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Die Macht Der Disziplin - Roy Baumeister

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John Tierney; RoyBaumeister

Die Macht derDisziplin

Wie wir unseren Willentrainieren können

Aus dem Englischen von JürgenNeubauer

Über das BuchMillionen Motivationstrainer haben unsgesagt: Erfolg zu haben ist ganz einfach. Wirmüssen nur an uns glauben. Aber warum sinddann immer noch so viele Menschen erfolglosund unzufrieden? Roy Baumeister und JohnTierney kennen die Antwort. Auf derGrundlage neuer, bahnbrechenderForschungsergebnisse zeigen sie: Nichtpositives Denken ist der Schlüssel zum Erfolg,sondern Disziplin. Die gute Nachricht:Disziplin beruht auf Willenskraft und lässt sichwie ein Muskel trainieren. Sie entscheidetüber Glück und Zufriedenheit, über Karriere,Gesundheit und finanzielle Sicherheit. Erstdaraus folgen Zuversicht und Selbstvertrauen.Sie brauchen also nur zwei Dinge, umerfolgreich zu sein: Disziplin und dieses Buch.

Über die Autoren

Roy Baumeister ist Francis Eppes EminentProfessor of Psychology an der Florida StateUniversity. Er ist einer der internationalbekanntesten Psychologen und Autorzahlreicher Bücher.

John Tierney ist Autor undWissenschaftsredakteur der New York Times.

Einleitung

Menschen, die ein erfolgreiches Leben führen– egal ob das für Sie eine glückliche Familiebedeutet, eine befriedigende Arbeit,Gesundheit, finanzielle Sicherheit oder dieFreiheit, Ihre Träume zu verwirklichen –,bringen in der Regel bestimmte persönlicheEigenschaften mit. Auf der Suche nach demGeheimnis der Lebenszufriedenheit habenPsychologen zwei besonders wichtigeEigenschaften identifiziert: Intelligenz undSelbstdisziplin. Wie sich die Intelligenzdauerhaft steigern lässt, haben sie noch nichtherausgefunden. Aber sie haben entdeckt(oder wiederentdeckt), wie wir uns selbstbesser in den Griff bekommen können.

Und genau darum geht es in diesem Buch.Mit der neuen Forschung zur Willenskraft undzur Selbstdisziplin kann die Psychologieunserer Ansicht nach einen echten Beitragdazu leisten, das Leben der Menschen zuverbessern. Willenskraft ermöglicht es uns,uns selbst und unsere Gesellschaft im Kleinenwie im Großen zu verändern. Wie Charles

Darwin in Die Abstammung des Menschen1schrieb: »Die höchste mögliche Stufe in dermoralischen Kultur, zu der wir gelangenkönnen, ist die, wenn wir erkennen, dass wirunsere Gedanken kontrollieren sollen.« Dieseviktorianische Vorstellung von Willenskraftkam irgendwann außer Mode, und vielePsychologen und Philosophen des 20.Jahrhunderts zweifelten, ob sie überhaupt jeexistiert habe. Auch Roy Baumeister, einerder beiden Autoren dieses Buches, begann alsSkeptiker. Doch dann beobachtete er imLabor, wie der Wille den Menschen die Kraftgibt, weiterzumachen; wie sie dieBeherrschung verlieren, wenn ihr Willegeschwächt wird, und dass diese mentaleEnergie von der Glukose im Blut befeuertwird. Er beobachtete, dass der Wille wie einMuskel ermüdet, wenn er überstrapaziertwird, aber sich auch durch Training langfristigstärken lässt. Nachdem Baumeister mitseinen Experimenten die Existenz des Willensnachweisen konnte, begannen dieSozialwissenschaften mit seiner intensivenErforschung. Psychologen in aller Weltbestätigten, dass eine Stärkung unseres

Willens der sicherste Weg zu einem besserenLeben ist.

Viele unserer persönlichen undgesellschaftlichen Probleme hängen mitmangelnder Selbstdisziplin zusammen:zwanghafter Konsum, Verschuldung, Gewalt,schlechte schulische Leistungen, mangelndeProduktivität am Arbeitsplatz, Alkohol- undDrogenmissbrauch, ungesunde Ernährung,mangelnde sportliche Betätigung, chronischeAngst, Jähzorn, und so weiter und so fort.Mangelnde Selbstdisziplin ist die Ursache derverschiedensten persönlichen Traumata,angefangen von der Entlassung über denVerlust von Freunden bis zur Scheidung odersogar zu Gefängnisstrafen. Tennisspielerverlieren das Finale, weil sie ihre Gefühlenicht im Griff haben. Politiker zerstören miteinem Seitensprung ihre Laufbahn. DieFinanzwirtschaft wird durch eine Epidemievon riskanten Krediten und Investitionenruiniert. Viele Menschen leben im Alter inArmut, weil sie nicht genug Geld auf die Seitegelegt haben.

Wenn wir nach unseren persönlichenStärken gefragt werden2 , dann nennen wir oft

Ehrlichkeit, Güte, Humor, Kreativität, Mutund andere Tugenden – selbst Bescheidenheit.Aber Selbstdisziplin zählt nicht dazu. Beieiner Befragung von mehr als zwei MillionenMenschen in aller Welt landete dieSelbstdisziplin auf der letzten Stelle. Von denzwei Dutzend auf dem Fragebogenaufgelisteten »Charakterstärken« wurde sieam seltensten genannt. Dafür stand bei denSchwächen die mangelnde Selbstdisziplinganz oben.

In einer Zeit, in der es mehr Versuchungengibt als je zuvor, fühlen sich viele Menschenüberfordert. Ihr Körper erscheint zwarpünktlich am Arbeitsplatz, doch Ihr Kopf kanndurch einen einzigen Mausklick oder dasKlingeln des Telefons ganz woanders sein. Miteinem Klick auf den Eingangsordner Ihres E-Mail-Programms oder auf Facebook, miteinem Ausflug auf eine Klatschseite oder zueinem Videospiel lässt sich jede Aufgabeaufschieben. Ein typischer Computernutzerbesucht pro Tag mehr als drei DutzendWebsites. Mit einer zehnminütigenEinkaufstour auf einer Internet-Shopping-Seite können Sie Ihr komplettes Jahresbudget

durcheinanderbringen. Die Versuchungen sindschier grenzenlos. Wir meinen oft, der Willesei eine außergewöhnliche Kraft, die wir nurin Notfällen mobilisieren. Dass diese Annahmefalsch ist, konnte Roy Baumeister bei einerUntersuchung von mehr als zweihundertMännern und Frauen feststellen. DieTestpersonen wurden mit einem Beeperausgestattet3 , der siebenmal am Tag zuzufälligen Zeitpunkten klingelte; dann solltendie Teilnehmer notieren, ob sie in diesemMoment einen Wunsch oder ein Bedürfnisverspürten oder kurz zuvor eines verspürthatten. Bei dieser Untersuchung wurden überden ganzen Tag verteilt ZehntausendeMomentaufnahmen gesammelt.

Dabei stellte sich heraus, dass Bedürfnisseund Wünsche die Regel waren, nicht dieAusnahme. In der Hälfte der Fälle verspürtendie Testpersonen in dem Moment, in dem derBeeper losging, ein bestimmtes Bedürfnis, undein weiteres Viertel gab an, in denvergangenen Minuten ein Bedürfnis verspürtzu haben. In den meisten Fällen hatten siediesen Bedürfnisse nicht nachgegeben. DieUntersuchung ergab, dass wir pro Tag

zwischen drei und vier Stunden damitzubringen, Versuchungen zu widerstehen –wenn man die Zeit abzieht, während der wirschlafen, ist das mindestens ein Fünftel desTages. Anders ausgedrückt: Wenn Sie zueinem beliebigen Zeitpunkt fünf willkürlichgewählte Personen ansprechen, dannwidersteht gerade mindestens einer davon mitHilfe seiner Willenskraft einem Bedürfnisoder einem Wunsch. Aber wir setzen unserenWillen deutlich häufiger ein, denn wir nutzenihn auch bei Entscheidungen und in einerReihe anderer Situationen.

In der Beeper-Untersuchung wurde dasBedürfnis, etwas zu essen, am häufigstengenannt. Gleich darauf folgten das Bedürfnis,zu schlafen, und der Wunsch, die Arbeit liegenzu lassen, um ein Rätsel zu lösen oder einSpiel zu spielen. Sexuelle Bedürfnissegehörten ebenfalls zu den am häufigstenunterdrückten, knapp vor dem Bedürfnis nachanderen zwischenmenschlichen Interaktionenwie dem Aufruf von E-Mails, dem Besuchsozialer Netzwerke, Internetsurfen,Musikhören oder Fernsehen. DieTestpersonen verwendeten verschiedene

Strategien, um diesen Versuchungen zuwiderstehen. Die meisten suchten nach einerAblenkung oder begannen eine neue Aufgabe,einige versuchten jedoch, das Bedürfniseinfach zu unterdrücken oder es auszuhalten.Alles in allem erlagen sie etwa einem Sechstelder Versuchungen. Sie schnitten relativ gutab, wenn es darum ging, das Bedürfnis nacheinem Nickerchen, Sex oder Konsum zuverdrängen, aber nur mittelmäßig, wenn sieauf etwas zu essen oder auf Softdrinksverzichten sollten. Und beim Versuch, denVerlockungen von Fernsehen, Internet undanderen Formen der Arbeitsvermeidungetwas entgegenzusetzen, scheiterten sie infast der Hälfte aller Fälle.

Diese Leistungsbilanz klingt zunächst nichtsonderlich ermutigend, und im historischenVergleich ist die Ausfallquote vermutlich eherhoch. Wir können natürlich nicht genau sagen,wie viel Selbstdisziplin unsere Vorfahren vorErfindung der Beeper und derExperimentalpsychologie mitbrachten, dochscheint die Annahme naheliegend, dass dieMenschen einst deutlich wenigerVersuchungen ausgesetzt waren. Im

Mittelalter waren die meisten MenschenBauern, sie arbeiteten auf dem Feld undnahmen dabei häufig große Mengen Alkoholzu sich. Sie standen nicht unter dem Druck,die Karriereleiter am Arbeitsplatzhochklettern zu müssen, und hatten deshalbauch kaum Anlass, besonders fleißig oderauch nur besonders nüchtern zu sein. In ihrenDörfern gab es kaum Versuchungen, vonAlkohol, Sex oder Müßiggang einmalabgesehen. Wenn sie sich trotzdemeinigermaßen tugendhaft verhielten, dann vorallem, weil sie unter den Nachbarn keinenAnstoß erregen wollten, und weniger um derTugend selbst willen. Den Christen desMittelalters winkte das Himmelreich, wennsie die katholischen Rituale einhielten, undnicht weil sie heldenhafte Willenskraftbewiesen.

Doch als die Bauern im 19. Jahrhundert indie neuen Industriestädte übersiedelten,wurden sie nicht mehr durch Dorfpfarrer,gesellschaftliche Zwänge und universelleGlaubensvorstellungen diszipliniert. DieReformation hatte die Religion zurAngelegenheit des Einzelnen gemacht, und die

Aufklärung hatte den Glauben an Dogmengeschwächt. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts4 lebten die Menschen in einerÜbergangsphase, in der die moralischenGewissheiten und starren Institutionen desMittelalters im Verschwinden begriffenwaren. Damals stellten sich viele Menschendie Frage, ob die Moral ohne ReligionBestand haben könne. Viele zweifelteninsgeheim an der Religion, doch nach außenhin hielten sie an ihr fest, glaubten sie doch,den Anstand wahren zu müssen.

Wir mokieren uns heute gern über dieHeuchelei und Prüderie des 19. Jahrhunderts- so wird oft behauptet, im viktorianischenEngland habe man Tischbeine mit kleinenRöckchen versehen, damit der Tisch keineKnöchel zeige. Wenn man heute die steifenPredigten über Gott und die menschlichenPflichten aus der Zeit liest, dann kann manohne Weiteres verstehen, warum dierespektlosen Bemerkungen Oscar Wildes soerfrischend wirkten: »Ich kann allemwiderstehen, außer der Versuchung«, erklärteer etwa. Aber angesichts der zahlreichenneuen Versuchungen stellte es kein Zeichen

einer Neurose dar, wenn viele Menschen nachneuen Quellen zu ihrer Stärkung suchten.Viele beklagten den Sittenverfall und diegesellschaftlichen Krankheiten der Städte undsuchten nach einem Halt, der greifbarer warals die göttliche Gnade – eine innere Stärke,die sie auch als Atheisten beschützte.

Damals entdeckte man den Begriff desWillens oder der Willenskraft. Man meinte,dass eine Art Kraft im Spiel sein müsse, diegewisse Ähnlichkeit mit dem Dampf habe, derdie Industrielle Revolution antrieb. VieleMenschen versuchten, ihre Willenskraftmittels Selbsthilfebüchern zu trainieren.Einer der ersten Bestseller war Hilf dirselbst!5 des britischen Autors Samuel Smiles,der seine Leser unter dem Motto »Genie istGeduld« daran erinnerte, dass Erfolg mit»Selbstzucht« und »unermüdlicherBeharrlichkeit« zu tun habe. Seinamerikanischer Zeitgenosse Frank ChanningHaddock schrieb ein Buch mit dem schlichtenTitel Die Macht des Willens6 ; er gab demganzen einen wissenschaftlichen Anstrich undbeschrieb den Willen als »Energie, die sichqualitativ mehren und qualitativ stärken«

lasse. Allerdings hatte er keine Ahnung,worum es sich dabei handeln könnte, undwissenschaftliche Beweise für seine Thesekonnte er schon gar nicht vorlegen. DerselbeGedanke kam jedoch auch einem Menschenmit größerer wissenschaftlicherGlaubwürdigkeit: Sigmund Freud meinte, dasEgo basiere auf geistiger Aktivität, diewiederum mit einem Energieaustauschzusammenhänge.

Doch Freuds Nachfolger vergaßen seinEnergiemodell. Erst vor kurzem begannenWissenschaftler, allen voran Roy Baumeister,systematisch nach dieser Energiequelle zufahnden. Fast das ganze 20. Jahrhunderthindurch suchten Psychologen und Lehrendelieber nach Gründen, warum der Wille nichtexistierte.

Die willenlose Gesellschaft

Wenn Sie durch wissenschaftlicheFachzeitschriften oder die aktuelleSelbsthilfeliteratur blättern, stellen Sie

schnell fest, dass die Vorstellung der»Charakterbildung«, wie sie im 19.Jahrhundert gepflegt wurde, seit geraumerZeit außer Mode ist. Wenn die Begeisterungfür den Willen zu Beginn des 20. Jahrhundertsabflaute, dann hatte das natürlich mit denmoralischen Exzessen des 19. Jahrhundertszu tun, aber auch mit wirtschaftlichenUmwälzungen und den beiden Weltkriegen.Das Blutvergießen des Ersten Weltkriegesschien nur möglich gewesen zu sein, weil zuviele Moralisten pflichtschuldig in den Todgegangen waren. In den Vereinigten Staatenund Westeuropa predigten Intellektuelledaher eine entspanntere Sicht des Lebens.Anders in Deutschland, wo dieNationalsozialisten eine »Psychologie desWillens« vertraten; bildgewordener Ausdruckdieser Philosophie war Leni Riefenstahls FilmTriumph des Willens über denReichsparteitag der NSDAP in Nürnberg imJahr 1934. Die nationalsozialistischeVorstellung des Gehorsams der Massengegenüber einem Soziopathen hatte zwarnichts mit dem Gedanken des Willens aus dem19. Jahrhundert zu tun, aber dieser

Unterschied wurde verwischt. Wenn dieNationalsozialisten den Triumph des Willensverkörperten, dann wollte man besser nichtsmit dem Willen zu tun haben.

Niemand weinte dem Willen eine Tränenach, und in den Jahrzehnten nach dem Kriegwurde er durch immer neue Kräfte weitergeschwächt. Der technologische Fortschrittverbilligte die Güter und trug zum neuenWohlstand der Arbeitnehmer bei, der privateKonsum wurde zum Motor der Wirtschaft, unddie neue Werbebranche drängte dieMenschen zum Kauf. Soziologen sprachen voneiner neuen Generation fremdbestimmterMenschen, die sich eher von den Ansichtenihrer Nachbarn lenken ließen als von eigenenmoralischen Überzeugungen. DieSelbsthilfebücher des 19. Jahrhunderts galtenals verstaubt und egozentrisch. Die neuenBestseller7 waren fröhliche Bücher wie DaleCarnegies Wie man Freunde gewinnt8 oderNorman Vincent Peales Die Kraft positivenDenkens9 . Carnegie verwendet ganze achtSeiten darauf, um seinen Lesern zu erklären,wie sie zu lächeln haben. Mit dem richtigenLächeln gewinne man andere Menschen, und

das sei der Schlüssel zu Erfolg, versicherteer. Peale und andere Autoren fanden sogareinen noch einfacheren Weg.

»Der entscheidende Faktor derPsychologie ist der erfüllbare Wunsch«,schrieb Peale. »Wer davon ausgeht, dass ererfolgreich sein wird, der ist bereitserfolgreich.« In seinem Millionenseller Denkenach und werde reich10 forderte NapoleonHill seine Leser auf, sich zu überlegen, wieviel Geld sie besitzen wollen, diese Summe aufein Stück Papier zu schreiben – und danndaran zu glauben, dass sie sich schon in ihremBesitz befände. Die Bücher dieser Gurusverkauften sich bis zum Ende des 20.Jahrhunderts, und die Wohlfühl-Psychologieließ sich in einem einfachen Sloganzusammenfassen: »Du musst nur daranglauben.«

Unter dem Einfluss dieser neuenPhilosophie veränderte sich der Charakterder Menschen, wie der Psychoanalytiker AllenWheelis beobachtete. Ende der fünfzigerJahre verriet dieser ein Geheimnis seinerBranche: Die Freudsche Psychoanalysefunktionierte nicht mehr. In seinem

bahnbrechenden Werk Wer wir sind und wasuns bleibt11 beschrieb Wheelis, wie sich derCharakter der Menschen seit Freuds Zeitenverändert hatte. Die Angehörigen derMittelschicht, die noch im Kaiserreich großgeworden waren und das Gros von FreudsPatienten ausmachten, brachten eineneisernen Willen mit, weshalb es demTherapeuten schwerfiel, ihre psychischenAbwehrmechanismen und ihr moralischesEmpfinden zu überwinden. Freuds Therapienlegten daher das Schwergewicht darauf, dieseMechanismen zu brechen und den Patientendie Ursachen für ihre Neurosen und ihrpsychisches Leid zu zeigen; sobald diePatienten diese Erkenntnis besaßen, konntenVeränderungen relativ einfach erfolgen. ZurMitte des 20. Jahrhunderts hatten sich dieAbwehrmechanismen jedoch verändert.Wheelis und seine Kollegen stellten fest, dassihre Patienten sehr viel schneller zuEinsichten gelangten als zu Freuds Zeiten,dass die Therapie jedoch an diesem Punkt oftstockte und scheiterte. Die Patienten hattennicht mehr den robusten Charakter frühererGenerationen und damit nicht die Kraft, ihre

Erkenntnisse umzusetzen und ihr Leben zuverändern. In der Freudschen Terminologiebeschrieb Wheelis den Niedergang des Über-Ichs in der westlichen Gesellschaft, aber imGrunde meinte er nichts anderes als dasVerschwinden des Willens – und das noch vorder Generation der 68er mit ihrem Mantra»Was sich gut anfühlt, ist gut«.

Die populäre Kultur der siebziger Jahrefeierte die Selbstverhätschlung. Immer mehrSozialwissenschaftler brachten immer neueArgumente vor, um zu zeigen, dass es soetwas wie einen Willen nicht geben konnte.Nach dieser Theorie hatte individuellesFehlverhalten seine Ursachen in der Umwelt:Schuld waren Armut, Unterdrückung undandere Einflüsse, und damit die Wirtschaftund die Politik. Die Suche nach dengesellschaftlichen Ursachen ist oft für alleBeteiligten angenehmer, auch für dieAkademiker, die im Zeitalter der politischenKorrektheit Angst davor haben, »die Schuldbei den Opfern zu suchen«, wenn sieandeuten, jemand könne an seinen Problemenauch selbst Schuld haben. GesellschaftlicheProbleme scheinen leichter lösbar als

charakterliche Schwächen, zumindest ausSicht der Sozialwissenschaftler, die immerneue Maßnahmen und Programme zu derenBeseitigung entwickeln.

Die Vorstellung, dass wir uns bewusstbeherrschen und kontrollieren können, fandunter Psychologen wenig Freunde. DieFreudianer behaupteten, unser Verhalten seidas Resultat von Kräften und Prozessen, diesich in unserem Unbewussten abspielten. DerBehaviorist B. F. Skinner hatte für dasBewusstsein und mentale Prozesse insgesamtwenig übrig, für ihn dienten sie bestenfalls zurVerstärkung von erlernten Verhaltensweisen.In Jenseits von Freiheit und Würde12behauptete er, um den Menschen zuverstehen, müsse man die altmodischenBegriffe im Titel seines Buches vergessen.Zwar sind Skinners Theorien inzwischenweitgehend widerlegt, doch ihr Grundgedankelebt weiter, wenn Psychologen behaupten, dasBewusstsein sei dem Unterbewusstenungeordnet. Der Wille war für sie sounwichtig, dass er in den modernenPersönlichkeitsmodellen nicht einmalvorkommt. Neurowissenschaftler behaupten

sogar, sie hätten bewiesen, dass es ihn nichtgebe. Auch Philosophen weigern sich, denBegriff zu verwenden; wenn sie die klassischephilosophische Frage der Willensfreiheiterörtern, bevorzugen sie den Begriff»Handlungsmöglichkeiten« und sprechenverächtlich vom »sogenannten Willen«.Neuerdings fordern Wissenschaftler sogar,man müsse den Rechtsstaat reformieren, umaltmodische Vorstellungen wie den freienWillen und die Verantwortung abzuschaffen.

Als Roy Baumeister in den siebzigerJahren an der Princeton University seineLaufbahn als Sozialwissenschaftler begann,teilte er diese verbreitete Skepsis gegenüberder Willenskraft. Seine Kollegenbeschäftigten sich nicht mit derSelbstdisziplin, sondern mit demSelbstwertgefühl. In seinen Experimentenkonnte Baumeister zeigen, dass Menschen mitmehr Selbstvertrauen und einem größerenSelbstwertgefühl glücklicher underfolgreicher waren als andere. Vielegelangten damals zu dem Schluss, man könneMenschen zum Erfolg verhelfen, indem manihr Selbstwertgefühl stärke. Dieser Ansicht

schienen nicht nur die Psychologen zu sein,sondern auch die gesamte Bevölkerung, wieBestseller wie Ich bin o.k. – du bist o.k. vonThomas A. Harris oder Grenzenlose Energievon Anthony Robbins zeigen. Doch dieErgebnisse waren enttäuschend, im Laborgenauso wie in der wirklichen Welt. Ininternationalen Vergleichstests13 habenamerikanische Schüler zwar schiergrenzenloses Vertrauen in ihremathematischen Fähigkeiten, aber in denPrüfungen selbst schneiden sie regelmäßigdeutlich schlechter ab als Schüler aus Korea,Japan und anderen Nationen, die weit wenigerSelbstvertrauen mitbringen.

In den achtziger Jahren begannen jedocheinige Wissenschaftler, sich für das Themader Selbstregulation zu interessieren. An derSpitze dieser Wiederentdeckung der Disziplinstanden keine Theoretiker, denn diese hieltenden Willen noch immer für ein Märchen ausdem 19. Jahrhundert. Es waren vielmehrPsychologen, die im Labor oder in derwirklichen Welt Experimente durchführtenund immer wieder auf etwas stießen, das mannicht anders nennen konnte als

»Willenskraft«.

Das Comeback des Willens

In der Psychologie sind geniale Theorien billigzu haben. Viele Menschen meinen, dieWissenschaft mache Fortschritte, wennjemand ein brillantes neuesGedankengebäude errichtet, aber sofunktioniert sie leider nicht. Eine Theorieaufzustellen ist nicht weiter schwer. Jeder hatseine Lieblingstheorie, um zu erklären,warum wir was wie tun, und viele Psychologenmüssen sich bei der Präsentation einer neuenTheorie Sätze anhören wie: »Das hat dochschon meine Oma gewusst.« Aber wirklicheFortschritte werden nur dann erzielt, wennjemand eine Möglichkeit findet, eine Theoriein der Praxis zu überprüfen. Das tat zumBeispiel Walter Mischel. Er und seineKollegen beschäftigten sich gar nicht mitFragen der Selbstregulation, und es sollteJahre dauern, ehe sie die Ergebnisse ihrerUntersuchungen überhaupt in einen

Zusammenhang mit der Selbstdisziplin undder Willenskraft brachten.

Mischel ging der Frage nach, wie Kinderlernen, die Befriedigung eines Bedürfnissesaufzuschieben, und entwickelte kreativeExperimente, um den Prozess bei vierjährigenKindern zu beobachten. Er brachte sieeinzeln in einen Raum, zeigte ihnen einMarshmallow und bot ihnen einen Handel an:Er werde den Raum verlassen, und die Kinderkonnten das Marshmallow jederzeit essen.Aber wenn sie warteten, bis er zurückkam,versprach er ihnen zur Belohnung ein zweitesMarshmallow. Einige Kinder steckten dasMarshmallow in den Mund, kaum dass er denRaum verlassen hatte, andere widerstandender Versuchung eine kurze Zeit, wiederandere warteten eine geschlageneViertelstunde auf ihre Belohnung. Die Kinder,denen dies gelang, lenkten sich meist durchetwas anderes ab. Die Experimente wurden inden sechziger Jahren durchgeführt underregten damals ein gewisses Interesse in derFachwelt.14

Durch Zufall machte Mischel viele Jahrespäter jedoch eine faszinierende Entdeckung.

Seine Töchter besuchten dieselbe Schule, ander er die Marshmallow-Experimentedurchgeführte hatte. Mischel hatte dieVersuche längst abgeschlossen und sichanderen Themen zugewandt, doch über seineTöchter hörte er immer wieder von ihrenMitschülern. Dabei stellte er fest, dass dieKinder, die nicht auf das zweite Marshmallowhatten warten können, sowohl in der Schuleals auch außerhalb mehr Probleme zu habenschienen. Um zu überprüfen, ob sich dahinterein Muster verbarg, spürte Mischel rundhundert der ursprünglichen Testteilnehmerauf. Und in der Tat bekamen diejenigenJugendlichen, die im Alter von vier Jahrenmehr Willenskraft gezeigt hatten, in derSchule bessere Noten. Wer als Kind eineganze Viertelstunde auf seine Belohnunggewartet hatte, erzielte beim Test für denHochschulzugang durchschnittlich um fast 10Prozent bessere Ergebnisse als andere, dieder Versuchung bereits nach einer halbenMinute erlegen waren. Die Kinder mitgrößerer Willenskraft waren beliebter beiihren Klassenkameraden und Lehrern. Sieverdienten mehr Geld. Sie wiesen einen

besseren Body-Mass-Index auf und warenseltener übergewichtig. Sie hatten wenigerDrogenprobleme.

Dies war umso erstaunlicher, alsErgebnisse aus Experimenten in der frühenKindheit nur selten Aufschluss über diepersönlichen Eigenschaften im späterenLeben geben. Genau diese Erkenntnis war esauch gewesen, die der FreudschenPsychoanalyse den Todesstoß versetzt hatte,denn diese hatte frühkindliche Erlebnisse alsGrundlage der erwachsenen Psyche gesehen.Als Martin Seligman in den neunziger Jahrendie Forschungsliteratur auswertete, fand erkeinen Hinweis darauf, dass Erlebnisse ausder Kindheit Auswirkungen auf diePersönlichkeit im Erwachsenenalter haben,von schweren Traumata und Unterernährungeinmal abgesehen.15 Besaß jemand einsonniges Gemüt oder war er ein Griesgram,so ließ sich das eher auf angeboreneEigenschaften zurückführen. Es kanndurchaus sein, dass die Willenskraft, sicheinem Marshmallow zu widersetzen, einegenetische Komponente hat, aber sie schienauch erlernbar. Es war einer der seltenen

Fälle, in denen sich ein Vorteil aus derKindheit ein Leben lang auszahlt.

Das ist umso bemerkenswerter, wenn mansich die Vorteile der Selbstdisziplin insgesamtansieht. Genau das tat Roy Baumeister inseinem Fachbuch Losing Control16 , das er1994 mit seiner Frau Dianne Tice von derCase Western University und seinem KollegenTodd Heatherton von der Harvard Universityveröffentlichte. »MangelhafteSelbstregulation ist die gravierendstegesellschaftliche Krankheit unserer Zeit«,schrieben sie und verwiesen auf hoheScheidungsraten, häusliche Gewalt,Verbrechen und eine Vielzahl weitererProbleme. Das Buch regte weitereExperimente und Untersuchungen an, unteranderem die Entwicklung einer Skala zurMessung der Selbstdisziplin inPersönlichkeitstests.17 Als Psychologen dieNoten von Studenten mit rund drei DutzendPersönlichkeitseigenschaften verglichen,stellten sie fest, dass Selbsdisziplin die einzigeEigenschaft war, die in direktemZusammenhang mit den Noten stand.18 Selbstder Intelligenzquotient und das Ergebnis des

Hochschulzugangstests gaben wenigerAufschluss über die späteren Leistungen ander Universität. Intelligenz stellte zwaroffensichtlich einen Vorteil dar, doch dieUntersuchung zeigte, dass die Selbstdisziplinwichtiger war, da sie den Studenten half,regelmäßig an ihren Vorlesungenteilzunehmen, ihre Hausaufgaben rechtzeitigzu beginnen sowie mehr Zeit auf ihr Studiumund weniger auf ihre Freizeitgestaltung zuverwenden.

Am Arbeitsplatz werden Führungskräftemit größerer Selbstdisziplin von ihrenMitarbeitern und Kollegen besser bewertet.Menschen mit guter Selbstdisziplin scheint esbesser möglich, stabile und befriedigendeBeziehungen zu anderen Menschen zuknüpfen. Sie zeigen mehr Empathie und sindeher in der Lage, Dinge aus der Sicht deranderen zu sehen. Sie sind emotionalgefestigter und neigen weniger zu Angst,Depression, Paranoia, Psychosen,zwanghaften Verhaltensweisen, Essstörungen,Alkoholproblemen und anderen psychischenLeiden. Sie reagieren weniger häufig mitÄrger, und wenn, dann werden sie seltener

aggressiv, weder verbal noch physisch.Menschen mit mangelnder Selbstdisziplinschlagen dagegen ihre Partner eher undbegehen mit größerer Wahrscheinlichkeiteine ganze Reihe anderer Delikte. DasMuster war eindeutig, wie June Tangneynachwies, die in Zusammenarbeit mitBaumeister ein Maß für Selbstdisziplin inPersönlichkeitstests entwickelte. Bei derUntersuchung von Häftlingen19 stellte siebeispielsweise fest, dass diejenigen Straftätermit mangelnder Selbstdisziplin nach ihrerHaftentlassung mit größererWahrscheinlichkeit erneut straffällig wurden.

Der beste Beweis stammt jedoch aus demJahr 2010. In einer beispiellosen, langfristigangelegten Untersuchung verfolgte eininternationales Forscherteam eintausendneuseeländische Kinder20 von der Geburt biszum 32. Lebensjahr. Um die Selbstdisziplinverlässlich zu messen, griffen dieWissenschaftler zu verschiedenen Methoden(Beobachtungen der Wissenschaftler selbst,Berichte von Eltern und Lehrern sowieSelbstbeschreibungen der Kinder). Dannverglichen sie die Ergebnisse mit einer

Vielfalt von Verhaltensweisen derJugendlichen und jungen Erwachsenen. Werals Kind über ein höheres Maß anSelbstdisziplin verfügte, war imErwachsenenalter gesünder, hatte mitgeringerer Wahrscheinlichkeit Übergewichtoder Geschlechtskrankheiten und sogargesündere Zähne (zur Selbstdisziplin gehörenoffenbar auch regelmäßiges Zähneputzen unddie Verwendung von Zahnseide). DieSelbstdisziplin hatte zwar keineAuswirkungen auf Depression imErwachsenenalter, doch führte ihr Mangelhäufiger zu Alkohol- und Drogenproblemen. Jeunbeherrschter die Teilnehmer im Kindesalterwaren, umso weniger verdienten sie alsErwachsene, umso weniger Geld hatten sieauf dem Konto oder für die Altersvorsorgezurückgelegt und umso geringer war dieWahrscheinlichkeit, dass sie in den eigenenvier Wänden lebten. Kinder mit mangelnderSelbstdisziplin waren als Erwachsenehäufiger geschieden oder Alleinerziehende,vermutlich weil sie nicht die Disziplinaufbrachten, eine langfristige Beziehungeinzugehen. Wer dagegen schon als Kind eine

angemessene Selbstdisziplin aufgewiesenhatte, lebte später mit größererWahrscheinlichkeit in einer stabilen Ehe underzog seine Kinder in einem gemeinsamenHaushalt. Und schließlich landetenTeilnehmer, die sich schon als Kinder nichtbeherrschen konnten, später eher imGefängnis: Von den Teilnehmern, die als Kinddie geringste Selbstdisziplin mitgebrachthatten, waren 40 Prozent im Alter von 32Jahren mindestens einmal mit dem Gesetz inKonflikt gekommen, im Vergleich zu 12Prozent der Testpersonen, die als Kinder einhohes Maß an Selbstdisziplin an den Taggelegt hatten.

Diese Unterschiede hingen zwar zum Teilauch mit der Intelligenz, der ethnischenHerkunft und der sozialen Schicht zusammen,doch die Willenskraft stellte mit Abstand deneinflussreichsten Faktor dar. In einerNachfolgeuntersuchung erhoben dieselbenWissenschaftler Daten zu den Geschwistern inderselben Familie und verglichen sie mit denDaten von Kindern aus ähnlichen Familien.Wieder ging es denjenigen, die als Kinderunbeherrschter gewesen waren, im

Erwachsenenalter durchgängig schlechter:Sie hatten mehr gesundheitliche Problemeund weniger Geld in der Tasche und saßen mitgrößerer Wahrscheinlichkeit im Gefängnis.Die Resultate hätten nicht eindeutigerausfallen können: Selbstdisziplin ist eineentscheidende Stärke und ein Schlüssel zueinem erfolgreichen Leben.

Evolution und Etikette

Während Psychologen die Vorteile derSelbstdisziplin erkannten, versuchtenAnthropologen und Neurowissenschaftler21zu verstehen, wie sie sich entwickelt hatte.Das menschliche Gehirn zeichnet sich durchseine großen und komplexen Frontallappenaus, denen wir eine Fähigkeit verdanken, dielange als entscheidender evolutionärer Vorteilder Menschen galt: die Intelligenz, mit der wirProbleme in unserer Umwelt lösen. Ein Tiermit einem größeren Gehirn müsse doch eherin der Lage sein, zu überleben und sich zuvermehren, als ein Tier mit einem kleineren

Gehirn, so die Logik. Aber ein großes Gehirnbenötigt auch eine Menge Energie. DasGehirn eines erwachsenen Menschen machtzwar nur 2 Prozent des Körpergewichts aus,aber es verbraucht 20 Prozent der Energie.Die zusätzliche graue Masse ist jedoch nurdann sinnvoll, wenn das Tier mit ihrer Hilfedie zusätzlichen Kalorien heranschafft, die zuihrem Unterhalt erforderlich sind. Daherkonnten Wissenschaftler lange Zeit nichtnachvollziehen, wie sich das Gehirn bezahltmacht. Wie kam es also, dass die Menschenimmer größere Gehirne mit immer stärkerenFrontallappen entwickelten?

Einige Wissenschaftler suchten dieErklärungen bei Bananen und anderennährstoffreichen Früchten. Tiere, die sich vonGras ernähren, müssen nicht lange darübernachdenken, wo ihre nächste Mahlzeitherkommt. Aber ein Baum, der letzte Wochenoch voller reifer Bananen hing, ist heuteleergefressen oder hat nur noch verfaultesObst zu bieten. Wer sich von Bananenernährt, braucht demnach ein größeresGehirn, um sich daran zu erinnern, wo diereifen Früchte sind, und dieses Gehirn würde

von den zusätzlichen Kalorien der Bananenangetrieben. Insofern schien die Theorie vom»bananensuchenden Gehirn« schlüssig – abernur auf dem Papier. Als der AnthropologeRobin Dunbar sie überprüfte, fand erkeinerlei Zusammenhang zwischen demSpeiseplan und der Hirngröße vonverschiedenen Tieren. Dunbar kam schließlichzu dem Schluss, dass das große Gehirn desMenschen nicht für den Umgang mit derphysischen Umgebung entstand, sondern fürden Umgang mit etwas, das für das Überlebenweitaus wichtiger ist: das Sozialleben. Tieremit größeren Gehirnen leben in größeren undkomplexeren Sozialverbänden. Diese Thesebot eine neue Möglichkeit, den Homo sapienszu verstehen. Von allen Primaten besitzen dieMenschen die größten Frontallappen, weil siein den größten Sozialverbänden leben. Genauaus diesem Grund benötigen sie offenbar auchbesonders viel Selbstdisziplin. Wir sehen denWillen gern als eine Kraft zur persönlichenWeiterentwicklung – mit seiner Hilfe haltenwir uns an eine Diät, machen uns rechtzeitigan die Arbeit, gehen jeden Morgen joggen,hören mit dem Rauchen auf, und so weiter.

Das war allerdings nicht unbedingt der Grund,weshalb unsere Vorfahren ihn entwickelten.Primaten sind soziale Lebewesen und müssensich beherrschen, um mit den Artgenossen inihrer Gruppe auszukommen. Sie sindaufeinander angewiesen, um nicht zuverhungern. Wenn die Beute geteilt wird,bekommen oft die größten und stärkstenMännchen die besten Stücke, und die übrigenkommen je nach ihrem Status an die Reihe.Um keine Prügel zu beziehen, müssen sieihren Wunsch unterdrücken, sich sofort überdie Beute herzumachen. Wenn Schimpansenund andere Affen die Hirne von Eichhörnchenhätten, würden sie keine Mahlzeit ohneSchlägerei überstehen und beim Streit umsFutter mehr Kalorien verbrauchen, als sie zusich nehmen.

Obwohl auch andere Primaten22 diementalen Kapazitäten für einfacheTischmanieren mitbringen, ist ihreSelbstdisziplin im Vergleich zur menschlichenminimal. Experten schätzen, dass dieintelligentesten nichtmenschlichen Primatenungefähr zwanzig Minuten weit in die Zukunftblicken können. In diesem Zeitraum kann sich

das Alphamännchen den Bauch vollschlagen,aber für Pläne über die Mahlzeit hinaus reichtdas nicht aus. (Einige Tiere, zum BeispielEichhörnchen, legen sich für schlechte ZeitenNahrungsvorräte an, doch handelt es sichhierbei um programmierte Instinkte, nicht umgeplante Vorratshaltung.) In einemExperiment erhielten die Affen nur einmal amTag, nämlich zur Mittagszeit, ihr Futter, abersie lernten nie, sich einen Teil davon fürspäter aufzuheben. Sie konnten sich zwarwährend der Fütterung so viel Futtermitnehmen, wie sie wollten, aber sie fraßeneinfach, bis sie satt waren. Den Restignorierten sie oder bewarfen sichgegenseitig damit. Am nächsten Morgenwachten sie hungrig auf, weil es ihnen nieeingefallen wäre, sich einen Teil ihresMittagessens für das Abendessen oder dasFrühstück aufzuheben.

Wenn wir Menschen es besser wissen,dann dank unseres großen Gehirns, dasunsere Vorfahren vor zwei Millionen Jahrenentwickelten. Unsere Selbstdisziplin wirktweitgehend unbewusst. Beim Geschäftsessenmüssen Sie sich nicht bewusst zügeln, ihrem

Chef die Pommes vom Teller zu klauen. Ihrunbewusstes Gehirn hilft Ihnen, sozialeKonflikte zu vermeiden; es funktioniert auf sosubtile und vielfältige Weise, dass einigePsychologen zu dem Schluss kamen, es habein Wirklichkeit die Zügel in der Hand. Dochdieses Faible für unbewusste Prozesse rührtvon einem grundlegenden Denkfehler, denWissenschaftler machen, wenn sie unserVerhalten in immer feinere Scheibchenschneiden und im Gehirn Reaktionenentdecken, die zu schnell erfolgen, als dass sievom Bewusstsein gesteuert sein könnten.Wenn Sie sich eine beliebige Bewegung imMaßstab von Millisekunden ansehen, dann istdie unmittelbare Ursache immer die Aktivitäteiner Nervenzelle, die das Gehirn mit demMuskel verbindet. Dieser Prozess hat nichtsBewusstes. Niemand bemerkt, wenn eineGehirnzelle ein Signal aussendet. Doch derWille wird erkennbar, wenn man die Einheitenüber die Zeit hinweg in Verbindung setzt. DerWille bedeutet, die gegenwärtige Situation23als Teil eines übergreifenden Musters zuverstehen. Von einer Zigarette nimmt IhreLunge noch keinen Schaden. Wenn Sie sich

einmal Heroin spritzen, werden Sie noch nichtsüchtig. Von einem Stück Kuchen bekommenSie kein Übergewicht, und wenn Sie eineAufgabe versäumen, werden Sie nichtentlassen. Aber um gesund und in Lohn undBrot zu bleiben, müssen Sie (fast) jedeSituation vor dem Hintergrund der generellenNotwendigkeit sehen, Versuchungen zuwiderstehen. Und an diesem Punkt kommt diebewusste Selbstdisziplin ins Spiel – und machtden Unterschied zwischen Erfolg undMisserfolg in fast jedem Lebensbereich aus.

Warum Sie den Willenaufbringen sollten, diesesBuch zu lesen

Der erste Schritt der Selbstdisziplin bestehtdarin, sich ein Ziel zu setzen. Daher wollenwir Ihnen unser Ziel für dieses Buch verraten.Auf den folgenden Seiten werden wir Ihnendie neuesten Erkenntnisse der modernenPsychologie vorstellen und mit einer Prise derpraktischen Weisheit unserer Urgroßeltern

würzen. Wir wollen Ihnen zeigen, wie dieWillenskraft – oder der Mangel derselben –unser Leben beeinflusst. Wir erklären Ihnen,warum Topmanager einem ehemaligenKaratelehrer 20 000 Dollar am Tag bezahlen,um von ihm zu lernen, wie man To-do-Listenaufstellt, und warum Unternehmer in SiliconValley digitale Werkzeuge entwickeln, umdamit Werte des 19. Jahrhunderts zuvermitteln. Wir sehen uns an, wie einbritisches Kindermädchen heulende Drillingebändigte und wie Künstler wie AmandaPalmer, Drew Carey, Eric Clapton und OprahWinfrey die Willenskraft in ihrem Leben zurAnwendung brachten. Wie sehen uns an, wieDavid Blaine 44 Tage lang fastete und wie derEntdecker Henry Morton Stanley jahrelang inder afrikanischen Wildnis überlebte. Und wirzeigen Ihnen, was die Wiederentdeckung derSelbstdisziplin in der Wissenschaft für IhrLeben bedeuten kann.

Als Psychologen die Vorteile derSelbstdisziplin erkannten, standen sie voreinem neuen Rätsel: Was genau ist dermenschliche Wille? Was benötigt ein Mensch,um einem Marshmallow zu widerstehen? Als

sich Roy Baumeister diese Fragen stellte, warseine Vorstellung noch der konventionellenSicht des Menschen alsinformationsverarbeitende Maschineverhaftet. Für ihn und seine Kollegen stelltedas Gehirn letztlich nichts anderes als eineArt Computer dar. Diese Modelle übersehenjedoch meist Vorstellungen wie Kraft oderEnergie, die schon seit so langer Zeit aus derMode gekommen sind, dass sich heuteniemand mehr mit ihnen auseinandersetzt.Baumeister rechnete nicht damit, dass sichsein Menschenbild so radikal verändernwürde. Aber als er und seine Kollegen mitihren Experimenten begannen, schienen diealten Ideen plötzlich gar nicht mehr soveraltet.

Nachdem Baumeister und anderePsychologen Hunderte Versuche durchgeführthatten, schälte sich ein neues Bild des Willensund des Menschen ganz allgemein heraus. Wirwollen Ihnen diese neuen Erkenntnisse zummenschlichen Verhalten vorstellen und Ihnenzeigen, wie Sie diese verwenden können, umsich zu verändern und ein besseres Leben zuführen. Anders als andere Techniken, die in

der modernen Selbsthilfeliteratur angepriesenwerden, lässt sich die Selbstdisziplin nichteinfach auf magische Art und Weiseerwerben, aber sie muss auch nicht solustfeindlich daherkommen wie im 19.Jahrhundert. Letztlich erleichtert Ihnen dieSelbstdisziplin das Leben, indem sie Ihnen vielStress abnimmt und Ihnen erlaubt, sich IhreWillenskraft für die wichtigen Aufgabenaufzuheben. Wir sind uns sicher, dass dieErkenntnisse in diesem Buch Ihr Leben nichtnur produktiver und befriedigender machen,sondern auch einfacher und glücklicher. Undwir versprechen Ihnen, dass Sie sich keineMoralpredigten über entblößte Knöchelanhören müssen.

KAPITEL 1

DIE WIEDERENTDECKUNGDER DISZIPLIN

Und oftmals sind wirunsre eignen Teufel,Wenn wir des Willens Schwächeselbst versuchen,Zu sicher unsrerwandelbaren Kraft.

William ShakespeareTroilus und Cressida

Wenn Sie den einen oder anderen Song vonAmanda Palmer24 gehört oder das Video zudem Lied »Backstabber« ihrer Band DresdenDolls gesehen haben, in dem sie nackt und miteinem Messer in der Hand einem ebenfallsnackten, lippenstifttragenden Mannhinterherrennt, mit dem sie eben noch im Bettwar, dann würden Sie vermutlich nicht auf denGedanken kommen, dass diese Frau einVorbild der Selbstbeherrschung sein könnte.

Musikkritiker haben sie in höchsten Tönengelobt – sie sei eine provokantere Lady Gaga,eine witzigere Madonna, eine Provokateurinzwischen den Grenzen der Geschlechter undeine Hohepriesterin des BrechtschenKabaretts. Aber »viktorianisch« und»verklemmt« hat sie noch niemand genannt.Amanda Palmer ist eine dionysischePersönlichkeit. Als sie den Heiratsantrag desbritischen Fantasy-Autors Neil Gaimanannahm, twitterte sie am nächsten Morgen,vielleicht habe sie sich gerade verlobt,vielleicht sei sie auch einfach nur betrunkengewesen.

Doch ohne Selbstdisziplin wäre keineKünstlerin in der Lage, einen Song nach dem

anderen zu schreiben und in aller Weltausverkaufte Konzerte zu geben. Sie wäre niein der Radio City Music Hall aufgetreten,wenn sie nicht geübt hätte. Zur Schaffungihrer Künstlerpersönlichkeit war eine ganzeMenge Disziplin erforderlich. IhrErfolgsgeheimnis ist etwas, das sie selbst als»ultimatives Zen-Training« bezeichnet: Siespielte eine lebende Statue. Sechs Jahre langstellte sich Palmer auf die Straße. Außerdemgründete sie eine Agentur zur Vermittlung vonlebenden Statuen, die zum Beispiel bei derEröffnung eines Bio-Supermarktes reglos amEingang stehen und Körbe mit ökologischangebautem Gemüse halten.

Palmer begann ihre Karriere alsMusikerin im Jahr 1998 in ihrer HeimatstadtBoston. Mit damals 22 Jahren war sie ein»angehender Rockstar« und nahm ersteVideos auf, aber von der Musik konnte sienicht einmal die Miete bezahlen. Also stelltesie sich auf den Harvard Square von Bostonund bot dort eine Form des Straßentheatersdar, das sie in Deutschland kennen gelernthatte. Sie nannte sich die Zwei-Meter-Braut.Mit weiß geschminktem Gesicht, in

Hochzeitskleid, Schleier, Spitzenhandschuhenund Brautstrauß stellte sie sich auf eine Kiste.Wenn jemand Geld in das Körbchen warf, dassie vor sich auf der Straße aufgestellt hatte,reichte sie ihm eine Blume, doch ansonstenstand sie vollkommen unbeweglich da.

Passanten beleidigten sie oder warfen mitGegenständen nach ihr. Andere versuchten,sie zum Lachen zu bringen. Wieder andereschrien sie an, sie solle sich eine richtigeArbeit suchen, und drohten damit, ihr Geld zustehlen. Betrunkene versuchten gelegentlich,sie von ihrer Kiste zu ziehen oder zu stoßen.

»Es war nicht immer nett«, erinnert sichPalmer. »Einmal hat ein besoffenerBurschenschaftler seinen Kopf an meinemUnterleib gerieben. Ich habe in den Himmelgeschaut und mir gedacht: ›Lieber Gott,womit habe ich das nur verdient?‹ Aber in densechs Jahren bin ich vielleicht zweimal aus derRolle gefallen. Sie dürfen einfach nichtreagieren. Nicht mal zucken. Sie lassen eseinfach über sich ergehen.«

Die Zuschauer staunten über ihreAusdauer, und die meisten gingen davon aus,dass es unerträglich sein müsse, so lange still

zu stehen. Aber Palmer empfand es wenigerals körperliche Belastung. Sie machtebeispielsweise die Erfahrung, dass sie besserkeinen Kaffee trank, da dieser ein leichtes,aber unkontrollierbares Zittern provozierte.Aber die eigentliche Herausforderung war imKopf.

»Das Stehen an sich ist nicht allzuanzustrengend«, meint sie. »Was wirklichDisziplin erfordert, ist, nicht zu reagieren. Ichdurfte die Augen nicht bewegen und konntemir deshalb die ganzen interessanten Dinge,die um mich herum passierten, nicht ansehen.Ich durfte nicht auf Menschen reagieren, dieversuchten, mit mir zu kommunizieren. Ichdurfte nicht lachen. Ich durfte mir die Nasenicht abwischen, auch wenn mir der Rotzschon übers Kinn lief. Ich durfte mich nicht amOhr kratzen, wenn es mich plötzlich juckte.Und wenn mir eine Mücke auf der Stirngelandet war, durfte ich sie nicht verjagen.Das war viel schwieriger.«

Doch obwohl sich die Herausforderung inerster Linie im Kopf abspielte, stellte Palmerirgendwann fest, dass auch ihr Körper litt. Siefreute sich zwar über das Geld, das sie

verdiente – in der Regel waren es etwa 50Dollar pro Stunde –, aber allzu lange hielt siees nicht durch. An einem normalen Tag standsie anderthalb Stunden auf ihrer Kiste,machte dann eine Stunde Pause und stelltesich noch einmal anderthalb Stunden hin.Danach war Feierabend. Während derHochsaison zur Ferienzeit ging siegelegentlich samstagabends noch auf einRenaissance-Festival und mimte dort einigeStunden lang eine Elfe, aber danach war sieerledigt.

»Ich bin halbtot nach Hause gekommenund habe meinen Körper nicht mehr gespürt«,erinnert sie sich. »Ich habe mich einfach in dieBadewanne gelegt. Mein Kopf warvollkommen leer.«

Warum? Sie hatte doch keinerlei Energieverbraucht, um ihren Körper zu bewegen. Siehatte nicht schneller geatmet und ihr Herzhatte nicht schneller geschlagen. Was hattesie dann derart ermüdet? Sie hätte sagenkönnen, dass sie ihre Willenskraft eingesetzthatte, um den Versuchungen zu widerstehen,aber diesen Begriff aus dem 19. Jahrhundertverwendet heute kaum jemand mehr. Aber

was bedeutet es, dass jemand seineWillenskraft einsetzt? Handelt es sich dabeinur um eine Metapher, oder steckt mehrdahinter?

Auf der Suche nach einer Antwortbeginnen wir bei ofenfrischen Plätzchen.

Was Radieschen mitDisziplin zu tun haben

Sozialwissenschaftler müssen sich manchmalgemeine Experimente ausdenken. In einerVersuchsanordnung durften Testpersonen denganzen Tag über nichts essen und hattenhungrig in Baumeisters Labor zu kommen. ImRaum duftete es nach ofenfrischen Plätzchen.Die Versuchspersonen mussten sich an einenTisch setzen, auf dem drei Schüsseln standen:eine mit warmen Plätzchen, eine andere mitSchokolade und eine dritte mit Radieschen.Einige Teilnehmer durften Plätzchen undSchokolade essen, aber andere mussten sichmit den Radieschen begnügen.25

Um die Versuchung noch zu vergrößern,

ließen die Wissenschaftler die Testpersonenmit den Schüsseln allein und beobachteten siedurch ein kleines, verstecktes Fenster. DieRadieschenesser rangen mit der Versuchung.Einige beäugten die Plätzchen sehnsüchtigund bissen dann widerwillig in ein Radieschen.Andere nahmen ein Plätzchen in die Hand,rochen daran und sogen den Duft ein. Demeinen oder anderen fiel das Plätzchen dabeiaus der Hand, und sie hoben es rasch auf undlegten es zurück, damit niemand etwasbemerkte. Aber niemand wagte es, dieverbotenen Plätzchen zu essen. Siewiderstanden der Versuchung, wenn auch oftunter erheblichen Anstrengungen. So weit, sogut. Das Experiment ergab also, dass diePlätzchen wirklich eine Versuchungdarstellten und dass die Teilnehmer ihreganze Willenskraft aufbieten mussten, umihnen zu widerstehen.

Dann wurden die Versuchspersonen ineinen anderen Raum gebracht, um dortGeometrieaufgaben zu lösen. Die Teilnehmerdachten, es handele sich um eine ArtIntelligenztest, doch in Wirklichkeit waren dieAufgaben nicht lösbar. Die Übung diente

lediglich dazu festzustellen, wie lange sie sichdamit beschäftigen würden, ehe sie dasHandtuch warfen. Dies ist ein klassischesExperiment, das Psychologen seit Jahrzehntenverwenden, da es einen verlässlichenAnhaltspunkt für die Ausdauer einesMenschen bietet. (Andere Experimente habenbeispielsweise ergeben, dass jemand, der sichlänger an diesen nicht zu lösenden Aufgabenabarbeitet, auch mehr Zeit auf tatsächlichlösbare Aufgaben verwendet.)

Diejenigen Teilnehmer, die Plätzchen oderSchokolade essen durften, tüftelten imDurchschnitt zwanzig Minuten lang an denAufgaben, genau wie eine Kontrollgruppe, dieebenfalls hungrig ins Labor gekommen warund nichts zu essen bekommen hatte. Dochdie Radieschenesser, die mit der Versuchunggerungen hatten, gaben bereits nach achtMinuten auf – in Experimenten wie diesen istdas ein gewaltiger Unterschied. Sie hattender Versuchung der Plätzchen und derSchokolade widerstanden, aber danachbesaßen sie offenbar nicht mehr genugEnergie, um an den Aufgaben zu knobeln. Ander alten Vorstellung von der Willenskraft

schien also tatsächlich etwas dran zu sein.Die Willenskraft war offenbar mehr als

eine bloße Metapher. Sie schien eher soetwas wie ein Muskel zu sein, der beiBenutzung ermüdet, wie ShakespearesTroilus ganz richtig erkennt. Der trojanischeKrieger Troilus fürchtet, dass seine GeliebteCressida dem Charme seiner griechischenFeinde erliegen wird; zwar glaubt er ihr, dasssie ihm treu bleiben will, doch ist er besorgt,dass sie dem Druck nicht standhalten werde.Es sei unklug anzunehmen, dass unsereVorsätze gleich stark blieben, erklärt erCressida und warnt sie davor, was passiert,wenn sie schwach werde: »Doch oft geschiehtuns, was wir nicht gewollt.« Und so kommt esdenn auch wie von Troilus befürchtet, undCressida verliebt sich in einen griechischenKrieger.

Die von Troilus beschriebene »wandelbareKraft« des Willens ließ sich auch bei denVersuchungspersonen beobachten, die derVerlockung der Plätzchen widerstehenmussten. Dieser Effekt, der im Radieschen-Experiment und in anderen Versuchennachgewiesen worden war, leuchtete vielen

klinischen Psychologen ein, so auch DonBaucom, einem Paartherapeuten aus ChapelHill im US-Bundesstaat North Carolina.Seiner Ansicht nach lieferten BaumeistersErkenntnisse eine Erklärung für Dinge, die erin seiner Praxis beobachtet, aber nichtvollends verstanden hatte. Wieder und wiederhatte er gesehen, dass Ehen darunter litten,dass sich die berufstätigen Partner abendsnach der Arbeit über scheinbareBelanglosigkeiten stritten. Manchmal riet erihnen, einfach früher Feierabend zu machen,obwohl das auf den ersten Blick sonderbarklang, denn das gab den Ehepartnern ja nurmehr Zeit zum Streit. Doch er nahm an, dasssie von ihrem langen Arbeitstag erschöpft seinmüssten. Und wenn sie dann nach einemsolchen langen, ermüdenden Arbeitstag nachHause kamen, verfügten sie über keineReserven mehr, um die ärgerlichenAngewohnheiten des Partners zu tolerieren,freundlich und verständnisvoll zu sein odereinfach nur den Mund zu halten, wenn derPartner etwas sagte, das eine gemeine odersarkastische Antwort zu provozieren schien.Baucom erkannte, dass die Paare Feierabend

machen mussten, solange sie noch einen Restan Energie übrig hatten. Ehen gingen in dieBrüche, wenn die Belastung am Arbeitsplatzam größten war: Die Partner ließen ihregesamte Willenskraft am Arbeitsplatz. ImBüro verausgabten sie sich, und die Familiehatte darunter zu leiden.

Nach dem Radieschen-Experimentmachten Wissenschaftler in ähnlichenVersuchungen wieder und wieder dieselbeBeobachtung. Sie suchten nach komplexerenemotionalen Effekten und anderenMöglichkeiten, diese zu messen, etwa bei derBeobachtung der körperlichen Ausdauer. Einedauerhafte sportliche Betätigung, zumBeispiel ein Marathonlauf, erfordert mehr alskörperliche Fitness. Egal wie durchtrainiertSie sind, irgendwann will Ihr Körper einePause einlegen und Ihr Kopf muss ihm sagen:»Lauf, lauf, lauf!« Genauso ist mehr alsKörperkraft erforderlich, um einenHandmuskeltrainer zu drücken. Irgendwannermüdet Ihre Hand und der Muskel schmerzt,aber Sie können sich mit schierer Willenskraftdazu bringen, trotzdem weiterzumachen – essei denn, Ihr Gehirn ist zu sehr damit

beschäftigt, andere Gefühle zu unterdrücken.Das wurde in Experimenten mit einemtraurigen italienischen Film nachgewiesen.

Bevor die Teilnehmer den Film sahen,erklärten ihnen die Wissenschaftler, siewürden während der Vorführung ihrenGesichtsausdruck filmen. Einige derTeilnehmer erhielten die Anweisung, ihreGefühle zu unterdrücken und keinerleiRegung zu zeigen. Andere sollten ihreemotionalen Reaktionen verstärken, damit sieim Gesicht ablesbar waren. Und eineKontrollgruppe durfte sich normal verhalten.

Die Teilnehmer sahen einen Ausschnitt ausdem Dokumentarfilm Mondo Cane, der dieAuswirkungen von Atommüll auf Tiere in derNatur zeigt. In einer bewegenden Szeneverlieren Meeresschildkröten dieOrientierung, kriechen in die Wüste undverenden dort kläglich, weil sie den Weg zumWasser nicht mehr finden. Der Film drücktkräftig auf die Tränendrüse, aber nicht alledurften weinen. Einige starrten wie verlangtstoisch auf die Leinwand, andere weinten, wasdas Zeug hielt. Danach mussten alleTeilnehmer den Ausdauertest mit dem

Handmuskeltrainer machen.Auf die Kontrollgruppe hatte der Film

offenbar keinen Einfluss: Die Probandendrückten den Muskeltrainer genauso langewie in einem Vergleichstest, den sie vor demFilm absolviert hatten. Aber die beidenanderen Gruppen gaben früher auf, egal obsie ihre Gefühle unterdrückt oder verstärkthatten. In beiden Fällen hatte die Kontrolleder emotionalen Reaktionen offenbar ihreWillenskraft erschöpft.

Ähnliches zeigt eine klassischeDenkaufgabe: der weiße Bär. Die Geschichtegeht auf eine Anekdote zurück, nach derTolstoi – in anderen Versionen war esDostojewski – mit seinem Bruder wettete,dass er keine fünf Minuten durchhalte, ohnean einen Eisbären zu denken. Der Brudermusste zahlen und machte obendrein einebeunruhigende Entdeckung hinsichtlich dergeistigen Fähigkeiten des Menschen. Wirmeinen, in der Lage zu sein, unsere Gedankenzu steuern, aber das sind wir nicht.Menschen, die zum ersten Mal meditieren,sind schockiert, wie ihre Gedanken in derWeltgeschichte herumschweifen, obwohl sie

alles tun, um sich zu konzentrieren und annichts zu denken. Der Psychologe DanWegner kürte den Eisbären zu seinemMaskottchen und zeigte, dass wir bestenfallseingeschränkte Kontrolle über unsereGedanken besitzen. Wegner batVersuchsteilnehmer, eine Klingel zubetätigen, jedes Mal wenn der Eisbär26 durchihre Gedanken streunte. Mit Tricks undAblenkungsmanövern ließ sich das Tier eineWeile lang in Schach halten, aber irgendwannklingelte jeder der Teilnehmer.

Vielleicht fragen Sie sich, wozu dieseExperimente gut sein sollen. Die Menschheitleidet unter vielen Psychosen und Traumata,aber »unerwünschte Eisbärengedanken«gehören eher nicht dazu. Doch gerade weildas Experiment zu weit von unserem Alltagentfernt scheint, ist es für Wissenschaftlerbesonders interessant. Wenn wir wissenwollen, wie gut oder schlecht wir unsereGedanken beherrschen, scheinen sichungewöhnliche Gedanken besser zu eignen.Als einer von Wegners Assistenten dasExperiment abwandelte und Studentenaufforderte, nicht an ihre Mütter zu denken,

scheiterte es – und demonstrierte lediglich,dass Studenten erstaunliche Übung darinhaben, nicht an ihre Mütter zu denken.

Aber worin unterscheiden sich Mütter vonEisbären? Vielleicht versuchen die Studenten,sich emotional von ihren Eltern zu lösen.Vielleicht wollen sie oft Dinge tun, die ihreMütter nicht gutheißen würden, weshalb sieden Gedanken an ihre Mutter abschaltenmüssen. Oder vielleicht wollen sie ihreSchuldgefühle unterdrücken, weil sie ihreMütter nicht so oft anrufen, wie diese es sichwünschen würden. Interessanterweise habendiese Unterschiede zwischen Müttern undEisbären sämtlich mit den Müttern zu tun.Und genau das ist aus Sicht derWissenschaftler das Problem. Mütter eignensich nicht als Gegenstand solcherForschungsexperimente, da sie mit zu vielBallast verbunden sind, mit zu vielen mentalenund emotionalen Assoziationen. Es kann vieleGründe geben, warum Sie an Ihre Mutterdenken oder auch nicht. Eisbären spielendagegen im Alltag und in der Biografie derwenigsten Menschen eine Rolle, und wenn wirProbleme damit haben, Gedanken an sie zu

unterdrücken, dann lässt sich eine ganzeMenge daraus ableiten.

Genau deshalb haben Psychologen, diesich mit der Gedankenkontrolle beschäftigen,Gefallen an den Eisbären gefunden. NachdemVersuchspersonen fünf Minuten lang allestaten, um nicht an die Tiere zu denken,bewiesen sie, wie zu erwarten, wenigerAusdauer bei der Lösung von weiterenAufgaben als andere, die sich nicht mit Bärenherumschlagen mussten. Es fiel ihnenaußerdem weitaus schwerer, in einem etwasgemeinerem Experiment ihre Gefühle imZaum zu halten: Sie sollten sich einen Sketchaus der TV-Comedy-Sendung Saturday NightLive ansehen und dabei keine Mieneverziehen. Die Wissenschaftler filmten dieMimik der Testpersonen und stellten fest,dass die Bärenbändiger eher kichern oderzumindest grinsen mussten.

Denken Sie daran, wenn Sie einen Chefhaben, der zu dummen Vorschlägen neigt. Umin der nächsten Arbeitssitzung nicht grinsenzu müssen, unterlassen Sie vorher jedegeistige Anstrengung. Entspannen Sie sich.Und denken Sie so oft an Eisbären, wie Sie

wollen.

Die wandelbare Kraft

Nachdem Experimente die Existenz derWillenskraft nachgewiesen hatten, standenPsychologen vor einer Reihe von neuenFragen. Was genau war diese Willenskraft?Welche Teile des Gehirns waren daranbeteiligt? Was genau passierte in denneuronalen Schaltkreisen? War dieWillenskraft mit weiteren physischenVeränderungen verbunden? Wie fühlte es sichan, wenn sie schwächer wurde?

Eine erste Frage lautete, wie man dasPhänomen benennen sollte – wenn möglichetwas präziser als »wandelbare Kraft«,»Willensschwäche« oder »der Teufel hat michgeritten«. Ein Blick in die neuerewissenschaftliche Literatur half nicht weiter.Baumeister musste zu Freud zurückkehren,wo er ein Modell des Ich fand, das auf Energieberuhte. Wie so oft waren FreudsErkenntnisse erstaunlich weitsichtig und

gleichzeitig erstaunlich falsch. Er hatte dieTheorie aufgestellt, dass wir über einenProzess namens »Sublimierung« die Energieunserer Instinkte in gesellschaftlichannehmbarere Formen bringen. Laut dieserTheorie kanalisierten beispielsweiseSchriftsteller oder Maler ihre sexuelleEnergie in ihrem künstlerischen Schaffen. Daswar ein kluger Gedanke, doch die Psychologendes 20. Jahrhunderts verwarfen dieVorstellung der Energie genauso wie die derSublimierung.27 Als Baumeister und seineKollegen die Forschungsliteratur aufReaktionen zu Freud durchforsteten, stelltensie fest, dass die Theorie der Sublimierungvon allen am schlechtesten wegkam. Es gabkeine Beweise für ihre Existenz und vieleGründe anzunehmen, dass das genaueGegenteil der Fall war. Träfe die Theorie derSublimierung zu, dann würden die Bewohnervon Künstlerkolonien ihre gesamten sexuellenTriebe in ihre Malerei investieren und einmönchisches Leben führen. Aber haben Sieschon einmal von einer keuschenKünstlerkolonie gehört?

Trotzdem war Freud mit seiner

Vorstellung der Energie auf einerinteressanten Spur. Energie ist ein wichtigesElement, um die sexuellen Aktivitäten inKünstlerkolonien zu verstehen. DieUnterdrückung von sexuellen Impulsenerfordert Energie, genau wie kreative Arbeit.Wer seine ganze Energie in seine Kunstinvestiert, hat keine mehr übrig, um seineLibido zu zügeln. Freud erklärte nie, woherdiese Energie genau stammen sollte und wiesie funktionierte, doch sie nahm eine zentraleRolle in seiner Theorie des Ich ein. AlsVerbeugung in Richtung des Vaters derPsychoanalyse und in Anlehnung an dessenBegriff des »Ich« griff Baumeister auf dasWort »Ego« zurück. So wurde der Begriff der»Ego-Depletion« oder »Selbsterschöpfung«geprägt, mit dem Baumeister unsereschwindende Fähigkeit bezeichnet, unsereGedanken, Gefühle und Handlungen zuregulieren. Wir sind zwar gelegentlich in derLage, unsere geistige Erschöpfung zuüberwinden, aber wenn wir unsereWillenskraft ausgeschöpft haben (zumBeispiel indem wir Entscheidungen getroffenhaben, die ebenfalls zu Selbsterschöpfung

führen, wie wir noch sehen werden), gebenwir früher oder später nach. Der Begriff derEgo-Depletion gehört heute zum festenRepertoire der Sozialpsychologen und wirdverwendet, um eine ganze Reihe vonVerhaltensweisen zu erklären.

Um herauszufinden, was bei der Ego-Erschöpfung im Gehirn passiert, setzten diebeide Wissenschaftler Michael Inzlicht undJennifer Gutsell28 von der University ofToronto ihren Versuchspersonen eine Art mitElektroden bestückte Badekappe auf. Damitzeichneten sie die elektrische Aktivität imGehirn auf und erstellten sogenannteElektroenzephalogramme (EEGs). Damitkonnten sie zwar keine Gedanken lesen,jedoch grob nachvollziehen, wie das Gehirnmit bestimmten Problemen umgeht. Vor alleminteressierten sich die Wissenschaftler füreine Region mit dem Namen PräfrontalerKortex, der einen Abgleich herstellt zwischendem, was wir tun, und dem, was wir tunsollten; das heißt, diese Region erkennt, wennirgendwo Widersprüche oder Fehlerauftreten. Beispielsweise löst sie Alarm aus,wenn Sie in der einen Hand einen Hamburger

halten und in der anderen ein Handy – und inIhr Handy beißen wollen. Dieser Alarm istnichts anderes als ein verstärktes elektrischesSignal.

Mit der Badekappe auf dem Kopf sahen dieVersuchspersonen erschütterndeFilmausschnitte von leidenden und sterbendenTieren. Die Hälfte der Teilnehmer sollte ihreGefühle unterdrücken und erlebte dadurch diebeschriebene Ego-Erschöpfung. Die andereHälfte erhielt keine Anweisungen. Dannnahmen die Probanden an einem zweitenVersuch teil, einem klassischen Stroop-Test(benannt nach dem Psychologen JamesStroop), in dem sie sagen müssen, in welcherFarbe eine Reihe von Buchstaben gedrucktist. Wenn Sie beispielsweise eine Reihe vonroten xxx sehen, lautet die Antwort »rot«. Dasklingt einfach. Aber wenn Sie plötzlich dasWort »grün« in roten Buchstaben vor sichhaben, ist eine zusätzliche Anstrengungerforderlich. Sie müssen den spontanenImpuls unterdrücken, das Wort »grün« zulesen, sondern sich dazu zwingen, die Farbeder Buchstaben zu erkennen und schließlich»rot« zu sagen. Viele Untersuchungen haben

gezeigt, dass diese gedankliche Operationmehr Zeit in Anspruch nimmt. Während desKalten Krieges verwendeten dieamerikanischen Geheimdienste den Stroop-Test, um Doppelagenten zu enttarnen: Werbehauptete, kein Russisch zu sprechen, durftebeim Anblick russischer Farbwörter nichtlänger brauchen.

In dem EEG-Experiment benötigtenVersuchspersonen, deren Willenskraft bereitsdurch andere Übungen ermüdet war, nocheinmal länger, um die Farbe richtig zubenennen, und sie machten mehr Fehler. DasEEG verriet erkennbar trägere Reaktionen inder für die Beobachtung von Konfliktenzuständigen Hirnregion: Bei Fehlern läutetendie Alarmglocken offenbar leiser. Die Ego-Erschöpfung verlangsamt den PräfrontalenKortex, der für die Selbstregulationentscheidend ist. Das Gehirn reagiertlangsamer, die Sensibilität für Fehlerschwindet, und wir haben Schwierigkeiten,unsere Reaktionen zu kontrollieren.Aufgaben, die wir sonst spielend erledigen,kosten uns mit einem Mal größere Mühe.

Dass die Ego-Erschöpfung die Aktivität der

neuronalen Schaltkreise verlangsamt, mag fürNeurologen interessant sein, aber für unsNormalsterbliche wäre es nützlicher sie zuerkennen, ohne uns selbst in den Kopfschauen zu müssen. Was sind ihre Symptome?Welche Warnsignale weisen darauf hin, dassIhr Gehirn gerade nicht auf Kontrolleeingestellt ist – und zwar bevor Sie mit IhremPartner streiten oder auf einen Rutsch eineFamilienpackung Erdbeereis verdrücken? Bisvor kurzem waren die Wissenschaftler indieser Frage mehr oder weniger ratlos. InDutzenden Untersuchungen29 begaben siesich auf die Suche nach verräterischenemotionalen Reaktionen und fanden entwedergar nichts oder nur widersprüchlicheErgebnisse. Die Ego-Erschöpfung führte nichtgleichmäßig zu Depression, Zorn oderUnzufriedenheit. Im Jahr 2010 verglich eininternationales Forscherteam mehr als 80Untersuchungen zu diesem Thema und kam zudem Schluss, dass die Auswirkungen der Ego-Erschöpfung auf das Verhalten verlässlichdeutlich und anhaltend eintraten, während dieAuswirkungen auf die Emotionen sich weitweniger deutlich zeigten. Im Zustand der Ego-

Erschöpfung gaben Menschen an, sichinsgesamt erschöpfter zu fühlen, undbeschrieben andere negative Emotionen, dochdie Unterschiede zum Normalzustand fielenweniger groß aus. Man konnte fast denEindruck bekommen, dass es sich bei der Ego-Erschöpfung um eine Krankheit ohneSymptome handelte, oder zumindest um einenZustand, den man nicht direkt »fühlte«.

In neuen Experimenten fanden Baumeisterund seine Kollegin Kathleen Vohs von derUniversity of Minnesota jedoch heraus, dasses dafür sehr wohl indirekte Anzeichen gibt.In ihren Versuchen wiesen die Teilnehmer imZustand der Ego-Erschöpfung einmal mehrkeine eindeutigen emotionalen Anzeichen auf,aber sie reagierten heftiger auf allemöglichen Dinge.30 Ein trauriger Film machtesie trauriger. Lustige Bilder machten siefröhlicher, verstörende Bilder ängstlicheroder zorniger. Eiskaltes Wasser fühlte sichkälter an. Nicht nur die Gefühle wurdenintensiver, sondern auch die Bedürfnisse.Nachdem sie ein Plätzchen gegessen hatten,verspürten sie ein größeres Bedürfnis, nocheines zu essen, und wenn sie die Möglichkeit

hatten, aßen sie mehr. Beim Anblick einesverpackten Geschenks verspürten sie einengrößeren Wunsch, es zu öffnen.

Wenn Sie nach einem Warnsignal suchen,dass Probleme in Anmarsch sind, dann gibt esalso nicht das eine Symptom. Vielmehrerleben Sie sämtliche Gefühle intensiver.Wenn Sie also besonders empfindlich auf einfrustrierendes Erlebnis reagieren, wenn Sievon unangenehmen Gedanken besondersberührt werden oder positive Nachrichtenungewöhnlich euphorisch aufnehmen, dannliegt das vielleicht daran, dass dieSchaltkreise Ihres Gehirns Ihre Emotionenvielleicht weniger gut im Griff haben als sonst.Intensive Gefühle können natürlich sehrangenehm sein, sie gehören zum Leben dazuund es geht auf keinen Fall darum, eineemotionale Monotonie herzustellen (es seidenn, Ihr Vorbild ist der kühle Vulkanier Dr.Spock aus der Fernsehserie RaumschiffEnterprise). Sie sollten sich nur bewusst sein,was diese Gefühle bedeuten können. Wenn IhrWiderstand geschwächt ist, könnten dieverbotenen Früchte plötzlich nochverlockender erscheinen. Die Ego-

Erschöpfung ist gleich ein doppelter Schlagins Kontor: Ihr Wille ist geschwächt und IhreGelüste sind stärker denn je.

Für Suchtkranke kann das beispielsweiseein echtes Problem darstellen.Wissenschaftler wissen schon lange, dass dasVerlangen nach der Droge während desEntzugs besonders groß ist. Seit kurzemwissen sie, dass in diesem Zustand auch allemöglichen anderen Gefühle intensiverwerden. In der Entzugsphase verwendenSuchtkranke so viel Willenskraft auf denKampf gegen die Abhängigkeit, dass sievermutlich auch unter einer anhaltenden Ego-Erschöpfung leiden und das Verlangen nachder Droge umso größer wird. Dazu kommt,dass auch andere Ereignisse ungewöhnlichstarke Wirkung zeigen, zusätzliches Leidverursachen und die Gier nach einerZigarette, einem Schluck Alkohol oder einerDroge verstärken. Kein Wunder, dass dieRückfallquote hoch ist und sich Suchtkrankeim Entzug nicht mehr wiedererkennen. Langebevor die Psychologen die Ego-Erschöpfungentdeckten, brachte der britische HumoristSir A.P. Herbert die widersprüchlichen

Symptome wunderbar auf den Punkt: »Gottsei Dank habe ich wieder mit dem Rauchenaufgehört! Mein Gott, was fühl ich mich fit!Ich könnte jemanden umbringen, aber ich binfit. Wie neu geboren. Aggressiv, launisch,deprimiert, gereizt, genervt, klar, aber dieLunge ist gut drauf.«31

Das Geheimnis derschmutzigen Socken

In den siebziger Jahren erforschte derPsychologe Daryl Bem, was gewissenhafteMenschen auszeichnete, und stellte dazu eineListe von Verhaltensweisen auf. Unteranderem nahm er an, dass es einenZusammenhang gab zwischen »gibt seineHausaufgaben rechtzeitig ab« und »trägtfrische Socken«, weil seiner Ansicht nachbeide auf ein gewisses Maß anGewissenhaftigkeit schließen ließen. Doch alser diesbezüglich Datenmaterial über seineStudenten an der University of Stanfordsammelte, stellte er zu seiner Überraschung

fest, dass ein starker umgekehrterZusammenhang bestand.

»Offenbar konnten die Studenten nurentweder ihre Hausaufgaben rechtzeitigabgeben oder täglich frische Sockenanziehen«, witzelte er. »Beides zusammenwar unmöglich.«32

Er verschwendete keinen weiterenGedanken auf das Phänomen, doch einigeJahrzehnte später fragten sich zweiPsychologen, ob hinter dem Witz vielleichtmehr steckte. Die beiden Australier MeganOaten und Ken Cheng33 überlegten, ob dieStudenten möglicherweise unter derselbenEgo-Erschöpfung gelitten haben könnten wiedie Teilnehmer des Radieschen-Experiments.Um das herauszufinden, führten sie im Laufedes Semesters mehrere Tests zurSelbstdisziplin ihrer Studenten durch. Wieangenommen, schnitten die Teilnehmer gegenEnde des Semesters immer schlechter ab, vorallem weil ihre Willenskraft in der Zeit vorden Abschlusstests und der Semesterarbeitenextrem geschwächt war. Aber dieseErschöpfung beschränkte sich nicht aufexotische Laborversuche. Als die Forscher sie

nach verschiedenen Aspekten ihresPrivatlebens befragten, stellten sie fest, dassBems Geschichte mit den schmutzigen Sockenkein Witz war. In der Examensphase schwanddie Selbstdisziplin der Studenten rapide, undmit ihr alle möglichen positivenVerhaltensweisen: Sie trieben keinen Sportmehr. Sie rauchten mehr. Sie tranken doppeltso viel Kaffee und Tee. Das zusätzlich Koffeinließe sich vielleicht noch als Lernhilfedeklarieren, aber wenn sie wirklich mehr Zeitüber den Büchern verbracht hätten, dannhätten sie eigentlich auch weniger Alkohol zusich nehmen müssen, aber das war nicht derFall. Sie gingen zwar während derExamensphase seltener auf Partys, doch bliebihr Alkoholkonsum unverändert. Sie gaben ihrgesundes Essverhalten auf und steigertenihren Junkfood-Konsum um 50 Prozent. Wasnicht daran lag, dass sie plötzlich zu demSchluss gekommen wären, Kartoffelchipsseien gut fürs Gehirn. Sie machten sicheinfach keine Gedanken mehr über ungesundeErnährung, während sie sich auf ihrePrüfungen konzentrierten. Bei einerNachricht auf ihrem Anrufbeantworter riefen

sie seltener zurück, sie wuschen nicht mehrab und wischten nicht mehr auf. Sie putztensich seltener die Zähne und vergaßen dieZahnseide. Sie duschten und rasierten sichnicht. Ach ja, und schmutzige Socken trugensie auch.

Man könnte zu dem Schluss kommen, dasses sich dabei lediglich um eine unbedeutende,möglicherweise etwas ungesundeVerschiebung der Prioritäten gehandelt habe.Vielleicht sparten sie sich ja die Zeit, um mehrbüffeln zu können. Aber auch das war nichtder Fall. Während der letzten Wochen desSemesters verbrachten die Studenten nacheigenen Angaben mehr Zeit mit Freundenstatt mit Lernen – genau das Gegenteildessen, was man als praktisch und vernünftigbezeichnen würde. Einige von ihnen gabensogar an, dass sie vor den Prüfungen wenigerlernten, was sicher nicht ihre Absicht war. Siewendeten vermutlich so viel Willenskraft auf,um sich zum Lernen zu zwingen, dass sie amEnde weniger lernten. Sie verschliefenhäufiger und tätigten mehr Spontankäufe. Sosinnlos eine Einkaufstour in derPrüfungsphase sein mag, die Studenten

verfügten über weniger Disziplin, ihrenKaufrausch zu zügeln. Außerdem waren sieschlechter gelaunt, reizbar und neigten zuZorn und Verzweiflung. Viele schoben ihrVerhalten auf den Prüfungsstress, weil vieleirrtümlich der Ansicht waren, Stressverursache diese Verhaltensweisen. InWirklichkeit schwächt er jedoch dieWillenskraft, und das wiederum beeinträchtigtunsere Fähigkeit, diese Emotionen zubeherrschen.

Die in der Einleitung beschriebeneBeeper-Studie, die Baumeister mit einigendeutschen Kollegen durchführte,demonstrierte die Auswirkungen der Ego-Erschöpfung vielleicht noch eindrucksvoller.Über die Aufzeichnungen der Teilnehmerkonnten die Wissenschaftler nachvollziehen,wie viel Willenskraft jene über den Taghinweg aufwendeten. Dabei machten sie eineinteressante Entdeckung: Je mehr dieTeilnehmer ihren Willen anstrengten, umsogrößer war die Wahrscheinlichkeit, dass sieder nächsten Versuchung erlagen, vor allemwenn diese kurz darauf erfolgte.

Wenn die Teilnehmer der Beeper-Studie

und die Studenten schließlich ihrenVersuchungen nachgaben, suchten sie dieSchuld vermutlich bei einerCharakterschwäche: »Ich besitze einfachnicht genug Willenskraft.« Aber zu einemfrüheren Zeitpunkt hatten sie doch dieWillenskraft besessen, einer ähnlichenVersuchung zu widerstehen! Was warpassiert? War sie wirklich gänzlichverschwunden? Kann sein. Aber es gibt nocheine weitere Möglichkeit, die Ergebnisse ausder Erforschung der Ego-Erschöpfung zuinterpretieren. Vielleicht verloren sie dieWillenskraft ja nicht einfach. Vielleichtsparten sie sich ihren Willen nur bewusst oderunbewusst auf. Das meint jedenfalls MarkMuraven34 , der als Baumeisters Assistent mitder Erforschung dieser Frage begann undheute an der State University of New York inAlbany lehrt und forscht. Er begann mit derüblichen Runde von Übungen, die den Willender Testpersonen schwächen sollen. Eingangsder zweiten Runde, in der ihre Ausdauerüberprüft werden sollte, wies er dieTeilnehmer darauf hin, dass es eine dritteRunde mit weiteren Aufgaben geben werde.

Daraufhin gaben sich die Teilnehmer in derzweiten Runde weniger Mühe. Bewusst oderunbewusst sparten sie sich ihre Energie fürdas große Finale auf.

