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Übersichten Trauma Berufskrankh 2016 ·18 (Suppl 5):S486–S493 DOI 10.1007/s10039-016-0201-2 Online publiziert: 5. September 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Stefanie Fitschen-Oestern · Andreas Seekamp Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel, Deutschland Distale Femurfraktur Posttraumatische Korrekturen und Revisionen Epidemiologie Frakturen des distalen Femur, entweder mit oder ohne Beteiligung der Gelenkflä- che, entsprechen etwa einem Anteil von 6 % aller Femurfrakturen. Während bei jungen Patienten der auslösende Mecha- nismus häufig ein Hochrasanztrauma ist, gegebenenfalls auch mit einer begleiten- den Verletzung der Nerven und Gefäße, handelt es sich bei den Patienten im hö- heren Lebensalter in der Mehrzahl um Frakturen mit wenig auslösender Ener- gie und einem, durch Osteoporose, stark geschwächten Knochen. Diagnostik Die adäquate Diagnostik einer distalen Femurfraktur schließt die klinische Un- tersuchung, inklusive der Prüfung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität ein. Die bildgebende Diag- nostik umfasst zunächst konventionelle Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen, sowie eine Computertomographie des distalen Femur und des Kniegelenkes. Bei frag- licher, ligamentärer Verletzung kann ge- gebenenfalls auch eine kernspintomogra- phische Untersuchung indiziert sein, die- se ist jedoch routinemäßig nicht durch- zuführen. Bei Korrektureingriffen ist eine mul- tiplanare Rekonstruktion in jedem Fall zur operativen Planung erforderlich. Eine Klassifikation der Frakturen des dista- len Femur erfolgt überwiegend nach der AO-Klassifikation (. Abb. 1), wobei, in Bezug auf die operative erapie, zu- nächst nach der groben Klassifikation ex- tra- und intraartikulär, bzw. intraartiku- lär einfach und mehrfach, unterschieden werden kann. Operative Planung Für die operative Planung reicht eine gro- be Klassifikation zunächst aus, bei Kor- rektureingriffen ist eine entsprechend fei- nere Klassifikation, bis in die Untergrup- pen, vorzunehmen. Bezüglich der Ope- rationstechniken gibt es eine Reihe von verschiedenen Möglichkeiten, auch die Auswahl der Implantate ist vielfältig. Das Prinzip der Winkelstabilität ist, für die Versorgung der distalen Femur- frakturen, nicht erst mit Etablierung der minimalinvasiv und anatomisch vorgeformten Implantate realisiert wor- den, sondern hat schon eine längere Tradition. Sie ist schon ema seit Ein- führung der sogenannten Klingenplatte und der dynamischen Kondylenschrau- be (DCS). Diesen beiden Implantaten ist gemeinsam, dass über das Implantat eine winkelstabile Verankerung der Femur- kondylen gegenüber dem Femurschaſt erreicht wird. Eine reine Plattenosteo- synthese im klassischen Sinne stellt die Abstützplatte dar. Diese ermöglicht jedoch keinerlei winkelstabile Veran- kerung. Ein winkelstabile Verankerung über sogenannte Kopfgewindeschrau- ben, bzw. eine entsprechende Veran- kerung jeglicher Schrauben innerhalb des Plattensystems, erlaubt zum Beispiel das „less invasive stabilization system“ (LISS). Dieses bietet sowohl eine Win- kelstabilität, wie auch den Vorteil eines minimalinvasiven operativen Zuganges durch die anatomische Präformierung und einen Zielbügel. Ein weiteres, sehr gut zu verwendendes, Implantat ist der retrograde Femurmarknagel. Als mini- malinvasives, externes Verfahren ist der Fixateur externe zu erwähnen, der jedoch in der Regel nur noch als Notfallmaßnah- me, oder als temporäre Überbrückung, z. B. bei Revisionseingriffen, in Betracht zu ziehen ist. Ebenfalls selten angewendet wird der Hybridfixateur, in welchem das gelenk- tragende Fragment, z. B. durch einen Dreiviertelring, stabilisiert wird (Tech- nik nach Ilizarov). Dieses Vorgehen stellt eine gute Alternative bei Korrek- tureingriffen im Vergleich zu internen Implantaten dar, wenn die Weichteile beispielsweise kein offenes Verfahren erlauben. Allgemeine operative Strategien Bei der primären Versorgung richtet sich die Wahl des Implantates und des operativen Zuganges nach dem Fraktur- typ Schweregrad und Lokalisation der Fraktur. Bei der sekundären Korrektur ist hierbei die geplante Lokalisation und Hö- he der gegebenenfalls vorzunehmenden Korrekturosteotomie ausschlaggebend. Im Rahmen der primären Versorgung sollte nach Möglichkeit ein minimalinva- siver Zugang gewählt werden. Dieses ist sowohl für die retrograde Marknagelung, als auch für die modernen winkelsta- bilen Implantate (LISS), welche über einen entsprechenden Zielbogen einge- bracht werden, möglich. Beschrieben ist eine minimalinvasive Technik aber auch für die Klingenplatte und die dynami- sche Kondylenschraube. Die retrograde Femurmarknagelung empfiehlt sich be- sonders für extraartikuläre Frakturen S486 Trauma und Berufskrankheit · Suppl 5 · 2016

