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Mitbestimmung DAS MAGAZIN DER HANS-BÖCKLER-STIFTUNG · WWW.MAGAZIN-MITBESTIMMUNG.DE NOVEMBER 11/2013 ENERGIE · Was in der Solarindustrie gründlich schiefgelaufen ist EUROPA · Der Italiener Angelo Bolaffi wirbt für eine deutsche Führungsrolle EINREISE · Wieso lässt die NSA unseren Autor nicht aus Detroit berichten? Energiewende Arbeitnehmer fordern Verlässlichkeit

ENERGIE ERpU o A EINREISE - six silbermanwtf.tw/f13/mitbestimmung_nov13.pdf · Postfach 60424 Frankfurt am Main Infotelefon: 0 69 / 79 50 10-20 Fax: 0 69 / 79 50 10-11 Internet: E-Mail:

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ENERGIE · Was in der Solarindustrie gründlich schiefgelaufen istEURopA · Der Italiener Angelo Bolaffi wirbt für eine deutsche Führungsrolle EINREISE · Wieso lässt die NSA unseren Autor nicht aus Detroit berichten?

EnergiewendeArbeitnehmer fordern Verlässlichkeit

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... nicht gegen sie“, sagt IG-BCE-Chef Vassiliadis im Interview mit unserem Magazin. In diesem Kontext er-warte er von den Vertretern der Öko-Bewegung auch eine gewisse Empathie für die Belange von Arbeit-nehmern und Belegschaften.

Dass Arbeitsplätze im Strukturwandel der Energiewende unter die Räder geraten, werden die Gewerkschaften im Energiesektor nicht so einfach zulassen können. Nicht ver.di, deren energiepoli-

tische Positionen wir in diesem Heft ausführlich erfragen. Nicht IG BCE, nicht die IG Metall. So wenig wie NRW-Minister-präsidentin Hannelore Kraft, die im Zuge der Koalitionsverhandlungen klarmachte, was ihr ener-giepolitisch wichtig ist:

„Dass wir die Industrie-arbeitsplätze in unserem

Land erhalten“. Die guten und mitbestimmten Jobs sind keine Randgröße, wenn die neue Regierung sich all die Widersprüche rund um das EEG vornimmt. Und den Investitionsstau auflöst, der die Gewerkschaftschefs von IG Metall und IG BCE genauso

„mit Sorge erfüllt“ wie die beiden Präsidenten der Wirtschaftsver-

„Die Energiewende bekommen wir nur mit der Industrie hin,...

bände BDA und BDI. Nachzulesen in der bemerkens-wert gemeinsamen Erklärung „Energiewende voran-treiben, Industriestandort sichern“.

Wie das politische Nichthandeln die Unternehmen lähmt, davon berichten in unserem Heft Betriebsräte und Aufsichtsräte aus Stadt- und Kohlekraftwerken, aus Konzernen und der Windkraftbranche. Sie alle fordern eine Energie- und Industriepolitik, auf die Verlass ist. Die Chancen einer anderen Energiezukunft wiederum skizzieren der Energie- und Wirtschaftswissenschaftler Uwe Leprich, der erklärt, wie sich die Machtverhältnis-se im Energiesektor verschieben, und Eicke Weber vom Fraunhofer-Institut Freiburg, der die solare Zukunft noch vor uns liegen sieht – sofern aus Kapitalmangel nicht andere die Geschäfte machen. Ein bitteres Lehr-stück ist der Niedergang der Solarmodul-Hersteller. Den Gründen sind unsere Autoren nachgegangen.

Interessante Lektüre wünscht

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Cornelia Girndt

[email protected]

3Mitbestimmung 11/2013

EDITORIAL

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42 Schuften rund um die Uhr Wie Betriebsräte Schichtarbeits­

modelle einführen und ihre Kollegen beteiligen. Von Ulla Wittig­Goetz

46 Unsoziales Sozial­unternehmen

Kampf um den Tariflohn bei CeBeeF. Von Joachim F. Tornau

48 Stahl im Überfluss Bericht von der Stahlkonferenz der

IG Metall. Von Dirk Schäfer

TITEL enerGiewende ARBEIT

10

10 Energie­Lotsen im Netz Wie die Beschäftigten von 50Hertz mit unkalkulierbaren Strommengen manöv­

rieren. Der Netzausbau kommt nur schleppend voran. Von Annette Jensen

16 Energiewende in Zahlen und Schaubildern 18  „Es gibt kein Zurück“ Interview: ver.di­Experte Stüber über den Umbau der Energiewirtschaft

Energiepolitische Forderungen von ver.di

22 Stromkonzerne als Verlierer Stadtwerke profitieren, Konzerne kämpfen mit Schulden. Von Uwe Leprich

25 Energiewende aus Arbeitnehmervertreter­Sicht Investitionssicherheit! Das fordern Betriebsräte aus Stadtwerken, Tagebau, von

Vattenfall, EnBW und der Windbranche von der Politik. Von Carmen Molitor und Karin Flothmann

32  „Das ist ein vergifteter Anreiz“ IG­BCE­Vorsitzender Vassiliadis über eklatante Widersprüche der Energiewende

36 Das Licht geht aus im „Solar Valley“ Was ist in der deutschen Solarindustrie schiefgelaufen? Von Jörn Boewe und

Johannes Schulten

40  „Die große Zeit liegt noch vor uns“ Fragen an Eicke Weber, Solarexperte vom Fraunhofer­Institut

RUBRIKEN

3 EDITORIAL 6 NAchRIchTEN 9 PRO & cONTRA 72 RäTSELhAfTES fUNDSTÜcK 73 VORSchAU, ImPRESSUm 74 mEIN ARBEITSPLATZ Bernhard Bosch, Textilfacharbeiter

42

4 Mitbestimmung 11/2013

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58 Zur Sache Oliver Emons über europäische

Industriepolitik

60 Böckler­Tagungen Engineering­ und IT­Tagung Tarifpolitische WSI­Tagung

63 Tipps & Termine

64 Böckler­Nachrichten

66 Der Wissenschaftsmanager Altstipendiat Olaf Bartz leitet die

Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen. Von Carmen Molitor

55 Einreise verweigert Wie ein Mitbestimmungs­Autor aus

Detroit berichten wollte und die Homeland Security ihn nicht ins Land ließ. Von Lukas Franke

50 „Als Italiener darf ich das“ Interview mit dem italienischen

Philosophen Angelo Bolaffi, der eine deutsche Führungsrolle in Europa für wünschenswert hält.

54 Aufatmen bei Volkswagen Der EuGH erklärt das VW­Gesetz

für rechtens. Von Guntram Doelfs

AUS DER STIfTUNG

66

IG­BCE­Chef Michael Vassiliadis kritisiert den Prozess der Energie­wende als „teuer, ungerecht und ineffizient“, und dass Industrie­politik bisher nicht wirklich im Zentrum steht.