Dann wandelte Muraven das Experimentein wenig ab. Vor Beginn des Ausdauertestsinformierte er die Teilnehmer, dass sie einenGeldpreis erhalten sollten, wenn sie ihreSache gut machten. Die Ankündigung wirkteWunder, und die Teilnehmer mobilisiertensofort ihre Reserven. Wer sie beobachtete,wäre nie auf den Gedanken gekommen, dassihre Willenskraft zuvor geschwächt wordenwar. Sie waren wie Marathonläufer, die nocheinmal einen Schub frischer Energie spüren,wenn sie um die Ecke biegen und plötzlich denPokal sehen, der hinter der Ziellinie auf siewartet.

Aber nehmen wir an, der Marathonläufererreicht den Pokal und erfährt plötzlich, dassdie eigentliche Ziellinie noch einen Kilometerentfernt ist. Genau das tat Muraven denTeilnehmern an, die in der zweiten Rundeeinen Preis gewonnen hatten. Nachdem siealles gegeben hatten, teilte er ihnen mit, dasssie noch nicht fertig seien und ein weiterer

Ausdauertest folgen würde. Da sie nichtvorgewarnt worden waren, hatten sie sichihre Energie nicht eingeteilt und lieferten nunmiserable Ergebnisse ab. Mehr noch, jebesser sie in der zweiten Runde gewesenwaren, umso schlechter schnitten sie nun inder dritten ab. Sie waren wie der enttäuschteMarathonläufer, der zu früh zum Schlussspurtansetzt und den letzten Kilometer ins Zielhumpelt, während alle anderen an ihmvorbeilaufen.

Lektionen aus dem Alltag

So rebellisch sich Amanda Palmer geben mag,in einer Hinsicht ist sie gutbürgerlich. Auf dieFrage nach ihrer Willenskraft meint sie, siehabe nie genug davon gehabt: »Ich bin keindisziplinierter Mensch.« Aber sie gibt gern zu,dass die sechs Jahre als lebende Statue ihreEntschlossenheit gestärkt haben.

»Das Straßentheater hat mir einestählerne Ausdauer gegeben«, sagt sie. »Inden Stunden auf der Kiste habe ich gelernt,

mich zu konzentrieren. Auf der Bühne zustehen bedeutet, sich an das Hier und Jetzt zuketten und dabeizubleiben. Wenn es umlangfristige strategische Planung geht, bin ichmiserabel, aber ich habe eine guteArbeitsmoral und bin jemand, der sich ganzauf eine Sache konzentriert. Wenn ich einProjekt nach dem anderen mache, dann kannich mich stundenlang konzentrieren.«

Das bestätigen auch Wissenschaftler, dieTausende Menschen im Labor und im Alltaguntersuchten. Die Experimente belegendurchgängig zweierlei:

1. Unsere Willenskraft hat Grenzen und wirdbei Benutzung geschwächt.

2. Wir benutzen dieselbe Willenskraft für allemöglichen Aufgaben.

Man könnte meinen, dass wir vielleicht einenVorrat für Arbeit haben, einen anderen fürSport und wieder einen anderen dafür, nett zuunserer Familie zu sein. Aber das Radieschen-Experiment zeigte, dass zwei vollkommenunterschiedliche Tätigkeiten – die Teilnehmermussten zuerst den Plätzchen widerstehen

und dann eine Denkaufgabe lösen – auf einund dieselbe Energiequelle zugriffen. DiesesPhänomen wurde wieder und wiedernachgewiesen. Wir benutzen dieselbeWillenskraft, um mit dem frustrierendenVerkehr, verlockenden Süßigkeiten, nervigenKollegen, unzufriedenen Chefs undquengelnden Kindern fertigzuwerden. WennSie mittags auf den Nachtisch verzichten,bringen Sie später vielleicht nicht mehr denWillen auf, die scheußliche Frisur Ihrer Chefinzu loben. Das Klischee vom Angestellten, dernach Hause kommt und seinen Hund tritt,passt zu den Experimenten der Ego-Erschöpfung, auch wenn Angestellteheutzutage tierlieb sind und ihren Frust eheran den menschlichen Familienmitgliedernauslassen.

Die Ego-Erschöpfung wirkt sich sogar aufden Herzschlag aus.35 Wenn sichTestpersonen mental beherrschen müssen,wird ihr Puls unregelmäßiger; Menschen, dievon Natur aus einen unregelmäßigen Pulshaben, scheinen dagegen mehr innere Energiezur Selbstdisziplin mitzubringen, da sie inAusdauertests in der Regel besser

abschneiden als Teilnehmer mitregelmäßigerem Puls. Andere Experimentehaben ergeben, dass Schmerzpatientendauerhaft weniger Willen aufbringen können,da der Versuch, den Schmerz zu ignorieren,ihre Willenskraft ermüdet.

Die Aufgaben, zu denen wir unseren Willeneinsetzen, lassen sich grob in vier Kategorieneinteilen.36 Da ist erstens die Kontrolleunserer Gedanken. Hier stehen wir oft voreinem aussichtslosen Kampf, egal ob Sieerfolglos versuchen, eine Sorge zuunterdrücken oder auch nur eine lästigeMelodie aus dem Ohr zu bekommen. Aber Siekönnen auch lernen, sich zu konzentrieren,vor allem wenn Sie die Motivation dazumitbringen. Viele Menschen sparen sich ihreWillenskraft auf, indem sie keine vollständigeAntwort suchen, und auch nicht die beste,sondern sich für eine vorgegebene Lösungentscheiden. Theologen und Gläubige filterndie Welt, damit diese mit ihren nichtverhandelbaren Glaubensgrundsätzen zurDeckung kommt. Die besten Verkäufer sinddiejenigen, die sich selbst betrügen. DieBankangestellten, die vor der Finanzkrise

Ramschhypotheken verkauften, redeten sichein, dass schon nichts passieren würde, wennsie Kredite an Menschen ohne Einkommenund ohne Sicherheiten vergaben. Und TigerWoods war überzeugt, dass schon niemanddie Seitensprünge eines der bekanntestenSportler der Welt bemerken würde.

Eine zweite Kategorie von Aufgabenunseres Willens ist die Kontrolle derEmotionen, die Psychologen alsAffektregulierung bezeichnen. Meistversuchen wir, schlechter Laune undunangenehmen Gedanken zu entkommen,aber manchmal müssen wir auch unsereFröhlichkeit unterdrücken (etwa bei einerBeerdigung oder wenn wir eine schlechteNachricht zu überbringen haben).Andererseits versuchen wir gelegentlich,Gefühle zu konservieren, zum Beispiel Ärger(um an der Beschwerdestelle in der richtigenStimmung aufzutreten). Die Kontrolle vonEmotionen ist schwierig, denn die wenigstenvon uns sind in der Lage, ihre Stimmung durcheinen Akt des Willens zu ändern. Sie habenzwar Einfluss auf Ihr Denken und Handeln,aber Sie können sich nicht dazu zwingen,

glücklich zu sein. Sie können ihreSchwiegereltern höflich behandeln, aber Siekönnen sich nicht dazu zwingen, sich übereinen monatelangen Besuch zu freuen. ZurAbwehr von Trauer und Zorn verwenden wiroft indirekte Strategien, etwa indem wir unsdurch andere Gedanken ablenken, insFitnessstudio gehen oder meditieren. Wirsehen fern, futtern Schokolade, gehen aufEinkaufstour oder betrinken uns.

Die dritte Kategorie wird oft alsImpulskontrolle bezeichnet und meint etwas,das die meisten Menschen mit Willenskraft inVerbindung bringen: die Fähigkeit,Versuchungen wie Alkohol, Tabak,Süßigkeiten und Kellnerinnen zu widerstehen.Genau genommen ist der BegriffImpulskontrolle jedoch irreführend, dennImpulse lassen sich nicht kontrollieren. Selbstein geradezu übernatürlich disziplinierterMensch wie Barack Obama kann nichtvermeiden, dass er gelegentlich den Impulsverspürt, sich eine Zigarette anzuzünden.Was er jedoch sehr wohl kontrollieren kann,ist seine Reaktion auf diesen Impuls: Ignorierter ihn, kaut er einen Kaugummi, oder geht er

kurz nach draußen, um eine zu rauchen?(Mitarbeiter des Weißen Hauses behaupten,er gebe dem Drang nur selten nach.)

Die vierte Kategorie schließlich wird vonPsychologen als Leistungskontrollebezeichnet: Wir konzentrieren uns auf dieanstehende Aufgabe, suchen nach derrichtigen Mischung aus Geschwindigkeit undKorrektheit, teilen uns die Zeit ein undanimieren uns zum Weitermachen, auch wennwir keine Lust mehr haben. Im weiterenVerlauf des Buches stellen wir IhnenTechniken vor, mit denen Sie Ihre Leistungwährend der Arbeit und zu Hause verbessernund Ihre Selbstdisziplin auch in den anderenBereichen – Ihren Gedanken, Emotionen undImpulsen – steigern können.

Ehe wir zu den konkreten Ratschlägenkommen, wollen wir Ihnen einen generellenHinweis geben, der auf den Untersuchungenzur Ego-Erschöpfung basiert. Es ist imGrunde nichts anderes als der Ansatz vonAmanda Palmer: Immer eins nach demanderen. Wenn Sie sich mehr als eine Sachevornehmen, die Sie besser machen wollen,dann gelingt Ihnen das vielleicht eine Weile

lang, weil Sie auf Kraftreservenzurückgreifen, aber damit erschöpfen Sie sichund machen später eher größere Fehler.

Wenn wir große Veränderungen inunserem Leben vornehmen, sabotieren wiruns oft, indem wir gleichzeitig auch nochweitere Veränderungen vornehmen wollen.Wenn Sie zum Beispiel mit dem Rauchenaufhören und gleichzeitig eine Diät machenund Ihren Alkoholkonsum reduzieren wollen,dann erreichen Sie mit allerWahrscheinlichkeit keines Ihrer drei Ziele,weil Sie Ihre Willenskraft hoffnungslosüberstrapazieren. Wer seinen Alkoholkonsumeinschränken will, dem fällt es an den Tagenam schwersten, an denen er seineWillenskraft anderweitig beansprucht.

Machen Sie vor allem keine Liste mitguten Vorsätzen fürs neue Jahr. Am 1. Januarstehen Millionen verkaterter Menschen mitdem Vorsatz auf, weniger zu essen, mehrSport zu treiben, weniger Geld auszugeben,mehr zu arbeiten, das Haus sauber zu haltenund auf wunderbare Weise auch noch mehrZeit für romantische Candlelight-Dinners undlange Spaziergänge am Strand zu haben. Am

1. Februar ist es ihnen dann peinlich, wenn sieauch nur an ihre Liste erinnert werden. Dochstatt die Schuld bei ihrer Willensschwäche zusuchen, sollten sie die Schuld da lassen, wo siehingehört: bei der Liste. Sie erfordert einenschier übermenschlichen Willen, und den hatniemand. Wenn Sie mehr Sport treibenwollen, versuchen Sie nicht gleichzeitig, IhreFinanzen zu sanieren. Wenn Sie Ihre Energiefür eine neue Arbeit benötigen – zum Beispielals Präsident der Vereinigten Staaten –, dannist das vielleicht nicht der richtige Moment,um mit dem Rauchen aufzuhören. Da unsereWillenskraft begrenzt ist, konkurrieren dieverschiedenen Vorsätze miteinander. Immerwenn Sie den einen umsetzen, haben Sie keineKraft mehr für die anderen.

Nehmen Sie sich lieber eine Sache vor undhalten Sie sich daran. Das reicht vollkommenaus, und vermutlich werden Sie oft das Gefühlhaben, dass selbst ein Vorsatz zu viel ist. Abervielleicht können Sie sich zum Durchhaltenmotivieren, wenn Sie an Amanda Palmerdenken, die reglos auf ihrer Kiste steht. Siehält sich zwar selbst nicht für einendisziplinierten Menschen, aber an den Tagen,

an denen sie von betrunkenen Pöblern undGrabschern umringt war, lernte sie eineinspirierende Lektion: »Der Mensch ist zuunglaublichen Dingen fähig. Du triffst dieEntscheidung, dass du dich nicht bewegst, unddann bewegst du dich einfach nicht.«

KAPITEL 2

DIE KRAFT DERWILLENSKRAFT

Ich kann nicht beurteilen, ob die Einnahme vonLebensmitteln mit Konservierungsstoffen oder hohemZuckergehalt die Persönlichkeit eines Menschen verändernoder aggressives Verhalten provozieren kann. Deshalb willich das hier auch gar nicht behaupten.Es gibt allerdings eine kleine Gruppe von Psychiatern, dieeinen Zusammenhang sieht.

Schlussplädoyer der Verteidigung im Prozess gegen den»Junkfood-Mörder«, Dan White37

Ich habe furchtbare PMS, ich glaube,ich bin einfach ein bisschen durchgedreht.

Melanie Griffith auf die Frage, warum sie die Scheidungeingereicht hatte, um sie sofort wieder zurückzuziehen38

Wenn die Willenskraft mehr als eineMetapher ist und hinter dieser Tugendtatsächlich eine Kraft steckt – woher stammtsie? Die Antwort ergab sich eher zufällig auseinem gescheiterten Experiment, welchesdurch Mardi Gras inspiriert wurde. MardiGras ist der Faschingsdienstag, der Tag vorAschermittwoch, an dem die Menschen nocheinmal ihren Gelüsten freien Lauf lassenkönnen, ehe die Fastenzeit beginnt. In einigenGegenden der Vereinigten Staaten ist der Tagals »Pfannkuchen-Tag« bekannt und beginntmit einem großen Frühstück, bei dem jeder soviele Pfannkuchen in sich hineinstopft, wie eressen kann. Bäcker der verschiedenenKulturen backen in der sogenannten fünftenJahreszeit besondere Leckereien, die sichzwar von einem Land zum anderenunterscheiden, aber vor allem aus gewaltigenMengen Zucker, Ei, Mehl, Butter und Schmalzbestehen. Doch die Völlerei ist erst derAnfang.

Von Venedig über New Orleans bis Rio deJaneiro gehen die Karnevalsnarren vomGebäck zu interessanteren Lastern über undlassen hinter den traditionellen Masken die

Zügel schießen. Es ist der einzige Tag desJahres, an dem Sie nur mit einem Hutbekleidet durch die Straßen gehen und sichvor einem betrunkenen Publikum stolz inIhrer ganzen Pracht und Herrlichkeitpräsentieren können. Der Verlust derSelbstbeherrschung wird zur Tugend.

In Mexiko werden verheiratete Männereinen Tag lang von ihren ehelichen Pflichtenentbunden. Am Faschingsdienstag sind selbststrenge Puritaner nachsichtig gestimmt; siefeiern Shrove Tuesday, den Tag derVergebung der Sünden.

Aus theologischer Sicht ist der Karnevaleine verwirrende Angelegenheit. Warumsollte der Klerus zum öffentlichen Lasterauffordern und dies pauschal vergeben?Warum sollte er geplante Sünden nachsehen?Warum sollte ein gütiger, gnädiger Gott soviele ohnehin schon übergewichtige Menschenauch noch dazu anhalten, sich mit fettigemGebäck vollzustopfen?

Aus psychologischer Sicht dagegen ist derKarneval schon eher verständlich: Wenn dieGläubigen vor Beginn der Fastenzeit sichnoch einmal entspannen, sammeln sie

vielleicht die Willenskraft, die notwendig ist,um die Wochen der Fastenzeit durchzustehen.Dennoch waren Wissenschaftler niebesonders begeistert von der Mardi-Gras-Theorie, zumindest nicht so begeistert wie diePfannkuchenesser mit ihren Pfauenfedern imHaar von ihren Pfannkuchen. Trotzdem schienes einen Versuch wert. Statt einesFaschingsfrühstücks rührte Baumeister inseinem Labor leckere Milchshakes mitFruchteis an und verteilte sie in der Pausezwischen zwei Experimenten anVersuchsteilnehmer. Eine Vergleichsgruppemusste in der Pause dagegen langweilige,vergilbte Zeitschriften lesen oder bekamalternativ ein fades, fettarmes Mixgetränkvorgesetzt, das die Teilnehmer sogar nochwiderlicher fanden als die Zeitschriften.

Wie von der Mardi-Gras-Theorievorhergesagt, schien der Milchshake dieWillenskraft der Teilnehmer aufzupäppeln undließ sie die nächste Aufgabe besser alserwartet erledigen. Die verwöhntenTeilnehmer wiesen mehr Selbstdisziplin aufals diejenigen, die bloß in den altenMagazinen blättern durften. So weit, so gut.

Aber interessanterweise zeigte das fadeMixgetränk dieselbe Wirkung wie der leckereMilchshake, was bedeutete, dass man sichnicht verwöhnen muss, um Willenskraft zuentwickeln. Die Mardi-Gras-Theorie schienalso doch nicht zu stimmen. Nicht nur, dassdie Wissenschaftler keine Entschuldigungmehr hatten, durch die Straßen von NewOrleans zu ziehen, war das Ergebnis fastschon peinlich. Als Matthew Gailliot, der dieUntersuchung leitete, seinem DoktorvaterBaumeister das Ergebnis vorstellte, konnte erihm gar nicht in die Augen sehen.

Baumeister gab sich optimistisch.Vielleicht war die Untersuchung ja doch nichtgescheitert. Irgendetwas war passiert, dennschließlich hatten beide Gruppen die Ego-Erschöpfung überwunden. Die Frage war nur,warum sogar die fade Medizin gewirkt hatte.Also suchten die Wissenschaftler nach eineranderen Erklärung für den Schub anSelbstdisziplin. Wenn es nicht die Lust war,waren es vielleicht die Kalorien?39

Zuerst schien der Gedanke absurd.Warum sollte die Einnahme eines fadenMixgetränks die Leistung bei einem

Laborexperiment steigern? Jahrzehntelanghatten Psychologen die Leistung bei geistigenAufgaben untersucht, ohne sich zu fragen, obsie durch ein Getränk beeinflusst werdenkönnte. In ihren Augen war das menschlicheGehirn nicht mehr als ein Computer, und siewollten beobachten, wie diese MaschineInformation verarbeitete. Bei dem Versuch,die menschlichen Schaltkreise zu erforschen,übersahen sie ein ganz entscheidendesBauteil des Apparats: den Stecker.

Ohne Energie sind die besten Schaltkreisenutzlos, im Computer genau wie im Gehirn.Psychologen brauchten jedoch eine Weile, umdarauf zu kommen, und diese Erkenntnisstammte nicht aus Computermodellen,sondern aus der Biologie. Die Transformationder Psychologie unter dem Einfluss derBiologie war eine der wichtigstenEntwicklungen Ende des 20. Jahrhunderts.Einige Wissenschaftler fanden heraus, dassunsere Persönlichkeit und unsere Intelligenzzum Teil von unseren Genen bestimmtwerden. Andere konnten zeigen, dass sichunser Sexualverhalten über dieEvolutionsgeschichte erklären lässt und

bestimmte Ähnlichkeit zum Sexualverhaltenvieler Tierarten aufweist.Neurowissenschaftler kartografierten dasGehirn. Andere Forscher stellten fest, wieHormone auf unser Verhalten wirken. Vonallen Seiten wurden Psychologen daranerinnert, dass der menschliche Geist in einemKörper steckt.

Aufgrund dieser neuen Gewichtung derBiologie zögerten die Psychologen, dasErgebnis aus dem Milchshake-Experimenteinfach zu verwerfen. Ehe sie ihr Mixgetränkin den Ausguss schütteten, warfen sie alsoeinen Blick auf die Liste der Inhaltsstoffe undhörten sich Geschichten wie die von JimTurner an.

Nahrung fürs Gehirn

Der Komiker Jim Turner hat in DutzendenKinofilmen und Fernsehserien mitgespielt.Aber seine dramatischste Darbietungreservierte er für seine Frau. Eines Nachtsträumte er, er sei dafür zuständig, alles

Unrecht in der Welt wiedergutzumachen. Eswar eine anstrengende Aufgabe, selbst imTraum, bis er die Teleportation entdeckte.Um an einen anderen Ort zu reisen, musste ersich nur vorstellen, dass er bereits da war,und schon war er tatsächlich dort angelangt.Er reiste in seine Heimatstadt in Iowa, nachNew York, nach Griechenland und sogar zumMond. Als er aufwachte, war er überzeugt,dass er noch immer so reisen konnte. Erversuchte, seine Frau davon zu überzeugen,und rief wieder und wieder: »Denk dicheinfach hin!«

Seine Frau hatte eine bessere Idee.Turner ist Diabetiker, also gab sie ihm einGlas Orangensaft. Er war noch soaufgekratzt, dass er sich einen Teil des Saftsins Gesicht schüttete, aufsprang und seineneuen Fähigkeiten demonstrierte, indem ereinen Rückwärtssalto aufs Bett hinlegte. Zuihrer Erleichterung tat der Fruchtsaft seineWirkung, und Turner beruhigte sich.Zumindest glaubte seine Frau, der Wahn habeein Ende. Aber der Saft hatte ihn keineswegsberuhigt. Im Gegenteil, er hatte ihm neueEnergie zugeführt.

Genauer gesagt wurde der Saft in Glukoseumgewandelt, einen einfachen Zucker, dender Körper aus allen möglichenNahrungsmitteln herstellt, nicht nur aussüßen. Die Glukose, die bei der Verdauungentsteht, gelangt in den Blutkreislauf und wirddurch den Körper gepumpt. Die Muskelnbenötigen große Mengen an Glukose, genauwie Herz und Leber. Auch das Immunsystemverarbeitet Glukose, aber nur sporadisch;solange Sie gesund sind, genügen ihm geringeMengen, aber wenn Sie mit einer Erkältungkämpfen, schlägt es zu und hat einenRiesenappetit darauf. Deshalb schlafenkranke Menschen mehr als gewöhnlich: DerKörper nutzt so viel Energie wie möglich zurBekämpfung der Krankheit, dass für Sport,Sex oder Streit wenig übrig bleibt. Selbst zumDenken reicht es nicht mehr, denn auch dieserProzess benötigt große Mengen Glukose. DerZucker gelangt allerdings nicht direkt insGehirn, sondern wird in Neurotransmitter, dieBotenstoffe der Gehirnzellen, umgewandelt.Wenn Sie plötzlich keine Neurotransmittermehr hätten, könnten Sie nicht mehr denken.

Auf den Zusammenhang zwischen Glukose

und Selbstdisziplin stießen Wissenschaftlerbei der Untersuchung von Hypoglykämie-Patienten, die zu niedrigen Blutzuckerwerteneigen. Die Forscher stellten fest, dass dieseMenschen mehr Schwierigkeiten haben alsandere, sich zu konzentrieren und beiProvokation ihre negativen Emotionen zuzügeln. Sie leiden insgesamt stärker unterAngst und sind weniger glücklich als derDurchschnitt. Unter Kriminellen undgewalttätigen Menschen ist die Hypoglykämieebenfalls verbreitet, weshalb kreativeAnwälte schon versucht haben,Unterzuckerung als Grund für dieUnzurechnungsfähigkeit ihrer Mandantenanzuführen.

Der bekannteste Fall war der Prozessgegen Dan White, der wegen Mordes an zweiPolitikern der Stadt San Francisco angeklagtwurde: Bürgermeister George Moscone undHarvey Milk, Stadtrat und wohl derbekannteste schwule Politiker der VereinigtenStaaten. Als ein psychiatrischer Gutachter derVerteidigung anführte, White habe in denMonaten vor den Morden große Mengen»Twinkies« und andere Süßigkeiten verzehrt,

machten sich Journalisten über seine»Twinkie-Verteidigung« lustig. DieVerteidigung führte jedoch nicht nur denplötzlichen Anstieg und Absturz seinerBlutzuckerwerte als Erklärung für die Mordean, sondern behauptete weiter, White leideunter schweren Depressionen. Als Beweis(nicht als Ursache) führte sie seinenübermäßigen Konsum von Junkfood an. AlsWhite mit einer relativ glimpflichen Strafedavonkam, meinte die Öffentlichkeit, dies seider Twinkie-Verteidigung zu verdanken, undwar verständlicherweise erbost.

Andere Verteidiger gingen tatsächlich soweit, die Blutzuckerprobleme ihrerMandanten als Grund für eine Strafminderunganzuführen. Wie man die moralischen Aspekteauch beurteilen mag, es gab in der Tatwissenschaftliche Untersuchungen, die einenZusammenhang zwischen niedrigenBlutzuckerwerten und kriminellem Verhaltenherstellten. Eine Studie stellte fest, dass 90Prozent aller frisch inhaftierten jugendlichenStraftäter unterdurchschnittlicheBlutzuckerwerte aufwiesen. AndereUntersuchungen kamen zu dem Ergebnis,

dass Menschen mit Hypoglykämie mitgrößerer Wahrscheinlichkeit eine Reihe vonDelikten begingen, angefangen von Verstößengegen die Straßenverkehrsordnung,Beleidigungen und Ladendiebstahl überZerstörung von fremden Eigentum,Exhibitionismus und Masturbation in derÖffentlichkeit bis hin zu Betrug,Brandstiftung, Vergewaltigung in der Ehe undKindesmissbrauch.

In einer bemerkenswerten Studieuntersuchten finnische Wissenschaftler dieGlukosetoleranz von Häftlingen, die kurz vorder Entlassung standen. Dann beobachtetensie, wer aus dieser Gruppe wieder straffälligwurde. Natürlich haben viele Faktoren einenEinfluss darauf, ob ein ehemaliger Knackiwieder Verbrechen begeht oder nicht:Gruppenzwang, Eheprobleme,Arbeitssituation, Drogenmissbrauch und soweiter. Aber allein nach Auswertung desGlukosetests konnten die Wissenschaftler mit80-prozentiger Wahrscheinlichkeitvorhersagen, wer rückfällig werden würdeund wer nicht. Aufgrund ihrerbeeinträchtigten Glukosetoleranz, die es dem

Körper erschwert, Nahrung in Energie zuverwandeln, verfügten diese Männer offenbarüber ein geringeres Maß an Selbstdisziplin.40Die Nahrung wird in Glukose umgewandeltund gelangt ins Blut, doch dort wird sie nichtvon den Organen aufgenommen. Das heißt,diese Menschen haben einen Überschuss vonZucker im Blut, was ungefähr so ist, als hättensie jede Menge Feuerholz, aber keineStreichhölzer. Der Zucker zirkuliertungenutzt durch den Körper und wird nicht inHirn- und Muskelaktivität umgewandelt.Erreicht dieser überschüssige Zucker einbestimmtes Niveau, spricht man vonDiabetes.

Natürlich sind die meisten Diabetiker nichtkriminell, sondern haben sich und ihrenBlutzuckerspiegel unter Kontrolle, indem sieauf sich achten und wenn nötig Insulinspritzen. Genau wie Jim Turner können sie sodie schwierigsten Aufgaben meistern. Aberwenn sie sich nicht sorgfältig beobachten,können sich ungewöhnliche Problemeergeben. In Persönlichkeitstests habenWissenschaftler beispielsweise festgestellt,dass Diabetiker impulsiver reagieren und ein

aufbrausenderes Temperament haben alsandere Leute ihres Alters. Bei zeitintensivenAufgaben lassen sie sich leichter ablenken.Häufiger haben sie Probleme mitAlkoholmissbrauch, Angst und Depression. InKrankenhäusern und anderen Einrichtungenmachen Diabetiker mehr Ärger als anderePatienten. Im Alltag reagieren sie aggressiverin Stresssituationen. Der Umgang mitBelastungen erfordert Selbstbeherrschung,und genau daran hapert es, wenn der Körperdas Gehirn nicht ausreichend mit Brennstoffversorgt.

Jim Turner hat seine ganz eigene Art, mitdem Problem umzugehen: seine Ein-Mann-Show mit dem Titel »Diabetes: Mein Kampfmit Jim Turner«41 . In einer Anekdote erinnerter sich zum Beispiel an einen Streit mitseinem pubertierenden Sohn, in dessenVerlauf er, der vermeintlich erwachsene,derart wütend wurde, dass er nach draußenrannte und die Tür seines Wagens eintrat. »Esgibt Momente, in denen mein Sohn sieht, dassich die Sache nicht im Griff habe, in denen ermir ein Glas Saft einflößt, und in denen erAngst hat, weil ich einfach nicht da bin.«

Als Entschuldigung für die Delle in derAutotür führt Turner keine Twinkie-Verteidigung ins Feld und zergeht auch nichtvor Selbstmitleid. In der Regel habe er denDiabetes unter Kontrolle, und er habe ihnnicht daran gehindert, glücklich zu sein undseine Träume zu verwirklichen (abgesehenvon der Teleportation). Trotzdem erkenntTurner die emotionalen Konsequenzen derGlukose. »Da gibt es so viele kleine Momente,die ich verpasst habe, in denen ich zumBeispiel nicht für meinen Sohn da war, weilich gerade mit der Unterzuckerung zukämpfen hatte und nicht mitbekommen habe,was eigentlich los war. Das ist das Schlimmstean der Krankheit.«

Aber was genau passiert in diesenMomenten mit Turner? Die einzelnenAnekdoten lassen genauso wenig einendefinitiven Schluss zu wie die ausführlichenUntersuchungen, die zeigen, dass sichDiabetiker weniger gut im Griff haben alsandere Menschen. Ein Zusammenhang istnoch lange keine Ursache. In denSozialwissenschaften sind wirklich eindeutigeSchlussfolgerungen nur dann zulässig, wenn

alle anderen Erklärungen ausgeschlossenwerden können. Einige Menschen kommenzufrieden ins Labor, andere aggressiv, wiederandere sind besorgt und mit ihren Gedankenwoanders. Die Wissenschaftler könnenunmöglich sicherstellen, dass diedurchschnittlichen Versuchsteilnehmer inverschiedenen Experimenten sich gleichverhalten – sie können sich lediglich auf dieGesetze der Statistik verlassen. Wenn sie ihreVersuchspersonen nach dem Zufallsprinzip aufBehandlungs- und Kontrollgruppen verteilen,gleichen sich die Unterschiede aus.

Wenn Sie beispielsweise untersuchenwollen, wie sich der Blutzuckerspiegel auf dieAggression auswirkt, müssen Sieeinkalkulieren, dass einige Menschen vonNatur aus mehr oder weniger friedlich sindals andere. Um zu zeigen, dass Glukose fürdie Aggression verantwortlich ist, müssenungefähr gleich viele aggressiveTestteilnehmer in der Glukose- wie in derKontrollgruppe sein. Die Verteilung nach demZufallsprinzip ist in der Regel eine guteLösung. Mit Hilfe dieser repräsentativenGruppen können Sie erkennen, wie die

unterschiedlichen Experimente anschlagen.Nach diesem Prinzip führten

beispielsweise Ernährungswissenschaftlerihre Versuche an Grundschulen durch. DieKinder einer Schulklasse sollten dasFrühstück zu Hause ausfallen lassen. Als siein der Schule ankamen, erhielt die Hälfte, dienach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurde,ein ordentliches Frühstück, die andere Hälftenicht. In den ersten Unterrichtsstundenlernten die Kinder, die gefrühstückt hatten,besser und verhielten sich unauffälliger (dieBeobachtung wurde von Wissenschaftlernvorgenommen, die nicht wussten, welcheKinder leere Mägen hatten). In der Pausebekamen die Kinder ein gesundes Pausenbrot,und die Unterschiede verschwanden.

Dass Glukose tatsächlich die magischeZutat ist, wurde in anderen Experimentennachgewiesen, in denen der Blutzuckerspiegelvon Testpersonen vor und nach einereinfachen Aufgabe gemessen wurde. ZumBeispiel sollten sie sich ein Video ansehen, indem am unteren Bildrand immer wiederWörter eingeblendet wurden. Ein Teil derVersuchspersonen wurde aufgefordert, die

Wörter zu ignorieren, ein anderer erhieltkeine Anweisungen und sollte sich nurentspannt das Video ansehen. Danach wurdendie Werte erneut gemessen. Bei denentspannten Zuschauern waren sie gleichgeblieben, aber bei denjenigen, die versuchthatten, die eingeblendeten Wörter zuignorieren, war der Wert deutlich gesunken.Eine scheinbar kleine Übung zurSelbstdisziplin bewirkte einen spürbarenRückgang der Hirnnahrung Glukose.

Um Ursache und Wirkungauseinanderhalten zu können, versuchten dieWissenschaftler, das Gehirn zwischendurchaufzutanken, und gaben den TestpersonenLimonade, die entweder mit Zucker oder mitSüßstoff gesüßt war. Der starkeZitronengeschmack machte es denTeilnehmern unmöglich zu erkennen, welchesSüßungsmittel ihr Getränk enthielt. DerZucker gab ihnen einen kurzen Energieschub,der Süßstoff lieferte keine Glukose und auchsonst keine Nährstoffe.

Die Auswirkungen des Zuckers zeigtensich in der Aggression, die Versuchspersonenbei einem Videospiel an den Tag legten.

Zunächst verlief das Spiel normal, doch nachwenigen Runden erreichte es eine unlösbareSchwierigkeitsstufe. Alle Beteiligtenreagierten frustriert, doch diejenigen, die dasgezuckerte Getränk zu sich genommenhatten, murrten leise und spielten weiter. Dieanderen begannen zu fluchen und schlugenauf den Computer ein.42 Als sich dieVersuchsleiter, wie im Testdrehbuchvorgesehen, über die Leistung der Probandenlustig machten, reagierten die unterzuckertenTeilnehmer ungehaltener.

Wo keine Glukose ist, das ist auch keinWille. Dieses Muster zeigte sich immerwieder und in unterschiedlichsten Situationen.Sogar Hunde wurden untersucht.43Selbstbeherrschung ist zwar eine typischmenschliche Eigenschaft, die wir entwickelthaben, während wir zu zivilisierten Tierenwurden, doch sie ist keineswegs auf denMenschen beschränkt. Auch andere inGruppen lebende Tiere benötigen eingewisses Maß an Selbstdisziplin, wenn siemiteinander auskommen wollen. Und Hunde,die mit Menschen zusammenleben, müssensich an Regeln halten, die ihnen aus

Hundesicht vermutlich albern und willkürlichvorkommen, etwa das Verbot, den Schritt der(menschlichen) Gäste zu beschnüffeln.

Analog zu den Experimenten mitMenschen ermüdeten die Wissenschaftlerzunächst die Willenskraft der Versuchshunde,indem sie sie zehn Minuten lang auf »Sitz!«und »Platz!« hören ließen. EineKontrollgruppe blieb einfach zehn Minutenlang in einem Käfig und musste keinerleiSelbstbeherrschung zeigen. Dann bekamenalle Hunde ein vertrautes Spielzeug, in demein Stückchen Wurst versteckt war. In derVergangenheit hatten alle Hunde mit diesemSpielzeug gespielt und die Belohnungerfolgreich herausgefischt, doch imExperiment war das Spielzeug manipuliert,sodass die Hunde nicht mehr an die Wurstherankamen. Die Kontrollgruppe mühte sichmehrere Minuten lang ab, doch die Hunde, dievorher auf die Befehle hatten hören müssen,gaben schon nach weniger als einer Minuteauf. Es war die bekannte Ego-Erschöpfung.Aber auch bei Hunden wirkte die Medizin. Ineiner zweiten Untersuchung erhielten dieHunde unterschiedliche Getränke, und die

gezuckerten Getränke stellten dieWillenskraft der Tiere wieder her. Derartgestärkt mühten sie sich nun genauso langemit dem Spielzeug ab wie die Hunde, die imKäfig gesessen hatten. Die mit Süßstoffgesüßte Flüssigkeit zeigte, wie erwartet,keine Wirkung.

Trotz allem war die wachsende Gemeindeder Hirnforscher noch nicht vollends von demGlukose-Zusammenhang überzeugt. Skeptikerwiesen darauf hin, dass der Energieverbrauchdes Gehirns unabhängig von der Tätigkeitmehr oder minder konstant bleibt, was nichtmit der Vorstellung des Energiemangelszusammenzupassen schien. Einer derSkeptiker war Todd Heatherton, der frühermit Baumeister zusammengearbeitet hatteund inzwischen am Dartmouth Collegeunterrichtete; dort war er ein Pionier dersozialen Neurowissenschaften, einer neuenWissenschaft, die sich mit der Beziehung vonGehirnprozessen und Sozialverhaltenbeschäftigt. Er war überzeugt, dass die Ego-Erschöpfung existierte, aber er glaubte nicht,dass sie mit der Glukose zusammenhing.

Zur Überprüfung der Theorie entwickelte

Heatherton einen ambitionierten Test. Er undseine Kollegen suchten Menschen, die geradeeine Diät machten, und maßen ihreReaktionen auf Bilder von Essen. Dannzeigten sie den Teilnehmern ein komischesVideo und untersagten ihnen das Lachen, umihr Ego zu ermüden. Schließlich führten sieihnen ein weiteres Mal Bilder vonLebensmitteln vor und maßen die Reaktionenihres Gehirns (eine Kontrollgruppe bekamLandschaftsaufnahmen zu sehen). FrühereUntersuchungen von Heatherton und KateDemos hatten gezeigt, dass diese BilderReaktionen in verschiedenen Hirnregionenauslösen, unter anderem im Nucleusaccumbens und in der Amygdala. DieseReaktionen traten wieder auf. Bei denTeilnehmern, die Diät hielten, sorgte die Ego-Erschöpfung für gesteigerte Aktivität imNucleus accumbens und eine entsprechendeAbnahme in der Amygdala. Das entscheidendNeue an diesem Experiment war eineManipulation des Blutzuckerspiegels. EinigeTeilnehmer erhielten ein zuckerhaltigesGetränk, das Glukose ins Blut und indirektvermutlich auch ins Gehirn beförderte.

In einem wegweisenden Vortragverkündete Heatherton44 die Ergebnisse desVersuchs vor der Society for Personality andSocial Psychology, der weltgrößtenOrganisation von Sozialpsychologen, derenVorsitz er damals innehatte. In seinerBegrüßungsansprache bei derJahresversammlung 2011 in San Antonioberichtete er, dass Glukose die Erschöpfungdes Gehirns tatsächlich aufhob, und gestand,dass ihn dieses Ergebnis sehr verblüfft hatte.(Baumeister, der im Publikum saß, erinnertesich, wie erstaunt er selbst gewesen war, alsin seinem Labor die Beziehung zur Glukosehergestellt worden war.) HeathertonsErgebnisse betätigten, dass die Glukose einentscheidender Baustein der Willenskraft ist.Aber mehr noch, sie lösten das Rätsel, warumsich der Energieverbrauch des Gehirnsinsgesamt nicht veränderte. Offenbarverlagert sich bei der Ego-Erschöpfung dieAktivität des Gehirns von einem Teil auf einenanderen. Ihr Gehirn stellt nicht einfach denBetrieb ein, weil der Zuckerspiegel sinkt.Stattdessen unterlässt es bestimmteTätigkeiten und nimmt andere auf. Das könnte

auch erklären, warum wir manche Dingeintensiver wahrnehmen, wenn unser Egoerschöpft ist: Bestimmte Teile des Gehirnsscheinen zu beschleunigen, während andereihre Aktivität herunterfahren.

Wenn der Körper zur SelbstdisziplinGlukose verbraucht, bedeutet das dann, dasser Hunger nach Süßem bekommt? DieAntwort ist Ja – und das ist die schlechteNachricht für all diejenigen, die ihreSelbstdisziplin mobilisieren wollen, um ihrenKonsum von Süßigkeiten einzuschränken. Jemehr wir uns im Alltag beherrschen müssen,desto größer wird unser Appetit nach Süßem.Nicht nach Essen ganz allgemein, sondernnach Zucker. Versuchsteilnehmer, die aneiner Übung zur Ego-Erschöpfungteilgenommen haben, greifen danach eher zusüßen als zu salzigen Häppchen. Selbst wernur erwartet, sich in Kürze beherrschen zumüssen, scheint Hunger auf Süßes zubekommen.45

Die Ergebnisse dieser Untersuchungensind allerdings keine Entschuldigung, sich(oder seine Haustiere) mit Süßigkeitenvollzustopfen. Der Körper verlangt zwar nach

Süßem, weil das sein Energiebedürfnis amschnellsten befriedigt, doch zuckerarme,proteinhaltige und andere nahrhafteLebensmittel erfüllen denselben Zweck (wennauch etwas langsamer). Aus dem Glukose-Effekt lassen sich jedoch einige nützlicheTechniken zur Selbstbeherrschung ableiten.Außerdem beantwortet er eine Frage, dielange ein Rätsel darstellte: Warum habenFrauen an bestimmten Tagen des Monatseinen Heißhunger nach Süßigkeiten?

Vom Teufel geritten

Was auch immer Sie von Jennifer LoveHewitts46 schauspielerischen Fähigkeitenhalten mögen, Sie müssen zugeben, sie hattein Shortcut to Happiness einen sehroriginellen Auftritt. Nicht genug, dass sie ander Seite der Altstars Anthony Hopkins undAlec Baldwin spielte, was einerJungschauspielerin allein schon die Knieschlottern lassen kann, sie schlüpfteaußerdem noch in die Rolle des Teufels. Wenn

Schauspieler, wie Theaterlehrer verlangen,»ihren Charakter ausfüllen« sollen, dannbietet die Rolle des Teufels sicher größereSchwierigkeiten als beispielsweise die einerPolizistin. Sie können keine Feldforschunganstellen und mit dem Teufel imStreifenwagen durch die Stadt fahren. Aberbei ihrer Vorbereitung auf ihre Rolle fandHewitt eine andere Möglichkeit.

»Ich beobachtete, wie ich mich verhielt,wenn ich PMS hatte«, sagte sie. »Darauf habeich meine Rolle des Satans aufgebaut.«

Wenn Sie das für eine sehr finstere Sichtdes prämenstruellen Syndroms halten, dannsollten Sie einmal PMSCentral.com undandere Websites aufsuchen, auf denen FrauenRatschläge und Witze zum Themaaustauschen. Dort finden Sie Geschichten wiediese:

PMS ruiniert einen guten Teil meinesLebens. Ich habe geschwollene Augen, kannnicht klar denken, treffe die falschenEntscheidungen, habe hässliche emotionaleAusbrüche und eine irrationale Art zu denken,gebe zu viel Geld aus, kaufe Dinge, nur um siewieder umzutauschen, kündige meine Arbeit,

bin müde, genervt, weine, bin extremsensibel, habe Schmerzen am ganzen Körper,starre vor mich hin und habe das Gefühl, dassich nicht da bin.47

PMS wurde für alles verantwortlichgemacht, von Schokoladenorgien bis Mord.Als CSI-Star Marg Helgenberger bei einemGala-Dinner mit einer sonderbaren Haarfarbegesichtet wurde, erklärte sie: »Der Ton heißtPMS-Pink.48 Ich war gestern total auf PMS.Ich war verrückt! Keine Ahnung, was ich mirdabei gedacht habe.« Auch Melanie Griffithbenutzte das Wort »verrückt«, um denZustand vor Beginn der Menstruation zubeschreiben, in dem sie erst ihre Scheidungeinreichte, nur um es sich sofort anders zuüberlegen. Wieder und wieder berichtenFrauen, wie sie von befremdlichen Regungenbefallen werden.

Auch Wissenschaftler interessierten sichfür diese geheimnisvollenStimmungsumschwünge. Aus Sicht derEvolutionspsychologen ist es für eine Frau imbesten gebärfähigen Alter eigentlichkontraproduktiv, wenn sie nicht mit denMenschen in ihrer Umgebung auskommt. Ist

Mitgefühl nicht eine entscheidende Fähigkeitbei der Kindererziehung? Wäre es nichtbesser, eine gute Beziehung zum Partneraufrechtzuerhalten, der schließlich denNachwuchs ernähren soll? EinigeWissenschaftler wiesen darauf hin, dass dieFrauen nur dann in die prämenstruelle Phaseihres Zyklus eintreten, wenn sie während desEisprungs nicht geschwängert wurden undspekulierten, ob die natürliche AusleseFrauen bevorzugt haben könnte, diekratzbürstig auf unfruchtbare Männernreagierten und sie auf diese Weise loswurden,um sich einen Neuen zu suchen. Aber es istvollkommen unklar, ob es sich dabeitatsächlich um einen evolutionären Vorteilhandelte und ob dieser Druck in derafrikanischen Savanne wirklich wirksam war.Unter den Jägern und Sammlern war PMSvermutlich weniger ein Problem, da Frauendie meiste Zeit über entweder schwangerwaren oder stillten.

Wie dem auch sei, inzwischen gibt es einesolide physiologische Erklärung für dasprämenstruelle Syndrom,49 die nichts mitbefremdlichen Impulsen zu tun hat. Kurz vor

der Menstruation, während der sogenanntenLutealphase, lenkt der Körper der Frau großeMengen Energie in die Eierstöcke und in dieProduktion weiblicher Hormone. Je mehrEnergie und Glukose jedoch in dasReproduktionssystem umgeleitet werden,umso weniger bleibt für den Rest desKörpers, der mit einem gesteigertenVerlangen nach mehr Treibstoff reagiert.Schokolade und andere Süßigkeiten sindbesonders attraktiv, weil sie dem Körpersofort Glukose zuführen, aber im Grunde hilftjede Form von Nahrung, weshalb Frauen dazuneigen, während dieser Phase mehr zu essen.Eine Untersuchung fand heraus, dass Frauenin dieser Zeit beim Mittagessendurchschnittlich 810 Kilokalorien zu sichnehmen, also rund 170 mehr als im restlichenMonat.

Trotzdem bekommen viele Frauen nochimmer nicht genug Kalorien. Diefigurbewusste Frau von heute nimmt nichtgenug zusätzliche Nahrung zu sich, umwährend dieser Tage ihren gesteigertenGlukosebedarf zu decken. Aber wenn nichtgenug Energie vorhanden ist, muss der

Körper rationieren, und da derReproduktionsapparat Vorrang hat, bleibtweniger für die Willenskraft übrig.Normalerweise haben sich Frauen besser imGriff als Männer, doch in der Lutealphasestehen sie vor größeren Problemen, sich zubeherrschen.

In dieser Zeit geben Frauen mehr Geld ausund tätigen mehr Spontankäufe als sonst. Sierauchen und trinken mehr, und zwar nichtnur, weil ihnen Zigaretten und Alkohol besserschmecken. Vor allem Frauen mitAlkoholproblemen oder mit einer Geschichtedes Alkoholmissbrauchs in der Familieschenken sich ein paar Gläser mehr ein. Inder Lutealphase trinken Frauen eher einenüber den Durst, schnupfen Kokain odernehmen andere Drogen. PMS führt nicht zuspezifischen Verhaltensproblemen; vielmehrscheinen Frauen insgesamt unbeherrschter,weshalb sich alle möglichen Problemeverstärken.

Eine Droge, deren Konsum nichtgesteigert wird, ist bezeichnenderweiseMarihuana. Anders als Kokain oder Opiateversetzt Marihuana nicht in

Euphoriezustände. Es verstärkt lediglichbereits vorhandene Gefühle. Wenn PMS ansich schon schlimm genug ist, dann ist eineDroge, die dieses Gefühl auch noch verstärkt,nicht sonderlich attraktiv. Außerdemverursacht Marihuana nicht dasselbeVerlangen wie Nikotin, Alkohol, Kokain undandere Drogen, weshalb Marihuana-Konsumenten beim Verlust derSelbstbeherrschung nicht unbedingt anfälligerfür die Versuchung werden.

Wissenschaftler haben festgestellt, dassFrauen, die zu PMS neigen, doppelt so häufigam Arbeitsplatz fehlen wie Frauen ohne PMS.Grund dafür sind zum einen natürlich dieSchmerzen, die mit PMS einhergehen, abereinige Frauen machen auch einfach blau, weilsie in dieser Zeit über weniger Selbstdisziplinverfügen. Es ist schwieriger, sich an dieSpielregeln zu halten, wenn der Körperunterzuckert ist. In Frauengefängnissenbrechen die Insassen in der Lutealphase mehrRegeln. Aggression und Gewalttaten – legalewie illegale – erreichen bei Frauen, die unterPMS leiden, an diesen Tagen ihrenHöhepunkt. Frauen werden zwar selten

gewalttätig, aber viele berichten überStimmungsschwankungen in dieser Phase. Siereagieren häufiger mit Gefühlsausbrüchenund leiden stärker. Sie führen mehrAuseinandersetzungen mit ihren Partnern undKollegen. Insgesamt werden sie wenigergesellig und meiden andere Menschen, was ansich keine schlechte Idee ist, wenn sie denKonflikten aus dem Weg gehen wollen, diesich in Interaktionen ergeben könnten.

Nach der herkömmlichen Erklärung ist dieLutealphase direkt für die negativenEmotionen verantwortlich, doch dieseErklärung passt nicht zu den Daten. Frauensind nicht in gleichem Maße von negativenEmotionen betroffen. Als Amanda Palmer alslebende Statue am Harvard Square stand,stellte sie fest, dass PMS ihre Selbstdisziplinbeeinträchtigte, weil es positive und negativeEmotionen verursachte.

»Ich bin insgesamt sensibler und weineöfter, wenn ich PMS habe. Wenn ich auf derKiste gestanden habe und irgendetwasEmotionales passiert ist, hat das sofort aufmich gewirkt«, erinnert sie sich. »Es hatschon gereicht, dass niemand

vorbeigekommen ist und mich zehn Minutenlang angestarrt hat. Plötzlich hatte ich dasGefühl, dass die Welt einsam und kalt ist undmich niemand lieb hat. Das andere Extremwar ein 95-jähriger Mann, der langsam aufmich zugehumpelt kam, fünf Minutengebraucht hat, um einen Fünf-Dollar-Scheinaus seinem Geldbeutel zu ziehen und in meinKörbchen zu legen, und mich dann mit seinenweisen Augen angeschaut hat. Ich war völligaufgelöst und habe versucht, so viel Liebe wiemöglich zu übertragen, ohne zu sprechen odermich zu bewegen.«

Die Beschreibung ist typisch für das, wasviele Frauen in der Lutealphase durchmachen:Sie erleben ein Wechselbad der Gefühle undreagieren heftig auf bestimmte Ereignisse.Auch wenn sie sich vornehmen, sich nicht zuärgern, regen sie sich unwillkürlich selbstüber Kleinigkeiten auf. Sie sind sich natürlichnicht darüber bewusst, dass ihr Körperplötzlich der Selbstdisziplin dieTreibstoffzufuhr gekappt hat, und sindüberrascht, dass sie sich weniger im Griffhaben als sonst.

Viele Frauen empfinden den Alltag als

belastender; in der Lutealphase beschreibensie mehr negative und weniger positiveEreignisse. Die Welt bleibt natürlich dieselbe,nur haben die Frauen das Gefühl, schlechtermit ihr fertig zu werden. Wenn PMS dieemotionale Kontrolle schwächt, erscheintihnen dasselbe Missgeschick sehr vielschrecklicher. Dieselbe Aufgabe amArbeitsplatz wird anstrengender, wenn sieüber weniger Energie verfügen, sich auf siezu konzentrieren. Unter streng kontrolliertenLaborbedingungen zeigten Frauen in derLutealphase schlechtere Leistung als zuanderen Zeiten des Menstrualzyklus – undzwar alle, nicht nur Frauen, denen PMS zuschaffen machte. Ob sie prämenstruelleSymptome hatten oder nicht, ihr Körper littunter Glukosemangel.

Wir wollen das Problem nicht übertreiben,denn die meisten Frauen kommen zu Hauseund an ihrem Arbeitsplatz sehr gut damitzurecht, und wir wollen keinesfalls behaupten,Frauen besäßen weniger Willenskraft alsMänner. Im Gegenteil, Frauen haben generellweniger Probleme mit der Selbstdisziplin alsMänner: Sie begehen weniger

Gewaltverbrechen und werden selteneralkohol- oder drogenabhängig. DieSelbstdisziplin ist einer der Gründe, weshalbMädchen in der Schule bessere Notenbekommen als Jungen. Es geht lediglichdarum zu zeigen, dass die Selbstdisziplin mitden Rhythmen des Körpers und denSchwankungen der Energieversorgungzusammenhängt. Eine Frau mit derSelbstdisziplin einer Heiligen könnte in derLutealphase ein bisschen weniger heilig sein.Genau wie Hypoglykämie und Diabetesdemonstriert PMS, was passiert, wenn derKörper nicht genug Glukose bekommt. Undjeder von uns, Männer und Frauen, Diabetikerund Nicht-Diabetiker, hat gelegentlich nichtgenug Glukose im Blut. Jeder von uns erliegtirgendwann Frustrationen und Ärger, jedersteht manchmal vor scheinbar unlösbarenProblemen und wird von Impulsenheimgesucht, die sich fremd, wenn nichtteuflisch anfühlen können.

Üblicherweise hat das Problem mit unsselbst zu tun. Die Welt ist nicht plötzlich kaltund grausam geworden. Es ist nicht derTeufel, der uns mit finsteren Versuchungen

quält. Wir sind einfach weniger gut in derLage, mit unseren alltäglichen Impulsen undProblemen umzugehen. Die Provokation kanndurchaus real sein – vielleicht haben Sie jaguten Grund, wütend auf Ihren Chef zu seinoder Scheidungswünsche zu hegen (MelanieGriffith ließ sich später doch noch von DonJohnson scheiden). Aber Sie werden dieseProbleme erst lösen, wenn sie Ihre Emotionenim Griff haben, und das beginnt damit, dassSie Ihr Glukoseproblem in den Griffbekommen.

Durch Essen zu einemstarken Willen

Da wir nun wissen, welche Probleme durchGlukosemangel hervorgerufen werden,können wir nach Lösungen suchen und unserfreulicheren Themen zuwenden, zumBeispiel gutem Essen und einemMittagsschläfchen. Auf den nächsten Seitenhaben wir einige Strategien für Siezusammengestellt, mit denen Sie den Glukose-

Effekt für sich nutzen können:

Füttern Sie die Disziplin

Nicht den Teufel, sondern Ihre Dämonen oderdie der Menschen in Ihrer Umgebung.Glukosemangel kann selbst dencharmantesten Partner und dieliebenswerteste Partnerin in einunausstehliches Monster verwandeln. Deraltbekannte Rat, mit einem ordentlichenFrühstück zu beginnen, gilt im Grunde nichtnur morgens, sondern den ganzen Tag über,vor allem wenn Sie körperlich oder geistiggefordert sind. Wenn Sie eine Prüfung, einewichtige Besprechung oder einentscheidendes Projekt vor sich haben, dannsollten Sie es nicht ohne Glukose angehen.Vermeiden Sie es tunlichst, vier Stunden nachdem Mittagessen mit Ihrem Chef zu streiten.Diskutieren Sie ernste Probleme mit IhremPartner nicht vor dem Essen. Wenn Sie eineromantische Italienrundfahrt unternehmen,fahren Sie nicht um 19 Uhr in eineverwinkelte Altstadt und suchen mit leeremMagen nach dem Hotel: Ihr Auto mag das

gepflasterte Labyrinth überstehen, aber IhreBeziehung vielleicht nicht.

Vor allem sparen Sie nicht an Kalorien,wenn Sie mit ernsteren Problemen als IhremÜbergewicht zu kämpfen haben. Wenn Sie mitdem Rauchen aufhören wollen, versuchen Siedas nicht, während Sie gleichzeitig eine Diätmachen. Vielleicht sollten Sie sogar lieber einpaar Kalorien mehr einrechnen, da Sie nunIhren Appetit nicht mehr mit dem Nikotinunterdrücken und mehr Hunger verspüren.Als Wissenschaftler Zuckerpillen an Rauchervergaben, die mit dem Rauchen aufhörenwollten, führte dies zu besseren Erfolgen, vorallem wenn die Zuckerpillen mit anderenTherapien wie zum Beispiel demNikotinpflaster kombiniert wurden.

Vermeiden Sie Zucker

Es ist vielleicht ein bisschen ironisch, dassPsychologen bei der Erforschung derSelbstdisziplin ihre Testpersonen so gern mitZucker füttern, wo doch die meistenMenschen gern den Willen aufbringenwürden, Süßigkeiten zu widerstehen. Aber

das tun die Wissenschaftler vor allem, weilZucker schnell wirkt. Zuckerwasser lieferteinen raschen Energieschub und ermöglichtes den Wissenschaftlern, die Auswirkungender Glukose innerhalb eines kurzen Zeitraumszu beobachten. Weder sie noch dieTestpersonen müssen stundenlang warten, bisder Körper komplexere Energielieferantenwie Proteine verdaut hat.

Es mag durchaus Zeiten geben, in denenSie mit Hilfe des Zuckers Ihre Selbstdisziplinkurzfristig anschieben können, etwa vor einerzeitlich überschaubaren Aufgabe wie einerMathematikprüfung. Wenn Sie mit demRauchen aufhören, können Sie sich fürNotfälle ein Bonbon in die Tasche stecken, umein plötzliches Verlangen nach einer Zigaretteabzustellen. Doch auf den Energieschub durchZucker folgt ein rascher Absturz und Siefühlen sich noch schwächer, weshalb dies alslangfristige Strategie nicht ratsam ist. Wirwollen Ihnen auf keinen Fall empfehlen, sichnur von Cola und Süßigkeiten zu ernähren. ImLabor können zuckerhaltige Getränke zwarkurzfristig die prämenstruellen Symptomeverringern. Aber im Alltag halten Sie sich

besser an die Beobachtung der Soul-SängerinMary J. Blige50 , die über dieStimmungsschwankungen und Einkaufstourenwährend ihrer PMS-Phasen sagte: »Zuckermacht es nur noch schlimmer.«

Wählen Sie nachhaltige »Treibstoffe«

Ihr Körper wandelt fast jede Nahrung inGlukose um, wenn auch mit unterschiedlichenGeschwindigkeiten. Nahrungsmittel, die raschumgewandelt werden, besitzen einen hohenGlykämischen Index (GI). Dazu gehörenKohlenhydrate wie Weißbrot, Kartoffeln,weißer Reis und natürlich die Süßigkeiten ander Supermarktkasse. Sie geben Ihnen einenplötzlichen Energieschub, auf den ein ebensoplötzlicher Absturz folgt. Danach fehlen Ihnenwieder Glukose und Selbstbeherrschung, undallzu können Sie dem Zuckerschub in Formvon Kuchen und Süßigkeiten nichtwiderstehen, nach dem Ihr Körper verlangt.Die Krapfen-Orgien mögen aufFaschingsfeiern für gute Laune sorgen, aberfür den Rest des Jahres sind sie nicht zuempfehlen.

Um Ihre konstante Selbstdisziplin zuerhalten, sind Sie besser beraten, wenn SieLebensmittel mit einem niedrigen GI zu sichnehmen: die meisten Gemüse, Nüsse (zumBeispiel Erdnüsse und Cashewkerne), vieleFrüchte (zum Beispiel Äpfel, Birnen undBeeren), Käse, Fisch, Fleisch, Olivenöl undandere »gute« Fette. (Diese Lebensmittel mitniedrigem GI helfen Ihnen nebenbei, auf IhreLinie zu achten.) Die Vorteile einerausgewogenen Ernährung haben sich beiFrauen mit PMS gezeigt, die wenigerSymptome haben, wenn sie sich gesünderernähren. Außerdem wurde eine Reihe vonVersuchen mit Zehntausenden Jugendlichen inStrafanstalten durchgeführt. Als dieGefängnisleitung zuckerhaltige Nahrung undraffinierte Kohlenhydrate vom Speisezettelstrich und durch Obst, Gemüse undVollkornprodukte ersetzte, gingenAusbruchsversuche, Gewalt und andereProbleme deutlich zurück.

Wenn Sie krank sind

Wenn Sie das nächste Mal darüber

nachdenken, ob Sie Ihren schmerzendenKörper ins Büro schleppen sollen, bedenkenSie Folgendes: Mit einer schweren Erkältungsind Sie nachgewiesenermaßen wenigerfahrtüchtig als mit einem leichtenAlkoholrausch.51 Das liegt daran, dass IhrImmunsystem so viel Glukose in Ihrem Körperabzwackt, dass weniger für Ihr Gehirn übrigbleibt.

Aber wenn Sie nicht einmal genug Glukosezum Autofahren haben, was wollen Sie dannim Büro (wenn Sie denn dort ankommen)?Manchmal kann man einen Job einfachabsitzen, aber wenn Sie wichtige Aufgaben zuerledigen haben, sollten Sie sich nicht auf Ihrgeschwächtes Gehirn verlassen. Wenn Sieeinen wichtigen Termin haben, vermeiden SieThemen, die Ihre Selbstbeherrschung auf dieProbe stellen könnten. Wenn Sie ein wichtigesProjekt leiten, treffen Sie keineEntscheidungen, die sich nicht wiederrückgängig machen lassen. Und erwarten Siekeine Spitzenleistungen von anderen, diehusten und schniefen. Wenn Ihr Kind am Tageiner Prüfung erkältet ist, schicken Sie esnicht zur Schule, sondern lassen Sie es die

Prüfung nachschreiben.

Wenn Sie müde sind, schlafen Sie

Das sollte eigentlich offensichtlich sein, abernicht nur zeternde Kleinkinder wehren sichgegen das Nickerchen, das sie so nötig haben.Erwachsene schlafen regelmäßig zu wenig,und das Ergebnis ist mangelndeSelbstbeherrschung. Im Schlaf benötigt derKörper weniger Glukose und optimiert derenVerwertung. Schlafmangel verschlechtertdagegen die Glukoseverwertung, was sichunmittelbar auf die Selbstdisziplin auswirktund langfristig ein Diabetesrisiko bedeutet.

Eine neuere Untersuchung ergab, dasssich unausgeschlafene Arbeitnehmerunkollegialer verhalten.52 Beispielsweiseschrieben sie sich eher Erfolge zu, dieanderen gebührten. In einem Laborversuch,in dem es Bargeld zu gewinnen gab,versuchten unausgeschlafene Teilnehmer mitgrößerer Wahrscheinlichkeit, ihre Mitspielerzu betrügen. Schlafmangel hat eine Reihe vonnegativen Auswirkungen auf Körper undGeist. Dazu gehört die Erschöpfung der

Selbstdisziplin und verwandter Prozesse wieder Entscheidungsfindung. Um IhreWillenskraft optimal zu nutzen, verwenden Siesie, um ausreichend Zeit für Ihren Schlaf zureservieren. Am nächsten Tag sind Sie besserdrauf, und in der folgenden Nacht schlafen Siebesser.

KAPITEL 3

ENDLICH ALLE ZIELEVERWIRKLICHEN

Am Anfang schuf GottHimmel und Erde.Und die Erde war wüst und leer,und es war finster auf der Tiefe;und der Geist Gottesschwebte auf dem Wasser.

1. Buch Mose 1,1-2

Am Anfang war die Liste

Die Schöpfung war keine einfache Sache,selbst nicht für einen allmächtigen Gott. DasProjekt erforderte sorgfältige Planung. Wieein Ei benötigten Himmel und Erde eineInkubationsphase. Das Projekt musste in eineListe mit Aufgaben für jeden Wochentagheruntergebrochen werden, beginnend mitdem Montag:

1. Licht machen2. Licht betrachten3. Licht für gut befinden4. Licht von Finsternis scheiden5. Licht benennen (Tag)6. Finsternis benennen (Nacht)

Und so ging es die ganze Woche weiter:Dienstag Himmel schaffen, Mittwoch Erdeund Bäume, Donnerstag Jahreszeiten und

Himmelskörper, Freitag Fische und Getier,Samstag den Menschen, Sonntag frei. Gotthakte die Aufgaben eine nach der anderen ab,und am Ende der Woche kam er zu demSchluss: »Und Gott sah alles an, was ergemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.«

Können Sie sich am Sonntag auch soentspannt zurücklehnen? Auf den ersten Blickscheint die Schöpfungsstrategie einfach gut:Setze dir ein Ziel, erstelle eine Liste miteinzelnen Schritten, die zu diesem Ziel führen,setze die Punkte um und ruh dich aus. Aberwie viele Sterbliche schaffen es wirklich, allePunkte ihrer wöchentlichen Liste abzuhaken?Je länger die Liste, desto mehr bleibt liegen.Viele Führungskräfte haben im Durchschnitt150 Aufgaben zu erledigen, und es kommenimmer neue dazu. Wie entscheiden wir, wasauf die Liste gelangt und was wir als Nächsteserledigen? Die gute Nachricht: Es gibt endlichein paar praktische Tipps. Aber es war garnicht so einfach, diese Strategien zuentdecken. Erst nach Jahrzehnten derForschung durch Psychologen undNeurologen, Jahrhunderten derSelbsthilfeliteratur und Jahrtausenden der

Experimente wissen wir heute, was diegöttliche To-do-Liste ausmacht.

Der erste Schritt der Selbstdisziplin liegtin einem klaren Ziel. Psychologen verwendenden technischen Begriff der Selbstregulation,und »Regulation« unterstreicht die Bedeutungdes Ziels. Regulieren bedeutet verändern, undzwar in sinnvoller und bewusster Weise. Esbedeutet, auf ein bestimmtes Ziel oder einenStandard hinzusteuern, zum Beispiel dieHöchstgeschwindigkeit für Autos aufAutobahnen oder die Traufhöhe vonGebäuden festzulegen. Selbstdisziplin ohneZiel wäre nichts anderes als eine willkürlicheVeränderung, etwa wie der Versuch, einenstrengen Diätplan aufzustellen, ohne zuwissen, welche Nahrungsmittel Übergewichtverursachen.

Die meisten von uns stehen jedoch nichtvor dem Problem, dass sie keine Ziele hätten;im Gegenteil, meistens haben wir viel zu viele.Wir stellen Listen auf, die wir nie und nimmerabarbeiten können, selbst wenn uns niemanddabei unterbricht (was nie passiert). Am Endeder Woche ist die Liste der unerledigtenAufgaben länger denn je, aber wir schieben

sie weiter auf und hoffen, dass ein Wundergeschieht. Produktivitätsexperten habenfestgestellt, dass sich viele Führungskräfteschon für den Montag mehr vornehmen, alssie in der ganzen Woche erledigen können.

Wenn es um langfristige Ziele geht,verhalten wir uns oft noch unrealistischer. Alsder große Selbsthilfepionier BenjaminFranklin53 gegen Ende seines Lebens seineAutobiografie verfasste, erinnert er sichschmunzelnd daran, welche Ziele er sich alsjunger Mann vorgenommen hatte: »Ich hattemir das mutige und ehrgeizige Ziel gesetzt,moralisch vollkommen zu werden. Ich wollteleben, ohne je einen Fehler zu begehen undalle Niederungen überwinden, in die michNeigungen, Gewohnheiten oder Freundelocken konnten.« Bald sah er sich jedoch miteiner kleinen Schwierigkeit konfrontiert.»Weil ich mich vor einer Schwäche hütete,wurde ich oft von einer anderen überrascht.Die Gewohnheit nutzte diese Unachtsamkeitaus, und die Neigung war oft stärker als dieVernunft.«

Also versuchte es Franklin mit System. Erstellte eine Liste von Tugenden auf und

formulierte für jede ein kurzes Ziel. ZumThema Ordnung hielt er beispielsweise fest:»Gib jedem Ding seinen Platz und jederUnternehmung ihre Zeit.« Die Liste bestandaus einem weiteren Dutzend Tugenden –Abstinenz, Schweigsamkeit, Entschlossenheit,Sparsamkeit, Fleiß, Ehrlichkeit,Gerechtigkeit, Mäßigung, Reinlichkeit, Ruhe,Keuschheit und Bescheidenheit –, doch ererkannte, dass die Aufstellung nur bedingtnützlich war. »Ich hielt es für ratsam, michnicht an allen gleichzeitig zu versuchen,sondern sie eine nach der anderenanzugehen«, schrieb er. Das Ergebnis war ein»Kurs«, der heute vermutlich unter dem Titel»In 13 Wochen zur totalen Tugend!«vermarktet würde. Lange vor Stephen Coveyssieben Wegen und seinen ledergebundenenKalendern und Planungssystemen, und langevor dem Spruch des Tages von Stuart Smalleyund Konsorten erfand Franklin ein System mitseiner »Tugendtabelle«. Als Bonus gab erseinen Lesern ein Gebet mit auf den Weg: Vater des Lichts und des Lebens, erhabener Gott! Zeige mir,was gut ist, lehre mich! Behüte mich vor Dummheit, Eitelkeit,Laster und allen niederen Zielen und fülle meine Seele mit

Wissen, Frieden und Tugend: Heiliges, tiefes und ewiges Glück! In einem Notizbuch54 legte er mit roter Tintedreizehn Wochentabellen an, eine für jedeTugend. Jede Tabelle bestand aus siebenSpalten für die Wochentage und dreizehnZeilen für die einzelnen Tugenden, beginnendmit der Tugend der jeweiligen Woche. AmEnde des Tages ging er die Reihen durch undmarkierte mit schwarzem Bleistift, welche derTugenden er nicht eingehalten hatte. In einerdieser Tabellen – die Woche hatte Franklinder Mäßigung gewidmet – setzte er schwarzeMarkierungen bei anderen Tugenden, beideren Umsetzung er im Laufe der Wochegeschwächelt hatte: Geschwätz undUnordnung am Sonntag, Chaos und Faulheitam Dienstag, Unentschlossenheit und Völlereiam Freitag. Aber immerhin erreichte er seinZiel und rührte die ganze Woche keinenTropfen Alkohol an. Von diesem Fortschrittermutigt und in der Hoffnung, dass ihm dieAbstinenz nach einer Woche zur Gewohnheitgeworden sei, machte er sich an eine zweiteTugend. Franklin verglich sich mit einemGärtner, der dreizehn Beete auf einmal jätet,

wieder von vorn anfängt und mit jeder Rundeweniger Unkraut vorfindet. »Ich hoffte, dassich in meinem Büchlein den Fortschritt meinerVervollkommnung würde bewundern undzusehen können, wie eine Reihe nach deranderen von Markierungen frei bliebe, bis dieSeiten nach 13 Wochen der täglichenBetrachtung sauber blieben.«

Leider ging der Plan nicht ganz auf. DieMarkierungen füllten die Reihen und Spalten.Nach dreizehn Wochen begann er wieder vonvorn und radierte die Bleistiftmarkierungenweg, um die Tabellen wiederzuverwenden.Nach einigen Runden hatte er Löcher in dieSeiten radiert. Also besorgte er sich einkräftigeres Notizbuch mit Seiten ausElfenbeinkarton, die sich wie ein Fächeröffneten. Nach jeder Runde konnte er dieBleistiftmarkierungen einfach mit einemSchwamm abwaschen. Die neue Tabelleerwies sich als ausgesprochen robust: Als erein knappes halbes Jahrhundert später alsDiplomat mit den Damen der PariserGesellschaft flirtete, hatte er sie noch immerund zeigte sie gern herum. Anders alsmoderne Selbsthilfe-Gurus kam Franklin

allerdings nicht auf die Idee, eineProduktreihe von Notizbüchern und Planernauf den internationalen Markt zu werfen, wasvielleicht daran gelegen haben mag, dass erzu sehr damit beschäftigt war, in Paris Geldfür die Armee von George Washingtonaufzutreiben. Vielleicht erschwerte es ihmseine Vorliebe für weibliche Gesellschaftauch, Tugenden wie Keuschheit zu verkaufen.Außerdem hatte Franklin schrecklicheProbleme damit, auf seinem SchreibtischOrdnung zu halten, was ihm mehrMarkierungen einbrachte. Wie er in PoorRichard’s Almanack schreibt: »Gute Vorsätzezu fassen ist einfach – das Schwierige ist dieUmsetzung.«

Wie sehr er sich auch mühte, er hätte seinNotizbuch niemals sauber halten können,denn einige der Ziele standen mitunter imWiderspruch zueinander. Als jungerDruckergeselle versuchte er, Ordnung zuhalten, indem er einen rigiden Arbeitsplanaufstellte; leider wurde er dauernd vonunerwarteten Anfragen seiner Kundenunterbrochen, und das Gebot des Fleißesverlangte, diesen auch nachzukommen. Wenn

er sparsam lebte, lieber seine alten Kleiderflickte, statt neue zu kaufen, und seineMahlzeiten selbst zubereitete, dann blieb ihmweniger Zeit für Fleiß in der Arbeit oder fürandere Projekte wie Drachensteigen oder dasBasteln an Unabhängigkeitserklärungen.Wenn er sich für einen Abend mit Freundenverabredete und am nächsten hinter seinemArbeitsplan zurückblieb, dann verstieß ergegen das Gebot der Entschlossenheit, dasverlangte, alles umzusetzen, was er sichvorgenommen hatte.

Dabei sind Franklins Ziele im Vergleich zuden modernen noch weitgehend in sichstimmig. Er konzentrierte sich auf dietraditionellen puritanischen Tugenden wieArbeit und Fleiß und nahm sich nicht auchnoch vor, möglichst viel Spaß im Leben zuhaben (zumindest nicht schriftlich). Er machtees sich nicht zum Ziel, lange Spaziergänge amStrand zu unternehmen, Freiwilligenarbeit ineiner gemeinnützigen Einrichtung zu leisten,die Nachbarn zum Recycling anzuhalten odermehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen.Er hatte keine lange Liste von Traumzielen inaller Welt, die er unbedingt besuchen musste,

und er träumte nicht davon, als Rentner inFlorida zu leben. Während er den Frieden vonParis aushandelte, wollte er nicht gleichzeitigGolfspielen lernen. Wir werden heute mitunvergleichlich mehr Versuchungenkonfrontiert, und nicht die kleinste davon istdie Versuchung, alles auf einmal zu wollen.

Werden wir nach unseren persönlichenZielen befragt, so können viele von unsproblemlos mindestens fünfzehn verschiedenedavon auflisten. Einige von ihnen ergänzensich vielleicht, zum Beispiel der Vorsatz, mitdem Rauchen aufzuhören, und der Wunsch,weniger Geld auszugeben. Aber es ergebensich unweigerlich Konflikte zwischen Arbeits-und Familienzielen. Selbst innerhalb derFamilie können die Anforderungen derKindererziehung in Widerspruch zu denen derBeziehungspflege stehen, weshalb bei vielenPaaren die Zufriedenheit in der Ehe nach derGeburt des ersten Kindes leidet und sich erstwieder erholt, wenn das letzte Kind endlichaus dem Haus ist. Einige Ziele sind in sichwidersprüchlich, etwa Franklins Ziel derMäßigung. Viele Menschen nehmen sich vor,sich nicht aufzuregen, wenn ihnen ihrer

Ansicht nach Unrecht widerfährt. Wenn sieunfair behandelt werden, zwingen sie sich,nichts zu sagen oder zu unternehmen – nur umsich später schlecht zu fühlen, weil sie nichtfür ihre Meinung oder Interessen eingetretensind oder weil das ursprüngliche Problemnicht gelöst wurde. Mäßigung könnte auch miteinem anderen von Franklins Zielen inKonflikt geraten, nämlich der Gerechtigkeit.

Wenn die Ziele nicht in Einklang zubringen sind, ist das Resultat nicht Handlung,sondern Unglück, wie die Psychologen RobertEmmons und Laura King in einer Reihe vonUntersuchungen zeigten. Sie batenVersuchspersonen, eine Liste ihrer fünfzehnwichtigsten Ziele aufzustellen und zu notieren,welche in Konflikt zueinander gerieten. Ineinem Test hielten die Teilnehmer ihreemotionalen und körperlichenBefindlichkeiten in einem Tagebuch fest undgewährten den Wissenschaftlern Einblick inihre Gesundheitsakte des zurückliegendenJahres. In einem anderen Experimenterhielten sie Beeper, die zu zufälligenZeitpunkten piepten, woraufhin dieTeilnehmer festhalten sollten, was sie in

diesem Moment taten und fühlten. Außerdemwurden sie ein Jahr später befragt, welcheZiele sie umgesetzt hatten und wie sich ihreGesundheit entwickelt hatte. In denverschiedenen Untersuchungen stellten dieWissenschaftler fest, dass widersprüchlicheZiele55 vor allem drei Konsequenzen haben:

1. Sie machen sich häufig Sorgen. Je mehrwidersprüchliche Anforderungen Sieerfüllen wollen, desto mehr Zeit bringenSie damit zu, über diese Anforderungennachzudenken. Sie grübeln und werden vonwiederkehrenden Gedanken verfolgt, überdie Sie keine Kontrolle haben und die nichtsonderlich angenehm sind.

2. Sie leisten weniger. Man sollte meinen,dass Menschen, die viel über ihre Zielenachdenken, auch viel tun, um diese zuerreichen, doch statt zu handeln,verschwenden sie ihre Zeit mit Grübeleien.Menschen mit klaren, widerspruchsfreienZielen machen Fortschritte, die anderenvergeuden so viel Zeit mit ihren Sorgen,

dass sie nicht weiterkommen.3. Ihre körperliche und geistige Gesundheit

leidet. In den Untersuchungen berichtetenMenschen mit widersprüchlichen Zielenüber weniger positive Emotionen und mehrDepression und Angst. Sie wiesenpsychosomatische Beschwerden undSymptome auf, waren häufiger krank undgingen öfter zum Arzt. Jewidersprüchlicher die Ziele, umso wenigervon ihnen verwirklichten sie und umsounglücklicher und kranker wurden sie.

Sie zahlten einen hohen Preis für ihr Brüten.Aber während eine Henne zufrieden auf ihrenEiern sitzt, leiden die Menschen, wenn sie zuviele widersprüchliche Ziele verfolgen unddeshalb keines davon erledigen undstattdessen nur tatenlos herumsitzen.

Aber sie werden diese Konflikte erst lösen,wenn sie wissen, welche Ziele am besten fürsie sind.

Die richtigen ZieleJoe sitzt in einem Restaurant und trinkt eine Tasse Kaffee. Erdenkt darüber nach, was in der nächsten Zeit passieren wird,wenn … Nehmen wir an, bei diesen Zeilen handelt essich um eine Schreibübung, und Sie sollenJoes Geschichte frei zu Ende führen. StellenSie sich kurz vor, worüber Joe nachdenkenkönnte.Versuchen Sie nun eine zweite Übung undschreiben Sie die Geschichte zu Ende, die mitfolgenden Worten beginnt: Nach dem Aufwachen denkt Bill über seine Zukunft nach.Allgemein geht er davon aus … Sie haben erneut alle Freiheiten. SchreibenSie Bills Geschichte zu Ende und machen Siesich keine Gedanken um Formulierungen. Einpaar Stichpunkte reichen vollkommen aus.

Fertig?Sehen Sie sich nun die Handlungen an, die

Sie sich ausgedacht haben. Über welchenZeitraum erstrecken sie sich in beiden

Geschichten? Das ist natürlich keine literarische Übung fürangehende Romanautoren. Vielmehr handeltes sich um ein Experiment, das Psychiater mitHeroinabhängigen56 in einer Drogenklinik inBurlington im amerikanischen BundesstaatVermont durchgeführt haben. DieWissenschaftler stellten diese Aufgabenaußerdem einer Kontrollgruppe vonErwachsenen, die ähnliche demografischeVoraussetzungen aufwies (einfacherSchulabschluss, Jahreseinkommen unter20.000 Dollar und so weiter). Wenn dieAngehörigen der Kontrollgruppe JoesGeschichte zu Ende schrieben, der imRestaurant über »die nächste Zeit«nachdenkt, dann umfasste dies bei ihnen inder Regel eine Zeitspanne von einer Woche;bei den Heroinsüchtigen war es eine Stunde.Und wenn sich die Kontrollgruppe dieZukunftsgedanken von Bill ausmalte, dannschilderte sie langfristige Pläne wie beruflicheZiele oder Heirat, während die Süchtigenbevorstehende Ereignisse wie einen Terminbeim Arzt oder den Besuch bei Verwandten

beschrieben. Die Angehörigen derKontrollgruppe setzten einen Zeitraum vondurchschnittlich viereinhalb Jahren an, beiden Süchtigen reichte die Zukunft dagegengerade einmal neun Tage weit.

Dieser extrem verkürzte Zeithorizont istfür Suchtkranke typisch. Wenn sie im LaborKarten spielen, dann wählen sie riskantereStrategien mit schnellen, großen Gewinnen,auch wenn sie langfristig mehr mitnehmenkonnten, wenn sie sich für eine Reihekleinerer Gewinne entschieden. Wenn sie vordie Wahl gestellt werden, jetzt 375 Dollar zubekommen oder in einem Jahr 1.000, dannentscheiden sich Drogensüchtige, Alkoholikerund Raucher eher für das schnelle Geld. DerPsychiater Warren Bickel, der die Süchtigenin Vermont untersuchte und seine Forschungan der University of Arkansas fortsetzte,konnte diese Vorliebe für kurzfristigeGewinne immer wieder beobachten. (Dieeinzige Ausnahme war wieder Marihuana; dieDroge macht weniger süchtig und scheint dasdestruktive kurzfristige Denken nicht zuerfordern, das ansonsten mit Süchteneinhergeht.) Eine kurzfristige Sichtweise kann

die Suchtanfälligkeit noch erhöhen, und dieSucht verkürzt wiederum den Zeithorizont,weil die Suchtkranken auf den kurzfristigenKick aus sind. Wenn es ihnen gelingt, ihreSucht zu überwinden oder zu mindern,vergrößert sich ihr Zeithorizont wieder, wieBickel und seine Kollegen an Rauchern undDrogensüchtigen erkannten.

Im Labor und im Alltag sindDrogensüchtige, Alkoholiker und Rauchergute Beispiele für die Gefahren derkurzfristigen Ziele. Wer die langfristigePerspektive aus den Augen verliert, spielt mitseiner Zukunft – gesundheitlich und finanziell.In einem weiteren Experiment mit denGeschichten von Joe und Bill stelltenWissenschaftler fest, dass Testpersonen umsoweiter in die Zukunft blicken, je mehr sieverdienen. Das ist zum Teil derNotwendigkeit geschuldet: Wer knapsenmuss, um die Miete zu bezahlen, der brauchtsich keine Gedanken um eine privateZusatzrente zu machen. Aber vielleicht ist jadie notorische Ebbe im Portemonnaieumgekehrt eine Folge des kurzsichtigenDenkens. Wie in Äsops Fabel ist die

weitsichtige Ameise besser auf den Wintervorbereitet als die Heuschrecke, die nur imHier und Jetzt lebt.

Aber mit Äsop ist noch nicht das letzteWort über Zukunftsplanung gesprochen. SeitJahrzehnten diskutieren Psychologen denNutzen von kurzfristigen und langfristigenZielen.57 Ein klassisches Experiment stammtvon Albert Bandura, einem legendärenVertreter seines Fachs (in einer Aufstellungder meistzitierten Psychologen rangierte erauf dem vierten Platz, gleich hinter Freud,Skinner und Piaget). Er und Dale Schunkuntersuchten Kinder im Alter von sieben biszehn Jahren, die Probleme imMathematikunterricht hatten. Die Kindernahmen an einem Kurs teil, in dem sieLerntechniken erwarben und vor allem vieleAufgaben lösen mussten. Einige der Kindersollten sich kurzfristige Ziele setzen und zumBeispiel in jeder Sitzung mindestens sechsSeiten bearbeiten. Andere sollten sichdagegen langfristige Ziele setzen und bis zumEnde der sieben Sitzungen 42 SeitenAufgaben gelöst haben. Das Volumen war inbeiden Fällen dasselbe. Eine dritte Gruppe

sollte sich gar keine Ziele setzen, und einevierte Gruppe musste nicht einmalRechenaufgaben lösen.

In einem Abschlusstest am Ende desKurses schnitten die Kinder mit denkurzfristigen Zielen am besten ab. Sie hattenoffenbar vor allem deshalb Erfolg, weil sie ihrEndziel schrittweise erreichten und dabei anSelbstvertrauen und Selbstwirksamkeitgewannen. Mit einem bestimmten Ziel fürjede Sitzung lernten sie besser und schnellerals die anderen. Obwohl sie pro Sitzungweniger Zeit benötigten, leisteten sie mehrund arbeiteten das Material schneller durch.Als sie am Ende zu den schwierigen Aufgabenkamen, waren sie hartnäckiger und gabenweniger schnell auf. Die langfristigen Zielewirkten dagegen genauso, als hätten dieKinder gar keine Ziele. Nur die kurzfristigenZiele verbesserten den Lernerfolg, dieSelbstwirksamkeit und die Leistung.

