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Ein wüster Wüstentext

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Page 1: Ein wüster Wüstentext

Ein wüster Wüstentext© Christof Wahner 2011

Marcel Reich-Ranicki: Herzlich willkommen zu unserem sagenumwobenen Literaturforum, das wieder einmal unter dem Motto steht "Texte, die der Mensch gelesen haben muss"! Heute dürfen wir auf dieser Bühne einen ebenso südländischen wie orientalischen Vertreter der zeitgenössischen Literatur begrüßen, der als wahrhaftiger Kandidat für den Literaturnobelpreis gelten darf. Die Mehrzahl seiner literarischen Werke zeichnet sich dadurch aus, dass fast ein jeder Satz durch den konfrontativen und gebieterischen Paukenschlag des Personalpronomens 1. Person Singular eröffnet wird. Die Sicht der Welt aus dem lyrischen Ich heraus deutet unmissverständlich darauf hin, dass es hier um genau eine einzige Person geht. Die Sätze kulminieren jeweils in ihrem späteren Verlauf in virtuosen Kadenzen, wobei die exquisiten Sprachintarsien sich in geradezu leichtfüßig-eleganter Weise überschlagen. Die Grammatik schreitet in bewusster Schlichtheit einher, ganz wie ein Wüstenschiff. Die Texte verzichten dabei weitgehend auf Reime, außer an ihrem thematisch zumeist überraschenden weil mit psychologi-schen und philosophischen Höhenflügen durchsetzten Finale. Insgesamt bestechen die hinreißenden Texte dieses außergewöhnlichen Poeten durch einen expressionistisch gefärbten, gewissermaßen konkreten Realismus. Durch seine markante Persönlichkeit und sein ebenso markantes politisches Wirken bekommt bei ihm etwa der Begriff "Mienenspiel" eine völlig neue Bedeutung. Nun aber wollen wir doch endlich unseren Freund zu Wort kommen lassen!

Muammar al-Ghadhafi: ICH bin der erste sozialistische Kaiser von Afrika. ICH bin der Poet der Wüste. ICH bin Poesie. ICH habe mein Lebenswerk in Libyen vollbracht, indem ICH in diesem Land erreicht habe, dass sich endlich nach Jahrhunderten ätzender Langeweile "Beduinen" auf "Ruinen" reimt.

ICH kann alles, denn ICH bin Exzentriker.

ICH kam in jenem Jahr zur Welt, als Libyen in den Händen der Achsenmächte lag, um mein Land undvor allem MICH vor den internationalen Kriegshetzern, diesen so genannten Alliierten zu beschützen, die uns auch heutzutage in ihrer arroganten, ideologisch verbohrten Art das Leben zur Hölle machen. Damals war es dieser geisteskranke Churchill und heutzutage ist es dessen geistiger Nachfahre, und zwar dieser inzwischen an Paranoia erkrankte Verräter mit dem schrulligen Künstlernamen Sarkozy.

ICH liebe diesen seligen General Rommel, der damals im Afrikafeldzug das Oberkommando hatte und dessen Sohn 22 Jahre lang Stuttgarter Oberbürgermeister war. Oh, Stuttgart, du glückseliger Ort mit sieben Hügeln! Du schwäbisches Rom, in dem der Donnergott noch waltet! Stuttgart 21, 22, 23 ...

ICH liebe Deutschland! Oh wie ich es liebe! Nun, Italien ist auch angenehm, aber Deutschland erst!Gerhard Schröder war schon ein guter Mann, aber dieser Guido Westerwelle ist auch nicht schlecht.

ICH habe Mitleid mit diesem Deutschland, das nun schon seit 66 Jahren ohne Diktator leben muss.Mein lebenstüchtiger und lebenslustiger Busenfreund Silvio Berlusconi sorgt dafür, dass Italien nicht so eine schlimme Notlage erleidet wie Deutschland. Aber wenn er nur halb so gut Deutsch könnte wie ICH, dann wäre er sicher schon längstens in Deutschland einmarschiert, um diese demokratisch verseuchte Regierung zu übernehmen. Nun aber überlässt die Vorsehung diese große Aufgabe MIR.

ICH werde zuerst politisches Asyl in Stuttgart beantragen, dann werde ich meine Beduinenzelte an einigen der sieben Hügel aufschlagen, dann werde ich Oberbürgermeister, dann zwei Monate später Bundesverfassungsrichter, dann Bundestagspräsident, dann Bundespräsident, dann Ehrenpräsident vom FC Bayern München (genauso wie der Deutsche Kaiser Franz Beckenbauer) und schließlich will ich Deutscher Revolutionsführer werden. ICH werde als Deutsch-Afrikanischer Kaiser Togo, Namibia und Tansania zurück erobern und von dort aus die ganze Welt. ICH werde Herrscher des Universums.

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ICH liebe die deutsche Leitkultur: Hausmeister Krause, Mainzelmännchen, Bernd das Brot, Immanuel Kant, Boris Becker, Sauerkraut, Brezeln, Adolf Hitler, Mario Barth, Gerhard Schröder, Hartz IV, GZSZ, DSDS (ist übrigens viel spannender als diese neue Telenovela JSDS "Japan sabotiert den Supergau").

ICH will im "Ländle" leben, wo man seit Jahrhunderten sagt "Alla(h) gut". ICH aber werde dem Volk predigen "Ghadhafi gut". Während Mohammed gesagt hat "Islam", verkünde ICH dem Volk "I slam". ICH aber werde bei Poetry Slams und Song Slams keine anderen Slammer neben MIR dulden, denn ICH bin mit weitem Abstand der beste aller Poeten und ICH will das Volk vor allen schlechten Texten bewahren. Im Prinzip wurde auf der Welt schon alles gesagt, aber leider noch nicht von MIR.

ICH will die Libysche Wüste nach Deutschland verlegen und darin Oasen bauen und Atomkraftwerke.ICH will nicht nur im Radio aktiv sein, sondern auch im Fernsehen strahlen und auf allerlei Bühnen als Schmierenkomödiant auftreten. ICH will, dass das ganze Volk gemeinsam mit MIR strahlt. Das Volk soll aus der ungemütlichen städtischen "Ruinenkälte" in wohltemperierte "Beduinenzelte" übersiedeln. Weitläufige, bunt geschmückte Minenteppiche werden überall im Land den unermesslichen Wohlstand des deutschen Volkes demonstrieren.

ICH habe keine Schwierigkeiten, mit dem Volke mitzufühlen, denn ICH bin das Volk. Und ICH bin der Psychotherapeut meines Volkes, denn nur ICH weiß allzu gut, was das Volk braucht. MEIN Volk liebt MICH. Je mehr ICH mich vergesse, umso mehr erinnert sich das Volk an MICH.

ICH halte mich stets an den Kategorischen Imperativ. ICH handle nur nach derjenigen Maxime, durch die ich zugleich wollen kann, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Oh, dieser Kant war ein Gigant!

Marcel Reich-Ranicki: Nun, da bleibt mir nur noch, herzlichen Dank zu sagen für diese beeindruckende Darbietung von unermesslicher kultureller Tragweite. Verehrtes Publikum, wir verabschieden uns bis zu unserem nächsten Literaturforum unter dem Motto "Texte, die der Mensch gelesen haben muss".