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 erschienen in Der Konstrukteur 9/2013 WERKSTOFFTECHNIK I  XXX  Ein Motor des Fortschritts Entwicklungskompetenz der Massivumformung nutzen Klaus Vollrath  Massivumgeformte Bau teile sind wegen ihrer Festigkeit, Zähigkeit und Zuverlässigkeit in vielen Produkten von Fahrzeugbau bis zum Maschinenbau im Einsatz.  Mit dem Fortschrit t in diesen  Anwendungen wachsen auch die  Anforderungen an die verwendeten Bauteile. Daher betreiben die Unternehmen der Massivumfor- mung praktisch kontinuierlich Innovation – von der Werkstoff- innovation über die Weiterent- wicklung von Umformverfahren bis zur computergestützten Simu- lation von Bauteilen und Um-  formprozessen. Es ist eine Sache, sich eine mechanische Komponente am Computer zeichnerisch darstellen zu lassen und eine ganz andere, diese dann so herzustellen, dass das Ergeb- nis unter allen möglichen Gesichtspunkten – wozu auch Kosten und Ressourcen ge- hören – als optimal gelten kann. Einer der  wichtig sten Aspekte ist hierbei die at- sache, dass die Eigenschaften eines Bau- teils untrennbar mit seinem Herstellpro- zess verknüpft sind. Ganz besonders gilt dies bei Komponenten, die dreidimensio- nal variable Wanddicken aufweisen. Erfah- rene Konstrukteure wissen, dass man eine gegebene Geometrie nicht beliebig durch Gießen, Schmieden oder Schweißen herstellen kann. Ein Produkt hat nur dann optimale Eigen- schaften, wenn bei seiner Auslegung und Formgebung die Besonderheiten des ge-  wählten Herstell verfahre ns soweit wie mög- lich berücksichtigt wurden. Deshalb spielt der Massivumformer als Innovationspart- ner und Berater des Konstrukteurs bei der  Weite rentwick lung von ge schmiedeten Pro- dukten heute eine wichtige Rolle. Die Bran- che hat sich auf diese Herausforderungen eingestellt. Die nachfolgend vorgestell- ten Beispiele vermitteln eine Vorstellung davon, wie vielfältig die dabei zu bewäl- tigenden Aufgabenstellungen sind. Gemeinschaftsentwicklung erbringt Materialersparnis „Bei dem in Bild 2 und 3 gezeigten Zahnrad konnten wir den Materialein- satz nahezu halbieren“, sagt Dr.-Ing. Friedrich Räuchle, echnischer Leiter Umformtechnik der Räuchle GmbH + Co. KG  in Dietenheim. Das für eine mechanische PKW-Sitzverstellung eingesetzte Bauteil aus dem Werksto16MnCr4 weist zwei unterschiedliche Ve rzahnungen mit dazwi- schenliegenden Lagerflächen auf. Die Herausforderung lag darin, aus der ur- sprünglichen Kundenid ee ein Gesamtkon- zept aus Bauteil und Herstellprozess für eine möglichst wirtschaftliche Fertigung zu entwickeln. Ursprünglich wurde das eil so konnzipiert, dass lediglich der Bereich mit der Evolventenverzahnung durch Fließ- pressen geformt wurde. Der obere Lagerbe- reich sowie die Steckverzahnung sollten dann zerspanend gefertigt werden. Von den ursprünglich 242 g des Rohteils wären dementsprechend 118 g bzw. 48 % im Spänekorb gelandet. „Wir haben dann Prozess und Bauteil zu- sammen mit dem Kunden komplett durch- gearbeitet, um eine möglichst vollständig auf Umformoperationen basierende Lösung zu nden“ , ergänzt Roland Wiest, Leiter Ver- fahrensentwicklung Pressteile. Entschei- dend war, die Geo- Bild 2: Fast die komplette Geometrie des fertigen Bauteils wird durch Umformung erzeugt Klaus Vollrath, Fachjournalist , Aarwangen (CH)     B     i     l     d     R     ä    u    c     h     l    e

Ein Motor Des Fortschritts

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  • erschienen in Der Konstrukteur 9/2013

    werkstofftechnik I xxx

    Ein Motor des FortschrittsEntwicklungskompetenz der Massivumformung nutzen

    Klaus Vollrath

    Massivumgeformte Bauteile sind

    wegen ihrer Festigkeit, Zhigkeit

    und Zuverlssigkeit in vielen

    Produkten von Fahrzeugbau bis

    zum Maschinenbau im Einsatz.