Aber kaum war diese Untersuchung imJournal of Personality and Social Psychology(die renommierteste Fachzeitschrift desGebiets) erschienen, veröffentlichte dieselbeZeitschrift einen Artikel, in dem

niederländische Wissenschaftler den Nutzenvon langfristigen Zielen 58 bei 16- und 17-jährigen Schülern demonstrierten. Jungen, dieein langfristiges Ziel vor Auge hatten – einStudienwunsch, viel Geld zu verdienen, eineFamiliengründung oder ein hoher Sozialstatus–, zeigten in der Schule bessere Leistungen.Jungen, die wenig über ihre Zukunftnachdachten, schnitten dagegen schlechterab. In diesem Fall schienen langfristige Zielewirksamer zu sein als kurzfristige,beispielsweise gute Noten, diebevorstehenden Ferien oder dasAbschlusszeugnis. Diese Fernziele warenauch nützlicher als Ziele, die sich an derGegenwart orientierten, etwa anderen zuhelfen oder Wissen zu erwerben. Aber warumfunktionierten die langfristigen Ziele bei denälteren Schülern, aber nicht bei den Kindernim Rechenkurs? Das liegt unter anderemdaran, dass die älteren Schüler einenZusammenhang zwischen ihren täglichenAufgaben und ihren langfristigen Zielenerkannten. Die besseren Schüler betontennicht nur die entfernten Ziele, sondernerkannten außerdem, dass ihre tägliche

Lernarbeit einen wichtigen Schritt in Richtungauf dieses Ziel darstellte. Daneben mag derUnterschied auch damit zusammenhängen,dass ältere Kinder insgesamt eine bessereVorstellung von der Zukunft haben alsjüngere.

Unabhängig davon, ob die Jungen ihrekurzfristigen Ziele tatsächlich erreichten odernicht, erzielten sie Fortschritte, weil sie denZusammenhang zwischen ihren Träumen undder täglichen Büffelei erkannt hatten.Vermutlich erhielten sie damit denselbenLohn, den Benjamin Franklin erhielt. GegenEnde seines Lebens räumte er fröhlich ein,dass er auch nicht ein einziges Mal seinkurzfristiges Ziel einer sauberenWochentabelle erreicht hatte, von seinemFernziel der moralischen Vollkommenheitganz zu schweigen. Aber die Verbindungzwischen beiden Zielen hatte ihn die ganzenJahre hindurch motiviert. Daher tröstete ersich mit dem Ergebnis: »Auch wenn ich nie dieVollkommenheit erreicht habe, die ich mir inmeinem Ehrgeiz vorgenommen hatte, undnoch immer weit von ihr entfernt bin, war ichallein durch die Bemühung darum ein

besserer und glücklicherer Mensch, als ich esgewesen wäre, wenn ich den Versuch nieunternommen hätte.«

Fern- und Nahziele

Wie detailliert sollten Ihre Pläne also sein,wenn Sie ein bestimmtes Ziel erreichenwollen? Wissenschaftler beobachtetenStudenten, die an einem Programm zurVerbesserung ihrer Lerntechnikenteilnahmen. Die Studenten erhielten nicht nurdie üblichen Hinweise zum Zeitmanagement,sondern wurden nach dem Zufallsprinzip aufeine von drei Planungsgruppen verteilt: DieAngehörigen der ersten Gruppe solltendetaillierte Tagespläne erstellen undfesthalten, was sie wo und wann lernenwollten. Die zweite Gruppe erstellteMonatspläne, und die Kontrollgruppe machtegar keine Pläne.

Die Wissenschaftler gingen davon aus,dass diejenigen Studenten mit denTagesplänen die besten Lernerfolge erzielen

würden. Doch sie lagen mit ihrer Vermutungdaneben. Die Gruppe, die monatsweise plante,verbesserte ihre Lerngewohnheiten ameffektivsten. Unter den schwächerenStudenten (nicht unter den besseren) zeigtedie Monatsplanung eine eindeutig größereVerbesserung der Leistungen als dieTagesplanung.59 Die Monatsplaner behieltendie neuen Lerngewohnheiten außerdemdeutlich länger bei und übernahmen sie eherin ihrem Studium. Ein Jahr nach Abschluss desKurses erzielten sie noch immer bessereLeistungen als die Tagesplaner, die zu diesemZeitpunkt längst jede Form der Planungwieder aufgegeben hatten.

Woran liegt das? Tagespläne haben denVorteil, dass die Studenten ganz genauwissen, was sie wann zu tun haben. Aber diePlanung ist aufwändig, denn es nimmtnatürlich deutlich mehr Zeit in Anspruch,dreißig Tagespläne zu erstellen als eineneinzigen Monatsplan ohne Details für jedeneinzelnen Tag. Außerdem besitzenTagespläne den zusätzlichen Nachteil, dasssie unflexibel sind. Sie nehmen uns dieMöglichkeit, Entscheidungen zu treffen, und

vermitteln uns das Gefühl, an eine starreAbfolge gefesselt zu sein. Das Leben hält sichselten an Pläne, weshalb Tagesplänefrustrierend wirken, wenn wir sie nichteinhalten. Ein Monatsplan lässt sich dagegenanpassen. Wenn sich an einem Tag eineVerzögerung ergibt, ändert das nichts amPlan.

Die umfassendsten Experimente zurgroben und detaillierten Planung führten dieFeldherren auf den Schlachtfeldern Europasdurch. Napoleon60 fasste einmal seineVorstellung der strategischen Planung sozusammen: »Man greift an, und dann schautman, was passiert.« Mit dieser improvisiertenStrategie wurde seine Armee zurgefürchteten Geißel Europas. Seine Gegner,die Preußen, suchten nach einem Vorteil, umkeine weiteren Schlachten gegen dieFranzosen zu verlieren, und probierten es mitmehr Planung.61 Die Offiziere andererNationen mokierten sich über die Vorstellungvon Soldaten, die mit Bleistift und Papier aneinem Tisch saßen. Doch die Planung erwiessich als großer Vorteil, und als die beidenNationen wieder aufeinandertrafen, behielten

die Preußen die Oberhand.Im Ersten Weltkrieg planten alle. Und im

Zweiten Weltkrieg verfügten die Offiziereüber die bürokratischen Fähigkeiten, um dievielleicht komplizierteste logistischeOperation der Geschichte durchzuführen: dieLandung in der Normandie. Mit 160 000Soldaten war die Invasionsarmee zwar nochklein gegen das Heer von Napoleon, der mit400 000 Mann nach Russland marschiert war.Doch die Operation war so präzisedurchgeplant, dass die Planer ihren eigenenKalender hatten, den sie in die Zeit vor undnach dem D-Day62 einteilten. Die To-do-Listeenthielt detaillierte Vorbereitungen (etwaBombardierungen am Tag D –3) und natürlichdie Invasion selbst. Der Plan reichte bis D+14 und organisierte Nachschub undVerstärkung ganze zwei Wochen nach derersten Landung. Napoleon hätte diesesVertrauen in Pläne vermutlich belächelt, dochder Erfolg gab den Alliierten Recht.

Nach dem Krieg hatte auch dieamerikanische Wirtschaft ihre Helden derPlanung, etwa die Whiz Kids, eine Gruppe vonKriegsveteranen, die den Autohersteller Ford

auf Vordermann brachten. Ihr Vordenker warRobert McNamara63 , der vor dem Krieg ander Harvard Business School Buchhaltungunterrichtet hatte. Das Mathematikgeniehatte im Statistikbüro der Air Force dieErfolge der Luftangriffe ausgewertet undnach dem Krieg bei Ford angefangen. Späterwurde er Verteidigungsminister und führte imPentagon Planungsinstrumente ein, die auf derSystemanalyse beruhten. Er schien derInbegriff des modernen Kriegers zu sein, dochin Vietnam erlitten seine Pläne Schiffbruch.Während er im Pentagon saß und mit Hilfevon Opferstatistiken die Niederlage desFeindes plante, stellten die Soldaten imDschungel fest, dass auf diese Pläne undStatistiken kein Verlass war. Nach Vietnamentdeckten die Militärführer die Flexibilitätwieder, und diese Lektion wurde nach demScheitern der Kriegspläne in Afghanistan undim Irak noch verstärkt. Manchmal muss maneben einfach angreifen und dann weitersehen,wie Napoleon meinte.

Wie genau planen moderne Generäle dieZukunft? Diese Frage stellte ihnen unlängstein Psychologe, der im Pentagon einen

Vortrag über Zeit- undRessourcenmanagement hielt. Als kleineAufwärmübung bat er die Generäle,stichpunktartig zu notieren, wie sie ihreAngelegenheiten organisierten. Die Generälewaren verblüfft. Keiner der Männer inUniform konnte die Frage beantworten.

Die Ausnahme war die einzige Frau imGeneralsrang. Sie hatte am Irakkriegteilgenommen und war dort verwundetworden. Sie erklärte ihren Ansatz so: »Zuersterstelle ich eine Prioritätenliste mit erstens,zweitens, drittens, und so weiter. Dannstreiche ich alles bis auf die ersten beidenPunkte.« Die anderen Generäle könnten demwidersprochen und eingewendet haben, dassjeder mehr als zwei Ziele habe und dasseinige Projekte – zum Beispiel der D-Day –mehr als zwei Schritte erforderten. Aber dieGeneralin war auf der richtigen Spur. Siehatte eine vereinfachte Version einerStrategie, mit der sich langfristige undkurzfristige sowie grobe und detailliertePlanung verbinden lassen. Ihr Ziel war ein»Geist wie Wasser« (wir kommen gleichdazu).

Der Eingangsordner IhrerTräume

Als der Komiker Drew Carey wieder einmalvor seinem chaotischen Schreibtisch dieHände über dem Kopf zusammenschlug, hatteer eine Eingebung. »Was würde David Allen64tun?« Oder besser noch: »Wie wäre es, wennich mir David Allen holen würde, damit derOrdnung in dieses Durcheinander bringt?«

Bis zu diesem Tag war Carey ein typischesOpfer der Informationsflut, soweit ein Starüberhaupt typisch sein kann. Er hatte seineeigenen Comedy-Serien und Gameshowsgehabt, seine Memoiren geschrieben, sozialeund politische Aktionen organisiert und warEigentümer einer Fußballmannschaft, dochdiese Aufgaben waren nichts im Vergleich mitseinem Eingangsordner und seiner To-do-Liste. Obwohl er eine Sekretärin beschäftigte,überforderten ihn die vielen Anrufe,Drehbücher, Treffen,Wohltätigkeitsveranstaltungen, ganz zuschweigen von den Dutzenden E-Mails, dietäglich auf Antwort warteten. Auf seinem

Schreibtisch stapelten sich unbezahlteRechnungen, unbeantwortete Briefe,unerledigte Aufgaben, unerfüllte Versprechen.

»In mancher Hinsicht bin ichausgesprochen gut organisiert, aber inanderer überhaupt nicht«, erklärt Carey.»Das hängt ganz davon ab, was auf dem Spielsteht. Ich hatte das Chaos in meinem Büroeinfach so dermaßen satt. Überall Berge vonPapier, ich habe einfach nicht mehrdurchgefunden. Rechts und links vomComputer haben sich Mist und alte Mailsgestapelt. Es war schon so weit, dass ich nichtmehr klar denken konnte. Ich hatte dasGefühl, dass ich die Kontrolle verloren hatte.Ich konnte mich nicht mal mehr hinsetzen undein Buch lesen oder entspannen, weil ichdauernd dachte, ich muss noch diese E-Mailsdurchgehen.«

Carey kaufte sich ein Buch von David Allenmit dem Titel Wie ich die Dinge geregeltkriege: Selbstmanagement für den Alltag.»Ich habe das Buch gelesen und ein paarRatschläge umgesetzt, aber nicht alle. Ichwar total verzweifelt. Am Ende habe ich mirgedacht, verdammt nochmal, ich habe doch

Geld! Also habe ich ihn direkt angerufen undihn gefragt, wie viel er verlangen würde, ummich zu besuchen und direkt mit mir zuarbeiten. Er hat gesagt, für x Dollar arbeiteich ein ganzes Jahr lang mit dir. Es war eineMenge Geld. Aber ich habe nicht zweimaldrüber nachgedacht.«

Welche Summe er auch hingeblätterthaben mag, die begeisterten Anhänger vonDavid Allen und seinem GTD-System (benanntnach dem englischen Buchtitel Getting ThingsDone) für Arbeit und Leben würden Careysofort verstehen. Aber es handelt sich nichtum den üblichen Persönlichkeitskult derSelbsthilfe- und Motivationsgurus. Allen stelltkeine sieben Regeln für das ewige Glück aufund reißt die Massen nicht zuBegeisterungsstürmen hin. Er beschäftigt sichmit unspektakulärem Kleinkram wie To-do-Listen, Mappen, Etiketten undEingangsordnern.

Sein System dreht sich um ein geistigesPhänomen, das Psychologen schon vorJahrzehnten erkannten – nämlich dengeistigen Zeigefinger –, das jedoch erstBaumeister und seine Kollegen wirklich

erforschten, als sie im Labor nachMöglichkeiten suchten, diese nörgelndeinnere Stimme abzustellen. Die Psychologenund Allen gelangten auf unabhängigen Wegenzu sehr ähnlichen Techniken. Allen hattekeine psychologische Theorie, sondern gingnach der Trial-and-Error-Methode vor. AlsKind der Sechziger hatte er eine Menge Zen-und Sufi-Texte gelesen, in Berkeley einStudium aufgenommen und wiederabgebrochen, mit Drogen experimentiert,einen schweren Zusammenbruch erlebt,Karate unterrichtet und für ein UnternehmenSeminare zum persönlichen Wachstumgehalten. Nebenbei hatte er alsMotorradverkäufer, Zauberer, Gärtner,Reisekaufmann, Glasbläser, Taxifahrer,Packer, Kellner, Vitaminverkäufer, Tankwart,Bauarbeiter und Koch seine Brötchenverdient.

»Wenn Sie mir 1968 gesagt hätten, dassich mal ein Produktivitäts-Coach würde, dannhätte ich Sie für verrückt erklärt«, meint erheute. Er driftete von einem Job zum nächsten– bis zu seinem 35. Geburtstag kam er auf 35Jobs –, bis er aufgrund seiner Fähigkeiten als

Seminarleiter die Möglichkeit erhielt, mitManagern von Lockheed und anderenKonzernen zusammenzuarbeiten. Sogewunden sein Lebenslauf auch sein mag,Allen sieht eine Entwicklung von derPhilosophie und den Drogen über Karate biszum Coach und Unternehmensberater. Erbeschreibt sie als eine Suche nach inneremFrieden und einem »Geist wie Wasser«.Dieses Bild stammt aus seinemKarateunterricht: »Stellen Sie sich vor, Siewerfen einen Stein ins Wasser. Wie reagiertdas Wasser? Die Antwort lautet: In völligemEinklang mit der Kraft des Inputs. Danachkehrt es zum Ruhezustand zurück. Es reagiertweder zu stark noch zu schwach.«

Bei einem Besuch in seinem Bürobekommt man einen Eindruck von seinerPhilosophie – und einen Neidanfall. Natürlichwürde man von einem EffizienzexpertenOrdnung erwarten, doch beim Anblick desSchreibtisches in seinem Büro imkalifornischen Städtchen Ojai erschrickt mantrotzdem unwillkürlich: es sind keine Stapelzu sehen, und kein Stückchen Papier liegtherum. Auf der rechten Seite seines L-

förmigen Schreibtisches stehen drei Ablagen –alle leer. Auf der linken Seite stehen zweiweitere Ablagen mit einem Dutzend Büchernund Zeitschriften, seiner Lektüre fürsFlugzeug. Ansonsten ist der Schreibtischtadellos. Wie es das GTD-System vorschreibt,hat er seine Aufgaben entweder erledigt,delegiert, weggeworfen oder in einem dersechs Ordnerschränke abgelegt, in denenalphabetisch geordnete Plastikmappen mitfein säuberlich gedruckten Etiketten hängen.Sie mögen das jetzt vielleicht als verkrampftabtun, aber Allen könnte kaum entspanntersein.

Als er seine Arbeit mit den überfordertenManagern aufnahm, sah er das Problem derklassischen Managementplanung, die ingroßen Zusammenhängen denkt, Visionenvorgibt, langfristige Ziele entwickelt undPrioritäten setzt. Der ehemalige Hippie fühltesich zwar von den hochfliegenden Zielenangesprochen, aber er erkannte auch, dassseine Klienten keinen Kopf mehr für dieeinfachsten Aufgaben des Moments hatten.Allen beschrieb ihre Situation mit einem Bildaus dem Buddhismus: dem Geist eines Affen.

Damit ist ein Geist gemeint, der von einemGedanken zum nächsten springt, wie ein Affe,der sich von einem Baum zum nächstenhangelt. In einer Abwandlung des Bildesstellte sich Allen gelegentlich einen Affen vor,der auf unserer Schulter sitzt, uns dauernd insOhr plappert, alles in Zweifel zieht und unsständig unterbricht, bis wir schreien: »Stopfdoch jemand dem Affen das Maul!«

»Die wenigsten Menschen wissen, wie essich anfühlt, an nichts anderes zu denken alsan das, was sie gerade tun«, meint Allen.»Diese Dissonanz und dieser Stress ließensich ja noch ertragen, wenn wir sie einmal imMonat ertragen müssten, so wie früher. Aberheute machen die Leute einfach dicht, oder siedrehen durch und kommen mit ihrer Angstnicht mehr klar.«

Statt über Ziele und deren Umsetzungnachzudenken, half Allen seinen Klienten, mitdem Chaos auf ihrem Schreibtischfertigzuwerden. Die traditionellen Tipps zurSelbstorganisation – etwa der Rat, jedesStück Papier nur einmal anzufassen –erschienen ihm wenig praxistauglich. Wasmachen Sie mit einem Bericht für eine

Sitzung, die kommende Woche stattfindet?Allen erinnerte sich an ein Instrument ausseiner Zeit im Reisebüro: dieWiedervorlagemappe. Der Bericht ließ sichwie ein Flugticket in einem Ordner für denTag ablegen, an dem er gebraucht wurde. Soblieb der Schreibtisch aufgeräumt, und derBericht lenkte nicht ab, bis er gebrauchtwurde. Allens Wiedervorlageordner – mit 31Mappen für jeden Tag des Monats und zwölfMappen für die Monate des Jahres – wurdeweithin kopiert.

Dieses System half nicht nur, Ordnung aufdem Schreibtisch herzustellen, sondern esnahm den Führungskräften auch eine Sorgeab: Was dort abgelegt ist, kommt amentsprechenden Tag wieder auf den Tisch,man an muss sich keine Sorgen machen, es zuverlieren oder zu vergessen. Allen suchteauch nach anderen Möglichkeiten, dieseinnere Stimme abzustellen und »lose Enden«im Kopf zu verbinden. »Ein wichtiges Elementaus der Welt der Persönlichkeitsentwicklungsind die Abmachungen, die man mit sich selbsttrifft«, erinnert sich Allen. »Wenn Sie eineAbmachung mit sich selbst treffen und sich

nicht daran halten, dann schwächen Sie IhrSelbstvertrauen. Andere können Sie vielleichttäuschen, aber sich selbst nicht. Sie werdendafür bezahlen, also sollten Sie sehr genaudarauf achten, was Sie mit sich selbstverabreden. Wir haben einen Workshopentwickelt, um diese Selbstvereinbarungenaufzuschreiben.«

Diese Listen mit Zielen und Festlegungensind natürlich alles andere als revolutionärund gehören seit Noahs Arche und den ZehnGeboten zum festen Repertoire derSelbsthilfeliteratur. Doch Allen und derManagementberater Dean Achesonentwickelten sie weiter. Um seinen Klientenzu helfen, Ablenkungen auszuschalten, ließAcheson sie alles aufschreiben, was ihreAufmerksamkeit verlangte, egal ob groß oderklein, beruflich oder privat, nah oder fern,grob oder detailliert. Sie mussten nichtsanalysieren oder organisieren oder planen, siesollten nur in jedem Fall den nächstenkonkreten Schritt notieren.

»Dean bat mich, mich hinzusetzen undeinfach alles aufzuschreiben, was mir durchden Kopf ging«, erinnert sich Allen. »Ich habe

viel meditiert und halte mich für einen gutorganisierten Menschen. Aber das Ergebnishat mich erschreckt.« In der Arbeit mit seineneigenen Klienten predigte Allen die Bedeutungder »Nächsten Aktion« oder NA, wie sie vonGTD-Anhängern genannt wird. Auf der To-do-Liste dürfen keine allgemeinen Punkteauftauchen wie »Geburtstagsgeschenk fürMama kaufen« oder »Steuererklärungmachen«. Vielmehr muss dort der nächstekonkrete Schritt stehen, zum Beispiel »zudiesem und jenem Juwelier gehen« oder»Steuerberater anrufen«.

»Wenn auf Ihrer Liste steht,›Weihnachtskarten schreiben‹, dann ist daseine gute nächste Aktion – wenn Sie Stift undWeihnachtskarten haben«, erklärt Allen.»Wenn Sie keine Karten haben, dann wissenSie unbewusst, dass Sie sie gar keineschreiben können. Deshalb werden Sie dieListe meiden und diesen Punkt aufschieben.«So einfach dieser feine Unterschied klingt, wirmachen es immer wieder falsch. Als Allenhörte, dass sich John Tierney vom GTD-System inspirieren lässt und einen Planer aufseinem Smartphone installiert hat, wettet

Allen, dass die meisten Punkte auf seiner NA-Liste nicht unmittelbar umsetzbar sind. Undtatsächlich stehen da Dinge wie »mint.com-Forscher kontaktieren« und »Esther Dyson zuSelbstdisziplin fragen« – alles viel zu vage.

»Wie wollen Sie diese Leute fragen oderkontaktieren?«, fragt Allen. »Haben Sie ihreTelefonnummern und E-Mail-Adressen?Dieser kleine Unterschied ist entscheidend.Alles, was auf dieser Liste steht, stößt Sieentweder ab oder es zieht Sie an. Wenn Sieschreiben ›Esther fragen‹, weil Sie noch nichtgenau wissen, was Sie als Nächstes tunwollen, dann werden Sie Ihre Liste unbewusstmeiden. Sie verspüren eine untergründigeSorge. Aber wenn Sie schreiben ›Esthermailen‹, dann denken Sie, klar, das kann ich.Sie erledigen es und haben das Gefühl, etwasgeschafft zu haben.«

Als der Technologie-Autor DannyO’Brian65 vor einigen Jahren einenFragebogen an siebzig der »beneidenswertproduktiven Menschen« verschickte, die erkannte, um sie nach ihrenOrganisationsgeheimnissen zu befragen,erfuhr er, dass die wenigsten besondere

Computerprogramme oder anderekomplizierte Werkzeuge benutzten. Aberviele antworteten, sie benutzten das GTD-System, zu dem sie nichts anderes benötigenals einen Stift, Papier und Ordner. DieWirksamkeit des Systems wurde bislang nochnicht wissenschaftlich erforscht. Doch diepsychologische Literatur enthält Hinweise aufden Stress, den Allen beobachtete. AuchPsychologen haben sich mit der Fragebeschäftigt, wie sich der Affen-Geist bändigenlässt. Sie verwenden allerdings einen anderenBegriff dafür.

Der Zeigarnik-Effekt66

Nach einer Legende, die unter Psychologenkursiert, geht die Entdeckung auf einMittagessen zurück, das Mitte der zwanzigerJahre in der Nähe der Humboldt-Universitätzu Berlin stattfand. Eine Gruppe vonStudenten und Professoren besuchte einRestaurant und bestellte bei einem Kellner,der sich nicht die Mühe machte, die

Bestellungen zu notieren. Er nickte einfach.Als jeder das Essen bekam, das er bestellthatte, waren die Gäste beeindruckt von dieserGedächtnisleistung. Nachdem sie gegessen,bezahlt und das Restaurant verlassen hatten,lief einer der Studenten noch einmal zurück,weil er etwas vergessen hatte. Als er denKellner sah, bat er ihn um Hilfe, in derHoffnung, er könne ihm mit seinemhervorragenden Gedächtnis weiterhelfen.

Doch der Kellner sah ihn nur mit leeremBlick an. Er hatte keine Ahnung, wer der Gastwar, geschweige denn, wo er gesessen hatte.Auf die Frage, wie er ihn so schnell vergessenhaben konnte, erwiderte der Kellner, ererinnere sich nur so lange an die Bestellung,bis er sie serviert habe.

Zwei der Gäste, eine russischePsychologiestudentin namens Bluma Zeigarnikund ihr Mentor, der renommierte ProfessorKurt Lewin, machten sich Gedanken überdieses Erlebnis und fragten sich, ob dahintervielleicht ein allgemeingültiges Gesetzstecken könnte. Traf das menschliche Gehirneine Unterscheidung zwischen erledigten undzu erledigenden Aufgaben? Sie begannen mit

der Beobachtung von Leuten, die beim Löseneines Puzzlespiels unterbrochen wurden.Diese und viele weitere Untersuchungen, diein den folgenden Jahrzehnten durchgeführtwurden, bestätigten den sogenanntenZeigarnik-Effekt: Nicht erledigte Aufgabenund nicht erreichte Ziele kommen uns immerwieder in den Kopf. Wenn eine Aufgabejedoch erledigt und abgeschlossen ist, endetder Strom der Ermahnungen.

Sie können den Zeigarnik-Effektnachvollziehen, wenn Sie ein Lied hören undes vor dem Ende abschalten. Wahrscheinlichspukt Ihnen die Melodie zu unmöglichenZeiten im Kopf herum. Wenn Sie das Lied zuEnde hören, hakt Ihr Geist es ab. Aber wennSie es vor dem Ende abbrechen, behandelt IhrGeist es als unerledigte Angelegenheit. So alswolle er Sie daran erinnern, dass Sie nocheine Aufgabe zu erledigen haben, spielt erIhnen immer wieder Schnipsel aus dem Liedein. So geht es auch Bill Murray in demKinofilm Und täglich grüßt das Murmeltier,der morgens den »I Got You Babe« dudelndenRadiowecker abschaltet und den ganzen Tagvon der Melodie verfolgt wird. Deshalb sind

»Ohrwürmer« oft schreckliche Lieder, denngenau die sind es, die wir vorzeitig abstellen.

Aber warum sollte sich unser Gehirn mit »IGot You Babe« herumärgern? Psychologenmeinen, diese Ohrwürmer seien einunglückliches Abfallprodukt einer im Grundesehr nützlichen Funktion, nämlich dervollständigen Erledigung von Aufgaben. ImLaufe der Jahrzehnte wurden verschiedensteTheorien aufgestellt, um die Funktionsweisedes Zeigarnik-Effekts zu erklären. Eine Thesebehauptete beispielsweise, das Unbewusstebeobachte unsere Ziele und stelle sicher, dasswir sie umsetzen; diese störenden Gedankenseien also im Grunde ein positives Signal,denn sie zeigten, dass Ihr Unbewusstes amBall bleibe, bis die Aufgabe erledigt ist. Einezweite These meinte, das Unbewusste suchedie Hilfe des Bewusstseins: Wie ein kleinesKind, das einen Erwachsenen am Ärmel zupft,um seine Aufmerksamkeit zu bekommen,fordere das Unbewusste das Bewusstsein auf,seine Aufgabe zu erledigen.

Baumeisters Assistent E. J. Masicampofand jedoch eine bessere Erklärung desZeigarnik-Effekts. In einem Experiment

forderte er Studenten auf, an die wichtigstePrüfung des Semesters zu denken (dieKontrollgruppe sollte an die wichtigste Partydenken). Die Hälfte von ihnen sollte danneinen konkreten Lernplan aufstellen.

Danach bekamen die Teilnehmer eineAufgabe, die den Zeigarnik-Effekt maß. Sieerhielten unvollständige Wörter und solltendiese ergänzen. Diese Wörter warengeschickt so gewählt, dass sie an Wörtererinnerten, die mit Lernen zu tun haben,obwohl es auch andere Lösungen gab. Wennbeispielsweise ein Pr... vorgegeben wurde,dann war eine mögliche Lösung »Prüfung«,aber genauso ließen sich auch Wörter wie»Prozent« oder »Prämie« bilden. DieWissenschaftler gingen davon aus, dass dieTeilnehmer, in deren Kopf die unerledigteAufgabe herumspukte, verstärkt Lösungenwählen würden, die direkt oder indirekt mitPrüfungen zu tun hatten. Und so war es auch:Den Teilnehmern ohne Lernplan spukte derGedanke an die Prüfung im Kopf herum.Teilnehmer, die einen Lernplan erstellthatten, waren zwar auch an die Prüfungerinnert worden, aber nachdem sie einen Plan

gemacht hatten, war das Thema offenbarerledigt.

In einem anderen Experiment wurden dieTeilnehmer aufgefordert, über wichtigeProjekte nachzudenken. Einige solltenAufgaben aufschreiben, die sie kürzlicherledigt hatten, andere solche, die nochanstanden und demnächst erledigt werdensollten; eine Kontrollgruppe sollte gar nichtsaufschreiben. Danach sollten die Teilnehmerdie ersten zehn Seiten eines Romans lesen.Während der Lektüre wurde regelmäßigüberprüft, ob ihre Gedanken abschweiftenoder ob sie sich auf den Text konzentrierten.Im Anschluss wurden sie gefragt, wie gut siesich konzentrieren konnten und ob ihreGedanken abgeschweift waren. Außerdemhatten sie einige Fragen zum Text zubeantworten.

Wieder machte der Plan den Unterschied.Diejenigen Teilnehmer, die unerledigteAufgaben notiert hatten, standen vorgrößeren Schwierigkeiten, sich auf denRoman zu konzentrieren – es sei denn, siehatten einen Plan aufgestellt. Obwohl sie dieAufgabe nicht erledigt und nicht einmal

begonnen hatten, half ihnen der Plan, denKopf frei zu bekommen und den Zeigarnik-Effekt aufzuheben. Verfügten die Teilnehmerüber keinen Plan, wurden sie von lästigenSorgen verfolgt. Ihre Gedanken schweiftenvom Roman zu den nicht erledigten Aufgabenund sie schnitten bei den Verständnisfragenschlechter ab.

Der Zeigarnik-Effekt ist also keinemahnende Stimme, die erst zum Schweigengebracht wird, wenn die Aufgabe erledigt ist.Die nagenden Gedanken sind kein Zeichen,dass das Unbewusste an der Erledigung derAufgabe arbeitet oder das Bewusstseintraktiert, sie zu erledigen. Das Unbewusstefordert das Bewusstsein vielmehr auf, einenPlan zu erstellen. Das kann das Unbewussteoffenbar nicht allein, deshalb quengelt es, bisdas Bewusstsein Ort, Zeit und andereEinzelheiten in einem Plan festlegt. Ist derPlan gefasst, hört das Unbewusste auf, dasBewusstsein mit seinen Ermahnungen zunerven.

Genauso geht Allens System mit demAffen-Geist um. Wenn Ihre To-do-Liste 150Punkte enthält, wie bei vielen von Allens

Klienten, dann könnte der Zeigarnik-Effektdazu führen, dass Sie von einer Aufgabe zuranderen springen und zu gar nichts kommen.Vage gute Absichten beruhigen IhreGedanken nicht. Wenn Sie einen Berichtbekommen, den Sie vor der nächsten Sitzungam Donnerstagmorgen lesen müssen, dannwill Ihr Unbewusstes ganz genau wissen, waswann und wie als Nächstes zu tun ist. Aberwenn Sie einen Plan erstellen und den Berichtzum Beispiel in Ihrer Wiedervorlagemappe fürMittwoch einordnen, dann haben Sie diesennächsten Schritt festgelegt und können sichentspannen. Sie haben immer noch 150 Dingezu tun, aber der Affe schweigt und das Wasserist still.

Endlich alles erledigt

Als David Allen in Drew Careys Büro ankam,fing er da an, wo er immer anfängt: derAnsammlung von »Zeug«. In seinem Buchdefiniert Allen »Zeug« als »alles, was Sie inIhre psychische oder physische Welt gelassen

haben, das sich nicht an seinem Platz befindetund für das Sie weder ein erwünschtesErgebnis noch einen nächsten Schrittfestgelegt haben«. Oder wie Carey sagt: »Derganze Scheiß in meinem Büro.«

Dann begann die zweite Phase des GTD-Systems, die Verarbeitung des Zeugs. Nunmusste Carey entscheiden, was zu erledigen,zu delegieren, zu verschieben oderwegzuwerfen war. Was keine Handlungerforderte, konnte entweder weg oder insArchiv. Was Handlung erforderte und zueinem umfangreicheren Projekt gehörte –etwa Careys Vorbereitungen für eineWohltätigkeitsveranstaltung zu Ehren dessüdafrikanischen Bischofs Desmond Tutu –,wurde in Projektordnern im Computer oder imAktenschrank zusammengefasst. Bei derDurchsicht der Papiere, unbeantworteten E-Mails und unerledigten Aufgaben in seinemComputer und seinem Kopf ordnete er sieDutzenden persönlichen undunternehmerischen Projekten zu. Das isttypisch: Allens Klienten verfolgen in der Regelzwischen dreißig und hundert Projekte, jedesmit mehreren Aufgaben, deren Sichtung,

Ordnung und Aufarbeitung jeweils einen oderzwei Tage in Anspruch nehmen. NachdemCarey die Projekte identifiziert hatte, mussteer für jedes einen konkreten nächsten Schrittbenennen. Was war bei der Vorbereitung derWohltätigkeitsveranstaltung als Nächstes zutun? Während Carey sein Zeug durchackerte,saß Allen den ganzen Tag bei ihm im Büro.

»Der hat echt dagesessen und mir dabeizugeschaut, wie ich meine E-Mailsabgearbeitet habe«, erzählt Carey. »Immer,wenn ich ins Stocken gekommen bin, hat ermich gefragt: ›Was ist los?‹ Und wenn ich esihm gesagt habe, hat er mir geantwortet: ›Tudies.‹ Und das habe ich dann gemacht. Er wartotal entschieden. Nur ein paar Mal hat ergesagt: ›Du kannst dies oder das machen.Was willst du?‹« Allen brachte ihm bei, eigeneMappen für Anrufe und E-Mails anzulegen undunklare Projekte in eine»Irgendwann/Vielleicht«-Mappe zu stecken.Außerdem erklärte er ihm die Zwei-Minuten-Regel: Wenn eine Aufgabe weniger als zweiMinuten erfordert, dann schreiben Sie sienicht auf eine Liste. Räumen Sie sie sofort ausdem Weg.

»Wenn ich früher einen Stapel Papiergesehen und nicht gewusst habe, was dasalles ist, dann habe ich Panik bekommen«,gesteht Carey. »An dem Tag, an dem nichtsmehr in meinem Eingangsordner war – keineAnrufe, keine E-Mails, nichts, kein BlattPapier –, hatte ich das Gefühl, dass eine Lastvon mir abgefallen ist. Ich hatte das Gefühl,ich komme gerade vom Meditieren aus derWüste. Ich hatte keine Sorgen mehr. Ich wareuphorisch.«

Seither besucht ihn Allen nur noch einmalim Monat, und dank seiner Hilfe ist seinSchreibtisch aufgeräumt. Manchmal erlebtCarey zwar seine Rückschläge, etwa wenn erunterwegs war und sich das »Zeug«angesammelt hat. Aber er weiß jetzt, dass eres abarbeiten wird. Er kann ein Buch lesenoder einen Yogakurs besuchen, ohne sichschuldig fühlen zu müssen. Nachdem derAlltagskram erledigt ist, kann er sich um diewichtigen Dinge kümmern, etwa darum, seineComedys zu schreiben. »Es gibt nichtsSchlimmeres, als schreiben zu wollen, wenndas Telefon blinkt und Sie einen Stapel Briefeund E-Mails vor der Nase haben«, sagt er.

»Das wird einfach nichts. Aber wenn Siewissen, dass der andere Kram erledigt ist,können Sie sich konzentrieren. Dann sind Sieviel kreativer.« Genau das ist der Grund fürden Erfolg von GTD in Unternehmen und imAlltag. Und das ist der Grund, warumSchauspieler, Künstler und andere kreativeMenschen von Allens Ordnern und Mappenschwärmen.

»Egal ob Sie Ihren Garten anlegen, einFoto machen oder ein Buch schreiben wollen:Es gehört dazu, dass Sie ein kreatives Chaosschaffen können«, meint Allen. »Aber dazubrauchen Sie eine aufgeräumte Bühne. Mehrals ein Chaos ist zu viel. Stellen Sie sich vor,Sie wollen Gott finden. Aber wenn Sie keinKatzenfutter im Haus haben, dann sollten Siesich schleunigst überlegen, wo sie welchesherbekommen. Sonst nimmt das Katzenfutterviel mehr Aufmerksamkeit in Anspruch alsnötig und hindert Sie daran, Gott zu finden.«

Aber warum ist es so schwierig, dasKatzenfutter auf die Liste zu setzen? Warumbezahlen Manager Allen 20 000 Dollar amTag und suchen immer noch nachEntschuldigungen, um vor dem Zeug auf

Ihrem Schreibtisch Reißaus zu nehmen?Manchmal muss Allen die Manager sogar ausder Männertoilette holen und an denSchreibtisch zurückzerren. Nachdem er so oftzugesehen hat, wie seine Klienten über dentrivialsten Entscheidungen und nächstenSchritten leiden, ist ihm klargeworden, wasdas Wort »entscheiden« mit »scheiden« und»verabschieden« zu tun hat.

»Wenn wir uns entscheiden, was wir mitunserem Zeug machen oder welchen Film wirsehen wollen, dann denken wir nicht, was fürtolle Möglichkeiten wir haben. Eine Stimme inuns sagt uns, wenn ich diesen Film sehe, dannkann ich die anderen Filme nicht sehen. Siekönnen die ganze Zeit über meinen, dass Siewissen, was Sie tun, aber wenn Sie vor derEntscheidung stehen, dann hören Sie diesenDialog in Ihrem Kopf: ›Ich hab Recht, ich habUnrecht, ich hab Recht, ich hab Unrecht …‹Wenn Sie eine Entscheidung treffen, dannheißt es, Abschied nehmen, und Sie fallen indieses existenzielle Loch.«

Existenzielle Löcher lassen sich im Labornur schwer beobachten. Aber wenn jemandlange in diesem Loch zubringt, hat das

Konsequenzen, und die sind leichter zumessen. In dieser Lage verhalten sich mancheMenschen wie Eliot Spitzer, dem wir imnächsten Kapitel begegnen.

KAPITEL 4

WENN DER WILLESCHWACH WIRD

Wer Mann sein will,der muss das Königreichin sich beherrschen.Als Souverän muss er dortseinen Thron auf dembezwungnen Willen baun,die Anarchie aus Hoffnungenund Ängsten unterwerfenund ganz er selber sein.

Percy Bysshe Shelley

Ehe wir zur Wissenschaft der Entscheidungenkommen, wollen wir mit einer politischenÜbung beginnen. Stellen Sie sich vor, Sie sindein verheirateter Mann und Gouverneur einesgroßen Bundesstaates im Nordosten derVereinigten Staaten. Nach einem langen Tagim Büro entspannen Sie sich im Internet.Zufällig – vielleicht auch nicht ganz so zufällig– stoßen Sie auf eine Seite, die sich selbst»beliebtester internationalerVermittlungsdienst für Menschen mithöchsten Ansprüchen« nennt. Der Name desAnbieters ist Emperors Club VIP.

»Es ist unser Ziel, Ihr Leben friedlicher,ausgeglichener, schöner und sinnvoller zugestalten«, so besagter Club. Zu diesemZweck präsentiert er auf seiner WebsiteFotos von leicht bekleideten jungen Frauen,die mit Diamanten bewertet wurden. Gegeneine bescheidene »Vermittlungsgebühr« stehtIhnen jede dieser Frauen für gemeinsameFreizeitaktivitäten zur Verfügung. Sie stehenvor einer schwierigen Wahl. Welche derfolgenden Optionen bringt mehr»Ausgeglichenheit« in Ihr Leben:

a. Besuchen Sie ein Museum und bewundernSie impressionistische Gemälde inBegleitung von Savannah, »Künstlerin undkreative Schönheit«, für 1 000 Dollar proStunde, zahlbar in bar.

b. Verabreden Sie sich zu einem Abendessenmit Renee, einem »italienisch-griechischenModel«, das »Weine aus der Toskana,schwarzen Espresso und den herben Duftder Männlichkeit schätzt«, für 1 500 Dollarpro Stunde, zahlbar in einer anonymenGeldanweisung.

c. Buchen Sie einen Abend in einemHotelzimmer mit Kristen, einer 23-jährigenSchönheit mit »viel Tiefe und vielenSchichten« sowie einer lateinischenTätowierung, für 1 000 Dollar pro Stunde,zahlbar durch eine Überweisung von Ihremprivaten Bankkonto.

d. Verbringen Sie einen Tag mit Maya, diemit sieben Diamanten bewertet wird, »eineunvergleichliche Schönheit vonelektrisierender Präsenz« für 31 000Dollar, zahlbar per Anweisung aus IhremSpesenkonto unter dem Betreff

»persönliche Balance-Beraterin«.e. Fragen Sie den Chef Ihres Beraterstabs,

welche Frau für Sie die beste Wahl ist.f. Verlassen Sie die Website, schalten Sie

einen Nachrichtensender ein und nehmenSie eine kalte Dusche.

Eigentlich keine Frage, oder? Aber warum fielEliot Spitzer67 , dem damaligen Gouverneurdes Bundesstaats New York, die Entscheidungso schwer? Er entschied sich für c – undreihte sich damit in die lange Liste vonPolitikern und Managern ein, die ihreKarrieren mit unerklärlichen und dummenEntscheidungen ruiniert haben. Spitzer, dersich in seiner Zeit als Staatsanwalt dieVerfolgung der Prostitution auf die Fahnengeschrieben hatte, traf sich nicht nur mitKristen, sondern bezahlte dasSchäferstündchen mit einer Überweisung vonseinem privaten Konto, die sich jederzeitnachvollziehen ließ. Er wusste, dass er alsGouverneur keine Sekunde lang unbeobachtetwar und kannte die Risiken der Prostitution.Während seiner langen politischen Karrierehatte er sich einen Ruf für politische Klugheit,

strenge Disziplin und moralischeAufrichtigkeit erworben. Warum war erplötzlich, am Ziel seiner Träume, von diesemKurs abgekommen? Hatte ihm die Macht dieSinne so weit vernebelt, dass er sichunverwundbar fühlte? Oder war er schonimmer ein Narziss gewesen? Fühlte er sich imGrunde unwürdig? Oder hatte er nach denvielen Privilegien, die er in seinerMachtposition genoss, ganz einfach dasGefühl, dass ihm alles zustand, was er wollte?

Wir wollen Spitzer nicht auf die Couchlegen. Wir wollen nur auf einen weiterenFaktor hinweisen, der in seinem Fall sichereine Rolle spielte, genau wie bei so vielenanderen Ausrutschern, mit denenFührungspersönlichkeiten ihre Karrieren undFamilien zerstörten. Als sich Spitzer mit einerProstituierten einließ, der Gouverneur vonSouth Carolina in Buenos Aires heimlich seineFreundin traf und Bill Clinton sich von seinerPraktikantin verwöhnen ließ, wurden sieOpfer eines typischen Berufsrisikos vonEntscheidern. Das Problem derEntscheidungsmüdigkeit68 beeinträchtigtalles Mögliche: die Laufbahn von Politikern

und Managern genauso wie die Urteile vonRichtern und anderen Menschen, denn esschlägt sich im Verhalten nieder. Leider sindsich die wenigsten dessen auch nur bewusst.Auf die Frage, ob Entscheidungen ihreWillenskraft schwächen, würden die meistenvon uns vermutlich mit Nein antworten. Aberdie Entscheidungsmüdigkeit erklärt, warumansonsten vernünftige Menschen plötzlichKollegen und Angehörige anschreien, Geldzum Fenster hinauswerfen, sich mit Junkfoodvollstopfen und sich vom Autohändlerüberreden lassen, die vollverzinkteKarosserie zu wählen.

Auf diese Gefahr stieß Jean Twenge,Postdoktorandin in Baumeisters Labor, diesich in das Thema Selbstdisziplin einarbeitete,während sie ihre Hochzeit plante. Währendsie sich in das Radieschen-Experimentvertiefte, erinnerte sie sich an einekräftezehrende Erfahrung, die sie kurz zuvorgemacht hatte. Sie hatte nämlich einenHochzeitstisch organisiert, diese sonderbareTradition zur Erpressung von Freunden undVerwandten. Eigentlich dürfen sich nur KinderGeschenke wünschen, und auch nur vom

Christkind, aber der Hochzeitstisch ist eineAusnahme, weil er angeblich alle Beteiligtenentlastet. Die Gäste müssen nicht lange nachGeschenken suchen und das Paar muss nichtbefürchten, am Ende 37 Suppenschüsseln undkeine einzige Schöpfkelle zu bekommen. Ganzstressfrei ist die Angelegenheit trotzdemnicht, wie Twenge erkennen musste, als sieund ihr Zukünftiger sich eines Nachmittagsmit der Hochzeitsfachverkäuferin einerKaufhauskette zusammensetzten, um ihreWunschliste zusammenzustellen. Wollten sieein gemustertes Geschirr? Wenn ja, welchesService sollte es sein? Welches Besteck?Welche Sauciere genau? Welche Handtücher?In welcher Farbe?

»Am Ende hätte ich alles genommen«,gestand Twenge ihren Kollegen im Labor. Andiesem Abend hatte sie am eigenen Leiberlebt, wie es sich anfühlt, wenn dieWillenskraft erschöpft wird. Zusammen mitanderen Psychologen dachte sie sich einenTest aus, um ihre Erlebnis wissenschaftlich zubeschreiben. Sie erinnerte sich, dass einKaufhaus in der Nähe des Labors einenRäumungsverkauf veranstaltete, und kaufte so

viele Geschenke, wie es das Laborbudgethergab – keine edlen Hochzeitsgeschenke,eher Glasperlen für die Studenten.

Im ersten Experiment wurde denVersuchsteilnehmern ein Tisch gezeigt, aufdem die verlockenden Waren aufgebautwaren. Twenge sagte ihnen, dass sie am Endedes Experiments einen Gegenstand behaltendurften. Dann sollten einige der TeilnehmerFragen beantworten, von denen sieannahmen, dass sie in Zusammenhang mitdem Produkt standen, das sie am Endemitnehmen durften. Sie mussten eine Reihevon Entweder-oder-Entscheidungen treffen:Wollten sie lieber einen Stift oder eine Kerze?Eine Kerze mit Vanille- oder Mandelduft?Eine Kerze oder ein T-Shirt? Ein schwarzesoder ein rotes T-Shirt? Die Kontrollgruppe –nennen wir sie die Nicht-Entscheider – durftesich währenddessen an den Waren sattsehen,ohne Entscheidungen treffen zu müssen. Siesollte lediglich ihre Meinung zu den Produktenabgeben und angeben, wie oft sie welches inden zurückliegenden sechs Monaten benutzthatte. Danach wurden sämtliche Teilnehmereinem klassischen Test zur Selbstdisziplin

unterzogen und mussten ihre Hand so langewie möglich in eiskaltes Wasser stecken. Dasist eine unangenehme Erfahrung, und dieTeilnehmer verspüren den Impuls, die Handwieder herauszuziehen, weshalbSelbstbeherrschung erforderlich ist, um sie imWasser zu lassen. Dabei stellte sich heraus,dass die Entscheider deutlich schnelleraufgaben als die Nicht-Entscheider. Die vielenEntscheidungen hatten offenbar an ihremWillen gezehrt.

In einer Abwandlung des Versuchsmussten die Studenten einVorlesungsverzeichnis durchgehen und Kurseauswählen, die sie belegen wollten. In einemweiteren Experiment sollten die Teilnehmereines Psychologiekurses über das restlicheKursprogramm entscheiden: Welche Filmewollten sie sehen, wie viele Wissenstestswollten sie noch ablegen? Nachdem sie dieseEntscheidungen getroffen hatten, sollten siemathematische Aufgaben lösen. Einigenteilten die Kursleiter mit, sie müssten einenIntelligenztest lösen und könnten ihre Werteverbessern, wenn sie eine Viertelstunde langübten; dazu wurden sie in einen Raum

gebracht, in dem ihnen nicht nurÜbungsmaterial zur Verfügung stand, sondernauch Zeitschriften und Videospiele. Wiederund wieder zeigte sich, wie Entscheidungenan der Willenskraft der Studenten zehrten.Entscheider gaben deutlich schneller auf alsNicht-Entscheider, und statt ihre Zeit zurVorbereitung zu verwenden, verschwendetensie sie lieber auf Zeitschriften undVideospiele.

Um ihre Theorie im wirklichen Leben zuüberprüfen, suchten die Forscher diearchetypische Entscheidungsarena von heuteauf: das Einkaufszentrum. Besucher einerMall wurden zu ihrer Erfahrung in denGeschäften befragt und sollten danach einigeeinfache Rechenaufgaben erledigen. DieWissenschaftler baten sie höflich, so vieleAufgaben wie möglich zu lösen, wiesen siejedoch darauf hin, dass sie jederzeit aufhörenkonnten. Wie zu erwarten gaben dieEinkäufer, die bereits zahlreicheEntscheidungen in den verschiedenenGeschäften getroffen hatten, am schnellstenauf. Wenn Sie einkaufen bis zum Umfallen,dann fällt Ihre Willenskraft mit um. Praktisch

gesehen zeigte das Experiment die Gefahrendes Marathon-Shoppings. Aber auftheoretischer Ebene warf es eine neue Frageauf: Welche Entscheidungen zehren ammeisten an unserer Willenskraft? WelcheEntscheidungen sind die schwierigsten?

Warum Entscheidungen soschwierig sind

Psychologen unterscheiden zweigrundlegende mentale Prozesse: unbewussteund bewusste. Unbewusste Prozesse laufenautomatisch ab und kosten keineAnstrengung. Wenn Sie jemand fragt: »Wasist 4 mal 7?«, dann kommt Ihnen vermutlichunwillkürlich die Antwort 28 in den Kopf.Sollen Sie dagegen 26 mit 30 multiplizieren,ist vermutlich ein gewisser Aufwanderforderlich, denn Sie werden einigeRechenschritte durchführen, um zumErgebnis 780 zu gelangen. Schwierigemathematische Berechnungen und anderelogische Denkoperationen erfordern die

Befolgung systematischer Regeln, und dazubenötigen Sie Willenskraft. Wenn SieEntscheidungen treffen, führen Sie oftähnliche Operationen durch – Psychologensprechen vom Rubikon-Modell69 derHandlungsphasen, benannt nach dem Fluss,der im Römischen Reich die Grenze bildetezwischen Italien und der seinerzeitigenProvinz Gallien, die auch das heutigeNorditalien umfasste. Als Julius Cäsar an denRubikon gelangte, war ihm bewusst, dass einFeldherr, der nach Rom zurückkehrte, seineTruppen hier zurücklassen musste. Würde erden Fluss mit seinen Legionen überqueren,dann bedeutete das den Bürgerkrieg.Während er am gallischen Ufer seine Zieleund Möglichkeiten erörterte und Kosten undNutzen gegeneinander abwog, befand er sichin der »Vorentscheidungsphase«. Nachdem erdiese abgeschlossen und den Rubikonüberquert hatte, gelangte er in die»Nachentscheidungsphase«, für die er einberühmtes Bild fand, als er erklärte: »DerWürfel ist geworfen.«

Im Prinzip könnte der gesamte Prozesseine Willensanstrengung erfordern, aber

welcher Teil kostet am meisten Kraft? Sind esvor allem die Überlegungen vor derEntscheidung? Zu diesem Zeitpunkt warenTwenge und einige ihrer Forscherkollegendurch das lange laufende Projekt rechterschöpft, doch für die Entscheidung, ob dieArbeit in der führenden Fachzeitschriftpubliziert werden würde, beharrten dieHerausgeber auf weiteren Antworten. Andieser Stelle nahm die als »Vollstreckerin«bekannte Kathleen Vohs die Zügel in dieHand. Sie entwickelte ein Experiment mit derWebsite von Dell Computers, auf der sichKunden einen Computer ganz nach ihrenindividuellen Wünschen zusammenstellenkönnen. In dem Experiment sollten dieTeilnehmer auf der Website die Größe derFestplatte, die Art der Bildschirms und soweiter auswählen und sich ihrenWunschcomputer bauen, ohne allerdings amEnde einen Kauf zu tätigen.

Die Teilnehmer wurden nach demZufallsprinzip in drei Gruppen eingeteilt. Dieeinen sollten sich einen Überblick über dieOptionen und Preise verschaffen und sich eineMeinung bilden, aber keine Wahl treffen. Hier

sollte es lediglich darum gehen, dieVorentscheidung zu simulieren, aber ohneeigentliche Entscheidung.

Die Teilnehmer der zweiten Gruppeerhielten eine Liste mit bereits ausgewähltenEigenschaften und sollten den Computerzusammenstellen. Schrittweise mussten sie inder Vielfalt der Optionen die entsprechendenEigenschaften ausfindig machen undanklicken, bis der Computer vollständigzusammengestellt war. Sie sollten mitanderen Worten all das tun, was in dieNachentscheidungsphase fällt, in der dieEntscheidung umgesetzt wird.

Die Angehörigen der dritten Gruppeschließlich mussten entscheiden, aus welchenTeilen ihr Computer zusammengebaut werdensollte. Sie hatten sich also nicht nur einenÜberblick über die Möglichkeiten zuverschaffen oder die Entscheidungen andererumzusetzen, sondern sie mussten selbstwürfeln. Das erwies sich als dieanstrengendste Aufgabe von allen. In einemanschließenden Ausdauertest, in dem dieTeilnehmer Anagramme lösen sollten, gabendie Entscheider eher auf als die Angehörigen

der beiden anderen Gruppen. DieÜberquerung des Rubikons bedeutet geistigeSchwerstarbeit – egal ob wir über die Zukunfteines Weltreiches entscheiden oder über dieGröße einer Festplatte.

Aber was, wenn die Optionen leichter undattraktiver sind als der Beginn einesBürgerkrieges oder das Innenleben einesComputers? Was, wenn Sie denAuswahlprozess als angenehm empfinden?Zehrt er auch dann an Ihrer Willenskraft?

Dieser Frage gingen Wissenschaftler miteiner Abwandlung des Hochzeitstischs nach,nur dass diesmal die Teilnehmer dieunterschiedlichsten Einstellungen zu ihrerAufgabe mitbrachten. Einige der jungenMänner und Frauen widmeten sich derAuswahl ihrer Hochzeitsgeschenke mitdeutlich mehr Begeisterung als Twenge.Vorher gaben sie an, dass sie sich darauffreuten, ihre Geschenke auszuwählen, undauch nachher erklärten sie, das Erlebnisgenossen zu haben. Andere Teilnehmer desExperiments gaben dagegen an, sie hätten nurwenig Lust darauf, sich zwischenverschiedenen Geschirrservice, Bestecken

und Haushaltsgeräten zu entscheiden.Wie zu erwarten, waren diejenigen, die

den Prozess als angenehm empfanden, amEnde weniger erschöpft – aber auch ihreWillenskraft hatte ihre Grenzen. Wenn dieTeilnehmer eine kurze Liste erhielten, die siein vier Minuten abarbeiten konnten, dannstellte dies für die begeistertenGeschenkeaussucher noch keine Anstrengungdar, während sich die Hochzeitstisch-Verächter bereits nach dieser kurzen Übungermattet zeigten. Aber als die Liste längerwurde und der Test sich über zwölf Minutenhinzog, erwiesen sich am Ende beide Gruppenin Ausdauertests als gleichermaßenausgelaugt. Ein paar angenehmeEntscheidungen treffen wir mühelos, aberlangfristig hat offenbar jede Entscheidungihren Preis – zumindest, wenn wir sie für unsselbst treffen.

Entscheidungen für andere zu treffen,scheint dagegen weniger mühsam. WährendSie über der Auswahl Ihrer eigenenCouchgarnitur schwitzen, kostet Sie dieDekoration des Wohnzimmers einesBekannten kaum Mühe. Es mag Ihnen zwar

schwerfallen, den Sesselbezug für einenMenschen auszuwählen, dessen GeschmackSie nicht kennen, aber diese Schwierigkeitwird offenbar dadurch wettgemacht, dassIhnen das Resultat weniger wichtig ist – Siemüssen schließlich nicht mit dem rosa Veloursleben. Das andere Ufer des Rubikons wirktweit weniger bedrohlich, wenn Sie wissen,dass jemand anders dort stehen wird.

Das Richterdilemma

Unlängst stellten vier Männer, die Haftstrafenin israelischen Gefängnissen absaßen, Antragauf vorzeitige Haftentlassung. DieEntscheidung darüber wurde von einemGremium mit einem Richter, einemPsychologen und einem Sozialarbeitergetroffen, die auf einer ganztägigen Sitzungüber ihre und ähnliche Anträge befanden.Jeder der vier Antragsteller warWiederholungstäter und hatte bereits zueinem früheren Zeitpunkt eine Haftstrafe fürein anderes Delikt verbüßt. Jeder hatte zwei

Drittel seiner neuen Haftstrafe abgesessen,jeder wollte nach seiner Entlassung an einemResozialisierungsprogramm teilnehmen. Eslagen allerdings auch einige Unterschiede vor,weshalb das Gremium nur zwei der vierMänner vorzeitig aus der Haft entließ. SehenSie sich die folgende Liste an und raten Sie,welche Männer freikamen und welche hinterGittern blieben: Fall 1 (8:50 Uhr):Araber mit einer 30-monatigen Haftstrafe wegen Betrugs. Fall 2 (13:27 Uhr):Jude mit einer 16-monatigen Haftstrafe wegen Überfalls. Fall 3 (15:10 Uhr):Araber mit einer 16-monatigen Haftstrafe wegen Überfalls. Fall 4 (16:25 Uhr):Jude mit einer 30-monatigen Haftstrafe wegen Betrugs. Die Entscheidung des Ausschusses weist einMuster auf, aber es hat nichts mit derethnischen Zugehörigkeit, dem Vergehen oderder Dauer der Haftstrafe zu tun, wie Sievielleicht meinen könnten. Das Musterbefeuert vielmehr einen Streit um die Frage

der Gerechtigkeit. Traditionelle Juristenbeschreiben das Gesetz als ein Regelwerk,das unparteiisch zur Anwendung gebrachtwird; ihr Bild ist die Justitia mit denverbundenen Augen. Eine andere Gruppe vonJuristen ist dagegen der Meinung, die Urteileseien vor allem ein Produkt menschlicherVorurteile und nicht abstrakter Regeln. DieseRealisten, wie sie sich selbst nennen,definieren Gerechtigkeit als »das, was derRichter zum Frühstück gegessen hat«.

Diese Behauptung überprüfte einPsychologenteam unter der Leitung vonJonathan Levav von der Columbia Universityund Shai Danziger von der Ben Gurion-Universität. Die beiden Wissenschaftleruntersuchten mehr als tausend Urteile, dieisraelische Bewährungsrichter70 über einenZeitraum von zehn Monaten gefällt hatten.Die Richter berieten sich mit Psychologen undSozialarbeitern und entschieden dann, ob einHäftling vorzeitig auf Bewährung entlassenwurde oder nicht. Wenn die Richter dieHaftverkürzung gewährten, taten sienatürlich den Häftlingen und deren Familieneinen Gefallen und entlasteten den

Staatssäckel, aber sie gingen auch eingewisses Risiko ein. Denn wenn ein Häftlingnach einer vorzeitigen Entlassung einweiteres Mal straffällig wurde, dann warf diesein schlechtes Licht auf den Richter. Undwenn es ein besonders schweres Verbrechenwar, das in der Öffentlichkeit großeAufmerksamkeit erregte, konnte dies den Rufdes Richters langfristig beschädigen.

Durchschnittlich gewähren die Richter nurjedem dritten Häftling eine vorzeitigeHaftentlassung. Doch hier entdeckten dieWissenschaftler ein interessantes Muster: Inden Verhandlungen am frühen Vormittagwurden 70 Prozent der Häftlinge begnadigt,aber in den Verhandlungen am spätenNachmittag waren es nur 10 Prozent. Dasheißt, Häftling 1, dessen Fall um 8:50verhandelt wurde, hatte gute Karten undwurde tatsächlich vorzeitig entlassen. Undobwohl Häftling 4 dieselbe Strafe für dasselbeDelikt verbüßte, standen seine Chancendeutlich schlechter, als er (an einem anderenTag) um 16:25 vor dem Richter erschien. Wiedie meisten Häftlinge, deren Fall am spätenNachmittag verhandelt wird, wurde sein

Gesuch abgelehnt.Der Übergang vom Vormittag zum

Nachmittag verläuft allerdings nicht fließend.Über den Tag hinweg ergeben sich weitereinteressante Muster. Kurz vor halb elf machtdas Gremium in der Regel eine kurze Pauseund die Richter essen belegte Brote oderObst. Damit wird dem Blut wieder frischeGlukose zugeführt. (Erinnern Sie sich an dieKinder, die ohne Frühstück zur Schule kamenund nach einem Pausenbrot plötzlichaufmerksam wurden?) Von den Häftlingen, dieals letzte vor der Pause aufgerufen wurden,kamen nur 15 Prozent frei, nach der Pausewaren es 70 Prozent.

Zur Mittagspause wiederholte sich dasSpiel. Wer unmittelbar vor dem Mittagessenaufgerufen wurde, hatte eine 10-prozentigeChance, freizukommen, wer unmittelbardanach drankam, dagegen eine 60-prozentige.Häftling 2 hatte das Glück, dass sein Fall nachdem Mittagessen verhandelt wurde, und kamfrei. Häftling 3, der dieselbe Strafe fürdasselbe Delikt absaß, war jedoch in einerunterzuckerten Phase um 15:10 an der Reihe,sein Bewährungsgesuch wurde prompt

abgeschmettert.Rechtsprechung ist harte Arbeit. Während

die Richter ein Urteil nach dem anderenfällen, verbrennen ihre Körper denWillensbaustein Glukose. Ganz unabhängigvon ihren persönlichen Überzeugungen – egalob sie als Richter Gnadenlos bekannt warenoder für Resozialisierung eintraten – hattensie weniger mentale Ressourcen zurVerfügung, um ihre Entscheidungen zutreffen. Also neigten sie offenbar zu derOption, die für sie weniger riskant war. Sounfair das für die Häftlinge ist – warum solltensie weiter im Gefängnis schmachten, nur weilder Richter noch kein zweites Frühstück zusich genommen hat? –, stellt diese Form derUrteilsverzerrung keinen Einzelfall dar. ImGegenteil, sie ist überall zu finden. DieBeziehung zwischen Willenskraft undEntscheidung ist keine Einbahnstraße:Entscheidungen zehren an Ihrer Willenskraft,und wenn diese erschöpft ist, sehen Sie nichtmehr klar. Wenn Sie den ganzen Tag überEntscheidungen zu treffen haben, sind Sieirgendwann ermattet und wollen Kräftesparen. Sie suchen nach Entschuldigungen,

eine Entscheidung zu vermeiden oderaufzuschieben. Oder Sie wählen die einfachsteund sicherste Option, und die ist oft der Statusquo: Der Häftling bleibt hinter Gittern.

Dem Häftling die vorzeitigeHaftentlassung zu verweigern, mag demRichter auch deshalb attraktiver erscheinen,weil es ihm mehr Möglichkeiten bietet: Erkann den Häftling später immer nochbegnadigen und sich die Option offenhalten,ihn heute sicher hinter Gittern zu lassen. DieAngst vor Entscheidungen hat oft damit zutun, dass wir uns keine Optionen nehmenwollen. Je mehr wir beim Entscheidenaufgeben, umso größer die Furcht, dass essich dabei um etwas Wichtiges handelnkönnte. Wenn sich Studenten für einDoppelstudium entscheiden, dann oft nicht,weil sie sich und anderen etwas beweisenwollen oder weil sie eine geniale Berufsideevor Augen haben, in der sich Biologie undÄgyptologie miteinander verbinden lassen. Oftkönnen sie sich einfach nicht dazudurchringen, eine der beiden Optionenaufzugeben. Sich für ein Fach zu entscheiden,bedeutet automatisch, sich von dem anderen

zu verabschieden, und genau das fällt unsschwer, auch wenn es besser für uns wäre.Wir sind umso weniger bereit, Optionenaufzugeben, je ausgelaugter unser Wille ist.Da bei Entscheidungen unsere Willenskraftgefordert ist, suchen wir bei ErschöpfungMöglichkeiten, Entscheidungen aufzuschiebenoder ganz zu vermeiden.

In einem Experiment sollten sichTeilnehmer verschiedene Waren ansehen undentscheiden, ob sie etwas kaufen wollten, undwenn ja, was. Teilnehmer, deren Willenskraftzuvor geschwächt worden war, gingen derEntscheidung öfter aus dem Weg und kauftennichts. In einem anderen Versuch sollten sichdie Probanden vorstellen, sie hätten 10 000Dollar auf dem Konto, die sie nicht benötigten,und erhielten ein Angebot, dieses Geldrisikolos zu überdurchschnittlichen Zinsenanzulegen. Teilnehmer mit normalerWillenskraft wollten das Angebotwahrnehmen, doch die ermattetenVersuchspersonen ließen ihr Geld lieber, woes war. Finanziell war diese Entscheidungwenig sinnvoll, da sie auf ihrem Girokontokeine Zinsen bekamen, aber es war leichter,

keine Entscheidung zu treffen.Dieses Phänomen der

Entscheidungsmüdigkeit erklärt auch, warumso viele Menschen die wichtigsteEntscheidung ihres Lebens vor sichherschieben: die Partnerwahl. Mitte des 20.Jahrhunderts heirateten die meistenMenschen in ihren frühen Zwanzigern. Dochdann ergaben sich für Männer und Frauenneue Möglichkeiten. Viele entschieden sichfür ein Studium und für Berufe, die einelängere Ausbildung erforderten. Dank derPille und der veränderten gesellschaftlichenWerte mussten sie nicht heiraten, umGeschlechtsverkehr haben zu können. Jemehr Menschen in die Städte zogen, umsogrößer wurde die Auswahl der potenziellenPartner, und umso größer natürlich auch dieZahl der Optionen, die sie möglicherweiseverloren, wenn sie sich für eine von ihnenentschieden. Für eine Kolumne, die JohnTierney im Jahr 1995 schrieb, untersuchte erein typisches New Yorker Phänomen:Intelligente und attraktive Einwohner derStadt klagten fortwährend, es sei unmöglich,einen Partner zu finden.

Was hinderte die New Yorker daran,Beziehungen einzugehen? Tierney verglicheine Auswahl von Kontaktanzeigen ausStadtmagazinen71 in Boston, Baltimore,Chicago, Los Angeles und New York. Dabeistellte er fest, dass die Singles aus New York,der größten Stadt, nicht nur die größteAuswahl, sondern auch die größten Ansprüchehatten. Im Stadtmagazin New York zähltendie Partnersuchenden durchschnittlich 5,7Eigenschaften auf, die ihr Wunschpartnermitbringen müsse – deutlich mehr als imzweitplatzierten Chicago, wo es nur 4,1waren, und etwa doppelt so viele wie in denanderen Städten. Eine Frau in New Yorkbrachte es auf den Punkt, als sie schrieb: »Siewollen keine Kompromisse machen? Ich auchnicht!« Sie behauptete, sie liebe alles, wasNew York zu bieten habe, aber davonausgeschlossen waren offenbar alle Männer,die nicht attraktiv, erfolgreich, über 1,70Meter groß und zwischen 29 und 35 Jahrenalt waren. Eine andere New Yorkerin suchtegar einen Mann, der mindestens 1,75 Metergroß sein und Polo spielen müsse. Ein Anwalterklärte erst, er sei »erstaunt«, dass er noch

immer Single sei, nur um dann ganze 21Eigenschaften aufzulisten, die seiner»Prinzessin« nicht fehlen dürften.

Unlängst haben Psychologen diese extremwählerische Haltung auch mitwissenschaftlichen Methoden untersucht72und Zehntausende Menschen in Online-Kontaktbörsen oder Speed-Dating-Veranstaltungen beobachtet. In denKontaktbörsen im Internet mussten dieTeilnehmer lange Fragebögen zu ihrenpersönlichen Eigenschaften ausfüllen. Reintheoretisch hätten diese detaillierten Profiledie Suche nach dem Traumpartner erleichternmüssen, aber in Wirklichkeit erzeugten siederart viele Informationen und Optionen, dassdie Teilnehmer geradezu absurd wählerischwurden. Die Wissenschaftler Günter Hitschund Ali Hortacsu von der University ofChicago sowie Dan Ariely von der DukeUniversity stellen fest, dass Online-Dater inder Regel weniger als 1 Prozent derMenschen kennen lernen, deren Profile siesich ansehen. Mehr Glück haben dieLiebessuchenden in der Regel beim Speed-Dating, das meist auf ein oder zwei Dutzend

Teilnehmer beschränkt ist. Jeder Teilnehmererhält die Gelegenheit, sich einige Minutenlang mit den möglichen Kandidaten zuunterhalten. Dann geben sie eine Art Zeugnisab, auf dem sie eintragen, wen sie gernwiedersehen würden, und bei gegenseitigemInteresse wird ein Kontakt hergestellt.Durchschnittlich treffen sich die Teilnehmermit einem von zehn Personen, die sie auf dieseWeise kennen lernen, und in einigenUntersuchungen betrug das Verhältnis sogar1 zu 5 oder 1 zu 3. Angesichts derübersichtlichen Optionen und desEntscheidungsdrucks wählen Speed-Daterihre Partner rasch aus. Die Online-Kunden,die so viele potenzielle Partner zur Auswahlhaben, kommen dagegen nie über die Suchehinaus, so Ariely.

»Bei so vielen Kriterien und so vielenAuswahlmöglichkeiten suchen sie dasPerfekte«, meint er. »Sie wollen sich mitniemandem einlassen, der nicht in Größe,Alter, Religion und 45 anderen Dimensionenihrem Ideal entspricht.«

Ariely untersuchte diese Furcht, sich vonOptionen zu verabschieden, mit Hilfe eines

Computerspiels, in dem die Teilnehmer Geldgewinnen konnten. Dazu mussten sie Türen zuverborgenen Räumen öffnen, in denen sichBargeld befand. Die beste Strategie bestanddarin, die drei Türen zu öffnen, die lukrativsteBelohnung zu finden und in diesem Raum zubleiben. Doch selbst nachdem die Spielerdiese Strategie durchschaut hatten, fiel esihnen schwer, in dem Raum zu bleiben, sobalddas Spiel eine Wende nahm: Wenn sie sicheine gewisse Zeit lang in dem Raumaufgehalten hatten, schloss sich die Tür undverschwand schließlich. Viele Spielerreagierten derart besorgt, dass sie in einenRaum liefen, um die Tür offen zu halten,obwohl sie auf diese Weise ihrenGesamtgewinn verringerten.

»Wenn sich eine Tür schließt, wird das alsVerlust erlebt. Viele sind bereit, einen hohenPreis zu bezahlen, um diese Verlusterfahrungzu vermeiden«, erklärt Ariely.73 Gelegentlichkann das sinnvoll sein, aber oft sind wir soversessen, uns möglichst alle Optionenoffenzuhalten, dass wir nicht sehen, welchenPreis wir – oder andere – langfristig dafürbezahlen. Wenn Sie sich nicht für einen

Partner entscheiden, der nichthundertprozentig perfekt ist, dann bleiben Sieallein. Wenn Eltern am Arbeitsplatz nie Neinsagen können, dann bekommen sie auch ihreKinder nie zu sehen. Und wenn sich einRichter nicht dazu durchringen kann, eineEntscheidung zu treffen, dann hält er sich alleTüren offen – und schlägt sie dem Häftling vorder Nase zu.

Trägheit

Kompromisse sind menschlich. Im Tierreichsind lange Verhandlungen zwischen Räuberund Beute selten. Die Fähigkeit, Kompromisseeinzugehen, ist eine fortschrittliche undbesonders schwierige Form derEntscheidungsfindung, weshalb wir sie alsErstes einbüßen, wenn unser Wille erlahmt.Das lässt sich besonders gut beobachten,wenn wir mit unserem müden Ich einkaufengehen.

Käufer müssen ständig Kompromissezwischen Qualität und Preis machen, die sich

nicht unbedingt proportional zueinanderverändern. Oft steigt der Preis sehr vielschneller als die Qualität der Ware: EineFlasche Wein, die 100 Euro kostet, istvermutlich besser als eine Flasche Wein, dienur 20 Euro kostet, aber ist der Wein wirklichfünfmal so gut? Oder ist ein Hotelzimmer für1 000 Euro fünfmal so gut wie eines für 200?Die Antwort hängt von Ihrem Geschmack undIhrem Geldbeutel ab, aber dass Weine für100 Euro und Hotelzimmer für 1.000 Eurorelativ selten sind, lässt darauf schließen, dasskaum jemand diesen Preis für gerechtfertigthält. Ab einem gewissen Punkt ist derPreisunterschied nicht mehr durch denQualitätsunterschied gerechtfertigt. Aberdiesen Punkt zu finden, ist gar nicht soeinfach.

Je erschöpfter Ihr Wille, umso wenigersind Sie in der Lage, diesen Kompromiss zusuchen. Sie verwandeln sich in einen»kognitiven Geizhals«74 , wie Forscher dasnennen, und sparen Ihre Energie, indem Siejeden Kompromiss vermeiden. Sie sehen sichvermutlich nur noch eine Dimension an, zumBeispiel den Preis: Geben Sie mir einfach das

Billigste. Oder Sie verwöhnen sich, indem Sienur auf die Qualität achten: Geben Sie mir dasBeste, was Sie haben (das bietet sich vorallem dann an, wenn jemand anders bezahlt).

Entscheidungsmüdigkeit macht unsaußerdem zu willigen Opfern von Verkäufern,wie der Psychologe Jonathan Levav von derColumbia University in Experimenten mitMaßanzügen und Neuwagen zeigte. Ähnlichwie Jean Twenge kam ihm die Idee dazu beiseinen Hochzeitsvorbereitungen. Auf denVorschlag seiner Braut hin ging er zu einemSchneider, um einen Anzug in Auftrag zugeben, und diskutierte mit ihm die Wahl desStoffs, des Futters, der Knöpfe und so weiter.

»Als wir beim dritten Stapel Stoffeangekommen waren, wollte ich mich aus demFenster stürzen«, erinnert sich Levav. »Ichkonnte die Stoffe nicht mehrauseinanderhalten. Nach einer Weile hatteich nur noch eine Standardantwort: ›Waswürden Sie mir empfehlen?‹ Ich hatte einfachkeine Kraft mehr.«

Am Ende kaufte Levav einen Anzug vonder Stange (der Preis des Maßanzugserleichterte ihm die Entscheidung), doch er

ließ sich von der Erfahrung beim Schneiderinspirieren, um zusammen mit MarkHeitmann von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Andreas Herrmann vonder Universität St. Gallen und Sheena Iyengarvon der Columbia University einigeExperimente zu entwickeln. In einem davonsollten Schweizer Wirtschaftsstudenten einenMaßanzug bestellen, in einem anderenwurden deutsche Autokunden heimlich beimKauf eines Neuwagens beobachtet. DieAutokunden – echte Kunden, die ihr hartverdientes Geld ausgaben – musstenbeispielsweise zwischen vier verschiedenenGangschaltungen, dreizehn verschiedenenReifen und Felgen, zwölf verschiedenenKombinationen aus Motoren und Getriebenund einer Palette von 56 verschiedenenSitzbezügen ihr Auto zusammenstellen.

Zu Beginn wählten die Kunden nochsorgfältig aus, aber als dieEntscheidungsmüdigkeit75 einsetzte, wähltensie zunehmend einfach die Standardoption. Jemehr Entscheidungen sie zu Beginn zu treffenhatten – beispielsweise die Auswahl unter 56verschiedenen Grau- und Brauntönen für die

Sitze –, umso schneller ermüdeten sie undgingen den Weg des geringsten Widerstandes.(Haben Sie beim Kauf Ihres letzten Autosmehr Zeit mit der Auswahl der Farbe undSitzbezüge zugebracht als bei der desMotors? Haben Sie, obwohl es beim Motorum mehr Geld ging, einfach den Standardgewählt, statt Ihre Entscheidung sorgfältig zuüberdenken?) Die Forscher stellten fest, dassdie Kunden nach einer Änderung derReihenfolge andere Entscheidungen trafen –der Preisunterschied betrug durchschnittlich1 500 Euro. Ob die Kunden einen geringenAufpreis für Alufelgen oder einen saftigenAufpreis für einen stärkeren Motor zahlten,hing davon ab, an welchem Punkt sie vor dieseEntscheidung gestellt worden waren und wieviel Willenskraft sie zu diesem Zeitpunkt nochaufbringen konnten.

Das Experiment mit den Maßanzügenführte zu einem ähnlichen Ergebnis: Sobalddie Entscheidungsmüdigkeit einsetzte, neigtendie Kunden dazu, sich einfach denEmpfehlungen des Schneiders anzuschließen.Wenn sie zu Beginn die schwierigsten Fragenentschieden – diejenigen mit den meisten

Optionen, etwa die Wahl zwischen hundertverschiedenen Stoffen –, ermüdeten sieschneller und gaben später an, den Kaufweniger genossen zu haben, als wenn sie miteinfachen Entscheidungen anfingen und dannzu den schwierigen übergingen.

Manchmal wurden die Käufer durch dievielen Entscheidungen derart ermattet, dasssie am Ende gar nichts kauften, aber meistensfinden clevere Verkäufer eine Möglichkeit,diese Müdigkeit auszunutzen. Wenn Sieerleben wollen, wie diese Strategiefunktioniert, müssen Sie nur in denSupermarkt gehen. Nachdem Sie IhrenEinkaufswagen durch eine Regalreihe nachder anderen geschoben und unter Tausendenmehr oder weniger nahrhaften Lebensmittelnund praktischen Produkten ausgewählt haben,kommen Sie an die Kasse. Und was wartet daauf Sie? Klatschzeitschriften undSchokoriegel. Nicht umsonst spricht man vonSpontankäufen. Es ist kein Zufall, dass manIhnen die Süßigkeiten genau in dem Momentpräsentiert, in dem Sie ihnen am wenigstenwiderstehen können und Ihr von den vielenEntscheidungen erschöpftes Gehirn dringend

einen Energieschub benötigt.

Was ist Ihr Preis?

Stellen Sie sich vor, dass wir Ihnen alsBelohnung dafür, dass Sie dieses Kapitel zuEnde gelesen haben, einen Schecküberreichen. Sie haben die Wahl zwischeneinem Scheck über 100 Euro, den Sie soforteinlösen können, und einem Scheck über 150Euro, der erst in einem Monat ausgezahltwird. Welchen der beiden nehmen Sie?

Für Wirtschaftswissenschaftler ist dieseFrage ein klassischer Test der Selbstdisziplin.Keine Bank zahlt Ihnen 50 Prozent Zinsen ineinem Monat. Wenn Sie keine bessereAnlagemöglichkeit haben und das Geld nichtganz dringend brauchen, dann sind Sie besserbedient, wenn Sie einen Monat warten und150 Euro einstreichen. Die korrekte Antwortwäre also: der zweite Scheck über die höhereSumme. Kurzfristigen Verlockungenwiderstehen zu können, ist das Geheimnis desWohlstands aber auch der Zivilisation. Die

ersten Bauern mussten eine MengeWillenskraft aufbringen, ihr Saatgut zupflanzen und nicht an Ort und Stelleaufzuessen.

Warum schnappen dann ihre bessergenährten Nachfahren in wissenschaftlichenExperimenten oft nach den 100 Euro, die siesofort einstecken können, und warten nichtauf die größere Belohnung? Weil es sich umein weiteres Beispiel einer irrationalenAbkürzung handelt, die wir nehmen, wennunser Wille durch allzu viele Entscheidungenausgelaugt ist. Eine rasche Dosis Glukosekann diesem kurzfristigen Denkenentgegenwirken – das zeigt sich, wennVersuchsteilnehmer eine Limonade trinkenund erst dann die Entscheidung zwischen demkleinen Betrag jetzt und dem größeren spätertreffen.

Einen weiteren Grund, warum sichMenschen für das schnelle Geld entscheiden,fanden Margo Wilson76 und Martin Daly vonder McMaster University mit Hilfe einesklugen Experiments. Zu Beginn des Versuchsforderten die beiden Evolutionspsychologenihre studentischen Versuchsteilnehmer auf,

zwischen zwei Schecks zu wählen: einem, derauf den folgenden Tag datiert war, und einemzweiten über einen höheren Betrag, der aufein späteres Datum ausgestellt war. Danachsollten die Teilnehmer Fotos von Personenund Autos bewerten. Die Fotos stammten vonder Website hotornot.com, einerInternetseite, auf der Mitglieder Fotos vonsich einstellen und ihre Attraktivität auf einerZehn-Punkte-Skala bewerten lassen. Einigeder Versuchsteilnehmer sollten Bilder vonAngehörigen des anderen Geschlechtsbewerten, die auf der Website als »hot«gehandelt wurden (und 9 Punkte oder mehrerhalten hatten), die anderen Teilnehmerbekamen nicht ganz so heiße Bilder zu sehen(die mit weniger als 5 Punkten bewertetworden waren). Eine dritte Gruppe vonVersuchsteilnehmern sollte Autos bewertenund sah heiße Schlitten und alte Rostlauben.

Zum Abschluss wurden die Teilnehmererneut aufgefordert, sich zwischen den beidenSchecks zu entscheiden, und dieWissenschaftler überprüften, ob der Blick aufdie Fotos einen Einfluss auf die Entscheidunghatte. Die Autobilder zeigten keinerlei

Auswirkungen auf die männlichen und nurgeringe Auswirkungen auf die weiblichenTeilnehmer: Frauen, die heiße Autos gesehenhatten, neigten nun tendenziell eher zurschnellen Belohnung; man könnte spekulieren,dass Frauen beim Anblick eines schnellenSchlittens schwach werden, doch der Effektwar nicht so groß, dass Wissenschaftlerdaraus Schlüsse ziehen wollten. Fotos vonMännern machten dagegen keinen Eindruckauf die Frauen, genau wie die Fotos derunattraktiven Frauen auf die Männer.

Eine Gruppe änderte ihr Verhalten jedochdramatisch: Männer, die Fotos vonattraktiven Frauen gesehen hatten, wolltenihre Belohnung sofort und verspürten keineLust, noch länger zu warten. Offenbar wecktder Anblick attraktiver Frauen bei jungenMännern den Wunsch, Geld in der Tasche zuhaben. Plötzlich sehen sie nur noch dieGegenwart und vergessen die Zukunft. DieserEffekt ist offenbar tief in der männlichenPsyche verwurzelt und hat seine Ursprünge inunserer evolutionären Vergangenheit. Diemoderne Genforschung hat gezeigt, dass diemeisten Männer keine Nachkommen

hinterließen77 – die Wahrscheinlichkeit, dassein Mann Kinder zeugte, war etwa halb sogroß wie die Wahrscheinlichkeit, dass eineFrau Kinder bekam. (Auf jedenzeugungsfreudigen Patriarchen wie DschingisKhan kamen viele Männer, die ihre Gene nichtweitergaben.)

Die Männer von heute stammen also vonder Minderheit von Männern ab, die sichfortpflanzte, und ihre Gehirne sind daraufgeeicht, jede Gelegenheit beim Schopf zupacken, mit der sie ihre Chancen verbessernkönnten. Andere Untersuchungen zeigen, dassder Anblick einer attraktiven Frau denNucleus accumbens im männlichen Gehirnaktiviert, der wiederum mit einer Hirnregionin Verbindung steht, die auf Belohnungen wieGeld oder Süßigkeiten anspricht (beimAnblick unattraktiver Frauen bleibt dieserEffekt aus).