Seite 32

Gefährliche Sackgasse

INTERVIEW

mEDIEN

68 Buch & mehr

70 Website­check

5550

POLITIK WISSEN

5Mitbestimmung 11/2013

INhALT

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BETRIEBSRÄTE-PREIS 2013

Mit ihrem Projekt „Papierpark Zanders“ ist es den Betriebsräten der Metsä Board Zanders GmbH gelungen, die geplante Schließung des Traditionsstandortes Bergisch Gladbach zu verhindern. Weiterhin sind 500 Menschen in der Papierfabrik beschäftigt. Für diesen Erfolg erhielten die Betriebsräte um den Vorsitzenden Frank Eschenauer Mitte Oktober in Bonn Gold beim Deutschen Betriebsräte-Preis 2013. „Der Betriebsrat hat mit wirtschaftlichem Weitblick verhan-delt und mit hoher Kompetenz einen Kahlschlag des Standorts ver-hindert“, sagte Laudator Reiner Hoffmann, Vorsitzender der IG BCE

Anerkennung für Zanders­BetriebsräteNordrhein, der auch sechs weitere Betriebsräte auszeichnete. Einen Erfolg feierte auch die Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“; sie veranstaltet den Betriebsräte-Preis gemeinsam mit dem Deutschen Betriebsrätetag und den Gewerkschaften des DGB. Denn fast 90 Betriebsratsgremien hatten sich beworben – so viele wie noch nie. Der deutsche Betriebsräte-Preis wird auch im kommenden Jahr aus-geschrieben und verliehen. Projekte können bis zum 30. April 2014 eingereicht werden. Informationen über die Konditionen unter: www.deutscherbetriebsraete-preis.de ■

Bild deS MonatS

„Von der Welt geduldetes Sklaventum“Sie zählen zu den Ärmsten und schuften für die Reichsten: Arbeiter aus Nepal, Bangladesch oder Indien bauen im Emirat Katar die Are-nen der Fußball-WM 2022 – oft unter lebensgefährlichen und un-würdigen Bedingungen. Die Unterkünfte sind schäbig. Pässe wer-den von den Firmen einbehalten und Löhne oft nicht gezahlt. Am schlimmsten sind die häufigen Todesfälle durch Dehydrierung oder

Stürze aus großer Höhe. Gewerkschaften machen weltweit dage-gen mobil. „Von der Welt geduldetes Sklaventum“ nennt Dietmar Schäfers, stellvertretender Vorsitzender der IG BAU, der das Emirat mit einer Delegation der Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI) besucht hat, die Zustände im Wüstenstaat. Die konketen Forderun-gen der BHI kann man unter http://bit.ly/HzailL nachlesen. ■

6 Mitbestimmung 11/2013

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Berthold huber debattiert über Arbeitnehmer­macht

ITALIEN

„Ich habe den Eindruck, einige italienische Kollegen halten die deutsche Mitbestimmung für eine Kuschelveranstal-tung. Das ist sie nicht. Sie ist ein hart erkämpftes Recht“, so der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber bei einer Gewerkschaftsveranstaltung in Rom. Unter dem Titel

„Die Macht der Arbeitnehmer in den Unternehmen“ ha-ben die Gewerkschaft UIL, ihre Forschungsstiftung Fon-dazione Nenni und die Friedrich-Ebert-Stiftung am 30. Oktober zu einem Vergleich der italienischen und deut-schen Industriebeziehungen geladen. Die Konferenz war hochkarätig besetzt. Auf dem Podium saßen neben Hu-ber die italienischen Gewerkschaftschefs Susanna Ca-musso, CGIL, und Luigi Angeletti, UIL. Im Kern ging es um die Frage, ob die Mitbestimmung auch ein Modell für Italien sein könne.

Zur Debatte waren der Mitbestimmungsexperte Ro-land Köstler und Kai-Uwe Hemmerich, Gesamtbetriebs-ratsvorsitzender des Chemiekonzerns Clariant Produkte GmbH, angereist. IG-BCE-Mitglied Hemmerich, der auch Mitglied im Aufsichtsrat seines Unternehmens ist, erläu-terte den Alltag eines Arbeitnehmervertreters im Mitbe-stimmungssystem und betonte vor allem, dass man im Tagesgeschäft oft flexibel auf Situationen eingehen muss, die nicht immer mit dem Betriebsverfassungsgesetz ge-löst werden können. Köstler erklärte die Mitbestimmung im Aufsichtsrat als historisch gewachsenes Modell und betonte zugleich, dass ähnliche Beteiligungsmodelle auch in 18 weiteren europäischen Ländern funktionieren.

Felice Besostri von der Fondazione Nenni wies darauf hin, dass das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer so-gar in der italienischen Verfassung verankert ist. Für Su-sanna Camusso, Chefin der linksorientierten CGIL, sind Beteiligungsmodelle „willkommen, wenn sie die Kompe-tenzen und Leistungen der Beschäftigten aufwerten und nicht nur an Produktionssteigerung gebunden sind“. So-wohl Camusso als auch Huber sehen in der fragmentier-ten Wirtschaftsstruktur Italiens, wo 90 Prozent der Unter-nehmen weniger als fünf Beschäftigte haben, eines der Haupthindernisse für die Einführung eines anspruchsvol-len landesweiten Beteiligungsmodells. Ein weiteres Hin-dernis in Italien ist die nie realisierte Gewerkschaftseinheit. Entscheidend für alle europäischen Gewerkschaften sei aber letztendlich, ob sie im Shareholder-Kapitalismus eine starke Kraft bleiben, erklärte IG-Metall-Chef Huber. „Gut funktionierende Mitbestimmung hängt von unserer Stär-ke ab“, so sein Fazit. ■

drei zahlen, drei MeldunGen

zwei von drei azuBiS BleiBenEntwicklung der Übernahmequoten nach betrieblicher Ausbildung

66 % aller Auszubildenden wurden 2011 nach der Abschlussprüfung vom Ausbildungs­betrieb weiterbeschäftigt. Damit ist die

Übernahmequote seit der Wirtschaftskrise wieder deutlich gestiegen.

78% aller neuen Teilzeitstellen wurden 2012 mit Frauen besetzt, geringfügige Beschäfti­gung nicht mitgezählt. Bei Jobs mit weni­

ger als 20 Wochenstunden liegt der Frauenanteil sogar bei 85 Prozent.

teilzeit BleiBt weiBliChFrauenanteil bei Neueinstellungen nach Wochenarbeitszeit 2012, nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigung

Quelle: IAB, Oktober 2013

Teilzeitstellen insgesamt: 78 %

unter 20 Stunden: 85 %

Vollzeitstellen: 36 %

2012: 21,1 Mio. MenSChen2007: 16,7 Mio. MenSChen

Quelle: Statistisches Bundesamt, Oktober 2013

Quelle: BIBB, Datenreport 2013

21 Mio. Menschen in Deutschland haben 2012 Bücher, Maga­zine und Zeitschriften im

Internet gekauft. Fünf Jahre zuvor gab es knapp 17 Millionen Leser, die ihre Lektüre online bestellt oder gleich als Datei erworben haben.