    Mit dem Fortschritt in diesen

    Anwendungen wachsen auch die

    Anforderungen an die verwendeten

    Bauteile. Daher betreiben die

    Unternehmen der Massivumfor-

    mung praktisch kontinuierlich

    Innovation von der Werkstoff-

    innovation ber die Weiterent-

    wicklung von Umformverfahren

    bis zur computergesttzten Simu-

    lation von Bauteilen und Um-

    formprozessen.

    Es ist eine Sache, sich eine mechanische Komponente am Computer zeichnerisch darstellen zu lassen und eine ganz andere, diese dann so herzustellen, dass das Ergeb-nis unter allen mglichen Gesichtspunkten wozu auch Kosten und Ressourcen ge-hren als optimal gelten kann. Einer der wichtigsten Aspekte ist hierbei die Tat- sache, dass die Eigenschaften eines Bau-teils untrennbar mit seinem Herstellpro-zess verknpft sind. Ganz besonders gilt dies bei Komponenten, die dreidimensio-nal variable Wanddicken aufweisen. Erfah-rene Konstrukteure wissen, dass man eine gegebene Geometrie nicht beliebig durch Gieen, Schmieden oder Schweien herstellen kann.

    Ein Produkt hat nur dann optimale Eigen-schaften, wenn bei seiner Auslegung und Formgebung die Besonderheiten des ge-whlten Herstellverfahrens soweit wie mg-lich bercksichtigt wurden. Deshalb spielt der Massivumformer als Innovationspart-ner und Berater des Konstrukteurs bei der Weiterentwicklung von geschmiedeten Pro-dukten heute eine wichtige Rolle. Die Bran-che hat sich auf diese Herausforderungen eingestellt. Die nachfolgend vorgestell-ten Beispiele vermitteln eine Vorstellung davon, wie vielfltig die dabei zu bewl-tigenden Aufgabenstellungen sind.

    Gemeinschaftsentwicklung erbringt MaterialersparnisBei dem in Bild 2 und 3 gezeigten Zahnrad konnten wir den Materialein-

    satz nahezu halbieren, sagt Dr.-Ing. Friedrich Ruchle, Technischer Leiter Umformtechnik der Ruchle GmbH + Co. KG in Dietenheim. Das fr eine mechanische PKW-Sitzverstellung eingesetzte Bauteil aus dem Werkstoff 16MnCr4 weist zwei unterschiedliche Verzahnungen mit dazwi-schenliegenden Lagerflchen auf. Die Herausforderung lag darin, aus der ur-sprnglichen Kundenidee ein Gesamtkon-zept aus Bauteil und Herstellprozess fr eine mglichst wirtschaftliche Fertigung zu entwickeln. Ursprnglich wurde das Teil so konnzipiert, dass lediglich der Bereich mit der Evolventenverzahnung durch Flie-pressen geformt wurde. Der obere Lagerbe-reich sowie die Steckverzahnung sollten dann zerspanend gefertigt werden. Von den ursprnglich 242 g des Rohteils wren dementsprechend 118 g bzw. 48 % im Spnekorb gelandet.

    Wir haben dann Prozess und Bauteil zu-sammen mit dem Kunden komplett durch-gearbeitet, um eine mglichst vollstndig auf Umformoperationen basierende Lsung zu finden, ergnzt Roland Wiest, Leiter Ver-

    fahrensentwicklung Pressteile. Entschei-dend war, die Geo-

    Bild 2: fast die komplette Geometrie des fertigen Bauteils wird durch Umformung erzeugt

    Klaus Vollrath, Fachjournalist, Aarwangen (CH)

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  • erschienen in Der Konstrukteur 9/2013

    metrie der durch Zerspanung hergestellten Bereiche so anzupassen, dass sie auch um-formtechnisch mit der erforderlichen Pro-zesssicherheit dargestellt werden konnte. Dazu mussten insbesondere die bergnge und Radien angepasst werden. Wichtiges Instrument bei der Entwicklung war die Simulation der erforderlichen Umformpro-zesse, die zugleich auch die visuellen Unter-lagen fr die Diskussionen mit dem Kunden lieferte, denn die erarbeiteten Vorschlge mussten wiederum mit dem Layout der Gesamt-Baugruppe harmonieren.