In der Vergangenheit stellte esmöglicherweise einen evolutionären Vorteildar, einer attraktiven Frau schnell seineRessourcen demonstrieren zu können. Dieskönnte auch heute noch von Vorteil sein, vorallem wenn man davon ausgeht, dass sich die

eine oder andere Frau vom Anblick einesschicken Wagens beeinflussen lässt. Dasmeinen zumindest die Werbeagenturen, dieLimousinen und andere Luxusgütervermarkten: Sie wissen längst, dass Männereher bereit sind, für ein Luxusobjekt in dieTasche zu greifen, wenn es von einerhübschen Frau präsentiert wird.

Aber heutzutage bildet dieses kurzfristigeDenken keine solide Basis zur Lebensplanungmehr – nicht einmal zur Suche nachressourcenbewussten Partnerinnen. In»Material Girl« sang Madonna: »Only boyswho save their pennies make my rainy day« –die Sängerin steht angeblich nur auf Jungs, dieihre Kröten zusammenhalten. Wenn Sie alsoals Mann wichtige finanzielle Entscheidungentreffen müssen, achten sie auf die Zahlen,nicht auf die weiblichen Kurven. Und wenn Sieein imagebewusster Manager sind, dessenWillenskraft nach einem langen Arbeitstagerschöpft ist, sollten sie definitiv keine Plänefür den Abend machen, nachdem Sie sich dieBilder des Emperors Club VIP angesehenhaben.

KAPITEL 5

DISZIPLIN MACHT SICHBEZAHLT

Ich habe nie einen Mann gekannt,der zu träge war, sich um seineAngelegenheiten und Finanzen zukümmern und nicht in Schwierigkeitengeraten wäre; wem die Geldproblemezur Gewohnheit werden, der nimmt esmit der Ehrlichkeit selten genau.Gott verhüte, dass dies jedein Schicksal werde.

Charles Darwin78 in einem Brief an seinen Sohn, dem ereinen Scheck zur Begleichung von dessen Schulden beilegte

Die Leute haben einfach keine Lust,Buchhalter zu spielen.

Aaron Patzer, Gründer von mint.com

Vor kurzem suchte ein reuigerGeldverschwender den Rat eines Experten,um seiner Schulden Herr zu werden. Erwandte sich an Neuro-Ökonomen derUniversität Stanford, die das Gehirn vonMenschen beim Einkaufen beobachten – sogut das eben in einem Hirnscanner geht. DieWissenschaftler maßen die Aktivität derInselrinde im Gehirn ihrer Probanden,während diese darüber nachdachten, Geld fürelektronische Spielsachen, Bücher undanderes auszugeben. Diese Hirnregion regtsich immer dann, wenn wir etwasUnangenehmes sehen oder hören, und genaudas war der Fall, wenn die Geizhälse unterden untersuchten Personen den Preis dieserDinge sahen. Aber wenn ein typischerGeldverschwender auf Einkaufstour ging,blieb die Inselrinde ruhig – selbst wenn erdarüber nachdachte, sein sauer verdientesGeld für eine Uhr auszugeben, die je nachStimmung die Farbe wechselte.

Aber besagter Geldverschwender warkein ganz hoffnungsloser Fall. Vielleichtsollten wir an dieser Stelle der Vollständigkeithalber erwähnen, dass es sich um John

Tierney handelte. Der Hirnscan79 bestätigtezwar seine verschwenderische Grundhaltung,denn während er darüber nachdachte, seinGeld für überflüssigen Nippes auszugeben,zuckte seine Inselrinde nicht im Geringsten.Doch dann griffen die Wissenschaftler zueinem Trick und hielten Tierney seine letzteKreditkartenabrechnung vor die Nase.Endlich reagierte sein Gehirn mit Missfallen:Als Tierney die nicht bezahlte Rechnung über2 178,23 Dollar sah, sichteten die Neuro-Ökonomen immerhin ein leises Flackern in derInselrinde.

Das war ermutigend. Aber wie ließ sichdiese Erkenntnis nutzen? Die Wissenschaftlerkonnten ihm doch nicht im Einkaufszentrumhinterherlaufen und ihm seineKreditkartenabrechnung unter die Nasehalten, um ihn an die Konsequenzen seinesKaufrauschs zu erinnern. Die beste Lösungwar, ihm ein Budget vorzugeben und ihm zuhelfen, seine Ausgaben zu kontrollieren,genau wie dies Charles Darwin mit seinemSohn gemacht hatte. Das war jedoch leichtergesagt als getan.

Zum Glück gibt es Aaron Patzer. Patzer

wäre ein Sohn ganz nach Darwins Geschmackgewesen. Schon als Jugendlicher führte erpeinlich genau Buch über seine Ausgaben undverbrachte seine Sonntage damit, sie amComputer zu kategorisieren. Irgendwann,während er bei einem Start-up in SiliconValley arbeitete, gab er diese Angewohnheiteine Zeit lang auf. Als er sich dann hinsetzte,um seine Finanzen zu überprüfen, hatte erplötzlich Hunderte von Transaktionen zuverarbeiten. Es musste doch eine bessereMöglichkeit geben, seine Freizeit zuverbringen, dachte er sich. Konnte das nichtein Computer übernehmen? Also gründete erdas Unternehmen Mint.com80 und war damitso erfolgreich, dass er es nach nur zweiJahren für 170 Millionen Dollar an Intuitverkaufte.

Inzwischen verfolgt Mint die Finanzen vonfast sechs Millionen Kunden. Damit ist eseines der größten Experimente zum zweitenentscheidenden Schritt der Selbstdisziplin:der Kontrolle des Verhaltens. Nebenbeihandelt es sich um eine ermutigendeEntwicklung in der Geschichte der künstlichenIntelligenz. Wie andere Unternehmen, die

verschiedene Aspekt Ihres Lebenselektronisch überwachen – Ihr Gewicht, IhrenSchlaf, Ihre Fitness –, verwendet MintComputer für ein zutiefst humanistischesProjekt. Seit Frankenstein befürchtenScience-Fiction-Autoren, die künstlicheIntelligenz könnte sich ihrer eigenen Machtbewusst werden und sich gegen ihre Schöpferauflehnen. Politische Autoren sorgen sichüber die Folgen umfassender Überwachungdurch Computer – Big Brother is watchingyou! Aber obwohl Maschinen immer mehrkönnen und wir heute von immer mehrComputern beobachtet werden, haben sienoch kein Bewusstsein entwickelt und sindnicht im Begriff, die Macht an sich zu reißen.Im Gegenteil, sie helfen uns, bewusster zuwerden.

Das Ich-Bewusstsein ist eine sonderbareEigenschaft unter Tieren. Hunde bellen einenSpiegel an, weil sie nicht erkennen, dass siesich selbst darin sehen. Auch die meistenanderen Tiere verstehen das Prinzip desSpiegels nicht. Um das zu überprüfen, malenihnen Wissenschaftler in einem Test mitgeruchloser Farbe einen Punkt auf den

Körper und setzen sie vor einen Spiegel.81Sie wollen beobachten, ob das Tier den Punktauf seinem Körper berührt oder auf andereWeise erkennt, dass sich der Punkt in seinemGesicht befindet (etwa indem es sich dreht,um den Farbtupfer besser zu sehen).Schimpansen und andere Menschenaffenbestehen den Test, genau wie Delfine,Elefanten und eine Hand voll anderer Arten,aber die meisten Tiere fallen durch. Wenn sieden Tupfen berühren wollen, greifen sie inden Spiegel. Auch Kleinkinder verstehen dasPrinzip erst ab einem Alter von etwa zweiJahren. Selbst wenn sie nicht mitbekommen,wie die Farbe angebracht wird, berühren sieden Tupfen, wenn sie ihn im Spiegel sehen,und reagieren oft freudig überrascht. Das istleider nur die erste Phase des Bewusstseins.Schon bald wandelt sich das Ich-Bewusstseinin den Fluch der Pubertät. Die unbeschwerteSelbsterkenntnis der Kindheit weicht derScham, mit der Jugendliche jedenvermeintlichen Makel an sich entdecken. Siewerfen einen Blick in den Spiegel und stellensich eine Frage, mit der sich Psychologenschon seit Jahrzehnten beschäftigen: Warum?

Warum werden wir unserer selbst bewusst,wenn es uns nur unzufrieden macht?

Ich sehe mich, also …

In den siebziger Jahren begannenSozialpsychologen allmählich zu verstehen,wie sich das Ich-Bewusstsein82 beimMenschen entwickelte. Robert Wicklund undShelley Duval, die auf diesem GebietPionierarbeit leisteten, wurden anfangs vonihren Kollegen belächelt, die ihreUntersuchungen für unwissenschaftlichhielten. Aber irgendwann ließen sich dieErgebnisse nicht mehr ignorieren. WennMenschen vor einen Spiegel gestellt werdenoder wenn man ihnen sagt, dass ihr Verhaltengefilmt wird, verändern sie ihr Verhalten.Diese bewussteren Menschen zeigen bessereLeistungen bei Laborexperimenten, sie füllenFragebögen ehrlicher aus, ihre Handlungensind in sich stimmiger und stehen eher mitihren Werten in Einklang.

Ein Muster ist besonders auffällig. Wenn

wir einen Tisch sehen, dann denken wirvermutlich nur: »Das ist ein Tisch.« Aberwenn wir uns selbst sehen, reagieren wirnicht so neutral. Wann immer wir unsereAufmerksamkeit auf uns selbst richten,vergleichen wir uns offenbar mit einemWunschbild, das wir von uns selbst haben.Wenn wir uns selbst im Spiegel sehen, denkenwir nicht nur: »Das bin ich.« Stattdessendenken wir eher: »Meine Haare sind ja völligzerzaust« oder: »Das Hemd steht mir gut«oder: »Habe ich zugenommen?«. Unser Ich-Bewusstsein scheint immer mit einemVergleich zwischen uns und unserem Idealeinherzugehen.

Die beiden Psychologen verwendetendafür einen Begriff: Standard. Das Ich-Bewusstsein scheint mit einem Abgleich mitStandards zusammenzuhängen. Zunächstgingen sie davon aus, dass es sich bei diesenStandards um Perfektionsideale handelte. Daswürde allerdings bedeuten, dass das Ich-Bewusstsein fast immer unangenehm ist, dennwir sind schließlich nie vollkommen. Das klangplausibel, vor allem wenn man versuchte, dieScham der pubertierenden Jugendlichen zu

verstehen, aber aus evolutionärer Sichtschien es rätselhaft. Warum sollten unsereVorfahren gelernt haben, sich mitunerreichbaren Maßstäben zu messen?Welchen evolutionären Vorteil sollte eshaben, wenn man sich dauernd schlecht fühlt?Die Vorstellung, dass das Ich-Bewusstseinetwas Unangenehmes sein soll, passt auchnicht zu der Freude, die viele Menschen vorund nach der Pubertät empfinden, wenn sieüber sich selbst nachdenken oder in denSpiegel sehen. Weitere Untersuchungenzeigten, dass viele Menschen sich gut fühlen,wenn sie sich mit dem vermeintlichen»Durchschnitt« vergleichen, der natürlichimmer schlechter ist als wir selbst. Genausokönnen wir uns freuen, wenn wir unsergegenwärtiges mit unserem früheren Ichvergleichen, weil wir in der Regel davonausgehen, dass wir mit zunehmendem Alterimmer besser werden (auch wenn unsereKörper vielleicht nicht mehr ganz so frischsind).

Aber auch wenn wir die Messlatte meistniedrig legen, um uns gut zu fühlen, ist dasnoch keine Erklärung dafür, warum die

Menschen ein Ich-Bewusstsein entwickelten.Der Natur ist es egal, ob wir uns gut fühlenoder nicht, sie interessiert sich nur fürEigenschaften, die zu unserer Fortpflanzungbeitragen. Was nutzt uns da das Ich-Bewusstsein? Auf der Suche nach einerAntwort stießen die Psychologen CharlesCarver und Michael Scheier83 auf eineentscheidende Erkenntnis: Das Ich-Bewusstsein entwickelte sich, da es derSelbstregulation dient. Sie hattenVersuchspersonen beobachtet, die vor einemSpiegel an einem Schreibtisch saßen. DerSpiegel schien lediglich der Dekoration zudienen, doch er hatte erheblicheAuswirkungen auf das Verhalten derTeilnehmer. Wenn sie sich in dem Spiegelsehen konnten, hielten sie sich eher an ihreWerte als an die Anweisungen anderer. Wennsie die Anweisung erhielten, einem anderenvermeintliche Elektroschocks zu geben, dannreagierten sie zurückhaltender als eineVergleichsgruppe ohne Spiegel. Der Spiegelveranlasste sie, eine Aufgabe gewissenhafterauszuführen. Wenn jemand sie drängte, ineinem Punkt ihre Meinung zu ändern, hielten

sie eher dagegen.Eines Abends an Halloween klopften die

Kinder auch an die Tür eines der Psychologen.Der fragte sie nach ihren Namen, schickte siein ein Zimmer und sagte ihnen, sie dürftensich dort eine und nur eine Süßigkeitmitnehmen. In besagtem Zimmer stand einTisch mit vielen verlockenden Süßigkeiten,und da niemand die Kinder begleitete, hättensie unbemerkt gegen die Anweisungenverstoßen können – was viele auch taten,wenn der Spiegel im Raum mit dem Gesichtzur Wand hing. Wenn sich die Kinder jedochim Spiegel sehen konnten, widerstanden sieder Versuchung eher. Obwohl sie sich selbstin ihrer Halloween-Verkleidung sahen, fühltensie sich offenbar von ihrem Spiegelbildermahnt, sich an die Spielregeln zu halten.84

Diese Verbindung zwischen Ich-Bewusstsein und Selbstdisziplin ließ sich auchbeim Alkoholkonsum von Erwachsenennachweisen. Alkohol mindert bekanntermaßendie Fähigkeit zur Selbstbeobachtung;85 mitdem schwindenden Ich-Bewusstsein verlierenTrinker die Selbstdisziplin, geraten in Streit,rauchen mehr, lassen sich gehen und wachen

am nächsten Morgen mit einem schlechtenGewissen auf. Das Schlimmste am Kater istdie Rückkehr der Selbstwahrnehmung, denndann nehmen wir eine unsererentscheidenden sozialen Pflichten wieder auf:Wir vergleichen unser Verhalten mit unserenMaßstäben und denen unserer Mitmenschen.

Selbstbeobachtung bedeutet nicht nur zuerkennen, wie die Dinge stehen, sondernauch, einen Abgleich damit vorzunehmen, wiesie stehen sollten. Unsere Vorfahren lebten inGruppen, die ihre Mitglieder dafür belohnten,dass sie sich an Werte, Normen und Idealehielten. Wer seine Handlungen an dieseMaßstäbe anpassen konnte, dem ging esbesser als anderen, die nicht bemerkten,wenn sie in Fettnäpfchen traten. DasVerhalten an den Standards auszurichten,erfordert Willenskraft, doch ohne Ich-Bewusstsein ist Willenskraft nutzlos. Deshalbentwickelten unsere Vorfahren in der Savannedas Ich-Bewusstsein und deshalb besteht esauch im heutigen, oft trügerischen sozialenUmfeld fort.

Das vermessene Ich

Der englische Romanautor AnthonyTrollope86 hielt es weder für nötig noch fürratsam, mehr als drei Stunden am Tag zuschreiben. Er wurde einer der bekanntestenVielschreiber des 19. Jahrhunderts, obwohl ergleichzeitig Postinspektor war. Er stand jedenMorgen um halb sechs auf, stärkte sich mitKaffee und las eine halbe Stunde lang, was eram Vortag geschrieben hatte, um in Stimmungzu kommen. Dann schrieb er zweieinhalbStunden lang und stoppte die Zeit mit einerUhr, die er vor sich auf den Schreibtischstellte. Er zwang sich, 250 Wörter proViertelstunde zu schreiben. Um sein Pensumeinzuhalten, zählte er sie. »Ich habefestgestellt, dass ich mit der Regelmäßigkeiteiner Uhr 250 Wörter schreiben kann«,berichtete er. Bei diesem Rhythmus kam ervor dem Frühstück auf 2.500 Wörter. Dasgelang ihm nicht jeden Tag – gelegentlichmusste er schließlich noch auf Fuchsjagdgehen –, aber er stellte sicher, dass er jedeWoche ein bestimmtes Ziel erreichte. Fürjeden seiner Romane stellte er einen

Arbeitsplan auf; er kalkulierte pro Wocheetwa 10.000 Wörter ein und führtegenauestens Buch.

»In diesem Buch notiere ich jeden Tag, wieviele Seiten ich geschrieben habe. Wenn icheinen oder zwei Tage lang bummele, dann istdas genau festgehalten: Meine Trödelei starrtmir ins Gesicht und spornt mich an, mehr zuarbeiten, um den Rückstand wiederaufzuholen«, erklärte er. »Eine Woche, in derich nicht genug geschrieben habe, ist mir einDorn im Auge. Ein ganzer Monat wäre mir einStich ins Herz.«

Ein Dorn im Auge und ein Stich ins Herz –ein Psychologe könnte keine besseren Bilderfür die Auswirkungen der Selbstüberwachungfinden. Als Beobachter seiner Gesellschaftwar Trollope seiner Zeit voraus. Doch dieDarstellung seiner Arbeitsweise, die er inseiner posthum veröffentlichten Autobiografiebeschrieb, kostete ihn seinen Ruf alsernstzunehmender Schriftsteller. Kritiker undAutoren – vor allem Autoren, die ihreAbgabetermine nicht einhielten – warenentsetzt. Wie konnte ein Künstler seine Arbeitmit der Uhr stoppen? Genie ließ sich doch

nicht planen! Aber Trollope hatte in seinerAutobiografie bereits eine Antwort an seineKritiker parat.

»Man sagt mir, diese Arbeitsweise seieines Genies nicht würdig«, schrieb er. »Ichhabe mich nie für ein Genie gehalten, aberselbst wenn, dann hätte ich mich dieserDisziplin unterworfen. Nichts ist so mächtigwie ein Gesetz, das man nicht brechen darf.Es hat die Kraft des steten Tropfens, der denStein aushöhlt. Eine kleine Aufgabe, dietäglich ausgeführt wird, bewirkt mehr als dieeinmaligen Heldentaten des Herkules.«Trollope war eine Ausnahmeerscheinung –kaum jemand ist in der Lage, pro Stundetausend Wörter zu schreiben – und hättesicher davon profitiert, hin und wieder einwenig langsamer zu machen (und einigeseiner 250 Wörter langen Abschweifungen zustreichen). Trotzdem schuf er Meisterwerkewie Die Türme von Barchester und Ceciliaund führte nebenher ein angenehmes Leben.Während andere Schriftsteller ständig unterGeldnot litten und ihren Abgabeterminenhinterherhechelten, verdiente Trollope gutund war dem Zeitplan immer voraus.

Während einer seiner Romane veröffentlichtwurde, hatte er schon einen oder zweiweitere fertig in der Schublade.

»Während meiner gesamtenschriftstellerischen Laufbahn bin ich nicht eineinziges Mal Gefahr gelaufen, nichtrechtzeitig fertig zu werden«, schrieb er. »Ichhatte nie Angst vor Abgabeterminen. Ich hattedie Seiten immer schon lange vorher inmeiner Schublade. Und das habe ich alleindiesem Büchlein mit seinem Kalender undseinen Zahlen sowie den täglichen undwöchentlichen Vorgaben zu verdanken.«

Rückblickend können wir Trollope alsVorreiter sehen. Seine Uhr und sein Büchleinwaren die Kontrollinstrumente des 19.Jahrhunderts und für seine Zweckevollkommen ausreichend. Aber nehmen wiran, er würde heute am Computer arbeiten.Nehmen wir an, er würde an einem normalenTag neben seinemTextverarbeitungsprogramm sechzehnweitere Programme benutzen und im Laufedes Tages vierzig verschiedene Internetseitenaufrufen. Und nehmen wir an, er würde allefünfeinhalb Minuten von einer elektronischen

Nachricht unterbrochen. Was würde ihmseine Uhr da nützen? Würde er mit seinemBüchlein den Überblick behalten?

Vermutlich würde er heute andereInstrumente verwenden, zum Beispiel dasProgramm RescueTime87 , das Sekunde fürSekunde das Verhalten seiner Nutzeraufzeichnet. Die Anwender zahlen fürBerichte, die ihnen genau zeigen, wie sie ihreZeit nutzen – oft eine ernüchterndeErkenntnis. Die Statistiken zurComputernutzung aus dem vorigen Absatzwurden von RescueTime zusammengestelltund bilden das Verhalten vonHunderttausenden Nutzern ab. Tony Wright,Gründer von RescueTime, nahm verwundertzur Kenntnis, dass er fast ein Drittel seinesArbeitstages mit dem zubrachte, was er als»Info-Porno« bezeichnet – Besuche aufWebsites, die nichts mit seiner eigentlichenArbeit zu tun haben. In der Regel hielt er sichzwar nur wenige Minuten auf jeder dieserSeiten auf, aber unterm Strich summierten siesich pro Tag auf zweieinhalb Stunden.

Diese Selbstbeobachtung erinnert Sievielleicht an den Roman 1984 von George

Orwell, doch es handelt sich um eine derWachstumsbranchen in Silicon Valley. Mit derzunehmenden Beliebtheit von Smartphonesund anderen Geräten sind wir zunehmendonline, und immer mehr Menschen nutzendies, um ihr Verhalten zu überwachen: wassie essen, wie viele Schritte sie gehen, wielange sie Sport treiben, wie viele Kalorien siedabei verbrennen, wie ihr Puls schwankt, wieeffizient sie schlafen, wie schnell ihr Gehirnfunktioniert, wie sich ihre Stimmungverändert, wie oft sie Geschlechtsverkehrhaben, was sich auf ihr Konsumverhaltenauswirkt, wie oft sie ihre Eltern anrufen undwie lange sie ihre Arbeit aufschieben.

Im Jahr 2008 gründeten Kevin Kelly undGary Wolf das InternetunternehmenQuantified Self (QS)88 für Nutzer der neuenTechnologien zur Selbstregulation. Die QS-Community ist nach wie vor übersichtlich,doch sie hat sich inzwischen weit über SiliconValley hinaus ausgeweitet und findetAnhänger in zahlreichen Städten, die sich inder realen Welt treffen, um sich über Geräteauszutauschen, Daten zu vergleichen und sichgegenseitig zu ermutigen.

Internetguru Esther Dyson sieht die QS-Bewegung als ausgezeichneteInvestitionsmöglichkeit und gute Sache: einerevolutionäre Branche, die Erfolg hat, weil sieuns Dinge verkauft, die ausnahmsweisewirklich gut für uns sind. Statt Ärzte undKrankenhäuser dafür zu bezahlen, dass sieunseren Körper wieder flottmachen, könnenwir uns selbst beobachten, um Krankheiten zuvermeiden. Statt uns der Werbeindustrieauszuliefern, die uns Junkfood undgrenzenlosen Konsum andrehen will, könnenwir uns selbst durch Botschaften beeinflussen,die unsere Gesundheit fördern und unserBewusstsein schärfen. »Die Werbebranche istsehr effektiv, wenn es darum geht, uns Dingezu verkaufen, die unsere Willenskraftaushöhlen«, meint Dyson. »Wir könnendieselben Techniken verwenden, um stärkerzu werden.«

Dyson ist seit jeher ein disziplinierterMensch. Seit Jahrzehnten schwimmt sietäglich eine Stunde, doch die Disziplin fällt ihrleichter, seit sie sich mit neuen elektronischenSensoren wie dem Fitbit-Clip, demBodyMedia-Armband und dem Zeo-Schlaf-

Stirnband kontrolliert. Diese Sensorenmessen ihre Bewegungen, Hauttemperaturund -feuchtigkeit und Gehirnwellen und haltensie auf dem Laufenden, wie viel Energie sieüber den Tag hinweg verbraucht und wie vieleStunden sie sich im erholsamen Tiefschlafbefindet.

»Diese Messungen wirken sich auf meinVerhalten aus«, meint sie. »Ich nehme jetztöfter die Treppe statt den Aufzug, weil ichPunkte für die zusätzlichen Schritte sammele.Wenn ich abends auf eine Party gehe, dannsage ich mir, wenn ich jetzt gehe, dannkomme ich um halb zehn ins Bett statt umhalb elf. Dann schlafe ich besser und habemorgen früh bessere Schlafwerte. Das hilftmir, das Richtige zu tun, denn ich kann meinVerhalten jetzt mit den Zahlen rechtfertigen.«

Unternehmen wie Mint.com ist es zuverdanken, wenn heute immer mehrMenschen ihre Finanzen im Griff haben, dochdiese Instrumente überwachen nicht nur dasVerhalten. Das allein reicht nämlich meistnicht aus, wie der dritte US-amerikanischePräsident Thomas Jefferson89 erfahrenmusste. Jefferson zeichnete penibel jeden

Cent auf, den er einnahm und ausgab; selbstam 4. Juli 1776, dem Tag, an dem seinerevolutionäre Unabhängigkeitserklärungdiskutiert und angenommen wurde, hielt er inseinem Haushaltsbuch fest, wie viel er für einThermometer und ein Paar Handschuheausgegeben hatte. Als Präsident rechnete ergenauestens jedes Stückchen Butter ab, daser im Weißen Haus verzehrte, während ergleichzeitig den Franzosen Louisianaabkaufte. Leider verlor er dabei das großeGanze aus dem Blick. Als es ihm irgendwanneinfiel, Bilanz zu ziehen, stellte er fest, dasser sich hoffnungslos verschuldet hatte. SeineBuchhalterei hatte ihm ein das Gefühlvermittelt, er habe seine Finanzen unterKontrolle, aber das genügte nicht. Vielleichthätte ihm eine Auswertung gut getan, wie sieMint anbietet.

Wenn Sie Mint Zugang zu IhrenKontoauszügen undKreditkartenabrechnungen gewähren, zeigtIhnen das Programm, wofür Sie Ihr Geldausgeben und ob Sie mehr Geld ausgeben alsSie einnehmen. Mint kann Sie natürlich nichtdazu zwingen, Ihr Verhalten zu ändern (der

Computer kann nur Ihre Auszüge lesen, aberer hat keinen Zugriff auf Ihr Konto), aber eskann Sie immerhin motivieren, es sich bei dernächsten Ausgabe zweimal zu überlegen. DasProgramm erinnert Sie beispielsweise an»ungewöhnlich hohe Ausgaben inRestaurants«, wenn Sie mehr Geld inGaststätten als im Supermarkt lassen. Mintverschickt nicht nur Mahnungen an dasverschwenderische Gehirn, sondern belohntauch gutes Verhalten. Es hilft Ihnenbeispielsweise, kurz- und langfristige Zieleaufzustellen – in Urlaub fahren, ein Hauskaufen, für die Rente sparen –, und schicktIhnen Berichte, die Ihren Fortschrittdokumentieren.

»Mint kann Ihnen helfen, sich ein Ziel zusetzen, einen Zeitplan aufzustellen und dannIhre Ausgaben zu kontrollieren«, erklärtPatzer. »Wenn Sie beispielsweise im Monat100 Dollar weniger in Restaurants ausgeben,können Sie anderthalb Jahre früher in Rentegehen oder Ihren BMW zwei Wochen früherkaufen. Das sind Ziele, die Sie ohne dieseHilfe weder aufstellen noch umsetzen würden.Sie wollen sich einen iPad kaufen, einen

Kaffee trinken und mit Ihren Freundenausgehen. Das Programm zeigt Ihnen, welcheAuswirkungen Ihr kurzfristiges Verhalten aufIhre langfristigen Ziele hat, und hilft Ihnen,Ihre Ausgaben so zu planen, dass es sichtatsächlich lohnt.«

Bislang weiß niemand, ob und wie gut dasSystem funktioniert, denn Mint ist einUnternehmen, kein wissenschaftlichesExperiment. Es gibt allerdings einigeHinweise, dass es tatsächlich funktionierenkönnte, wie Mitarbeiter feststellten, als siedas Finanzgebaren von Nutzern vor und nachihrem Beitritt verglichen. Es war zwar nichtganz einfach, die wirtschaftliche Erholung seit2008 herauszurechnen, die dafür sorgte, dassdie Menschen insgesamt wieder mehr Geldausgaben. Doch die Ergebnisse zeigten, dassdie Selbstbeobachtung eindeutige Vorteilebringt. Bei der überwiegenden Mehrheit derNutzer, nämlich rund 80 Prozent, wurde nachdem Beitritt zu Mint der Aufwärtstrend beiden Ausgaben gebremst, vor allem, wenn siesich Ziele setzten und Pläne erstellten. Diedeutlichsten Auswirkungen zeigten sich beiden Ausgaben im Supermarkt, in Restaurants

und bei den Kreditkartenzinsen – durch dieBank sehr sinnvolle Orte, um mit dem Sparenzu beginnen.

Wenn die neuen Mitglieder sehen, wie vielGeld sie wofür ausgeben, erschrecken siehäufig so, dass sie sofort drastischeMaßnahmen ergreifen wollen. Doch der Mint-Gründer rät zu einem schrittweisenVorgehen. »Wenn Sie zu viel und zu schnellkürzen, halten Sie es nie durch und hassensich am Ende nur«, meint Patzer. »Wenn Sieim Monat 500 Dollar in Restaurants lassenund Ihr Budget auf 200 Dollar kürzen, danngeben Sie Ihren Vorsatz schnell auf. Aberwenn Sie auf 450 oder 400 Dollar reduzieren,schaffen Sie es, und zwar ohne Ihr ganzesLeben umkrempeln zu müssen. Im nächstenMonat können Sie wieder 50 oder 100 Dollarkürzen. Es reicht, wenn Sie jeden Monathöchstens 20 Prozent einsparen, bis Sie dieLage im Griff haben.«

Neidlose Vergleiche

Wenn Sie die ersten beiden Schritte inRichtung Selbstdisziplin unternommen haben– wenn Sie sich ein Ziel vorgenommen habenund Ihr Verhalten überwachen –, stehen Sievor einer schwierigen Frage: Sollten Sie sichauf das konzentrieren, was Sie schon erreichthaben, oder auf das, was Sie noch vor sichhaben? Auf diese Frage gibt es keine einfacheAntwort, aber die beiden Möglichkeitenunterscheiden sich sehr wohl, wie AyeletFishbach90 von der University of Chicagozeigte. Zusammen mit ihrem koreanischenKollegen Minjung Koo bat sie Mitarbeitereiner koreanischen Werbeagentur, ihregegenwärtige Rolle in der Agentur und ihrelaufenden Projekte zu beschreiben. Nach demZufallsprinzip teilte sie die Gruppe und fragtedie eine Hälfte der Teilnehmer, was sie seitihrem Eintritt in das Unternehmen erreichthatte, während die andere Hälfte überlegensollte, was sie noch erreichen wollte. DieAngehörigen der ersten Gruppe warenzufriedener mit ihrer Arbeit, die der zweitenjedoch motivierter, neue und schwierigereAufgaben anzupacken. Wenn es Ihnen umZufriedenheit geht, ist es vermutlich wichtig

zu sehen, wie weit Sie gekommen sind. Aberwenn Sie sich motivieren wollen, sollten Sie indie Zukunft blicken.

So oder so kann es Ihnen helfen, sich mitanderen zu vergleichen, und angesichts derverfügbaren Daten ist das heute einfacherdenn je. Mint sagt Ihnen, wie viel Sie imVergleich zu Ihren Nachbarn oder dem Restder Bevölkerung für Miete, Restaurants undKleidung ausgeben. RescueTime informiertSie darüber, wie produktiv Sie im Vergleichzum Durchschnittsnutzer sind und wie vielZeit Sie mit sinnloser Surferei verschwenden.Auf Flotrack, Nikeplus und anderen Websiteskönnen Jogger Ihre Zeiten und Strecken mitdenen Ihrer Freunde undMannschaftskollegen vergleichen.Instrumente und Smartphone-Anwendungenhelfen Ihnen, Ihren Stromverbrauch mit demIhrer Nachbarn zu vergleichen – und dieserVergleich bleibt nicht ohne Folgen, wie eineUntersuchung in Kalifornien zeigte. WennKunden feststellten, dass sie eine höhereStromrechnung hatten als ihre Nachbarn,begannen sie prompt, Strom zu sparen.

Diese Vergleiche sind noch wirkungsvoller,

wenn Sie Ihre Daten offen mit anderenvergleichen. Bei den Recherchen zu diesemBuch hörten wir zahlreiche Geschichten vonMenschen, die von der Selbstüberwachungdurch Geräte wie den SchrittzählerPedometer profitierten. Aber dieBegeisterung war größer, wenn sie ihreErgebnisse mit einigen Freunden teilten.Dabei nutzten sie dasselbe psychologischePrinzip, das Baumeister in einem seinerersten Experimente entdeckt hatte, nochbevor er auf das Thema Selbstdisziplin stieß:Veröffentlichte Informationen wirken stärkerals private.91 Was andere über uns wissen, istuns wichtiger, als was wir selbst über unswissen. Ein Ausrutscher, ein Fehltritt oder einkleiner Kontrollverlust lassen sich unter denTeppich kehren, wenn niemand etwas davonmitbekommt. Sie können ihn einfachwegerklären oder ignorieren. Aber wennandere Menschen den Fauxpas mitbekommen,ist so etwas schwerer zu bewerkstelligen. Sienehmen Ihnen Ihre Entschuldigungenvielleicht nicht ab, so überzeugend sie inIhren Ohren auch klingen mögen. Und ineinem sozialen Netzwerk wird es vermutlich

noch schwieriger, Ihre Entschuldigungen zuverkaufen.

Aber die Öffentlichkeit ist nicht nur einpotenzieller Pranger. Sie bietet vielmehr eineMöglichkeit, Ihre Selbstbeobachtungauszulagern und sich so zu entlasten.Außenstehende können Sie oft ermuntern undauf Fortschritte hinweisen, die Sie vielleichtgar nicht mehr wahrnehmen. Eine beliebteQS-Anwendung namens Moodscope92 wurdevon einem Unternehmer entwickelt, der mitseiner Depression kämpfte und seinenZustand überwachen wollte. Er entwickelteeine Anwendung, mit der er täglich eineneinfachen Test durchführen und seineGemütslage bestimmen kann. Damit ist es ihmjedoch nicht nur möglich, sein Auf und Ab zubeobachten, sondern auch nach Mustern undUrsachen zu suchen. Außerdem richtete ereine Option ein, die es ihm ermöglicht, dieErgebnisse automatisch an Freunde zumailen. Wenn sich seine Stimmung trübt,erhalten seine Freunde eine Nachricht undkönnen sich mit ihm in Verbindung setzen.

»Elektronische Instrumente und Datensind nur Katalysatoren, mit denen wir uns und

andere motivieren können«, meint Dyson.»Sie müssen das Modell finden, das für Sie ambesten funktioniert. Vielleicht verschicken SieIhre Werte an Freunde, weil Sie sich vorIhnen nicht schämen wollen. Oder weil Sie dieMannschaft nicht enttäuschen wollen. Jederlässt sich durch etwas anderes motivieren.«

Wenn Sie mit beiden Händen Geldausgeben, können Sie sich kontrollieren,indem Sie einen knauserigen Freundinformieren, sobald Sie auf Einkaufstourgehen. Wenn Sie sich die Muster IhresKonsumverhaltens ansehen, können Sie dieUrsachen verstehen. Tätigen SieSpontankäufe, wenn Sie gut gelaunt sind undIhr Wille schwach ist? Oder sind Sie einzwanghafter Shopper und kaufen, wenn Siesich niedergeschlagen und unsicher fühlen?

Wenn ja, dann leiden Sie unter etwas, dasPsychologen als Fehlregulierung bezeichnen:die irrige Annahme, dass ein Einkauf alsStimmungsaufheller wirkt, obwohl Sie sich inWirklichkeit danach noch schlechter fühlen.

Aber auch Geizkrägen können von derSelbstbeobachtung profitieren. ExtremeSparsamkeit stellt zwar nicht das schlimmste

Problem dar, aber sie ist weiter verbreitet,als man gemeinhin annimmt.Verhaltensökonomen haben herausgefunden,dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung vonkrankhaftem Geiz93 betroffen sind – mehr alsvon Verschwendungssucht. Hirnscans konntenden Schuldigen ausfindig machen: einehypersensible Inselrinde, die nichts mehrerschreckt als der Gedanke, Geld ausgebenzu müssen.

Dabei handelt es sich um eine Form derWeitsichtigkeit94 (dem Gegensatz zurKurzsichtigkeit), das heißt, wir sehen nur dieZukunft und vergessen darüber dieGegenwart. Wer unter übertriebenem Geizleidet, kann seine Zeit vergeuden, Freundevor den Kopf stoßen, seine Familie zerstörenund sich selbst rundum unglücklich machen.Untersuchungen zeigen, dass Knickerkeineswegs glücklicher sind alsGeldverschwender und dass sie oft großeReue empfinden, wenn sie an all dieverpassten Gelegenheiten zurückdenken.Wenn Ihnen die Schlussbilanz präsentiertwird und Sie nicht nur Ihr Vermögen, sondernIhr ganzes Leben betrachten, dann wollen Sie

nicht daran erinnert werden, dass es imHimmel keine Taschen gibt. Das Ich lässt sichnicht nur in Euro messen.

KAPITEL 6

DER WILLE LÄSST SICHTRAINIEREN

Wenn der Körper leidet,blüht der Geist auf.

David Blaine, in Anlehnung an den Heiligen Symeon Stylitesd. Ä., ein Asket des 5. Jahrhunderts, der jahrzehntelang aufeiner Säule in der Wüste lebte

In diesem Kapitel werden wir versuchen, einewissenschaftliche Erklärung für dasPhänomen David Blaine95 zu finden. Wennder Mann nicht gerade im Fernsehen seineberühmten Zaubertricks vorführt, betätigt ersich der Ausdauerkünstler in Stunts, die nichtsmit Magie zu tun haben, sondern mit nacktemWillen. Im New Yorker Bryant Park stand erbeispielsweise 35 Stunden lang ohne jedeSicherheitsvorrichtung auf einer 25 Meterhohen Säule, die einen Durchmesser vongerade einmal 60 Zentimetern hatte. Auf demTimes Square verbrachte er 63 schlafloseStunden in einem riesigen Eisblock. EineWoche lang ließ er sich in einen Sargeinsperren und nahm nichts als Wasser zusich. Und schließlich hing er 44 Tage lang ineiner Glaskiste über der Themse, nahm nurWasser zu sich und verlor dabei 25Kilogramm Gewicht, während dieTemperaturen in der Kiste zwischen demGefrierpunkt und 45 Grad Celsiusschwankten.

»Wenn ich meine Komfortzone verlasse,wachse ich«, sagt Blaine und zitiert denSäulenheiligen Symeon, der behauptete, Leid

lasse die Seele erblühen.Wir wollen wissen, wie Blaine das schafft.

Sein Geheimnis kann Ihnen auch helfen, wennSie kein Ausdauerkünstler sind. Warum auchimmer er sich diesen Torturen unterzieht, eswäre nützlich zu wissen, woher er dabei seineAusdauer nimmt. Wenn wir wissen, wie er esschafft, 44 Tage lang keine Nahrung zu sichzu nehmen, dann hilft uns das vielleicht,geduldiger auf unser Mittagessen zu warten.Wenn wir wissen, wie er es eine Woche langlebendig begraben in einem Sarg aushielt,dann gibt uns das vielleicht die Geduld, einzweistündiges Meeting durchzustehen. Wastut Blaine, um seine Willenskraft zutrainieren? Warum gab er beispielsweisenicht auf, als er bemerkte, dass bei seinemWeltrekordversuch im Luftanhalten vonAnfang etwas schiefging?

Blaine hatte sich mehr als ein Jahr lang aufdas Ereignis vorbereitet und gelernt, seineLungen mit reinem Sauerstoff zu füllen,unbeweglich unter Wasser auszuharren undSauerstoff zu sparen, indem er so wenigEnergie wie möglich verbrauchte. Körperlichund geistig konnte er sich so vollständig

entspannen, dass sein Puls auf unter 50 sank,gelegentlich sogar auf unter 20. Währendeines Trainings in einem Swimmingpool aufden Kaimaninseln verlangsamte sich seinHerzschlag auf die Hälfte, sobald er nur dieLuft anhielt, und er blieb ohne sichtlicheAnstrengung 16 Minuten lang unter Wasser.Als er auftauchte und den Weltrekord von16:32 nur knapp verfehlt hatte, wirkt ergelassen und erklärte, er habe keinerleiSchmerzen gespürt und seinen Körper undseine Umgebung kaum wahrgenommen.

Als er jedoch einige Wochen später in derSendung von Oprah Winfrey und inAnwesenheit der Guinness-Richter denVersuch unternahm, den Weltrekord zubrechen, ergaben sich verschiedeneKomplikationen. Es war nicht nur diezusätzliche Aufregung eines Fernsehauftritts:In der Sendung sollte er nicht mit dem Gesichtnach unten auf der Oberfläche einesSwimmingpools treiben, sondern aus einergroßen Glaskugel heraus ins Publikumschauen. Um aufrecht stehen zu bleiben undnicht nach oben zu treiben, musste er seineFüße in zwei Schlaufen am Grund der Kugel

einhängen. Während er seine Lungen mitreinem Sauerstoff füllte, machte er sichSorgen, dass er vielleicht durch diesezusätzliche Muskelanstrengung mehrSauerstoff verbrauchen könnte. Sein Puls warschneller als gewöhnlich, und als er die Luftanhielt, verlangsamte er sich nicht, sondernblieb bei über 100. Schlimmer noch, erkonnte sein Herz rasen hören, weil derHerzrhythmusmesser zu dicht neben derKugel aufgestellt worden war; das raschePiep-Piep-Piep lenkte ihn ab und hinderte ihnzusätzlich daran, sich zu entspannen. Nachetwas über einer Minute war sein Puls auf130 gestiegen und Blaine war klar, dass er ihnnicht würde kontrollieren können. Währenddie Minuten vergingen und sein Körper immermehr Sauerstoff verbrauchte, blieb er beiüber 100. Statt in meditative Ruhe zuversinken, beobachtete er versessen seinenPuls und den schmerzhaften Anstieg desKohlendioxids in seinem Körper.

Nach sieben Minuten war er sich sicher,dass er es nicht schaffen würde. Nach neunMinuten kribbelten Arme und Beine, da derKörper Blut aus den Gliedmaßen abzog, um

die wichtigen Organe zu versorgen. Nach elfMinuten spürte er ein schmerzhaftes Pochenin seinen Beinen und hörte ein lautes Klingelnin den Ohren. Nach zwölf Minuten fürchteteer, dass das taube Gefühl in seinem Arm unddie Schmerzen in der Brust auf einenbevorstehenden Herzinfakt hindeuteten. EineMinute später spürte er Krämpfe in der Brustund ein überwältigendes Bedürfnis, nach Luftzu schnappen. Nach vierzehn Minuten hattesein Herz Aussetzer und sein Puls sprang wildzwischen 150, 40 und 100 hin und her. In demGefühl, dass ein Herzinfarkt bevorstand, lösteer die Füße aus den Halterungen, damit ihnein Notarztteam aus der Kugel ziehen konnte,für den Fall, dass er ohnmächtig wurde. Erließ sich nach oben treiben und blieb knappunter der Oberfläche, in der Erwartung, jedenMoment das Bewusstsein zu verlieren. Indiesem Moment hörte er den Jubel desPublikums und wusste, dass er den bisherigenWeltrekord gebrochen hatte. Er sah auf dieUhr, hielt noch eine halbe Minute durch undtauchte mit einer neuen Rekordzeit von 17:04Minuten auf.

»Das Leid hat völlig neue Dimensionen

erreicht«, sagte er wenig später. »Ich habeimmer noch das Gefühl, als hätte mir jemandmit voller Wucht in den Magen geschlagen.«

Aber warum hat er diese Torturdurchgehalten?

»Das hat viel mit Training zu tun«,erklärte er. »Das gibt einem dasSelbstvertrauen, auch etwas schwierigereSituationen durchzustehen.«

Mit Training meinte er nicht nur seinejüngsten Tauchübungen, auch wenn er im Jahrvor dem Rekordversuch eine Menge davonabsolvierte. Jeden Morgen begann er miteiner Reihe von einfachen Übungen zumLuftanhalten (mit normaler Luft, nicht reinemSauerstoff), die sich allmählich steigerten.Über die Dauer von einer Stunde hielt erinsgesamt 48 Minuten lang die Luft an und littdanach für den Rest des Tages unter heftigenKopfschmerzen. Mit diesen Übungengewöhnte er seinen Körper an den Schmerzwährend des Kohlendioxidanstiegs. Abergenauso wichtig waren andere Übungen, dieer seit mehr als drei Jahrzehnten durchführte– also seit seinem fünften Lebensjahr. Blaineist schon lange überzeugt, dass die

Willenskraft ein Muskel ist, den mantrainieren kann. Zum einen imitierte er einenHelden seiner Kindheit, den ZaubererHoudini, und zum anderen lernte er durcheigene Experimente.

In seiner Kindheit in Brooklyn zwang sichBlaine, stunden- und tagelang Kartentricks zuüben. Er lernte, Wettschwimmen zugewinnen, indem die gesamte Länge desBeckens durchtauchte – mit einiger Übunggewann er 500-Dollar-Wetten, weil er fünfBahnen tauchen konnte. Im Winter trug ernur ein T-Shirt, auch wenn er an eisigenTagen nach draußen musste. Er duschteregelmäßig kalt und ging gelegentlich barfußdurch den Schnee. Nachts schlief er auf demDielenboden seines Zimmers, und einmal ließer sich zwei Tage lang in seinem Schrankeinsperren, wohin ihm seine geduldige Mutterdas Essen brachte. Er gewöhnte es sich an,sich dauernd Ziele zu setzen, die er erreichenmusste, zum Beispiel jeden Tag einebestimmte Strecke zu rennen oder so hoch zuspringen, dass er das Blatt des höchsten Astesan einem bestimmten Baum erreichte, unterdem er jeden Tag hindurchging. Als er im

Alter von elf Jahren in Hermann HessesRoman Siddhartha vom Fasten las, wollte eres selbst ausprobieren und nahm vier Tagelang nur Wasser zu sich. Im Alter vonachtzehn Jahren fastete er zehn Tage lang.Als Ausdauerkünstler benutzte er dieseÜbungen, um sich auf einen Eventvorzubereiten. Dazu suchte er sich kleineRituale, die nichts mit dem Stunt selbst zu tunhatten.

»Bevor ich einen Ausdauertest mache,mutiere ich fast zum Zwangsgestörten«,erzählt er uns. »Ich nehme mir lauterkomische Sachen vor. Wenn ich im Park aufdem Radweg jogge und an einemRadfahrersymbol vorbeikomme, das auf denWeg gepinselt ist, dann muss ich dem Radlerbeim Laufen auf den Kopf treten. Ich mussden Kopf genau treffen. Für die Leute, die mitmir laufen, ist das vermutlich ziemlich nervig,aber ich habe das Gefühl, wenn ich das nichtmache, dann habe ich keinen Erfolg.«

Aber warum glaubt er das? Warum sollteer besser die Luft anhalten können, nur weiler einem Strichmännchen auf den Kopf tritt?

»Wenn Sie Ihr Gehirn dazu bringen, sich

kleine Ziele vorzunehmen und umzusetzen,dann hilft Ihnen das, auch größere Dinge zuerreichen«, erwidert Blaine. »Es geht nichtnur darum, eine bestimmte Fähigkeit zutrainieren. Es geht darum, alles ein bisschenschwieriger zu machen als normal, und alleszu erreichen. Das gibt mir eine zusätzlicheReserve, mit der ich immer über das Zielhinausgehen kann. Das ist für mich Disziplin.Wiederholung und Übung.«

Im Falle von Blaine funktionieren dieseÜbungen offenbar, aber seineAusdauerleistungen sind natürlich keinwissenschaftlicher Beweis und schon gar keinVorbild für andere Menschen. David Blainesteht nicht stellvertretend für den Rest derMenschheit. Jemand, der als Kind kalt duschtund vier Tage lang fastet, ist nicht geraderepräsentativ. Vielleicht haben seineLeistungen ja gar nichts mit Training zu tun,vielleicht wurde er ja mit dieser Willenskraftgeboren. Vielleicht sind seineTrainingserfolge ja nichts anderes als immerneue Beweise dafür, dass er mit einemübernatürlichen Willen zur Welt kam.Vielleicht ist die Willenskraft ein Muskel, den

man trainieren kann, aber vielleicht verfügteBlaine von Anfang an über einen besonderskräftigen Muskel. Um festzustellen, ob dasTraining wirklich etwas bewirkt und auch unsNormalsterblichen etwas bringt, muss man esan Menschen testen, die keineAusdauerkünstler sind und als Vorbild keinenheiligen Pfahlsitzer haben.

Willenstraining

Sozialwissenschaftler waren zunächstskeptisch, ob sich die Willenskraft tatsächlichtrainieren ließe. Baumeisters Experimentezur Ego-Erschöpfung96 hatten schließlichgezeigt, dass wir weniger Willenskraftbesitzen, wenn wir Radieschen essen unddafür die Schokolade stehen lassen müssen.Es gab keinen Grund anzunehmen, dass eineWiederholung von Übungen dieser Art unsereWillenskraft langfristig stärken könnte.

Aber wenn es tatsächlich eine solcheMöglichkeit gab, dann wäre der Nutzengewaltig. Kurz nach Veröffentlichung der

Ergebnisse zur Ego-Erschöpfung setzte sichdie Forschergruppe zusammen, um zudiskutieren, ob sich der Wille trainierenlassen könnte, und wenn ja, wie. DerDoktorand Mark Muraven, der die erstenExperimente zur Ego-Erschöpfung entwickeltund durchgeführt hatte, diskutierteverschiedene Trainingseinheiten mit seinenBetreuern Roy Baumeister und Dianne Tice.Da niemand wusste, was funktionieren würdeund was nicht, beschlossen sie, verschiedeneÜbungen auszuprobieren und zu beobachten,wie sie sich auf die Willenskraft auswirkten.Ein Problem war natürlich, dass dieTeilnehmer von vornherein einunterschiedliches Maß an Willenskraftmitbrachten, genau wie einige Sportler mehrKraft und Ausdauer haben als andere. Umdiesen Faktor auszuschalten, mussten dieForscher vor den Übungen messen, wo ihreProbanden standen. Sie ließen die Teilnehmerzunächst einen Test zur Selbstbeherrschungdurchführen, dann eine Übung zur Ego-Erschöpfung und maßen schließlich dieSelbstbeherrschung ein zweites Mal. Danngaben sie den Teilnehmern eine Übung mit,

die sie in den folgenden zwei Wochen allein zuHause durchführen sollten. Zum Abschlussmaßen sie ein letztes Mal im Labor dieWillenskraft der Teilnehmer. Dieverschiedenen Übungen entsprachenunterschiedlichen Vorstellungen dessen, waszur »Charakterbildung« erforderlich warbeziehungsweise welche mentalenRessourcen gestärkt werden mussten. Waswar es, das den Willen schwächte, und wasmusste deshalb trainiert werden? DieUnterdrückung einer Reaktion? DieBeobachtung des Verhaltens? Oder dieVeränderung einer inneren Einstellung?

Eine Gruppe von Teilnehmern sollte zweiWochen lang an ihrer Körperhaltung arbeiten.Wann immer sie daran dachten, sollten siesich aufrecht hinstellen oder hinsetzen. Da dieTeilnehmer an die für Studenten typischeGammelhaltung gewöhnt waren, wurden siedurch diese Übung gezwungen, Energieaufzuwenden, um ihre gewohnheitsmäßigeKörperhaltung zu unterdrücken. An einerzweiten Gruppe sollte überprüft werden, obder Wille durch die Selbstbeobachtunggeschwächt wurde. Diese Teilnehmer sollten

in den folgenden beiden Wochen festhalten,was sie über den Tag hinweg aßen. Sie solltenkeine Änderungen an ihrer Ernährungvornehmen, doch es ist durchaus denkbar,dass der eine oder andere aus Scham diestrotzdem ein wenig tat. (»Hm, Montag Pizzaund Bier. Dienstag Pizza und Wein. MittwochHotdogs und Cola. Es sieht vielleicht besseraus, wenn ich hin und wieder einen Salat odereinen Apfel esse.«) An einer dritten Gruppesollte überprüft werden, wie sich dieÄnderung der inneren Einstellung auswirkte.Sie sollten sich zwei Wochen lang um positiveStimmungen und Emotionen bemühen. Da dieWissenschaftler hier die besten Chancensahen, ließen sie diese Übung von doppelt sovielen Teilnehmern durchführen, umstatistisch möglichst verlässliche Resultate zubekommen.

Doch die Forscher lagen mit ihrerVermutung daneben. Die von ihnenfavorisierte Strategie brachte gar nichts. Alsdie große Gruppe, die ihre Emotionenkontrollieren sollte, zwei Wochen später insLabor zurückkam und die Tests zurSelbstbeherrschung wiederholte, zeigte sie

keinerlei Verbesserung. Rückblickend ist dasallerdings nicht verwunderlich, denn unsereGefühle unterliegen nicht unserem Willen. Wirkönnen nicht einfach beschließen, verliebt zusein, uns zu freuen oder Schuldgefühleeinzustellen. Die Emotionen lassen sich überkleine Tricks kontrollieren, etwa indem wirunsere Einstellung zu einem anstehendenProblem ändern oder uns ablenken. Aberwenn wir unsere Emotionen kontrollieren,trägt dies nicht zu einer Stärkung unsererWillenskraft bei.

Andere Übungen funktionieren dagegensehr wohl, wie die beiden Gruppen bewiesen,die an ihrer Körperhaltung arbeiteten undihre Mahlzeiten protokollierten. Als diesebeiden Gruppen zwei Wochen später insLabor zurückkamen, hatten sie sich imVergleich zu einer Kontrollgruppe97 (diekeine Übungen machte) deutlich verbessert.Das war ein überraschendes Ergebnis, undbei sorgfältiger Auswertung der Datenwurden die Schlussfolgerungen klarer.Erstaunlicherweise erzielte die Kontrolle derKörperhaltung die besten Resultate. Dasermüdende »Setz dich gerade hin!« der Eltern

bewirkte mehr, als irgendjemand erwartethätte. Die Verbesserungen fielen umso größeraus, je gewissenhafter die Teilnehmer dieÜbung umgesetzt hatten (das ging aus denAufzeichnungen hervor, die sie parallel dazuführen mussten).

Das Experiment ergab außerdem einenwichtigen Unterschied zwischen Willenskraftund Willensausdauer. Im Eingangstest hattendie Teilnehmer zunächst so lange sie konnteneinen Handmuskeltrainer gedrückt (eineÜbung, die bekanntermaßen nicht nur mitMuskel-, sondern mit Willenskraftzusammenhängt), dann eine Übung zurErschöpfung ihrer Willenskraft gemacht(»Denken Sie nicht an einen Eisbären«) undschließlich die Übung mit demHandmuskeltrainer wiederholt, um zu sehen,wie weit ihr Wille geschwächt worden war.Als sie nach zwei Wochen Haltungstraining insLabor zurückkamen, zeigten sie in der erstenRunde Muskeltrainerdrücken keineVerbesserung, was bedeutete, dass ihreWillenskraft nicht gestärkt worden war. Wassich dagegen verbessert hatte, war ihreAusdauer, denn in Runde zwei zeigten sie

deutliche Verbesserungen gegenüber denWerten des ersten Labortermins. Dank derHaltungsübungen wurde ihre Willenskraftnicht so schnell geschwächt wie zuvor, und siebesaßen mehr Energie für weitere Aufgaben.

Sie können diese Übung selbst machen, umIhre Willenskraft zu trainieren, Sie könnenaber auch andere Übungen ausprobieren. Esist nicht die Sitzhaltung an sich – der Schlüsselist die Änderung einer gewohnheitsmäßigenVerhaltensweise.

Versuchen Sie beispielsweise einmal, beiRoutinetätigkeiten die andere Hand zuverwenden. Rechtshänder neigen dazu,automatisch alle Aufgaben mit der rechtenHand zu erledigen. Wenn Sie die linke Handverwenden, müssen sie dazu Selbstdisziplinaufbringen. Zum Beispiel könnten Sie mit derlinken Hand Zähne putzen, die Maus IhresComputers betätigen, Türen öffnen oder eineTasse zum Mund heben. In einigenExperimenten sollten Teilnehmer von 8 Uhrmorgens bis 20 Uhr abends die linke statt dierechte Hand verwenden; wenn sie abendserschöpft waren, durften sie zu ihrer starkenHand zurückkehren. (Anmerkung für

Linkshänder: Diese Strategie funktioniert inIhrem Fall vermutlich weniger gut, da vieleLinkshänder beidhändig sind und gelernthaben, in einer Welt der Rechtshänder auchihre rechte Hand zu verwenden. Deshalbstellt der Wechsel auf die rechte Hand keineechte Stärkung des Willens dar.)

Oder versuchen Sie, IhreSprechgewohnheiten zu verändern. Siekönnten zum Beispiel versuchen, nurvollständige Sätze zu verwenden oder »Ähs«und »Öhs« zu vermeiden. Sagen Sie »ja« und»nein« statt »jo« und »ähem« oder »nee« und»nö«. Oder Sie könnten versuchen,Schimpfwörter zu vermeiden. Viele Menschenhalten dieses Tabu heute für altmodisch:Warum sollte die Sprache diese Wörterhervorbringen, wenn man sie nicht verwendendarf? Aber der Wert dieser verbotenenWörter liegt vielleicht genau darin, dass wirdie Disziplin aufbringen müssen, sie nichtauszusprechen.

Diese Techniken bilden eine guteAufwärmübung für größereWillensanstrengungen wie mit dem Rauchenaufzuhören oder Ihre Ausgaben

einzuschränken. Es kann sein, dass es Ihnenschwerfällt, diese Techniken langedurchzuhalten. Es stellt eine echteHerausforderung dar, Übungen durchführenzu müssen, die keinen unmittelbarenNutzwert haben.

Die Ergebnisse sorgten für großesAufsehen unter Psychologen, zumal dieSelbstdisziplin eine der beiden Eigenschaftenist, die bekanntermaßen am meisten zuunserem Wohlbefinden beitragen. (Die zweiteEigenschaft, die Intelligenz, ist kaum zusteigern. Programme wie »Head Start«98verbessern zwar die Leistung der Teilnehmer,doch nach dem Ende des Kurses verfliegt dieWirkung schnell wieder. Unterm Strich istIntelligenz weitgehend angeboren. Umsointeressanter wurde die Selbstdisziplin.)Daher machten sich Sozialwissenschaftlerdaran, systematische Trainingsprogramme zuentwickeln. Dabei stellten sie fest, dass dieSchwierigkeit vor allem darin bestand, dieTeilnehmer bei der Stange zu halten. Esreichte nicht aus, die Übungen auf demReißbrett zu entwickeln – sie mussten auch inder Praxis funktionieren.

Einfach zu mehr Willenskraft

Die erfolgreichsten Strategien entwickeltendie beiden australischen Psychologen MegOaten und Ken Cheng.99 Sie arbeiteten vorallem mit Menschen, die einen bestimmtenAspekt ihres Lebens verändern wollten. Dieeine Hälfte der Teilnehmer wurde soforteinem Kurs zugeteilt, die andere Hälfte dientezunächst als Kontrollgruppe und wurde späterversorgt. Dieses Verfahren trug dazu bei,dass die Mitglieder der Test- undKontrollgruppe dieselben Ziele und Interessenmitbrachten. Beide kamen letztlich in denGenuss derselben Dienstleistung, aber dieeinen mussten warten und unterzogen sich indieser Zeit denselben Tests wie die Gruppe,die bereits an den Übungen teilnahm. DieseÜbungen standen in direktem Zusammenhangmit den Zielen der Teilnehmer, weshalb diesemotiviert waren, sie tatsächlichdurchzuführen.

An einem der Experimente nahmenFreiwillige teil, die ihre Fitness verbessernwollten, aber zuvor nie regelmäßig Sportgetrieben hatten. Die Hälfte von ihnen erhielt

sofort eine Mitgliedschaft in einemFitnessstudio und traf sich mit einem derWissenschaftler, um regelmäßigeTrainingseinheiten zu planen. Sie führten einTagebuch, in dem sie jede Übungverzeichneten.

An einem anderen Experiment nahmenStudenten teil, die ihre Lerngewohnheitenverbessern wollten. Zusammen mit denWissenschaftlern stellten sie langfristige Zieleauf, brachen sie in kleine Schritte herunterund führten Tagebuch, um ihre Fortschritte zubeobachten.

Im dritten Experiment lernten dieTeilnehmer, ihre Finanzen zu sanieren,stellten einen Haushaltsplan auf und plantenEinsparmöglichkeiten. Sie hielten nicht nurEinnahmen und Ausgaben fest, sondern auch,wie sie sich fühlten, wenn sie mit derVersuchung von Schaufenstern rangen, Reisenstrichen oder Ausgaben aufschoben.

In allen Experimenten kamen dieTeilnehmer hin und wieder ins Labor, umÜbungen durchzuführen, die scheinbar nichtsmit ihren Programmen zu tun hatten. Dazusollten sie auf einem Bildschirm sechs

schwarze Quadrate beobachten. Drei dieserQuadrate blinkten kurz auf, dann bewegtensich alle sechs willkürlich über denBildschirm. Nach fünf Sekunden mussten dieTeilnehmer die drei Quadrate identifizierenund mit einer Maus anklicken, die zu Beginndes Spiels geblinkt hatten. Das heißt, siemussten sich zu Beginn die drei Quadrateeinprägen und ihre Bewegungen verfolgen.Die Übung wurde zusätzlich erschwert, weilin einem nahe dabeistehenden Fernseher eineShow lief, in der Eddie Murphy seine Witzeriss und sich das Publikum schier totlachte.Wer auf den Fernseher sah oder auf die Witzehörte, verlor die Quadrate aus den Augen. Ummöglichst viele Punkte zu sammeln, musstendie Teilnehmer die Witze und das Gelächterignorieren und sich auf die langweiligenQuadrate konzentrieren, und diese Aufgabeerforderte ein gewisses Maß anSelbstbeherrschung. Die Teilnehmer musstendiese Übung zweimal durchführen: Einmalkurz nach ihrer Ankunft im Labor, wenn sienoch frisch waren, und ein zweites Mal nacheiner Ego-Erschöpfung.

Sämtliche Experimente ergaben mehr

oder weniger dasselbe Muster. DenjenigenTeilnehmern, die ihre Willenskraft regelmäßigstärkten, sei es durch Fitnessübungen, Lernenoder Finanzplanung, gelang es im Laufe derWochen zunehmend besser, den Fernseherauszublenden und die Quadrate im Auge zubehalten. Die Veränderungen zeigten sich vorallem in der zweiten Aufgabe nach der Ego-Erschöpfung, das heißt, die Übungen stärktendie Ausdauer der Teilnehmer undermöglichten es ihnen, trotz geschwächterWillenskraft den Versuchungen zuwiderstehen.

Aber auch bei der Umsetzung ihrer Zielemachten sie große Fortschritte. Die Sportlerwurden fitter, die Lerner effizienter und dieHaushaltsplaner reicher. Dochüberraschenderweise verbesserten sie sichauch auf anderen Gebieten: Die Lernertrieben öfter Sport und gaben weniger Geldaus, und die Sportler und Haushaltsplanerlernten eifriger.

Selbstdisziplin in einem Lebensbereichschien sich auch auf andere auszuwirken. DieTeilnehmer rauchten und tranken weniger,räumten ihre Wohnung auf, erledigten den

Abwasch und wuschen häufiger ihre Wäsche.Sie schoben weniger auf. Sie erledigten ihreAufgaben, statt sich zuerst vor den Fernseherzu setzen oder mit Freunden abzuhängen. Sieaßen weniger Fastfood und ernährten sichgesünder. Man sollte meinen, dass Menschen,die Sport treiben, sich automatisch besserernähren, aber oft ist das genaue Gegenteilder Fall: Wer mit einem Fitnessprogrammbeginnt, meint oft, sich jetzt mit zusätzlichenKalorien belohnen zu dürfen. Doch in diesemExperiment gaben die Sportler dieserVersuchung nicht nach. Und dieHaushaltsplaner widerstanden dernaheliegenden Versuchung, Geld zu sparen,indem sie teure frische Lebensmittel durchbilligeres Junkfood ersetzten. Im Gegenteil,viele gaben mehr Geld für gesundeLebensmittel aus, weil sie offenbar insgesamtein größeres Interesse an Selbstdisziplinhatten.

Einige Teilnehmer gaben außerdem an, siekönnten ihre Gefühle besser im Zaum halten.Diesem Phänomen ging Oaten zusammen mitEli Finkel von der Northwestern University ineinem Nachfolgeexperiment100 zur

häuslichen Gewalt nach. Sie befragtenTeilnehmer nach der Wahrscheinlichkeit, mitder sie körperliche Gewalt gegen ihre Partnerausüben würden, wenn sie beispielsweise vondiesen »nicht respektiert« oder betrogenwerden würden. Dann gaben sie ihnenÜbungen mit, die sie zwei Wochen langdurchführen sollten. Nach zwei Wochenergaben die Befragungen eine geringereGewaltbereitschaft sowohl im Vergleich mitder ersten Runde als auch zu einerKontrollgruppe. (Aus ethischen undpraktischen Gründen können dieWissenschaftler die Teilnehmer lediglich nachihrer Gewaltbereitschaft befragen, aber siekönnen die tatsächliche Gewalt nicht vor Ortmessen.) Selbstbeherrschung verringert alsooffenbar die häusliche Gewalt.101

Alles in allem zeigt Willenstrainingerstaunliche Ergebnisse. Ohne es zubemerken, erzielten die TeilnehmerVerbesserungen in Lebensbereichen, die garnichts mit ihren Übungen zu tun hatten. DieLaborversuche lieferten die Erklärung fürdieses Phänomen: Ihre Willenskraft wurdeallmählich stärker und vor allem

ausdauernder. Wer in einem Bereich seineSelbstbeherrschung trainierte, konnte sieauch in anderen verbessern, genau wieBenjamin Franklin oder David Blainebehaupteten. Die Versuche zeigten außerdem,dass Sie keine übermenschlicheSelbstdisziplin mitbringen müssen, um von denÜbungen zu profitieren: Solange Sie motiviertsind, eine bestimmte Übung durchzuführen,kräftigt sich Ihre Willenskraft insgesamt,zumindest über die Dauer des Experiments.

Aber was passiert danach? Die Erfolgewaren zwar bemerkenswert, doch dieExperimente dauerten natürlich nur ein paarWochen oder Monate. Wie schwer ist es, dieDisziplin auch danach aufrechtzuerhalten?Auch auf diese Frage gibt der Fall von DavidBlaine Aufschluss.

Der schwerste Stunt vonallen

Ehe wir David Blaine von denwissenschaftlichen Untersuchungen zur

Willenskraft erzählten, fragten wir ihn,welches seiner Ausdauerexperimente amschwierigsten gewesen sei. Die Antwort fielihm verständlicherweise nicht leicht. JedeTortur hatte ihren eigenen Schmerz. Dersiebzehnminütige Tauchrekord bei Oprah warzwar schrecklich, aber kurz. Schlimmer warda schon der Horror der letzten Stundenseines 35-stündigen Pfahlstehens, als erHalluzinationen bekam und gegen seinSchlafbedürfnis ankämpfen musste (wäre ereingenickt, dann wäre er acht Stockwerke indie Tiefe gestürzt). Oder der Schmerz seiner44 Fasttage in einer Glaskiste über derThemse. Er musste nicht nur den Anblick deressenden Menschen auf der Promenadeertragen, sondern hatte die ganze Zeit eineriesige Tafel mit einer Werbung für Batterienvor der Nase, auf der stand: »Wenn dieWillenskraft nicht ausreicht«. Er versuchte,den Spruch witzig zu finden, doch es fiel ihmtäglich schwerer. »Ab dem 38. Tag hatte icheinen Schwefelgeschmack im Mund, weil meinKörper angefangen hat, seine Organeaufzuzehren«, erinnert er sich. »Mein ganzerKörper hat mir wehgetan. Wenn der Körper

seine Muskeln abbaut, dann fühlt sich das an,als würde einem jemand ein Messer in denArm rammen.«

Aber die härteste seiner Übungen warendie 63 Stunden in einem Eisblock. Als er amTimes Square in 6 Tonnen Eis eingeschlossenwurde, war das Eis nur einen Zentimeter vonseinem Gesicht entfernt. Er verspürte eineungewohnte Platzangst und zitterte sofort vorKälte. Drei Tage lang fror er elendig, obwohles draußen inzwischen für die Jahreszeitungewöhnlich warm wurde. DieSonnenstrahlen schufen ein zusätzlichesProblem: Das Eis schmolz und tropfte ihm wiebei einer chinesischen Wasserfolter auf dennackten Hals und den Rücken. Gleichzeitigdurfte er nicht einschlafen, denn wenn er sichgegen das Eis gelehnt hätte, dann hätte erErfrierungen erlitten. Während er amNachmittag des letzten Tages auf seineBefreiung wartete, die zur besten Sendezeitim Fernsehen übertragen werden sollte,wurde der Schlafmangel schier unerträglich.

»Ich hatte das Gefühl, das irgendetwasnicht in Ordnung war«, erinnert sich Blaine.»Ich habe Organversagen durchgemacht,

aber es gibt nichts Schlimmeres als geistigeVerwirrung. Durch das Eis habe ich einenTypen gesehen, der vor mir gestanden hat,und ich habe ihn gefragt, wie spät es ist. Erhat gesagt: ›2 Uhr‹. Ich habe mir gedacht,›Mann, ich muss das noch bis 10 Uhrdurchhalten. Das sind noch acht Stunden!‹ Ichhabe mir gesagt, wenn es nur noch sechsStunden sind, dann ist das nicht mehr ganz soschlimm, also muss ich nur die nächsten zweiStunden überstehen. Ich habe diese Technikauch bei anderen Stunts alsDurchhaltetechnik benutzt. Also habe ich zweiStunden gewartet. Ich habe einfach nurgeduldig gewartet, aber es war verdammtschwer. Ich habe Stimmen gehört. Ich habeins Eis gemeißelte Körper gesehen. Und ichhabe natürlich nicht gewusst, dass ich wegendes Schlafmangels Halluzinationen hatte. Insolchen Situationen weißt du einfach nichtmehr, was los ist – du meinst, das ist allesreal, weil du wach bist. Also habe ich zweiStunden gewartet. Dann habe ich durch dasEis einen Typen gesehen und ihn gefragt: ›Wiespät ist es?‹«

Blaine besaß noch genug mentale

Ressourcen, um zu erkennen, dass der Mannvor ihm gewisse Ähnlichkeiten mit dem Mannaufwies, den er um 2 Uhr gefragt hatte. Dannstellte er fest, dass es derselbe Mann war.

»Er hat gesagt: ›Es ist fünf nach zwei‹«,erinnert sich Blaine. »Danach ist es mirrichtig schlecht gegangen.«

Irgendwie gelang es ihm, bis zur geplantenSendezeit durchzuhalten. Doch als er aus demEis geschnitten wurde, war er derartbenommen und schwach, dass er sofort ineinem Krankenwagen abtransportiert wurde.»Am Ende habe ich gedacht, das ist dasFegefeuer. Ich habe ehrlich geglaubt, dass ichverurteilt werde und dass ich da zu wartenhabe, bis man mir sagt, ob ich in den Himmeloder in die Hölle komme. Diese letzten achtStunden waren das Schlimmste, was ich jeerlebt habe. Dass ich da nicht ausgestiegenbin, dazu war etwas nötig, das stärker war alsich.«

Das klang wirklich so, als könne es kaumschlimmer werden. Doch als wir Blaine vonden Experimenten berichteten, dieBaumeister und andere Psychologendurchführten, fiel Blaine noch etwas ein. Als

er hörte, welchen zusätzlichen Nutzen dasTraining der Willenskraft brachte, nickte er:»Das leuchtet mir ein. Man stärkt dieDisziplin. Jetzt, wo Sie es sagen – wenn ichmich auf einen Stunt vorbereite und ein Zielhabe, ändere ich alles. Ich beherrsche mich injedem Bereich. Ich lese viel. Ich ernähre michgesund. Ich betätige mich sozial – ich besucheKinder im Krankenhaus und so. Ich habe eineganz andere Energie. VölligeSelbstbeherrschung. Ich esse nach einemErnährungsplan. Ich mäßige mich. Ich trinkekeinen Alkohol. Ich verschwende keine Zeit.Aber wenn es vorbei ist, gehe ich zumanderen Extrem über, ich verliere jedeBeherrschung, und das ist wie einDominoeffekt. Wenn ich mich nicht mehrgesund ernähre, dann lese ich weniger. Ichbin nicht mehr so konzentriert. Ich nutzemeine Zeit nicht mehr so gut. Ich vergeudeviel Zeit. Ich trinke Alkohol. Ich macheDummheiten. Nach einem Stunt kann espassieren, dass ich in drei Monaten 20 Kilozunehme.«

Während unseres Gesprächs in seinerWohnung in Greenwich Village befindet sich

Blaine in einer Nach-Stunt-Phase. Er warkurz zuvor ein paar Tage lang ungeschütztunter Haien geschwommen und dachtedarüber nach, sich als Nächstes in einerGlasflasche über den Atlantik treiben zulassen. Doch das Projekt war noch nicht festgeplant, also hatte er sich entspannt undeinige Pfunde zugelegt.

»Sie erwischen mich in einem Moment, indem ich alles andere als diszipliniert bin«,gesteht er. »Ich esse fünf Tage lang gesundund zehn Tage lang wie ein Irrer. Aber wennes wieder so weit ist und ich mich auf eineAktion vorbereite, dann nehme ich pro Wocheanderthalb Kilo ab. In fünf Monaten bin ich fitund meine Disziplin ist groß. Schon komisch.Bei der Arbeit bin ich diszipliniert, aber imLeben nicht immer.«

Blaine konnte mit Haien schwimmen,siebzehn Minuten lang die Luft anhalten oder63 Stunden in der eisigen Vorhölle stehen.Aber alltägliche Dinge empfand er nochimmer als frustrierend. Mit seiner Eisfolterstellte er einen neuen Ausdauerweltrekordauf, aber der wurde nie ins Guinness-Buchaufgenommen, weil er die Formulare nicht

rechtzeitig ausgefüllt hatte. Nicht, dass er dieFormulare nicht gehabt hätte – er hatte eseinfach vor sich hergeschoben, bis es zu spätwar. In seiner Glaskiste über der Themsehatte er 44 Tage lang gefastet, und nunschaffte er es nicht einmal, seinemKühlschrank zu widerstehen. Ein Grund warnatürlich die Verfügbarkeit. »Ich glaube nicht,dass ich hier in dieser Wohnung 44 Tage langfasten könnte«, sinniert er. »In der Kiste gabes keine Versuchung. Deshalb habe ich es inder Öffentlichkeit gemacht, denn dann kannich nicht anders.« Aber selbst wenn er zuHause keine sieben Wochen lang fasten kann,warum schafft er es dann nicht einmal, seinetäglichen Mahlzeiten ein bisschen zureduzieren?

Der Grund war die fehlende Motivation.Er hat sich und dem Publikum nichts zubeweisen. Er wusste, dass er sichbeherrschen konnte, wenn er wollte, undniemand würde es ihm verübeln, wenn erzwischen seinen Stunts ein bisschenentspannte. Trotz seiner erstaunlichenWillenskraft stand er vor demselben Problem,das wir alle haben, wenn es um die

schwierigste Form der Selbstbeherrschunggeht: die Disziplin nicht nur ein paar Tageoder Wochen aufrechtzuerhalten, sondernüber Jahre hinweg. Dazu sind die Technikennötig, die ein anderer Ausdauerkünstlerentwickelt hat.

KAPITEL 7

MIT TRICKS DURCHSCHWIERIGE ZEITEN

Selbstbeherrschungist wichtigerals Schießpulver.

Henry Morton Stanley102

Als Henry Morton Stanley103 im Jahr 1887den Kongo hinauffuhr, stieß er unfreiwillig einfatales gesellschaftliches Experiment an.Seine erste Expedition, die er als Journalist indas Herz des afrikanischen Kontinentsunternommen hatte, lag bereits 16 Jahrezurück. Damals hatte er Berühmtheit erlangt,weil er einen schottischen Missionaraufgespürt und mit den Worten »Dr.Livingstone, nehme ich an« begrüßt hatte. Mitseinen inzwischen 46 Jahren war Stanley einerfahrener Forscher und führte seine dritteExpedition nach Afrika. Während er in denunbekannten Regenwald vordrang, ließ er ineinem Lager am Flussufer eine Gruppezurück, um auf Nachschub zu warten. Dortsorgten die Anführer der Nachhut, die aus denbesten Familien Großbritanniens stammten,für einen internationalen Skandal.

Diese Männer, die zusammen mit einembritischen Militärarzt ein Fort auf der Routeübernahmen, verloren kurz nach StanleysAufbruch jegliche Selbstbeherrschung. Sieverweigerten kranken Afrikanern, die zu ihrerGruppe gehörten, jede medizinischeBehandlung und ließen sie an behandelbaren

Krankheiten und Lebensmittelvergiftungensterben. Sie entführten junge afrikanischeFrauen und hielten sie als Sexsklavinnen. Alseine der jungen Frauen weinend flehte, zuihren Eltern zurückkehren zu dürfen, lachtensie nur; eine andere, die entkam, fingen siewieder ein und fesselten sie, um eine weitereFlucht zu verhindern. Der britischeBefehlshaber des Forts misshandelte undverstümmelte Afrikaner. Einige stieß er siemit einem scharfen Stahlstock, andere ließ erwegen lächerlicher Vergehen halb totprügelnoder erschießen. Die meisten seiner Offiziereäußerten keinen Widerspruch. Als eine Frauder Pygmäen und ihre Kinder, die in der Nähedes Forts lebten, beim Diebstahl vonLebensmitteln erwischt wurden, ließ er ihnendie Ohren abschneiden. Andere Diebe wurdenerschossen und hingerichtet, und ihre Köpfewurden zur Warnung vor dem Fort aufSpießen ausgestellt. Einer der Offiziere derNachhut, ein Biologe und Erbe desWhiskeyfabrikanten Jameson, bezahlteKannibalen dafür, ein elfjähriges Mädchen zutöten und zu essen, damit er das Ritualzeichnen konnte.

Etwa zu dieser Zeit brach JosephConrad104 zu seiner Reise auf dem Kongo auf.Ein Jahrzehnt später sollte er denenthemmten Imperialisten Kurtz erfinden, dieHauptfigur seines Romans Herz derFinsternis. Kurtz ließ es »an Hemmungen beider Befriedigung seiner verschiedenen Lüstefehlen«, da er »innerlich hohl« war – und »dieWildnis hatte diesen Mangel schnellbemerkt«. Die europäischen Leser lernten dieGefahren der afrikanischen Wildnis auch ausder Lektüre von Berichten über StanleysNachhut kennen. Kritiker forderten ein Endedieser Expeditionen, und sehr zu StanleysBedauern sollte es tatsächlich die letzte ihrerArt gewesen sein. Auch er verurteilte dasVerhalten seiner Männer, denn obwohl er dieGefahren der Wildnis nur zu gut kannte, hielter sie für bezähmbar.

Während seine Nachhut Amok lief, hielt ernämlich in einer sehr viel wilderen Umgebungdie Disziplin aufrecht. Zusammen mit derVorhut der Expedition suchte er monatelangeinen Weg durch den undurchdringlichenIturi-Regenwald. Während sie sich durchWolkenbrüche und hüfttiefen Schlamm

kämpften, mussten sie sich riesigenSchwärmen von Stechmücken und Horden vonAmeisen erwehren. Dabei wurden sie vondauerndem Hunger ausgemergelt, vonnässenden Wunden und blutenden Blasengequält und von Malaria und Durchfallheimgesucht. Sie wurden von Einheimischenmit Giftpfeilen und Speeren verwundet,getötet und manchmal auch gegessen.Während der schrecklichsten Phase starbenjeden Tag mehrere Angehörige der Gruppe anKrankheit und Hunger. Von denen, die Stanleyins »finsterste Afrika« folgten, wie er diesenUrwald nannte, auf dessen Boden kaum Lichtfiel, kam nicht einmal jeder Dritte wiederzurück.

Nur wenige Entdecker der Geschichtehaben vergleichbares Elend und Schreckenerlebt. Eine der wenigen Expeditionen, dieähnlich mörderisch verlief, war diejenige, dieStanley selbst Jahre zuvor quer durch denKontinent und zu den Quellen des Kongos unddes Nils geführt hatte. Doch Stanley hatteJahr für Jahr und Expedition für Expeditionsämtliche Schrecknisse durchgestanden.Seine europäischen Begleiter bewunderten

seine Willenskraft. Afrikaner nannten ihn BulaMatari, den Steinbrecher. Die einheimischenFührer und Träger, die seine Expeditionenüberlebten, schlossen sich ihm wieder undwieder an, denn sie bewunderten nicht nurseine Ausdauer und Entschlossenheit, sondernauch seine Güte und seinen Gleichmut unterhöllischen Bedingungen. Während andere derWildnis die Schuld gaben, wenn sichvermeintlich zivilisierte Männer in Wildeverwandelten, behauptete Stanley, siediszipliniere ihn: »Ich behaupte nicht, einfeiner Mensch zu sein. Aber nachdem ichmein Leben als ungebildeter und ungeduldigerMann begann, haben mich genau jeneErfahrungen in Afrika geschult, von denen esheute heißt, sie zersetzten den Charakter derEuropäer.«

Was lernte er? Warum ertappte ihn dieWildnis nicht auch bei einer Schwäche? DieKünstler und Intellektuellen seiner Zeit warenvon Stanleys Taten fasziniert. Deramerikanische Schriftsteller Mark Twain105mutmaßte, Stanley sei einer der wenigenseiner Zeitgenossen, an die man sich inhundert Jahren noch erinnern werde. »Wenn

ich das, was ich in meinem kurzen Lebengeleistet habe, mit dem vergleiche, wasStanley in seinem vermutlich kürzeren Lebengeleistet hat, dann fegt dieser Vergleich meinturmhohes Selbstbewusstsein hinweg undlässt nichts als den Keller übrig.« Derrussische Dramatiker Anton Tschechow106erklärte, Stanley sei mehr wert als DutzendeSchulen und Hunderte guter Bücher. Er sahStanleys »hartnäckiges und unbezwingbaresStreben nach einem Ziel und seineGleichgültigkeit gegenüber Entbehrungen,Gefahren und Versuchungen« als Zeichen»größter moralischer Stärke«.

Aber das britische Establishmentbegegnete dem Journalisten aus Amerika mitMisstrauen, und nach dem Skandal um seineNachhut waren sofort eifersüchtigeGegenspieler zur Stelle, die seineForschungsexpeditionen kritisierten. Imfolgenden Jahrhundert geriet er immer mehrin Verruf, und Biografen und Historikerkritisierten seine Expeditionen und seineVerbindungen zu Leopold II., demunersättlichen belgischen König, dessenElfenbeinhändler Joseph Conrad später als

Vorlage für Herz der Finsternis dienensollten. Als sich das Zeitalter desKolonialismus dem Ende zuneigte und dieviktorianische Charakterbildung aus derMode kam, galt Stanley weniger als Vorbildder Selbstbeherrschung, sondern eher alseiserner Egomane, brutaler Ausbeuter undrücksichtsloser Imperialist, der sich seinenWeg durch Afrika gehauen und geschossenhabe. Dieser grausame Eroberer wurde oftals Gegenteil des sanftmütigen Dr.Livingstone gezeichnet, diesen einsamenReisenden, der den Kontinent durchstreifte,um Seelen zu retten.