Per KliCK zuM BuChBücher, Zeitungen und Magazine kaufen (auch) im Internet

2009

58 %2010

61 %2011

66 %

7Mitbestimmung 11/2013

NAchRIchTEN

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Leiharbeitsfirma muss zahlen

Leiharbeitsfirmen, die die Dumping-Tarifverträge der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeit-arbeit und Personalservice agenturen (CGZP) genutzt haben, müssen Beitragsnachforderungen der Sozialver-sicherung nachkommen. Das entschied das Kasseler Sozialgericht im Fall eines zum Diakonischen Werk ge-hörenden Sozialunternehmens. Die Tochterfirma der Werraland Werkstätten, Eschwege, muss 61.280,57 Euro an die Rentenkasse nachzahlen. Die CGZP war 2010 vom Bundesarbeitsgericht für tarifunfähig, die Tarifverträge für ungültig erklärt worden.

Betroffene Leiharbeitnehmer konnten nun nach-träglich die Differenz zum Entgelt eines vergleichbaren Beschäftigten im Einsatzbetrieb fordern. Selbst wo das nicht geschah, verlangte die Rentenkasse die Nach-zahlungen zu Recht, so das Kasseler Gericht. Das Un-ternehmen habe auf die Gültigkeit der Verträge nicht vertrauen können – zumal die CGZP umstritten war. Auch dass die Rentenversicherung zuvor bei einer Be-triebsprüfung nichts beanstandet hatte, ändere daran nichts. So urteilte in zwei Fällen auch das Dresdner Sozialgericht. Zugunsten der Zeitarbeitsbranche ent-schied nur das Sozialgericht Nürnberg. Mehr Urteile im Hauptsacheverfahren gibt es nicht. Bundesweit sind rund 250 Klagen von Verleihfirmen anhängig. ■

az. S 12 Kr 246/12

SOZIALVERSICHERUNG

Gute chancen für die mitbestimmungIm Rechtsstreit um die Mitbestimmung beim Krankenhaus-Betreiber Paracelsus-Kliniken rechnet sich der GBR-Vorsitzende Axel Denker gute Chancen aus. Der Richter wies jetzt in einem ersten Protokoll darauf hin, dass die Kliniken womöglich doch unter das Mitbestim-mungsgesetz fallen. Zwar finde die Gesellschaftsform GmbH & Co. KGaA der Paracelsus-Kliniken im Mitbestimmungsgesetz von 1976 keine Erwähnung. Doch das Gesetz könne dennoch in Betracht ge-zogen werden, weil sein Zweck sich nicht dadurch ändere, dass der persönlich haftende Gesellschafter eine Kapitalgesellschaft ist. Als reine Kommanditgesellschaft auf Aktien mit einer Person als haften-dem Gesellschafter wären die Paracelsus-Kliniken mit ihren 5000 Mitarbeitern mitbestimmungspflichtig.

Die Kliniken hatten im Jahr 2007 die Unternehmensform einer GmbH & Co. KGaA gewählt und sich damit der Mitbestimmung weitgehend entzogen. Dagegen klagte der Betriebsrat im vergange-nen Jahr. Der Richter hat nun beide Parteien aufgefordert, ihre Hal-tung zu überdenken. „Ändern die Kliniken ihre Satzung und ermög-lichen dadurch Mitbestimmung, müssen wir nicht länger klagen“, sagt Denker. Gerade jetzt sind Mitbestimmungsrechte für die Be-schäftigten der Kliniken so wichtig wie noch nie. Wegen wirtschaft-licher Schwierigkeiten fordert die Geschäftsführung unter anderem einen Lohnverzicht von drei bis fünf Prozent. „Wir sind unter be-stimmten Bedingungen bereit zu stunden, ein Verzicht kommt nicht infrage“, so Denker. ■

PARACELSUS-KLINIKEN

Proteste im KirchenverlagBeim Augsburger Weltbild-Verlag spitzt sich der Konflikt um die geplante Sanierung zu. Während sich die Öffentlichkeit über verprasste Kirchengel-der in Limburg empört, schicken die Bischöfe einen Teil der 2300 Mitar-beiter des Kirchenverlages auf die Straße. Die Geschäftsführung hat jetzt 140 Kündigungen angekündigt. „Das betrifft faktisch das komplette Cus-tomer Callcenter. Hier geht es nicht um simplen Telefondienst, sondern

um das Herzstück der Kom-munikation mit den Kunden“, erklärt ver.di-Betriebsgruppen-sprecher Timm Boßmann.

Die Beschäftigten protes-tieren seit Jahren gegen die Kostensenkungspolitik der Verlagsleitung. Das erklärte Ziel der Geschäftsleitung ist der „Umbau zum Online- und Digitalgeschäft“. „Aber unse-re Stärke ist die Qualität des Angebots und der Kundenbe-ratung“, so Boßmann. Die Verlagsgruppe (Weltbild, bue-

cher.de, Hugendubel, Jokers, Droe mer-Knaur) mit 6800 Beschäftigten und einem Umsatz von 1,6 Milliarden Euro gehört zwölf Bistümern, dem Militärbischofsamt und den deutschen Diözesen. Der lange Zeit florieren-de Verlag macht derzeit Verluste, vor allem mit den Buchhandlungen. Die Bischöfe scheinen sich nun zu einer Finanzspritze durchgerungen zu ha-ben. „Das Geld sollte in die Zukunft des Unternehmens, nicht in Personal-abbau und Abfindungen investiert werden“, fordert ver.di. ■

WELTBILD-GRUPPE

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Weltbild-Mitarbeiter demonstrieren in Augsburg.