DistaleFemurfraktur - rd.springer.com · Abb.18 AO-KlassifikationderdistalenFemurfraktur[16].(a–cExtraartikuläre,distaleFrakturen, d–fpartielle,distaleGelenkfrakturen;g–idistale

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Übersichten

TraumaBerufskrankh2016 ·18 (Suppl 5):S486–S493DOI 10.1007/s10039-016-0201-2Online publiziert: 5. September 2016© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Stefanie Fitschen-Oestern · Andreas SeekampKlinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, UniversitätsklinikumSchleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel,Deutschland

Distale FemurfrakturPosttraumatische Korrekturen undRevisionen

Epidemiologie

Frakturen des distalen Femur, entwedermit oder ohne Beteiligung derGelenkflä-che, entsprechen etwa einem Anteil von6% aller Femurfrakturen. Während beijungen Patienten der auslösende Mecha-nismus häufig einHochrasanztrauma ist,gegebenenfalls auch mit einer begleiten-den Verletzung der Nerven und Gefäße,handelt es sich bei den Patienten im hö-heren Lebensalter in der Mehrzahl umFrakturen mit wenig auslösender Ener-gie und einem, durch Osteoporose, starkgeschwächten Knochen.

Diagnostik

Die adäquate Diagnostik einer distalenFemurfraktur schließt die klinische Un-tersuchung, inklusive der Prüfung derperipheren Durchblutung, Motorik undSensibilität ein. Die bildgebende Diag-nostik umfasst zunächst konventionelleRöntgenaufnahmen in 2 Ebenen, sowieeine Computertomographie des distalenFemur und des Kniegelenkes. Bei frag-licher, ligamentärer Verletzung kann ge-gebenenfallsaucheinekernspintomogra-phischeUntersuchung indiziert sein, die-se ist jedoch routinemäßig nicht durch-zuführen.

Bei Korrektureingriffen ist eine mul-tiplanare Rekonstruktion in jedem FallzuroperativenPlanungerforderlich.EineKlassifikation der Frakturen des dista-len Femur erfolgt überwiegend nach derAO-Klassifikation (. Abb. 1), wobei, inBezug auf die operative Therapie, zu-nächst nachder grobenKlassifikation ex-tra- und intraartikulär, bzw. intraartiku-

lär einfach und mehrfach, unterschiedenwerden kann.

Operative Planung

Fürdie operativePlanung reicht eine gro-be Klassifikation zunächst aus, bei Kor-rektureingriffen ist eine entsprechend fei-nere Klassifikation, bis in die Untergrup-pen, vorzunehmen. Bezüglich der Ope-rationstechniken gibt es eine Reihe vonverschiedenen Möglichkeiten, auch dieAuswahl der Implantate ist vielfältig.