Doch in den letzten Jahren wandelte sichsein Bild ein weiteres Mal. Heute sehen wireinen Stanley, der für ein modernes Publikumsehr viel spannender ist als der furchtloseHeld oder der rücksichtslose Imperialist.Dieser Entdecker überlebte die Wildnis nichtaufgrund seiner Selbstsucht oder seinesehernen Willens, sondern weil er wusste, dassder Wille Grenzen hat, und der deshalblangfristige Strategien entwickelte, diePsychologen erst allmählich zu verstehenbeginnen.

Diesen neuen Stanley entdeckteausgerechnet der Livingstone-Biograf TimJeal, ein britischer Romanautor. Bei seinenRecherchen zu David Livingstone begann Jeal,das beliebte Bild des GegensatzpaarsLivingstone-Stanley zu hinterfragen. In denvergangenen Jahren tauchten TausendeBriefe und Aufzeichnungen Stanleys auf, undJeal benutzte diese, um die Biografie desEntdeckers neu zu schreiben. Das Ergebnisist sein Buch Stanley. Diese begeistertgefeierte Biografie zeichnet den Entdeckerals zutiefst problematischen Menschen, deruns durch seine Mischung aus Ehrgeiz undUnsicherheit, Tugend und Lüge umso mutigerund menschlicher erscheint. SeineSelbstbeherrschung in der Wildnis wird umsobemerkenswerter, wenn man die Geheimnissekennt, die er in seinem Herzen barg.

Die Empathielücke

Wenn die Selbstdisziplin teilweise erblich ist –und davon kann man ausgehen –, dann hatte

Stanley eigentlich schlechte Karten. Er kam inWales als Kind einer unverheiratetenachtzehnjährigen Frau zur Welt, die nach ihmvier weitere uneheliche Kinder vonmindestens zwei Männern hatte. Seinen Vaterlernte er nie kennen. Seine Mutter lieferte ihnkurz nach seiner Geburt bei ihrem Vater ab,der sich um den Kleinen kümmerte. DerGroßvater starb, als der Junge sechs Jahre altwar, und eine andere Familie nahm ihn beisich auf. Doch schon bald unternahmen seineneuen Pflegeeltern einen Ausflug mit ihm. Siesagten ihm, sie wollten ihn seiner neuen Tantevorstellen, doch stattdessen endete derverwirrte Junge in einem großen Haus mitdicken Mauern. Es war das Arbeitshaus.Noch als Erwachsener sollte sich Stanley anden Moment erinnern, in dem dieverräterischen Pflegeeltern flüchteten, dieTür hinter ihnen zuschlug, und er zum erstenMal »dieses furchtbare Gefühl der völligenEinsamkeit« erlebte.

Der Junge, der damals noch John Rowlandshieß, sollte später alles tun, um die Schandedes Arbeitshauses und das Stigma derunehelichen Geburt zu verbergen. Nachdem

er im Alter von 15 Jahren das Arbeitshausverlassen hatte und nach New Orleansausgewandert war, leugnete er seinewalisische Herkunft, gab sich als Amerikaneraus und legte sich sogar einen amerikanischenZungenschlag zu. Er nannte sich HenryMorton Stanley und behauptete, er habe denNamen seines Stiefvaters angenommen, einesfreundlichen und fleißigen Baumwollhändlersaus New Orleans. Seine Adoptiveltern hättenihn zur Selbstbeherrschung erzogen, log er,und die letzten Worte seiner Fantasiemutterlauteten angeblich: »Sei ein guter Junge.«

»Eines seiner Lieblingsthemen war dieRedlichkeit«, behauptete Stanley von seinemerfundenen Stiefvater.107 »Er erklärte, derenÜbung verleiht dem Willen Kraft, die ergenauso benötige wie ein Muskel. Der Willemuss gestärkt werden, um weltlichenBegierden und niederen Gelüsten zuwiderstehen, und ist einer der bestenVerbündeten, den das Gewissen haben kann.«Es ist nicht verwunderlich, dass der Rat desfiktiven Vaters genau zu den Regeln passte,die sich Stanley selbst auferlegte, um nicht indie Laster seiner eigenen Eltern zu verfallen.

Während er im Alter von elf Jahren imArbeitshaus lebte, experimentierte er bereitsmit dem Willen, indem er sich zusätzlicheHerausforderungen auferlegte: Ich stand um Mitternacht auf, um im Geheimen mit meinembösen Ich zu ringen. Während meine Gefährten ruhig schliefen,kniete ich mich auf den Boden und öffnete mein Herz vor dem,der alles sieht und alles weiß … Ich gelobte, nicht nach mehrEssen zu verlangen, und um ihm zu beweisen, dass ich denMagen und seine Schmerzen verachtete, verteilte ich eine derdrei Mahlzeiten unter den anderen Kindern. Die Hälfte meinesPuddings gab ich Ffoulkes, welcher der Gier verfallen war. Undwenn ich je etwas besaß, das den Neid eines anderen erregte,dann gab ich es sofort her.108 Tugend erforderte Geduld, wie er baldfeststellen musste. »Manchmal schien es ganzund gar vergebens, gegen das Böseankämpfen zu wollen, doch mit jedem Schrittstellten sich winzige Verbesserungen ein undder Charakter entwickelte sich immerweiter.« Im Alter von 26 Jahren war er einerfolgreicher Kriegsberichterstatter undpredigte seinen Freunden dieSelbstbeherrschung. Als einer vorschlug, ersolle Urlaub machen, lehnte er

großsprecherisch ab und behauptete, erkönne nicht ohne das Rattern der Eisenbahnleben. Er würde den Urlaub nicht genießenkönnen, da ihn sein Gewissen plage, wenn erseine Zeit verschwende. Nichts konnte ihndavon abbringen, seine Ziele zu verfolgen:»Damit meine ich meine Hingabe, meineSelbstverleugnung und meine unermüdlicheEnergie, um mein eigener Herr zu werden.«

Doch in Afrika erkannte Stanley dieGrenzen des Willens. Auch wenn erbehauptete, seine Erfahrungen auf demKontinent hätten seinen Willen gestärkt, saher auch, welchen Tribut Afrika von Menschenforderte, die nicht an diese Strapazen undVersuchungen gewöhnt waren. »Wer dieseErfahrungen nicht selbst gemacht hat, kannkaum beurteilen, welche Selbstbeherrschungjeder von uns in dieser Umgebungaufzubringen hatte«, schrieb er über seineExpedition im Ituri-Regenwald. Als Stanleyvon den Grausamkeiten und Entgleisungenseiner Nachhut erfuhr, notierte er in seinemTagebuch, die meisten Menschen würdendaraus vermutlich den falschen Schlussziehen, der Mensch sei von Natur aus böse.

Die Menschen zu Hause in der Zivilisationkönnten kaum nachvollziehen, welcheVeränderungen in den Männern seit ihremAufbruch in England vorgegangen waren: Zu Hause hatten diese Männer keinerlei Anlass, ihre natürlicheWildheit zu zeigen … Plötzlich wurden sie nach Afrika und indessen Elend versetzt. Sie mussten ohne Braten, Brot, Wein,Bücher, Zeitungen, Gesellschaft und Freunde auskommen.Das Fieber packte sie und zerstörte ihren Geist und ihrenKörper. Die Angst verdrängte ihre Menschlichkeit, dieAnstrengung ihre Güte und die Sorge ihre Freude … bis siemoralisch und körperlich nur noch ein Schatten derjenigenMänner waren, die sie in der englischen Gesellschaft gewesenwaren.109 Was Stanley hier beschreibt, ist einPhänomen, das derWirtschaftswissenschaftler GeorgeLoewenstein später als »Empathielückezwischen heiß und kalt«110 bezeichnen sollte:die Unfähigkeit, in einem kühlen, rationalenMoment zu erkennen, wie wir uns in einemMoment der Hitze, Leidenschaft undVersuchung verhalten werden. Zu Hause inEngland nahmen sich diese Männer mitkühlem Kopf vor, sich tugendhaft zu verhalten,

doch sie konnten sich nicht vorstellen, wieanders sie in der Hitze des Dschungelsempfinden würden. Die Empathielücke stelltbis heute eine der größtenHerausforderungen an die Selbstdisziplin dar,wenn auch in nicht ganz so extremer Form.Die meisten Menschen kennen sie eher ausErlebnissen wie dem Folgenden, das eineunserer Bekannten hatte. Die Frau wuchs alseinziges Kind in einer Kommune vonidealistischen Hippies auf, die unter anderemdas Ideal vertraten, sich nur von gesundenund natürlichen Lebensmitteln zu ernähren.Ihre Mutter meinte jedoch, das Mädchendürfe ruhig gelegentlich ein paar Süßigkeitenaus dem Supermarkt essen. Dafür musste sieeine Menge Spott über sich ergehen lassenund sich Vorträge über die Gefahren desZuckers, die Schrecken des Junkfood und dieVerschwörung der unmoralischenLebensmittelkonzerne anhören. Die Mutterkaufte die Süßigkeiten trotzdem, aber baldstand sie vor einem unerwarteten Problem:Sie verschwanden auf unerklärliche Weise.Spät abends, nachdem die Kommunardengroße Mengen von Naturprodukten wie Wein

und Cannabis zu sich genommen hatten,schmolz die Willenskraft und damit dieVerachtung für Junkfood dahin und der Appetitnach Zucker wuchs. Viele Eltern müssenSüßigkeiten vor ihren Kindern verstecken,doch diese Mutter stellte bald fest, dass ihrKind der einzige Mensch war, dem sie dasVersteck verraten durfte. Sie musste dieSüßigkeiten verstecken, weil dieErwachsenen unter der Empathielücke litten.Am Tag verteufelten sie alles Junkfood, weilsie nicht wussten, wie sehr sie sich nach dembösen Zuckerkram sehnen würden, wenn siebreit und müde waren.

Wenn Sie Regeln für Ihr künftigesVerhalten aufstellen, tun Sie das oft mit einemkühlen Kopf und gehen unrealistischeVerpflichtungen ein. »Es ist leicht, mit vollemBauch einen Diätplan aufzustellen«, meintLoewenstein, der an der Carnegie MellonUniversity unterrichtet. Genauso leicht ist es,keusch zu sein, solange man nicht sexuellerregt ist, wie Loewenstein und Dan Arielyfeststellten, als sie heterosexuellen jungenMännern einige intime Fragen stellten. Siesollten sich vorstellen, eine junge Frau, zu der

sie sich hingezogen fühlten, schlage ihneneinen Dreier mit einem anderen Mann vor –würden sie sich darauf einlassen? Konnten siesich vorstellen, mit einer vierzig Jahre älterenFrau zu schlafen? Oder mit einemzwölfjährigen Mädchen? Würden sie einerFrau vorspielen, sie seien in sie verliebt, umsie ins Bett zu bekommen? Würden sie einNein überhören? Würden sie eine Fraubetrunken machen oder ihr Drogen einflößen,um ihr die Hemmungen zu nehmen?

Als die Männer diese Fragenbeantworteten, saßen sie an einem Computerin einem Labor – ein reichlich kühler Zustand– und waren ehrlich überzeugt, dass siedergleichen natürlich niemals tun würden.Aber in einem zweiten Schritt sollten dieTeilnehmer masturbieren und diese Fragen imZustand sexueller Erregung noch einmalbeantworten. In diesem heißen Zustand sahdie Sache schon ganz anders aus. Was vorhervöllig ausgeschlossen schien, war plötzlichdurchaus im Bereich des Möglichen. Es warnatürlich nur ein Experiment, aber es zeigte,dass die Wildnis auch sie bei einer Schwächeertappen könnte. Sobald es heiß wird, wird

das Undenkbar erstaunlich denkbar.Die Willenskraft mag die größte Stärke

des Menschen sein, aber wir sind gut beraten,uns nicht immer auf sie zu verlassen. HebenSie sich diese Stärke für Notfälle auf. SchonStanley erkannte, dass man sich dieWillenskraft mit einigen Techniken fürSituationen aufsparen kann, in denen sieunerlässlich ist. Paradoxerweise istWillenskraft nötig, um diese Technikenumzusetzen, aber auf lange Sicht helfen sieIhnen, dass Sie in Situationen, in denen Siezum Überleben ein starkes Herz benötigen,weniger erschöpft sind.

FreiwilligeSelbstverpflichtung

Stanley reiste im Alter von dreißig Jahren zumersten Mal nach Afrika, als er im Auftrag desNew York Herald nach dem verschollenenLivingstone suchte. Während des ersten Teilsder Reise kämpfte er sich durch Sümpfe undrang mit der Malaria und ihren »verrückten

Visionen, rasenden Kopfschmerzen undschrecklicher Übelkeit«, die ihn wochenlangins Delirium stürzte. Außerdem geriet dieExpedition in einen Stammeskrieg und entkamnur knapp einem Blutbad. Nach sechsMonaten waren so viele seiner Begleitergestorben oder geflüchtet, dass nur noch 34Männer übrig waren, kaum ein Viertel derursprünglichen Gruppe und viel zu wenig fürdie Reise durch das feindliche Land, das vorihnen lag. Stanley wurde immer wieder vomFieber geschüttelt und machte sich Sorgen, daerfahrene arabische Reisende ihn gewarnthatten, dass auf dem weiteren Weg dersichere Tod auf ihn warte. Eines Abendsschrieb er zwischen Fieberanfällen einenBrief an sich selbst: Ich habe einen heiligen Eid geschworen, dass ich meine Sucheunter keinen Umständen aufgeben werde, bis ich Livingstonetot oder lebendig gefunden habe, und diesen Eid werde ichhalten, solange ich noch Leben in mir spüre … Kein Menschwird mich aufhalten, nur der Tod kann mich daran hindern.Aber auch nicht der Tod, denn ich sterbe nicht, ich werde nichtsterben, ich kann nicht sterben!111 Selbst im Fieberwahn dürfte Stanley kaum

wirklich geglaubt haben, dass er mit diesemBrief den Tod bezwingen konnte. Der Briefwar vielmehr Teil einer Strategie, mit der ersich seine Willenskraft bewahrte und die erimmer wieder mit großem Erfolg einsetzte:die Selbstverpflichtung. Die Strategie bestehtim Grunde nur darin, sich unwiderruflich aufden richtigen Weg festzulegen. Sie wissenzwar, dass Sie unterwegs immer wiederversucht sein werden, von diesem Wegabzuweichen, und dass Ihr Wille schwachwird. Deshalb machen Sie es sich vonvornherein unmöglich, diesen Pfad zuverlassen. Auch Odysseus und seine Männerbenutzten die Strategie derSelbstverpflichtung, um am tödlichen Gesangder Sirenen vorüberzusegeln. Odysseus ließsich an den Mast fesseln, um die Sirenenhören zu können, aber keine Möglichkeit zuhaben, das Schiff in ihre Richtung zu steuern.Und seine Männer verstopften sich die Ohrenmit Bienenwachs, um den Gesang nicht zuhören; damit gerieten sie erst gar nicht inVersuchung, was in jedem Fall die bessereStrategie ist. Wenn Sie nicht Roulette spielenwollen, ist es besser, sie gehen erst gar nicht

ins Kasino, statt zwischen den Tischen auf undab zu gehen und darauf zu zählen, dass IhreFreunde Sie schon am Spielen hindernwerden.

Natürlich kann niemand alle Versuchungenvorhersehen, schon gar nicht heutzutage.Egal was Sie tun, um reale Spielkasinos zuvermeiden, die virtuellen Spielkasinos sind nieweit, ganz zu schweigen von all den anderenVersuchungen, die rund um die Uhr imInternet locken. Aber die Technologie, dieneue Sünden erfindet, bietet auch neueMöglichkeiten, sich vor ihnen zu schützen. Einmoderner Odysseus kann seinem Browser dieOhren verstopfen, damit der bestimmte Seitennicht mehr anzeigt. Und ein moderner Stanleykann das Internet genauso nutzen wie derEntdecker die Medien seiner Zeit: In seinenBriefen, Berichten und Erklärungen verspracher immer wieder, sein Ziel zu erreichen undsich ehrenhaft zu verhalten, denn er wusste,wenn er berühmt würde, dann würden seineFehltritte Schlagzeilen machen. Nachdem erseine Männer vor den Gefahren derTrunksucht gewarnt und sie ermahnt hatte,sexuellen Versuchungen in Afrika zu

widerstehen, würden seine eigenenVerfehlungen in umso grellerem Lichterscheinen. Nachdem er in die Rolle des BulaMatari, des unerschütterlichen Steinbrechersgeschlüpft war, zwang er sich, ihr auchgerecht zu werden. Mit seinen Schwüren undseinem Image habe er von vornhereinverhindern wollen, dass er durchWillensschwäche scheiterte, so sein BiografJeal.

Heute muss man nicht berühmt sein, umAngst haben zu müssen, in einem schwachenMoment seinen Ruf zu ruinieren. Mit Hilfe dersozialen Netzwerke, die ihre Sündenschonungslos offenlegen, können Sie sich zutugendhaftem Verhalten zwingen. Ein Beispielist die »Bloßstellungsdiät«112 desSchriftstellers Drew Magary, der versprach,sich jeden Tag zu wiegen und sein Gewicht aufTwitter zu veröffentlichen. Daran hielt er sich– und speckte prompt in fünf Monaten 25Kilogramm ab. Wenn Sie die Bloßstellungjemand anderem überlassen wollen, könnenSie ein Programm namens Covenant Eyes113installieren, das die Webseiten registriert, dieSie besuchen, und dann eine Liste an eine

vorab bestimmte Person schickt, zum BeispielIhren Chef oder Ihre Frau. Oder Sie könneneine Selbstverpflichtung bei stickK.comeingehen, einem Unternehmen, das von denbeiden Wirtschaftswissenschaftlern Ian Ayresund Dean Karlan gegründet wurde. Siekönnen jedes beliebige Ziel wählen –abnehmen, mit dem Nägelkauen aufhören,weniger fossile Brennstoffe verwenden, IhreEx nicht mehr anrufen – und werdenautomatisch bestraft, wenn Sie Ihr Ziel nichterreichen. Dabei können Sie sich selbstkontrollieren oder einen unparteiischenSchiedsrichter über Erfolg oder Misserfolgurteilen lassen. Die Strafe könnte ganzeinfach eine E-Mail an vorab benannteFreunde und Verwandte oder alternativ auchIhre Feinde sein. Sie können sich aber auchselbst eine Geldstrafe auferlegen und zumBeispiel automatisch eine Spende an einegemeinnützige Einrichtung überweisen. WennSie einen besonderen Anreiz wollen, könnenSie eine Organisation wählen, die Sie auf garkeinen Fall unterstützen möchten, wie zumBeispiel eine politische Partei, bei der Sieauch mit vorgehaltener Pistole nicht Ihr

Kreuzchen machen würden. Die Nutzer vonstickK.com114 scheinen sich vor allem durchfinanzielle Anreize zu motivieren (wie auchStanley, der Geschichten finden musste, umArtikel und Bücher zu verkaufen) sowie durchdie Anwesenheit eines Schiedsrichters.Nutzer, die keine Geldstrafe und keinenSchiedsrichter vorsehen, kommen auf eineErfolgsquote von 35 Prozent, die anderendagegen von bis zu 80 Prozent; und wer eineStrafe von 100 Dollar vorsieht, hat wiederummehr Erfolgschancen als jemand, der nur 20Dollar aufs Spiel setzt – zumindest nachAngaben von stickK.com, das keineunabhängige Überprüfung vornehmen lässt.Die tatsächliche Erfolgsquote liegt vermutlichetwas niedriger, da Schiedsrichtermöglicherweise zögern, Ergebnisse zumelden, die ihren Freunden oder Angehörigenfinanziell schaden könnten. Und natürlichhandelt es sich um eine nicht repräsentativeAuswahl von Menschen, die bereits motiviertsind, ihr Verhalten zu verändern, weshalb esschwer nachprüfbar ist, welche Rolle dieSelbstverpflichtung bei stickK.com bei derUmsetzung der Vorsätze spielt. Aber die

Wirksamkeit von Verträgen mitSchiedsrichtern und Strafen konnte in einemwissenschaftlichen Experiment nachgewiesenwerden, das von Dean Karlan und anderenÖkonomen durchgeführt wurde.

An dem Experiment nahmen 2 000philippinische Raucher115 teil, die mit demRauchen aufhören wollten. Die Hälfte derTeilnehmer konnte einen Vertrag mit einerBank abschließen und wöchentlich Geld aufein Konto überweisen, das keinerlei Zinsenabwarf. Die Wissenschaftler schlugen denRauchern vor, dieselbe Summe zuüberweisen, die sie in der Regel für ihreZigaretten ausgaben, aber der Betrag warfreiwillig, und die Teilnehmer mussten auchgar nichts überweisen (was einige auchtaten). Nach sechs Monaten mussten sie sicheinem Urintest unterziehen. Wurde bei demTest Nikotin im Körper nachgewiesen,verloren die Teilnehmer das eingezahlte Geldund die Bank überwies den gesamten Betragan eine gemeinnützige Einrichtung. Ausfinanzieller Sicht war es für die Raucher einschlechtes Geschäft. Hätten sie ihr Geld aufein einfaches Sparkonto eingezahlt, dann

hätten sie wenigstens Zinsen dafürbekommen. Aber nicht nur, dass sie keineZinsen erhielten, sie liefen außerdem Gefahr,alles zu verlieren – und tatsächlich bestandmehr als die Hälfte der Teilnehmer den Testnach sechs Monaten nicht. Das Bedürfnisnach dem Glimmstängel war soüberwältigend, dass die meisten Raucher ihmnachgaben, obwohl sie wussten, dass siedamit das gesamte Geld verloren.

Die gute Nachricht war, dass vieleRaucher tatsächlich ganz mit dem Rauchenaufhörten und auch nach den sechs Monatennicht wieder damit anfingen. Nach derUrinprobe endete das Programm offiziell, dieTeilnehmer hatten keine Ahnung, dass sieweiter beobachtet werden würden. Doch dieWissenschaftler wollten herausfinden, ob derEffekt ihres Programms von Dauer war, undbaten die Teilnehmer ein halbes Jahr späterüberraschend zu einem weiteren Test. Auchnach dem Wegfall des finanziellen Anreizeswirkte das Programm nach: Verglichen miteinem Kontrollprogramm ohne freiwilligeSelbstverpflichtung besaß dieses Programmauch nach einem Jahr noch eine um 40

Prozent höhere Erfolgsquote. Der zeitlichbefristete Anreiz hatte also eine dauerhafteVerhaltensänderung bewirkt. Was alsSelbstverpflichtung begann, wurde zu einerGewohnheit.

Das Gehirn auf Autopilot

Stellen Sie sich vor, Sie sind Henry MortonStanley und wachen an einem besondersfinsteren Morgen auf. Sie quälen sich ausIhrem Zelt im Regenwald. Es ist natürlichdunkel. Es ist schon seit Monaten dunkel. IhrMagen, der schon auf früheren Expeditionenvon Parasiten, Krankheiten und gewaltigenMengen von Chinin und anderenMedikamenten zerfressen wurde, drückt Sienoch furchtbarer als sonst. Sie und IhreMänner müssen sich von Beeren, Wurzeln,Pilzen, Würmern, Raupen, Ameisen undSchnecken ernähren – wenn Sie denn welchefinden. Vor ein paar Tagen haben Sie IhrenEsel erschossen, um Ihrer Gruppe eineMahlzeit zu gönnen. Die halb verhungerten

Männer haben jede Faser des Tieresverschlungen, sich am Ende um die Hufegestritten und noch das Blut vom Bodenaufgeleckt, ehe es in der Erde versickerte.

Dutzende Ihrer Begleiter sind von Hunger,Krankheiten und eiternden Wunden sogeschwächt, dass Sie sie auf einer Lichtungzurückließen, die von Ihren Männern nur »dasHungerlager« genannt wird. Sie befürchten,dass sich Ihr eigenes Lager nicht allzu sehrvon diesem Hungerlager unterscheidet, undmalen sich in schrecklichen Details aus, wieSie und die anderen zusammenbrechen undelendig im Urwald sterben. Sie stellen sichvor, wie die Insekten auf jeden toten Körperreagieren: »Noch bevor er kalt ist, kommterst ein ›Scout‹, dann noch einer, dann einDutzend und schließlich Tausende wildergelber Aasfresser in ihren glänzendenHornrüstungen. In einigen Tagen sind nurnoch ein paar Lumpen und ein glänzender,weißer Schädel übrig.«

Aber noch sind Sie nicht tot. Sie habenzwar nichts zu essen, aber noch sind Sie amLeben. Jetzt, da Sie aufgestanden sind unddem ersten Ruf der Natur gefolgt sind, was

tun Sie?Für Stanley war die Antwort einfach: Er

rasierte sich. Einer seiner Diener in Englanderinnerte sich später: »Er hat mir oft erzählt,dass er es sich auf seinen Expeditionen zurRegel gemacht habe, sich jeden Morgen zurasieren. Im Urwald, im Hungerlager, amMorgen vor einer Schlacht – er hat sichimmer an diese Gewohnheit gehalten, egalwie schwierig die Umstände waren. Er hatmir erzählt, wie oft er sich mit kaltem Wasseroder mit stumpfen Rasiermessern rasierthat.« Aber warum sollte sich jemand, der demHungertod ins Auge sieht, auf seinermorgendlichen Rasur bestehen? Als wirStanleys Biografen nach dieser extremenKorrektheit im Dschungel befragten, meinteJeal, es sei ein typischer Ausdruck seinesOrdnungssinns gewesen.

»Stanley legte großen Wert auf seinÄußeres, auch bei seinen Kleidern. Er legtegroßen Wert auf eine klare Handschrift inseinen Tagebüchern und Briefen und hieltseine Sachen in Ordnung«, erklärte Jeal. »Erlobte eine ähnliche Ordentlichkeit beiLivingstone. Diese Ordnung war ein Gegengift

gegen das zerstörerische Chaos der Natur.«Stanley gab eine ähnliche Erklärung dafür,warum er sich im Urwald rasierte: »Ich habeimmer ein möglichst anständiges Äußeresgewahrt, aus Selbstdisziplin und ausSelbstachtung.«

Man könnte sich natürlich fragen, ob erseine Energie nicht besser anders hätteverwenden können, zum Beispiel für die Suchenach Nahrung. War dies nicht eine sinnloseDisziplin, mit der er nur seine Willenskraftschwächte, die ihm dann nicht mehr fürüberlebenswichtige Aufgaben zur Verfügungstand? Ganz im Gegenteil, Gewohnheiten wiediese können die Selbstdisziplin sogar nochverbessern, weil sie mit automatischenmentalen Prozessen zusammenhängen, diekaum Energie benötigen. StanleysÜberzeugung, dass ein Zusammenhangzwischen äußerer Ordnung und innererSelbstdisziplin besteht, wurde unlängst ineiner Reihe von bemerkenswertenUntersuchungen bestätigt. In einemExperiment saß eine Gruppe von Teilnehmernin einem aufgeräumten und sauberen Labor,während sie eine Reihe von Fragen

beantwortete; hingegen bekam eine andereGruppe dieselben Fragen in einemchaotischen Durcheinander vorgelegt. DieTeilnehmer, die im Chaos saßen, wiesendeutlich geringere Selbstdisziplin auf undwaren beispielsweise eher bereit, jetzt einekleine Summe einzustecken statt eine Wocheauf eine größere Summe zu warten. Als manihnen Getränke und eine Kleinigkeit zu essenanbot, entschieden sich die Teilnehmer imaufgeräumten Labor für Milch und Obst, dieim Saustall dagegen für Cola undSchokoriegel.

In einem ähnlichen Online-Experimentbeantwortete eine Gruppe von TeilnehmernFragen auf einer übersichtlichen und gutgestalteten Website und eine andere auf einerunübersichtlichen Seite mit vielenRechtschreibfehlern. Auf der schlechtgestalteten Seite gaben mehr Teilnehmer an,dass sie Risiken wagten statt auf Nummersicher zu gehen, dass sie fluchten undSchimpfwörter verwendeten und dass sie einesofortige kleine Belohnung einer späteren undgrößeren vorzogen. Auf einerunaufgeräumten Website waren auch weniger

Menschen bereit, für eine gute Sache zuspenden. Wohltätigkeit und Großzügigkeithängen mit Selbstdisziplin zusammen, zumeinen, weil wir Selbstdisziplin benötigen, umunseren natürlichen Egoismus zu überwinden,und zum anderen, weil der Gedanke anandere unsere Selbstdisziplin steigern kann(darauf gehen wir später noch genauer ein).Der ordentliche Internetauftritt und dasaufgeräumte Labor waren subtile Hinweise,mit denen die Teilnehmer unbewusst zudisziplinierten Entscheidungen undHilfsbereitschaft motiviert wurden.116

Indem sich Stanley jeden Tag rasierte, gaber sich denselben Hinweis, ohne dabei vielgeistige Energie zu verschwenden. Er musstenicht jeden Morgen bewusst die Entscheidungtreffen, sich zu rasieren. Nachdem er einmalden Willen aufgebracht und es sich zurGewohnheit gemacht hatte, war die Rasur zueinem automatischen Prozess geworden, derkeine Willenskraft mehr erforderte.

So absurd Stanleys Ordnungssinn imHungerlager auf den ersten Blick erscheinenmag, er passt zu den Mustern, die Baumeisterin Zusammenarbeit mit Denise de Ridder und

Catrin Finkenauer117 bestätigte. DieWissenschaftler führten Untersuchungen mitPersonen durch, die in Persönlichkeitstestsbesonders hohe Werte für Selbstdisziplinerzielt hatten, und unterschieden dabei zweigrobe Gruppen: unbewusste und bewussteVerhaltensweisen. Sie gingen davon aus, dassdie Teilnehmer mit großer Selbstdisziplindiese vor allem in den vom Bewusstseinkontrollierten Verhaltensweisen ausspielenwürden. Doch in der Meta-Analyse stellte sichheraus, dass das genaue Gegenteil der Fallwar: Menschen mit großer Selbstdisziplinzeichneten sich vor allem dadurch aus, dassihr Verhalten weitgehend automatisiert war.

Zunächst verblüffte dieses Resultat dieWissenschaftler, zeigte es doch, dass wir beikontrollierten Verhaltensweisen keineKontrolle ausüben. Wie konnte das sein? Sieüberprüften die Ergebnisse, doch es konntekeinen Zweifel geben. Erst bei einerÜberprüfung der ursprünglichenUntersuchungen verstanden sie dieBedeutung. Das Resultat stellte das bisherigeVerständnis der Selbstdisziplin auf den Kopf.

Bei den automatisierten Verhaltensweisen

handelte es sich um Gewohnheiten, währenddie bewusst kontrollierten Verhaltensweisenin der Regel einmalige Handlungendarstellten. Die Selbstdisziplin ist offenbardann am effektivsten, wenn wir uns guteGewohnheiten zu- und schlechte ablegen.Menschen mit einem hohen Maß anSelbstdisziplin benutzen eher Kondome undvermeiden schlechte Angewohnheiten wieRauchen, Zwischenmahlzeiten undAlkoholmissbrauch. Zur Durchsetzunggesunder Verhaltensweisen ist zwarWillenskraft erforderlich – daher sindMenschen mit starkem Willen auch eher dazuin der Lage –, aber sobald sich dieGewohnheiten eingeschliffen haben, erfordernsie keine Anstrengung mehr.

Eine weitere unerwartete Erkenntnis istdie Tatsache, dass sich die Selbstdisziplin amstärksten auf die Leistung am Arbeitsplatzund in der Schule auswirkt, und am wenigstenauf die Ernährung. Obwohl Menschen mitrelativ großer Selbstdisziplin ihr Gewichteffektiver kontrollieren, wirkt die Disziplinhier deutlich schwächer als in anderenLebensbereichen. (Warum das so ist, und

warum Diäten sinnlos sind, werden wir späternoch sehen.) Ihre Selbstdisziplin hilft ihnenbei der emotionalen Anpassung (Glück,Selbstbewusstsein und Vermeidung vonDepression) und im Umgang mit Freunden,Partnern und Verwandten. Am deutlichstenbeeinflusste sie jedoch den Erfolg in Schuleund Beruf, was einmal mehr unterstreicht,dass sich erfolgreiche Menschen vor allem aufgute Gewohnheiten verlassen. Einser-Schülerpauken nicht vor einer Prüfung die ganzeNacht hindurch, sondern lernen das ganzeJahr über regelmäßig. Und Arbeitnehmer undSelbstständige, die über einen langenZeitraum hinweg konstant arbeiten, sindlangfristig erfolgreicher.

In der Professorenzunft ist dieFestanstellung beispielsweise eine großeHürde, und an den meisten Universitäten inden Vereinigten Staaten müssenNachwuchswissenschaftler originelle undqualitativ hochwertige Veröffentlichungenvorlegen, um eine solche Stelle zu erhalten.Bildungsforscher Robert Boice118untersuchte die Schreibgewohnheitenangehender Professoren und verfolgte ihre

weitere Entwicklung. In einem Arbeitsumfeldohne Vorgesetzte und Vorgaben entwickeltendie Jungakademiker unterschiedlicheStrategien, um sich selbst zu organisieren.Die einen recherchierten so lange, bis siesämtliche Informationen zusammenhatten,und setzten sich dann hin, um das Manuskriptauf einen Rutsch zu schreiben und dabei dieeine oder andere Nachtschicht einzulegen.Andere schrieben dagegen konstant jeden Tagein oder zwei Seiten, wieder andere wählteneinen Ansatz irgendwo dazwischen. Als Boicedie Nachwuchsakademiker Jahre später einzweites Mal befragte, hatten sie sich sehrunterschiedlich entwickelt. Diejenigen, diejeden Tag ein paar Seiten geschrieben hatten,waren inzwischen fest angestellt. Die anderenhatten dagegen weniger Erfolg gehabt undviele arbeiteten gar nicht mehr an derUniversität. Man kann angehendenProfessoren und Schriftstellern also einenguten Rat mit auf den Weg geben: SchreibenSie jeden Tag. Nutzen Sie Ihre Selbstdisziplin,um sich das Schreiben zur Gewohnheit zumachen, und Sie werden langfristig mitweniger Aufwand mehr produzieren.

Wir verbinden das Wort Willenskraft oftmit einmaligen Heldentaten: Wir legen amEnde eines Marathonlaufs einen Spurt hin,erdulden die Schmerzen der Geburt, steheneine Verletzung durch, bewältigen eine Krise,widerstehen einer scheinbarunwiderstehlichen Versuchung und schaffeneine unmögliche Deadline. Selbst diekritischsten Biografen lobten Stanleyskreative Schübe kurz vor einemAbgabetermin. Nachdem er die schrecklicheExpedition durch den Ituri-Regenwaldüberlebt hatte und in die Zivilisationzurückgekehrt war, schrieb er innerhalbkürzester Zeit seinen internationalenBestseller Im dunkelsten Afrika. Von 6 Uhrmorgens bis 11 Uhr abends saß er amSchreibtisch und schrieb in 50 Tagen ganze900 Seiten nieder. Aber er wäre nie dazu inder Lage gewesen, wenn er nicht während dergesamten Expedition ausführliche Notizengemacht und ordentlich Tagebuch geführthätte. Sein Tagebuch war ihm genauso eineAngewohnheit wie seine morgendliche Rasur;so konnte er Tag für Tag schreiben und sichseine Willenskraft für die nächste

unangenehme Überraschung im Dschungelaufsparen.

Rettungsanker undLeuchttürme

Im Alter von 33 Jahren, kurz nachdem erLivingstone aufgespürt hatte, verliebte sichStanley. Bis dahin war er überzeugt gewesen,kein Glück bei Frauen zu haben, doch da ernach seiner Rückkehr nach London plötzlicheine Berühmtheit war, verbesserten sich auchseine Aussichten beim anderen Geschlecht. InLondon lernte er eine Amerikanerin namensAlice Pike kennen. Sie war erst 17 Jahre altund hatte, wie er in seinem Tagebuchnotierte, »keine Ahnung von afrikanischerGeografie und ist auch ansonsten reichlichungebildet«. Doch er war über beide Ohrenverliebt, und einen Monat nach ihrer erstenBegegnung verlobten sich die beiden. Siewollten heiraten, sobald Stanley von seinernächsten Afrika-Expedition zurückkehrte. Alser von der afrikanischen Ostküste ins

Landesinnere aufbrach, trug er ihr Foto in einÖltuch gewickelt an seinem Herzen. Sein achtMeter langes Boot, das seine Männer auf derersten Etappe durch den Urwald schlepptenund mit dem er als erster Europäer diegroßen Seen im Herzen Afrikas umsegelnsollte, hatte er auf den Namen Lady Alicegetauft. Mit der Lady Alice wollte er denLualaba hinunterfahren und sehen, wo ermündete – vielleicht in den Nil (wieLivingstone meinte), vielleicht in den Niger,vielleicht aber auch in den Kongo (wie Stanleykorrekt vermutete). Das wusste niemand,denn selbst die gefürchteten arabischenSklavenhändler hatten sich durch Geschichtenvon kriegerischen Kannibalen abschreckenlassen, das Gebiet zu erkunden.

Bevor er zu seiner Fahrt flussabwärtsaufbrach, schrieb Stanley seiner Verlobten, erhabe 25 Kilogramm verloren, seit sie sich dasletzte Mal gesehen hatten, und bringe nurnoch 54 Kilogramm auf die Waage. Er littunter einem weiteren Malariaanfall undzitterte vor Kälte, obwohl die Temperaturtagsüber und in der Sonne auf fast 60 Gradstieg. Er befürchtete, dass ihm noch

Schlimmeres bevorstand, doch in dem letztenBrief, den er seiner Verlobten vor Erreichender afrikanischen Westküste schreiben sollte,interessierte ihn das nicht. »Meine Liebe fürDich glüht unverändert, Du bist mein Traum,mein Halt, meine Hoffnung und meinLeuchtturm«, schrieb er. »Ich werde dich inEhren halten, bis wir uns wiedersehen odermich der Tod holt.«

An diese Hoffnung klammerte sich Stanleyauf den nächsten fünfeinhalbtausendKilometern. Er fuhr mit der Lady Alice denKongo hinunter, überlebte Angriffe vonKannibalen, die mit dem Kriegsschrei»Niama! Niama! – Fleisch! Fleisch!« über dieExpedition herfielen. Nur die Hälfte seinerBegleiter erreichte mit ihm die Atlantikküsteauf einer Reise, die fast drei Jahre langdauern und außer ihm alle europäischenTeilnehmer das Leben kosten sollte. Wiederin der Zivilisation, suchte Stanley ungeduldignach Liebesbriefen von seiner Verlobten.Stattdessen fand er einen Brief von seinemVerleger, der ihm Unangenehmes zuüberbringen hatte: »Nun komme ich zu einerdelikaten Nachricht, von der ich lange

überlegt habe, ob ich sie Ihnen jetzt mitteilenoder bis zu Ihrer Ankunft warten soll. Aberich bin zu dem Schluss gekommen, dass ichSie besser gleich informiere, dass IhreFreundin Alice Pike geheiratet hat!« Stanleywar erschüttert, dass ihn die Frau seinerTräume verlassen (und den Sohn einesFabrikanten von Eisenbahnwaggons aus Ohiogeheiratet) hatte. Daran änderte auch einkurzer Brief seiner Angebeteten nichts, dieihn zum Erfolg seiner Expeditionbeglückwünschte, beiläufig ihre Heiraterwähnte und einräumte, dass die Lady Alice»eine treuere Freundin war als die Alice, nachder sie benannt ist«. Für Stanley war derVorfall ein weiterer Beweis für sein Pech inLiebesdingen. Er hatte offenbar das Foto derfalschen Frau am Herzen getragen.

Aber so tragisch seine Liebe endete, siehatte ihm doch etwas gebracht: Sie hatte ihnvon seinem Leid abgelenkt. Er mochte sich inihr getäuscht haben, doch er war so kluggewesen, sich für seine Reise einen »Halt«und einen »Leuchtturm« zu suchen, die weitvon seiner finsteren Umgebung entferntwaren. Es war eine Erfolgsstrategie, wie sie

in einfacherer Form auch die Kinder in demklassischen Marshmallow-Experimentverwendeten. Die Kinder, die dasMarshmallow anstarrten, verloren raschjeden Willen und erlagen der Versuchung, essofort zu essen; aber diejenigen, die sichablenkten, indem sie sich im Zimmer umsahenoder sich einfach die Augen zuhielten,ertrugen die Wartezeit. Notärzte greifen zueinem ähnlichen Trick, wenn sie sich mitPatienten über ein beliebiges Themaunterhalten, um sie von ihrem Schmerzabzulenken. Und Hebammen halten Frauenwährend der Wehen davon ab, die Augen zuschließen, um zu verhindern, dass sie sich aufihren Schmerz konzentrieren. Sie alleerkennen den Nutzen dessen, was Stanley als»Selbstvergessenheit« bezeichnete. Er sahdie Schuld für das Fehlverhalten seinerNachhut in der Entscheidung der Führer, zulange im Lager zu bleiben und auf Nachschubzu warten, statt ihm in den Urwald zu folgen.»Die Medizin gegen ihre Zweifel und Ängstewäre die Aktivität gewesen«, schrieb er.Stattdessen ertrugen sie die »tödlicheMonotonie«. So schlimm es für ihn war, sich

mit den kranken, hungernden und sterbendenMännern durch den Urwald zu kämpfen: »Diedauernden Beschäftigungen waren zuanstrengend und interessant, um Raum fürniedere Gedanken zu lassen.« Stanleybetrachtete Aktivität als geistigenRettungsanker: Zum Schutz gegen Verzweiflung und Wahnsinn griff ich zurSelbstvergessenheit und dem Interesse, das mir meineAufgabe bot. Mein Lohn war das Bewusstsein, dass meineKameraden meinen Einsatz zu schätzen wussten und wirdurch gemeinsame Sympathien und Ziele verbunden waren.Dies gab mir die Kraft, mich meinen mitmenschlichenAufgaben zu widmen, und festigte meine Moral.119 Wenn Stanley von »gemeinsamenSympathien« und »mitmenschlichenAufgaben« schreibt, dann könnte sich derVerdacht aufdrängen, dass er damit vor allemsich selbst diente. Stanley stand in dem Ruf,kalt und streng zu sein. Er war schließlich derMann, der mit der kühlsten Begrüßung allerZeiten in die Geschichtsbücher einging: »Dr.Livingstone, I presume? – Dr. Livingstone,nehme ich an?« Selbst die Viktorianerempfanden diese Formel als lächerlich steif

für zwei Briten, die sich mitten imafrikanischen Urwald begegneten. DasInteressante an diesem berühmten Gruß istjedoch, so sein Biograf Jeal, dass Stanley ihnso nie aussprach. Zum ersten Mal taucht er inStanleys Artikel für den New York Herald auf,den Stanley lange nach der Begegnungverfasste. Keiner der beiden Männererwähnte diesen Satz in seinenAufzeichnungen, Stanley riss dieentscheidende Seite aus seinem Tagebuchheraus. Der Entdecker, der wegen seinerKindheit im Arbeitshaus unterMinderwertigkeitskomplexen litt, dichtetediesen Gruß offenbar nachträglich, um einenmöglichst würdevollen Eindruck zu erwecken.Er bewunderte die Steifheit der britischenGentleman-Reisenden und bemühte sich, ihreKühle zu imitieren, indem er seine Abenteuermöglichst distanziert beschrieb. Aber erverfügte weder über ihr Flair noch über ihreDiskretion. Während sie in ihren Bücherngewalttätige Auseinandersetzungen undDisziplinarmaßnahmen während ihrerExpeditionen verschwiegen oderherunterspielten, übertrieb Stanley diese

Ereignisse, um sich als Draufgängerdarzustellen und seine Artikel und Bücher zuverkaufen.

So kam es, dass Stanley lange als einer derbrutalsten Entdecker seiner Epoche galt,obwohl er sich in Wirklichkeit gegenüber denAfrikanern ungewöhnlich menschlich verhielt,selbst im Vergleich zum frommen Dr.Livingstone. Für seine Zeit besaß Stanleyerstaunlich wenige Vorurteile. Er sprachfließend Suaheli und pflegte lebenslangeFreundschaften zu seinen afrikanischenBegleitern. Auf der anderen Seite bestrafte ereuropäische Offiziere, die Afrikaner unterihrem Befehl misshandelten, und forderteseine Männer auf, sich jeder Gewalt gegeneinheimische Dorfbewohner zu enthalten.Zwar griff er manchmal zu den Waffen, wennVerhandlungen scheiterten und Geschenkeihre Wirkung verfehlten, doch das Bild einesStanley, der sich seinen Weg durch Afrikaschießt, ist ein Mythos. Sein Erfolgsgeheimniswaren nicht die Kämpfe, die er in seinenBüchern so lebhaft schildert, sondern zweiPrinzipien, die er nach seiner letztenExpedition so zusammenfasste:

Unter der Anspannung der drohenden Gefahr habe ichzweierlei gelernt: Erstens, dass Selbstbeherrschung wichtigerist als Schießpulver, und zweitens, dass Selbstbeherrschungunter den Herausforderungen der Reisen in Afrika unmöglich istohne echte, wahrhaft empfundene Sympathie für dieEinheimischen, denen man begegnet. Wie Stanley erkannte, geht es bei derSelbstbeherrschung um mehr als das»Selbst«. Dank der Willenskraft sind wir inder Lage, mit anderen auszukommen undImpulse zu überwinden, die auf egoistischen,kurzsichtigen Interessen beruhen. Im Laufeder Menschheitsgeschichte waren Religionenund ihre Gebote verbreitete Mittel, umMenschen von ihrem egoistischen Verhaltenabzubringen. Wie wir noch sehen werden, istdie Religion bis heute eine effektive Strategieder Selbstdisziplinierung. Aber was könnenSie tun, wenn Sie wie Stanley kein gläubigerMensch sind? Stanley hatte seinen Glaubenals junger Mann im AmerikanischenBürgerkrieg verloren und stand vor einerFrage, die auch andere Zeitgenossen umtrieb:Wie können wir uns moralisch verhalten,wenn unsere Triebe nicht mehr von den

Geboten der Religion gezügelt werden? WieStanley beantworteten viele Atheisten dieseFrage, indem sie sich nach außen weiterhinzur Religion bekannten und gleichzeitigversuchten, ein weltliches »Pflichtgefühl«herzustellen. Während seines furchtbarenMarsches durch den Ituri-Urwald ermahnteStanley seine Männer mit einem Zitat ausTennysons Ode auf den Tod des Duke ofWellington: »In der Geschichte unserer Inselführte oft der Weg der Pflicht zum Ruhm.«

Stanleys Männer zeigten nicht immerVerständnis für diese hochtrabendeGesinnung und konnten den Spruchirgendwann nicht mehr hören, aber dahintersteckte ein wirksames Prinzip derSelbstdisziplin: Konzentrieren Sie sich auferhabene Ideale. Die Wirkung dieserStrategie wurde unlängst vonWissenschaftlern unter der Leitung vonKentaro Fujita von der New York Universityund seinem Doktorvater Yaacov Tropeuntersucht.120 Mit einer Reihe von Tricksschafften sie es, das Denken ihrerTestpersonen auf eine hohe beziehungsweiseniedere Ebene zu verlagern. Zum Beispiel

sollten einige Versuchsteilnehmer darübernachdenken, warum Menschen etwas taten,und andere, wie sie es taten. Die Frage»warum« ist auf die Zukunft und eine höhereEbene gerichtet, die Frage »wie« dagegen aufdie Gegenwart und eine niedrigere Ebene.Alternativ brachten sie die Teilnehmer dazu,abstrakter beziehungsweise konkreter zudenken.

Diese Manipulation des Denkens hat ansich noch nichts mit der Selbstdisziplin zu tun.Trotzdem ergab sich ein erstaunlicheindeutiger Zusammenhang: Je höher oderabstrakter die Teilnehmer dachten, destoselbstbeherrschter waren sie: Sieverzichteten auf eine kurzfristige Belohnungund drückten den Handmuskeltrainer mitgrößerer Ausdauer. Enges, konkretes undgegenwartsbezogenes Denken beeinträchtigtdie Selbstdisziplin, breites, abstraktes undzukunftsbezogenes Denken fördert siedagegen. Deshalb beherrschen sich religiöseMenschen besser und deshalb profitierenNichtgläubige wie Stanley von einerTugendethik mit hochfliegenden Idealen.Stanley verband seinen persönlichen Ehrgeiz

immer mit einem Bedürfnis, »ein guterMensch« zu sein, wie es seine imaginäreMutter auf dem Sterbebett von ihm verlangthatte. Wie Livingstone fand er seine Berufung,als er Zeuge der Verheerungen wurde, diearabische und ostafrikanische Sklavenhändleranrichteten. Von da an sah er es als seinenAuftrag an, dem Sklavenhandel ein Ende zubereiten.

Was Stanley letztlich half, den Urwald unddie Ablehnung durch seine Familie, seineVerlobte und das britische Establishment zuertragen, war sein Glaube an seine »heiligeAufgabe«. So pathetisch das in unseren Ohrenklingen mag, ihm war es ernst damit. »Ichwurde nicht auf die Welt gesandt, umglücklich zu sein«, schrieb er. »Ich wurdegesandt, um besondere Aufgaben zuübernehmen.« Während seiner Fahrt auf demKongo schrieb er sich selbst Ermahnungenwie »Ich hasse das Böse und liebe das Gute«.Am Tiefpunkt der Fahrt, nachdem zwei seinerengsten Vertrauten ertrunken waren, erselbst dem Hungertod nahe schien und esnicht so aussah, als würden sie je wiederetwas zu essen finden, tröstete er sich mit den

erhabensten Gedanken, die ihm in diesemMoment einfielen: Mein armer Körper hat furchtbar gelitten. Er ist erniedrigt,getreten, müde, krank und beinahe unter seiner Bürdezusammengebrochen. Aber dies ist nur ein kleiner Teil dessen,was ich bin. Mein wahres Ich liegt verborgen im Dunkeln undwar stets zu erhaben und groß für diesen elenden Körper, deres täglich behinderte. Gab Stanley in diesem Moment derVerzweiflung der Religion nach und stelltesich vor, dass er vielleicht doch so etwas wieeine unsterbliche Seele haben könnte?Vielleicht. Aber vor dem Hintergrund seineslebenslangen Kampfes und der Strategien, dieer entwickelt hatte, um seine Kräfte in derWildnis zu erhalten, hatte er vermutlich etwasWeltlicheres im Sinn. Sein »wahres Ich«, wieBula Matari es sah, war sein Wille.

KAPITEL 8

HILFE VON HÖHERENMÄCHTEN

Holy Mother, hear me cryI’ve cursed your name a thousand timesI’ve felt the anger running through my soulHoly Mother, can‘t keep control.

Eric Clapton121

Wenn mir vor einem Jahr jemand gesagt hätte,dass ich heute im Beichtstuhl knien undmeine Sünden murmeln oder dass ich denRosenkranz beten würde, dann hätte ichmich scheckig gelacht.Eher hätte ich noch gedacht,dass ich als Stripperin, Spionin,Drogenhändlerin oder Auftragskillerin ende.

Mary Karr122 , in ihren Memoiren Lit

In den Momenten, in denen Eric Clapton anSelbstmord dachte, in denen ihm Geld undRuhm und Musik nichts mehr bedeuteten,hielt ihn nur ein Gedanke am Leben: Wenn ersich umbrachte, konnte er keinen Alkoholmehr trinken. Der Alkohol war seine großeLiebe, auch wenn er nebenbei Affären mitKokain, Heroin und allen möglichen anderenDrogen hatte. Als er sich zum ersten Mal mitEnde dreißig in eine Entziehungsklinik begab,erlitt er während der Entgiftung einen Anfall,weil er die Ärzte nicht informiert hatte, dasser Valium genommen hatte – diese»Hausfrauendroge« erschien ihm solächerlich, dass er sie keiner Erwähnung wertfand.

Nach diesem Aufenthalt in derDrogenklinik blieb Clapton einige Jahre langtrocken. Aber als er eines Sommerabends aufdem Weg nach Hause an einem überfülltenPub vorbeifuhr, hatte er einen Einfall: »Meinselektives Gedächtnis sagte mir, dass es dasParadies war, an einem Sommerabend miteinem großen Glas Bier in der Hand amTresen zu stehen«, erinnert er sich. »DieNächte, in denen ich mit einer Flasche

Wodka, einem Gramm Koks und einer Pistolezu Hause saß und über Selbstmordnachdachte, hatte ich vergessen.«

Also bestellte er ein Bier. Es dauerte nichtlange, und er war wieder bei den Gelagen undSelbstmordgedanken angelangt. Währendeiner besonders schlimmen Nacht schrieb er»Holy Mother«, ein Lied, in dem er umgöttlichen Beistand fleht. Seine Karriere waram Ende, seine Ehe ruiniert, und er konntenicht einmal mit dem Trinken aufhören,nachdem er im Vollrausch einen schwerenAutounfall verursacht hatte. Nach der Geburtseines Sohnes ging er wieder in die Klinik,aber gegen Ende seines Aufenthalts hatte ernoch immer das Gefühl, der Flasche nichtwiderstehen zu können.

»Ich habe unaufhörlich an Alkoholgedacht«, schreibt er in seiner AutobiografieClapton. »Ich hatte große Angst und warvöllig verzweifelt.« Als er eines Nachts alleinin seinem Zimmer in der Klinik einenPanikanfall hatte, sank er auf die Knie undbetete.

»Ich hatte keine Ahnung, zu wem ich daeigentlich betete. Ich wusste nur, dass ich am

Ende war«, erinnert er sich. »Ich hatte keineKraft mehr, um weiterzukämpfen. Dannerinnerte ich mich daran, was ich über dieHingabe an Gott gehört hatte. Ich dachte,dazu wäre ich nie in der Lage, mein Stolz ließes einfach nicht zu. Aber ich wusste, dass iches allein nicht schaffen würde, also bat ich umBeistand. Ich kniete mich auf den Boden undgab mich hin.« Von diesem Moment an habeer nie mehr ernsthaft daran gedacht, Alkoholzu trinken, selbst nicht an dem furchtbarenTag, an dem er seinen Sohn Conoridentifizieren musste, nachdem dieser in NewYork aus dem 53. Stock gestürzt war.

In dieser Nacht in der Klinik wurdeClapton plötzlich mit Selbstdisziplin gesegnet.Wie er sie fand, ist schwieriger zu erklärenals ihr Verlust. Seine Alkoholprobleme lassensich psychologisch sehr genau erklären.Entgegen landläufiger Vorurteile lässt uns derAlkohol keine dummen und zerstörerischenDinge tun – er enthemmt uns ganz einfach. Erreduziert unsere Selbstbeherrschung aufzweierlei Weise: Er senkt denBlutzuckerspiegel und trübt unsereSelbstwahrnehmung. Das heißt, er wirkt sich

vor allem auf Verhaltensweisen aus, die mitinneren Konflikten einhergehen, alsoSituationen, in denen eine innere Stimmeetwas will und eine andere nicht, zum BeispielGeschlechtsverkehr mit der falschen Person,Konsum, Streit – oder noch ein Bier, und dannnoch eins. Wenn Karikaturisten dieseKonflikte darstellen, zeichnen sie gern einEngelchen und ein Teufelchen, die inverschiedene Ohren flüsteren. Aber nach einpaar Schnäpsen ist das ein ungleicherWettstreit, denn dann ist das Engelchen außerGefecht. Wir müssen früher eingreifen, ehedas Besäufnis seinen Lauf nimmt. Das ist keinProblem, solange man sich in einerDrogenklinik befindet und das Pflegepersonaldiese Aufgabe übernimmt. Aber woher sollman die Kraft nehmen, das plötzlich allein zuschaffen? Und warum verfügte Clapton nachseiner Entscheidung »sich hinzugeben«plötzlich über mehr Selbstdisziplin?

»Ein Atheist würde vermutlich sagen, dassich ganz einfach meine Einstellung geänderthabe«, meint Clapton. »Das stimmt sogar biszu einem gewissen Punkt, aber dahintersteckt sehr viel mehr.« Seither betet er jeden

Morgen und jeden Abend um göttlichenBeistand und kniet dazu nieder, da er dasGefühl hat, Demut zeigen zu müssen. Aberwarum? »Weil es funktioniert, ganz einfach«,meint Clapton und wiederholt eineEntdeckung, die geläuterte Hedonisten seitJahrtausenden beschreiben. Manchmalpassiert es von einem Moment auf denanderen, wie bei Eric Clapton oder demheiligen Augustinus, der in seinenBekenntnissen schreibt, er habe von Gott denBefehl erhalten, nicht mehr zu trinken;daraufhin »kam das Licht des Friedens übermein Herz und die Nacht des Zweifelsentfloh«.

Manchmal dauert es etwas länger, wie beider Berufszynikerin Mary Karr, Autorin vonThe Liars’ Club, ihren Erinnerungen an eineKindheit in einer texanischen Ölstadt. IhreMutter, die siebenmal heiratete, warAlkoholikerin, zündete ihre Spielsachen anund versuchte, sie zu erstechen. Karr wurdeeine erfolgreiche Dichterin und kämpfte mitihrem eigenen Alkoholismus. Als sich nach derHeimfahrt von einem Besäufnis ihr Autoüberschlug, schwor sie, nie wieder einen

Tropfen Alkohol anzurühren und befolgte denRat der Anonymen Alkoholiker, eine höhereMacht um Beistand zu bitten. Sie legte einKissen auf den Boden und kniete sich zumersten Mal in ihrem Leben hin, um zu beten –oder was sie so bezeichnet. Ihre Version einesGebets sah so aus: »Scheiße, höhere Macht,wo warst du die ganze Zeit?« Sie glaubtezwar nicht an einen Gott, aber sie beschloss,sich jeden Abend dafür zu bedanken, dass sieden Tag nüchtern geblieben war. Nach einerWoche fing sie an, weitere Dinge in ihrAbendgebet aufzunehmen, für die sie dankbarwar. Außerdem flocht sie auch immer mehrWünsche ein, zum Beispiel wenn sie Geldbrauchte.

»Ich brauche fünf Minuten, bis ich mit denBitten durch bin«, erinnert sie sich in ihrenMemoiren Lit. »So verrückt es klingt, aberzum ersten Mal seit einer Woche habe ichkein Bedürfnis nach Alkohol.« Sie blieb derhöheren Macht gegenüber skeptisch, und alsdie Angehörigen ihrer Selbsthilfegruppe siedrängten, sich »zu ergeben«, protestierte sie:»Was soll ich denn machen, wenn ich nicht anGott glaube? Das ist doch so, als würden sie

mich vor eine Schaufensterpuppe setzen undmir sagen, ich soll mich in sie verlieben. Sowas geht nicht auf Kommando.« Religionerschien ihr vollkommen irrational, aber alssie auf einem Empfang des New YorkerLiteratur-Jetset in der Morgan Library derDurst nach einem Cocktail unwiderstehlichwurde, schloss sie sich verzweifelt auf derFrauentoilette ein, sank auf die Knie undbetete: »Bitte halte mich von den Cocktailsfern. Ich weiß, ich habe nie darum gebeten,aber ich brauche Hilfe. Bitte, bitte, bitte.« Eswirkte, genau wie bei Clapton. »DasGequassel in meinem Gehirn verstummte, alshätte es jemand weggezaubert.«

Für Agnostiker ist diese Magie schwer zuverstehen, und wir zählen uns zu dieserGruppe. (Wir wurden zwar beide christlichgetauft, haben jedoch kaum Zeit auf den Knienverbracht, weder zu Hause noch in einerKirche.) Doch wenn man sich die Datenansieht, drängt sich die Frage auf, ob durchdie Zwölf Schritte der Anonymen Alkoholikerund die Gottesdienste nicht doch eine höhereMacht wirken könnte. Obwohl viele Menschenden religiösen Institutionen skeptisch

gegenüberstehen – Psychologen sindinteressanterweise besonders skeptisch –,hegen Forscher, die sich mit derSelbstdisziplin beschäftigen, einen gewissenwiderstrebenden Respekt für ihre praktischenErgebnisse. Auch wenn Sozialwissenschaftlervielleicht nicht an die Existenz einer höherenMacht glauben, müssen sie anerkennen, dassdie Religion ein einflussreiches Phänomen ist,das seit Jahrtausenden wirksameMechanismen zur Selbstdisziplin entwickelthat. Die Anonymen Alkoholiker würden nichtMillionen von Menschen anziehen, wenn sienicht irgendetwas bewirken würden. Kann essein, dass der Glaube an eine höhere Machtmehr Selbstbeherrschung verleiht? Oderpassiert da noch etwas anderes, das sichvielleicht auch Agnostiker zunutze machenkönnten?

Das Geheimnis derAnonymen Alkoholiker

Mit Ausnahme der religiösen Organisationen

sind die Anonymen Alkoholiker123 vermutlichdas größte Programm zur Selbstdisziplin, dases je gab. Sie helfen mehr Alkoholikern alsalle übrigen kommerziellen Programme undKliniken zusammengenommen, und vieleprofessionelle Therapeuten schicken ihreKlienten zu ihren Treffen.Sozialwissenschaftler sind dennoch nach wievor skeptisch, was ihre Erfolge angeht. Es istschwer, die Behandlungserfolge einerdezentralisierten Organisation ohneKrankenakten nachzuvollziehen: Die Gruppenagieren autonom und bestehen natürlichdarauf, dass die Teilnehmer anonym bleiben.Sie orientieren sich an den Zwölf Schritten,aber diese Schritte stellen keinsystematisches Behandlungsprogramm dar –die Gründer entschieden sich für die Zahlzwölf in Anlehnung an die zwölf Apostel desNeuen Testaments. Ein Wissenschaftlerwürde diese Zwölf Schritte einen nach demanderen überprüfen wollen, um zu sehen,welcher am wirkungsvollsten ist (wennüberhaupt).

Die Mitglieder der Anonymen Alkoholikervergleichen den Alkoholismus gern mit

anderen Krankheiten wie Diabetes,Bluthochdruck, Depression oder Alzheimer,aber diese Vergleiche hinken.124 DerAlkoholismus weist zwar auch physiologischeAspekte auf – einige Menschen scheinen ehereine Prädisposition dafür zu besitzen alsandere –, aber die Teilnahme an denSitzungen der Anonymen Alkoholiker ist nichtmit einem Arztbesuch vergleichbar.Diabetiker setzen sich nicht zusammen undbehandeln ihre Krankheit, indem sie einanderaufmuntern, und depressive Menschen habenwenig davon, wenn sie sich mit anderendepressiven Menschen austauschen. Diewenigsten Krankheiten haben ihre Ursache infreiwilligen, regelmäßigen undselbstzerstörerischen Handlungen derErkrankten, und niemand kann eineEntscheidung treffen, nicht anHerzklappenfehlern oder Alzheimer zuerkranken. Der Alkoholismus istkomplizierter, und diese Kompliziertheit lässtWissenschaftler über die widersprüchlichenErgebnisse von Untersuchungen derAnonymen Alkoholiker rätseln. Einige sind derAuffassung, der Mangel an schlüssigen

Beweisen für Behandlungserfolge lasseZweifel am Programm der AnonymenAlkoholiker angebracht erscheinen, anderehalten dagegen, die Wissenschaftler seien nurnicht imstande, die verwirrenden Variablenherauszurechnen.

Die Fürsprecher der AnonymenAlkoholiker stellen fest, dass Menschen, dieregelmäßig an deren Treffen teilnehmen,weniger Alkohol zu sich nehmen alsdiejenigen, die seltener teilnehmen, dochKritiker fragen sich, was hier die Ursache istund was die Wirkung. Bedeutet häufigeTeilnahme, dass die Alkoholiker eher trockenbleiben, oder motiviert die Abstinenz eher zurTeilnahme? Vielleicht schämen sich dierückfälligen Trinker ja, an den Treffenteilzunehmen. Oder vielleicht waren sie vonvornherein weniger motiviert und hattengrößere psychische Probleme.

Trotz dieser Unwägbarkeiten habenWissenschaftler Hinweise gefunden, dass dasProgramm der Anonymen Alkoholikertatsächlich wirkt. Wenn zwei Ereignissezusammentreffen und Forscher herausfindenwollen, was Ursache ist und was Wirkung,

versuchen sie oft, beide über einen längerenZeitraum zu beobachten, um zu erkennen,was als erstes eintritt; dabei gehen sie vonder Annahme aus, dass die Ursache derWirkung zeitlich vorangeht. Eine Gruppe vonWissenschaftlern unter der Leitung von JohnMcKellar von der Stanford Universitybeobachtete mehr als zweitausend Männermit Alkoholproblemen über einen Zeitraumvon zwei Jahren und kam zu dem Schluss, dassdie Teilnahme an den Treffen der AnonymenAlkoholiker eine Verringerung derAlkoholprobleme zur Folge hatte (und nichtumgekehrt; es gab keinen Hinweis darauf,dass die Verschärfung oder Linderung derAlkoholprobleme sich auf die Teilnahmeauswirkte). Die positiven Auswirkungen desProgramms der Anonymen Alkoholikerbestätigten sich auch, wenn man dieursprüngliche Motivation und die psychischenProbleme der Männer einbezog. Auch andereWissenschaftler gelangten zu dem Schluss,dass die Anonymen Alkoholiker besser sind alsgar nichts. Die Rückfallquote ist zwar hoch –die meisten Teilnehmer erleben regelmäßigRückschläge –, doch sie kehren danach in der

Regel wieder zur Abstinenz zurück. Damitsind die Anonymen Alkoholiker mindestens soeffektiv wie professionelleBehandlungsprogramme.

Das Projekt MATCH125 , ein großangelegtes Forschungsprogramm aus denneunziger Jahren, stellte die Theorie auf, dassalle Behandlungen anschlugen, wenn auchnicht in allen Fällen gleich gut. Diese Theorieging davon aus, dass einige Alkoholiker beiden Anonymen Alkoholikern besseraufgehoben seien, während andere eher vonprofessioneller Therapie profitierten. Umdiese Annahme zu überprüfen, wurden einigeder Patienten zu den Anonymen Alkoholikerngeschickt und andere nahmen an zweiklinischen Programmen unter Leitung vonExperten teil (eines basierte auf derkognitiven Verhaltenstherapie, das zweite aufeiner Therapie zur Motivationssteigerung).Einige der Teilnehmer wurden nach demZufallsprinzip verteilt, andere wurden demProgramm zugewiesen, das nach Ansicht derTherapeuten in ihrem speziellen Fall ambesten geeignet war. Einige Jahre undMillionen Dollar später stellte sich heraus,

dass die drei Behandlungsmethoden ungefährgleich effektiv waren und dass es einenunwesentlichen Vorteil brachte, dieBehandlungsform an den Patientenauszurichten. (Das Projekt erwies nichteinmal, ob eine der Behandlungsmethodenbesser war als nichts, da es keineKontrollgruppe gab, weshalb nicht klarwurde, ob die Alkoholiker mit ihrem Problemgenauso gut oder schlecht allein fertigwurden.)

Unterm Strich sind die AnonymenAlkoholiker also mindestens genauso gut wiedie sehr viel teureren professionellenBehandlungsmethoden, wenn nicht besser.Obwohl Wissenschaftler noch immer nichtverstehen, wie die AA-Treffen genau wirken,lassen sich generell ein paar vertraute Dingebeobachten. Wir wissen, dass Selbstdisziplindamit anfängt, sich Maßstäbe und Zielevorzugeben. Die Anonymen Alkoholiker helfenden Teilnehmern, sich ein klares undrealistisches Ziel zu setzen: Trink heutekeinen Alkohol. (Ihr Mantra lautet »Ein Tagnach dem anderen«.) Selbstdisziplin hat auchmit Ergebniskontrolle zu tun, und auch hier

hilft die Gruppe. Die Mitglieder bekommenChips, wenn sie eine bestimmte Zahl vonTagen in Folge nüchtern bleiben, und wennsie sich zu Wort melden, dann sagen sie oft alserstes, wie lange sie schon keinen TropfenAlkohol angerührt haben. Die Mitgliederwählen außerdem einen »Sponsoren«, mitdem sie regelmäßig, oft täglich, in Kontaktstehen – auch das stellt eine starke Form derKontrolle dar.

Es gibt auch andere Erklärungen, warumTeilnehmer an den Treffen weniger trinken.Eine etwas ernüchternde Erklärung ist die»Verwahrung«: An den Abenden, an denenAlkoholiker an den Treffen teilnehmen – andenen sie sozusagen »verwahrt« werden –,werden sie allein dadurch vom Trinkenabgehalten. Es ist jedoch sehrunwahrscheinlich, dass sich der Effekt derAnonymen Alkoholiker allein auf dieseVerwahrung beschränken soll.

Eine andere, etwas erhebendereErklärung weist darauf hin, dass die Gruppensoziale Unterstützung bieten. Wie alleanderen Menschen sind auch Alkoholiker undDrogenabhängige zu erstaunlicher

Selbstdisziplin in der Lage, wenn sie dafürsoziale Anerkennung erhalten. Umgekehrt istdie Wurzel des Problems ja oft genau dieserWunsch nach Anerkennung. Die meistenMenschen finden den Geschmack von Alkoholoder Nikotin beim ersten Mal widerlich undhaben Angst, ihren Körper mit unbekanntenDrogen vollzupumpen. Aber Jugendliche sindoft bereit, alles – ihre eigenen Ängste, dieWarnungen der Eltern, den körperlichenSchmerz und die Möglichkeit, im Gefängnis zulanden oder sogar zu sterben – zu vergessen,weil sie glauben, gewisse Risiken eingehen zumüssen, um von der Gruppe anerkannt zuwerden, und dass sie dabei obendrein nochmöglichst cool bleiben müssen. Sie übenSelbstdisziplin aus, um ihre Hemmungen zuüberwinden und ihre negativen Gefühle zuunterdrücken. Als der junge Eric Clapton mitseinen Freunden ein Jazz-Festival auf demLand besuchte, trank er sich vorher in einemPub warm, bis er auf dem Tisch tanzte.Danach erinnerte er sich an nichts mehr, biser am nächsten Morgen im Nirgendwoaufwachte.

»Ich hatte kein Geld, hatte mich

vollgeschissen, vollgepisst und vollgekotzt undhatte keine Ahnung, wo ich war«, erinnert ersich. »Aber das Irre war, ich konnte es garnicht abwarten, es wieder zu tun. In meinenAugen hatte diese Trinkkultur etwasÜberirdisches, und wenn ich mich betrank,gehörte ich einem geheimnisvollen Club an.«

Das ist die negative Seite desGruppenzwangs.126 Die positive ist derWunsch nach Anerkennung und Unterstützungvon Menschen mit anderen Vorstellungen,zum Beispiel den Mitglieder der AnonymenAlkoholiker, die Clapton und Karr halfen,trocken zu bleiben. Die Menschen in diesenTreffen sind vermutlich wichtiger als dieZwölf Schritte oder der Glaube an einehöhere Macht. Vielleicht sind sie sogar diesehöhere Macht.

Die Macht der anderen

In einer neuen und ambitioniertenAlkoholismusstudie127 wurden Männer ausder amerikanischen Stadt Baltimore

untersucht, die sich wegenAlkoholmissbrauchs in Behandlung befanden.Viele waren von einem Gericht vor die Wahlgestellt worden, sich in professionelleBehandlung zu begeben oder eine Haftstrafeabzusitzen. Damit waren sie eigentlich keineideale Testgruppe, denn viele nahmenvermutlich nur der Form halber Teil, weil sienicht ins Gefängnis gehen wollten. DieWissenschaftler unter der Leitung von CarloDiClemente von der University of Marylandmaßen eine Reihe von psychologischenVariablen und begleiteten die Männer übermehrere Monate hinweg, um verschiedeneHypothesen zu überprüfen. Viele erwiesensich als falsch. Aber immerhin erkannten dieWissenschaftler einen Faktor, der einengroßen Einfluss auf die künftige Nüchternheitder Männer und die Schwere der Rückfällehatte. Die Alkoholiker wurden gefragt, ob sieandere Menschen um Beistand bei derBewältigung ihres Alkoholproblems gebetenhatten. Diejenigen Männer, die sozialeUnterstützung erhielten, blieben längertrocken und tranken insgesamt weniger.

Soziale Unterstützung ist eine sonderbare

Kraft, die in zwei Richtungen wirken kann.Viele Untersuchungen zeigen, dassEinsamkeit belastend wirkt. EinsameMenschen leiden häufiger unter allenmöglichen seelischen und körperlichenKrankheiten als Menschen mitfunktionierenden zwischenmenschlichenBeziehungen. Das liegt zwar einerseits daran,dass Menschen mit psychischen undphysischen Problemen wenigerFreundschaften schließen und auf andereMenschen abschreckend wirken können.Doch die Einsamkeit selbst schafft neueProbleme. Unter anderem trägt ein Mangelan Freunden zum Alkohol- undDrogenmissbrauch bei.

Trotzdem ist soziale Unterstützung nichtgleich soziale Unterstützung. Freunde mögengut für die seelische und körperlicheGesundheit sein. Aber wenn Ihre FreundeTrinker und Drogensüchtige sind, dann helfensie Ihnen vermutlich nicht, Ihre Impulse imZaum zu halten. Im Gegenteil könnten sie Siedirekt oder indirekt zum Trinken animieren,weil das zu ihrem Sozialverhalten gehört. Inden Vereinigten Staaten des 19. Jahrhunderts

gab es beispielsweise einen Brauch namens»Grillgesetz«128 : Wenn sich Männer zu einemGrillfest trafen, mussten sie trinken, bis sieordentlich einen in der Krone hatten. Wer einalkoholisches Getränk ablehnte, beleidigteden Gastgeber und die übrigen Gäste.

Neuere Untersuchungen ergeben, dasswir mehr trinken, wenn wir von unserenFreunden dazu angehalten werden. Wer mitAlkohol- und Drogenproblemen kämpft,braucht soziale Unterstützung, um nicht zutrinken, und an diesem Punkt können Gruppenwie die Anonymen Alkoholiker eineentscheidende Unterstützung bieten.Alkoholiker haben oft so viel Zeit mit anderenTrinkern verbracht, dass sie sich kaumvorstellen können, welchen Nutzen eineandere Form des Gruppenzwangs haben soll.Erst als Clapton in der Klinik war, suchte erdie Unterstützung anderer Menschen, um mitdem Trinken aufzuhören. Und als Karr dieersten Versuche unternahm, nichts mehr zutrinken, schleppte sie sich pflichtschuldigst zuden Treffen der Anonymen Alkoholiker in dasHinterzimmer einer Kirche, doch die buntzusammengewürfelte Gruppe und ihre ernsten

Bekenntnisse schreckten sie zunächst ab.Sie hielt Abstand, bis sie nach einem

besonders katastrophalen Absturz den Ratder Anonymen Alkoholiker beherzigte undsich ein Mitglied der Gruppe, eineAkademikerin aus Boston, als Sponsorin undpersönliche Beraterin wählte. Karr hattekeine Lust, sich ihr Gerede von einer höherenMacht anzuhören, doch die täglichenGespräche halfen ihr: »Mit ihrer Hilfe habeich zwei Monate lang keinen Tropfen Alkoholangerührt: Ich habe die Fäuste geballt und dieZähne zusammengebissen und eineAnstrengung unternommen, die außer denLeuten im Keller der Kirche, den ich an einpaar Abenden pro Woche besuche, niemandzu würdigen weiß.« Als sich die beiden Frauenin einem Café trafen, um Karrs zwei trockeneMonate zu feiern, beschwerte sich Karr überdie Versager und Spinner in ihrer Gruppe, und»den ganzen spirituellen Scheiß«. IhreSponsorin schlug ihr vor, die höhere Machtund die Gruppe in einem anderen Licht zusehen: »Es ist eine Gruppe von Leuten.Zusammen sind sie mehr als du, sie verdienenbesser als du, und sie haben mehr Gewicht als

du. Wenn man es einfach nimmt, sind sie einehöhere Macht als du. Sie haben vor allemmehr Erfahrung als du, wenn es darum geht,nüchtern zu bleiben. Wenn du ein Problemhast, erzähl der Gruppe davon.«

Die Macht der Gruppe kommt unteranderem aus dem passiven Akt desZusammensitzens und Zuhörens. Neulingenerscheinen die Treffen oft sinnlos, denn dieTeilnehmer erzählen oft einfach nurnacheinander ihre Geschichten, stattaufeinander einzugehen und Ratschläge zugeben. Aber wer seine Geschichte erzählt, istgezwungen, seine Gedanken zu organisieren,sein Verhalten zu beobachten und Ziele fürdie Zukunft zu erörtern. Ein persönliches Zielkann realer werden, wenn man es lautausspricht, vor allem wenn andere dabeizuhören. Eine Untersuchung von Patienten,die sich einer kognitiven Verhaltenstherapieunterzogen, ergab, dass Vorsätze ehereingehalten werden, wenn sie in Anwesenheitanderer Menschen, vor allem der Partner,ausgesprochen werden.129 Wenn Sie IhremTherapeuten versprechen, dass Sie wenigertrinken wollen, trägt das offenbar weniger zu

Ihrer Selbstdisziplin bei als ein Versprechengegenüber Ihrem Partner. Er oder sie riechtschließlich Ihren Atem.

Genauso sparen Sie eher Geld, wenn Sieanderen Ihr Ziel mitteilen.Wirtschaftswissenschaftler untersuchten eineGruppe von chilenischenStraßenverkäuferinnen,130 Näherinnen undanderen »Kleinunternehmerinnen«, dieMikrokredite von einer gemeinnützigenOrganisation erhalten hatten. Die Frauentrafen sich einmal pro Woche in Gruppen, wosie eine Ausbildung erhielten oder dieRückzahlung ihrer Kredite überwachten. DieÖkonomen Felipe Kast, Stephan Meier undDina Pomeranz verteilten dieTeilnehmerinnen nach dem Zufallsprinzip aufverschiedene Spargruppen. Die einenerhielten einfach ein kostenloses Sparkonto,die anderen bekamen ein Konto plus dieMöglichkeit, in den regelmäßigen Treffen ihreSparziele zu verkünden und ihren Fortschrittzu diskutieren. Nicht alle Angehörigen derzweiten Gruppe nutzten diese Möglichkeit,aber im Ganzen zahlten diese Frauen dreimalso oft auf ihr Konto ein und sparten 65

Prozent mehr Geld als die Teilnehmerinnen inder ersten Gruppe. In diesem Fall waroffenbar Schweigen Silber und Reden Gold.

Rauchen galt lange als persönlichekörperliche Sucht, die mit unwiderstehlichenImpulsen in Gehirn und Körper der Raucherzusammenhängt. Es war daher eineüberraschende Erkenntnis, als das NewEngland Journal of Medicine im Jahr 2008einen Artikel veröffentlichte, in demnachgewiesen wurde, dass sich dasNichtrauchen wie eine Epidemie durch sozialeNetzwerke ausbreitete. Der MedizinerNicholas Christakis und derSozialwissenschaftler James Fowler stelltenfest, dass Nichtrauchen ansteckend wirkt.Wenn in einer Ehe ein Partner mit demRauchen aufhörte, nahm dieWahrscheinlichkeit dramatisch zu, dass derandere folgte. Auch wenn ein Bruder, eineSchwester oder ein Freund mit dem Rauchenaufhörte, hatte dies positive Auswirkungen.Selbst das Verhalten von Arbeitskollegenzeigte noch einen nachweisbaren Einfluss,solange das Unternehmen klein genugwar.131

Besonders interessierten sich dieRaucherforscher für Orte, an denen nur einigewenige Menschen rauchten, denn man musstedavon ausgehen, dass diese Menschenbesonders süchtig sein mussten. Man hörtimmer wieder, dass Leute, denen esleichtfällt, mit dem Rauchen aufzuhören, diesschon längst getan haben, weshalb nur nochein harter Kern von unheilbar Süchtigen übrigist. Aber neue Erkenntnisse haben dieseThese widerlegt. Es gibt zwar Raucher, dieauch allein weiterrauchen, doch Raucher, dievor allem von Nichtrauchern umgeben sind,hören mit größerer Wahrscheinlichkeit auf.Dies ist ein weiterer Hinweis auf die positiveRolle, die der gesellschaftliche Einfluss unddie soziale Unterstützung spielen können.Untersuchungen zum Übergewicht und zurkrankhaften Fettleibigkeit haben ähnlicheMuster des sozialen Einflusses festgestellt,auf die wir später noch eingehen.132

Heilige Selbstbeherrschung

Wenn Sie einer religiösen Gemeinschaftangehören und Gott um ein längeres Lebenbitten, dann wird Ihre Bitte mit großerWahrscheinlichkeit erhört. Dabei scheint eskeine Rolle zu spielen, zu welchem Gott Siebeten. Nach Erkenntnissen des PsychologenMichael McCullough (der sich selbst nicht alsreligiös bezeichnet) scheint jede Form derreligiösen Aktivität die Lebenserwartung133zu steigern. McCullough analysierte mehr alsdrei Dutzend Untersuchungen, in denenTestpersonen nach ihrer Frömmigkeit befragtund dann über einen langen Zeitraum hinwegbeobachtet wurden. Dabei stellte sich heraus,dass nichtreligiöse Menschen eher starbenund dass religiös aktive Menschen zu jedembeliebigen Zeitpunkt eine um 25 Prozenthöhere Überlebensquote aufwiesen. DieZahlen sprechen Bände und wurden seit ihrerVeröffentlichung im Jahr 2000 von anderenWissenschaftlern bestätigt. Viele dieserlanglebigen Menschen sind vermutlichüberzeugt, dass Gott ihre Gebete erhört.Aber Sozialwissenschaftler finden diegöttliche Intervention als Erklärung nichtsonderlich überzeugend, und sei es nur, weil

sie sich im Labor nicht nachweisen lässt. Siefanden diesseitigere Gründe.

Religiöse Menschen entwickeln mitgeringerer Wahrscheinlichkeit ungesundeAngewohnheiten, sie trinken weniger Alkohol,pflegen ein weniger riskantesSexualverhalten, nehmen weniger Drogen undrauchen seltener. Dafür schnallen sie sichhäufiger an, gehen regelmäßig zum Zahnarztund nehmen vitaminreiche Ernährung zu sich.Sie besitzen ein besseres Netzwerk vonsozialen Unterstützern, und ihr Glaube hilftihnen, eher mit Schicksalsschlägen fertig zuwerden. Außerdem verfügen sie über größereSelbstdisziplin134 , wie McCullough und seineKollege Brian Willoughby von der Universityof Miami unlängst bei der Auswertung vonHunderten Untersuchungen aus achtJahrzehnten feststellten. Einige der positivenAuswirkungen der Religion stellten keineÜberraschung dar: Religion fördertFamiliensinn und gesellschaftliche Harmonie,unter anderem weil diese Werte mit GottesWillen und anderen religiösen Vorstellungenin Zusammenhang gebracht werden.Außerdem verringert die Religion die inneren

Konflikte zwischen widersprüchlichen Wertenund Zielen. Wie wir in einem früheren Kapitelgesehen haben, verhindern gegensätzlicheZiele die Selbstregulation, während dieReligion Klarheit zu schaffen und denGläubigen eindeutigere Prioritäten zu gebenscheint.