8 Mitbestimmung 11/2013

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„Nein, für ein legal hergestelltes Produkt muss geworben werden können. Der Gesetzgeber darf nicht in die Freiheit der Hersteller eingreifen. Dafür, dass die Schockfotos dem Gesund­heitsschutz dienen, gibt es keine belastbaren wissenschaftlichen Belege. Die Erfahrungen mit Warnhinweisen zeigen, dass Raucher sich nicht abschrecken lassen: Wer rauchen will, der raucht. Wenn die Designs der Zigarettenmarken wegen der ausufernden Warn­hinweise auf der Verpackung kaum mehr erkennbar sind, kann das sogar dazu führen, dass Produktfälschungen und graue Importe es leichter haben. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass Genuss nur in Maßen möglich ist. Wer Genussmittel im Übermaß konsu­miert, der setzt sich den bekannten Risiken aus. Doch der mündige Erwachsene kann Eigenverantwortung übernehmen. Jetzt muss man einen Dominoeffekt befürchten. Was soll nach Tabak reguliert wer­den? Nahrungsmittel mit viel Zucker, Fett und Salz? Haben wir demnächst Schockfotos auf Schokolade mit dem Aufdruck ‚Scho­kolade schädigt die Zähne‘ oder ‚Zucker erhöht die Gefahr von Fettleibigkeit‘? Soll auf der Pommes­Tüte stehen: ‚Essen kann tödlich sein‘? Wenn der Gesetzgeber meint, Zigaretten seien extrem gefähr­lich, dann soll er konsequenterweise das Produkt verbieten.“ ■

Dienen Schockfotos auf Zigaretten­packungen dem Gesundheitsschutz?

„Ja – solche bildlichen Warnhinweise auf Zi­garettenpackungen sind effektiver als die bisher vorgeschriebene reine Textlösung. Auch wenn vielfach etwas anderes behauptet wird, die Wirksamkeit von kombinierten bildlichen und textlichen Warn­hinweisen ist durch zahlreiche Studien belegt. Eine aktuelle Übersicht solcher Studien hat in diesem Jahr das Deutsche Krebsforschungs­zentrum (DKFZ) in Heidelberg zusammengestellt. Bilder erregen nicht nur mehr Aufmerksamkeit, die Informationen über die Ge­sundheitsgefahren des Rauchens bleiben, nach allem, was wir wis­sen, auch länger im Gedächtnis haften.

Die Bild­Botschaft wirkt direkter als die Text­Botschaft. Und sie kommt unabhängig vom Bildungsstand bei den Zielgruppen an. Insbesondere emotionalisierende Bilder regen zum Nachdenken über das eigene Rauchverhalten an. Bildliche Warnhinweise wirken vor allem auf Jugendliche; Bilder können vom Rauchen abschrecken oder junge Menschen zum Rauchstopp motivieren, bevor sie in eine lebenslange Raucherkarriere einsteigen. Langfristig können kombi­nierte Warnhinweise daher einen wichtigen Beitrag zu einer Vermin­derung des Tabakkonsums und somit zur Verbesserung der Gesund­heit der Bevölkerung leisten.“

uwe PrÜMel-PhiliPPSen ist Vorsitzender des Aktionsbündnisses Nichtrauchen e. V.

Franz-JoSeF MÖllenBerG ist Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).

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PRO & cONTRA

Mitbestimmung 11/2013 9

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Energie­Lotsen im NetznetzauSBau 50Hertz, einer von vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland, baut derzeit die thüringische Strombrücke, die die Windenergie aus dem Norden in die Fabriken im Süden Deutschlands leiten soll. Die Netzwerker schieben ständig unkalkulierbare Strommengen hin und her, der Stress wächst – aber auch die Belegschaft.

Von annette JenSen, Journalistin in Berlin

SChiChtleiter hanS-Peter

Polzer (l.) und KolleGen

in der leitzentrale von

50hertz Bei Berlin: „Heute kann sich innnerhalb von fünf Minuten alles ändern.“

Mitbestimmung 11/201310

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Ein schwarzer Samstag hat sich tief in Hans­Peter Polzers Gehirn eingebrannt: Am 4. November 2006 versank halb Westeuropa im Dunklen. Menschen blieben in Aufzügen stecken, Computer stürz­ten ab, Züge konnten nicht mehr weiterfahren. Zwar hatte der

Ingenieur beim Stromnetzbetreiber 50Hertz am Abend des Blackouts frei, doch seine Kollegen aus der Leitzentrale berichteten ihm anschließend von der me­gastressigen Nacht. Nur mit allergrößter Mühe hatten sie das ostdeutsche Elektrizitätsnetz stabil halten können. Ursache des Desasters: Die Mannschaft des angrenzenden Übertragungsnetzbetreibers E.ON, heute Tennet, schaltete zwei Leitungen über der Ems ab, um einem Kreuzfahrtschiff die sichere Ausfahrt aus der Werft in Papenburg zu ermöglichen. Dabei unterschätzten die Kollegen, wie viel Kapazitäten sie in der stürmischen Nacht für den Windstrom von der Nordsee hätten einplanen müssen, und sprachen sich außerdem nicht ausrei­chend mit den Leuten in den anderen Steuerzentralen ab. So geriet das Netz völlig aus dem Takt – eine Kaskade von Abschaltungen war die Folge.

„Früher konnten wir jeden Tag gut vorplanen, heute ändert sich manchmal ganz viel innerhalb von nur fünf Minuten “, sagt Hans­Peter Polzer, der seit

34 Jahren das ostdeutsche Hochspannungsnetz über­wacht. Rasch lässt der Schichtleiter die Augen über die lange Monitorreihe auf seinem Schreibtisch gleiten, doch zurzeit ist alles sehr entspannt: In der Mitte jedes Versor­gungsgebiets zwischen Belgien, der Schweiz und Polen prangt eine grüne Ampel. Dass die Stromhändler ihre Ein­ und Verkäufe für die folgende Viertelstunde noch nicht ganz abgeschlossen haben und das entsprechende Quad­rat deshalb noch rot leuchtet, ist ebenfalls völlig normal. In solchen Phasen klingelt nur selten ein Telefon in der 50Hertz­Leitzentrale, die seit ein paar Jahren „Transmis­sion Control Centre“ (TCC) heißt und in einem sicher abgeschirmten Flachbau in Neuenhagen östlich von Ber­lin untergebracht ist.

„Bei uns ist es so ähnlich wie bei der Feuerwehr: Lange Zeit ist es ruhig, und wir beobachten und kontrollieren. Die Herausforderung kommt bei Abweichungen vom

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11Mitbestimmung 11/2013

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Normalbetrieb“, sagt Polzer. Doch solche Situationen häu­fen sich, weil immer mehr Faktoren die verabredeten Plä­ne der Übertragungsnetzbetreiber über den Haufen werfen können. Vielleicht haben die vorhergesagten Gewitterwol­ken Verspätung, oder der Wind bläst stärker als erwartet. Seit der Liberalisierung 1998 mischen außerdem Hunder­te von Händlern mit. Und anders als früher sind heute, da jedermann Strom produzieren kann, viele Netzanschluss­kunden nicht mehr klar als Lieferanten oder Abnehmer zu identifizieren. Zwar planen 50Hertz und die anderen Über­tragungsnetzbetreiber immer Sicherheitsreserven und Re­dundanzen ein, sodass sie einzelne Störungen ohne Prob­leme ausgleichen können. Doch die vielfältigen Einflüsse machen es schwer, alle Konsequenzen vorherzusehen