Das Prinzip der Winkelstabilität ist,für die Versorgung der distalen Femur-frakturen, nicht erst mit Etablierungder minimalinvasiv und anatomischvorgeformten Implantate realisiert wor-den, sondern hat schon eine längereTradition. Sie ist schon Thema seit Ein-führung der sogenannten Klingenplatteund der dynamischen Kondylenschrau-be (DCS). Diesen beiden Implantaten istgemeinsam, dass über das Implantat einewinkelstabile Verankerung der Femur-kondylen gegenüber dem Femurschafterreicht wird. Eine reine Plattenosteo-synthese im klassischen Sinne stelltdie Abstützplatte dar. Diese ermöglichtjedoch keinerlei winkelstabile Veran-kerung. Ein winkelstabile Verankerungüber sogenannte Kopfgewindeschrau-ben, bzw. eine entsprechende Veran-kerung jeglicher Schrauben innerhalbdes Plattensystems, erlaubt zum Beispieldas „less invasive stabilization system“(LISS). Dieses bietet sowohl eine Win-kelstabilität, wie auch den Vorteil einesminimalinvasiven operativen Zugangesdurch die anatomische Präformierungund einen Zielbügel. Ein weiteres, sehrgut zu verwendendes, Implantat ist der

retrograde Femurmarknagel. Als mini-malinvasives, externes Verfahren ist derFixateurexterne zuerwähnen,der jedochinderRegel nurnochalsNotfallmaßnah-me, oder als temporäre Überbrückung,z. B. bei Revisionseingriffen, in Betrachtzu ziehen ist.

Ebenfalls selten angewendet wird derHybridfixateur, in welchem das gelenk-tragende Fragment, z. B. durch einenDreiviertelring, stabilisiert wird (Tech-nik nach Ilizarov). Dieses Vorgehenstellt eine gute Alternative bei Korrek-tureingriffen im Vergleich zu internenImplantaten dar, wenn die Weichteilebeispielsweise kein offenes Verfahrenerlauben.

Allgemeine operativeStrategien

Bei der primären Versorgung richtetsich die Wahl des Implantates und desoperativen Zuganges nach dem Fraktur-typ Schweregrad und Lokalisation derFraktur. Bei der sekundärenKorrektur isthierbeidie geplanteLokalisationundHö-he der gegebenenfalls vorzunehmendenKorrekturosteotomie ausschlaggebend.Im Rahmen der primären Versorgungsollte nachMöglichkeit einminimalinva-siver Zugang gewählt werden. Dieses istsowohl fürdie retrogradeMarknagelung,als auch für die modernen winkelsta-bilen Implantate (LISS), welche übereinen entsprechenden Zielbogen einge-bracht werden, möglich. Beschrieben isteine minimalinvasive Technik aber auchfür die Klingenplatte und die dynami-sche Kondylenschraube. Die retrogradeFemurmarknagelung empfiehlt sich be-sonders für extraartikuläre Frakturen

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Abb. 18 AO-Klassifikation der distalen Femurfraktur [16]. (a–c Extraartikuläre, distale Frakturen,d–fpartielle, distale Gelenkfrakturen;g–i distale, vollständigeGelenkfrakturen). a–c Femur distal, ex-traartikuläre Fraktur. a Einfach,bmitmetaphysäremKeil, cmetaphysär komplex.d–f Femur distal,partielle Gelenkfraktur.dUnikondylär lateral, sagittal, e unikondylärmedial, sagittal, f Frontalebene.g–i Femur distal, vollständige Gelenkfraktur,g artikulär einfach,metaphysär einfach,h artikulär ein-fach,metaphysärmehrfragmentär, imehrfragmentär

Abb. 28 A-Fraktur des distalen Femur, versorgtmittels geschlossener Reposition und intramedullä-rerMarknagelung

des distalen Femur, unabhängig davon,ob es sich um einemehrfragmentäre me-taphysäre, oder um eine einfache meta-physäre Fraktur handelt [12, 14]. Unterden intraartikulären Frakturen erschei-nen auch die C1-Frakturen für die Stabi-lisierung mit einem distalen Femurmar-knagel noch geeignet.

