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1 1 Die Geschichtswerkstatt Gallus berichtet Historisches und Aktuelles Ausgabe: Januar 2013 Wer wir sind: Die Geschichtswerkstatt Gallus ist im Rahmen des Projekts „Soziale Stadt Gallus“ entstanden. Unsere Treffen sind für jedermann offen. Wir haben auch einen festen Termin für diese Treffen - das ist jeder dritte Montag im Monat um 19.00 Uhr im Stadtteilbüro der „Sozialen Stadt Gallus“ in der Frankenallee 166. Was wir machen: Wir recherchieren, vornehmlich in Archiven, insbesondere im Institut für Stadtgeschichte und im Historischen Museum der Stadt, in alten Büchern und überall, wo wir etwas über die Historie des Gallusviertels, des heutigen Gallus, finden. Insbesondere sind wir an alten Bildern interes- siert, die bei Ihnen noch vorhanden sind und auf denen vielleicht ein Stück des früheren Gallus- viertels zu sehen ist. Und wir suchen Zeitzeugen, die uns etwas von „früher“ erzählen können. Wir wollen öffentlich sein: Drei Mitglieder unserer Arbeitsgruppe haben bereits ein Buch zum Gallusviertel – Gallus veröf- fentlicht (siehe Seite 4). Seit zwei Jahren geben wir einen Kalender mit Bildern aus dem Gallus heraus, beteiligten uns an den historischen Radrennen hier im Stadtteil, an Diskussionen, Lesun- gen, Erzählcafès, Ausstellungen und vielen anderen Aktivitäten. Jetzt wollen wir Ihnen auch in dieser Form neue Erkenntnisse aus unserer Arbeit präsentieren. Und wir wollen in diesem Info Termine veröffentlichen und Sie damit über unsere Aktivitäten informieren. Unser „Geschichts- blatt“ soll in loser Folge fortgesetzt werden. Heute können wir ein Stück Geschichte aus dem Jahr 1891 an der Mainzer Landstraße / Ecke Rebstöcker Straße beschreiben, die wir in den Ar- chiven der Stadt Frankfurt gefunden und zu einem Bericht zusammengestellt haben. Viel Spaß beim Lesen. Wir arbeiten mit in der Geschichtswerkstatt Gallus: Hanne und Jürgen Emrich, Renate Ullrich, Irmgard Lauer-Seidelmann, Helga Roos, Thomas Sock, Susanne Bosch, Harald Faber.

Die Geschichtswerkstatt Gallus berichtetmotorbloeckchen.com/wp-content/uploads/2015/10/2013-01... · 1 1 Die Geschichtswerkstatt Gallus berichtet Historisches und Aktuelles Ausgabe:

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Die Geschichtswerkstatt Gallus berichtet Historisches und Aktuelles

Ausgabe: Januar 2013

Wer wir sind:

Die Geschichtswerkstatt Gallus ist im Rahmen des Projekts „Soziale Stadt Gallus“ entstanden.

Unsere Treffen sind für jedermann offen. Wir haben auch einen festen Termin für diese Treffen -

das ist jeder dritte Montag im Monat um 19.00 Uhr im Stadtteilbüro der „Sozialen Stadt Gallus“

in der Frankenallee 166.

Was wir machen:

Wir recherchieren, vornehmlich in Archiven, insbesondere im Institut für Stadtgeschichte und im

Historischen Museum der Stadt, in alten Büchern und überall, wo wir etwas über die Historie

des Gallusviertels, des heutigen Gallus, finden. Insbesondere sind wir an alten Bildern interes-

siert, die bei Ihnen noch vorhanden sind und auf denen vielleicht ein Stück des früheren Gallus-

viertels zu sehen ist. Und wir suchen Zeitzeugen, die uns etwas von „früher“ erzählen können.

Wir wollen öffentlich sein:

Drei Mitglieder unserer Arbeitsgruppe haben bereits ein Buch zum Gallusviertel – Gallus veröf-

fentlicht (siehe Seite 4). Seit zwei Jahren geben wir einen Kalender mit Bildern aus dem Gallus

heraus, beteiligten uns an den historischen Radrennen hier im Stadtteil, an Diskussionen, Lesun-

gen, Erzählcafès, Ausstellungen und vielen anderen Aktivitäten. Jetzt wollen wir Ihnen auch in

dieser Form neue Erkenntnisse aus unserer Arbeit präsentieren. Und wir wollen in diesem Info

Termine veröffentlichen und Sie damit über unsere Aktivitäten informieren. Unser „Geschichts-

blatt“ soll in loser Folge fortgesetzt werden. Heute können wir ein Stück Geschichte aus dem

Jahr 1891 an der Mainzer Landstraße / Ecke Rebstöcker Straße beschreiben, die wir in den Ar-

chiven der Stadt Frankfurt gefunden und zu einem Bericht zusammengestellt haben. Viel Spaß

beim Lesen.

Wir arbeiten mit in der Geschichtswerkstatt Gallus:

Hanne und Jürgen Emrich, Renate Ullrich, Irmgard Lauer-Seidelmann,

Helga Roos, Thomas Sock, Susanne Bosch, Harald Faber.