Weil alles so komplex geworden ist, arbeiten seit Kurzem immer vier statt drei Leute in der 50Hertz­Leitwarte, die rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr besetzt ist. Häufig müssen die Ingenieure mit den Kollegen der angrenzenden Unternehmen in Polen, Tschechien und Westdeutschland beraten, welche Leitungen sie zu­ oder abschalten. Waren die Kuppelstellen zwischen den verschiedenen Hochspan­nungsbetreibern in alten Zeiten nur für Ausnahmesituati­onen gedacht, so fließen dort inzwischen ständig große Strommengen hin und her. „Manchmal wollen drei oder vier Leute gleichzeitig mit mir telefonieren“, berichtet Pol­zer. Auch in solchen Situationen heißt es ruhig bleiben – trotz extremer innerer Anspannung. Nur wer über gute Nerven, analytisches Vermögen und Entscheidungsfreude verfügt, kann hier arbeiten, beschreibt TCC­Chef Lutz Schulze die Anforderungen.

Gute auSSiChten FÜr die BeSChäFtiGten_ Der Aus­ und Umbau der Stromnetze ist inzwischen zum entschei­denden Faktor für das Gelingen der Energiewende gewor­den. „Herausforderung“ ist das wohl häufigste Wort, das die Beschäftigten bei 50Hertz benutzen, wenn sie die Neu­erungen beschreiben. „Kein Tag ist wie der andere“, sagt Polzer und meint das positiv. Weil die Aufgaben wachsen, wächst auch die Belegschaft. Als der schwedische Strom­erzeuger Vattenfall 2010 den Netzbetrieb in Ostdeutsch­land und Hamburg für 810 Millionen Euro an den belgi­schen Konzern Elia und eine australische Fondsgesellschaft verkaufte, arbeiteten gut 600 Menschen bei 50Hertz. In­zwischen verdienen dort 850 Menschen ihr Geld.

„Wir profitieren zweifellos von der Energiewende. Dem Unternehmen geht es gut, und die Perspektiven sind auch gut“, sagt Betriebsratschef Lutz Pscherer. Für Bau und Nutzung der Seekabel, mit denen Offshore­Windparks angeschlossen werden, wird das Unternehmen weiteres Personal anstellen müssen. Auch die Bezahlung ist ordent­

lich: Der von der IG BCE ausgehandelte Haustarif orientiert sich an den großen Energieerzeugern wie E.ON, RWE und Vattenfall. Ein junger Fachar­beiter startet mit 2500 Euro, ein Hochschulabsolvent kann nach zwei Jahren mit über 4000 Euro rechnen. Doch die Energiewende ist auch problematisch, schiebt Betriebsrat Pscherer nach: „Wünsche und Träume müssten erst einmal mit der Realität in Einklang gebracht werden. Es wäre viel besser, wenn die Politik nicht dauernd so überstürzt handeln, sondern bedachter vorgehen würde.“

Dabei denkt der promovierte Elektroingenieur nicht nur an das Hü und Hott beim Atomausstieg. Auch der politisch gewollte Boom der Erneuerbaren hat technische Folgen, die nicht leicht zu beherrschen sind. So verfügen bisher kaum Photovoltaikanlagen über Ausschalter, weil niemand damit gerechnet hatte, wie schnell sie eine relevante Größenordnung erreichen. Außerdem sind die Erneuerbaren „launisch“, weswegen entweder Akkus oder steuerbare Kraftwerke die Lücken schließen müssen. Doch Batterien gibt es – abgesehen von einigen Pumpspeicherkraftwerken – erst im Pilotprojektstadium, und Kohlekraftwerke sind nicht nur träge, sondern können ihre Leistung auch nur um maximal 60 Prozent drosseln. Die Überschüsse ins Ausland zu verschieben sorgt ebenfalls für Ärger. So wurde die 50Hertz­Geschäftsführung bereits zum polnischen Botschafter zitiert und musste zusagen, eine Art Absperrhahn ein­zurichten, berichtet Pscherer.

Seit 1990 leitet er den Betriebsrat des ostdeutschen Übertragungsnetzbe­treibers und hat die Belegschaft durch zahlreiche Umstrukturierungen mit hohem Personalabbau begleitet. Lange wurden alle Über­55­Jährigen in Vor­ruhestand geschickt, jetzt sollen allein im TCC jedes Jahr drei bis fünf junge Ingenieure an Bord geholt werden und die 50­köpfige Mannschaft ergänzen. Doch es ist nicht leicht, Nachwuchs zu finden. Damit die Älteren bis zur Rente durchhalten, will TCC­Leiter Lutz Schulze sie rechtzeitig aus dem Schichtdienst nehmen und auf andere Aufgaben vorbereiten. Auch Fortbildung wird immer bedeutsamer. So trainieren die Leute aus den Leitwarten firmen­übergreifend kritische Situationen an einem nachgebauten TCC­Simulator in Cottbus. Für Hans­Peter Polzer wird es wichtiger, die Menschen persönlich einschätzen zu können, mit denen er laufend das Netz ausbalancieren muss. Wie bei Fluglotsen.

Mehr woChenendarBeit_ Ortswechsel nach Sachsen­Anhalt zu einem der 70 Umspannwerke von 50Hertz am Rande von Bad Lauchstädt. Hinter einem Zaun erstreckt sich ein mehrere Fußballfelder großes, kurz gemähtes Gelände mit langen Reihen von Sammelschienen, die an gigantische Wäscheständer erinnern. Etwas abseits stehen mehrere waggonartige Trafos, die jeweils über 300 Tonnen wiegen. An einem hat Matthias Döhr gerade eine Reparatur beendet, nun schlendert der Elektromonteur zurück zum Relaishäuschen, in dem mehrere Blechschränke untergebracht sind, legt einen Schalter um und meldet ans Regionalzentrum: Die Anlage ist wieder einsatzfähig. Wenig später wird die Nachricht auch im TCC eintreffen. Geplant werden solche Einsätze von Peter Büschmann, der für alle zwölf Umspannwerke im Regionalzentrum Südwest zuständig ist. „Wenn ich nicht im Auto sitz’, sitz’ ich am Schreibtisch“, beschreibt der 50­Jährige seinen Arbeitsplatz. Alle Umspannwerke sind heu­te fernüberwacht, die meiste Zeit sind die Gelände völlig menschenleer. Früher meldete Büschmann die anstehenden Wartungsarbeiten lediglich bei der

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lutz PSCherer, BetrieBSratSvorSitzender von 50hertz, iG BCe