BeidenA-Frakturen istdieRepositiongeschlossen möglich. Es reicht eine Re-position, die die Länge, dieAchse unddieRotation berücksichtigt. Da es sich umeine direkte, axiale Stabilisierung han-delt, ist gerade die intramedulläre Mark-nagelung für den älteren Patienten ge-eignet, da hier, in Abhängigkeit von denSchmerzen, relativ schnell eine Vollbe-lastung möglich ist (. Abb. 2).

Die Marknagelung ist insbesondereauch für pathologische, distale Femur-frakturen geeignet, da die Heilung hier-bei häufig nicht absehbar ist, und den-noch unmittelbar eine Belastbarkeit desFemur besteht (. Abb. 3). Auch winkel-stabile Plattensystemehabenbei patholo-gischen Frakturen, gegenüber nicht win-kelstabilen Plattensystemen, den Vorteilder unmittelbaren, axialen Belastungs-möglichkeit [8, 11].

Bei den intraartikulären FrakturenB1–C3 sind in der Regel eine direk-te Visualisierung der Fraktur und eineoffene Reposition der Fragmente er-forderlich. Die Fixation des Kondylen-massivs gegenüber dem Schaft kannwiederum minimalinvasiv erfolgen. Beiden B-Frakturen des distalen Femurkommt vorzugsweise eine kombinierteSchrauben- und Plattenosteosynthesein Betracht. Neben winkelstabilen Plat-tensystemen können bei den B-Fraktu-ren ausnahmsweise auch herkömmlicheAbstützplatten angewandt werden. BeiC-Frakturen sollte, nach der anatomi-schen Reposition der Femurkondylen,eine Stabilisierung gegenüber demSchaftmit einem winkelstabilen Plattensystem,z. B. der LISS, erfolgen. Diese sollte inden Schaftanteil minimalinvasiv einge-bracht werden. Eine minimalinvasiveImplantatpositionierung kann auch mitderdynamischenKondylenschraubeundmit der Winkelplatte [9, 15] gelingen.

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Spezielle operative Strategien

Die schon erwähnte Abstützplatte hatbei einer Trümmerzone im Bereich derMetaphyse einen deutlichen Nachteil ge-genüber der DCS, der Klingenplatte undinsbesondere auch gegenüber den mo-dernen, winkelstabilen Plattensystemen.Sie sollte bei mehrfragmentären B- undC-Frakturenheutenichtmehrverwendetwerden. In einer vergleichenden Studiezur Stabilität der Abstützplatte, wie auchder Klingenplatte und der DCS, zeig-te sich die Abstützplatte nachteilig, daes hier zu einem schnellen Verschleißenund einem Korrekturverlust im Bereichder Fraktur kommt [13]. In Bezug aufdie Ausreißfestigkeit bietet beispielswei-se die LISS nochmals einen signifikantenVorteil gegenüber derDCS und derKlin-genplatte [6].

ProblematischbeiderVersorgungvondistalen Femurfrakturen ist häufig dieStabilisierung der medialen Kortikalis.

Die Plattensysteme werden in derRegel lateral angebracht, so dass es un-ter Umständen zu einer verzögertenFrakturheilung auf der medialen Seitekommen kann, und nachfolgend auch zueiner sich entwickelnden Fehlstellung.Um dieser Entwicklung entgegenzuwir-ken, gibt es verschiedene Möglichkeiten.Möglich ist beispielsweise die zweizeitigeVersorgung distaler, supradiakondylä-rer Femurfrakturen (C1-Fraktur), die,nach einer primären Stabilisierung miteiner DCS, noch medialseitig mit einemtrikortikalen Span stabilisiert werden(. Abb. 4). Dieser wurde als biologischePlatte über einen separaten medialenZugang zum Femur mit drei Kortika-lisschrauben angelegt. Hierbei kam eszu einer komplikationslosen Ausheilungder Fraktur. In einem weiteren Beispieleiner ähnlichen Versorgung stellte sichebenfalls medialseitig eine verzögerteFrakturheilung ein, wobei das Prob-lem nicht ein knöcherner Defekt war,sondern eine mangelnde Stabilisierungmedialseitig (. Abb. 5). Hier wurde imVerlauf die DCS durch eine etwas län-gere LISS ausgewechselt, unter der esim weiteren Verlauf zu einer adäqua-ten Frakturheilung gekommen ist. Auchunter Verwendung einer LISS kanndas Problem der fehlenden medialen