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1891: Die Mayer‘sche Geflügel-Mästerei am Rebstock

In unserer Gegend ging es 1891 noch sehr ländlich zu. Die Felder des Hellerhofs waren an die

Internationale Bau- und Eisenbahnbau-Gesellschaft (IB) verkauft worden, der späteren Firma

Holzmann. Auf einem Teil dieses Geländes hatte die Taunus-Eisenbahn-Gesellschaft ihre Schie-

nen in Richtung Hauptbahnhof verlegt - entlang der heutigen Schloßborner Straße. Darüber hin-

aus gab es weit und breit unbebautes Land.

Zu diesem Zeitpunkt wollte die Firma E. & J. Mayer auf dem Grundstück „Gewann XVII Nr. 62

Frankfurter Gemarkung“ den Neubau einer Geflügel-Mästerei und Bettfedern-Fabrik errichten.

Das geht aus einer Akte des Magistrats der Stadt Frankfurt hervor mit dem Titel: „Geflügel-

Mästerei und Bettfedern-Fabrik an der Mainzer Landstraße 420 / Rebstöcker Straße / Hofheimer

Straße“ (Institut für Stadtgeschichte ISG, Magistratsakte, Signatur I 2724).

Der Tiefbauausschuss schreibt am 12. August und am 19. September 1891 dazu, „es handelt sich

um einen Bau zu gewerblichen Zwecken in einer sehr entlegenen Gegend. … Von allen in Be-

tracht kommenden Straßen besteht zur Zeit erst die Mainzer Landstraße … (sie) ist noch nicht

fluchtliniengemäß verbreitert. Die übrigen Straßen, also insbesondere auch die das Baugrund-

stück noch begrenzende Rebstöcker- und Hofheimer Straße, befinden sich noch vollständig im

Stande des Entwurfs. … Die Canal-, Wasserleitungs- und Beleuchtungsanlage mangelt noch. …

Die vorhandene Fahrbahn-Chaussierung und die beiderseitigen Rinnflußsteige nebst Baumbe-

pflanzung sind auf die heute vorhandene Landstraßenbreite beschränkt.“ Die Berichte des Tief-

bauausschusses wurden damals noch fein säuberlich mit der Hand geschrieben. Schreibmaschi-

nen gab es zwar schon in den USA, in den Frankfurter Amtsstuben aber noch nicht.

Die Gegend an der heutigen Straßenbahn-Haltestelle Rebstöcker Strasse in Richtung Höchst war

1891 also noch für die Frankfurter eine „sehr entlegene Gegend“, die Mainzer Landstraße war

noch nicht so breit wie heute, sondern eine echte „Landstraße“ mit Bäumen rechts und links.

Und erst zehn Jahre später, 1901/1902, wird die IB (Holzmann) zusammen mit der Stadt die

Historische Hellerhof-Siedlung an der Schloßborner- und Rebstöcker Straße bauen. (Keine der

später angelegten Straßen hat dann aber den Namen Hofheimer Straße bekommen.)

Briefkopf der Mayer’schen Geflügel-Mästerei und Bettfedern-Fabrik – eine Abbildung der Anlage an der Mainzer

Landstraße 420 (heute 392) Ecke Rebstöcker Straße

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Für Straßenbau und ähnliches hätte die Stadt normalerweise eine „Caution“ gefordert. Weil

aber „die Herstellung jener Straßen … noch über mehrere Menschenalter hinaus auf sich warten

lassen kann“ (!), begnügte sich die Stadt mit einer Bürgschaft der IB, der das Gelände ja gehörte,

auf dem die Firma Mayer ihre Geflügelmästerei errichten wollte. Hinsichtlich des Straßenbaus

hatte sich die Verwaltung allerdings gründlich getäuscht, denn schon zehn Jahre später ist zum

Beispiel die Schlossborner- und die Rebstöcker Straße angelegt worden, um den Bau der Histori-

schen Hellerhof-Siedlung zu realisieren. Die Verwaltung schreibt weiter: „Bei der zweifellosen

Bedeutung, welche das geplante Unternehmen der Herren E. & J. Mayer für die industrielle

Entwicklung der Stadt besitzt“ - so schätzte das Tiefbauamt die neue Geflügel-Mästerei ein -

wurde das Projekt von der Stadtverordnetenversammlung am 22. September 1891 genehmigt.

Es ist ein interessanter Vorgang. Zu dieser Zeit wird also Geflügel nicht mehr im ländlichen Be-

trieb gemästet und weiterverarbeitet, sondern der Mastbetrieb zieht an den Rand der Groß-

stadt: Die Agrarwirtschaft industrialisiert sich. Und das nötige Futtermittel für die Tiere wird

nicht mehr auf dem eigenen Hof erzeugt, sondern weiträumig – wahrscheinlich mit Hilfe des

neuen Transportwesens Eisenbahn und Binnenschiff – herbeigeschafft.