    Nach einigen Optimierungsschleifen ent-stand schlielich ein modifiziertes Bauteil, das im Rahmen eines fnfstufigen Kaltmas-sivumformvorgangs weitgehend fertig aus dem Werkzeug fllt. Lediglich der obere

    Lagersitz sowie die Stirnflchen mssen noch in geringem Umfang berdreht wer-den, bevor das Teil durch eine Einsatzhrte-behandlung seine endgltigen Eigenschaf-ten erhlt. Da man bei der Umformung direkt vom Drahtcoil arbeitet und die Tren-nung ohne Materialverluste durch Scheren erfolgt, liegt die Materialnutzung bei guten 95 % - ein schner Erfolg auch im Sinne einer besseren Nutzung von Energie und Ressourcen.

    Optimierung durch gemeinsame NeukonstruktionBei dem in Bild 4 gezeigten Schmiedeteil fr Gleisanlagen konnten wir im Rahmen einer gemeinsamen Neukonstruktion sowohl

    Bild 3: Bei der entwicklung war die simulation der Umformprozesse essenziell

    Bild 4: Altes und neues optimiertes Bauteil gegenbergestellt

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    die Funktionalitt als auch die Wirtschaft-lichkeit verbessern, erlutert Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Thomas Heiber, Ver-triebsleiter der SONA BLW Przisions-schmiede GmbH in Remscheid. Bei dem fr die F. W. Daum GmbH & Co. KG gefertigten Bauteil handelt es sich um eine rund 640 g schwere Zungengabel aus einem hher-festen Kohlenstoffstahl, die im Gesenk-schmiedeverfahren hergestellt wird. Zu den wichtigen Kostenfaktoren zhlte hierbei der erforderliche Zerspanungsaufwand. In das Teil mssen mehrere groe Bohrungen ein-gebracht werden, zudem musste die ge-samte Flche der Bauteilunterseite bearbei-tet werden. Hinzu kamen noch Materialver-luste beim Abscheren des Schmiedegrats.Um den Wnschen des Kunden nach Opti-

  • mierung der Funktionalitt des Teils und Reduzierung der Kosten zu entsprechen, wurde beschlossen, eine komplette Neu-konstruktion durchzufhren. Die Geome-trie der alten Ausfhrung war sichtlich noch an die alter Baukastenkonstruktionen ange-lehnt, wie sie frher fr Schweiteile ver-wendet wurden. Dies bedingte suboptimale Spannungsverteilungen bei Belastung. Bei der Entwicklung arbeiteten beide Firmen partnerschaftlich eng zusammen. Im Rah-men der Neukonzeption wurde insbeson-dere die Geometrie im Bereich des ber-gangs vom Grundkrper zur Gabel sowie zwischen den Gabelzinken optimiert. Ziel war hierbei, die bei der bisherigen Kon-struktion auftretenden Spannungsspitzen abzubauen und so die Materialbeanspru-chung zu vergleichmigen. Zudem steigen dadurch die Belastungsreserven und die Betriebssicherheit wird erhht. Zur Kosten-senkung trug auerdem die Reduzierung des Zerspanungsaufwands bei, da die Un-terseite des Bauteils nicht mehr bearbeitet werden muss. Zudem gelang es durch die Umstellung, das Volumen des noch zu ent-fernenden Grats zu reduzieren.

    Neue Werkstoffe als Alternative zu VergtungssthlenIn zahlreichen Einsatzgebieten von Struk-turbauteilen im Automobilbereich bieten sich bainitische Sthle als kostengltige Alternative zu den klassischen Vergtungs-sthlen an, sagt Dr.-Ing. Hans-Willi Raedt, Hauptabteilungsleiter Advanced Enginee-ring der Hirschvogel Automotive Group in Denklingen. Die Sthle der neuen Werk-stoffgruppe zeichnen sich dadurch aus,

    dass sie aufgrund ihrer Zusammensetzung allein schon bei kontrollierter Luftab- khlung aus der Schmiedehitze in die Zwischenstufe umwandeln.

    Das Gefge dieser hochdukilen Bainite (HDB) weist deshalb im Unterschied zu den blichen AFP-Sthlen (ausscheidungshr-tenden Ferritisch-Perlitischen Sthlen), deren Gefge hauptschlich aus Ferrit und Perlit besteht, ein reines Zwischenstufen- gefge auf, das sich durch eine sehr gute Kombination aus Festigkeit und Zhigkeit aus-zeichnet. Ihr Eigenschaftsprofil fllt damit die Lcke zwischen den preisgnstigen AFP-Sthlen und den klassischen Vergtungs-sthlen (Bild 5). Daher knnen sie letztere in vielen Anwendungsbereichen ersetzen.