(l.), Bauleiter andreaS nÖCKel (r.): „Wir profitieren von der Energiewende.“

Monteure Bei leiterSeilzuG arBeiten an der SÜdweSt-KuPPel-

leitunG FÜr die thÜrinGer StroMBrÜCKe (u.): Wartungsarbeiten häufiger Samstag oder Sonntag

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Zentrale an, inzwischen muss er immer damit rechnen, dass das TCC die Anlagen nicht freigibt, weil beispiels­weise Sturm angesagt ist und bestimmte Leitungen deshalb dringend gebraucht werden. Schließlich haben Windrad­ und Photovoltaikanlagenbetreiber laut EEG das Recht, ihren gesamten Strom einzuspeisen. Ist das Netz nicht in der Lage, die Mengen aufzunehmen, muss 50Hertz die entgangenen Einnahmen ersetzen. Auch eine Anweisung an Vattenfall, aufgrund mangelnder Transportkapazität nicht das betriebswirtschaftlich günstigste, sondern ein anderes Kraftwerk hochzufahren, verursacht Kosten. Sol­che Probleme wachsen – und deshalb müssen für ihre Wartungsarbeiten Matthias Döhr und Peter Büschmann immer häufiger am Samstag oder Sonntag arbeiten, weil die Netzsituation dann entspannter ist. Schließlich ruht am Wochenende ein Großteil der Industrie.

zeitdruCK FÜr die thÜrinGer StroMautoBahn_

Schon heute wird auf dem Gebiet von 50Hertz viel mehr Strom produziert als konsumiert. Vor allem um Windstrom in die süddeutschen Industriegebiete zu bringen, errichtet der Übertragungsnetzbetreiber gegenwärtig die Südwest­kuppelleitung durch den Thüringer Wald. Der Bau genießt gesetzlichen Vorrang: Schließlich soll das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld bei Schweinfurt Ende 2015 für immer abgeschaltet werden. Damit auch anschließend die Bänder

in den bayerischen und baden­württembergischen Fabri­ken weiterlaufen, gilt die 210 Kilometer lange „Thüringer Strombrücke“ als unerlässlich. Der erste Abschnitt ist schon in Betrieb, der zweite im Bau und der dritte in Pla­nung. Andreas Nöckel hat die Aufsicht über einen 13,2 Kilometer langen Abschnitt südlich von Erfurt, der im kommenden Sommer fertig sein soll; nachdem alle Klagen abgewiesen wurden, steht dem nichts mehr im Weg. Mit einem weißen Jeep fährt der 53­Jährige einen neu ange­legten Schotterweg hinauf, der bei einem aufgeschütteten Plateau endet. „Bis vor Kurzem war das eine schöne Wie­se. Ich versteh’, dass das den Leuten wehtut“, sagt der Mann, der vor 37 Jahren seine Lehre als Freileitungsmon­teur beim DDR­Kombinat Verbundnetze Energie antrat. Hier, am Standort von Mast 103, gießen Arbeiter einer hessischen Firma gerade das Fundament. Sie haben runde Metallkäfige in die 23 Meter tiefen Löcher eingelassen,

jetzt pladdert der Beton in einen Trichter und verschwindet in der Tiefe. Eine Woche werden sie wohl brauchen – dann kann der oberirdische Maststuhl oben draufgebaut werden. Alle 300 bis 400 Meter gibt es eine Baustelle, die Nöckel zeitweise mehrfach täglich besucht. Mancherorts werden gerade erst die Bäume gefällt, anderswo steht der Mast bereits, und junge, mit Gurten gesicherte Männer laufen behände in den Traversen herum, um die Montage der Isolatoren vorzubereiten. Auch Nöckel muss ab und zu fast 100 Meter hochsteigen, um die Arbeiten der Fremdfirmen zu kontrollieren.

Er ist auch derjenige, der mit den Grundstücksbesitzern überlegt, wo die Zufahrtswege am besten verlaufen. Während einige Kollegen von „wild ge­wordenen Bürgern“ sprechen und „westdeutsche Studienräte“ hinter den Kla­gen (gegen die Strombrücke) vermuten, hat Nöckel Verständnis, dass niemand gerne eine Grunddienstbarkeit auf sein Land eintragen lässt. „Ich glaube, es ist ganz gut, dass ich von hier komme und den gleichen Dialekt spreche wie die Leute.“ 1500 bis 2500 Euro Einmal­Entschädigung kann der Baukontrol­leur in der Regel dafür anbieten, dass ein Mast auf Privatgelände errichtet werden darf und auch später erreichbar bleibt. Hinzu kommen noch Zahlun­gen an Bauern für den Ernteausfall.

Im kommenden Jahr wird der Planfeststellungsbeschluss für den letzten und umstrittensten Abschnitt der Thüringer Stromautobahn erwartet. Die Trasse quert den Rennsteig, Deutschlands beliebtesten Wanderweg. Das Un­ternehmen erwartet Klagen und damit verbunden Forderungen, die Leitungen unterirdisch zu verlegen. Zwar gibt es für gerichtliche Auseinandersetzungen aufgrund eines 2009 verabschiedeten Beschleunigungsgesetzes nur noch eine Instanz, zugleich ist die Südwestkuppelleitung als Pilotprojekt für Erdverka­belung ausgewiesen. Bürgerinitiativen wollen möglichst große Abschnitte

vergraben lassen, 50Hertz allenfalls kurze Strecken. Schließlich kostet ein Kilometer Freileitung etwa eine Million Euro, während Erdkabel achtmal so teuer sind. Darüber hinaus haben die Ingenieure bei 50Hertz tech­nische Bedenken: Das Gelände am Rennsteig ist steil und felsig. Welche Variante die Natur stärker zerstört, ist Inhalt heftiger Debatten. Auch deshalb hat 50Hertz

vor eineinhalb Jahren den Arbeitsplatz von Dirk Manthey geschaffen, der als Projektkommunikator den Kontakt zu Anwohnern und Lokalpolitikern pfle­gen soll. Nun tingelt der PR­Experte durch die Provinz und führt ein Video vor, das einen Flug entlang der Trasse simuliert und die Perspektive manchmal auch auf Fußgängerhöhe absenkt. „Hier am Rennsteig steht ja ein dichter Wald – da sehen Sie die Masten nur auf einem ganz kurzen Stück“, macht er Überzeugungsarbeit.

Der von der Politik aufgebaute Zeitdruck ist immens: Zum einen sind die Betreiber der Hochspannungsnetze per Gesetz verpflichtet, die Übertragung von elektrischer Energie sicherzustellen und ein Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch auszubalancieren. Zugleich schreibt der Atomausstiegsbe­schluss verbindlich vor, dass der Meiler in Grafenrheinfeld in gut zwei Jahren vom Netz muss. So spricht alles dafür, dass die Thüringer Strombrücke gebaut wird, bevor die Richter entschieden haben – so wie es schon beim mittleren Trassenabschnitt der Fall war. Sollte die Genehmigungsbehörde anschließend die Prozesse verlieren, müsste 50Hertz alles wieder abreißen. Das aber erscheint äußerst unwahrscheinlich. ■

Bürgerinitiativen wollen möglichst große Teile der Stromtrasse als Erdkabel verlegt haben, 50Hertz allenfalls kurze Strecken.