Entscheidender ist jedoch, dass dieReligion zwei wichtige Mechanismen derSelbstbeherrschung beeinflusst: Sie stärktden Willen und verbessert dieSelbstüberwachung. Schon in den zwanzigerJahren stellten Wissenschaftler fest, dassKinder, die regelmäßig die Sonntagsschulebesuchten, in Laborversuchen mehrSelbstdisziplin aufwiesen. Fromme Kindergalten bei Eltern und Lehrern als wenigerimpulsiv. Wir kennen keine Untersuchungen,die die Auswirkungen des regelmäßigenGebets und anderer religiöser Praktiken aufdie Selbstdisziplin behandelt haben, doch wirkönnen annehmen, dass diese Rituale denWillen genauso stärken wie andere der hiervorgestellten Übungen, zum Beispiel dasAufrechtsitzen.

Meditation135 erfordert oft eine explizite

und bewusste Kontrolle der Aufmerksamkeit.Anfänger der Zen-Meditation beobachten zumBeispiel ihren Atem. Sie zählen zehnAtemzüge und beginnen wieder von vorn.Dabei schweifen ihre Gedanken natürlich ab,und sie zurückzuholen und sich wieder auf denAtem zu konzentrieren, fördert die geistigeDisziplin. Genau wie das Beten desRosenkranzes, das Singen hebräischerPsalmen und das Wiederholen hinduistischerMantras. Wenn NeurowissenschaftlerMenschen bei der Meditation beobachten,erkennen sie starke Aktivitäten in zweiHirnregionen, die bei der Selbstregulationund der Kontrolle der Aufmerksamkeit eineentscheidende Rolle spielen. Psychologenbeobachten eine Veränderung, wenn sie dasUnbewusste von Testpersonen religiösenBegriffen aussetzen, wenn diese Begriffe alsoso schnell auf einem Bildschirm aufblitzen,dass sie diese nicht bewusst wahrnehmenkönnen. Versuchsteilnehmer, die auf dieseWeise Begriffen wie »Gott« oder »Bibel«ausgesetzt werden136 , reagieren langsamerauf Wörter, die mit Versuchungenzusammenhängen, zum Beispiel »Drogen«

oder »vorehelicher Geschlechtsverkehr«.McCullough schließt daraus: »Es scheint, alswürde Religion diese Versuchungendämpfen.« Daher schlägt er Gebet undMeditation als Training137 zur Selbstdisziplinvor.

Gläubige stärken ihre Willenskraft, indemsie sich zwingen, ihren Tagesablauf mehrmalszu unterbrechen und zu beten. EinigeReligionen wie der Islam verlangen zu festenTageszeiten Gebete. Andere sehenregelmäßiges Fasten vor, etwa an Jom Kippur,während des Ramadan oder während dervierzigtägigen Fastenzeit. Sie schreibenbestimmte Ernährung vor, zum Beispielkoscheres oder vegetarisches Essen. Beieinigen Gottesdiensten oder Meditationenmüssen die Teilnehmer unbequeme Haltungeneinnehmen (knien oder Lotussitz), dieDisziplin erfordern.

Religion verbessert außerdem dieKontrolle des eigenen Verhaltens, einweiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zurSelbstbeherrschung. Religiöse Menschenhaben oft das Gefühl, dass sie von jemandembeobachtet werden. Dieser Jemand ist oft

Gott, ein übermenschliches Wesen, das jedeTat sieht, die geheimsten Gedanken kennt undsich nicht hinters Licht führen lässt, wenn wiranscheinend Gutes aus den falschen Gründentun. In einer bemerkenswerten Untersuchungvon Mark Baldwin und seinen Kollegen lasenStudentinnen auf einem Computerbildschirmsexuell eindeutige Beschreibungen. Einigenwurde dabei unbewusst ein Foto desPapstes138 gezeigt. Als sie danach Fragenbeantworten sollten, bewerteten sich diekatholischen Studentinnen negativer,vermutlich weil ihr Unbewusstes das Bild desPapstes gesehen hatte und sie sich dafürkritisierten, den Text gelesen und vielleichtsogar genossen zu haben.

Aber unabhängig davon, ob die Gläubigenan einen allwissenden Gott glauben odernicht, sind sich die meisten sehr bewusst, dasssie von menschlichen Augen beobachtetwerden: den anderen Mitgliedern ihrerreligiösen Gemeinschaft. Wenn sie regelmäßigden Gottesdienst besuchen, empfinden sieeinen Zwang, ihr Verhalten den Regeln undNormen der Gruppe anzupassen. Da sie selbstaußerhalb der eigentlichen Gottesdienste viel

Zeit mit anderen Mitgliedern ihrerGemeinschaft verbringen, haben sie dasGefühl, dass mögliches Fehlverhaltenmissbilligend zur Kenntnis genommen wird.Religionen fördern außerdem Rituale derSelbstbeobachtung, etwa die katholischeBeichte oder das jüdische Fest Jom Kippur,bei denen die Gläubigen über ihremoralischen Fehltritte und Schwächenreflektieren.

Natürlich ist ein gewisses Maß anSelbstdisziplin erforderlich, um eine religiösePraxis zu übernehmen, an Gottesdienstenteilzunehmen, Gebete zu lernen und Regeln zubefolgen. Wenn religiöse Menschen mehrSelbstdisziplin aufweisen, dann auch deshalb,weil die Gemeinden keine repräsentativeAuswahl von Menschen darstellen und ihreAngehörigen von vornherein mehrSelbstdisziplin mitbringen als derDurchschnitt. Aber selbst wenn man diesenFaktor herausrechnet, lässt sich feststellen,dass Religion die Selbstdisziplin verbessert.Zu diesem Schluss kommen nicht nurWissenschaftler, sondern auch die vielenMenschen, die sich einer Religion

anschließen, weil sie ihr Leben besser in denGriff bekommen wollen. Andere Menschenentdecken in schwierigen Zeiten den Glaubenihrer Kindheit wieder, den siezwischenzeitlich abgelegt hatten. Diesereligiösen Wiedererweckungen hängen oft mitder reuigen Erkenntnis zusammen, wenn sierichtig gelebt hätten, dann stünden sie nichtvor ihren heutigen Alkohol-, Drogen- oderSchuldenproblemen, doch hinter dieser Reueverbirgt sich häufig die Erkenntnis, dass dieDisziplin der Religion ihnen hilft, wieder aufden richtigen Weg zu kommen.

Die Agnostikerin Mary Karr ergab sich sovollständig, dass sie sich taufen ließ und anden Exerzitien des Ignatius teilnahm, einerReihe von strengen, zeitaufwändigen Gebetenund Meditationen. Nicht jeder kann und willdiesen Weg gehen. Wenn Sie sich zumKatholizismus oder einer anderen Religionbekennen, nur um sich besser zubeherrschen, haben Sie vermutlich ohneechten Glauben wenig davon. Psychologenstellten fest, dass Menschen, die ausäußerlichen Gründen Gottesdienste besuchen,etwa weil sie andere beeindrucken oder

soziale Beziehungen knüpfen wollen, nichtdasselbe hohe Maß an Selbstdisziplinaufweisen wie echte Gläubige. McCulloughgelangte zu dem Schluss, dass dieSelbstdisziplin der Gläubigen weniger voneiner Furcht vor dem Zorn Gottes herrührtals von einem Wertesystem, das sieübernommen haben und das ihrenpersönlichen Zielen eine Aura der Heiligkeitverleiht.

Agnostikern rät er, ihre eigenen heiligenWerte zu formulieren. Das könnte einBekenntnis sein, anderen zu helfen, wie HenryMorton Stanley seine »heilige Aufgabe« darinfand, den Sklavenhandel in Afrika zubeseitigen. Es könnte ein Bekenntnis zurFürsorge für andere Menschen, zurVerbreitung humanistischer Werte oder zumErhalt der Umwelt für kommendeGenerationen sein. Vermutlich ist es keinZufall, dass die Umweltbewegung in denIndustrienationen besonders stark ist, wo dietraditionellen Religionen im Rückzug begriffensind. An die Stelle des Glaubens an Gott tritteine Verehrung der Schönheit undTranszendenz der Natur. Die Forderung der

Umweltschützer, Konsum undUmweltverschmutzung einzuschränken,vermittelt Kindern ähnliche Lektionen derSelbstdisziplin wie Katechismen undPredigten. Die Bewegung der Grünen scheintinstinktiv eine Form der Selbstdisziplin durcheine andere zu ersetzen und eigene Regelnaufzustellen: An die Stelle der koscherenSpeisen treten solche aus biologischemAnbau, an die Stelle der Erlösung tritt dieNachhaltigkeit.

Es ist kein Zufall, dass Menschen, die dieBibel beiseitegelegt haben, nun Bücher mitneuen Lebensregeln kaufen. Sie ersetzen dieZehn Gebote durch die Zwölf Schritte, denAchtfachen Pfad oder die Sieben Wege. Selbstwenn sie nicht mehr an den Gott der Bibelglauben, gefällt ihnen die Vorstellung von inStein gemeißelten Geboten. Aber auch wennSie diese göttlichen Regeln und Dogmenkaltlassen oder nervös machen, sollten Sie sienicht als leeren Aberglauben abtun. DieseRegeln lassen sich auch ganz anders sehen,und diese Sicht lässt sich so gut im Jargon derStatistiken, Spieltheorien undWirtschaftswissenschaften darstellen, dass

selbst die diesseitigen Wissenschaftler ihreFreude daran haben.

Klare Linie

Als Eric Clapton an jenem Sommerabend amPub vorbeifuhr und der Versuchung nichtwiderstehen konnte, wurde er ein Opfer dersogenannten »hyperbelförmigenAbwertung«139 . Dieses Phänomen lässt sicham besten mit Grafiken und Hyperbelkurvenerklären, aber wir werden es mit einem Bildund einer alten Allegorie versuchen.

Wir können uns Eric Clapton an diesemSamstagabend als reuigen Sünder denken, dersich auf dem Weg zur Erlösung befindet,genau wie Christian, der Held von Pilgrim’sProgress, einer Allegorie aus dem 17.Jahrhundert.1* Stellen wir uns vor, dass Ericwie Christian zur Himmlischen Stadtunterwegs ist. Während er durch dieLandschaft fährt, sieht er in der Ferne ihregoldenen Türme und fährt auf sie zu. Andiesem Abend sieht er vor sich den Pub, der

so unglücklich hinter einer Kurve liegt, dasser direkt unter der Stadt zu stehen scheint.Aus der Ferne wirkt er wie ein kleines Haus,und Eric hält den Blick fest auf die Türme derHimmlischen Stadt gerichtet. Als er jedochnäher kommt, wird der Pub immer größer, biser schließlich den Blick auf die Stadt in derFerne versperrt. Die goldenen Türme sindnicht mehr zu sehen. Die Himmlische Stadtscheint plötzlich viel unbedeutender als dieseskleine Haus. Und so endet die Pilgerreisedamit, dass Eric bewusstlos auf dem Bodender Kneipe liegt.

Das ist das Ergebnis die sogenannte»hyperbelförmigen Abwertung«: Wirignorieren die Versuchung, solange sie nichtverfügbar ist, aber sobald wir sie direkt vorder Nase haben, vergessen wir alle Fernziele.Der Psychiater und Verhaltensökonom GeorgeAinslie beschrieb dieses Phänomen mit einermathematischen Gleichung, die er ausgeschickten Variationen des Experiments mitkurz- und langfristigen Belohnungen ableitete.Nehmen wir an, Sie gewinnen in der Lotterieund haben die Wahl, 100 Euro in sechs Jahrenoder 200 Euro in neun Jahren zu bekommen –

wofür entscheiden Sie sich? Die meistenMenschen wählen die zweite Option. Aberwas, wenn Sie die Wahl zwischen 100 Euroheute und 200 Euro in drei Jahren haben?Wer rational rechnet und dieselbe Logikanlegt, würde sich wieder für die zweiteVariante entscheiden, aber in diesem Fallentscheiden sich die meisten Menschen für dieschnellen 100 Euro. Unser Urteil wird durchdie Aussicht auf eine sofortige Belohnungderart verzerrt, dass wir dem künftigenGewinn einen geringeren Wert beimessen.Wenn die kurzfristige Versuchung näherrückt, explodiert unsere Neigung regelrecht,die Zukunft zu vergessen. Wenn Sie dieZukunft abwerten (wie die Heroinsüchtigen,die nicht über die nächste Stundehinausdenken konnten), machen Sie sich keineGedanken mehr über den Kater, den Siemorgen haben, und vergessen Ihren Schwur,für den Rest Ihres Lebens keinen TropfenAlkohol mehr anzurühren. Diese künftigenGewinne scheinen unbedeutend im Vergleichzu dem Spaß, den Sie jetzt im Pub habenkönnen. Was ist denn schon dabei, wenn Sieanhalten und ein kleines Getränk zu sich zu

nehmen?Für die meisten Menschen wäre in der Tat

nichts Schlimmes dabei, ein Bier zu trinken,genau wie es Menschen gibt (wenngleich nichtviele), die hin und wieder auf einer Party einKippchen rauchen und dann monatelang keineZigarette mehr anrühren. Aber wenn Sie IhrTrink- und Rauchverhalten nicht im Griffhaben, dann können Sie ein Glas Bier und eineZigarette nicht für sich allein betrachten.Dann können Sie auf der Hochzeit Ihresbesten Freundes nicht mit einem Glas Sektanstoßen, sondern müssen erkennen, dassdieser eine Fehltritt der erste Schritt zueinem neuen langfristigen Muster ist. Fürunseren Pilger Eric bedeutet das: Wenn er aufein Bierchen an einer Dorfkneipe anhält, danntrinkt er eins nach dem anderen und kommtnie in der Himmlischen Stadt an. Ehe er alsodem Pub zu nahe kommt und dieser seinUrteil verzerrt, muss er sich wappnen.

Die einfachste Methode besteht darin,allen Kneipen einfach aus dem Weg zu gehen.Wenn er sich einer nähert, könnte erbeispielsweise abbiegen und einen Umwegfahren. Aber kann er das wirklich

durchhalten? Nehmen wir an, er nimmt einenUmweg um den Pub und erinnert sich, dass erein Stück weiter in der nächsten Ortschaft aneiner Kneipe vorbeikommt, die sich nichtumgehen lässt, weil sie direkt neben dereinzigen Brücke über einen Fluss steht. Erfürchtet, der Versuchung nachzugeben, wenner am nächsten Tag an dieser Kneipevorbeikommt. Aus Angst, dass sein Traum voneiner nüchternen Fahrt zur HimmlischenStadt dort enden könnte, macht Eric derPilger einen Handel mit sich selbst: »Wenn ichmich morgen sowieso betrinke, dann ist esdoch egal, wenn ich jetzt auf ein Bierhaltmache. Carpe diem!« Um dem Bier heutewiderstehen zu können, muss er das Zutrauenhaben, dass er ihm auch morgen widersteht.

Daher benötigt er klare undunmissverständliche Regeln. Diese Regelnmüssen so klar sein, dass Sie es sofortmerken, wenn Sie gegen sie verstoßen. DasVersprechen, »in Maßen« zu trinken oder zurauchen, ist keine solche klare Regel, denn esgibt keinen eindeutigen Punkt, an dem dieMäßigung endet und der Exzess beginnt. Dader Übergang fließend und Ihr Kopf bestens

darin geübt ist, Ihre Verfehlungen zuübersehen, bemerken Sie es nicht, wenn Siezu weit gehen. Daher können Sie sich nichtdarauf verlassen, dass Sie sich immer an dieRegel halten und maßvoll trinken. NullToleranz ist dagegen eine klare Regel: keinTropfen Alkohol und keine Ausnahme. DieseRegel eignet sich nicht zur Lösung allerProbleme mit der Selbstdisziplin, aber invielen Fällen funktioniert sie sehr gut. WennSie sich auf die eindeutige Regel festlegen,können Sie sich heute sicher sein, dass Siesich auch morgen daran halten. Und wenn Sieüberzeugt sind, dass es sich um eine heiligeRegel handelt, dann ist es eine besondersklare Regel. Sie haben mehr Grund zu derAnnahme, dass Sie sich auch in Zukunft daranhalten werden, weshalb sich IhreÜberzeugung in eine Form der Selbstdisziplinverwandelt: ein sich selbst erfüllendes Gebot.Ich weiß, dass ich es morgen nicht tun werde,also tue ich es heute auch nicht.

Eric Clapton hatte diesen Moment derKlarheit in der Entzugsklinik und er danktediesem Moment einmal mehr, als er kurz nachdem Tod seines Sohnes an einem Treffen der

Anonymen Alkoholiker teilnahm. Er sprachüber den dritten der zwölf Schritte – »Wirfassen den Entschluss, unseren Willen undunsere Sorge einer höheren Machtanzuvertrauen« – und berichtete, wie seinZwang zu trinken in dem Momentverschwand, in dem er sich auf den Bodenkniete und Gott um Beistand bat. Von diesemMoment an hatte er keinen Zweifel, dass ertrocken bleiben würde – auch an dem Tag, andem sein Sohn starb.

Nach dem Treffen kam eine Frau auf ihnzu. »Sie haben mir gerade meine letzteEntschuldigung genommen, Alkohol zutrinken«, sagte sie. »Ich hatte immer noch imHinterkopf diese Entschuldigung, wenn einemmeiner Kinder etwas passiert, dann habe ichdas Recht, mich zu betrinken. Sie haben mirgezeigt, dass das falsch ist.« In diesemMoment wusste Clapton, dass er eine guteMöglichkeit gefunden hatte, den Tod seinesSohnes zu ehren. Wie auch immer man dasGeschenk nennen will, das er dieser Fraumachte – soziale Unterstützung,Gottvertrauen, Glaube an eine höhere Macht,klare Regel –, es gab ihr den Willen, sich

selbst zu helfen.

KAPITEL 9

WIE SIE IHR KIND STARKMACHEN

Du bist ein Superstar,egal wer du bistoder wo du herkommst –so bist du zur Welt gekommen!

Lady Gaga auf einem Konzert Flegel werden nicht geboren.Sie werden erzogen.

Deborah Carroll140 alias Nanny Deb

Dank der Wunder des Reality-TV verfügenEltern der amerikanischen Mittelschichtheute über ein Privileg, das einst nur denReichen vorbehalten war: Sie können sich einbritisches Kindermädchen leisten. Zwarunterscheiden sich die Geschichten im Detail,doch das Muster bleibt dasselbe, egal ob dieSerie Nanny 911 oder Die Super Nannyheißt. Sie beginnt in einer Familie, derenKinder verrückt spielen – sie weinen,schreien, spucken, ziehen einander an denHaaren, werfen mit Tassen, beschmieren dieBettbezüge, zerstören Spielsachen, schlagenihre Eltern und würgen ihre Geschwister. Ineinem Vorort von St. Louis gehen die Kinderzu Beginn einer Folge von Nanny 911buchstäblich die Wände hoch. In diesemMoment tritt das britische Kindermädchen inviktorianischem Kostüm – schwarzer Rock,schwarze Nadelstreifenweste, schwarzeStrumpfhose, weinroter Hut und einpassendes Cape mit goldenen Knöpfen undKette – auf den Plan und ruft: »Eltern vonAmerika, die Rettung ist nah!«

Wie konnte es nur so weitkommen?

Man könnte meinen, diese Sendungenübertrieben die Ungezogenheiten der Kinder.Doch die Produzenten erklären, weil dieSendung zur besten Sendezeit ausgestrahltwerde, dürften sie die schlimmsten Szenengar nicht zeigen, etwa wenn ein Vierjährigeran der Frau hochblickt, die ihn zur Weltgebracht hat, und schreit: »Verpiss dich,Mama!« Was ist da schiefgegangen? DieVersuchung ist groß, mit den Fingern auf dieEltern zu zeigen. Aber man kann es denEltern nicht verübeln, dass sie Hilfe suchen.Sie können diese Flegel nicht alleinhervorgebracht haben. Sie hatten eine MengeUnterstützung von prominenten Erziehern,Journalisten und vor allem Psychologen.

Die Theorie des Selbstbewusstseins warein gut gemeinter Versuch, die Erkenntnisseder Psychologie zum Wohl der Gesellschaft zunutzen, und zunächst schien sie auch sehrvielversprechend. Zu Beginn seiner Laufbahnsprang auch Baumeister auf den Zug des

Selbstbewusstseins auf. Er war beeindrucktvon Untersuchungen, die zu belegen schienen,dass selbstbewusste Kinder gute Noten nachHause brachten, während wenigerselbstbewusste in der Schule zu kämpfenhatten. Andere Studien zeigten, dassalleinerziehende Mütter, Drogensüchtige undKriminelle unter mangelndemSelbstbewusstsein litten. Der Zusammenhangwar zwar nicht groß, aber immerhinstatistisch signifikant. Ergebnisse wie diesebeflügelten eine Bewegung unter der Führungvon Psychotherapeuten wie NathanielBranden. »Es gibt kein psychisches Problem –ob Angst, Depression, Beziehungsangst,häusliche Gewalt oder Kindesmissbrauch –,das nicht auf mangelndes Selbstbewusstseinzurückzuführen ist«, schrieb Branden.141Andrew Mecca, Drogentherapeut undspäterer Vorsitzender von KaliforniensSelbstbewusstseins-Task-Force, erklärte,dass »fast jedes gesellschaftliche Problem aufeinen Mangel an Eigenliebe zurückzuführenist«. Aus dieser Begeisterung entstand eineneue Erziehungsphilosophie, die vonPsychologen, Lehrern und Journalisten

euphorisch propagiert wurde. Die Grundideelässt sich im Hit »The Greatest Love of All«von Whitney Houston aus den achtzigerJahren zusammenfassen: Meine größte Liebebin ich selbst. Der Schlüssel zum Erfolg wardas Selbstbewusstsein. Wenn Kinder Erfolghaben sollen, müssen sie »ihre innereSchönheit« erleben.

Millionen Eltern und Lehrer konnten derIdee nicht widerstehen und versuchten dieschulischen Leistungen ihrer Kinder zuverbessern, indem sie ihnen vorbeteten, sieseien intelligent. Die Eltern lobtengrundsätzlich alles. Im Schulsport bekamenplötzlich alle einen Preis, nicht nur die Sieger.Die Girl Scouts legten sich den Slogan »Ichbin einmalig« zu. In den Schulen machtenKinder Collagen mit den Eigenschaften, die sieam liebsten an sich mochten, und diskutierten,was ihnen aneinander gefiel. »Gesellschaft fürgegenseitigen Applaus« war einmal ein Witz,aber für die jungen Erwachsenen von heuteist es die gesellschaftliche Norm. Lady Gagagriff die Botschaft von Whitney Houston aufund versicherte ihren Fans in einem Konzert:»Du bist ein Superstar, egal wer du bist oder

wo du herkommst – so bist du zur Weltgekommen!« Die Fans jubelten, Lady Gaganahm einen Scheinwerfer und richtete ihn aufdas Publikum. »Wenn ihr heute Abend nachHause kommt, dann sollt ihr nicht mich mehrlieben, sondern euch selbst!«

Diese Übungen zur Selbstbestätigung sindnatürlich angenehm, und angeblich bewirkensie langfristig sogar mehr als konventionellerSchulunterricht. Als der BundesstaatKalifornien Wissenschaftler aufforderte, dieBedeutung des Selbstbewusstseins zuüberprüfen, erschienen die Ergebnissevielversprechend. Der renommierte SoziologeNeil Smelser142 , der den Bericht herausgab,erklärte gleich auf der ersten Seite, »viele,vielleicht die meisten der Probleme unsererheutigen Gesellschaft haben ihren Ursprungim mangelnden Selbstbewusstsein«.

Ein paar Seiten später räumte er jedochein, die wissenschaftliche Beweislage sei nochimmer »enttäuschend« – doch diesesZugeständnis hörte die Presse schon nichtmehr. Außerdem erklärte Smelser, ererwarte mehr Erkenntnisse, wenn mehr zumSelbstbewusstsein geforscht werde. Für diese

Studien wurden reichlich Mittel zur Verfügunggestellt, und kurz darauf gab eine weitereEinrichtung einen Bericht in Auftrag. Diesmalhandelte es sich nicht um eine politische,sondern um eine professionelle Einrichtung,die Association for Psychological Science. DieErgebnisse werden allerdings weder WhitneyHouston noch Lady Gaga zu neuen Hitsinspirieren.

Vom Selbstbewusstsein zumNarzissmus

Das Gremium, das von der Association forPsychological Science einberufen wurde unddem auch Baumeister angehörte, werteteTausende Veröffentlichungen derSelbstbewusstseinsforschung143 aus und fandeinige Hundert, die den Kriterien derWissenschaftlichkeit genügten. EineUntersuchung begleitete Schüler einige Jahrelang und stellte tatsächlich einenZusammenhang zwischen Selbstbewusstseinund schulischen Leistungen fest. Tatsächlich

brachten Schüler mit größeremSelbstbewusstsein bessere Noten nachHause. Aber was war das Huhn und was dasEi? Bekamen die Kinder gute Noten, weil sieselbstbewusst waren, oder waren sieselbstbewusst, weil sie gute Noten bekamen?Es stellte sich heraus, dass sich aus den Notenin der 10. Klasse das Selbstbewusstsein in der12. Klasse vorhersagen ließ, aber dasSelbstbewusstsein in der 10. Klasse stand inkeinem Zusammenhang mit den Noten in der12. Klasse. Das heißt, dass zuerst die Notenkamen und dann das Selbstbewusstsein.

In einer anderen wissenschaftlichsauberen Untersuchung versuchte DonaldForsyth von der Virginia CommonwealthUniversity das Selbstbewusstsein derTeilnehmer seines Psychologiekursesaufzupolieren.144 Einigen der Studenten, diein der Zwischenprüfung mit »befriedigend«oder schlechter bewertet worden waren,schickte er wöchentlich ihr Selbstbewusstseinaufbauende Nachrichten, anderen mitdenselben Noten schickte er neutraleNachrichten. Die wöchentlichenMotivationsübungen wirkten sich zwar positiv

auf das Selbstbewusstsein der Studenten aus,aber nicht auf ihre Noten – im Gegenteil. Inder Abschlussprüfung schnitten sie nicht nurschlechter ab als die Kontrollgruppe, sondernsie verschlechterten sich sogar nochgegenüber ihrer Zwischenprüfung. DieDurchschnittsnote dieser Gruppe fiel von 59auf 39 Prozent – also von ausreichend aufungenügend.

Andere Studien aus dem ganzen Landgelangten zu ähnlichen Ergebnissen: DieKinder wurden selbstbewusster, doch ihreLeistungen nahmen ab. Sie brachtenschlechtere Noten nach Hause, aber fühltensich besser. In seinen eigenenUntersuchungen ging Baumeister der Fragenach, warum Menschen, die furchtbare Dingetun – zum Beispiel Auftragsmörder oderSerienvergewaltiger – oft ein erstaunlichesSelbstbewusstsein an den Tag legen.

Nach einer Auswertung derwissenschaftlichen Literatur kam dasGremium zu dem Schluss, dass von einerEpidemie von mangelndem Selbstbewusstseinkeine Rede sein konnte, zumindest nicht inden Vereinigten Staaten, Kanada und

Westeuropa. Die meisten Menschen sindrecht zufrieden mit sich selbst. Vor allemKinder sehen sich selbst ausgesprochenpositiv. Die wissenschaftlichen Erkenntnissepassen gut zu dem, was Baumeister selbst zuHause erlebt hat, wo sich Szenen wie diefolgende abspielten: TOCHTER (4 Jahre alt): »Ich weiß alles!«MUTTER: »Nein, mein Schatz, du weißt nicht alles.«TOCHTER: »Doch, ich weiß alles.«MUTTER: »Du weißt nicht, was die Wurzel von 36 ist.«TOCHTER: »Ich halte alle großen Zahlen geheim.«MUTTER: »Es ist keine große Zahl. Es ist 6.«TOCHTER: »Das habe ich gewusst.« Und das war die Tochter von Eltern, die esnicht darauf anlegten, ihr Selbstbewusstseinzu fördern.

Das Psychologengremium gelangteebenfalls zu dem Schluss, dass Menschen miteinem größeren Selbstbewusstsein nichtunbedingt effektiver oder umgänglicher sind.Sie halten sich zwar generell für beliebter,charmanter und sozial kompetenter alsandere, aber objektive Untersuchungenkonnten diesen Unterschied nicht feststellen.

Das Selbstbewusstsein steht in keinemZusammenhang mit Leistungen in der Schuleoder am Arbeitsplatz und trägt nicht dazu bei,Nikotin-, Alkohol- und Drogenmissbrauch odersexuelle Aktivitäten unter Jugendlichen zuverhindern. Es besteht zwar einZusammenhang zwischen mangelndemSelbstbewusstsein und Problemen wieDrogensucht undTeenagerschwangerschaften, aber dasbedeutet nicht, dass das mangelndeSelbstbewusstsein die Ursache dafür ist. ImGegenteil, wenn ein heroinsüchtiges Mädchenim Alter von 16 Jahren schwanger wird, ist sienaturgemäß nicht sonderlich zufrieden mitsich selbst.

Nach den Erkenntnissen des Gremiumsbesitzt ein gesundes Selbstbewusstsein nurzwei eindeutige Vorteile: Erstens steigert esdie Initiative, vermutlich weil esSelbstvertrauen verleiht. Menschen mitausgeprägtem Selbstbewusstsein sind eherbereit, für ihre Überzeugungen einzutretenund nach ihnen zu handeln, auf anderezuzugehen und neue Unternehmungen zuriskieren. (Dazu gehört allerdings auch eine

verstärkte Bereitschaft, Dummheiten zumachen, selbst wenn andere dringend davonabraten.) Und zweitens fühlt es sich einfachgut an. Selbstbewusstsein ist eine Art Kontovon positiven Emotionen, es vermittelt eingenerelles Wohlbefinden und bietet beiRückschlägen oder Depressionen zusätzlichenHalt. In einigen Berufen, zum Beispiel imVerkauf, kann dies durchaus nützlich sein,denn es hilft, mit den häufigenZurückweisungen umzugehen. Doch diese Artder Hartnäckigkeit hat ihre zwei Seiten. Siekann auch dazu führen, dass wir einenvernünftigen Rat in den Wind schlagen undstur Zeit und Geld mit hoffnungslosenProjekten vergeuden.

Oft ist es so, dass das Selbstbewusstseinnur der betroffenen Person nutzt – die Kostenhaben andere zu tragen, die mit denNebenwirkungen wie Arroganz und Eitelkeitfertigwerden müssen. Im schlimmsten Fallwächst sich Selbstbewusstsein zumNarzissmus aus, der unbeirrbarenÜberzeugung von der eigenen Überlegenheit.Narzissten halten sich selbst für unfehlbarund sind ihrem großartigen Selbstbild

verfallen. Sie spüren ein tiefes Verlangen, vonanderen bewundert zu werden (wobei esihnen weniger darauf ankommt, gemocht zuwerden – sie wollen den Applaus). Sieerwarten, dass für sie der Teppich ausgerolltwird, und reagieren kratzbürstig, wenn siekritisiert werden. Oft machen sie einen gutenersten Eindruck, doch der hält sich nicht. Alsder Psychologe Delroy Paulhus Angehörigeeiner Gruppe bat, einander zu bewerten,waren die Narzissten zunächst dieLieblinge.145 Doch nach einigen Monatenwaren sie ans Ende der Liste gerutscht.Gottes Geschenk an die Menschheit ist oftausgesprochen unausstehlich.

Psychologische Untersuchungen zeigen,dass der Narzissmus in den vergangenenJahrzehnten deutlich zugenommen hat, vorallem unter jungen Menschen.146 Professorenbeklagen immer häufiger, dass ihre Studentenmeinen, sie hätten gute Noten verdient, ohneetwas dafür tun zu müssen. Arbeitgeberberichten über Probleme mit jungenArbeitnehmern, die schnell befördert werdenwollen, ohne sich ihre Sporen zu verdienen.Der Trend zum Narzissmus zeigt sich auch in

Songtexten der letzten drei Jahrzehnte: EinForscherteam unter der Leitung von NathanDeWall zeigte beispielsweise, das die Wörter»ich« und »mir« in Hits immer häufigervorkommen. Andere Musiker nahmen sichWhitney Houstons Botschaft zu Herzen: ZumBeispiel Rivers Cuomo, dessen Band Weezer2008 einen Song mit dem Titel »The GreatestMan That Ever Lived« veröffentlichte – mitdem größten Mann aller Zeiten meinte sichnatürlich der Sänger selbst.

Diese zunehmende Verbreitung desNarzissmus ist eine direkte Folge derSelbstbewusstseinsbewegung. Diese Tendenzwird sich in absehbarer Zeit kaum umkehren,denn die Bewegung lebt weiter, obwohlinzwischen bewiesen ist, dass sie Kinderweder erfolgreicher noch ehrlicher noch zubesseren Bürgern macht. Wenn sie anHindernisse stoßen, verlieren Menschen mitausgeprägtem Selbstbewusstsein oft einfachdas Interesse, wie die Untersuchung inForsyths Psychologiekurs in Virginia zeigte.Wenn andere nicht erkennen, dass sie es miteinem außergewöhnlichen Menschen zu tunhaben, dann ist ihnen eben nicht zu helfen.

Vorbild Asien

Ein Gruppe bleibt vom Trend zum Narzissmusunter jungen Amerikanern verschont: dieAmerikaner asiatischer Herkunft. Das liegtvermutlich daran, dass die Eltern dieserKinder weniger von derSelbstbewusstseinsepidemie infiziert wurdenund von einer Kultur geprägt sind, in der dieDisziplin eine wichtige Rolle spielt. Einigeasiatische Kulturen messen derSelbstbeherrschung deutlich größereBedeutung bei als die Vereinigten Staaten undandere westliche Gesellschaften. ChinesischeEltern und Kindergärten legen großen Wertauf die Sauberkeit der Kinder und vermittelnschon früh verschiedene Formen derImpulskontrolle. Schätzungen zufolgeverfügen chinesischstämmige Kinder im Altervon zwei Jahren bereits über ein Maß anSelbstbeherrschung, wie es die übrigenamerikanischen Kinder erst mit drei oder vierJahren erreichen.

Ein klarer Unterschied zeigt sich, wennamerikanische und chinesischstämmigeKinder aufgefordert werden, ihre natürlichen

Impulse zu unterdrücken. In einem Test sehenKinder beispielsweise eine Reihe von Bildernund sollen »Tag« sagen, wenn sie den Mondsehen, und »Nacht«, wenn sie die Sonnesehen. In anderen Tests sollen Kinderflüstern, wenn sie erregt sind, oder eineabgewandelte Form von »Alle Vögel fliegenhoch« spielen, bei dem sie bestimmte Befehlebefolgen und andere ignorieren müssen. Beisämtlichen Tests schneiden vierjährigeChinesen deutlich besser ab als gleichaltrigeamerikanische Kinder. Diese überlegeneSelbstdisziplin der chinesischstämmigenKinder könnte bereits in den Genen angelegtsein – es gibt beispielsweise Hinweise, dassdie Genkombinationen, die mit dem Symptomder Aufmerksamkeitsstörungen einhergehen,bei chinesischen Kindern deutlich seltenervorkommen. Doch die kulturellen Traditionenin China und anderen asiatischen Ländernspielen zweifellos ebenfalls eine wichtigeRolle beim Erwerb der Selbstdisziplin undtragen dazu bei, dass asiatischstämmigeKinder in den Vereinigten Staaten wenigervom Narzissmus betroffen und spätererfolgreicher sind. Asiaten147 machen nur

rund 4 Prozent der Bevölkerung derVereinigten Staaten aus, doch sie stellen einViertel aller Studenten an Eliteuniversitätenwie Stanford, Columbia oder Cornell. Sieschließen ihr Studium mit größererWahrscheinlichkeit ab als die Angehörigenanderer ethnischer Gruppierungen undverdienen bis zu 25 Prozent mehr als derLandesdurchschnitt.

Aufgrund dieses Erfolgs ist das Vorurteilverbreitet, Asiaten seien intelligenter alsAmerikaner und Europäer, aber James Flynnhat eine andere Erklärung für diesesPhänomen gefunden. Nach einer sorgfältigenAuswertung von IQ-Messungen stellte er fest,dass sich chinesisch- und japanischstämmigeAmerikaner kaum von europäischstämmigenAmerikanern unterscheiden. Wenn überhaupt,dann weisen sie eher einen niedrigerenIntelligenzquotienten auf. Der eigentlicheUnterschied besteht darin, dass sie ihreIntelligenz besser nutzen. Ärzte,Wissenschaftler, Steuerberater und andereElitebranchen haben in der Regel einenMindest-IQ. Für europäischstämmigeAmerikaner liegt dieser bei 110, aber

chinesischstämmige Amerikaner bekommenbereits mit einem Intelligenzquotienten von103 Zugang zu diesen Berufen. Außerdemerhalten chinesischstämmige Amerikaneroberhalb dieser Schwelle eher eineAnstellung, was bedeutet, dass einAmerikaner chinesischer Herkunft mit einemIntelligenzquotienten von über 103 eher ineiner Elitebranche Fuß fasst als einAmerikaner europäischer Herkunft mit einemIntelligenzquotienten von über 110. Dasselbegilt für Amerikaner japanischer Herkunft.Dank ihrer Selbstdisziplin – Fleiß, Ausdauerund Verlässlichkeit – haben Kinder vonEinwanderern aus Ostasien genauso vielErfolg wie europäischstämmige Kinder mithöherem Intelligenzquotienten.

Der Aufschub von Befriedigung ist einbekanntes Thema in Einwandererfamilien wieder von Jae und Dae Kim, die in Südkorea zurWelt kamen und im amerikanischenBundesstaat North Carolina zwei Töchteraufzogen. Ihre Tochter Soo wurde Chirurgin,ihre Tochter Jane Anwältin. Zusammenverfassten die Schwestern ein Buch mit demTitel Top of the Class (zu Deutsch etwa »Die

Klassenbesten«), ein Erziehungsratgeber fürasiatischstämmige Eltern, die ihre Kinder zuHöchstleistung erziehen wollen.148 In diesemBuch beschreiben sie, wie ihre Eltern ihnenvor dem zweiten Geburtstag das Alphabetbeibrachten und dass ihre Mutter niemandenbelohnte, der im Supermarkt um Süßigkeitenbettelte. Ehe ihre Kinder an der Kassequengeln konnten, verkündete Mrs. Kim,wenn jede der beiden in der kommendenWoche ein Buch läse, dann würde sie ihneneinen Schokoriegel kaufen – nächste Woche.Als Soo studierte und ihre Eltern bat, ihreinen billigen Gebrauchtwagen zu kaufen,schlugen sie ihr die Bitte ab und boten ihrstattdessen an, ihr einen Neuwagen zuschenken, wenn sie die Aufnahmeprüfung zumMedizinstudium bestand. Die Elternverwöhnten ihre Töchter durchaus – aber nur,wenn diese etwas dafür taten.

Die vielen Erfolgsgeschichten vonasiatischstämmigen Amerikanern habenEntwicklungspsychologen gezwungen, ihreTheorien zur Kindererziehung zu überdenken.Früher geißelten sie einen »autoritärenErziehungsstil« und warnten Eltern, ohne

Rücksicht auf die Gefühle der Kinder strikteZiele vorzugeben und strenge Regelnaufzustellen. Stattdessen rieten sie Eltern zueinem »autoritativen« Stil, der zwar auchGrenzen setzte, aber den Kindern mehrFreiräume zugestand und ihre Wünscheberücksichtigte. Dieser wärmere,fürsorglichere Erziehungsstil sollte besserangepasste und selbstbewusstere Kinderhervorbringen, die in Schule und Gesellschaftbessere Leistungen brachten als Kinder ausautoritären Elternhäusern. Doch Ruth Chaound andere Psychologen stellten fest, dassviele asiatischstämmige Familien eher unterdie Rubrik »autoritär« fielen. DieseEinwanderer und oft auch ihre Kinder sahenihren Erziehungsstil nicht als Unterdrückung,sondern als eine Form der Verehrung. Vielechinesischstämmige Eltern folgten denkonfuzianischen Idealen des chiao shun149 ,was so viel bedeutet wie »ausbilden«, undguan, was sowohl »bestimmen« als auch»lieben« bedeutet. An amerikanischenMaßstäben gemessen mögen diese Eltern kaltund streng erscheinen, doch ihre Kinderbrachten gute Noten nach Hause und waren

im Leben erfolgreich.Die unterschiedlichen Vorstellungen

zeigten sich in einer Studie aus Los Angelesüber Mütter von Kleinkindern. Auf die Frage,was sie zum schulischen Erfolg ihrer Kinderbeitragen konnten, antworteten in Chinageborene Mütter oft, sie wollten ehrgeizigeZiele setzen, strenge Regeln aufstellen undihren Kindern zusätzliche Hausaufgabengeben.150 Die in den Vereinigten Staatengeborenen, europäischstämmigen Mütterwollten ihre Kinder dagegen auf keinen Fallunter Druck setzen. Sie wollten dieschulischen Leistungen nicht überbewerten,betonten stattdessen die soziale Entwicklungder Kinder und meinten, Lernen müsse Spaßmachen und solle nichts sein, für das dieKinder arbeiten müssten. Ihnen ging esdarum, das Selbstbewusstsein der Kinder zustärken – etwas, worauf die chinesischenMütter nicht den geringsten Wert legten.

Diese Auffassung vertritt auch AmyChua151 , eine ausgesprochen unterhaltsameVertreterin des »chinesischenErziehungsstils« und Autorin des Buches DieMutter des Erfolgs. Ihr Erziehungsstil – keine

Pyjamapartys, keine Spielnachmittage – magfür unseren Geschmack recht extrem sein,genau wie der dreistündige Geigenunterricht.Aber sie bringt die Schwächen derSelbstbewusstseinsbewegung auf den Punkt,wenn sie schreibt: »Als ich sah, wieamerikanische Eltern ihre Kinder mit Lobüberhäufen, weil sie einen Kringel malen odermit einem Stock in der Luft herumfuchteln,stellte ich fest, dass chinesische Eltern denwestlichen in zwei Punkten überlegen sind:Sie haben ehrgeizigere Pläne für ihre Kinderund behandeln sie mit größerem Respekt, weilsie ein Gespür dafür haben, was ihre Kinderaushalten.« Chuas Strategien – klare Zieleaufstellen, Regeln durchsetzen, Scheiternbestrafen und Leistung belohnen –unterscheiden sich nicht sonderlich von denen,mit denen Deborah Carroll aus Nanny 911Ordnung in amerikanische Familien bringt: Inihrem Umgang mit amerikanischen Kindernwende sie lediglich die Lektionen an, die sie inihrer Kindheit in Wales gelernt habe.

»Als ich in die Schule ging, war es einetolle Sache, einen silbernen oder goldenenStern zu bekommen«, erinnert sie sich. »Es

war wichtig, das Gefühl zu haben, dass ichmich wirklich angestrengt hatte, um etwas zuerreichen. Wenn ich meinem Opa die Hemdengebügelt habe, hat er darauf bestanden, mirGeld dafür zu geben, weil ich sie so gutgebügelt habe – er hat mir immer gesagt, dassich es besser mache als meine Oma, und dasGefühl, etwas geleistet zu haben, hat mir sehrgut getan. Daher sollte auch dasSelbstbewusstsein stammen, und nicht daher,dass dir jemand sagt, du bist der Größte.«Wie Amy Chua, wie die Kims aus NorthCarolina und wie so viele andere asiatischeEinwanderer kam Nanny Deb zu demselbenSchluss wie das Gremium der Association forPsychological Science: Vergessen Sie dasSelbstbewusstsein. Arbeiten Sie an derSelbstdisziplin.

Nanny Deb und die Drillinge

Als Deborah Carroll im Haus der Familie Paulin der Nähe von St. Louis ankam, machte siesich keine Sorgen wegen der Racker, die sie

im Video gesehen hatte: die buchstäblich dieWände hochgingen und an den Lampenschaukelten. Sie wusste, dass vierjährigeKinder schwer zu bändigen sein können, vorallem wenn sie gleich im Dreierpackauftreten. Aber sie hatte inzwischen genugErfahrungen in anderen amerikanischenFamilien gesammelt, um zu wissen, dassdahinter ganz andere Probleme auf siewarteten.

»In Familien wie diesen sind die Kinderleicht zu bändigen«, meint Carroll. »Siesuchen nach Halt. Sie wollen jemanden, derihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt undihnen sagt: ›Ich bin der Boss. Alles wird gut.‹Das eigentliche Problem ist, die Eltern bei derStange zu halten. Sie müssen lernen, sichselbst und die Kinder zu beherrschen.«

Carroll hatte mit Eltern wie diesen zu tun,seit sie im Alter von 18 Jahrenhauptberufliches Kindermädchen wurde.Einer ihrer ersten Jobs in London brachte siezu einer amerikanischen Mutter, die miteinem Engländer verheiratet war und hilfloszusah, wie ihr Kind Amok lief. »Die Kleinesprang buchstäblich auf dem Esstisch herum

und hatte einen Tobsuchtsanfall«, erinnertesich Carroll. »Und die Mutter hat nur zu ihrgesagt: ›Das ist nicht der richtige Ort,Liebling.‹ Es ist in Ordnung, wenn ein Kindeinen Tobsuchtsanfall bekommt. Das istnormal. Aber wir müssen den Elternbeibringen, anders damit umzugehen.«

Die Pauls zeigten sich nicht ganz soentspannt wie die Mutter dieses Mädchens,aber wenn es darum ging, ihre Kinder zudisziplinieren, waren sie genauso hilflos.Wenn Vater Tim nach Hause kam und dasWohnzimmer mit Spielsachen übersät war,fegte er sie mit einem Hockeyschläger ineinen Schrank. Mutter Cyndi, eine frühereFlugbegleiterin, die den Umgang mitunerzogenen Erwachsenen gewohnt war, kammit den Drillingen nicht zurecht und hatte eslängst aufgegeben, von ihnen zu verlangen,ihre Spielsachen selbst aufzuräumen oder sichanzuziehen. Als Carroll die drei aufforderte,ihre Socken anzuziehen – keine unmöglicheAufgabe für Kinder, die im Kürze eingeschultwerden –, rannte eine von ihnen, Lauren, indie Küche, um ihrer Mutter ihre Socken zubringen. Hysterisch schluchzend klammerte

sie sich an sie und bat um Hilfe.»Es hat mir fast das Herz gebrochen«,

erinnert sich Mrs. Paul. »Das macht sie einehalbe Stunde lang. Das ist extremfrustrierend. Wenn sie ihren Anfall bekommt,stellte sie einfach immer wieder dieselbeFrage. An dem Punkt drehe ich einfach durchund will einfach nur noch schreien und alle insBett stecken.«

Wie immer gewann das Kind auch diesmal.Sehr zur Enttäuschung von Carroll zog Mrs.Paul dem Mädchen die Socken an. »Sie hatviereinhalb Jahre lang verrückt gespielt, undSie haben es zugelassen«, sagte Carroll zuMrs. Paul. »Was passiert in der zweitenKlasse, wenn sie ihre Mathehausaufgabenmachen soll und keine Lust hat?«

Wenn man Szenen wie diese sieht, fällt esschwer zu glauben, dass Eltern es früher alsihre Pflicht ansahen, ihre Kinder zu schlagen.»Wer mit der Rute spart, verzieht das Kind«,lautete ein beliebter Rat für Eltern, und mandachte, wer seine Kinder verwöhne, tue ihnendamit keinen Gefallen. Wir wollen hier aufkeinen Fall einen Rückfall in die Zeiten derKindesmisshandlung propagieren, aber wir

sind der Ansicht, dass Eltern ihredisziplinierende Rolle wiederentdeckenmüssen. Es geht nicht darum, zornig zuwerden und drakonische Strafen zuverhängen. Es geht vielmehr darum, sich dieZeit zu nehmen, das Verhalten des Kindes zubeobachten und angemessene Belohnungenund Strafen zu finden.

Egal ob Sie ein Kind ins Bett stecken odereinem Jugendlichen ein Privileg nehmen – jedeStrafe hat grundsätzlich drei Aspekte: Härte,Schnelligkeit und Konsequenz. VieleMenschen bringen Disziplin mit hartenStrafen in Verbindung, aber das ist derunwichtigste Aspekt. Im Gegenteil gelangtedie Forschung zu der Erkenntnis, dass Härtewenig bringt und sogar kontraproduktiv seinkann. Statt korrektes Verhalten zu fördern,zeigt sie dem Kind lediglich, dass das Lebengrausam und Aggression ein angemessenesVerhalten ist. Viel wichtiger ist dieGeschwindigkeit, wie Wissenschaftler inExperimenten mit Kindern, aber auch mitTieren festgestellt haben. Ratten lernen ausihren Fehlern, aber die Strafe muss soforterfolgen, am besten innerhalb einer Sekunde.

So schnell müssen Sie bei Ihren Kindern nichtsein, aber je länger die Verzögerung, umsogrößer die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihrFehlverhalten und die vorangehendenGedanken vergessen haben.

Der wichtigste und für die Elternschwierigste Aspekt der Bestrafung ist dieKonsequenz. Idealerweise sollten Eltern ihreKinder sofort für ein Fehlverhalten bestrafen,aber maßvoll und vielleicht sogar mild.Gerade am Anfang stellt dies für die Elterneine größere Belastung dar als für die Kinder.Die Versuchung ist groß, ein Fehlverhalten zuübersehen, weil sie müde sind oder weil esdas angenehme Beisammensein stört. Elternkönnen sich einreden, dass sie gütig sein oderdieses eine Mal ein Auge zudrücken wollen.Aber je achtsamer sie am Anfang sind, destoleichter wird es auf lange Sicht. KonsequenteDisziplin schafft wohlerzogene Kinder.

Eltern wie Cyndi Paul mag es das Herzbrechen, wenn sie Disziplin durchsetzenmüssen, aber Kinder reagieren positiv, wennsie knapp, in ruhigem Ton und konsequentermahnt werden, so Susan O’Leary152 , einePsychologin, die lange mit Eltern und Kindern

zusammengearbeitet hat. Wenn Eltern nichtkonsequent sind und Fehlverhaltengelegentlich durchgehen lassen, dannreagieren sie zum Ausgleich beim nächstenMal oft umso strenger. Das erfordert wenigerSelbstdisziplin seitens der Eltern: Sie könnennett sein, wenn ihnen danach ist, und strengbestrafen, wenn sie sich ärgern oder dasFehlverhalten sich häuft. Aber nehmen Sieeinmal die Sicht des Kindes ein: Mal machenSie eine Bemerkung, und die Erwachsenenlachen. Ein andermal machen Sie eineähnliche Bemerkung und bekommen eineOhrfeige oder müssen ins Bett. Winzige undwillkürliche Unterschiede in Ihrem Verhaltenoder in der Situation entscheiden darüber, obSie gar keine oder gleich eine harte Strafebekommen. Das empfinden Sie nicht nur alsungerecht, sondern Sie lernen auch, dass esnicht darum geht, wie Sie sich verhalten,sondern darum, ob Sie erwischt werden odernicht und ob Ihre Eltern in der Stimmung sind,Sie zu bestrafen. Sie könnten zum Beispiellernen, dass Sie im Restaurant auf guteTischmanieren verzichten können, weil dieErwachsenen sich schämen, Sie in der

Öffentlichkeit zu maßregeln.»Vielen Eltern fällt es schwer, ihre Kinder

in der Öffentlichkeit zu disziplinieren, weil siedas Gefühl haben, dass andere über sieurteilen«, meint Carroll. »Sie haben Angst, siekönnten als Rabeneltern dastehen. Aber dieseAngst muss man aus seinem Kopf verbannen.Ich habe es auch erlebt, dass mich Leuteanstarren, weil ich mit einem ungezogenenKind ein Restaurant verlasse, aber darüberdarf man sich keinen Kopf machen. Man mussdas tun, was für sein Kind richtig ist, und dasWichtigste ist die Konsequenz. Sie müssenlernen, was richtiges und was falschesVerhalten ist.«

Als Carroll ihre Disziplin bei den Pauls zurAnwendung brachte, bewirkte sie wahreWunder. Am Ende ihres einwöchigenAufenthalts bei der Familie machten dieDrillinge ihre Betten und räumten ihreSpielsachen auf, Lauren zog sich stolz ihreSocken an und die Eltern wirkten zufrieden.Diesen Eindruck vermittelte zumindest dieSendung, die ihre übliche Von-Chaos-zum-Glück-Geschichte erzählte. Aber zeigte dieDisziplin auch nach dem Abschied von Nanny

Deb noch Wirkung? Wir besuchten die Paulsim Jahr 2010, sechs Jahre nachdem dieKameras wieder abgezogen waren. Mrs. Paulerklärte uns, das Experiment sei ein vollerErfolg gewesen. »Wir haben keine Problememehr«, sagte sie und berichtete, die einstigenRacker seien inzwischen gute Schülerinnenund sogar Klassensprecherinnen. Zu Hauseerledigten sie brav ihre Aufgaben und warenihren Eltern nach wie vor bei der Hausarbeitbehilflich.

»Vor dem Besuch von Nanny Deb hätte ichnie gedacht, dass sie mal ihre Aufgaben selbstübernehmen würden«, meinte Mrs. Paul. »Ichdachte, das könnte ich nicht von ihnenverlangen, aber sie hatten einfach nicht dieAnleitung und Struktur, um zu wissen, was sietun sollten. Es ist leicht, ein Kindaufzufordern: ›Geh und räum dein Zimmerauf!‹ Aber das sagt dem Kind gar nichts.Genauso gut können Sie ihm sagen, es soll andie Wand starren. Sie müssen die Disziplinaufbringen, mit ihm ins Kinderzimmer zugehen und ihm zu zeigen, was es zu tun hat.Sie müssen ihm vormachen, wie es einKleidungsstück falten und in das richtige Fach

im Schrank legen muss.«Nachdem Mrs. Paul es ein paar Mal

demonstriert hatte, übernahmen die Kinderdie Aufgaben selbst, auch wenn siegelegentlich die Hilfe der Mutter benötigten.Und Mrs. Paul benötigte die Disziplin, nichtrückfällig zu werden und die Aufgabe für dieKinder zu erledigen. »Manchmal komme ich indie Küche und sehe ihre Müsli-Schälchen nochauf dem Tisch stehen«, berichtet sie. »Dannwill ich sie instinktiv nehmen und abwaschen.Das ist einfacher, als die Mädchen zu suchen.Aber egal, wo sie stecken, ich muss darandenken, dass ich sie in die Küche holen undden Abwasch selbst machen lassen muss. Dasist der Punkt, an dem ich mich selbst zudisziplinieren habe.«

Womit wir bei der Frage wären, die allenEltern vertraut vorkommen dürfte: Wie wirdund bleibt man selbstbeherrscht? Wie schafftman es, Kinder ruhig und konsequent zudisziplinieren, wenn es oft so viel einfacherist, ein Auge zuzudrücken? Die Antwortbeginnt wie immer mit Zielen und Regeln.

Regeln für Babys undVampire

Kinder können Selbstdisziplin lernen, langebevor sie Regeln lesen und Aufgabenübernehmen können. Fragen Sie nur einmalEltern, die ihre Kinder nach der Ferber-Methode zum Einschlafen erzogen haben.Diese Methode verlangt von den Eltern,gegen ihren Instinkt das Weinen der Kinder zuignorieren, nachdem sie diese abends ins Bettgebracht und allein gelassen haben. Stattsofort zum Bettchen zu rennen, lassen sie dasKind eine bestimmte Zeit lang weinen, danntrösten sie es, schließlich verlassen sie dasZimmer wieder für eine bestimmte Zeit.Dieser Prozess wird so lange wiederholt, bisdas Kind sein Weinen kontrolliert und ohneHilfe der Eltern einschläft. Es erfordert großeDisziplin von den Erwachsenen, dasherzzerreißende Schluchzen des Kindes zuignorieren, doch die Kinder lernen schnell,allein und ohne zu weinen einzuschlafen.Wenn sich das Kind so weit beherrscht,gewinnen alle: Das Kind hat keine Angst mehr,

allein einzuschlafen, und wenn es mitten inder Nacht aufwacht, müssen die Eltern nichtmehr die ganze Zeit um das Bettchenherumschwirren.

Die Methode funktioniert auch, wennKinder schreien, weil sie Hunger haben. Stattdas Kind sofort zu füttern, signalisiert dieMutter, dass sie es verstanden hat, doch siewartet, bis das Kind sich beruhigt hat, ehe sieihm die Brust oder das Fläschchen gibt. Auchin diesem Fall fällt es anfangs schwer, dasWeinen zu ignorieren, und für viele Elternklingt die Methode so grausam, dass sie nichtim Traum daran denken würden, sie zuversuchen. Aber sobald das Kind lernt, umsein Essen zu bitten, ohne zu weinen, sind alleBeteiligten ruhiger und zufriedener. DieKinder lernen, dass sie einen gewissenEinfluss auf das haben, was mit ihnen passiert,dass bestimmte Verhaltensweisen von ihnenerwartet werden und dass jede HandlungKonsequenzen hat – Lektionen, die imweiteren Leben immer wichtiger werden.

Die meisten Experten sind sich einig, dassKinder klare Regeln brauchen und wollen unddass die Verantwortung für die Einhaltung der

Regeln einen entscheidenden Aspekt einergesunden Entwicklung darstellt. Aber Regelnsind nur dann sinnvoll, wenn Kinder siekennen und verstehen, das heißt: je klarer dieRegel, umso besser. Nanny Deb ruft gernspezielle Familienversammlungen ein, umüber die »Hausordnung« zu sprechen, undhängt dann in jedem Kinderzimmer eine Listemit Aufgaben auf. Neben der Liste platziertsie einen Stab, mit dem Buch geführt wird:Wenn Kinder ihr Bett machen oder dasGeschirr spülen, wird ein farbiger Ring aufden Stab gesteckt. Jeder Ring bedeutet eineViertelstunde Fernsehen oder Videospielen,bis zu einer Stunde am Tag. Wenn sich dieKinder schlecht benehmen, erhalten sie ersteine Warnung, und wenn sie nicht hören,nehmen die Eltern einen Ring von dem Stabweg.

Im Namen der Konsequenz müssen sichdie Eltern untereinander abstimmen, damitalle wissen, was erwartet wird. Stellen Sie einSystem von Belohnungen und Strafen auf,solange Ihre Kinder noch klein sind, underklären Sie ihnen, wann Sie sie belohnenoder bestrafen. Wenn die Kinder älter

werden, ist es sinnvoll, sie nach ihren eigenenZielen zu fragen. Wenn Sie wissen, was sieerreichen wollen, können Sie ihnen mit denrichtigen Anreizen helfen, ihr Ziel umsetzen;zum Beispiel können Sie das Taschengeld vonbestimmten Leistungen abhängig machenoder für zusätzliche Arbeit einen Zuschlagversprechen. Aber damit diese finanziellenAnreize wirklich wirken, müssen sich dieEltern ebenfalls disziplinieren. Erinnern Siesich an die Kims, die ihrer Tochter Soo einAuto schenkten, nachdem sie dieAufnahmeprüfung zum Medizinstudiumbestanden hatte. Ein Toyota Tercel istvielleicht kein Traumauto, aber Soo liebte ihnund wusch und wachste ihn jahrelangliebevoll. Als er schließlich irgendwann liegenblieb und ausrangiert werden musste, warSoo untröstlich. Das Auto hatte ihr so vielbedeutet, weil sie so viel dafür getan hatte,um es sich zu verdienen.

Ab einem Alter von sechs Jahren könnenKinder lernen, Geld zu sparen, aber es istnicht einfach, wie die Psychologin AnnetteOtto feststellte.153 Otto entwickelte ein Spiel,in dem Kinder für ein Spielzeug sparen, aber

das Geld auch für andere Spielsachen undSüßigkeiten verwenden konnten. VieleSechsjährige gaben ihr Geld zu Beginn desSpiels aus und stellten erst spät fest, dass sienun vielleicht nicht mehr genug Geld für daserwünschte Spielzeug hatten (ab diesemPunkt sparten sie überhaupt nichts mehr).Einige neun- und viele zwölfjährige Kinderschafften es jedoch, erst auf den erwünschtenBetrag zu sparen und dann das übrige Geldfür andere Dinge auszugeben. Wenn Elterndiese Zukunftsorientierung unterstützenwollen, können sie ihren Kindern helfen,Sparkonten einzurichten, dieKontobewegungen zu beobachten, sich Zielezu setzen und sich zu belohnen.154 Kinder, dieein eigenes Sparbuch haben, sind alsErwachsene erwiesenermaßen die besserenSparer, genau wie Kinder, dieGeldangelegenheiten mit ihren Elternbesprechen.

Einige Eltern geben ihren Kindern Geld fürgute Noten, andere sehen es eher kritisch,ihre Kinder für Dinge zu belohnen, die sieohnehin tun sollten. Das beste Argumentgegen diese finanziellen Belohnungen basiert

auf einem Phänomen, das Psychologen alsKorrumpierungseffekt155 bezeichnen:Belohnungen können selbst ein Hobby inArbeit verwandeln. Wenn wir für Dingebezahlt werden, die uns Spaß machen, dannbetrachten wir diese Aufgabe irgendwann alsLast. Das wirft die Frage auf, ob einefinanzielle Belohnung für gute Noten dasInteresse der Kinder am Lernen aushöhlenkönnte.

Uns überzeugt dieses Argument allerdingsnicht. Erstens handelt es sich ja bei den Notenschon um eine Form der von außenkommenden Belohnung, weshalb das Geld dieKinder in ihrer Wissbegierde nicht zusätzlichdemotiviert. Und zweitens ist das Prinzip Geldgegen Leistung eine Tatsache desErwachsenenlebens, und die finanzielleBelohnung für gute Noten in gewisserHinsicht eine Vorbereitung darauf.

Wenn Kinder nur dafür bezahlt werden,dass sie die Schulbank drücken, dann könntedas ihre Motivation schwächen, ohneEntlohnung zur Schule zu gehen (als ob siedas nicht ohnehin müssten). Aber wenn Sieihnen Geld für zusätzlichen Einsatz und gute

Leistungen geben, sehen wir darin keinProblem. Experimente haben unterschiedlicheErgebnisse erbracht156 : In einigen Versuchenhatte die Belohnung keinen Einfluss auf dieLeistung der Kinder, in anderen war siebesonders effektiv. Es kann nichts schaden, esauszuprobieren, und wenn Ihnen das lieberist, können Sie Ihre Kinder auch in eineranderen als in der Geldform belohnen.Bedenken Sie jedoch, dass Sie konsequentsein müssen, wenn Sie Disziplin vermittelnwollen. Es reicht nicht, dass Sie willkürlich inden Geldbeutel greifen, wenn Ihr Kind eingutes Zeugnis nach Hause bringt. Legen Siedaher im Voraus Ziele fest: Wie viel ist welcheNote wert, welche Fächer sind diewichtigsten, und so weiter. Bei kleinerenKindern müssen Sie die Zahlung festlegen,aber ältere können Boni und Strafen selbstverhandeln und vielleicht sogar Verträgeaufsetzen, die beide Seiten unterschreiben.Die Regeln und Belohnungen ändern sich mitzunehmendem Alter der Kinder, aber es istwichtig, sich diszipliniert daran zu halten,auch wenn die gefürchtete Pubertätherannaht.

Das Problem der pubertierendenJugendlichen – zumindest aus Sicht der Eltern– liegt in der Tatsache, dass sie dieSelbstdisziplin eines Kindes und die Wünscheund Bedürfnisse von Erwachsenen haben. DieHarmonie, die sie vielleicht mit neun oder elferzielt haben, wird durch die biologischeEntwicklung gesprengt, die neue sexuelle undaggressive Impulse hervorbringt und in denTeenagern die Lust am Nervenkitzel weckt.Irgendwo wissen sie allerdings, dass sie Hilfebenötigen. Das ist vielleicht einer der Gründe,warum Millionen von ihnen die Bis(s)-Romaneverschlingen, in denen der Vampir Edwardund die Jugendliche Bella wissen, dass sie ihreMenschlichkeit und vielleicht sogar ihr Lebenverliert, wenn die beiden ihre Liebevollziehen. Daher kämpfen sie mit ihrenImpulsen: EDWARD: Schlaf jetzt, Bella.BELLA: Bitte, küss mich noch einmal.EDWARD: Du überschätzt meine Selbstbeherrschung.BELLA: Was lockt dich mehr, mein Blut oder mein Körper?EDWARD: Beides.157 Mit einem ähnlichen Erfolgsrezept verkaufte

die Schmonzettenautorin Mary Brunton schonim 19. Jahrhundert ihre Bestseller. Damalsmachten sich die Landbewohner Sorgen, ihreKinder könnten den neuen Versuchungen derIndustriestädte verfallen. Doch dieseVersuchungen sind nichts gegen das, was inden modernen Städten und im Internet lauert.Auch wenn die Jugendlichen von heute nichtGefahr laufen, Vampire zu werden, verstehensie nur zu gut, was Edward meint, wenn er zuBella sagt: »Wenn ich mit dir zusammen bin,darf ich keine Sekunde lang die Beherrschungverlieren.«

Solange die Selbstdisziplin der Teenagernicht auf der Höhe ihrer Triebe ist, stehenEltern vor der undankbaren Aufgabe, strengeKontrolle ausüben zu müssen und die Kindergleichzeitig mehr und mehr wie Erwachsenezu behandeln. Der beste Kompromiss bestehtvermutlich darin, die Jugendlichen bei derFormulierung der Regeln zu beteiligen, wasdann zu tun ist, wenn alle ruhig und ausgeruhtsind – nicht wenn der Sprössling zum erstenMal um zwei Uhr morgens nach Hausekommt. Wenn die Jugendlichen an derAufstellung der Regeln beteiligt sind, sehen

sie diese eher als persönliche Verpflichtungund weniger als elterliche Willkür. Wenn sieselbst aushandeln, zu welcher Uhrzeit siespätestens wieder zu Hause sein müssen,dann halten sie sich eher daran, oderzumindest akzeptieren sie die Konsequenzen,wenn sie dies nicht tun. Und je mehr sie ander Aufstellung der Regeln beteiligt sind,umso eher können sie zum nächsten Schrittder Selbstdisziplin übergehen: derSelbstüberwachung.

Der elterliche Blick

Vor seinen berühmten Marshmallow-Experimenten mit den kalifornischen Kindernmachte Walter Mischel158 bei seinenArbeiten in Trinidad eine andere Entdeckungzum Thema Selbstbeherrschung. Eigentlichwollte er auf der Insel rassistische Vorurteileerforschen. Die beiden wichtigsten ethnischenGruppierungen auf Trinidad stammen ausAfrika und aus Indien, und beide Gruppenpflegen ihre Vorurteile gegen die jeweils

andere. In den Augen der Inder leben dieAfrikaner nur in den Tag hinein undverprassen ihr Geld lieber, statt es zu sparen.Umgekehrt halten die Afrikaner die Inder fürfreudlose Knauser, die keinen Spaß am Lebenhaben. Mischel wollte diese Stereotypenüberprüfen, indem er Kinder beiderGruppierungen zwischen zwei Schokoriegelnwählen ließ. Einer war größer und kostetezehnmal so viel wie der andere, aber wenn dieKinder den größeren wollten, mussten sie eineWoche darauf warten. Den kleineren,billigeren konnten sie dagegen sofort essen.

Mischel stellte fest, dass die ethnischenStereotype nicht ganz unbegründet waren.Aber bei seinen Untersuchungen stolperte erüber einen sehr viel wichtigeren Effekt:Kinder, deren Vater zu Hause lebte, warensehr viel eher bereit, auf die größereBelohnung zu warten. Die meisten ethnischenUnterschiede ließen sich wiederum überdieses Phänomen erklären, denn indischeFamilien bestanden in der Regel aus beidenElternteilen, wohingegen ein großer Teil derafrikanischen Kinder bei alleinerziehendenMüttern lebte. Die Bedeutung des Vaters

wurde deutlich, als Mischel die afrikanischenHaushalte auswertete: Etwa die Hälfte derKinder mit Vater entschied sich für dieverzögerte Belohnung, aber keines der Kinderohne Vater war bereit, eine Woche lang zuwarten. Auch die indischen Kinder ohne Vaterzogen durchweg die sofortige Belohnung vor.

Als Mischel seine Erkenntnisse im Jahr1958 veröffentlichte, erregten sie kaumAufmerksamkeit. Auch später, als es sichberufsschädigend auswirken konnte, daraufhinzuweisen, dass Kinder in Familien mit nureinem Elternteil Nachteile haben könnten,wurden sie kaum beachtet. Seit Anfang dersechziger Jahre sorgten neue Gesetze,Veränderungen der gesellschaftlichenNormen und ein Anstieg der Scheidungsratedafür, dass immer mehr Kinder bei nur einemElternteil aufwuchsen, in der Regel bei derMutter. Niemand wollte diesealleinerziehenden Mütter kritisieren, undauch uns geht es nicht darum, den Einsatz unddie Hingabe dieser Frauen zu schmälern.Aber irgendwann ließen sich dieForschungsergebnisse einfach nicht mehrübersehen. Obwohl es natürlich zahlreiche

Ausnahmen gibt, geht es Kindern, die vonVater und Mutter aufgezogen werden,generell besser als Kindern, die nur mit Vateroder Mutter aufwachsen: Sie bekommenbessere Noten, sind körperlich und emotionalgesünder, haben ein befriedigenderesSozialleben, weisen seltener asozialeVerhaltensweisen auf, besuchen mit größererWahrscheinlichkeit eine Eliteuniversität undlanden mit geringerer Wahrscheinlichkeit imGefängnis.

Eine denkbare Erklärung dafür wäre, dassKinder mit nur einem Elternteil in SachenSelbstdisziplin genetisch benachteiligt sind.Wenn sich der Vater (gelegentlich auch dieMutter) aus dem Staub gemacht hat, dannwaren die Ursache möglicherweise Gene, dieimpulsives Verhalten fördern und dieSelbstdisziplin schwächen, und die Kinderkönnten diese Gene mitbekommen haben.Aber auch in Familien, in denen der Vateroder die Mutter früh starb oder aus anderenGründen nicht verfügbar war, ließ sich dieserEffekt nachweisen. Auch diese Kindererwiesen sich als benachteiligt, wenngleichihre Probleme nicht ganz so groß waren wie

die der Scheidungskinder. Die Ergebnisselassen den Schluss zu, dass Kinder – wieimmer – sowohl von den Genen als auch derUmwelt bestimmt werden.

Welche Rolle die Gene auch spielenmögen: Die Kinder, die mit nur einemElternteil aufwachsen, sind von einemoffensichtlichen Umweltfaktor betroffen – siewerden von weniger Augen beobachtet. DieKontrolle stellt einen wichtigen Aspekt derSelbstdisziplin dar, und vier Augen sehen nuneinmal mehr als zwei. AlleinerziehendeEltern159 sind mit überlebenswichtigenDingen beschäftigt: Sie müssen das Essen aufden Tisch bringen, sich um die Gesundheit derKinder kümmern und die Rechnungen zahlenund können sich daher nicht mit derselbenKonsequenz darum kümmern, Regelnaufzustellen und durchzusetzen. Zwei Elternkönnen sich dagegen die Arbeit teilen,weshalb beide mehr Zeit und Energie haben,den Charakter des Kindes zu formen. Mehrerwachsene Augen machen einenUnterschied, und dieser Unterschied istbleibend, wenn man den Ergebnissen einerUntersuchung glauben darf, die vor mehr als

sechs Jahrzehnten begonnen wurde.Zur Prävention jugendlicher Straftaten

wurde Anfang der vierziger Jahre ein Projektaufgelegt, in dessen Rahmen Sozialarbeiterzweimal im Monat 250 Jungen in ihrenElternhäusern besuchten. Sechs Jahre langnotierten sie ihre Beobachtungen über dieFamilien, die Haushalte und das Leben derJungen. Zu Beginn der Untersuchung warendie Jungen durchschnittlich zehn Jahre alt.Jahrzehnte später, als die Jungen längsterwachsen und Mitte fünfzig waren, wurdendie Aufzeichnungen von der WissenschaftlerinJoan McCord160 wiederentdeckt. McCordverglich die Erfahrungen von Menschen imJugendalter mit ihrem späteren Verhalten alsErwachsene und untersuchteZusammenhänge hinsichtlich der Kriminalität.Bei der Auswertung der alten Erhebungstellte sie fest, dass die mangelnde elterlicheAufsicht der Jugendlichen die wichtigsteUrsache für spätere Straftaten war. DieSozialarbeiter hatten unter anderemfestgehalten, ob die außerschulischenAktivitäten der Jungen regelmäßig, manchmaloder selten von Erwachsenen beaufsichtigt

wurden. Je mehr Zeit die Jugendlichen unterelterlicher Aufsicht verbrachten, umsogeringer die Wahrscheinlichkeit, dass siespäter Straftaten begingen.

Seither ist die elterliche Aufsicht ehernoch wichtiger geworden. Eine jüngsteUntersuchung zum Marihuana-Missbrauch161 , an der 35 000 Jugendlicheteilnahmen, ergab einen eindeutigenZusammenhang mit der Kontrolle durch dieEltern. Wenn die Eltern wissen, wo ihreKinder sind, was sie tun und wer ihre Freundesind, nehmen die Kinder mit deutlichgeringerer Wahrscheinlichkeit Drogen alsschlechter beaufsichtigte Kinder.

Bei Diabetes162 hat die Kontrolle durchdie Eltern ähnlich positive Auswirkungen.Jugendliche verfügen über umso mehrSelbstdisziplin, je besser ihre Eltern wissen,wo sich ihre Sprösslinge nach der Schule undam Abend aufhalten, was sie in ihrer Freizeitmachen, wer ihre Freunde sind und wofür sieihr Geld ausgeben. Obwohl Diabetes vom Typ1 schon in jungen Jahren auftritt undvermutlich überwiegend genetisch bedingt ist,zeigen Jugendliche mit großer Selbstdisziplin

und guter elterlicher Aufsicht bessereBlutzuckerwerte und haben damit wenigergravierende Probleme mit den Folgen derDiabetes als andere Kinder. Und wenn dieEltern ihre Kinder beaufsichtigen, können siedamit eine mögliche mangelnde Selbstdisziplinder Kinder zum Teil wettmachen.

Je besser Kinder beaufsichtigt werden,umso mehr Gelegenheit haben sie, ihreSelbstdisziplin zu entwickeln. Eltern könnensie durch die in einem früheren Kapitelerwähnte Übung zur Stärkung derWillenskraft führen und sie zum Beispielauffordern, sich aufrecht hinzusetzen und ingrammatikalisch korrekten Sätzen zusprechen. Alles, was denSelbstdisziplinierungsmuskel der Kindertrainiert, hilft: Musikunterricht, Gedichteauswendig lernen, Gebete sprechen,Tischmanieren einhalten, Schimpfwörtervermeiden oder Dankesbriefe schreiben.

Während die Kinder ihren Willen stärken,lernen sie auch, wann sie ihn nicht einsetzensollten. In Mischels Marshmallow-Experimentwollten viele Kinder der Versuchungwiderstehen, indem sie das Marshmallow

anstarrten und mit aller Macht versuchten,starkzubleiben. Das funktionierte natürlichnicht. Solange sie das Marshmallow vorAugen hatten, stellte es eine Versuchung dar,und sobald ihre Willenskraft ein wenignachließ, wurden sie schwach und aßen es.Diejenigen Kinder, die bis zu einerViertelstunde lang durchhielten, um zweiMarshmallows zu bekommen, lenkten sich ab.Sie hielten sich die Augen zu, drehten demMarshmallow den Rücken zu oder spielten mitihren Schuhbändeln. Einige Wissenschaftlerzogen aus dem Marshmallow-Experiment denSchluss, dass es darum geht, dieAufmerksamkeit zu kontrollieren, und nichtdie Willenskraft zu stärken, aber das sehenwir anders. Natürlich ist es wichtig, dieAufmerksamkeit zu kontrollieren – aber dazuist Willenskraft nötig.

Spiel, Satz und Sieg

Seit mehr als einem halben Jahrhundert lenktdas Fernsehen die Kinder von anderen Dingen

ab, und seit mehr als einem halbenJahrhundert muss es als Sündenbock für allesherhalten, was mit den Kindern nicht inOrdnung ist. Wir wollen an dieser Stelle nichtauf das Fernsehen einschlagen, weil Kinderdort auch eine Menge nützlicher Dinge lernenkönnen. Aber eines, was sie im Fernsehennicht lernen, ist Selbstdisziplin. ErfolgreicheSendungen wissen, wie sie die Kinder fesselnkönnen, ohne dieselben intellektuellenAnforderungen zu stellen wie andereFreizeitbeschäftigungen. Surfen im Internetist keine ganz so passive Beschäftigung, aberes trägt ebenfalls wenig zur Disziplin bei, vorallem, wenn man nur von einer Website zurnächsten springt und sich nur fürTexthäppchen und Tweets Zeit nimmt.

Wie können Kinder lernen, eine Aufgabezu erledigen, die mehrKonzentrationsfähigkeit erfordert als eineSMS und mehr Denkleistung als ein YouTube-Video? Der verbreitete Rat besteht darin,ihnen Bücher zu lesen zu geben, und demschließen wir uns gern an. Aber sie könnenihre Konzentrationsfähigkeit auch stärken,wenn sie die richtigen Spiele spielen, und

damit können sie sogar schon beginnen, bevorsie das Lesen beherrschen. Einige dererfolgreichsten Programme zum Erlernen derSelbstdisziplin gehen auf die klassischenExperimente des russischen Psychologen LewWygotski zurück, der Kinder mit Hilfe vonSpielen lernen ließ. Die Kinder konnten in derRegel nicht allzu lange still stehen, aber siehielten es länger durch, wenn sie zum Beispielso taten, als seien sie Soldaten, die Wachehalten. Oder sie lernten Listen von Wörternauswendig, wenn sie so taten, als gingen ineinen Supermarkt und müssten sich erinnern,was sie alles einkaufen wollten.

Wygotskis Erkenntnisse wurden in einemVorschulprogramm namens »Tools of theMind«163 umgesetzt. Kinder sollen Spielespielen164 , die zum Teil im Voraus geplantsind und einige Minuten bis einige Tage langsein können. Wie wir gesehen haben, ist dieIntegration des Verhaltens über einenlängeren Zeitraum – die Fähigkeit, sofortigeBefriedigung zugunsten einer späterenBelohnung aufzuschieben – ein wichtigerAspekt der Selbstdisziplin, und wenn Kinderein Spiel spielen, das sich über mehrere Tage

erstreckt, lernen sie, langfristig zu denken.Solche langfristig angelegten Rollenspiele mitanderen Kindern erfordern eine hoheKonzentrationsfähigkeit. Selbst einfacheRollenspiele wie Familie oder Soldatenverlangen von den Kindern, eine Rolledurchzuhalten und sich im Umgang mit denanderen Kindern an die Spielregeln zu halten.Unabhängige Untersuchungen habenergeben, dass Kinder, die an Tools of theMind teilnehmen, sich erheblich besserbeherrschen können als Kinder auskonventionellen Vorschulen.

Ältere Kinder erzielen ähnliche Erfolge miteinem anderen Instrument, das heute vieleEltern und Kritiker auf die Barrikaden bringt:Videospiele. Zugegeben, ein großer Teildavon sind sinnlose Ballerspiele, und vieleKinder verbringen viel zu viel Zeit damit,digitale Monster abzuschießen. Aber dieverbreitete Kritik an diesen Spielen istungefähr genauso fundiert wie die früherenWarnungen vor den Gefahren der Comics.Nachdem Lawrence Kutner und Cheryl Olsonvon der Harvard University die Literaturausgewertet und eigene Experimente mit

Schülern der Mittelstufe durchgeführt hatten,kamen sie zu dem Schluss, dass die meistenKinder keinen Schaden nehmen, wenn sieVideospiele spielen, und dass die Spiele imGegenteil einen ähnlichen Nutzen habenkönnen wie Musik, Sport oder jedes andereHobby, das Disziplin erfordert. Um bei einemkomplexen Computerspiel erfolgreich zu sein,müssen sich die Kinder konzentrieren,komplizierte Regeln lernen und präzisenSchritten folgen. Das erfordert jedenfallsdeutlich mehr Disziplin als Fernsehen.

Zum Glück hat dieSelbstbewusstseinsbewegung die Videospieleverschont – die Kinder hätten vermutlich keinInteresse an Spielen, die ihnen gleich zuBeginn sagen, was sie doch für großartigeSpieler sind. Stattdessen bevorzugen KinderSpiele, bei denen sie als bescheidene Novizenanfangen und sich durch Leistunghocharbeiten müssen. Während sie dienötigen Fähigkeiten erwerben, scheitern sieein ums andere Mal. Ein typischerJugendlicher ist tausend virtuelle Todegestorben, doch offenbar mangelt es ihm nichtan Selbstbewusstsein, es immer wieder zu

versuchen. Während Eltern und Erzieher diePhilosophie vertreten, dass jeder einen Preisverdient hat, suchen Kinder immeranspruchsvollere Spiele. Die Spieler müssensich konzentrieren, um einen Ork nach demanderen niederzuringen; sie benötigenGeduld, um virtuelles Gold zu schürfen; undsie müssen knausern, um für ein neuesSchwert oder einen Helm zu sparen.

Statt darüber zu jammern, dass die Kindernicht von der Konsole loskommen, sollten wirlieber von den Techniken der Spielentwicklerlernen. Ihre Spiele basieren auf denGrundschritten der Selbstdisziplin: Sie gebenklare und erreichbare Ziele vor, erteilensofortiges Feedback und motivieren dieKinder durch Anreize, immer weiter zu übenund ihre Fähigkeiten zu verbessern. EinigePioniere nutzen die Energie, die Kinder undErwachsene in Spiele stecken, und setzen dieTechniken (zum Beispiel die »Suche« und denAufstieg durch verschiedene »Levels«) inSchulen, Unternehmen und digitalenKooperationen um. Videospiele verleihenaltmodischen Tugenden neuen Glanz. WerErfolg haben will, muss bestimmte

Voraussetzungen mitbringen – und dieDisziplin haben, es wieder und wieder zuversuchen.

KAPITEL 10

QUÄLEN SIE SICH NICHT

Es ist schwierig,mit dem Bauch zu diskutieren,denn der Bauch hat keine Ohren.

Plutarch Wie konnte ich das nur zulassen?

Oprah Winfrey

In wohlhabenden Ländern gibt es kaum etwas,das so universell begehrenswert erscheint wieein flacher Bauch. Aber je mehr Geld wirverdienen und je mehr wir davon derDiätbranche zahlen, umso unerreichbarerscheint dieses Ideal. Abnehmen ist derbeliebteste Neujahrsvorsatz, Jahr für Jahr,Diät für abgebrochene Diät. Langfristigerweist sich die überwiegende Mehrzahl allerDiäten als Flop. Deshalb werden wir Ihnennicht versprechen, dass Sie für den Rest IhresLebens schlank bleiben werden. Aber wirkönnen Ihnen verraten, mit welchenTechniken Sie am ehesten abnehmen, undwollen gleich mit ein paar guten Nachrichtenbeginnen. Wenn Sie ein ehrliches Interessedaran haben, Ihr Gewicht zu kontrollieren,dann benötigen Sie die Disziplin, die folgendendrei Regeln zu beherzigen:

1. Machen Sie nie eine Diät.2. Versprechen Sie nie, dass Sie in Zukunft

auf Schokolade oder irgendein anderesLebensmittel verzichten werden.

3. Egal ob es um andere geht oder um Sie

selbst: Machen Sie nie den Fehler,Übergewicht mit Willensschwächegleichzusetzen.

Auch wenn es Ihnen nicht gelungen ist, diefünf Kilo abzuspecken, die sie loswerdenwollten, dann bedeutet das noch lange nicht,dass Sie jetzt eine Diät machen oder allenSüßigkeiten abschwören müssen. Vor allemsollten Sie nicht den Glauben verlieren, dassSie in der Lage sind, andere Dinge zuerreichen, denn Übergewicht hat nichts mitWillensschwäche zu tun, wie viele Menschenmeinen. Wenn Sie Ihre Zeitgenossen fragen,wofür sie ihre Selbstdisziplin aufwenden, dannantworten die meisten vermutlich: um Diät zuhalten. Davon gingen auch die meistenExperten jahrzehntelang aus. WennWissenschaftler auf Fachtagungen oder inwissenschaftlichen Artikeln ein Beispiel fürProbleme mit der Selbstdisziplin suchen, dannverweisen sie nach wie vor gern auf Diäten.