    Fr den Anwender hat dies gleich mehr-fache Vorteile. Schon von den reinen Legie-rungskosten her weisen HDB-Sthle auf-grund des Verzichts auf teure Legierungs-

    elemente wie Nickel oder Molybdn ein gnstigeres Kostenniveau auf als Ver-gtungs werk stoffe. Hinzu kommen aber auf-grund der krzeren Prozesskette noch weitere Kostenvorteile. So entfallen die bei Vergtungssthlen zwingend erforderliche Wrmebehandlung sowie die ggfs. hierdurch zustzlich erforderlichen Manahmen wie Richten und Rissprfung. Zudem eignen sich HDB-Sthle im Gegensatz zu Vergtungs-sthlen auch fr eine Halbwarmumformung.

    Des Weiteren haben diese Sthle, zu de-nen der von Hirschvogel gemeinsam mit einem Stahlhersteller entwickelte 16MnCr-Mo5mod (H2) gehrt, Potential, als Einsatz-stahl verwendet zu werden. So erreichen

    beispielsweise einsatzgehrtete Bauteile aus diesem Stahl aufgrund einer sehr hohen Hrtbarkeit vergleichbare Eigen-schaften wie solche aus dem hochlegierten Einsatzstahl 18CrNiMo7-6.

    Fortschritte bei den ProduktionstechnologienZu den wesentlichen Innovationsfeldern unserer Branche zhlen auch Fortschritte im Bereich der Produktionsanlagen, sagt Dipl.-Ing. Norbert Gober, Bereichsleiter Engineering Services der SMS Meer GmbH in Mnchengladbach. Schnes Beispiel fr die dabei erzielbaren Fortschritte sei eine krzlich fr einen lateinamerikanischen Kunden entwickelte doppelreihige Exzen-terpresse fr die Herstellung von Rundtei-len wie z. B. Radnaben. Fr eine vertikal ar-beitende Presse hatte sich der Kunde dabei

    vor allem deshalb entschieden, um eine weitgehende Flexibilitt des Einsatzes der Anlage zu erreichen. Neben der Produktion von Naben mit hchstmglicher Produkti-vitt sollte die Anlage auch flexibel genug sein, um als Reserveaggregat fr die Her-stellung lngsorientierter Teile wie z. B. klei-ner Kurbelwellen dienen zu knnen. Dies setzte ein vertikal arbeitendes Aggregat voraus. Aufgrund der zweireihigen Ausfh-rung wird eine Verdopplung der Produkti-vitt pro Hub im Vergleich zu den blichen einreihigen Ausfhrungen erzielt.

    Eine der wesentlichen technischen He-rausforderungen des Projekts bestand darin, die gesamten Ablufe - auch im Bereich der Materialvorbereitung - exakt symmetrisch auszufhren, ergnzt Dr.-Ing. Markus Schaprian, Leiter Konstruktion fr Gesenk-schmiedeanlagen bei SMS Meer. Dies betraf auch die doppelstrngige Induktionsanlage. Hier war insbesondere eine uerst przise Reproduktion der Temperatur, der Gewichte und der Abmae der Rohlinge zu gewhr-leisten, um Asymmetrien bei der Belastung der Presse und der Werkzeuge sowie Abwei-chungen beim Produkt zu vermeiden.

    Auch die Zufhreinheit, mit der zwei Rohlinge zeitgleich in den Werkzeugraum eingebracht werden mussten (Bild 1), erfor-derte viel Entwicklungsarbeit. Weitere He-rausforderungen betrafen die Entwicklung eines neuartigen Werkzeughaltersystems, das sich zur Aufnahme von Gesenken fr Rundteile ebenso wie auch fr lngsorien-tierte Teile eignet und dank moderner Ein-zelschnellspannung fr die Gesenke in Verbindung mit einem Werkzeughalter-wechselwagen schnelle Gesenk- und Produktwechsel ermglicht.

    Industrieverband Massivumformung www.vfmz.net/3262440

    erschienen in Der Konstrukteur 9/2013

    Der Dialog mit dem Massivumformer fhrt zu effizienteren Entwicklungsprozessen und Bauteilen

    Bild 5: Die hDB-sthle fllen die Lcke zwischen den AfP-sthlen und den Vergtungssthlen

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    werkstofftechnik