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uMBau der netze

den Neubau der Leitungen bei entweder 135 000 oder 193 000 Kilo-metern veranschlagt und geht von einem Investitionsbedarf von 27,5 oder 42,5 Milliarden Euro aus.

Wie umfangreich der Netzausbau werden muss, liegt natürlich auch am künftigen Strombedarf. Von daher ist „Energieeffizienz die wirtschaftlichste Säule der Energiewende, weil Energie gar nicht erst produziert werden muss“, betont die Deutsche Energie-Agentur, dena. Um Spitzen bei der Nachfrage abzufedern, haben die Über-tragungsnetzbetreiber schon erste Verträge mit Großabnehmern der energieintensiven Industrie geschlossen, die bereit sind, sich binnen Sekunden vom Netz trennen zu lassen, und dafür Geld kas-sieren. So wie die Aluminiumhütte von Trimet in Essen, die bei Eng-pässen ihren Stromverbrauch von 270 Megawatt kappen und dabei eine Stunde ohne Strom bleiben kann.

annette JenSen

Die Stromnetze sind zum Nadelöhr der Energiewende geworden. Waren die Leitungen früher Einbahnstraßen von großen Kraftwer-ken zu den Verbrauchern, geht es heute kreuz und quer: Von vielen Anschlüssen wird mal Energie eingespeist und mal abgenommen. Und die neuen Anlagen stehen großteils nicht in den Regionen mit dem größten Bedarf. Vor allem der Windstrom aus dem Norden muss über Hunderte von Kilometern in Richtung der Industriezent-ren im Westen und Süden gebracht werden. Zugleich aber gibt es auch viele ungeklärte Effizienzpotenziale. So ist umstritten, in wel-chem Umfang Leitungen tatsächlich gebraucht werden – und trotz-dem muss der Umbau sofort beginnen.

Die Übertragungsnetzbetreiber Tennet, Amprion, 50Hertz und Transnet BW gehörten früher zu vier großen Stromerzeugern, doch mit der Liberalisierung des Strommarktes schrieb die EU ihre voll-ständige Trennung von den Kraftwerksbetreibern bis März 2012 vor. Sie sind verpflichtet, das Netz so auszubauen, dass neue Wind- und Solaranlagen etwa ihren Strom einspeisen können. Die Kosten finanzieren die Kunden über die Netzentgelte.

Anschluss und Vernetzung der Offshore-Windparks an der Nordsee kosten viel, viel Geld: „Wenn Tennet nicht in der Lage ist, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen und sogar die Ver-sorgungssicherheit gefährdet ist, muss die Eigentumsfrage am Übertragungsnetz neu gestellt werden“, fordert der ver.di-Vorsit-zende Frank Bsirske. Seine Gewerkschaft ist zuständig für leitungs-gebundene Energien und verlangt seit Längerem eine nationale Netzgesellschaft, in der der Staat das Sagen hat; schließlich sei die Stromversorgung öffentliche Daseinsvorsorge.

36 Hochspannungsleitungen gelten inzwischen als „vordringli-cher Bedarf“, sie plant und genehmigt die Bundesnetzagentur. Auch die Einspruchsmöglichkeiten von Bürgerinitiativen wurden von Staats wegen eingeschränkt; es gibt nur noch eine einzige Klageinstanz, beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die meisten dieser Leitun-gen werden als überirdische 380-KV-Freileitungen gebaut werden. Doch das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) von 2009 sieht für vier Pilottrassen auch die Möglichkeit einer unterirdischen Verlegung vor, wie es viele Anwohner wünschen. Man tastet sich in diversen Szenarien voran: Sollen die Elektrizitätsautobahnen mit Hochspan-nungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) großräumig ausgebaut wer-den, zumal sich über diese wesentlich größere Mengen transportieren und Übertragungsverluste massiv reduzieren lassen? Oder werden den Stromtransfer die regionalen Verteilnetze – für die Stadtwerke und Regionalversorger zuständig sind – weitgehend übernehmen können, weil die Konverter-Technologie (Smart Grids) rasch Fortschritte macht? Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat entsprechend ergebnisoffen

Ver.di­Vorsitzender Bsirske will die Eigentumsfrage am Netz neu stellen und fordert eine nationale Netzgesellschaft.

Dringlicher Bedarf

Verzögerungen

Netzverstärkung bis 2022, fest geplant oder in Bau

Neue Leitungen bis 2022, fest geplant oder in Bau

Zusätzliche Wechselstrom-Leitung bis 2022 gemäß Netzentwicklungsplan 2012

Gleichstromleitungs-Neubau bis 2022 gemäß Netzentwicklungsplan 2012

Thüringer Strombrücke

Quelle: Grafik gemäß Netzentwicklungsplan 2012

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zahlen zur enerGiewende

die eeG-uMlaGebezahlen private und industrielle Verbraucher, sie wird jedes Jahr neu festgelegt. EEG-Umlage und damit die Stromrechnung steigen durch mehrere Faktoren: zum einen, wenn die Gesamtmenge an erneuerbarem Strom steigt, und zum anderen, wenn der Strompreis an der Börse fällt. Denn die Betreiber erneuerbarer Energien

werden zu einem festen Preis vergütet, der Verbraucher zahlt die Differenz zum Börsenpreis. Außerdem sind mittlerweile rund 2000 energieintensive Unternehmen von der EEG-Umlage ausgenommen: je mehr Nicht-Zahler, desto höher die EEG-Umlage für alle anderen Stromverbraucher.

enerGieintenSive induStrienFinanzielle Entlastung der Unternehmen von der EEG-Umlage, in Milliarden Euro

* Prognose auf Basis genehmigter Strommengen** Prognose auf Basis beantragter Strommengen

Quelle: BMU

8

6

4

2

0

2010 2011 2012 2013* 2014**

1,46

2,74

2,72

4,86

7,19

SPitzenreiter: deutSChe und enGländer Haushaltsstrompreise im internationalen Vergleich

130

120

110

100

90

2007 2008 2009 2010 2011 2012

DeutschlandVereinigtes Königreich

FrankreichUSA

Haushaltsstrompreise in nationaler Währung, 2007 = 100

Quelle: iw

137,2136,4

119,1

111,6

+250 € +350 €

eeG-uMlaGe SteiGtEEG-Umlage in Cent je Kilowattstunde

2000 2012 2013 2014

0,2 3,592 5,277 6,24

170 000 Beschäftigtegab es 2011 in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft. 1995 waren es noch 245 000.

