition, macht jedoch meines Erachtens keinen Sinn. Letztlich schaden die Banken sich dadurch sel­ber. Sachgerechter und erfolgversprechender wäre eine Risikoverteilung nach Risikosphären, die der Interessenlage beider Parteien angemessen Rechnung trägt. Dabei hätten die Finanzinstitute in jedem Fall das Risiko für ihre inter­nen Systeme zu tragen wie in gleicher Weise der Benutzer das Risiko für die von ihm verwendeten Systemkomponenten trägt. Dies entspricht dem in der Sphärentheorie entwickelten Abgrenzungskriterien und führt zu plausiblen Ergebnissen. Das Gleiche gilt für das Übermittlungsrisiko, das schon in den traditionellen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken einseitig auf den Kunden verlagert wird. Auch hier ist sachgerecht nur eine Lösung, bei der jede Partei das Risiko der richtigen Übermittlung der von ihr abgegebenen Erklärung trägt. Dass der Ausschluss der Richtigkeits- und Vollständigkeits­gewähr schon aus rechtlichen Gründen nicht haltbar ist, ist oben gezeigt wor­den. Er ist indessen auch nicht sachgerecht, denn er läuft dem eigentlichen Ge­schäftszweck zuwider. Es wäre deshalb im Interesse aller Beteiligten und nicht zuletzt im Interesse der Finanzinstitute wünschenswert, wenn diese ihre Ver­tragsgestaltung überdenken und so formulieren würden, dass sie letztendlich der Praktikabilität und der Effizienz des Geschäfts dienen.