Wir haben zu unserer Freude dann einen Briefkopf der Firma Mayer aus dem Jahre 1902 ent-

deckt, auf dem diese Geflügel-Mästerei und Bettfedern-Fabrik abgebildet ist. Sie wurde also

nicht nur geplant und genehmigt, sondern auch gebaut. Die Firma E. & C. Mayer hatte ihr Ver-

kaufslokal in der Stadt, in der Neuen Mainzer Straße 75. Sie waren „Hoflieferanten“, wie dem

Briefkopf weiter zu entnehmen ist. Offensichtlich hat die Firma auch Gänse und Enten gemästet

und deren Federn in der „Bettfedern-Fabrik“ verarbeitet.

Unten im Plan ist die Mainzer Landstraße zu sehen, links (schräg) der Bahndamm der Taunus-Bahn mit der im Bau

befindlichen historischen Hellerhof-Siedlung und die Rebstöcker Straße. Zwischen Franken Allee, Rebstöcker- und

Mainzer Landstraße sind die Geflügel-Ställe der Mayer‘schen Geflügelmästerei und die Fabrik-Gebäude zu erkennen.

Rechts ist die künftige Sodener Straße bereits markiert. (Plan Institut Für Stadtgeschichte, 1903.

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Wir mussten nur noch das Problem klären, wo sich denn diese Mainzer Landstraße 420 damals

befunden hat. Denn heute ist die Hausnummer 420 der Mainzer Landstraße nicht an der

Rebstöcker Straße, sondern hinter dem Viadukt der Eisenbahnbahnlinie. Die Mainzer Landstra-

ße Ecke Rebstöcker Straße hat in unseren heutigen Plänen die Nummer 372. Der Lebensmittel-

Großmarkt „Penny“ hat sich auf diesem Gelände niedergelassen. Etwas stimmte also mit der

Nummerierung nicht. Renate Ullrich brachte Aufklärung in das Dunkel: Die Hausnummer 420

der Mainzer Landstraße wurde 1908 in Mainzer Landstraße 372 geändert - 1891 befand sich die

Mainzer Landstraße 420 tatsächlich an der heutigen Haltestelle Rebstock. Und dann entdeckte

Renate Ullrich auch noch auf einem Plan von 1903 exakt die Gebäude der „Geflügel-Mästerei

und Bettfedern-Fabrik“ an der Mainzer Landstraße / Ecke Rebstöcker Straße, wie sie auf dem

Briefkopf der Firma Mayer abgebildet waren.

Wie die Geschichte an dieser Stelle weiterging, müssen wir noch erforschen. Fest steht, dass

etwa 20 Jahre später im Adressbuch von 1909 an der Mainzer Landstraße 372 nicht mehr die

Geflügel-Mästerei Mayer sondern eine Kinderschuhfabrik „Nathan“ eingetragen wurde. Wahr-

scheinlich wurde die Mayer‘sche Geflügel-Mästerei während der Zwischenzeit an dieser Stelle

aufgegeben. Denn dem Adressbuch von 1909 konnten wir weiter entnehmen, dass die Firma E.

und C. Mayer auf einem jetzt eigenen Grundstück in der Krifteler Straße 2 – 28 / Höchster Straße

(Kleyerstraße) 82 eine Geflügel-Mästerei und Bettfedern-Fabrik betrieben hat mit „öffentlichem

Kühlhaus“. Das Gelände an der Mainzer Landstraße hatte dagegen der IB, der späteren Firma

Holzmann, gehört. Vielleicht weiß eine(r) unserer LeserInnen noch etwas über diese Firma und

meldet sich bei uns? Wir freuen uns über jede Hilfe.

Irmgard Lauer-Seidelmann und Renate Ullrich.

Publikationen unserer StadtteilHistorikerinnen:

Hanne Emrich: Was das Gallus bewegte Eine Zeitreise durch den Stadtteil Gallus in spannenden Themen und Ereignissen.

Frankfurt, 2008. 250 Seiten, VP 13 € / Bezugsquelle: Hanne Emrich, Tel. 069 – 73 44 03

Renate Ullrich: Von der Straße nach Mainz zur Mainzer Landstraße Vom Karrenweg zur Verkehrsader: Verlauf, Straßenbau und Bauten

Frankfurt, 2012. 250 Seiten, VP 15 € / Bezugsquellen: Renate Ullrich, email:

[email protected];

Stadtteilbüro Soziale Stadt Gallus, Frankenallee 166, Tel. 069 - 97 32 99 70

Irmgard Lauer-Seidelmann: Kamerun – das sind wir Gallus – ein Frankfurter Stadtteil

Frankfurt, Dezember 2012. 325 Seiten, VP 19,80 € / Bezugsquellen: Buchhandlung Carolus, Lieb-

frauenstrasse 4; email: [email protected];

Stadtteilbüro Soziale Stadt Gallus, Frankenallee 166, Tel. 069 - 97 32 99 70

Bild: Galluswarte ( ISG)

V.i.S.P.: Geschichtswerkstatt Gallus, Stadtteilbüro Soziale Stadt G., Frankenallee 166.