Zusammenfassung · Abstract

Trauma Berufskrankh 2016 · 18 (Suppl 5):S486–S493 DOI 10.1007/s10039-016-0201-2© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

S. Fitschen-Oestern · A. Seekamp

Distale Femurfraktur. Posttraumatische Korrekturen undRevisionen

ZusammenfassungBei Korrektureingriffen im Bereich des dista-len Femur ist zur operativen Planung einemultiplanare Bildrekonstruktion erforderlich.Das Prinzip der Winkelstabilität ist für dieVersorgung der distalen Femurfrakturenschon seit Einführung der Klingen- undder dynamischen Kondylenplatte etabliert.Neben den winkelstabilenPlattensystemen,wie z. B. dem „less invasive stabilizationsystem“ (LISS), hat sich auch der retrogradeFemurnagel bei der Versorgung derdistalen Femurfrakturen durchgesetzt.Trotz winkelstabiler Implantate ist zuweileneine zusätzliche, mediale Abstützung, miteinem trikortikalen Beckenkammspan oder

einer Spongiosaplastik, notwendig. Aucheine Doppelplattenosteosynthese kannnotwendig werden.Kommt es zu einem Versagen der Osteosyn-these und eine Reosteosynthese ist nichtmöglich, bzw. in Anbetracht des Patienten-zustandes nicht sinnvoll, ist die Option desGelenkersatzes zu erwägen. Hierbei mussunter Umständen der distale Femur ersetzt,und eine gekoppelte Kniegelenksprotheseimplantiert werden.

SchlüsselwörterFemurfraktur · Arthroplastie · Knochenplat-ten · Marknagel · Interne Osteosynthese

Distal femur fracture. Posttraumatic corrections and revisions

AbstractCorrection osteotomies in distal femoralfractures require multiplanar reconstructionfor surgical planning. The principle of angularstability for surgical treatment of distalfemoral fractures has been well establishedsince the introduction of the condylar anddynamic condylar plate. Besides angularstable plate systems like less invasivestabilization system (LISS), the retrograde nailis also a valuable tool for A-type and someC1- and C2-type fractures. Despite angularstable implants, some patients need a medialbuttressing either by tricortical bone graft

from the iliac crest or, in rare cases, doubleplating. In the case of implant failure andwhen there is no chance of reosteosynthesisdue to bone quality and patient condition,total knee replacement is the method ofchoice. In some situations, replacement ofthe distal femur and joint replacement isnecessary.

KeywordsFemoral fracture · Arthroplasty · Bone plates ·Marrow nail · Internal fracture fixation

Abstützung und verzögerter Fraktur-heilung auftreten. Eine solche Situati-on erfordert gegebenenfalls eine lokaleSpongiosaplastik und eine zusätzlicheStabilisierung durch eine Plattenosteo-synthese, die entweder einzeitig oderzweizeitig vorgenommen werden kön-nen, wie im weiteren Fallbeispiel gezeigt(. Abb. 6). Eine solche Maßnahme kanninsbesondere dann angezeigt sein, wennes sich um einen osteoporotisch ver-änderten Knochen handelt, und eineMobilisierung des Patienten nur unternahezu voller Belastung des betreffendenBeinesmöglich erscheint. In dem gezeig-ten Fallbeispiel wurde dieses Vorgehenzweizeitig realisiert, da die Weichteilsi-tuation bei der Patientin ein einzeitiges

Vorgehen unmöglich machte. Bei Beur-teilung der Fraktur war aber von Beginnan eine Doppelplattenosteosynthese in-diziert. Auch in der Literatur finden sichzudiesemVorgehenentsprechendeEmp-fehlungen [7].