Unlängst haben Wissenschaftler jedochfestgestellt, dass es keinen direktenZusammenhang zwischen Selbstdisziplin undAbnehmen gibt. Stattdessen fanden sie etwas,

das man zu Ehren der ungekrönten Diät-Königin als Oprah-Paradox165 bezeichnenkönnte. Nachdem Oprah Winfrey ihreFernsehlaufbahn als Nachrichtensprecherinbegonnen hatte, legte sie von 56 auf 63Kilogramm zu. Sie suchte einenErnährungsexperten auf, der sie auf eine Diätvon 1 200 Kalorien pro Tag setzte. Damitspeckte sie in der ersten Woche 3 Kilo ab undinnerhalb eines Monats war sie wieder auf 56Kilogramm. Aber allmählich legte sie dieverlorenen Pfunde wieder zu. Als sie bei 96Kilogramm angekommen war, ernährte siesich vier Monate lang nur von Flüssignahrungund kam damit wieder bis auf 65 Kilogramm.Doch ein paar Jahre später brachte sie mehrdenn je auf die Waage, nämlich 107Kilogramm. Damals füllte sie ihr Tagebuch mitGebeten, Gott möge ihr doch beim Abnehmenhelfen. Als sie für den Emmy nominiert wurde,betete sie, ihr Konkurrent Phil Donahue mögegewinnen, weil sie sich auf diese Weise »diePeinlichkeit ersparte, meinen fetten Hinternaus dem Sitz schälen und den Gang hinunterauf die Bühne watscheln zu müssen«, wie siesich später erinnerte. Sie hatte längst alle

Hoffnung aufgegeben, als sie den Coach BobGreene kennen lernte, der ihr Leben genausoradikal verändern sollte wie sie seines.

Greene schrieb Bestseller mitTrainingsroutinen und Rezepten, die er beiOprah Winfrey anwendete, und verkaufteseine eigene Produktlinie Best Life. Unter derAnleitung von Greene, ihrem persönlichenKoch (der seine eigenen Bestseller schrieb),Ernährungsfachleuten, Ärzten und anderenExperten aus ihrer Sendung stellte Winfreyihre Ernährung, ihr Sportprogramm und ihrganzes Leben um. Sie erstellte Wochenplänemit sämtlichen Mahlzeiten, in denen sie genauaufführte, wann sie Thunfisch aß, wann Lachsund wann Salat. Ihre Assistenten plantenihren Tagesablauf um ihre Mahlzeiten undFitnessprogramme herum. Sie erhieltemotionale Unterstützung von Freundinnenwie der New-Age-Autorin MarianneWilliamson, mit der sie sich über dasVerhältnis von Körpergewicht und Liebeaustauschte.

Das Ergebnis präsentierte sie im Jahr2005 auf dem Cover ihrer Zeitschrift: einestrahlende, schlanke Frau von 72 Kilogramm

(trotz dieses Triumphs war sie allerdingsimmer noch fast 10 Kilogramm schwerer alszu Beginn ihrer ersten Diät). Mit ihrerErfolgsgeschichte begeisterte sie ihre Fansund den Anthropologen George Armelagos vonder Emory University. Dieser nutzte ihrBeispiel, um einen historischen Wandel zubeschreiben, den er als Heinrich-VIII.-und-Oprah-Winfrey-Effekt166 bezeichnete. Im 16.Jahrhunderts war es gar nicht einfach, einenderartigen Bauchumfang zu erwerben und zuhalten wie der englische König Heinrich VIII.Mit seiner Diät beschäftigte erHundertschaften von Bauern, Gärtnern,Fischern, Jägern, Metzgern, Köchen undanderen Dienern. Aber heute wird selbst dasFußvolk problemlos so dick wie Heinrich VIII.– tatsächlich leiden arme Menschentendenziell eher an Übergewicht als dieAngehörigen der herrschenden Klassen. Einschlanker Körper ist ein Statussymbol, weil esden meisten Menschen so schwerfällt, ihn zuerhalten, wenn sie nicht gerade mit denrichtigen Genen gesegnet sind. Um schlank zubleiben, sind heute die Ressourcen einerOprah Winfrey und eine Schar neuer Vasallen

– Coaches, Köche, Ernährungsberater,Psychologen und Assistenten – erforderlich.

Doch selbst deren Unterstützung ist keinErfolgsgarant, wie die Zuschauer von Oprahbeobachten konnten und wie Winfrey selbst ineinem erfrischend offenen Artikel vier Jahrenach ihrer triumphalen Cover-Storyeinräumte. Diesmal zeigte das Titelblatt diealte Oprah mit 72 Kilogramm neben derneuen mit 90 Kilogramm. »Ich bin sauer aufmich«, gestand sie ihren Leserinnen. »Ichschäme mich. Ich kann es einfach nichtglauben, dass ich mir nach all den Jahren undall den Dingen, die ich gelernt habe, immernoch Gedanken über mein Gewicht machenmuss. Ich schaue mein schlankes Ich an undfrage mich: ›Wie konnte ich das nurzulassen?‹« Sie suchte die Erklärung in einerMischung aus Überarbeitung undgesundheitlichen Problemen, diemöglicherweise beide ihren Willenschwächten. Aber Oprah Winfrey istoffensichtlich eine ausgesprochendisziplinierte Frau. Ohne ihre Selbstdisziplinwäre sie nie so erfolgreich geworden, wie siees ist. Sie besitzt einen außergewöhnlichen

Willen, erstklassige professionelleUnterstützung, einen Kader von aufopferndenBetreuern, nicht zu vergessen den Druck,jeden Tag vor Millionen von Menschenaufzutreten, die jedes zusätzliche Gramm anihrem Körper genau registrierten. Doch trotzaller Kraft, Motivation und Ressourcen warsie nicht in der Lage gewesen, ihr Gewicht zuhalten.

Deshalb nennen wir es das Oprah-Paradox: Selbst ungewöhnlich disziplinierteMenschen haben gelegentlich Probleme, ihrGewicht zu halten. Dank ihres Willens sind siein vielen Bereichen erfolgreich – in der Schuleund im Beruf genauso wie in persönlichenBeziehungen oder auf dem Gebiet derEmotionen –, aber wenn es um dieGewichtskontrolle geht, stehen sie vordenselben Schwierigkeiten wie alle anderenMenschen. Zusammen mit einigen Kollegenaus den Niederlanden wertete BaumeisterDutzende von Untersuchungen überMenschen mit großer Selbstdisziplin aus undstellte fest, dass diese ihr Gewicht nurunwesentlich besser kontrollierten als derRest der Bevölkerung. Dieses Muster

bestätigte sich in einer Untersuchung überübergewichtige Studenten167 , die Baumeisterzusammen mit Joyce Ehrlinger, Will Crescioniund Kollegen von der Florida State Universitydurchführte. Studenten, die inPersönlichkeitstests mehr Disziplin aufwiesen,besaßen eine etwas bessereAusgangsposition, weil sie durchschnittlichweniger Übergewicht hatten undregelmäßiger Sport trieben als andere, unddieser Vorteil wurde im Laufe desdreimonatigen Programms größer, weil siesich eher an die Ernährungs- undFitnessregeln hielten. Doch obwohl ihnen ihreSelbstdisziplin bei der Gewichtskontrolle half,fiel der Unterschied gering aus, sowohl zuBeginn der Untersuchung als auch an derenEnde. Disziplin war zwar hilfreich, aber nurbis zu einem gewissen Punkt.

Hätten die Wissenschaftler die Teilnehmernach dem Ende des Programms weiterbeoabachtet, hätten sie vermutlichfestgestellt, dass viele die abgespecktenPfunde gleich wieder draufgefuttert hatten,genau wie Oprah Winfrey und zahllose anderevor und nach ihr. Ihre Selbstdisziplin half

ihnen vermutlich, ihr Fitnessprogramm zuabsolvieren, aber Sport allein reicht nicht aus,um abzunehmen.168 Es klingt zwar logisch,dass der Körper Kalorien verbrennt unddeshalb abspeckt, aber Wissenschaftlerhaben nachgewiesen, dass der Körper nur mitHunger reagiert, weshalb zusätzlicher Sportnicht unbedingt dazu führt, dass wirlangfristig abnehmen. (Trotzdem ist Sport ausallen möglichen anderen Gründen natürlichsehr zu empfehlen.) Egal ob Sie diszipliniertsind, Sport treiben oder Diät halten oder nicht– die Chancen, dass Sie dauerhaft abnehmen,stehen denkbar schlecht.

Das liegt unter anderem an unsererBiologie. Wenn Sie Ihren Willen aktivieren,um Ihren Eingangsordner abzuarbeiten, einenBericht zu schreiben oder zu joggen, hat IhrKörper damit wenig zu tun. Er wird nichtphysisch bedroht, wenn Sie sich dazudurchringen, Ihre Rechnungen zu bezahlenstatt fernzusehen. Es ist ihm egal, ob Sieeinen Bericht schreiben oder im Internetsurfen. Ihr Körper schickt Ihnen zwarSchmerzsignale, wenn Sie es mit dem Sportübertreiben, aber er empfindet Joggen nicht

als Existenzbedrohung. Anders die Diät. Wiedie junge Oprah Winfrey feststellte, macht derKörper ein oder zwei Diäten mit, doch dannsetzt er sich zur Wehr. Wenn übergewichtigeLaborratten zum ersten Mal auf Diät gesetztwerden, nehmen sie ab. Aber wenn sie danachwieder nach Belieben fressen dürfen, nehmensie allmählich wieder zu. Und werden sie einweiteres Mal auf Diät gesetzt, brauchen siediesmal länger, um abzuspecken. Wenn siedas Spiel drei- oder viermal mitgemachthaben, funktioniert die Diät nicht mehr: Sienehmen nicht mehr ab, obwohl sie wenigerKalorien zu sich nehmen.169

Die Evolution begünstigte Menschen, dieeine Hungersnot überleben konnten, undwenn der Körper einmal erlebt hat, was esbedeutet, nicht genug zu essen bekommen,dann lernt er, um jedes Pfund zu kämpfen.Wenn Sie eine Diät machen, nimmt Ihr Körperan, dass es sich um eine Hungersnot handelt,und klammert sich an jede Fettzelle. Siesollten sich die Fähigkeit, in einer einmaligenAktion drastisch an Gewicht zu verlieren, gutaufheben – vielleicht benötigen Sie sie spätereinmal, wenn Ihre Gesundheit oder Ihr

Überleben davon abhängt, dass Sie rasch einpaar Kilos loswerden können.

Statt schnell abzunehmen, sind Sie besserberaten, mit Hilfe Ihrer Selbstdisziplinallmähliche und dafür dauerhafteVeränderungen herbeizuführen. Vor allemmüssen Sie Ihre Strategien sorgfältigauswählen, denn bei jedem Schritt desProzesses stehen Sie vor gewaltigenHerausforderungen: angefangen von derZielsetzung über die Selbstbeobachtung biszur Stärkung Ihrer Willenskraft. DieKuchentheke ist schließlich keine alltäglicheHerausforderung – sie ist eher so etwas wieein Wirbelsturm.

Der erste Schritt zur Selbstdisziplinierungsind realistische Ziele. Wenn Sie abnehmenwollen, können Sie in den Spiegel sehen, sichwiegen und einen vernünftigen Planaufstellen. Das ist eine sinnvolle Strategie,doch die wenigsten Menschen gehen so vor.Die meisten setzen sich vollkommenunrealistische Ziele, weshalb der englischeBuchmacher William Hill anbietet, gegenjeden zu wetten, der abnehmen will. DieWettagentur bietet Gewinnchancen von bis zu

50 zu 1 und lässt die Teilnehmer selbstfestlegen, wie viel sie über welchen Zeitraumabnehmen wollen. Es klingt verrückt, dass einBuchmacher die Teilnehmer nicht nur dieBedingungen, sondern sogar das Ergebnisbestimmen lässt – das wäre so, als würde einLäufer darauf wetten, eine Zeit zuunterbieten, die er selbst vorgibt. Trotzdem,und obwohl die Gewinner bis zu 5 000 Eurogewinnen konnten, verlieren 80 Prozent derTeilnehmer.

Vor allem Frauen verlieren dieseWetten170 , was angesichts derunrealistischen Ziele, die sich viele setzen,nicht weiter verwunderlich ist. Sie schauen inden Spiegel und haben einen unmöglichenTraum: einen kurvenreichen171 Körper mitdem vermeintlichen Idealmaß von 90-60-90 –mit anderen Worten eine genetische Anomalieoder das Produkt einer Schönheitsoperation.

Angesichts dieses Ideals ist es keinWunder, wenn sich so viele Menschenunmögliche Ziele setzen. Wenn Sie IhrSpiegelbild hassen, müssen Sie schon sehrdiszipliniert sein, um nicht gleich eineHungerkur zu machen. Um sich zu bremsen,

sollten Sie sich daran erinnern, dass eine Diätin der Regel zunächst wirkt, aber langfristigzum Scheitern verurteilt ist.172 Um das zuverstehen, wollen wir uns zunächst einsonderbares Phänomen ansehen, dass wirnach dem Verzehr von Milchshakes im Laborbeobachtet haben.

Der Scheißegal-Effekt

Die Versuchspersonen kamen hungrig insLabor, denn sie hatten einige Stunden vordem Experiment keine Nahrung mehr zu sichgenommen. Eine Gruppe bekam nichts zuessen, eine zweite einen kleinen Milchshakeund eine dritte zwei riesige Milchshakes, nachdenen sich jeder normale Mensch pappsattgefühlt hätte. Dann sollten sich dieTeilnehmer als Lebensmitteltester betätigen.

Das war natürlich ein Trick. WennVersuchsteilnehmer wissen, dass sie imRahmen einer Studie zu ihrem Essverhaltenbeim Essen beobachtet werden, verlieren sieplötzlich den Appetit und verwandeln sich in

Vorbilder der Enthaltsamkeit. Deshalb tatendie Wissenschaftler so, als interessierten siesich nur für das Geschmacksurteil, setzten dieTeilnehmer in abgeschirmte Kabinen, stelltenihnen Schüsseln mit Plätzchen vor die Naseund gaben ihnen einen Fragebogen. DieTeilnehmer konnten so viel essen, wie siewollten, und selbst wenn sie alles aufaßen,konnten sie sich immer noch einreden, dasssie das Gebäck einfach besonders gründlichtesteten. Sie wussten nicht, dass sich niemandfür ihr Geschmacksurteil interessierte,sondern nur dafür, wie viele Plätzchen sieaßen, welchen Einfluss der Milchshake hatteund wie sich diejenigen Teilnehmer verhielten,die zum Zeitpunkt des Tests Diät hielten.

Wer nicht auf Diät war, reagierte wievorherzusehen. Wer gerade zwei riesigeMilchshakes getrunken hatte, knabberte einwenig an den Plätzchen und füllte denFragebogen schnell aus. Wer nur einenkleinen Milchshake getrunken hatte, aß mehr,und wer hungrig in die Kabine kam, futtertedie Schüsselchen fast leer. So weit, so gut.

Jedoch reagierten diejenigen Teilnehmer,die Diät hielten, auf genau umgekehrte Weise.

Wer gerade zwei riesige Milchshakesgetrunken hatte, aß mehr Plätzchen alsjemand, der seit Stunden nichts gegessenhatte. Das Ergebnis erstaunte dieWissenschaftler unter der Leitung von PeterHerman. Ungläubig führten sie weitereExperimente durch, doch die Ergebnissewaren dieselben. Allmählich begannen sie zuverstehen, warum sich selbst Menschen, dieihre Ernährung streng kontrollieren, miteinem Mal nicht mehr beherrschen können.

Die Forscher tauften das Phänomen»gegenregulierende Nahrungsaufnahme« –untereinander sprachen sie weniger formellganz einfach vom »Scheißegal-Effekt«173 .Wer Diät hält, hat jeden Tag ein festesKalorienziel vor Augen, und wer diese Latteunerwartet reißt, wie im Experiment durchdie beiden Milchshakes, hat das Gefühl, dieDiät für diesen Tag in den Sand gesetzt zuhaben. Der Tag wird innerlich abgehakt, egalwas sonst noch passiert. Erst morgen lässtsich die Diät wieder aufnehmen. Also denkendie Betroffenen: »Scheißegal, dann kann ichmir ja heute den Bauch vollschlagen« – undmit der folgenden Fressorgie legen sie mehr

Kalorien zu als mit dem ursprünglichenAusrutscher. Das ist natürlich vollkommenirrational, und die Betroffenen scheinen sichnicht bewusst zu sein, welchen Schaden siemit dieser Völlerei anrichten.

Dies zeigte ein Nachfolgeexperiment, dasHermans Kollegin Janet Polivy durchführte.Wieder kamen die Testpersonen hungrig insLabor, und wieder wurde einigen derTeilnehmer, die Diät hielten, eine Portionvorgesetzt, mit der sie ihre täglicheKalorienration sprengten. Zum Abschlussbekamen alle Teilnehmer geviertelteSandwiches. Danach wurden alleunvorbereitet gefragt, wie viele Viertel sieverzehrt hatten.

Den meisten Teilnehmern fiel es nichtschwer, diese Frage zu beantworten – siehatten ja gerade erst gegessen und wussten,wie viele Stücke sie zu sich genommen hatten.Nur eine Gruppe war erstaunlich ahnungslos:diejenigen Teilnehmer, die Diät hielten unddie erlaubte Kalorienmenge überschrittenhatten. Einige schätzten die Zahl zu niedrig,andere zu hoch, und alle lagen deutlich weiterdaneben als die anderen, die noch innerhalb

ihres Kalorienlimits lagen oder keine Diäthielten. Solange die Diät für diesen Tag nochnicht überschritten war, beobachteten dieDiäthaltenden ihre Kalorienaufnahme. Sobaldsie die Diät gebrochen hatten174 , erlagen siedem Scheißegal-Effekt, schlossen ihre Augenund aßen weiter.

Wie wir wissen, ist die Selbstbeobachtungnach der Zielsetzung der wichtigste Aspektder Selbstdisziplin – aber wie kann sichjemand selbst überwachen, der nicht mehr aufseinen Teller schaut? Alternativen könnten siedarauf achten, wenn der Körper signalisiert,dass er satt ist. Aber wenn wir auf Diät sind,versagt auch diese Strategie.

Die Zwickmühle der Diät

Wir Menschen verfügen über die angeboreneFähigkeit, genau die richtige Menge anNahrung zu uns zu nehmen. Wenn einNeugeborenes Nahrung benötigt, verspürt esHunger. Wenn der Körper genug Nahrung zusich genommen hat, will das Baby nichts mehr

essen. Leider schwächt sich diese Fähigkeitetwa mit der Einschulung ab, und einigeMenschen verlieren sie fast völlig – vor allemdiejenigen, die sie am dringendsten benötigen.Wissenschaftler rätseln seit Jahrzehnten,warum dem so ist, und führten in densechziger Jahren Experimente durch, mitdenen die Essforschung revolutioniert wurde.

In einer Versuchsanordnung brachtenWissenschaftler eine manipulierte Uhr175 ander Wand eines Raums an, in demTestpersonen Stapel von Fragebögenausfüllen sollten. Süßigkeiten wurdenbereitgestellt, von denen die Testpersonen soviel essen konnten, wie sie wollten. Wurde dieUhr beschleunigt, aßen die übergewichtigenTeilnehmer mehr als andere, denn die Uhrsignalisierte ihnen, dass die Mittagessenszeitnäher rückte und sie daher hungrig seinmüssten. Statt auf die Signale ihres Körperszu hören, richteten sie sich nach der Uhr. Ineinem anderen Experiment reichten dieWissenschaftler mal geschälte, malungeschälte Erdnüsse. Bei normalgewichtigenVersuchspersonen schien der Unterschiedkeine Rolle zu spielen, sie aßen in beiden

Fällen etwa die gleiche Menge an Erdnüssen.Übergewichtige Teilnehmer aßen dagegenmehr Erdnüsse, wenn sie diese erst schälenmussten – offenbar stellten sie in dieser Formeine größere Verlockung dar. Wiederreagierten übergewichtige Teilnehmer vorallem auf äußere Signale. Daher zogen dieWissenschaftler zunächst den Schluss, dasssie deshalb übergewichtig seien, weil sie dieSignale des Körpers ignorierten.

Die Theorie klang vernünftig, aberirgendwann stellten die Wissenschaftler fest,dass sie Ursache und Wirkung verwechselthatten. Es funktionierte genau andersherum:Aufgrund ihres Übergewichtes hielten dieseMenschen eher Diät, und diese Diät sorgtewiederum dafür, dass sie sich eher auf äußereals auf innere Signale verließen. Denn was isteine Diät anderes als eine Reihe äußerlicherRegeln? Wer Diät hält, richtet sich nacheinem Plan, nicht nach seinem Hungergefühl.Diät zu halten bedeutet, oft Hunger zu haben(auch wenn die Werbung das Gegenteilsuggeriert).

Genauer gesagt bedeutet eine Diät, nichtzu essen, wenn Sie Hunger haben, und das

Hungergefühl am besten zu unterdrücken.Das heißt vor allem, das Startsignal desEssens zu unterdrücken, aber da Start undStopp zusammenhängen, verlieren Sie auchden Kontakt zum Stopp-Signal, vor allem wenndie Diät genaue Mengenvorgaben beinhaltet.Sie essen nach Regeln, was hervorragendfunktioniert, solange Sie sich an sie halten.Aber sobald Sie die Regeln brechen – und daspassiert unweigerlich früher oder später –,verlieren Sie die Orientierung. Deshalb essenMenschen, die Diät halten oder übergewichtigsind, nach zwei riesigen Milchshakes nicht nurweiter, sondern sie essen mehr. Ihre Mägensind voll, aber sie fühlen sich nicht satt. Sieverfügen nur über diese eine klare Regel, undwenn sie die erst einmal gebrochen haben,gibt es kein Halten mehr.

Nun könnten Sie einwenden, dass sichdaraus nur eine Lektion ziehen lässt: Wereine Diät macht, sollte nicht an Experimentenmit Milchshakes teilnehmen. Wären dieTeilnehmer nicht ins Labor gegangen undhätten dort diese Kalorienbomben zu sichgenommen, dann hätten sie ihre Diät nichtgebrochen. Wenn sie sich immer an die

Regeln halten und nie ihr Tageslimitüberschreiten, würden sie nie demScheißegal-Effekt zum Opfer fallen. Sie hättenzwar Hunger, aber sie würden nie in eineFressorgie verfallen, solange sie den Willenhaben, sich an die Regeln zu halten.

Das klingt ganz vernünftig, bis man denWillen der Diäthalter mit Kinofilmen, Eis undM&Ms auf die Probe stellt, wie dies KathleenVohs und Todd Heatherton taten. DiePsychologen rekrutierten junge Frauen,durchweg chronische Diäthalterinnen, unddrückten kräftig auf ihre Tränendrüsen, indemsie ihnen eine besonders schmalzige Szeneaus dem Film Zeit der Zärtlichkeit zeigten.Die Hälfte der Testpersonen sollte ihreemotionalen Reaktionen unterdrücken, dieandere durfte ihren Gefühlen freien Lauflassen. Danach sollten sie einen Fragebogenzu ihrem Gemütszustand ausfüllen undschließlich eine scheinbar nicht damitzusammenhängende Aufgabe lösen und denGeschmack verschiedener Eiscremesbewerten. Die Wissenschaftler setzten denTestpersonen das Eis in unterschiedlichgroßen und nicht ganz gefüllten Behältern

vor, um ihnen den Eindruck zu vermitteln,dass niemand mitbekommen würde, wie vielEis sie aßen.

Natürlich wurden die Behälter vorher undnachher genauestens gewogen. Dabei stelltendie Wissenschaftler keinen Zusammenhangzwischen der Stimmung der Teilnehmerinnenund der verzehrten Eismenge fest. DasEntscheidende war ihr Wille: Frauen, diewährend des Films ihre Emotionenunterdrücken mussten, fiel es schwerer, ihrenAppetit zu zügeln. Nachdem sie ihreWillenskraft schon während des Filmsgeschwächt hatten, aßen sie rund 50 Prozentmehr Eis als die Frauen, die während desFilms nach Herzenslust weinen durften. Essenund Diäthalten werden also von Dingenbeeinflusst, die scheinbar nichts mit ihnen zutun haben. Wenn Ihre Willenskraftgeschwächt wird, weil Sie während einesFilms Ihre Tränen zurückhalten mussten,schlagen Sie sich später in einem scheinbarvöllig anderen Kontext eher den Bauch voll.

In einem anderen Test wurden jungeFrauen auf Diät mit einer vollen SchüsselM&Ms in Versuchung geführt, während sie

einen Tierfilm über Schafe sahen (der nichtauf die Tränendrüsen drückte). Einige derFrauen hatten die Schüssel direkt vor dieNase, weshalb sie dauernd der Versuchungwiderstehen mussten; die übrigen musstenaufstehen und den Raum durchqueren, um andie Süßigkeiten zu kommen. Später, in einemanderen Raum, in dem kein Essen in Sichtwar, sollten die Frauen unlösbare logischeAufgaben bearbeiten, mit denen im Labor oftdie Selbstdisziplin gemessen wird. SolcheTeilnehmerinnen, die direkt vor denSüßigkeiten gesessen hatten, warfen eher dasHandtuch als die anderen, was bedeutet, dassihr Wille geschwächt worden war, weil sie derVersuchung hatten widerstehen müssen.Wenn Sie Diät halten und Ihre Selbstdisziplinwahren wollen, sollten Sie also die Nähe zuSüßigkeiten vermeiden. Selbst wenn Siedieser Versuchung widerstehen, wird IhreWillenskraft geschwächt, weshalb Sie dernächsten Versuchung umso eher erliegen.

Es gibt jedoch noch eine weitereMöglichkeit, das Problem zu vermeiden, wieein drittes Experiment mit jungen Frauen undEssen beweist. Diesmal führten Vohs und

Heatherton ihr Experiment auch mit einerKontrollgruppe von Frauen durch, die keineDiät hielten, und die Unterschiede warenbemerkenswert. Diese Frauen konnten nebenverschiedenen Süßigkeiten sitzen, ohne ihreWillenskraft aufbieten zu müssen. Einige aßendavon, andere nicht, aber sie mussten sichnicht anstrengen, um der Versuchung zuwiderstehen, und sie gingen relativ frisch andie nachfolgenden Aufgaben. Die Frauen, dieDiät hielten, schwächten dagegen ihrenWillen, weil sie mit der Versuchung rangen.Dasselbe passiert Diäthaltenden, die auf einerParty vor einem üppigen Buffet stehen: EineWeile widerstehen sie, aber jeder Akt desWiderstands schwächt ihre Willenskraft. Undwährend ihre Willenskraft immer schwächerwird, kommt es zu einer weiteren undbesonders ärgerlichen Herausforderung. Umder Versuchung weiterhin widerstehen zukönnen, müssen sie ihre verloreneWillenskraft wiederherstellen. Aber dazubenötigt der Körper Glukose. Sie befindensich in einer Zwickmühle:

1. Um dem Essen zu widerstehen, benötigen

sie Willenskraft.2. Um Willenskraft zu haben, müssen sie

essen.

Angesichts dieses Dilemmas sagt sich der eineoder die andere vermutlich, dass es bessersei, die Diät ein wenig zu lockern. Sie könntensich einreden, dass es besser sei, ein bisschenzu essen, um das Gewissen zu beruhigen: »Ichmusste die Diät brechen, um sie zu retten.«Aber sobald die Diät einmal gebrochen ist,tritt der Scheißegal-Effekt ein und die Völlereibeginnt.

Süßigkeiten sind besonders gefährlich, dadie Selbstbeherrschung den Blutzuckerspiegelsenkt. Wenn Sie je eine Diät gemacht haben,dann kennen Sie vielleicht dieses plötzlicheVerlangen nach Schokolade oder Eis. Dabeihandelt es sich jedoch nicht nur umunterdrückte Wünsche, die Sie verfolgen. DasPhänomen hat biologische Gründe: DerKörper »weiß«, dass er durch dieWillensanstrengung Glukose verbrannt hatund dass Süßigkeiten den einfachsten Wegdarstellen, wieder Zucker zuzuführen. ImLabor lösten Versuchspersonen Aufgaben, die

nichts mit Essen oder Diäten zu tun hatten;danach hatten sie mehr Appetit aufSüßigkeiten als auf Salziges.176

Wenn das Bedürfnis überwältigend wird,können Sie verschiedene Strategienanwenden. Beispielsweise können Sie denTrick der aufgeschobenen Befriedigunganwenden und sich sagen, dass Sie spätereinen kleinen Nachtisch zu sich nehmendürfen, wenn Ihnen dann noch danachgelüstet. (Diesen Trick stellen wir später vor.)Essen Sie inzwischen etwas anderes.Erinnern Sie sich daran, dass Ihr KörperEnergie benötigt, weil er einen Teil durch dieSelbstdisziplinierung verloren hat. Zwarverlangt er nach Süßem, aber das ist nur eineMöglichkeit, ihm Energie zuzuführen. Auchgesunde Ernährung liefert diese Energie.Danach sehnen Sie sich zwar gerade nicht,aber es wirkt trotzdem.

Erinnern Sie sich auch daran, dass Sie imgeschwächten Zustand alles intensiverwahrnehmen als sonst, also auch IhreBegierden. Eine Diät zehrt konstant an IhrerWillenskraft, weshalb Sie dauerndgeschwächt sind. Daher empfinden Sie alles

besonders stark – leider auch IhrenHeißhunger. Das erklärt, warum vieleMenschen auf Diät eine gewisse Stumpfheitgegenüber ihrem Körper und seinenBedürfnissen entwickeln.

Aus dieser Zwickmühle gibt es keinenwundersamen Ausweg. Egal wie stark IhrWille ist, wenn Sie während Ihrer Diät langegenug neben der Kuchentheke sitzen undimmer wieder Nein sagen, wird aus dem Neinirgendwann ein Ja. Meiden Sie am besten dieKuchentheke – oder besser noch, machen Sieerst gar keine Diät. Statt Ihre Willenskraft aufeine Hungerkur zu vergeuden, sollten Siebesser ausreichend Glukose zu sich nehmen,um Ihre Willenskraft zu bewahren und mitHilfe dieser Selbstdisziplin langfristigeStrategien verfolgen, die mehr versprechen.

Ihr Schlachtplan

Wenn Sie gut gegessen und ausreichendGlukose im Blut haben, können Sie sich mitklassischen Strategien der

Selbstbeherrschung einen Schlachtplanzurechtlegen. Beginnen Sie mit derfreiwilligen Selbstverpflichtung. Amwirkungsvollsten wäre natürlich einMagenbypass, der Ihren Körper an derNahrungsaufnahme hindert, aber es gibtnatürlich auch humanere Formen. ZumBeispiel können Sie damit anfangen, alleDickmacher aus Ihrer Sicht- und Reichweitezu verbannen: So sparen Sie Willenskraft undKalorien. In einem Experiment aßenBüroangestellte ein Drittel wenigerSüßigkeiten, wenn sie diese in einerSchublade und nicht auf dem Schreibtischaufbewahrten.177 Wenn Sie verhindernwollen, dass Sie spätabends noch einmal anden Kühlschrank gehen, können Sie sich zumBeispiel gleich nach dem Abendessen dieZähne putzen; das hindert Sie zwar nichtdaran, sich ein Betthupferl zu genehmigen,doch das Zähneputzen ist eine Angewohnheit,die wir mit dem Schlafengehen assoziierenund uns ein unbewusstes Signal gibt, dassdanach nichts mehr gegessen wird. Auch aufeiner bewussten Ebene werden dieKartoffelchips oder die Schokolade weniger

attraktiv, denn vielleicht sind Sie zu faul, sichnoch einmal die Zähne zu putzen.

Sie können auch kompliziertere Formender Selbstverpflichtung wählen, etwa indemsie bei einem Buchmacher oder beiInternetanbietern wie fatbet.net oderstickK.com eine Wette abschließen, die Ihnenerlaubt, Ihre Ziele selbst festzulegen undStrafen einzuplanen. Eine harte Strafe,beispielsweise eine Spende von hundert odertausend Euro für eine Organisation oderPartei, die Sie nicht ausstehen können, kannSie motivieren. Aber erwarten Sie nicht, dassGeld Wunder wirkt, wenn Sie sichUnmögliches vornehmen. Ein realistischesZiel wäre, 5 oder 10 Prozent IhresKörpergewichts abzunehmen, doch darüberhinaus wird es schwierig. Die typischenWetter bei William Hill wollen pro Wocheanderthalb und insgesamt 35 Kilogrammabspecken – kein Wunder, dass sie ihreWetten fast durch die Bank verlieren.Teilnehmer bei stickK.com schneiden deutlichbesser ab, da die Seite nur Ziele vonhöchstens einem Kilo pro Woche und 18,5Prozent des Körpergewichts zulässt.

Es ist durchaus möglich, durch einedrastische Umstellung der Ernährung schnellsehr viel Gewicht zu verlieren, aber was nütztIhnen das, wenn die Diät zu streng ist, um siedauerhaft durchzuhalten? Nehmen Sie sichbesser kleinere Veränderungen vor, die Sielangfristig übernehmen können. Gestehen Siesich Zeit zu, um Ihr Ziel zu erreichen, undlassen Sie nicht locker, denn die eigentlicheKunst besteht darin, die abgespeckten Pfundenicht gleich wieder draufzufuttern. Wenn Siezum Abnehmen ein System aus Strafen undBelohnungen verwenden, behalten sie es bei,um Ihr Gewicht weiterhin konstant zu halten.

Sie können es auch mit einer anderenStrategie versuchen, die Psychologen als»Umsetzungsplan«178 bezeichnen und dieeine Möglichkeit darstellt, die Zeit undEnergie zu minimieren, die Sie auf dieKontrolle Ihrer Gedanken verwenden. Statteinen generellen Plan zurKalorienreduzierung aufzustellen, können Siesich für spezifische Situationen automatischeReaktionen zurechtlegen. So können Sie sichetwa schon im Voraus überlegen, was Siemachen, wenn Sie auf einer Party von

kalorienreichen Häppchen versucht werden.Der Umsetzungsplan sieht so aus: Wenn xpassiert, dann tue ich y. Je mehrVerhaltensweisen Sie über solcheautomatisierten Prozesse kontrollieren, umsoweniger Willenskraft vergeuden Sie. Das zeigtbeispielsweise der klassische Stroop-Test, denwir im ersten Kapitel beschrieben haben.Wenn Sie das Wort »grün« in grüner Farbegeschrieben sehen, fällt es Ihnen nichtschwer, die Farbe der Tinte zu benennen,aber Sie brauchen länger, wenn das Wort»blau« in grüner Farbe gedruckt ist. Und Siebrauchen noch länger, wenn Ihr Wille vorhergeschwächt wurde. Englische Wissenschaftlerstellten jedoch fest, dass sich die Erschöpfungdes Willens kompensieren lässt, wenn mansich entsprechend vorbereitet. Vor Beginnder Übung nahmen sich die Teilnehmer vor,nicht das ganze Wort anzuschauen, sondernnur den zweiten Buchstaben, um dessenFarbe zu identifizieren. Mit diesem Vorsatzautomatisierten sie die Aufgabe, weshalb sieweniger Energie aufwenden mussten und sieselbst mit geschwächtem Willen gut lösten.

Ehe Sie auf eine Party gehen, können Sie

beispielsweise einen einfachen Vorsatzfassen: Wenn es Kartoffelchips gibt, rühre ichsie nicht an. Oder: Wenn es ein Buffet gibt,esse ich nur Gemüse und mageres Fleisch.Das ist eine einfache, aber erstaunlichwirkungsvolle Möglichkeit derSelbstdisziplinierung. Wenn Sie dieEntscheidung automatisieren, keineKartoffelchips zu essen, können Sie sich auchnoch spätabends daran halten, wenn Ihr Willeschwächer wird. Und da es sich um einemühelose Übung handelt, können Sie auf dieKartoffelchips verzichten und haben immernoch genug Energie, um die nächsteVersuchung abzuwehren.

Eine radikalere Variante derSelbstverpflichtung wäre es, die Partyausfallen zu lassen und sich kalorienärmereFreizeitangebote zu suchen – und schlankereFreunde. Was nicht heißen soll, dass Sie Ihrenmoppeligen Kumpel nicht mehr sehen dürfen –aber es besteht sehr wohl ein Zusammenhangzwischen Ihrem Gewicht und dem derMenschen in Ihrem Bekanntenkreis.Netzwerkforscher haben festgestellt, dasssich dick und dick genauso gern gesellt wie

schlank und schlank.179 Dabei scheintgesellschaftliche Nähe eine größere Rolle zuspielen als räumliche Nähe: Sie nehmen eherzu, wenn Ihr Freund zunimmt, als wenn IhrNachbar zulegt. Es ist nicht einfach, Ursacheund Wirkung auseinanderzuhalten, dennvermutlich suchen wir auch Menschen, dieähnliche Gewohnheiten pflegen wie wir. Abergenauso verstärken wir natürlich gegenseitigunsere Normen und Standards. Mitgliedervon Weight Watchers180 nehmen unteranderem deshalb ab, weil sie mehr Zeit mitMenschen verbringen, die dasselbe Zielverfolgen. Dieses Phänomen haben wir schonbei den Rauchern gesehen, die eher mit demRauchen aufhören, wenn Freunde undVerwandte mitziehen.

Der Gruppenzwang könnte eine Erklärungdafür sein, warum Menschen in Europaschlanker sind als in den Vereinigten Staaten:Sie halten sich an andere soziale Normen undessen zum Beispiel nur zu festenEssenszeiten. Wenn europäischeSozialwissenschaftler in die VereinigtenStaaten kommen, um in den Campus-Laborsdas Essverhalten zu studieren, sind sie

regelmäßig verwundert, dass sie ihre Tests zujeder beliebigen Uhrzeit durchführen können:Amerikanische Studenten essen immer undüberall. In Ländern wie Frankreich oderItalien kann es jedoch schwierig werden, einRestaurant zu finden, das außerhalb derEssenszeiten geöffnet ist. Diese sozialenNormen schaffen Gewohnheiten, dieWillenskraft durch automatische mentaleProzesse ersetzen. Sie müssen keinebewusste Entscheidung treffen, ob Sie jetzteinen Imbiss zu sich nehmen oder nicht,sondern Sie können sich auf IhrenUmsetzungsplan verlassen: Es ist 16 Uhr, alsoesse ich nichts.

Mit Selbstkontrolle zurSelbstdisziplin

Wie oft sollten Sie sich auf die Waage stellen,wenn Sie abnehmen wollen? VieleErnährungsberater empfehlen, sich nichttäglich zu wiegen, da das Gewicht schwanktund Sie an Tagen, an denen Sie aus

unerfindlichen Gründen zunehmen, frustriertwerden könnten.181 Wenn Sie IhreMotivation erhalten wollen, so Experten, dannreiche es, wenn Sie sich einmal pro Wochewiegen. Dieser Rat überraschte Baumeisterund andere Selbstregulationsexperten, hattensie in ihrer Arbeit doch nachgewiesen, dasssorgfältige Kontrolle die Selbstdisziplin aufanderen Gebieten verbesserte. Daher führtensie eine langfristig angelegte Untersuchungunter Menschen durch, die abnehmenbeziehungsweise nicht wieder zunehmenwollten. Einige der Teilnehmer wogen sichtäglich, andere wöchentlich. Dabei stellte sichheraus, dass die Ernährungsberater irrten.

Wer sich täglich auf die Waage stellte, warbei der Gewichtskontrolle effektiver, verfielseltener in Fressorgien und zeigte keineAnzeichen von Frustration angesichts dertäglichen Konfrontation mit der Waage. Beiallen eigentümlichen Herausforderungen, diedas Abspecken mit sich bringt, ist eineklassische Strategie noch immer dieerfolgreichste: Je sorgfältiger und häufigerSie sich kontrollieren, umso besser haben Siesich im Griff. Wenn es Ihnen zu mühsam ist,

jeden Tag Ihr Gewicht zu notieren, gibt esinzwischen Waagen, die das für Sieübernehmen. Einige Modelle senden dieTageswerte an Ihren Computer oder IhrSmartphone, das Ihnen eine Tabelle erstellt.

Selbst einfache Formen der Kontrollekönnen sehr effektiv sein. Das erkanntenWissenschaftler, als sie einem sonderbarenPhänomen auf die Spur kamen: Warumnehmen Häftlinge zu? An derunwiderstehlichen Gefängniskost kann esjedenfalls nicht liegen, wenn männlicheHäftlinge bei ihrer Entlassung dicker sind alsbei ihrer Einweisung. Der Grund, so BrianWansink von der Cornell University, ist dieTatsache, dass die Häftlinge keine Gürtel undkeine enge Kleidung tragen. In ihren Overallsund weiten Hosen bemerken sie nicht, wennder Bund zwackt oder sie ihren Gürtel um einLoch weiter machen müssen.182

Aber Sie können nicht nur Ihren Körperbeobachten, sondern auch das, was Sie ihmzuführen. Wenn Sie genauestens Buchdarüber führen, was Sie essen, nehmen Sievermutlich weniger Kalorien zu sich. In einerUntersuchung nahmen die Teilnehmer, die

Tagebuch führten, doppelt so viel ab wieKontrollgruppen, die andere Technikenverwendeten.183 Es hilft auch, wenn Sie imAuge behalten, wie viele Kalorien einebestimmte Mahlzeit enthält, auch wenn dasoft nicht ganz einfach ist. Selbst Menschen,die regelmäßig Diät halten, unterschätzen dieEssensmenge auf dem Teller, vor allem beigrößeren Portionen. Die Warnungen derErnährungsexperten und die Tricks derLebensmittelindustrie tragen wenig zurAufklärung bei, Etiketten wie »fettarm« oder»organisch«184 erzeugen lediglich denAnschein von gesunder Ernährung.185Tierney ging diesem Phänomen imernährungsbewussten Stadtteil Park Slope,Brooklyn, nach und zeigte seinenVersuchspersonen ein Foto von einem Tellermit Geflügelsalat und einer Cola sowie einzweites Foto, auf dem zusätzlich ein paarCracker mit der gut lesbaren Aufschrift »freivon mehrfach gesättigten Fettsäuren« zusehen waren. Die Befragten waren sogefesselt von der vermeintlichen Qualität derCracker, dass sie die zweite Mahlzeit mit denCrackern für kalorienärmer einschätzten als

die erste und identische ohne Cracker. DasEtikett verwandelte das Essen auf magischeWeise in eine Diätmahlzeit. AndereUntersuchungen zeigen, dass Laien undExperten den Kaloriengehalt vonNahrungsmitteln mit der Aufschrift »fettarm«grundsätzlich unterschätzen und sichentsprechend größere Portionen einverleiben.

Um diese Probleme in den Griff zubekommen, können Sie beispielsweisegenauer auf die Kalorienangaben auf derPackung oder, so vorhanden, auf derSpeisekarte achten. Inzwischen gibt es auchSmartphone-Apps, die Kalorien überwachen.Wenn keine Kalorienangabe vorhanden ist,können Sie zumindest versuchen, auf dieEssensmenge auf Ihrem Teller zu achten, wasdie allerwenigsten tun. Viele Menschen sehenwährend des Essens fern oder unterhaltensich, und beides führt zu einer erhöhtenKalorienaufnahme. Wissenschaftler habenmehrfach nachgewiesen, dass wir vor demFernseher mehr essen, und zwar umso mehr,je interessanter der Film ist.186 EinUntersuchungsergebnis zeigte, dass Frauendreimal so viel aßen, wenn ihnen ein Film

gefiel.Auch beim Essen mit der Familie oder

Freunden, wenn wir mehr auf die Gesellschaftund weniger auf unseren Teller achten,nehmen wir mehr zu uns.187 Kommen Weinund Bier dazu, passen wir noch weniger auf,da Alkohol die Selbstwahrnehmung und damitunsere Selbstbeobachtung einschränkt. Aberauch im nüchternen Zustand sind wir oft sounaufmerksam, dass wir unbeirrt von einemTeller essen, der dauernd (und heimlich)nachgefüllt wird. Dies zeigte Brian Wansinkmit einem Experiment, in dem er Suppentellermit versteckten Schläuchen nachfüllte: DieVersuchsteilnehmer löffelten brav immerweiter, weil sie einfach daran gewöhnt sind,alles zu essen, was man ihnen vorsetzt.188Wenn Sie sich nicht durch Ihr Hungergefühlleiten lassen, sondern durch äußerlicheSignale, dann sind Sie besonders anfällig,wenn Ihnen große Portionen vorgesetztwerden. Das passiert schnell, ohne dass Siesich dessen bewusst werden: Wenn dieMahlzeit auf einem großen Teller serviertwird und die Getränke in weiten Gläsern,unterschätzen wir die Menge, weil wir

generell ein schlechtes Gefühl für Volumenbesitzen.189 Wenn in einem Kino diePopcorntüten nur in einer Dimension größerund zum Beispiel dreimal so hoch würden,dann würden Sie sofort erkennen, dass eineTüte dreimal so viel Popcorn enthält. Aberwenn die Tüte nicht nur höher, sonderngleichzeitig breiter und dicker wird, dannkann sich das Volumen verdreifachen, ohnedass Sie es mitbekommen. Also bestellen Siedie große Tüte und futtern das Popcorn biszum letzten Krümel. Sie haben zwar keinenEinfluss auf die Größe der Verpackungen undTeller in Kinos und Restaurants, aber zuHause können Sie Ihre Portionen reduzieren,indem Sie kleine Teller und schmale Gläserverwenden.

Sie können Ihren Konsum auch reduzieren,wenn Sie sich nach dem Essen mit demAbräumen Zeit lassen. In einem Experiment ineiner Kneipe aßen die Besucher deutlichweniger Hähnchenflügel, wenn die Kellner dieTeller mit den Knochen auf dem Tisch stehenließen. An anderen Tischen, an denen dieKellner zügig abräumten, schienen dieBesucher zu vergessen, wie viel sie bereits

gegessen hatten, aber an den Tischen, andenen die Besucher den Beweis vor Augenhatten, war dies nicht möglich. Die Knochenübernahmen die Kontrolle für die Besucher.

Sag niemals nie

Das Ergebnis einer Diät ist in der Regeldeprimierend, aber hin und wieder gibt esauch Ausnahmen. Deshalb haben wir uns diebeste Nachricht für den Schluss aufgehoben.Sie stammt aus einem Nachtisch-Experiment,das Marketingexperten durchführten, um einentscheidendes Problem derSelbstbeherrschung zu erforschen: Warum istes so schwer, Nein zu sagen? Mark Twainbrachte es in seinem Roman Tom Sawyer aufden Punkt: »Wenn man verspricht, etwas nichtzu tun, dann kann man ganz sicher sein, dassman genau das will.« Das ist einer derfrustrierendsten Aspekte der menschlichenPsyche, doch Nicole Mead und VanessaPatrick fanden Möglichkeiten, wie wir unsselbst austricksen können.

Die beiden Wissenschaftlerinnen begannenmit einem Gedankenexperiment, in dem sieden Teilnehmern Bilder von leckerenTörtchen und Eisbechern präsentierten. DieVersuchspersonen sollten sich vorstellen, dassdiese Leckereien im Restaurant auf einemDessertwagen an ihren Tisch gerollt werden.Einige sollten sich ausmalen, ihrenLieblingsnachtisch auszuwählen und zu essen.Der Rest stellte sich dagegen vor, auf denNachtisch zu verzichten; die eine Hälftedieser Gruppe sollte sich vorstellen, dass sieganz verzichtete, die andere, dass sie denGenuss auf einen späteren Zeitpunktaufschob.

Danach ermittelten dieWissenschaftlerinnen, wie oft die Gedankender Teilnehmer später zum Nachtischabschweiften. Sie wussten, dass wir aufgrunddes Zeigarnik-Effekts immer wieder an nichtabgeschlossene Aufgaben denken müssen,weshalb sie annahmen, dass vor allemdiejenigen Teilnehmer, die den Nachtischaufgeschoben hatten, von Gedanken daranheimgesucht würden. Erstaunlicherweisewurden die Genuss-Aufschieber weniger von

Gedanken an Süßes gequält als die beidenanderen Gruppen. Mead und Patrick warendavon ausgegangen, dass der Verzichtweniger Verlangen wecken würde, da dasGehirn den Fall für abgeschlossen hielt. Aberdas Gegenteil trat ein: Der aufgeschobeneGenuss suchte die Versuchspersonen wenigerheim als der verbotene.190 Beim Nachtischwollte das Gehirn offenbar kein Nein geltenlassen, zumindest nicht in diesem Experiment.

Was aber, wenn tatsächliches Essen aufdem Spiel stand? Um das herauszufinden,ließen die beiden Forscherinnen ihreTestpersonen einzeln einen Kurzfilm sehenund setzten ihnen dabei eine Schüssel M&Msvor die Nase. Einige Teilnehmer sollten sichvorstellen, sie hätten sich entschieden, dasssie während des Films so viele davon essenkonnten, wie sie wollten. Andere sollten sichvorstellen, dass sie gar keine Süßigkeitenessen wollten. Und die dritte Gruppe solltesich vornehmen, die M&Ms nicht jetzt zuessen, sondern später. Die Anweisungenwirkten: Die Teilnehmer der ersten Gruppeaßen deutlich mehr als die der beiden anderenGruppen. Nach dem Film sollten die

Teilnehmer ein paar Fragebögen zur Qualitätdes Labors ausfüllen, danach war dasExperiment nach Ansicht der Teilnehmerbeendet.

Während die Teilnehmer den Fragebogenausfüllten, reichten ihnen dieWissenschaftlerinnen scheinbar spontan dieSchüssel mit den M&Ms und sagten: »Sie sindfür heute die Letzte, die anderen sind schonalle weg, und die sind übrig. Bedienen Siesich!« Dann verließen sie den Raum undließen die Testperson mit dem Fragebogenund der Schüssel allein, offenbar ohne sichweiter dafür zu interessieren. Aber wieimmer passierte nichts spontan und zufällig.Die Wissenschaftlerinnen hatten die Schüsselzuvor gewogen und wogen sie ein weiteresMal, nachdem die Testperson gegangen war.

Als die Teilnehmer, die den Genussaufgeschoben hatten, mit den M&Ms alleinwaren, hatten sie die Chance, ordentlichzuzuschlagen. Man sollte vermuten, dass siedie Süßigkeiten jetzt mit beiden Händen insich hineinstopften, während die Teilnehmer,die verzichtet hatten, stark blieben undvielleicht ein paar davon aßen. Doch das

genaue Gegenteil war der Fall. Teilnehmer,die den Genuss aufgeschoben hatten, aßendeutlich weniger als diejenigen, die ganzverzichtet hatten.

Das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis.Wenn Sie sich sagen: »Das kann ich späteressen«, funktioniert das in Ihrem Gehirn fastso, als würden Sie es schon jetzt essen. Esbefriedigt das Bedürfnis bis zu einemgewissen Punkt und kann bei derUnterdrückung des Verlangens wirksamersein als der tatsächliche Verzehr. DieTeilnehmer, die den Genuss aufgeschobenhatten, aßen beim Ausfüllen des Fragebogenssogar noch weniger als diejenigen, diewährend des Films nach Belieben zuschlagendurften. Der Effekt schien also nachzuwirken.Am Tag nach dem Experiment erhielten dieTeilnehmer eine E-Mail mit der Frage: »WennIhnen jetzt jemand M&Ms anbieten würde,wie viele würden Sie essen?« Die Teilnehmer,die den Genuss aufgeschoben hatten,verspürten weniger Verlangen als dieTeilnehmer, die verzichtet hatten, oderdiejenigen, die nach Herzenslust essendurften.

Wenn Willenskraft erforderlich ist, umeinen Nachtisch auszuschlagen, dann fällt esIhrem Gehirn offenbar leichter, »später« zusagen als »nie«. Auf lange Sicht wollen Sieweniger und konsumieren weniger. Außerdemist der Genuss größer, wie ein anderesExperiment ergab. Die Teilnehmer solltenangeben, wie viel es ihnen wert wäre, ihrenLieblingsstar jetzt zu küssen, und wie viel,wenn sie ihn in drei Tagen küssen durften. Inder Regel zahlen wir mehr für sofortigeBefriedigung, aber in diesem Fall waren dieTeilnehmer bereit, für den aufgeschobenenGenuss mehr zu zahlen, weil sie dieErwartung drei Tage lang genießen konnten.Der aufgeschobene Genuss einer Crèmebrûlée oder eines Stücks Sachertorte gibtihnen Gelegenheit, die Vorfreude zu genießen.Wenn Sie die Süßigkeit schließlich essen,verspüren Sie ein geringeres Bedürfnis, sichvollzustopfen, und mäßigen sich eher. Aberwenn Sie dem Nachtisch völlig abgeschworenhaben und der Versuchung schließlichnachgeben, dann tritt der Scheißegal-Effektein und Sie schaufeln los.

Sagen Sie also niemals nie, wenn’s ums

Essen geht. Und starren Sie nicht sehnsüchtigauf die verbotenen Kuchenstücke, wenn derDessertwagen an Ihrem Tisch vorüberrollt.Sagen Sie sich einfach, dass Sie früher oderspäter alle probieren werden – nur nichtheute.

AUSBLICK

MIT WENIGER AUFWANDMEHR ERREICHEN

Gib mir Keuschheitund Enthaltsamkeit –aber jetzt noch nicht.

Gebet des heiligen Augustinusin seiner wenig heiligen Jugend191

Genau wie der heilige Augustinus würde sichjeder von uns gern disziplinieren können –aber bitte später. Aber wann kommt dieserTag für die weniger heiligen unter uns? Wennunsere Willenskraft begrenzt ist und dieVersuchungen immer weiter zunehmen, wielässt sich diese Tugend dann wiederbeleben?

Wir wollen wollen auf keinen Fall so tun,als handele es sich um einen Spaziergang,aber wir sind optimistisch, sowohl was unserPrivatleben als auch was die Gesellschaft alsGanze angeht. Die Versuchungen werdenzwar immer raffinierter, aber das trifft auchauf die Instrumente zu, mit denen wir siebekämpfen. Wie verstehen immer besser, wienützlich die Willenskraft ist. Diewissenschaftliche Literatur lässt sich aufeinen einfachen Nenner bringen: Sie könnenden Stress in Ihrem Leben am effektivstenverringern, wenn Sie keine Dummheiten mehrmachen. Das heißt, Sie müssen Ihr Leben soeinrichten, dass Sie eine realistischeErfolgschance haben. Für erfolgreicheMenschen ist ihre Willenskraft kein letzterRettungsanker, mit dem sie sich vor demUntergang bewahren. In der eingangs

erwähnten Beeper-Studie stellten Baumeisterund seine deutschen Kollegen fest, dass wirumso weniger Zeit damit zubringen,Versuchungen zu widerstehen, je mehrDisziplin wir mitbringen.

Anfangs wunderte sich Baumeister. DieSelbstdisziplin ist doch angeblich dazu da,Versuchungen zu widerstehen – warumnutzten disziplinierte Menschen sie dann nichtöfter? Die Erklärung war einfach: Sie musstenseltener auf ihre Willenskraft zurückgreifen,weil sie von vornherein weniger vonVersuchungen und inneren Konfliktengepiesackt werden. Sie legen ihr Leben so an,dass sie erst gar nicht in Schwierigkeitengeraten. Diese Schlussfolgerung passte zu denErgebnissen einer anderen Untersuchung, inder Baumeister mit Kollegen aus denNiederlanden zeigen konnte, dassdisziplinierte Menschen ihre Selbstdisziplinnicht in Rettungsaktionen und Notfällenverwenden, sondern dazu, in Schule und Berufeffektive Gewohnheiten und Routinen zuentwickeln.192 Inzwischen demonstrierenzahlreiche Untersuchungen, dass wir umsoweniger Stress empfinden, je besser wir unser

Leben dank dieser Gewohnheiten im Griffhaben.193 Wir können unsere Disziplin dazuverwenden, Krisen von vornherein zuvermeiden: Wir gestehen uns genug Zeit fürein Projekt zu, bringen das Auto in dieWerkstatt, ehe es liegen bleibt, und halten unsvon Buffets fern. Wir müssen nicht warten, bises zu spät ist, sondern können die Initiativeergreifen.

In diesem Schlusskapitel wollen wir unseinige Strategien ansehen, die uns helfen, dieInitiative zu ergreifen. Beginnen wollen wirmit einer offensichtlichen, aber weithinignorierten Regel: Schieben Sie nichts auf.Aufschieben ist ein verbreitetes Laster.Cicero194 nannte es »verächtlich« undJonathan Edwards195 , Führer derErweckungsbewegung des 18. Jahrhunderts,widmete dieser »Sünde und Narrheit« eineganze Predigt. In Umfragen gestehen 95Prozent aller Befragten, zumindestgelegentlich aufzuschieben (wir haben keineAhnung, wer die übrigen 5 Prozent sein sollenoder wem sie etwas vormachen wollen). DasProblem scheint mit der Modernisierung derGesellschaft und den zunehmenden

Versuchungen nur immer gravierender zuwerden. Der Psychologe Piers Steel196 , derinternationale Daten aus vier Jahrzehntenausgewertet hat, kommt zu dem Schluss, dassdie Zahl der bekennenden Aufschieber –Menschen, die das Aufschieben alspersönliches Markenzeichen akzeptieren –weiter zunimmt und heute weltweit bei 20Prozent liegt. In einigen Umfragen in denVereinigten Staaten bekennt sich mehr als dieHälfte der Befragten zum chronischenAufschieben, und Arbeitnehmer schätzen,dass sie ein Viertel ihrer Arbeitszeit – alsoetwa zwei Stunden am Tag – damitvergeuden. Wenn man vomDurchschnittsgehalt ausgeht, bedeutet das,dass jeder Mitarbeiter pro Jahr 7 000 Eurofürs Nichtstun bekommt.

Psychologen und Aufschieber wälzen dieSchuld gern auf ihren Perfektionismus ab.Angeblich haben Perfektionisten Angst, einProjekt anzufangen, weil sie befürchten, dasErgebnis könne ihren eigenen Ansprüchennicht genügen, deshalb bekommen sieLadehemmung und tun gar nichts. Das klingtschmeichelhaft und mag in einigen Fällen

sogar zutreffen, doch Wissenschaftler habenbisher vergeblich nach diesemZusammenhang zwischen Aufschieben undPerfektionismus gesucht. Psychologenkönnten dieser Theorie vielleicht deshalb aufden Leim gegangen sein, weil Perfektionisteneher in ihren Praxen vorstellig werden als dieweniger ehrgeizigen Aufschieber. Aber esgibt eine Menge anderer Menschen mit hohenAnsprüchen, die nicht aufschieben und guteArbeit leisten, ohne sich Nächte amSchreibtisch um die Ohren zu schlagen.

Eine Eigenschaft, die bei Aufschieberndagegen sehr wohl immer wiedernachgewiesen wird, ist ihre Impulsivität.197Diese Verbindung erklärt auch, warumMänner, und vor allem junge Männer, mehraufschieben als Frauen: Männer habenschwerer kontrollierbare Impulse. WennAufschieber vor einer schwierigen Aufgabezittern oder sich über einer Routinetätigkeitlangweilen, geben sie der Versuchung nach,sich ein wenig aufzuheitern und lieber etwasanderes zu tun. Sie suchen die sofortigeBefriedigung und spielen lieber ein Videospielstatt das Geschirr zu spülen oder einen

Bericht zu schreiben. Die langfristigenKonsequenzen ignorieren sie einfach. Wennsie von Gedanken an die bevorstehendeDeadline gestört werden, reden sich vielesogar ein, dass es besser ist, bis zur letztenMinute zu warten: »Ich arbeite am bestenunter Druck!« Aber meistens machen sie sichetwas vor, wie Baumeister und seine FrauDianne Tice beobachteten.

Der Deadline-Test198

Das Experiment fand in einer Umgebung statt,in der es vor Aufschiebern nur so wimmelt: aneiner Universität. Studenten geben freimütigzu, ein Drittel des Tages mitArbeitsvermeidung zuzubringen, und werweiß, wie viel Zeit sie wirklich verplempern.Tice, die an der Case Western Universityeinen Kurs zum ThemaGesundheitspsychologie unterrichtete,entwickelte verschiedene Methoden, um dieAufschieber in ihrem Kurs zu identifizieren.Zu Beginn des Semesters sollten die

Studenten einen Fragebogen zu ihrenArbeitsgewohnheiten ausfüllen. Dann setztesie als Abgabetermin für die Abschlussarbeiteinen Freitag gegen Ende des Semesters fest.Sie kündigte außerdem an, dass Studenten,die diese Deadline verpassten, ihre Arbeit amdarauffolgenden Dienstag abgeben konnten,und wer auch das nicht schaffte, konnte sieam nächsten Freitag, also eine ganze Wochenach dem eigentlichen Termin, in ihrem Bürovorbeibringen. Später erfuhr sie, dass sicheinige der Studenten, die sich auf dem erstenFragebogen als chronische Aufschieber zuerkennen gegeben hatten, nicht einmal dieMühe gemacht hatten, die ersten beidenTermin zu notieren: Für sie war derletztmögliche Stichtag der einzige, derwirklich von Belang war.

Die Abschlussarbeiten wurden vonAssistenten korrigiert, die nicht wussten, zuwelchem Zeitpunkt sie abgegeben wordenwaren, aber Tice und Baumeisterregistrierten das Abgabedatum natürlich, umes mit der Leistung der Studenten in Relationsetzen zu können. Die Aufschieber, die sich inden Fragebögen als solche bezeichnet hatten

oder ihre Arbeiten auf den letzten Drückerabgegeben hatten, schnitten in jeder Hinsichtschlechter ab: Sie bekamen schlechtereNoten auf ihre Abschlussarbeiten und auf ihreZwischen- und Abschlussprüfungen. Aberzogen sie vielleicht anderswo einen Vorteilaus ihrer Bummelei? Eine andere Aufgabe derStudenten bestand darin, während desSemesters ein Gesundheitstagebuch zu führenund festzuhalten, wann sie welcheKrankheitssymptome hatten und wann sie zumArzt gingen. Als Tice die Ergebnisse verglich,machte sie eine erstaunliche Feststellung: DieFaulenzer lebten offenbar gesünder! Siewaren seltener krank und gingen wenigerhäufig zum Arzt. Es schien einen einfachenAusgleich zu geben: Die Streber gaben ihreArbeit rechtzeitig ab und bekamen bessereNoten, aber die Aufschieber waren gesünder.Der Fleiß hatte offenbar seinen Preis,vielleicht weil er dem Immunsystem Glukoseabzwackte. Aber als Baumeister und Ticeüber den Ergebnissen rätselten, fiel ihnen auf,dass die Studenten ihreGesundheitstagebücher schon eine Woche vorEnde des Semesters abgegeben hatten, also

kurz bevor die Aufschieber sich an denSchreibtisch setzten. Sie waren zwargesünder, solange sie faulenzten, aber waspassierte am Semesterende, als dieAbgabetermine näher rückten?

Also wurde das Experiment im nächstenSemester mit einem anderen Kurs wiederholt,und diesmal mussten die Teilnehmer ihrGesundheitstagebuch bis zum Tag derAbschlussprüfung führen. Wieder erzielten dieAufschieber schlechtere Leistungen underfreuten sich zu Beginn des Semesters einerbesseren Gesundheit. Während die Streber anihren Aufsätzen arbeiteten und Triefnasenhatten, spielten die Aufschieber im ParkFrisbee, entspannten sich auf Partys undschliefen aus. Solange der Abgabetermin inweiter Ferne liegt, genießen die Aufschieberdas Leben. Aber irgendwann bekommen siedie Quittung. Gegen Ende des Semesterslitten sie deutlich mehr unter Stress als ihreKommilitonen. Jetzt mussten sie sichzusammenreißen, um alle überfälligenAufgaben zu erledigen – und in diesemMoment nahmen die Krankheiten rasant zu.Nun waren die Aufschieber häufiger krank als

die anderen Studenten, und zwar so deutlich,dass der Vorteil vom Beginn des Semestersmehr als aufgewogen wurde. DieNachtschichten forderten ihren Tribut.

Die schlimmsten Faulenzer schafften esnicht einmal, ihren Aufsatz zum letztenAbgabetermin einzureichen. Sie machten voneiner Option Gebrauch, die vieleUniversitäten anbieten, und verschoben dieAbgabe ins kommende Semester. Die CaseWestern University offerierte dieseMöglichkeit, sie erkannte die Leistung jedochnur an, wenn die verspäteten Arbeiten bis 17Uhr an einem Freitag gegen Ende desfolgenden Semesters in der Verwaltungabgegeben wurden. Dieser Freitag stellte dieletztmögliche Deadline dar und war nichtweiter verhandelbar. Unter den Studenten,die diese Option nutzten, war natürlich auchdie Studentin, die im Aufschiebefragebogen zuBeginn des Semesters am schlechtestenabgeschnitten hatte. Laut den Regeln derUniversität war sie dafür verantwortlich, sichmit ihrer Professorin in Verbindung zu setzenund einen Fahrplan für die Abgabe ihrerArbeit zu vereinbaren. Die Wochen

verstrichen, aber die Studentin meldete sichnicht. Schließlich, am Nachmittag desentscheidenden Freitags, kaum zwei Stundenvor dem Abgabetermin, rief sie an.

»Hallo Dr. Tice«, sagte sie mit fröhlicherStimme. »Könnten Sie mich noch malerinnern, wann der Aufsatz für den Kurs imletzten Semester fällig ist?«

Wie nicht anders zu erwarten, schaffte siees nicht mehr rechtzeitig, ihren Aufsatzabzugeben. Irgendwann kommt der Punkt, andem Ihnen auch die stärkste Willenskraftnicht mehr hilft. Aber die meisten Menschen,selbst chronische Faulenzer, können diesemSchicksal entgehen, indem sie lernen, nichterst so lange zu warten, sondern die Initiativezu ergreifen. Wir haben uns in diesem BuchHunderte Experimente und Strategien zurSelbstdisziplin angesehen. Nun ist derMoment gekommen, sie auszuwerten und zunutzen.

Akzeptieren Sie IhreGrenzen

Egal was Sie sich vornehmen: Wenn Sie dieInitiative ergreifen wollen, müssen Sie alsallererstes zwei grundlegende Lektionen ausdem ersten Kapitel beherzigen: Erstens istIhre Willenskraft begrenzt, und zweitensbenutzen Sie diese begrenzte Ressource fürviele unterschiedliche Aufgaben. JedenMorgen beginnen Sie mit frischen Kräften,zumindest wenn Sie ausreichend geschlafenund gut gefrühstückt haben. Aber den ganzenTag über nagen alle möglichen Dinge an IhrerWillenskraft. Angesichts der Komplexität desmodernen Lebens ist es schwer, all diescheinbar unabhängigen Anforderungen imBlick zu behalten, die daran zehren.

Schauen wir uns nur einmal einentypischen Tag an: Sie quälen sich aus demBett, obwohl Sie lieber noch eine Rundeschlafen würden. Sie kämpfen mit denFrustrationen des Straßenverkehrs. Siebeißen sich auf die Zunge, wenn Sie sich überIhren Chef oder Ihren Partner ärgern oderwenn ein Verkäufer »einen Moment bitte«sagt und sich erst fünf Minuten später um siekümmert. Sie versuchen, interessiertdreinzublicken, während ein Kollege in einem

Meeting endlose Monologe hält. Sieunterdrücken den Impuls, die Toiletteaufzusuchen. Sie raffen sich auf, einschwieriges Projekt anzufangen. BeimMittagessen würden Sie am liebsten allePommes auf Ihrem Teller aufessen, aber sielassen die Hälfte liegen, oder (nach einerschwierigen Verhandlung mit sich selbst)zumindest fast die Hälfte. Sie zwingen sich,nach der Arbeit joggen zu gehen und dieganze Strecke zu laufen. Je nachdem, wie vielWillenskraft Sie auf jede dieser Aufgabenverwenden, sind Sie am Abend mehr oderweniger ermattet.

Diese Erschöpfung ist nicht unmittelbarerkennbar, und Sie bemerken nicht, wie diesIhre Entscheidungen beeinflusst. Kaumjemand hat ein Gespür dafür, wie ermüdendEntscheiden ist. Was wollen Sie essen? Wohinwollen Sie im Urlaub verreisen? Wen sollenSie einstellen? Wie viel wollen Sie ausgeben?Das alles sind Fragen, die Willenskraft kosten.Selbst hypothetische Entscheidungen kostenKraft. Und denken Sie daran: Wenn Sieschwierige Entscheidungen getroffen haben,reagieren Sie weniger beherrscht.

Denken Sie auch daran, dass nicht dasErgebnis Einsatz erfordert, sondern derEntscheidungsprozess selbst. Wenn Sie miteiner Versuchung ringen und schließlichnachgeben, schwächt Sie der Kampftrotzdem. Wenn Sie am Ende einknicken,führt Ihnen dies die bereits verbrauchteWillenskraft nicht wieder zu. Das Ergebnis istlediglich, dass Sie keine weitere Willenskraftaufbringen müssen. Auch wenn Sie denganzen Tag über einer Versuchung nach deranderen nachgeben, haben Sie am Endetrotzdem sämtliche Energie aufgebraucht,weil Sie jeder ein bisschen widerstandenhaben. Auch wenn Sie sich dazu zwingen,Dinge zu tun, die Sie eigentlich gar nichtwollen – Tequila trinken, mit Ihrem Partnerschlafen, eine Zigarre rauchen –, dannschwächt das Ihre Willenskraft. Am meistenerschöpfen Entscheidungen, die Ihnenschwerfallen, auch wenn sie für andere aufder Hand liegen mögen. Einerseits sind Sieüberzeugt, dass Sie die günstige Wohnung mitdem zusätzlichen Zimmer mieten sollten, aberes kann Sie trotzdem eine Menge Willenskraftkosten, die unpraktische Wohnung mit der

tollen Aussicht auszuschlagen.

Halten Sie nach SymptomenAusschau

Leider können Sie es nicht spüren, wenn IhreWillenskraft erschöpft ist. Daher müssen Sienach kleinen, leicht zu übersehenden ZeichenAusschau halten. Ärgern Sie sich mehr überDinge als gewöhnlich? Wirkt es, als hättejemand den Lautstärkerregler aufgedreht,sodass Sie alles intensiver wahrnehmen? Fälltes Ihnen plötzlich schwer, sich in deneinfachsten Fragen eine Meinung zu bilden?Treffen Sie Entscheidungen widerwilliger alssonst, und verspüren Sie weniger Lust, sichgeistig oder körperlich anzustrengen? WennSie diese Symptome an sich beobachten, danndenken Sie an die vergangenen Stundenzurück und fragen Sie sich, ob IhreWillenskraft erschöpft sein könnte. Wenn ja,versuchen Sie, Ihre verbleibenden Kräfte zuschonen, und rechnen Sie mit denAuswirkungen auf Ihr Verhalten.

In diesem Zustand der Erschöpfungempfinden Sie Enttäuschungen alsfrustrierender. Sie neigen eher dazu, Dinge zusagen, die Sie später bereuen. Es fällt Ihnenschwerer, dem Impuls zu widerstehen, etwaszu essen, zu trinken oder Geld auszugeben.Wie wir gesehen haben, besteht die besteMethode der Stressvermeidung darin, keineDummheiten zu begehen, aber wenn Sieerschöpft sind, dann unterläuft Ihnen eher einFehltritt und Sie müssen nachher Rechnungenzahlen, Beziehungen kitten oder Pfundeabspecken. Hüten Sie sich davor,Entscheidungen zu treffen, wenn IhreBatterien leer sind, denn in diesem Zustandbevorzugen Sie Optionen, die kurzfristigenGewinn versprechen oder deren Kosten Sieerst später zu tragen haben. Geben Sie denlangfristigen Konsequenzen IhrerEntscheidung größeres Gewicht.

Um kein Opfer irrationaler Vorurteile undfauler Abkürzungen zu werden, benennen Siedie Gründe für eine Entscheidung undüberlegen Sie sorgfältig, wie sinnvoll diese ist.

Auch Ihr Gerechtigkeitssinn und IhreUrteilsfähigkeit werden in Mitleidenschaft

gezogen. Sie neigen eher zum Status quo undweniger zu Kompromissen, vor allem wenn dieKompromissfindung viel Denkarbeit erfordert.Wie die erschöpften Richter im vierten Kapiteltendieren Sie zu den sicheren und einfacherenLösungen, auch wenn andere dadurch zuSchaden kommen. Wenn Sie sich dessenbewusst sind, können Sie einige Fußangelnvermeiden.

Wie der Schauspieler Jim Turner den wirim zweiten Kapitel kennen gelernt haben, sindSie womöglich nicht mehr in der Lage, dieeinfachsten Entscheidungen zu treffen, selbstwenn sie Ihnen nützen. In seiner Ein-Mann-Show über seinen Kampf mit dem Diabeteserzählt Turner von einem Tag am Strand, andem sein Blutzuckerspiegel plötzlichgefährlich sank. Ihm war klar, dass er undsein damals vierjähriger Sohn schleunigstaufbrechen mussten, also sammelten sie dieSpielsachen ein und packten sie in die Kisten,die sie mitgebracht hatten. Es war eineRoutineangelegenheit, aber wegen seinesniedrigen Blutzuckerspiegels wusste Turnernicht, was er tun sollte: Welches Spielzeugsollte in welche Kiste? In seiner Verzweiflung

hielt er sich an die erstbeste Regel, die ihm inden Kopf kam: Jedes Spielzeug musste genauin dieselbe Kiste, in der sie es gebrachthatten. Daher vergeudete er wertvolle Zeitdamit, die Spielsachen aus einer Kiste in dieandere zu packen, während seinBlutzuckerspiegel immer weiter in den Kellerging. Als sie endlich in Richtung einerImbissbude am Strand aufbrachen, stand ervor einer weiteren Frage.

»Ich habe eine Viertelstunde dagestandenund hin und her überlegt: Erst pinkeln odererst essen? Mein Sohn hat mich an der Handgezogen, aber ich konnte mich einfach nichtentscheiden. Die Frage hat mich derarterschöpft, dass ich mich erstmal hinsetzenmusste. Mein Sohn ist ausgerastet. Wir habeneine halbe Stunde dagesessen, bis ich endlichaufgestanden und zur Imbissbude gegangenbin.«

Wenn Sie das nächste Mal mit einereinfachen Entscheidung ringen, denken Sie anTurner, der im Sand sitzt und zu erschöpft ist,um zu wissen, ob er etwas essen soll. Daskann Glukosemangel mit Ihnen anstellen. »Esfühlt sich so an, als hätte Ihnen jemand einen

Teil Ihres Gehirns geklaut«, erklärt Turner.»Sie können sich nicht konzentrieren. Siestarren vor sich hin und wissen, dassirgendetwas passieren sollte, und Sie fragensich, warum Sie es nicht schaffen.« Siebringen es nicht fertig, bis Sie dieEntscheidung treffen, die Turner rettete:Essen Sie etwas. Wissenschaftler tanken IhreVersuchspersonen mit zuckerhaltigenGetränken auf, weil diese am schnellstenwirken, aber Proteine sind besser. NehmenSie eine gesunde Mahlzeit zu sich, warten Sieeine halbe Stunde – und die Entscheidung fälltIhnen viel leichter.

Wo wollen Sie Ihre Energieinvestieren?

Sie können die Belastungen, die auf Siezukommen, weder kontrollieren nochvorhersehen. Aber Sie können die ruhigenMomente nutzen, um Ihre Initiative zu planen.Beginnen Sie ein Fitnessprogramm. LernenSie etwas Neues. Hören Sie mit dem Rauchen

auf. Reduzieren Sie Ihren Alkoholkonsum.Nehmen Sie ein oder zwei Veränderungenvor, um sich dauerhaft gesünder zu ernähren.Das sind Dinge, die Sie am besten in Zeitenangehen, in denen Sie relativ unbelastet sindund Ihren Willen auf diese Aufgabekonzentrieren können. Sie können sich genauüberlegen, wo Sie Ihre Energie investierenwollen, und in Ruhe entscheiden, welche Zieledie Mühe nicht lohnen. Selbst jemand mit demeisernen Willen und der erstaunlichenSchmerztoleranz eines David Blaine hat seineGrenzen. Als wir ihm von StanleysExpeditionen im Urwald erzählten,schauderte ihm bei dem Gedanken an dieMückenschwärme. »Das würde ich nichtaushalten«, antwortete er. »Vor Moskitoskapituliere ich. Das wäre mir zu viel.«

Wenn Sie überlegen, wo Sie Ihre Energieinvestieren wollen, dann schauen Sie über dieunmittelbaren Herausforderungen hinaus undsuchen Sie eine umfassendere Perspektive.Sind Sie schon da, wo Sie sein wollen? Waskönnte besser sein? Was können Sie ändern?Diese Fragen können Sie sich natürlich nichtjeden Tag stellen, schon gar nicht während

anstrengender Zeiten, in denen Sie viel zu tunhaben. Aber Sie können wenigstens einen Tagim Jahr – zum Beispiel Ihren Geburtstag – zumNachdenken verwenden und schriftlichfesthalten, was Sie im Vorjahr erreicht haben.Wenn Sie das jedes Jahr wiederholen, könnenSie die Aufzeichnungen aus den Vorjahrenlesen, um zu sehen, welche Fortschritte Siegemacht haben, welche Ziele Sie erreichthaben, welche Ziele noch warten und welcheunerreichbar sind. Sie sollten immermindestens ein grobes Fünf-Jahres-Ziel haben,aber auch konkrete Ziele wie dieMonatspläne, die wir im dritten Kapitelvorgestellt haben. Es hilft, wenn Sie eineVorstellung davon besitzen, was Sie imkommenden Monat erreichen wollen und wieSie dahin kommen. Seien Sie jedoch flexibelund gehen Sie davon aus, dass SieRückschläge erleben. Wenn Sie am Ende desMonats Ihren Fortschritt überprüfen,erinnern Sie sich daran, dass Sie nicht alleZiele erreichen müssen – das Entscheidendeist, dass Ihr Leben von Monat zu Monat einbisschen besser wird.

Wenn Sie im Hauruckverfahren gewaltige

Veränderungen erreichen wollen, könnten Siedas Gegenteil bewirken. Wenn Sie es nichtschaffen, mit dem Rauchen aufzuhören,versuchen Sie zumindest, Ihren Konsum aufzwei oder drei Zigaretten am Tag zureduzieren. Wenn Sie zu viel trinken, abernicht ganz auf Alkohol verzichten wollen,können Sie vielleicht damit leben, denAlkoholgenuss auf die Wochenenden zubeschränken oder zumindest an bestimmtenWochentagen keinen Alkohol zu trinken.Können Sie an einem Abend eine Alkoholpausevon einer Stunde einlegen, um zu sehen, woSie stehen, und dann zu entscheiden, ob Sieweitertrinken oder nicht? Wenn ja, dannkönnte das eine effektive Möglichkeit derSchadensbegrenzung sein; wenn nicht, dannmachen Sie sich nichts vor. Um effektiv zuplanen, sollten Sie sich auch Ihre Willenskrafteinteilen. Worauf wollen Sie sie heute, heuteAbend oder nächsten Monat verwenden?Wenn Sie besondere Aufgaben zu erledigenhaben – wenn Sie zum Beispiel IhreSteuererklärung ausfüllen oder beruflichreisen müssen –, dann sollten Sie sichüberlegen, woher Sie den Willen dazu nehmen

und welche Aktivitäten Sie dafür zurückfahrenkönnen.

Wenn Sie Ihre Zeit planen, räumen Sie derPlackerei nicht mehr Raum ein als nötig.Erinnern Sie sich an Parkinsons Gesetz199 :Jede Tätigkeit benötigt so viel Zeit, wie zuihrer Erledigung zur Verfügung steht. SetzenSie sich für unangenehme Aufgaben einZeitlimit. Sie könnten den ganzen Tag damitzubringen, den Keller auszumisten oder denSchrank aufzuräumen, wenn Sie denn einmaldazu kämen; aber Sie kommen nicht dazu,weil Sie keinen ganzen Tag auf eine derartlangweilige Aufgabe verwenden wollen. Aberwenn Sie sich ein klares Zeitlimit von zweiStunden setzen, dann schaffen Sie es vielleichtschon nächsten Samstag, und wenn Sie amEnde feststellen, dass die Zeit doch nichtgereicht hat, können Sie immer noch für einanderes Wochenende zwei Stunden einplanen.Auch Produktivitätsguru David Allen hütet sichvor Parkinsons Gesetz. Wenn er zuVortragsreisen aufbricht, fängt er erst 35Minuten vor der Abfahrt mit dem Packen an.»Ich weiß, dass ich es in 35 Minuten schaffe«,sagt er. »Aber wenn ich früher anfange,

könnte ich vermutlich auch sechs Stundendamit zubringen. Eine Deadline zwingt mich,Entscheidungen zu treffen, um die ich michdrücke, wenn ich mehr Zeit zur Verfügunghabe. Ich kenne mich inzwischen, und ichhabe Wichtigeres zu tun.«

Erstellen Sie eine To-do-Liste

Auch wenn wir das ganze dritte Kapitel denVorteilen der To-do-Liste gewidmet haben, istuns klar, dass viele Leser trotzdem wenigmotiviert sind, eine solche Liste zu erstellen,weil es zu anstrengend und abschreckendklingt. Wenn dem so ist, dann stellen Sie sichvor, dass es sich um eine To-don’t-Listehandelt: um einen Katalog von Dingen, um dieSie sich keine Gedanken mehr machenmüssen, wenn Sie sie aufschreiben. Wenn Sienicht erledigte Aufgaben einfach ignorierenwollen, dann quält sich Ihr Unbewusstes mitihnen herum, wie wir anlässlich des Zeigarnik-Effekts gesehen haben. Auch wenn Sie sich

noch so sehr bemühen, den Gedanken daranaus Ihrem Kopf zu verbannen, Sie werden ihnnicht wieder los, genauso wenig, wie Sie einenlästigen Ohrwurm wieder aus dem Kopfbekommen.

Aber Ihr Unbewusstes lässt sichbeschwichtigen, wenn Sie einen konkretenPlan aufstellen. Sie sollten sich zumindest dennächsten konkreten Schritt vornehmen: Wassoll ich tun? Wen soll ich kontaktieren? Wiemache ich es? (Persönlich? Telefonisch? PerE-Mail?) Habe ich die Kontaktdaten? WennSie schon genau planen können, wann und woSie den nächsten Schritt unternehmen, umsobesser, aber das ist nicht nötig. Sobald Sieden nächsten Schritt festgelegt undfestgehalten haben, kann sich IhrUnbewusstes entspannen.

Vorsicht vor derPlanungsfalle!

Wenn Sie sich Ziele setzen, sollten Sie sichjedoch vor der Planungsfalle 200 hüten. Sie

betrifft jeden, vom Studenten bis zumerfahrenen Manager. Haben Sie jemalsgehört, dass eine Autobahn oder ein Gebäudeein halbes Jahr vor der geplantenFertigstellung eingeweiht wurde? Die meistenProjekte kosten mehr Zeit und Geld alsgeplant.