Bei weit distal gelegenen und zugleichintraartikulären Femurfrakturen, insbe-sondere im höheren Lebensalter bei os-teoporotischen Knochen, empfiehlt sichausschließlich die Stabilisierung mit ei-nem winkelstabilen Plattenosteosynthe-sesystem, wie z. B. der LISS [1, 3, 4]. Dashier gezeigte Fallbeispiel (. Abb. 7) zeigteine weit distal gelegene, intraartikulä-re Femurfraktur mit Stabilisierung übereine sehr lange LISS, bei gleichzeitiger,primär anatomischer Reposition der Fe-

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Abb. 39 DieMarknage-lung der distalen Femur-fraktur ermöglicht eine un-mittelbare Belastbarkeitdes Femur

Abb. 48 Zweizeitig versorgte, distale, supradiakondyläre Femurfraktur, die nach primärer Stabilisierungmit einer DCS imweiteren Verlaufmit einem trikortikalen Span stabilisiertwurde

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Übersichten

Abb. 59 a, bVerzögerteFrakturheilung nachDCS,die durch eine LISS ersetztwurde, unter der es imwei-teren Verlauf zu einer ad-äquaten Frakturheilungkam

murkondylen. Sollte es dabei zu einerDislokation, bzw. zu einem knöchernenZusammenbruch kommen, so kann eszur schnellen Mobilisierung der Patien-ten notwendig werden, einen komplet-ten prothetischen Gelenkersatz vorzu-nehmen. Aufwendige, und häufig zeit-raubende, osteosynthetische Erhaltungs-versuche des Kniegelenkes zur Mobili-sierung der Patienten enden häufig eherfrustrierend. In dem gezeigten Fallbei-spiel (. Abb.8)wurdeeindistalerFemur-ersatz mit einer Tumorprothese durch-geführt [2]. Knapp 4 Wochen nach derOsteosynthese kam es zu einem kom-pletten Ausreißen des Plattensystems. Eshandelte sich um eine peripher gelegeneFraktur, so dass ein prothetischer Ge-lenkersatz angestrebt wurde, ohne einen

erneuten Versuch zur Plattenosteosyn-these.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten,dass für operative Eingriffe, bei Fraktu-ren des distalen Femur, nach wie vorein großes Repertoire an Implantaten zurVerfügung steht und auch Anwendungfindet.Hierzu zählenauchdie konventio-nellen, überwiegend nicht komplett win-kelstabilen, Implantate. Das Therapiere-gime wird von jedem Operateur indivi-duell festgelegt, je nachdemmit welchemImplantat die besten Erfahrungen ge-macht wurden. Grundsätzlich ist für dieFrakturversorgung die Therapie erlaubt,die zur komplikationslosen Ausheilungder Fraktur führt. Entscheidend ist, be-

züglich der Ausheilung, die winkelsta-bile Verankerung zwischen den Femur-kondylen und dem Femurschaft. DiesesPrinzip ist auchbei derKlingenplatte undder Kondylenplatte gegeben. KeineWin-kelstabilität besteht bei derAbstützplatte,diese sollte daher nicht mehr verwendetwerden.

Für eine erfolgreiche Ausheilung istdiemedialeAbstützung, inHöhederMe-taphyse, von maßgeblicher Bedeutung.Dieses gilt auch für die winkelstabilenPlattensysteme. Sobald die mediale Ab-stützung als gefährdet erscheint, kanneinzeitig oder auch zweizeitig, eine me-diale, zusätzliche Plattenosteosyntheseerfolgen, gegebenenfalls mit einer Spon-giosaplastik. Auch durch einen korti-kospongiösen Span kann eine medialeAbstützung erreicht werden.