Die Planungsfalle wurde in einemExperiment mit Studenten erforscht, die anihrer Abschlussarbeit saßen. Der PsychologeRoger Buehler und seine Kollegen baten siedarum, zu schätzen, wann sie die Arbeitabschließen würden, und zwar im besten undim schlechtesten Fall. Die Studenten gingenim Durchschnitt davon aus, dass sie 34 Tagebenötigen würden, aber am Ende brauchtensie fast doppelt so lange, nämlich 56 Tage.Nur eine Hand voll schloss die Arbeit zumfrühesten geschätzten Zeitpunkt ab.Eigentlich hätte es nicht weiter schwer seinsollen, zumindest das späteste geschätzteDatum einzuhalten, das auf der Annahmebasierte, dass alles schiefging, wasschiefgehen konnte. Aber auch das war esnicht. Nicht einmal die Hälfte der Studentenstellte ihre Arbeit vor diesem Termin fertig.

Diese Planungsfalle kann jeden treffen, vorallem aber die Aufschieber, die meinen, siewürden die Arbeit in einem konzentriertenSchub auf den letzten Drückerfertigbekommen. Diese Strategie könntefunktionieren, wenn sie sich ausreichendSpielraum vor der Deadline einräumenwürden, aber das tun sie natürlich nicht. Sieunterschätzen die erforderliche Zeit undstellen dann fest, dass sie zu knapp wird, umdie Arbeit ordentlich zu erledigen.

Sie können die Planungsfalle vermeiden,wenn Sie sich zwingen, sich an vergangeneErfahrungen zu erinnern. Wenn die säumigeStudentin von Dianne Tice ernsthaft darangedacht hätte, wie lange sie an früherenSemesterarbeiten gesessen hatte, dann hättesie für diese vielleicht etwas mehr Zeiteingeplant als zwei Stunden. DiejenigenStudenten, die in dem eben beschriebenenExperiment aufgefordert wurden, sich anfrüheren Erfahrungen zu orientieren,verhielten sich bei der Einschätzung der Zeit,die sie für ihre Abschlussarbeiten benötigenwürden, sehr viel realistischer. Außerdemwaren sie deutlich realistischer bei der

Einschätzung der Zeit, die andere für ihreArbeit benötigen würden. Jeder von uns,Faulenzer oder nicht, neigt dazu, die eigeneArbeit zu optimistisch einzuschätzen, weshalbes sinnvoll ist, andere zu bitten, einen Blickauf unsere Pläne zu werfen. Sie könnten ihnenbeispielsweise in einer kurzen E-Mail oder ineinem Gespräch Ihr Vorhaben skizzieren.Oder Sie könnten etwas systematischervorgehen (ohne sich in Details zu verlieren)und eine Managementtechnik nutzen, dieAaron Patzer von Mint.com verwendet, umkleine Start-ups zu führen oder die Finanzenvon Millionen von Menschen zu verfolgen.

»Wir fordern unsere Mitarbeiter auf, ihrewichtigsten Wochenziele zu formulieren«,erklärt Patzer. »Es dürfen nicht mehr als dreisein, und wenn es weniger sind, ist es auch inOrdnung. Jede Woche sehen wir uns an, wasjeder in der Vorwoche geleistet hat, ob dieZiele erreicht wurden oder nicht, und dannsetzt sich jeder die wichtigsten drei Ziele fürdie kommende Woche. Wenn Sie nur dieersten beiden Ziele erreichen, ist das inOrdnung, aber Sie können sich nicht an dieUmsetzung der anderen Ziele machen, ehe

Sie nicht die obersten drei abgearbeitethaben. Das ist eine einfache Methode, abersie zwingt Sie dazu, Prioritäten zu setzen, undsie ist strikt.«

Vergessen Sie nicht, dieSocken zu wechseln

Wenn Sie an der Umsetzung eines Zielsarbeiten, spart Ihr Gehirn automatischanderswo mit Energie. Erinnern Sie sich andie Studenten aus dem ersten Kapitel, diewährend der Prüfungsphase keine frischenSocken mehr anzogen, ihre Haare nicht mehrwuschen, kein Geschirr mehr spülten und sichnur noch von Fastfood ernährten? Sie hieltendas vermutlich für eine sinnvolle Maßnahme,um Kräfte für ihre Prüfungen zu sparen. Aberihre Mitbewohner, die ihre stinkenden Sockenertragen und ihnen den Dreckhinterherräumen mussten, sahen daswahrscheinlich anders, und die Diskussionenwaren vermutlich für alle kräftezehrend.Langfristig raubt Ihnen die Schlamperei

Energie und beschädigt Ihre Beziehungen.Vergessen Sie das Bild der hungernden

Künstler, die Wunder vollbrachten, indem sierund um die Uhr in heruntergekommenenDachkammern schufteten. Ihre Disziplin istdann am effektivsten, wenn Sie sich um Ihrekörperlichen Bedürfnisse kümmern, sichgesund ernähren und ausreichend schlafen.Sie dürfen sich ruhig einen leckerenNachtisch gönnen, aber stellen Sie sicher,dass Sie regelmäßig gesunde Nahrung zu sichnehmen, um Ihrem Gehirn ausreichendEnergie zuzuführen. Schlaf ist vermutlichnoch wichtiger als Essen: Je mehr sichWissenschaftler mit dem Schlafentzugbeschäftigen, umso mehr unangenehmeNebenwirkungen entdecken sie. Eine großeTasse Kaffee am Morgen ist kein Ersatz fürausreichenden Schlaf. Die alte Weisheit, dassam nächsten Morgen alles anders aussieht,hat nichts mit der Sonne zu tun, sondern mitIhrem erholsamen Nachtschlaf: Nur einausgeruhter Wille ist ein starker Wille.

Sie können Ihre Willenskraft ganz einfachstärken, wenn Sie ein wenig davon auf diealtmodische Tugend der Ordnung verwenden.

Wie wir im siebten Kapitel gesehen haben,reagieren wir undiszplinierter, wenn wireinen unaufgeräumten Schreibtisch oder einechaotische Internetseite sehen. Sie meinenvielleicht, dass es doch egal sei, ob Ihr Bettgemacht und Ihr Schreibtisch aufgeräumt ist,doch die Signale aus Ihrer Umwelt wirkensich in subtiler Weise auf Ihr Gehirn und IhrVerhalten aus, und ein aufgeräumterSchreibtisch und eine gut organisierteInternetseite helfen Ihnen, mit wenigerAufwand Ihre Disziplin zu wahren. Ordnungwirkt ansteckend.

Achten Sie auch auf andere Signale, die IhrVerhalten beeinflussen können. SchlechteAngewohnheiten werden durch Routineverstärkt: die Bäckerei auf dem Weg zurArbeit, die Zigarettenpause zur Kaffeezeit,das Bier nach der Arbeit, der nächtlicheEisbecher im Fernsehsessel. Wenn Sie IhreRoutinen ändern, fällt es Ihnen leichter, dieseGewohnheiten abzulegen. Wählen Sie einenanderen Weg zur Arbeit. Schieben Sie zurKaffeezeit einen kurzen Spaziergang ein.Gehen Sie nach der Arbeit ins Fitnessstudio.Essen Sie Eis nur am Esstisch, machen Sie in

den Werbepausen lieber ein paargymnastische Übungen. Benutzen Sie zumArbeiten einen anderen Computer als zumInternetsurfen. Wenn Sie eine festverwurzelte Angewohnheit wie das Rauchenablegen wollen, fangen Sie in den Feriendamit an, wenn Sie weit weg sind von denMenschen und Orten, die Sie mit demGlimmstängel assoziieren.

Wann Sie ruhig aufschiebendürfen

Aufschieben ist ein Laster, aber manchmalkann es durchaus positiv sein. Im vorigenKapitel haben wir gesehen, dass wir einemGenuss widerstehen können, wenn wir ihn aufspäter verschieben. Diese Strategie istwirkungsvoller als ein generelles Verbot.Dieser Trick funktioniert nicht nur mitSüßigkeiten, sondern auch, wenn eineFernsehsendung Sie daran hindert, an denSchreibtisch zurückzugehen: Nehmen Sie sieeinfach auf und sehen Sie sie später zu Ende.

Wenn Sie die Arbeit abgeschlossen haben undnicht mehr aufschieben müssen, haben Sievermutlich keine Lust mehr, sie zu Ende zusehen. Im Falle eines Lasters istaufgeschoben oft aufgehoben.

Eine etwas zweifelhaftere Form despositiven Aufschiebens beschrieb RobertBenchley, ein von Abgabeterminen geplagterAutor der Zeitschrift The New Yorker. (SeineKollegin Dorothy Parker201 gab demChefredakteur der Zeitschrift die besteAusrede der Geschichte, als sie einen Artikelzu spät ablieferte: »Jemand hat gerade denBleistift benutzt.«) In einem Aufsatz erklärteBenchley, wie er die Disziplin aufbrachte,einen wissenschaftlichen Artikel übertropische Fische zu lesen, ein Bücherregal zubauen, die Bücher auf besagtem Regal zuordnen und den Brief eines Freundes zubeantworten, der seit gefühlten zwanzigJahren auf seinem Schreibtisch lag. Es warganz einfach. Er musste nur seine To-do-Listefür die Woche aufstellen und besagteTätigkeiten unter die wichtigste Aufgabe derWoche setzen: seinen Artikel für den NewYorker.

»Das Geheimnis meiner schierunerschöpflichen Produktivität und Effizienzist ganz einfach, genau wie das psychologischePrinzip dahinter«, verriet Benchley. »Jederkann Berge von Aufgaben erledigen, solangees sich nicht um die Aufgabe handelt, die ergerade erledigen soll.«202

Dieses Prinzip erkannten auch Baumeisterund Tice in ihrer Untersuchung der säumigenStudenten: Aufschieber tun nicht einfachnichts, sondern entwickeln kreativeArbeitsvermeidungsstrategien. Doch dieseNeigung lässt sich auch anders nutzen, wieRaymond Chandler203 erkannte.

Nichtstun und andere Tricks

Anthony Trollopes Arbeitsplan, den wir uns imfünften Kapitel angesehen haben, ist eineMöglichkeit, diszipliniert zu arbeiten. Aberwas machen Sie, wenn Sie nicht in der Lagesind, pro Viertelstunde 250 Wörter zu Papierzu bringen? Raymond Chandler verdanken wireine andere Strategie.

Chandler hatte seine eigene Methode, umDer große Schlaf und andere Krimiklassikerzu schreiben. »Ich warte auf eine Eingebung«,gestand er. Aber er wartete systematischjeden Morgen. Er war überzeugt, dass sichein professioneller Autor jeden Tagmindestens vier Stunden zum Schreibenfreihalten sollte: »Sie müssen nicht schreiben,und wenn Ihnen nicht danach ist, dann solltenSie es auch gar nicht erst versuchen. Siekönnen aus dem Fenster schauen, Kopfstandmachen, sich auf dem Boden winden, aber Siedürfen nichts anderes machen, weder lesennoch Briefe schreiben, in Zeitschriftenblättern oder Schecks ausstellen.«

Diese Strategie ist ein erstaunlichwirksames Instrument gegenArbeitsvermeidung. Auch wenn Ihre Arbeitweniger einsam und klar definiert ist als dievon Chandler, kann es Ihnen helfen, wenn Siesich Zeit freihalten, um nur eine Sache zuerledigen. Sie könnten sich zum Beispiel zuBeginn des Arbeitstages anderthalb Stundenfür Ihre wichtigste Aufgabe reservieren, ohneUnterbrechung durch E-Mails und Anrufe undohne Streifzüge durchs Internet. Halten Sie

sich einfach an Chandlers Regeln: Schreiben oder Nichtstun. Es ist dasselbe Prinzip, mit dem Siein der Schule Ordnung halten. Wenn Sie die Kinder zumStillsitzen bringen, dann lernen sie auch etwas, einfach um sichnicht zu langweilen. Es funktioniert. Die Regeln sind ganzeinfach: 1. Sie müssen nichts schreiben und 2. Sie dürfennichts anderes tun. Der Rest ergibt sich von selbst. »Der Rest ergibt sich von selbst.« Diesescheinbare Mühelosigkeit stellt sich ein, wennSie die Initiative ergreifen. Chandler nutztegleich mehrere der hier besprochenenTechniken: Schreiben oder Nichtstun ist eineklare und missverständliche Regel, genau wiedie Regel der Alkoholiker, die keinen TropfenAlkohol anrühren. »Wenn ich nicht schreibenkann, dann tue ich gar nichts.« Die Regel istauch ein Beispiel für einen Umsetzungsplanund eine konkrete Wenn-dann-Strategie, mitder Sie die Anforderungen an IhreWillenskraft reduzieren können. Um einanderes Beispiel zu nennen, ist es einfacher,einem Kaufrausch zu widerstehen, wenn Sieeinen klaren Umsetzungsplan haben: »Wennich Kleider kaufe, dann nur mit Bargeld, niemit Karte.« Jedes Mal wenn Sie sich an diese

Regel halten, schleift sie sich ein, bis sie sichin einen Automatismus verwandelt hat undeine effektive Technik zur Einsparung vonWillenskraft geworden ist: eine Gewohnheit.

Noch einfacher ist es, wenn Sie IhreKreditkarte beim Einkaufen gleich zu Hauselassen. Diese Selbstverpflichtung ist Ihrbestes Instrument. Kaufen Sie Fastfood nur inkleinen Packungen, oder legen Sie es ambesten gar nicht erst in den Einkaufswagen.Planen Sie Ihre Mahlzeiten für die ganzeWoche und kaufen Sie nicht spontan zurEssenszeit ein, wenn Sie Hunger haben. WennSie vorhaben, ein Kind zu bekommen, legenSie automatisch jeden Monat eine bestimmteSumme auf die Seite, um 10 000 Euro auf derhohen Kante und während der ersten Monatenach der Geburt des Kindes, in denen Siekaum zum Schlafen kommen, keineGeldsorgen zu haben. Und um sich anChandlers Regel zu halten, nutzen Sie einProgramm (zum Beispiel Freedom), um dasInternet eine bestimmte Zeit langabzuschalten.204

Mit Selbstverpflichtungen werden Sie keinOpfer der Empathielücke, also der

verbreiteten Unfähigkeit, in Momenten deskühlen Nachdenkens vorherzusehen, dass Siesich in heißen Momenten ganz anders fühlenwerden. Einer der häufigsten Gründe fürmangelnde Selbstdisziplin ist dieÜberschätzung der eigenen Willenskraft. Ineiner Untersuchung sollten Raucher wetten,dass sie während eines ganzen Films eineZigarette zwischen den Lippen haltenkonnten, ohne sie anzuzünden. Viele nahmendie Wette an und verloren prompt. Sie sindbesser bedient, wenn Sie die Zigaretten garnicht erst dabeihaben.

Behalten Sie sich im Auge

Selbstbeobachtung ist ganz entscheidend,egal welches Ziel Sie verfolgen. Wenn Sie sichjeden Tag auf die Waage stellen oder einEssenstagebuch führen, nehmen Sie eher ab,genau wie Sie weniger Geld ausgeben, wennSie Ihre Ausgaben im Auge behalten. AuchSchriftstellern, die anders als Trollope nicht inder Lage sind, jeden Tag ein bestimmtes Ziel

zu erreichen, ist damit geholfen, wenn siejeden Tag vor und nach der Arbeit die Zahlder Wörter ihres Dokuments zählen. Allein dieTatsache, dass Sie eine Zahl notieren müssen,macht die Arbeitsvermeidung wenigerattraktiv. Je genauer Sie Ihren Fortschrittbeobachten, umso besser. Wenn Sie sicheinmal pro Woche wiegen, ist das gut, aberbesser ist es, wenn Sie sich täglich wiegen.Und am besten ist es, wenn Sie sich täglichwiegen und Ihr Gewicht notieren.

Diese Art der Selbstbeobachtung magIhnen langweilig erscheinen, aber zum Glückgibt es inzwischen Instrumente, die Ihnen dieArbeit abnehmen. Wie wir in Kapitel 5gesehen haben, gibt es heute Anbieter wieMint und andere, die Ihnen helfen, IhreKontobewegungen zu beobachten, einenHaushaltsplan aufzustellen und IhrenFortschritt auf Ihre Ziele hin zu verfolgen.Ihre Barausgaben können Sie mitProgrammen wie Xpenser undTweetwhatyouspend kontrollieren.205 Fürjeden Aspekt Ihres Lebens, den Siebeobachten wollen – Ihre Gesundheit, IhreStimmung, Ihren Schlaf –, gibt es inzwischen

Anbieter206 ; auf Internetseiten wie QuantifiedSelf und Lifehacker207 können Sie sich einenÜberblick verschaffen.

Die Selbstbeobachtung bietet nicht nurunmittelbare Motivation, sondern hilft Ihnenauch bei der langfristigen Planung. Wenn SieBuch führen, können Sie regelmäßig IhrenFortschritt überprüfen und sich für dieZukunft realistischere Ziele setzen. An Tagen,an denen Sie faulenzen, sich nicht an dieRegeln halten und sich vielleicht für einenhoffnungslosen Fall halten, können Sie sichvom Gegenteil überzeugen und Ihrevergangenen Leistungen ansehen. Wenn Siediese Woche ein Kilo zunehmen, dann ist dasnicht ganz so tragisch, wenn Sie auf einerTabelle nachsehen können, dass Sie in denvergangenen sechs Monaten beständigabgenommen haben.

Belohnen Sie sich oft

Wenn Sie sich ein Ziel setzen, versprechen Siesich eine Belohnung, wenn Sie es erreichen,

und gönnen Sie sich diese auch wirklich. WennSie Ihre Willenskraft nur benutzen, um sichDinge zu verweigern, dann wird sie zu einertraurigen und defensiven Angelegenheit. Aberwenn Sie sie einsetzen, um etwas zugewinnen, dann können selbst dielangweiligsten Aufgaben genussvoll werden.Wir haben die Selbstbewusstseinsbewegungkritisiert, weil jeder einen Preis bekommt,aber wenn Sie wirklich etwas leisten, dannhaben Sie sich auch eine Belohnung verdient.Wie wir im neunten Kapitel gesehen haben,tragen Belohnungen sehr zur Disziplin bei,egal ob wir sie von britischen Kindermädchen,asiatischen Müttern oder Spielentwicklernbekommen. Junge Menschen, die in derSchule oder im Beruf hoffnungslosundiszipliniert erscheinen, sitzen stundenlanghoch konzentriert vor dem Bildschirm undbenutzen dabei dieselben Fähigkeiten, die sieauch bei produktiveren Tätigkeiten benötigen.Wenn die Spielebranche in den letzten Jahrenso erstaunlich gewachsen ist, dann weilEntwickler neuerdings die Möglichkeit haben,die Reaktion der Spieler auf Anreize zubeobachten.

Online-Spiele sind im Grunde nichtsanderes als das größteMotivationsexperiment aller Zeiten. DieEntwickler erhalten sofortiges Feedback vonMillionen von Mitspielern und könnengenauestens nachvollziehen, welche Anreizeam besten funktionieren: eine Mischung ausvielen kleinen Belohnungen und wenigengroßen Preisen. Selbst wenn SpielerSchlachten verlieren oder Fehler machen undsterben, bleiben sie motiviert, da dieBetonung auf der Belohnung und nicht derBestrafung liegt.208 Die Spieler haben nichtdas Gefühl, gescheitert zu sein, sondern siedenken, dass sie bloß noch keinen Erfolghatten.

Genau dieses Gefühl können wir in diewirkliche Welt übertragen, wenn wir unsimmer wieder für unsere Erfolge belohnen.Und wenn wir ein großes Ziel erreichen undbeispielsweise mit dem Rauchen aufhören,verdienen wir eine große Belohnung – nehmenSie das Geld, das Sie sonst für Zigarettenausgegeben hätten, gönnen Sie sich einenaußergewöhnlichen Luxus und laden Sie sichselbst in ein Fünf-Sterne-Restaurant ein. Aber

genauso wichtig sind die vielen kleinenBelohnungen für kleinere Leistungen. Esbraucht oft gar nicht viel, um uns zumotivieren. Wie bringen Sie jemanden dazu,sich gründlich die Zähne zu putzen? DrückenSie ihm eine elektrische Zahnbürste in dieHand, auf der nach zwei Minuten ein Smileyerscheint. Auch wenn das nichts für Sie ist,finden Sie sicher etwas anderes, um sich zumotivieren. Esther Dyson erzähltbeispielsweise gern, dass sie nie Lust hatte,Ihre Zähne mit Zahnseide zu reinigen, bis siedie richtige Belohnung fand. Vielleichterinnern Sie sich, dass Dyson eineausgesprochen disziplinierte Frau ist, diejeden Tag eine Stunde lang schwimmt. EinesAbends hatte sie eine Eingebung: »Wenn ichheute Abend meine Zähne mit Zahnseidereinige, muss ich morgen fünf Minutenweniger schwimmen. Das war vor vier Jahren,und ich habe seither fast jeden AbendZahnseide verwendet. Es ist einfach undwirkungsvoll. Jeder kann eine Kleinigkeitfinden. Aber die Belohnung muss einengewissen Wert haben.«

Die Zukunft der Disziplin

Bis vor kurzem nutzten viele Menschen einetraditionelle Methode der Disziplinierung: Sieüberließen die Aufgabe Gott. Oder zumindestihren Glaubensbrüdern. Göttliche Gebote undGruppenzwang machten die Religion zumerfolgreichsten Instrument der Selbstdisziplinin der Geschichte. Obwohl der Einfluss derReligion heute weiter schwindet, lernen wir,dass wir unsere Selbstbeherrschung anderenüberlassen können: Freunden, Smartphones,Internetanbietern, die unser Verhaltenbeobachten und Wetten annehmen,Nachbarn, die sich in Hinterzimmern vonKirchen treffen, soziale Netzwerke imInternet. Neue Instrumente messen fast jedeunserer Tätigkeiten und teilen die Ergebnissemit neuen Gemeinden. Außerdem erkennenimmer mehr Menschen, dass Mangel anDisziplin die Wurzel persönlicher undgesellschaftlicher Probleme bildet. WennGesellschaften an Wohlstand gewinnen,stürzen sich die Menschen zuerst auf dievormals verbotenen (oder unerschwinglichen)Früchte, aber irgendwann suchen sie

befriedigendere Lebensweisen.Ziel der Disziplin ist nicht nur unsere

Produktivität. Wir müssen heute nicht mehr sohart arbeiten wie die Menschen in früherenJahrhunderten. Noch im 19. Jahrhunderthatten Arbeiter kaum eine Stunde Freizeit209am Tag und dachten nicht einmal an ihrenRuhestand. Heute verbringen wir über unsergesamtes Arbeitsleben hinwegdurchschnittlich nur ein Fünftel des Tages mitArbeit. Die verbleibende Zeit ist ein Geschenk– ein beispielloser Segen in der Geschichteder Menschheit –, aber es erfordert einbeispielloses Maß an Disziplin, wenn wir dieseZeit auch wirklich genießen wollen. Viele vonuns schieben selbst das Glück auf210 undtappen dabei in dieselbe Planungsfalle wie inder Arbeit. Wir meinen, dass wir aufwundersame Weise morgen mehr Freizeithaben werden als heute. Daher gehen wirheute eine Verpflichtung ein, die uns erst indrei Monaten trifft und die wir nie eingehenwürden, wenn sie schon kommende Wochewäre – nur um dann zu spät festzustellen, dasswir keine Zeit dafür haben.

Aber wir schieben auch das Angenehme

auf, wir gehen nicht in den Zoo undunternehmen am Wochenende keinen Ausflug.Dieses Verhalten ist so weit verbreitet, dassFluggesellschaften und Geschäfte jedes JahrMilliarden von Euro sparen, weil wir unsereFlugmeilen verfallen lassen undGeschenkgutscheine nicht einlösen. Wie diekrankhaften Knauser aus dem Märchen, dieauf dem Totenbett ihren Geiz bereuen,weinen wir eines Tages den Reisen nach, diewir versäumt, und dem Spaß, den wir unsverkniffen haben. Ob in der Arbeit oder in derFreizeit: Sie finden mehr Glück und habenweniger Stress, wenn Sie nicht warten,sondern die Initiative ergreifen. Ihr Traumvom Paradies ist vielleicht drei WochenNichtstun auf einer Karibikinsel, aber diewerden Sie nicht genießen, wenn Sie nichtvorher planen und Ihren Blackberry zu Hauselassen.

Selbstdisziplin ist mehr alsSelbstbestätigung. Sie ist der Schlüssel, umIhre kurze Zeit hier auf Erden zu genießenund Ihr Glück mit geliebten Menschen zuteilen. Von all den Vorteilen, die Disziplin nachBaumeisters Erkenntnissen mit sich bringt,

macht dieser vielleicht am meisten Mut:Disziplinierte Menschen sind selbstloser.211Sie spenden großzügiger, leistenFreiwilligenarbeit und stehen anderenMenschen bei. Die Willenskraft entwickeltesich, weil unsere Vorfahren mit den anderenAngehörigen ihres Klans auskommen mussten,und diesem Zweck dient sie bis heute.Disziplin nach innen erzeugt Güte nach außen.

Obwohl wir viele Schwächen haben undimmer wieder scheitern, gibt es gute Gründe,die Initiative zu ergreifen und unsere Disziplinzu stärken. Unsere Willenskraft entwickeltsich immer weiter. Viele von uns sind inletzter Zeit neuen Versuchungen erlegen, unddie Zukunft bringt viele unbekannteHerausforderungen. Aber egal welche neuenTechnologien auf uns zukommen werden, undegal wie bedrohlich die neuen Gefahren aucherscheinen mögen, wir Menschen haben einebesondere Fähigkeit, mit ihnen umzugehen.Einmal mehr lernen wir heute, dass der Willedie Tugend ist, die uns von anderen Tierenunterscheidet und jeden von uns stark macht.

Anmerkungen

Einleitung

1Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und diegeschlechtliche Zuchtwahl (Stuttgart: Schweizerbart’scheVerlagshandlung, 1871).2»Values in Action«-Projekt (siehe Peterson und Seligman);die Statistiken stammen von Neal Mayerson.3W. Hoffman, K. Vohs, G. Förster und R. Baumeister(Publikation in Vorbereitung).4Zu Moral und Religion im 19. Jahrhundert siehe W. E.Houghton: The Victorian Frame of Mind, 1830–1870 (NewHaven, CT: Yale University Press, 1957) und P. Gay:Bourgeois Experience: Education of the Senses (New York:Oxford University Press, 1984).5Originalausgabe: Samuel Smiles: Self-Help, withillustrations of Character, Conduct, and Perseverance(London: John Murray, 1866).6Frank Channing Haddock: Power of Will (Campbell, CA:

Robert Collier Publications, 1979), S. 7.7C. B. Whelan: »Self-Help Books and the Quest for Self-Control in the United States, 1950–2000«. (Dissertation,University of Oxford, 2004), http://christinewhelan.com/wp-content/uploads/Self-Help_Long_Abstract.pdf; sowie P.Carlson, »Let a Thousand Gurus Bloom«, Washington PostMagazine, 12. Februar 1995, W12.8Dale Carnegie: Wie man Freunde gewinnt (Gütersloh:Bertelsmann, 1965).9Norman Vincent Peale: Die Kraft positiven Denkens(Zürich: Oesch, 1954).10Napoleon Hill: Denke nach und werde reich (Genf: Keller,1967).11Allen Wheelis: Wer wir sind und was uns bleibt (München:Szczesny, 1965).12B. F. Skinner: Jenseits von Freiheit und Würde (Reinbek:Rowohlt, 1973).13J. Mathews: »For Math Students, Self-Esteem Might NotEqual High Scores«, Washington Post, 18. Oktober 2006.http://www.washingtonpost.com/wpdyn/content/article/2006/10/17/AR2006101701298.html.14

Eine gute Zusammenfassung des Marshmallow-Tests undanderer Experimente finden sie in W. Mischel und O.Ayduk: »Willpower in a Cognitive-Affective ProcessingSystem: The Dynamics of Delay of Gratification«, in: R.Baumeister und K. Vohs (Hg.): Handbook of Self-Regulation: Research, Theory, and Applications (New York:Guilford, 2004), S. 99–129, sowie in W. Mischel,»Processes in Delay of Gratification«, in: L. Berkowitz(Hg.): Advances in Experimental Social Psychology (SanDiego, CA: Academic Press, 1974), S. 249–292. DieNachfolgeuntersuchung zu den Erwachsenen finden Sie inW. Mischel, Y. Shoda und P. Peake: »The Nature ofAdolescent Competencies Predicted by Preschool Delay ofGratification«, Journal of Personality and Social Psychology54 (1988), S. 687–696; sowie Y. Shoda, W. Mischel und P.K. Peake, »Predicting Adolescent Cognitive and Self-Regulatory Competencies from Preschool Delay ofGratification: Identifying Diagnostic Conditions«,Developmental Psychology 26 (1990), S. 978–986.15M. E. P. Seligman: What You Can Change and What YouCan’t: The Complete Guide to Successful Self-Improvement(New York: Alfred A. Knopf, 1993).16R. F. Baumeister, T. F. Heatherton und D. M. Tice: LosingControl: How and Why People Fail at Self-Regulation (SanDiego, CA: Academic Press, 1994).17Aus: J. P. Tangney, R. F. Baumeister und A. L. Boone:»High Self-Control Predicts Good Adjustment, Less

Pathology, Better Grades, and Interpersonal Success«,Journal of Personality 72 (2004), S. 271–322.18R. N. Wolfe und S. D. Johnson: »Personality as a Predictorof College Performance«, Educational and PsychologicalMeasurement 55 (1995), S. 177– 185. Siehe auch A. L.Duckworth und M. E. P. Seligman: »Self-Discipline OutdoesIQ in Predicting Academic Performance of Adolescents«,Psychological Science 16 (2005), S. 939–944.19J. Mathews, K. Youman, J. Stuewig und J. Tangney:»Reliability and Validity of the Brief Self-Control Scaleamong Incarcerated Offenders« (Vortrag auf derJahrestagung der American Society of Criminology,Atlanta, Georgia, November 2007).20T. Moffitt et al.: »A Gradient of Self-Control PredictsHealth, Wealth, and Public Safety«, Proceedings of theNational Academy of Sciences (24. Januar 2011),http://www.pnas.org/content/early/2011/01/20/1010076108.21R. I. M. Dunbar: »The Social Brain Hypothesis«,Evolutionary Anthropolgy 6 (1998), S. 178–190.22W. A. Roberts: »Are Animals Stuck in Time?«, PsychologicalBulletin 128 (2002), S. 473–489.23M. Donald: A Mind So Rare: The Evolution of Human

Consciousness (New York: Norton, 2002); zum Willen sieheG. Ainslie: Breakdown of Will (New York: CambridgeUniversity Press, 2001).

Kapitel 1

24Siehe im Internet unter: http://amandapalmer.net/afp. AufYouTube finden Sie auch Videos von ihr als lebendeStatue. Fotos finden Sie unter: http://brainwashed.com/amanda.25R. F. Baumeister, E. Bratlavsky, M. Muraven und D. M.Tice: »Ego Depletion: Is the Active Self a LimitedResource?«, Journal of Personality and Social Psychology74 (1998), S. 1252–1265. Andere Experiment zur Ego-Depletion finden Sie in M. Muraven, D. M. Tice und R. F.Baumeister: »Self-Control as Limited Resource:Regulatory Depletion Patterns«, Journal of Personality andSocial Psychology 74 (1998), S. 774–789, sowie R. F.Baumeister, K. D. Vohs und D. M. Tice: »Strength Model ofSelf-Control«, Current Directions in Psychological Science16 (2007), S. 351–355.26D. M. Wegner: White Bears and Other Unwanted Thoughts(New York: Vintage, 1989).27

R. F. Baumeister K. Dale und K. L. Sommer: »FreudianDefense Mechanisms and Empirical Findings in ModernSocial Psychology: Reaction Formation, Projection,Displacement, Undoing, Isolation, Sublimation, andDenial«, Journal of Personality 66 (1998), S. 1081–1124.28M. Inzlicht und J. N. Gutsell: »Running on Empty: NeuralSignals for Self-Control Failure«, Psychological Science 18(2007), S. 933–937.29M. S. Hagger, C. Wood, C. Stiff und N. L. D.Chatzisarantis: »Ego Depletion and the Strength Model ofSelf-Control: A Meta-Analysis«, Psychological Bulletin 136(2010), S. 495–525.30K. D. Vohs, R. F. Baumeister, N. L. Mead, S. Ramanathanund B. J. Schmeichel: »Engaging in Self-control HeightensUrges and Feelings« (Publikation in Vorbereitung).31Zitiert nach S. A. Maisto, M. Galizio, G. J. Connors: DrugUse and Abuse (Belmont, Calif.: Wadsworth, 2008), S. 152.32Zitate von Daryl Bem: Aus Gesprächen mit den Autorenund Vorträgen.33Megan Oaten und Ken Cheng: »Academic ExaminationStress Impairs Self-Control«, Journal of Social and ClinicalPsychology 24 (2005), S. 254–279.34

M. Muraven, D. Shmueli und E. Burkley: »Conserving Self-Control Strength«, Journal of Personality and SocialPsychology 91 (2006), S. 524– 37.35S. C. Segerstrom und L. Solberg Nes: »Heart RateVariability Reflects Self-Regulatory Strength, Effort, andFatigue«, Psychological Science 18 (2007), S. 275–281.Siehe auch R. F. Baumeister, K. D. Vohs und D. M. Tice:»The Strength Model of Self-Control«, Current Directionsin Psychological Science 16 (1997), S. 351–355.36R. F. Baumeister, T. F. Heatherton und D. M. Tice: LosingControl: How and Why People Fail at Self-Regulation (SanDiego: Academic Press, 1994).

Kapitel 2

37Carol Pogash: »Myth of the ›Twinkie defense‹«, SanFrancisco Chronicle, 23. November 2003,http://www.sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?f=/c/a/2003/11/23/INGRE343501.DTL.38Melanie Griffith: »Rocky Mountain Low«, People, 28 März1994, http://www.people.com/people/archive/article/0,20107725,00.html.39

M. T. Gailliot, R. F. Baumeister, C. N. DeWall, J. K. Maner,E. A. Plant, D. M. Tice, L. E. Brewer und B. J. Schmeichel:»Self-Control Relies on Glucose as a Limited EnergySource: Willpower Is More Than a Metaphor«, Journal ofPersonality and Social Psychology 92 (2007), S. 325–336.40M. T. Gailliot und R. F. Baumeister: »The Physiology ofWillpower: Linking Blood Glucose to Self-Control«,Personality and Social Psychology Review 11 (2007), S.303–327. In diesem Artikel finden Sie weitere Quellen.41Informationen zu seiner Ein-Mann-Show »Diabetes: MyStruggles with Jim Turner« finden Sie unterhttp://www.jimturner.net sowie auf der Website von Dlife(http://www.dlife.com/diabetes/information/dlife_media/tv/jim_turner_index.html). Siehe auch; G. Brashers-Krug:»Laughing at Lows«, Voice of the Diabetic 23/3(http://www.nfb.org/images/nfb/Publications/vod/vod_23_3/vodsum0801.htm).42M. T. Gailliot und R. F. Baumeister: »The Physiology ofWillpower: Linking Blood Glucose to Self-Control«,Personality and Social Psychology Review 11 (2007), S.303–327.43H. C. Miller, K. F. Pattison, C. N. DeWall, R. Rayburn-Reeves und T. R. Zentall: »Self-Control without a ›Self‹?:Common Self-Control Processes in Humans and Dogs«,Psychological Science 21 (2010), S. 534–538.

44Heathertons Eröffnungsvortrag zur Tagung der Societyfor Personality and Social Psychology, San Antonio,Texas, Januar 2011. Siehe K. Demos, C. Amble, D. Wagner,W. Kelley und T. Heatherton: »Correlates of Self-Regulatory Depletion in Chronic Dieters« (Vortrag auf derTagung der Society for Personality and Social Psychology,San Antonio, Texas, 2011).45Masicampo und Baumeister führten diese Experimente2011 durch (Publikation in Vorbereitung).46Jennifer Love Hewitt: »That time of the month again«, OK!,22. 2009, http://www.ok.co.uk/posts/view/14355/That-time-of-the-month-again.47»The worst PMS on the planet«, NoPeriod.com,http://www.noperiod.com/stories.html. WeitereKommentare zu PMS finden Sie unter PMS Central,http://www.pmscentral.com.48D. R. Coleridge: »CSI Star’s Emmy Thrill«, TV Guide, 20.Juli 2001, http://www.tvguide.com/news/CSI-Stars-Emmy-36572.aspx.49M. T. Gailliot, B. Hildebrandt, L. A. Eckel und R. F.Baumeister: »A Theory of Limited Metabolic Energy andPremenstrual Syndrome (PMS) Symptoms: IncreasedMetabolic Demands during the Luteal Phase Divert

Metabolic Resources from and Impair Self-Control«,Review of General Psychology 14 (2010), S. 269–28250»Oprah Talks to Mary J. Blige«: O, May 15, 2006,http://www.oprah.com/omagazine/Oprah-Interviews-Mary-J-Blige/3.51http://www.yell.com/motoring/blog/having-a-cold-or-the-flu-can-affect-your-driving.52C. M. Barnes, J. Shaubroeck, M. Hugh und S. Ghumman:»Lack of Sleep and Unethical Conduct«, OrganizationalBehavior and Human Decision Processes (im Druck). ImGegensatz dazu fand eine neuere Untersuchung keinenZusammenhang zwischen Schlafmangel undSelbstdisziplin: K. D. Vohs, B. D. Glass, W. T. Maddox undA. B. Markman: »Ego depletion is not just fatigue:Evidence from a Total Sleep Deprivation Experiment«.Social Psychological and Personality Science, 2 (2011), S.16-173.

Kapitel 3

53Benjamin Franklin: The Autobiography of BenjaminFranklin (Philadelphia: Henry Altemus, 1895), S. 147–164.54

W. Isaacson: Benjamin Franklin: An American Life (NewYork: Simon and Schuster, 2003), S. 92.55R. A. Emmons und L. A. King: »Conflict among PersonalStrivings: Immediate and Long-Term Implications forPsychological and Physical Well-being«, Journal ofPersonality and Social Psychology 54 (1988), S. 1040–1048. Siehe auch H. W. Maphet und A. L. Miller,»Compliance, Temptation, and Conflicting Instructions«,Journal of Personality and Social Psychology 42 (1982), S.137–144.56W. Bickel und M. W. Johnson: »Delay Discounting: AFundamental Behavioral Process of Drug Dependence«,in: G. Loewenstein, D. Read und R. Baumeister (Hg.): Timeand Decision (New York: Russell Sage, 2003), S. 419–440.57A. Bandura und D. H. Schunk: »Cultivating Competence,Self-Efficacy, and Intrinsic Interest through Proximal Self-Motivation«, Journal of Personality and Social Psychology41 (1981), S. 586–598.58M. L. De Volder und W. Lens: »Academic Achievement andFuture Time Perspective as a Cognitive-MotivationalConcept«, Journal of Personality and Social Psychology 42(1982), S. 566–571.59D. S. Kirschenbaum, L. L. Humphrey und S. D. Malett:»Specificity of Planning in Adult Self-Control: An Applied

Investigation«, Journal of Personality and Social Psychology40 (1981), S. 941–950. Siehe auch D. S. Kirschenbaum, S.Malett, L. L. Humphrey und A. J. Tomarken, »Specificity ofPlanning and the Maintenance of Self-Control: 1 yearFollow-up of a Study Improvement Program«, BehaviorTherapy 13 (1982), S. 232–240.60O. Connelly: Blundering to glory: Napoleon’s militarycampaigns (Lanham, Maryland: Rowman & Littlefield,2006), S. ix.61H. Koch: A History of Prussia (New York: Dorset, 1978).62»First U.S. Army Operations Plan ›Neptune‹«, SiehePrimary Source Documents, Encyclopedia Britannica,http://www.britannica.com/dday/table?tocId=9400221.63G. M. Watson Jr. und H. S. Wolk: » › Whiz Kid‹: Robert S.McNamara’s World War II Service«, Air Power History,Winter 2003, http://findarticles.com/p/articles/mi_hb3101/is_4_50/ai_n29053044/?tag=content;col1. Siehe auch TimWeiner, »Robert S. McNamara, Architect of a Futile War,Dies at 93«, New York Times, 9. Juli 2009,http://www.nytimes.com/2009/07/07/us/07mcnamara.html?_r=1&sq=Robert%20McNamara%20obituary&st=nyt&scp=4&pagewanted=all64David Allen: Getting Things Done (New York: PenguinBooks, 2001), Making It All Work (New York: PenguinBooks, 2008) sowie die Website von David Allen:http://www.davidco.com/. Zur Biografie siehe Gary Wolf,

»Getting Things Done Guru David Allen and His Cult ofHyperefficiency«, Wired, 25. Juni 2007,http://www.wired.com/techbiz/people/magazine/15-10/ff_allen?currentPage=all; sowie Paul Keegan, »How DavidAllen Mastered Getting Things Done«, Business 2.0Magazine, 1. Juli 2007,http://money.cnn.com/magazines/business2/business2_archive/2007/07/01/100117066/index.htm. ZurForschung zu GTD siehe F. Heylighen und C. Vidal,»Getting Things Done: The Science behind Stress-FreeProductivity«, Long Range Planning 41/6 (2008), S. 585–605, http://dx.doi.org/10.1016/j.lrp.2008.09.004.65C. Thompson: »Meet the Life Hackers«, New York TimesMagazine, 16. Oktober 2005, http://www.nytimes.com/2005/10/16/magazine/16guru.html?scp=1&sq=zeigarnik&st=nyt.66E. J. Masicampo und R. F. Baumeister: »Consider It Done!:Making a Plan Eliminates the Zeigarnik Effect«(Publikation in Vorbereitung).

Kapitel 4

67Siehe W. K. Rashbaum und C. Moynihan: »At aSentencing, Details of Spitzer’s Liaisons«, New York

Times, 1. Juni 2009, http://www.nytimes.com/2009/06/02/nyregion/02emperor.html?_r=2. Siehe auch United Statesof America v. Mark Brener, et al., »Affidavit in Support ofApplication for Arrest Warrants, Search Warrants andSeizure Warrants, Section II: The Emperors Club’sProstitution Crimes: Payment« (United States DistrictCourt Southern Court of New York, 5. März 2008);»Emperors Club: All About Eliot Spitzer’s AllegedProstitution Ring«, Huffington Post, 18. Oktober 2008;sowie M. Dagostino, »Ex-Call Girl Ashley Dupré«, People,19. November 2008.68Siehe K. D. Vohs, R. F. Baumeister, B. J. Schmeichel, J. M.Twenge, N. M. Nelson und D. M. Tice: »Making ChoicesImpairs Subsequent Self-Control: A Limited ResourceAccount of Decision Making, Self-Regulation, and ActiveInitiative«, Journal of Personality and Social Psychology 94(2008), S. 883–898.69Å. Achtziger und P. M. Gollwitzer: »Rubicon Model ofAction Phases«, in R. Baumeister und K. Vohs (Hg.):Encyclopedia of Social Psychology, Bd. 2 (Los Angeles, CA:Sage, 2007), S. 769–771.70S. Danziger, J. Levav, L. Avnaim-Pesso: »Breakfast, Lunch,and Their Effect on Judicial Decisions«, Proceedings of theNational Academy of Sciences (im Druck).71John Tierney: »The Big City: Picky, Picky, Picky«, New YorkTimes Magazine, 12. Februar 1995.

72G. J. Hitsch, A. Hortacsu, und D. Ariely: »What Makes YouClick: An Empirical Analysis of Online Dating«, 2005 (unv.Manuskript, erhältlich unter http://docs.google.com).73J. Shin und D. Ariely: »Keeping Doors Open: The Effect ofUnavailability on Incentives to Keep Options Open«,Management Science 50 (2004), S. 575–586.74A. Pocheptsova, O. Amir, R. Dhar und R. F. Baumeister:»Deciding without Resources: Resource Depletion andChoice in Context«, Journal of Marketing Research 46(2009), S. 344–355.75J. Levav, M. Heitmann, A. Herrmann und S. Iyengar:»Order of Product Customization Decisions: Evidencefrom Field Experiments«, Journal of Political Economics118 (2010), S. 274–299.76M. Wilson und M. Daly: »Do Pretty Women Inspire Men toDiscount the Future?«, Biology Letters (Proceedings of theRoyal Society London, B; Suppl., DOI 10.1098/rsbl.2003.0134, online 12/12/2003).77R. Baumeister: Is There Anything Good About Men? HowCultures Flourish by Exploiting Men (New York: OxfordUniversity Press, 2010). Siehe auch J. A. Wilder, Z.Mobasher und M. F. Hammer: »Genetic Evidence forUnequal Effective Population Sizes of Human Females

and Males«, Molecular Biology and Evolution (2004), S.2047–2057.

Kapitel 5

78F. Burkhardt, S. Evans und A. M. Pearn (Hg.): Evolution:Selected Letters of Charles Darwin, 1860–1870 (New York:Cambridge University Press, 2008), S. 248.79J. Tierney: »The Voices in My Head Say ›Buy It!‹«, NewYork Times, 16. Januar 2007.80http://www.mint.com.81Siehe unter anderem G. G. Gallup: »Chimpanzees: Self-Recognition«, Science 167 (1970), S. 86–87.82S. Duval und R. A. Wicklund: A Theory of Objective Self-Awareness (New York: Academic Press, 1972).83Charles Carver und Michael Scheier: Attention and Self-Regulation: A Control Theory Approach to Human Behavior(New York: Springer-Verlag, 1981).84A. L. Beaman, B. Klentz, E. Diener und S. Svanum: »Self-Awareness and Transgression in Children: Two Field

Studies«, Journal of Personality and Social Psychology 37(1979), S. 1835–1846.85J. G. Hull: »A Self-Awareness Model of the Causes andEffects of Alcohol Consumption«, Journal of AbnormalPsychology 90 (1981), S. 586–600.86Anthony Trollope: An Autobiography of Anthony Trollope(New York: Dodd Mead, 1912), S. 104–105, 237.87T. Wright: »Information Overload: Show Me the Data!«,The RescueTime Blog, 14. Juni 2008,http://blog.rescuetime.com/2008/06/14/information-overload-show-me-the-data. Siehe auch S. Scheper,»RescueTime Founder, Tony Wright, On Life and Focus«,How to Get Focused, http://howtogetfocused.com/chapters/rescuetime-founder-tony-wright-on-life-and-focus/.88Siehe QuantifiedSelf.com, http://quantifiedself.com, undGary Wolf, »Know Thyself: Tracking Every Facet of Life,from Sleep to Mood to Pain«, Wired, 22. Juni 2009,http://www.wired.com/medtech/health/magazine/17-07/lbnp_knowthyself.89Thomas Jefferson: Jefferson’s Memorandum Books, Juli1776, April–Juli 1803.90M. Koo und A. Fishbach: »Climbing the goal ladder: How

upcoming actions increase the level of aspiration«,Journal of Personality and Social Psychology 99 (2010) S.1–13.91R. F. Baumeister und E. E. Jones: »When Self-PresentationIs Constrained by the Target’s Knowledge: Consistencyand Compensation«, Journal of Personality and SocialPsychology 36 (1978), S. 608–618. Einen Überblick überdie Literatur finden Sie in R. F. Baumeister: »A Self-Presentational View of Social Phenomena«, PsychologicalBulletin 91 (1982), S. 3–26, sowie R. F. Baumeister (Hg.):Public Self and Private Self (New York: Springer, 1986).92http://www.moodscope.com.93S. I. Rick, C. E. Cryder und G. Loewenstein: »Tightwads andSpendthrifts«, Journal of Consumer Research 34 (April2008), S. 767–782.94A. Keinan und R. Kivetz: »Remedying Hyperopia: TheEffects of Self-Control Regret on Consumer Behavior«,Journal of Marketing Research (2008).

Kapitel 6

95David Blaines Autobiografie: Mysterious Stranger: A Book

of Magic (New York: Random House, 2003) und seineWebsite http://davidblaine.com; Tierneys Bericht in derNew York Times über Blaines Training (22. April 2008)und Rekordversuch (30. April 2008); sowie Glen DavidGolds Artikel: »Making a Spectacle of Himself«, New YorkTimes Magazine, 19. Mai 2002.96M. Muraven, R. F. Baumeister und D. M. Tice:»Longitudinal Improvement of Self-Regulation throughPractice: Building Self-Control through RepeatedExercise«, Journal of Social Psychology 139 (1999), S. 446–457.97P. Wesley Schultz u. a.: »The Constructive, Destructive,and Reconstructive Power of Social Norms«, PsychologicalScience 18/5 (1. Mai 2007), S. 429–434; siehe auch R. H.Thaler und C. R. Sunstein: Nudge: Improving DecisionsAbout Health, Wealth, and Happiness (New Haven, CT:Yale University Press, 2008), C. Thompson: »Desktop OrbCould Reform Energy Hogs«, Wired, 24. Juli 2007.98D. K. Detterman: »Intelligence«, Microsoft EncartaEncyclopedia (2001), http://encarta.msn.com/find/Concise.asp?z=1&pg=2&ti=761570026.99M. Oaten und K. Cheng: »Improved Self-Control: TheBenefits of a Regular Program of Academic Study«, Basicand Applied Social Psychology 28 (2006), S. 1–16; M.Oaten und K. Cheng, »Longitudinal Gains in Self-Regulation from Regular Physical Exercise«, British

Journal of Health Psychology 11 (2006), S. 717–733; M.Oaten und K. Cheng, »Improvements in Self-Control fromFinancial Monitoring«, Journal of Economic Psychology 28(2006), S. 487–501.100R. F. Baumeister, M. Gailliot, C. N. DeWall und M. Oaten:»Self-Regulation and Personality: How InterventionsIncrease Regulatory Success, and How DepletionModerates the Effects of Traits on Behavior«, Journal ofPersonality 74 (2006), S. 1773–1801.101E. J. Finkel, C. N. DeWall, E. B. Slotter, M. Oaten und V. A.Foshee: »Self-Regulatory Failure and Intimate PartnerViolence Perpetration«, Journal of Personality and SocialPsychology 97 (2009), S. 483–499.

Kapitel 7

102Henry Morton Stanley: Mein Leben (München: Die Lese,1911).103Details aus Stanleys Leben und seinen Expeditionenstammen überwiegend aus Tim Jeals Biografie Stanley:The Impossible Life of Africa’s Greatest Explorer (NewHaven, CT: Yale University Press, 2007) und Gesprächenmit Jeal. Andere Quellen waren Stanleys Autobiografie;

sein Buch In Darkest Africa, or the Quest, Rescue, andRetreat of Emin Governor of Equatoria (Kindle, 2008), dieBeschreibung seiner Expedition von 1887 bis 1889; einemoderne Darstellung von D. Liebowitz und C. Pearson:The Last Expedition: Stanley’s Mad Journey through theCongo in Darkest Africa (New York: Norton, 2005).104Joseph Conrad: Das Herz der Finsternis, in: Geschichtenvom Hörensagen. Übersetzt von Ernst Wolfgang Freißler.Frankfurt/Main: S. Fischer, 1959.105Mark Twain: Mark Twain’s Speeches (New York: Harper &Brothers, 1910) S. 157. Siehe auch Jeal, Stanley, S. 468.106Rosamund Bartlett: Chekhov: Scenes from a Life (London:Free Press, 2004), S. 163.107Jeal kommt zu dem Schluss, dass Stanley denamerikanischen Baumwollhändler Henry Hope Stanley ausNew Orleans, den er später als seinen Adoptivvaterausgab, nie getroffen hatte.108Stanley: Mein Leben.109Stanleys Notizbuch, Januar bis Juni 1889, zitiert in Jeal, S.358.110D. Ariely und G. Loewenstein: »The Heat of the Moment:The Effect of Sexual Arousal on Sexual Decision Making«,

Journal of Behavioral Decision Making 19 (2006), S. 87–98.111Stanley: Wie ich Livingstone fand (Leipzig: Reclam, 1879).112D. Magary: »The Public Humiliation Diet: A How-To«,Deadspin. com, http://deadspin.com/5545674/the-public-humiliation-diet-a-how+to?skyline=true&s=i.113http://www.covenanteyes.com.114http://www.stickk.com und I. Ayres: Carrots and Sticks:Unlock the Power of Incentives to Get Things Done (NewYork: Bantam, 2010).115X. Giné, D. Karlan und J. Zinman: »Put Your Money WhereYour Butt Is: A Commitment Contract for SmokingCessation« (Publikation in Vorbereitung).116R. Rahinel, J. P. Redden, and K. D. Vohs: »An Orderly Mindis Sensitive to Norms« (unveröffentlichtes Manuskript,University of Minnesota, Minneapolis, 2011).117D. De Ridder, G. Lensvelt-Mulders, C. Finkenauer, F. M.Stok und R. F. Baumeister: »Taking Stock of Self-Control:A Meta-Analysis of How Self-Control Affects a Wide Rangeof Behaviors« (Publikation in Vorbereitung).118Robert Boice: Advice for New Faculty Members (NeedhamHeights, MA: Allyn & Bacon, 2000).

119Stanley, Mein Leben.120K. Fujita, Y. Trope, N. Liberman und M. Levin-Sagi:»Construal Levels and Self-Control«, Journal of Personalityand Social Psychology 90 (2006), S. 351–367.

Kapitel 8

121Eric Clapton und Stephen Bishop: »Holy Mother«, Live atMontreux, 1986 (DVD, Eagle Rock Entertainment, 2006).Eric Clapton: Clapton: The Autobiography (New York:Broadway Books, 2007).122Mary Karr: Lit: A Memoir (New York: HarperCollins, 2009)und The Liars’ Club (New York: Viking Penguin, 1995).123J. McKellar, E. Stewart und K. Humphreys: »AlcoholicsAnonymous Involvement and Positive Alcohol-RelatedOutcomes: Cause, Consequence, or Just a Correlate? AProspective 2-Year Study of 2.319 Alcohol-DependentMen«, Journal of Consulting and Clinical Psychology 71(2003), S. 302–308.124Unter anderem in J. A. Schaler: Addiction Is a Choice(Chicago: Open Court/Carus, 2000).

125Siehe unter anderem J. A. Schaler: Addiction Is a Choice(Chicago, IL: Open Court/Carus: 2000). Siehe auch G. M.Heyman: Addiction: A Disorder of Choice (Cambridge,Mass.: Harvard, 2009).126C. D. Rawn und K. D. Vohs: »People Use Self-Control toRisk Personal Harm: An Intra-personal Dilemma«,Personality and Social Psychology Review (Publikation inVorbereitung).127Die Untersuchung von Carlo DiClemente ist zurzeit inVorbereitung.128Siehe W. J. Rorabaugh: The Alcoholic Republic: AnAmerican Tradition (New York: Oxford University Press,1979).129Dies ergab die oben erwähnte Untersuchung vonDiClemente.130F. Kast und D. Pomeranz: »Peers as a SavingsCommitment Device: Evidence from a Field Experimentamong Low-Income Micro-Entrepreneurs in Chile«(Vortrag vor der Latin American and Caribbean EconomicAssociation, 1. Oktober 2009).131N. A. Christakis und J. H. Fowler: »The Collective Dynamicsof Smoking in a Large Social Network«, New England

Journal of Medicine 358 (2008), S. 2249–2258.132N. A. Christakis and J. H. Fowler: »The Spread of Obesity ina Large Social Network over 32 Years«, New EnglandJournal of Medicine 357 (2007), S. 370–379; sowie E.Cohen-Cole und J. M. Fletcher, »Is Obesity Contagious:Social Networks vs. Environmental Factors in the ObesityEpidemic«, Journal of Health Economics 27 (2008), S.1382–1387.133M. E. McCullough, W. T. Hoyt, D. B. Larson, H. G. Koenigund C. E. Thoresen: »Religious Involvement and Mortality:A Meta-Analytic Review«, Health Psychology 19 (2000), S.211–222.134M. R. McCullough und B. L. B. Willoughby: »Religion, Self-Regulation, and Self-Control: Associations, Explanations,and Implications«, Psychological Bulletin 135 (2009), S.69–93.135J. A. Brefczynski-Lewis, A. Lutz, H. S. Schaefer, D. B.Levinson und R. J. Davidson: »Neural Correlates ofAttentional Expertise in Long-Term MeditationPractitioners«, Proceedings of the National Academy ofSciences 104/27 (2007), S. 11483–11488.136A. Fishbach, R. S. Friedman und A. W. Kruglanski:»Leading Us Not into Temptation: Momentary AllurementsElicit Overriding Goal Activation«, Journal of Personalityand Social Psychology 84/2 (2003) S. 296–309,

http://dx.doi.org/10.1037/0022-3514.84.2.296.137J. Tierney: »For Good Self-Control, Try Getting ReligiousAbout It«, New York Times, 30. Dezember 2008.138M. W. Baldwin, S. E. Carrell und D. F. Lopez: »PrimingRelationship Schemas: My Advisor and the Pope AreWatching Me from the Back of My Mind«, Journal ofExperimental Social Psychology 26 (1990), S. 435–454.139G. Ainslie: Breakdown of Will (New York: CambridgeUniversity Press, (2001).

Kapitel 9

140Folge »The Little House of Horrors« von Nanny 911 (aufDVD: Nanny 911: The First Season, Fox BroadcastingCompany, 2008) und aus dem Buch von Deborah Carrollund Stella Reid mit Karen Moline, Nanny 911: ExpertAdvice for All Your Parenting Emergencies (New York:Harper Entertainment, 2005).141Siehe N. Branden: The Six Pillars of Self-Esteem (New York:Bantam Books, 1994). Das Zitat stammt aus N. Branden:»In Defense of Self«, Association for HumanisticPsychology (August–September 1984), S. 12–13.

142Neil Smelser: »Self-Esteem and Social Problems: AnIntroduction«, in A. M. Mecca, N. J. Smelser und J.Vasconcellos (Hg.): The Social Importance of Self-Esteem(Berkeley, Calif.: University of California Press, 1989), S.1–23.143R. F. Baumeister, J. D. Campbell, J. I. Krueger und K. D.Vohs: »Does High Self-Esteem Cause Better Performance,Interpersonal Success, Happiness, or HealthierLifestyles?« Psychological Science in the Public Interest 4(2003), S. 1–44.144D. R. Forsyth, N. A. Kerr, J. L. Burnette und R. F.Baumeister: »Attempting to Improve the AcademicPerformance of Struggling College Students by BolsteringTheir Self-Esteem: An Intervention That Backfired«,Journal of Social and Clinical Psychology 26 (2007), S.447–459.145D. L. Paulhus: »Interpersonal and IntrapsychicAdaptiveness of Trait Self-Enhancement: A MixedBlessing?«, Journal of Personality and Social Psychology,74 (1998), S. 1197–1208.146J. M. Twenge und W. K. Campbell: The NarcissismEpidemic: Living in the Age of Entitlement (New York: FreePress, 2009).147

J. R. Flynn: Asian Americans: Achievement Beyond IQ(Hillsdale, NJ: Erlbaum, 1991).148Dr. S. K. Abboud und J. Kim: Top of the Class: How AsianParents Raise High Achievers – and How You Can Too (NewYork: Berkley Books, 2005).149S. T. Russell, L. J. Crockett und R. K. Chao (Hg.): AsianAmerican Parenting and Parent-Adolescent Relationships(New York: Springer, 2010).150R. K. Chao: »Chinese and European American Mothers’Beliefs about the Role of Parenting in Children’s SchoolSuccess«, Journal of Cross-Cultural Psychology 27 (1996),S. 403.151Amy Chua: Die Mutter des Erfolgs: Wie ich meinenKindern das Siegen beibrachte (München: Nagel &Kimche, 2011).152S. O’Leary: »Parental Discipline Mistakes«, CurrentDirections in Psychogical Science 4 (1995), S. 11–13.153A. M. C. Otto, P. A. M. Schots, J. A. J. Westerman und P.Webley: »Children’s Use of Saving Strategies: AnExperimental Approach«, Journal of Economic Psychology27 (2006), S. 57–72.154B. D. Bernheim, D. M. Garrett und D. M. Maki: »Education

and Saving: The Long-Term Effects of High SchoolFinancial Curriculum Mandates«, Journal of PublicEconomics 80 (2001), S. 436–467. Zum Einfluss der Elternauf das Sparverhalten der Kinder siehe P. Webley und E.K. Nyhus: »Parents’ Influence on Children’s FutureOrientation and Saving«, Journal of Economic Psychology27 (2006), S. 140–164.155M. R. Lepper und D. Greene (Hg.): The Hidden Costs ofReward: New Perspectives of the Psychology of HumanMotivation (Hillsdale, NJ: Erlbaum, 1978).156R. G. Fryer Jr.: »Financial Incentives and StudentAchievement: Evidence from Randomized Trials«(Arbeitspapier Harvard University, EdLabs und NBER, 8.Juli 2010), http://www.economics.harvard.edu/faculty/fryer/files/Incentives_ALL_7-8-10.pdf; siehe auch A. Ripley:»Should Kids Be Bribed to Do Well in School?«, Time, 8.April 2010.157Stephenie Meyer: New Moon (New York: Little, Brown andCompany, 2006), S. 52.158Walter Mischel: »Preference for a Delayed Reinforcement:An Experimental Study of a Cultural Observation«, Journalof Abnormal and Social Psychology 56 (1958), S. 57–61.159M. R. Gottfredson und T. Hirschi: A General Theory ofCrime (Stanford: Stanford University Press, 1990).

160Joan McCord: »Some Child-Rearing Antecedents ofCriminal Behavior in Adult Men«, Journal of Personalityand Social Psychology, 37 (1979), S. 1477–1486.161Siehe A. Lac und W. D. Crano: »Monitoring Matters: Meta-Analytic Review Reveals Reliable Linkage of ParentalMonitoring with Adolescent Marijuana Use«, Perspectiveson Psychological Science 4 (2009), S. 578– 586.162A. Hughes, C. Berg und D. Wiebe: »Adolescent Problem-Solving Skill and Parental Monitoring Moderate Self-Control Deficits on Metabolic Control in Type 1 Diabetics«(Vortrag auf der Tagung der Society for BehavioralMedicine, Manuskript in Vorbereitung).163A. Diamond, W. S. Barnett, J. Thomas und S. Munro:»Preschool Program Improves Cognitive Control«, Science318 (2007), S. 1387–1388.164J. McGonigal: Reality Is Broken: Why Games Make UsBetter and How They Can Change the World (New York:Penguin Press, 2011) und The Gamification Encyclopedia,http://gamification.org/wiki/Encyclopedia.

Kapitel 10

165Oprah Winfrey: »How Did I Let This Happen Again?«, O,The Oprah Magazine, Januar 2009, sowie Bob Greene: TheBest Life Diet (New York: Simon & Schuster, 2009).166John Tierney: »Fat and Happy«, New York Times, 23. April2005.167A. W. Crescioni, J. Ehrlinger, J. L. Alquist, K. E. Conlon, R.F. Baumeister, C. Schatschneider und G. R. Dutton: »HighTrait Self-Control Predicts Positive Health Behaviors andSuccess in Weight Loss«, Journal of Health Psychology (imDruck).168G. Taubes: Good Calories, Bad Calories: Challenging theConventional Wisdom on Diet, Weight Control, and Disease(New York: Alfred A. Knopf, 2007), S. 298–299; G. Kolata,»For the Overweight, Bad Advice by the Spoonful«, NewYork Times, 30. August 2007.169T. Mann, A. J. Tomiyama, E. Westling, A.-M. Lew, B.Samuels und J. Chatman: »Medicare’s Search for EffectiveObesity Treatments: Diets Are Not the Answer«, AmericanPsychologist 62 (2007), S. 220–233; G. Kolata: RethinkingThin: The New Science of Weight Loss—and the Myths andRealities of Dieting (New York: Picador, 2007).170N. Burger und J. Lynham: »Betting on Weight Loss ... andLosing: Personal Gambles as Commitment Mechanisms«,

Applied Economics Letters 17 (2010), S. 12, 1161–1166,http://dx.doi.org/10.1080/00036840902845442.171K. Harrison: »Television Viewers’ Ideal Body Proportions:The Case of the Curvaceously Thin Woman«, Sex Roles48/5–6 (2003), S. 255–264.172C. Ayyad und T. Andersen: »Long-Term Efficacy of DietaryTreatment of Obesity: A Systematic Review of StudiesPublished between 1931 and 1999«, Obesity Reviews 1(2000), S. 113–119.173C. P. Herman und D. Mack: »Restrained and UnrestrainedEating«, Journal of Personality 43 (1975), S. 647–660.174J. Polivy: »Perception of Calories and Regulation of Intakein Restrained and Unrestrained Subjects«, AddictiveBehaviors 1 (1976), S. 237–243.175S. Schachter: »Some Extraordinary Facts about ObeseHumans and Rats«, American Psychologist 26 (1971), S.129–144. Siehe auch S. Schachter und J. Rodin, ObeseHumans and Rats (Hillsdale, NJ: Erlbaum, 1974).176K. D. Vohs und T. F. Heatherton: »Self-Regulatory Failure:A Resource-Depletion Approach«, Psychological Science11 (2000), S. 249–254.177J. E. Painter, B. Wansink und J. B. Hieggelke: »How

Visibility and Convenience Influence CandyConsumption«, Appetite 38/3 (Juni 2002), S. 237–238.178P. M. Gollwitzer: »Implementation intentions: Strongeffects of simple plans«, American Psychologist 54 (1999),S. 493–503.179N. Christakis und J. Fowler: »The spread of obesity in alarge social network over 32 years«, New England Journalof Medicine 357 (2007), S. 370-379.180S. Heshka, J. W. Anderson, R. L. Atkinson u.a.: »WeightLoss with Self-Help Compared with a StructuredCommercial Program: A Randomized Trial«, Journal of theAmerican Medical Association 289/14 (2003), S. 1792–1798, http://jama.ama-assn.org/cgi/content/full/289/14/1792.181R. R. Wing, D. F. Tate, A. A. Gorin, H. A. Raynor, J. L. Favaund J. Machan: »›STOP Regain‹: Are There NegativeEffects of Daily Weighing?«. Journal of Consulting andClinical Psychology 75 (2007), S. 652–656.182B. Wansink: Essen ohne Sinn und Verstand (Frankfurt /NewYork: Campus, 2008).183J. F. Hollis, C. M. Gullion, V. J. Stevens u.a.: »Weight Lossduring the Intensive Intervention Phase of the Weight-LossMaintenance Trial«, American Journal of Preventive

Medicine 35/2 (2008), S. 118–126.184P. Chandon und B. Wansink: »The Biasing Health Halos ofFast Food Restaurant Health Claims: Lower CalorieEstimates and Higher Side-Dish Consumption Intentions«,Journal of Consumer Research 34/3 (Oktober 2007), S.301–314; B. Wansink and P. Chandon: »Can ›Low-Fat‹Nutrition Labels Lead to Obesity?«, Journal of MarketingResearch 43/4 (November 2006), S. 605–617.185A. Chernev: »The Dieter’s Paradox«, Journal of ConsumerPsychology (Publikation in Vorbereitung). InformelleUntersuchung in Park Slope siehe Tierney »Health HaloCan Hide the Calories«, New York Times, 1. Dezember2008.186Siehe B. Wansink: Essen ohne Sinn und Verstand.187C. P. Herman, D. A. Roth und J. Polivy: »Effects of thePresence of Others on Food Intake: A NormativeInterpretation«, Psychological Bulletin 129 (2003), S. 873–886.188Siehe B. Wansink: Essen ohne Sinn und Verstand.189P. Chandon und N. Ordabayeva: »Supersize in 1D,Downsize in 3D: Effects of Spatial Dimensionality on SizePerceptions and Preferences«, Journal of MarketingResearch (im Druck). Siehe auch J. Tierney, »How

Supersizing Seduces«, New York Times, 5. Dezember2008.190N. L. Mead und V. M. Patrick: »In Praise of Putting ThingsOff: How Postponing Consumption Pleasures FacilitatesSelf-Control« (Publikation in Vorbereitung).

Ausblick

191Augustinus: Bekenntnisse, Buch 7.192D. De Ridder, G. Lensvelt-Mulders, C. Finkenauer, F. M.Stok und R. F. Baumeister: »Taking Stock of Self-Control:A Meta-Analysis of How Self-Control Affects a Wide Rangeof Behaviors« (Publikation in Vorbereitung).193A. W. Crescioni, J. Ehrlinger, J. L. Alquist, K. E. Conlon, R.F. Baumeister, C. Schatschneider und G. R. Dutton: »HighTrait Self-Control Predicts Positive Health Behaviors andSuccess in Weight Loss«, Journal of Health Psychology (imDruck).194Cicero: »The Sixth Phillipic«, The Orations of MarcusTullius Cicero, trans. C. D. Yonge (London: George Bell &Sons, 1879), S. 119.195

Jonathan Edwards: »Procrastination; or, The Sin and Follyof Depending on Future Time«, The Works of PresidentEdwards, Bd. 5 (James Black & Son, 1817), S. 511.196Piers Steel: Der Zauderberg (Köln: Lübbe, 2011).197P. Steel: »The Nature of Procrastination: A Meta-Analyticand Theoretical Review of Quintessential Self-RegulatoryFailure«, Psychological Bulletin 133/1 (Januar 2007), S. 67.198D. M. Tice und R. F. Baumeister: »Longitudinal Study ofProcrastination, Performance, Stress, and Health: TheCosts and Benefits of Dawdling«, Psychological Science 8(1997), S. 454–458.199C. N. Parkinson: Parkinson’s Law, or the Pursuit ofProgress (John Murray, 1957), S. 4.200R. Buehler, D. Griffin und M. Ross: »Exploring the›Planning Fallacy‹: Why People Underestimate Their TaskCompletion Times«, Journal of Personality and SocialPsychology 67 (1994), S. 366–381.201James Thurber: The Years with Ross (New York:HarperCollins, 2000), S. 19.202Robert Benchley: »How to Get Things Done«, The BenchleyRoundup (Chicago: University of Chicago Press, 1954), S.5.

203T. Hiney und F. MacShane (Hg.): The Raymond ChandlerPapers: Selected Letters and Nonfiction, 1909–1959(Boston: Atlantic Monthly Press, 2002), S. 104.204http://macfreedom.com.205Mint: http://www.mint.com; Xpenser: http://xpenser.com;TweetWhat YouSpend: http://www.tweetwhatyouspend.com.206RescueTime: http://www.rescuetime.com; Slife:http://www.slifeweb.com; ManicTime:http://www.manictime.com.207http://quantifiedself.com; http://lifehacker.com.208T. Chatfield: »7 Ways Games Reward the Brain«, TED Talk,TedGlobal 2010. Siehe auch Fun Inc.: Why games Are the21st Century’s Most Serious Business (London: VirginBooks, 2011).209J. H. Ausubel und A. Grübler: »Working Less and LivingLonger: Long-Term Trends in Working Times and TimeBudgets«, Technological Forecasting and Social Change 50(1995), S. 113–131. Siehe auch G. Zauberman und J. G.Lynch Jr.: »Resource Slack and Propensity to DiscountDelayed Investments of Time Versus Money«, Journal ofExperimental Psychology 134/1 (2005), S. 23–37.210

S. B. Shu and A. Gneezy: »Procrastination of EnjoyableExperiences«, Journal of Marketing Research (2010).211M. Gailliot, R. Baumeister, C. N. DeWall, J. Maner, E. Plant,D. Tice, L. Brewer und B. Schmeichel: »Self-control relieson glucose as a limited energy source: Willpower is morethan a metaphor«, Journal of Personality and SocialPsychology 92 (2007), S. 325–336. Siehe auch C. N.DeWall, R. Baumeister, M. Gailliot, und J. Maner:»Depletion makes the heart grow less helpful: Helping asa function of self-regulatory energy and geneticrelatedness«, Personality and Social Psychology Bulletin 34(2008), S. 1663–1676.

Register

Abmachung mit sich selbst 94f.Acheson, Dean 95Affektregulierung 47Ainslie, George 215Aktivität 189f.Alkohol 43, 49, 67, 85, 135f., 197–199, 201, 270, 286f.Alkoholismus/Alkoholmissbrauch 20, 59, 67, 185, 201f.,

205f.Allen, David 91–96, 99–102, 288Anonyme Alkoholiker 199–207, 217, 225– Zwölf Schritte 200f., 205, 217Ariely, Dan 119f., 176Armelagos, George 253Aufgeschobene Befriedigung 229f., 263, 271–274, 292f.Aufschieben 278–282Ayres, Ian 179 Baldwin, Mark 212Bandura, Albert 86Baucom, Don 33f.Bedürfnisse 9f., 41, 263f., 273f.Belohnung 126, 215f., 297f.Bem, Daryl 42f.Benchley, Robert 293Bickel, Warren 85Blaine, David 149–153, 161–165, 286

Blutzuckerwert/-spiegel 57–60, 63, 198, 244, 263, 285Boice, Robert 186Branden, Nathaniel 222Buehler, Roger 289 Carey, Drew 91f., 100f.Carnegie, Dale 13Carroll, Deborah (Nanny Deb) 231–238Carver, Charles 135Chandler, Raymond 293f.Charakterbildung 12, 154, 172Cheng, Ken 42, 158Christakis, Nicholas 208Chua, Amy 231Clapton, Eric 197–200, 204–206, 214f., 217f.Computernutzung 138f.Conrad, Joseph 170, 172Covenant Eyes 179Crescioni, Will 254 Daly, Martin 125Danziger, Shai 115Darwin, Charles 7, 132D-Day 89f.Demos, Kate 63DeWall, Nathan 227Diabetes 56, 58f., 74, 244, 285Diät 185, 251–274– biologische Reaktion 255f., 263– Bloßstellungsdiät 179

– Diätplan 78, 176– gegenregulierende Nahrungsaufnahme 258– Gewichtskontrolle 268–271– Regeln 260f., 296– Scheißegal-Effekt 257–259, 261, 263, 274– Signale des Körpers 259f., 270– Zielsetzung 256f., 265– und andere Ziele 49, 71– und Ego-Erschöpfung 63DiClemente, Carlo 205Drogen/Drogenmissbrauch 20, 41f., 67, 84f., 204, 206,

222, 225, 244Dunbar, Robin 22Duval, Shelley 133Dyson, Esther 139f., 144, 298 Ego-Depletion/Ego-Erschöpfung 38–49, 54, 62–64, 74,

153f., 159, 266, 283–285Ehestreitigkeiten 33f.Ehrlinger, Joyce 254Elterliche Aufsicht 243–245Emmons, Robert 82Emotionale Kontrolle 34f., 39–41, 44, 47f., 69, 155, 261f.Empathielücke 175f., 295Entscheidungen 109–114, 117–127– für andere 114– und Willenskraft 117f., 123, 284–286Entscheidungsmüdigkeit 109, 118, 122f.Ergebniskontrolle 203f.

Ferber-Methode 236f.Fernsehen 246f.Finanzverhalten 140–145, 295Finkel, Eli 160Finkenauer, Catrin 184Fishbach, Ayelet 142Flynn, James 228Forsyth, Donald 224, 227Fortschritte festhalten 286f.Fowler, James 208Franklin, Benjamin 78–82, 87, 161Freedom 295Freud, Sigmund 12, 14f., 18, 37f.Fujita, Kentaro 192 Gailliot, Matthew 54Gedankenkontrolle 35f., 47Gehirn 21–23, 55– Amygdala 63– Energieverbrauch 62–64– Inselrinde 131, 145– Nucleus accumbens 63, 126– präfrontaler Kortex 38f.Gewohnheiten 181, 183–187, 267, 278, 292, 295Glukose 56– und Ernährung 70–73– und geschwächtes Immunsyste 73– und PMS 66–70– und Schlaf 73f.– und Selbstdisziplin 57–61

Glukosemangel 66f., 69f., 117– und Kriminalität 57f.Glykämischer Index von Nahrungsmitteln 72Griffith, Melanie 65, 70Gruppenzwang 204–209, 212, 267, 298GTD-System (Getting Things Done) 92f., 95f., 100–102Gutsell, Jennifer 38 Haddock, Frank Channing 12Harris, Thomas A. 16Häusliche Gewalt 160f.Heatherton, Todd 18, 62f., 261f.Heitmann, Mark 122Herman, Peter 258Herrmann, Andreas 122Hewitt, Jennifer Love 64f.Hill, Napoleon 13Höhere Macht 199f., 205, 207, 217f.Hortacsu, Ali 119Houston, Whitney 222f., 227Hütsch, Günter 119Hyperbelförmige Abwertung 214f.Hypoglykämie siehe Glukosemangel Ich-Bewusstsein 132–136Ideale 192f.Impulsivität 279Impulskontrolle 48, 191, 228, 284Intelligenz 19–21, 157, 228f.Inzlicht, Michael 38

Iyengar, Sheena 122 Jeal, Tim 172, 179, 183, 190Jefferson, Thomas 140Junkfood/Fastfood 43, 57, 160, 176, 295 Karlan, Dean 179f.Karr, Mary 199f., 206f., 213Kast, Felipe 208Kelly, Kevin 139Kindererziehung 221–248– alleinerziehende Eltern 242f.– asiatischstämmige Kinder 227– 232– autoritärer Erziehungsstil 230f.– Belohnungen 238–240– Disziplin 232–236– Regeln 230f., 236–241, 243– Selbstbewusstsein 222–227, 231f.– Selbstdisziplin 228, 232, 241f., 245– Strafen 233–235, 238King, Laura 82Kognitiver Geizhals 121Kohlenhydrate 72Kompromisse 121, 284Konzentrationsfähigkeit 35, 46–48, 57, 69, 99, 102,

246–248Koo, Minjung 142Künstliche Intelligenz 132Kutner, Lawrence 247

Lady Gaga 223Lebenserwartung 209Leistungskontrolle 48Levav, Jonathan 115, 122Lifehacker 296Livingstone, David 169, 172, 177f., 183, 190–192Loewenstein, George 175f.Lutealphase 66–69 Magary, Drew 179Marihuana 67, 85Marshmallow-Experiment 17, 189, 245McCord, Joan 244McCullough, Michael 209–211, 213McKellar, John 202McNamara, Robert 89f.Mecca, Andrew 222Meditation 35, 210f.Meier, Stephan 208Mint.com 132, 140–143, 290, 296Mischel, Walter 17, 241f., 245Moodscope 144Muraven, Mark 44f., 154Mütter 36, 230f., 242f. Nachentscheidungsphase 112f.Napoleon Bonaparte 89Narzissmus 226f.

Oaten, Megan 42, 158, 160Öffentliche Informationen 143f., 179f., 207f.Olson, Cheryl 247Online-Kontaktbörsen 119f.Online-Spiele 297Optionsaufgabe 117f., 120Ordnung/Ordnungssinn 183f., 291f. Palmer, Amanda 29–31, 45f., 49f. 68Parkinsons Gesetz 287f.Partnerwahl 118–120Patzer, Aaron 132, 141f., 290Paulhus, Delroy 226Peale, Norman Vincent 13Perfektionismus 278f.Pflichtgefühl 192Planungsfalle 289f., 299Polivy, Janet 258Pomeranz, Dina 208Prämenstruelles Syndrom (PMS) 65–69, 72– Glukosebedarf 66f.– physiologische Erklärung 66– und Ernährung 72Pubertät 133f., 240 Quantified Self 139, 296

Rauchen 48f., 71f., 157, 180f., 208f., 267, 286f., 292Rechtsprechung 114–117Regeln 176, 212, 214, 216f.Religion 10f., 191, 193, 200, 209–214RescueTime 138, 143Ridder, Denise de 184Robbins, Anthony 16 Scheier, Michael 135Schlafmangel 73f., 291Schunk, Dale 86Selbstbeherrschung 59–61, 72–74, 154, 160f., 165, 191,

198, 209–211, 227f., 241, 263f., 271, 298Selbstbeobachtung 136, 139–145, 155, 212, 259, 270,

295f.Selbstbewusstsein 222–227, 231f., 247f.– und Leistungen 223f.Selbstdisziplin 7f., 18–24, 42f., 47f., 54f., 135f., 157f.,

160f., 192, 228f., 298–300 und passim– automatisierte Verhaltensweisen 184–187– Kinder 236–248– und Diät 185, 217, 251–264– und Glukose 57–64, 71–74– und Ordnung 183f.– und PMS 64–70– und Religion 200, 209–214, 217, 298Selbsterschöpfung siehe Ego-Depletion/Ego-ErschöpfungSelbstkontrolle 268–271Selbstregulation 16–19, 39, 78, 139, 210f.– und Ich-Bewusstsein 135f.

Selbstüberwachung 137, 143, 210, 241Selbstverpflichtung 177–181, 241, 264–267, 295– finanzielle Anreize 180f.Selbstvertrauen 16, 86, 94, 226Selbstwahrnehmung 136, 198, 270Selbstwertgefühl 15f.Seligman, Martin 18Sexuelle Erregung 176f.Skinner, B. F. 15Smelser, Neil 223Smiles, Samuel 11Soziale Unterstützung 204–206, 209f., 218Sozialleben 22Speed-Dating 119f.Spitzer, Eliot 108f.Standard 134–136, 267Stanley, Henry Morton 169–175, 177–180, 182–184,

187–193, 213– Willenstraining 173f.Steel, Piers 278stickK.com 179f., 265Stroop-Test 39, 266Sublimierung 37f.Süßigkeiten 57, 64, 66, 71f., 123, 176, 262–265, 272–274 Tangney, June 19Tice, Dianne 18, 154, 279–282, 290, 293To-do-Liste 77f., 91f., 95, 99f., 288f., 293– allgemeine Punkte 95f.– Monatsplan 88, 287

– Prioritätenliste 90– Tagesplan 88To-don’t-Liste 288Trollope, Anthony 136–138, 293Trope, Yaacov 192Turner, Jim 56, 58f., 285Tweetwhatyouspend 296Twenge, Jean 109f., 112f. Umsetzungsplan 266, 294f.Unerledigte Aufgaben 97–99 Vergleiche 142–145Videospiele 247f.Vohs, Kathleen 40, 112, 261f.Vorentscheidungsphase 112f.Vorsätze 49f., 207 Wansink, Brian 269f.Wegner, Dan 35f.Weight Watchers 267Wheelis, Allen 14White, Dan 57Wicklund, Robert 133Wiedervorlageordner 94Willensausdauer 156Willenskrafttraining 153–161– Übung Körperhaltung 154–156– Übung Routinetätigkeiten 156f.

– Übung Sprechgewohnheiten 157Willoughby, Brian 210Wilson, Margo 125Winfrey, Oprah 252–255Wolf, Gary 139Wygotski, Lew 246 Xpenser 296 Zeigarnik-Effekt 96–100, 272, 288Zeithorizont 84f.Zeitlimit 287f.Ziele 81–87, 286–290, 295–297– kurzfristige/Nahziele 84–90– langfristige/Fernziele 78, 84–90, 93, 141, 215Zielkonflikte 82f., 210Zucker 71f.Zukunft/Zukunftsorientierung 23, 84–87, 126, 145, 192,

215–217, 239Zwei-Minuten-Regel 101

Anmerkung des Übersetzers

1*Anm. d. Übers.: Auf Deutsch erschien das Buch von JohnBunyan schon 1694 als Eines Christen Reise nach derseligen Ewigkeit. In neueren Ausgaben heisst es DiePilgerreise zur seeligen Ewigkeit oder schlicht Pilgerreise.

ImpressumDie englischsprachige Originalausgabeerschien unter dem Titel Willpower.Rediscovering the Greatest Human Strengthbei The Penguin Press, New York.Copyright © Roy F. Baumeister and JohnTierney, 2011. All rights reserved includingthe right of reproduction in whole or in part inany form.This edition published by arrangement withThe Penguin Press, a member of PenguinGroup (USA) Inc. Das Werk einschließlich aller seiner Teile isturheberrechtlich geschützt. Jede Verwertungist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und dieEinspeicherung und Verarbeitung inelektronischen Systemen.Copyright © 2012. Alle deutschsprachigenRechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurtam Main.Umschlaggestaltung: total italic, Amsterdamund Berlin

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