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Abb. 69 Distale Femur-fraktur; zweizeitigeme-diale StabilisierungmittelsPlattenosteosynthese undSpongiosaplastik, nach pri-märer Stabilisierungmit-tels LISS

Abb. 79 Distale, intraar-tikuläre FemurfrakturmitStabilisierung über LISS,bei gleichzeitiger anato-mischer Reposition der Fe-murkondylen

Trauma und Berufskrankheit · Suppl 5 · 2016 S491

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Übersichten

Abb. 88 Distale Femurfraktur, versorgtmit einer Tumorprothese nachAusreißen der Plattenosteosynthese

Kommt es zu einem Versagen derOsteosynthese, ist zunächst die Ursa-che hierfür zu klären. Es kann sich umeinen Zusammenbruch der Weichtei-le mit einem Weichteildefekt handeln,z. B. im Rahmen einer offenen Fraktur,oder bedingt durch eine Infektion bzw.eine präoperative Morbidität. Dies gehtmit einer nicht ausreichendenDurchblu-tungssituationdes Beines einher. Es kannebenfalls zu einem Zusammenbruch desKnochens kommen, entweder durcheine begleitende Deperiostierung beioffener Fraktur, durch eine Osteitis beieinem tiefen Weichteilwundinfekt, oderaber durch eine vorbestehendeOsteopo-rose [5]. Ist bei einer fehlgeschlagenenOsteosynthese die Ursache identifiziert,stellt sich zunächst die Frage, ob eineReosteosynthese möglich und sinnvollist. Bei einem jüngeren Patienten solltein jedem Fall stets eine Reosteosyntheseangestrebt werden. Hierzu ist einVerfah-renswechsel erforderlich, z. B. von einem

retrograden Marknagel auf eine winkel-stabile Platte, oder umgekehrt, je nachUrsache der ausgebliebenen Frakturhei-lung,undderoperativenStrategie,diezurdefinitiven Knochenausheilung verfolgtwird. IndiesemZusammenhang ist eben-falls über die Notwendigkeit eines Kno-chenaufbaus und die Anwendung biolo-gischer,knochenheilungsfördernderMe-diatoren zu entscheiden. Ist eine Reos-teosynthese nichtmöglich, bzw. inAnbe-tracht des Patientenzustandes nicht sinn-voll, bleibt nur der Gelenkersatz.

Dieser kann im einfachstenFall durcheinekonventionelleKniegelenksprotheseerfolgen, die auch bei einer Gonarthro-se verwendet wird, entweder kreuzband-erhaltend oder kreuzbandersetzend. Inder Mehrzahl der Fälle gelingt die Be-handlung einer nicht verheilten, dista-lenFemurfrakturmiteinerkonventionel-len Knieprothese nicht. Stattdessenmusseine Revisionsknieprothese mit entspre-chendem Ersatz des distalen Femur ein-

gesetzt werden. Meistens handelt es sichhierbei um eine gekoppelte Kniegelenks-prothese.

WenndasVersagenderOsteosyntheseaufeineausgedehnte Infektionzurückzu-führen ist, muss auch an eine Arthrodesegedacht werden. Bis zur Ausheilung desvorliegenden Infektes ist das Gelenk,nach einem knöchernen Debridement,mit einem gelenkübergreifenden Fixa-teur externe und gegebenenfalls miteinem Zementspacer zu stabilisieren. Imweiteren Verlauf kann ein intramedullä-res, versteifendes Implantat eingebrachtwerden. Bei nichtinfizierten Knochenund Weichteilen kann eine Arthrodese,unterVerwendung eines entsprechendenImplantates, auch einzeitig durchgeführtwerden.

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Fazit für die Praxis

4 Eine fehlgeschlagene Osteosynthesesollte immer als zweite Chancegenutzt werden.

4 Bei jungen Patienten bleibt das Zielweiterhin die definitive Frakturhei-lungundder Erhalt des Kniegelenkes.

4 Bei älteren Patienten ist die schnel-le Mobilisation vorrangig. Statteiner Reosteosynthese ist der pro-thetische Gelenkersatz, durch eineentsprechende Revisionsprothese,bei fehlgeschlagener Osteosynthesedas Vorgehen der Wahl. [10].

Korrespondenzadresse

Dr. S. Fitschen-OesternKlinik für Orthopädie und Unfallchirurgie,Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,Campus KielArnold-Heller-Str. 3, Haus 18, 24105 Kiel,[email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. S. Fitschen-Oestern undA. See-kampgeben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitragbeinhaltet keine vondenAutorendurchgeführten Studien anMenschenoder Tieren.

The supplement containing this article is not sponso-redby industry.

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