Quelle: BMWi, 2013, aus ver.di-Broschüre zur Energiewirtschaft

117 860 Beschäftigtezählte die Windenergiebranche 2012, der Jobzuwachs betrug 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Quelle: GWS, Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung

Die Kosten für einen Zwei-Personen-Haushalt stiegen um durchschnittlich 250 Euro pro Jahr, für einen Vier-Personen-Haushalt um rund 350 Euro.

Quelle: eigene Recherchen

16 Mitbestimmung 11/2013

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Chemie (ohne Pharma)

Holz und Zellstoff, Papier, Karton und Pappe

Kunststoffwaren

Glas und Glaswaren

Zement

Verarbeitung und Erzeugung von Aluminium*

* Bei der Primäraluminiumproduktion fallen 4 600 000 kWh je Beschäfigtem an, das ent-spräche einer Belastung pro Beschäftigtem von 276.000 Euro pro Jahr.

Quelle: Statistisches Bundesamt und Berechnungen der IG BCE

induStriearBeitSPlätze wÜrden erheBliCh teurer Mehrkosten je Beschäftigtem ohne Befreiung von der EEG-Umlage, berechnet mit 6 Cent/kWh 2014 (geplant sind 6,24 Cent)in den Branchen

nrw: GerinGer ÖKoStroM-anteil Kohleland nrw2011 – Stromgewinnung in Terawatt/Stunde (TWh) aus ...

Nur 7,7 Prozent bezieht NRW aus Ökostrom, bundesweit sind es rund 25 Prozent.

Quelle: Umweltbundesamt, RWI, WAZ-Beilage 2/2013

Sonstige

Erdgas, Mineralöl

Steinkohle

Braunkohle

erneuerbare Energien

7,7 % NRW 25 % BUNDESWEIT

der Betriebsräte im IG-BCE-Bereich sprechen sich für die weitere Nutzung der Kohle aus, aber nur 46 Prozent der befragten Managementvertreter und 42 Prozent der Bevölkerung.

Quelle: Energiekompass 2013, Untersuchung von TNS Infratest im Auftrag des If.E, siehe www.innovationsforum-energiewende.de

reKoMMunaliSierunGDie Zahl der kommunalen Energieversorgungsunternehmen wächst, im Zuge der Energiewende kaufen Städte ihre Stadtwerke zurück.

2008

10092010

1397

Quelle: Studie des Steuerzahlerbundes

57%

76,751,4

13,6

8,7

25,3

0 10.000 20.000 30.000

10.000

26.580

2.820

5.160

31.140

27.643

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Energiewende die Energiewirtschaft massiv verändert. Selbstverständlich er­füllt das die Beschäftigten mit Sorge. Die Kolleginnen und Kollegen fragen, wie die Zukunft ihrer Arbeitsplätze aussieht – angesichts der Situation, dass eben nicht mehr nur die Stadtwerke und die großen Konzerne Strom produ­zieren, sondern auch die Verbraucherinnen und Verbraucher, indem sie Solar­anlagen auf das Dach ihres Einfamilienhauses setzen. Aus der Energieeinbahn­straße ist längst Gegenverkehr geworden. Und diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken, da bin ich mir sicher. Damit wird Energieerzeugung künftig eben nur ein Standbein der Energieversorger sein.

Gibt es neue Geschäftsfelder, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten?Es könnten Jobs in der Energieberatung entstehen, im Bereich der Netze sowie bei den Erneuerbaren. Wie viele Jobs und welche ist noch nicht absehbar, von daher kann man auch noch nicht sagen, welche Qualifikationen künftig ge­braucht werden. Unsere Chance liegt darin, diesen Prozess aktiv zu begleiten,

auf Weiterbildung und Qualifizierung zu drängen. Neue Beschäftigungsmög­lichkeiten werden herkömmliche Arbeitsplätze in den Kraftwerken ersetzen. Ob das soziale und materielle Niveau heutiger tarifvertraglicher Regelungen seine Fortsetzung findet, wird eine der großen gewerkschaftlichen Herausfor­derungen werden.

Fallen viele Jobs weg in den Atomkraftwerken, die geschlossen werden?

Die Energiewende läuft nicht rund. Was sind die Gründe?Sorgen bereiten mir der lahmende Netzaus­

bau und die Kosten dafür in Höhe von vielen Milliarden. Sorgen bereitet mir auch, dass die Kraftwerke zunehmend unwirtschaftlich betrieben werden, weil Energieversorger gezwungen sind, ihre modernen Gaskraftwerke runterzu­fahren und mit großen finanziellen Verlusten auf Reserve zu stellen, während die Erzeuger der Erneuerbaren ihren Strom zum garantierten Preis abgenommen bekommen. Das ist nicht zukunftsfähig.

Was muss passieren?Die erneuerbaren Energien müssen in die Gesamtsystem­verantwortung genommen werden. Wir brauchen ein neues Marktdesign, das erneuerbare Energien und konventionel­le Kraftwerke wirtschaftlich zusammenführt. Denn eine sichere Energieversorgung in Deutschland ohne Kohle­ und Gaskraftwerke ist in absehbaren Zeiträumen nicht möglich.

Vieles ist noch offen in diesem Prozess der Energiewende? In der Tat. Speicherkapazitäten sind nicht ausreichend vorhanden. Ob die regionalen Verteilnetze, sogenannte Smart Grids, funktionieren werden, ist noch unklar. Die so wichtige Energieeffizienz ist nach wie vor ein Stiefkind. Zentral für uns sind – neben der Versorgungssicherheit – natürlich die Beschäftigten in der Energiewirtschaft.

Trägt ver.di die Energiewende in jeder Beziehung mit?Es gibt kein Zurück. Wir müssen akzeptieren, dass die

„Es gibt kein Zurück“interview Volker Stüber, Leiter der ver.di­Bundesfachgruppe Energie und Bergbau, über die unsolidarische Verteilung der Kosten, den lahmenden Netzausbau und was auf die Beschäftigten zukommt

Die Fragen stellte doriS traPMann, Journalistin in Stuttgart.

„Die Betreiber von erneuerbaren Energien müssen auch Verantwortung für das Gesamtsystem übernehmen.“

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ander verzahnt werden. Und vor allem: Die Betreiber der erneuerbaren Energien müssen auch Verantwortung für das Gesamtsystem übernehmen. Es ist völlig in Ordnung, dass den Neuen, den Erneuerbaren auf die Beine geholfen wird, aber inzwischen sind sie erwachsen geworden und müssen nun auch mit anderen Formen der Energieerzeugung kon­kurrieren. Derzeit liefern die erneuerbaren Energien bereits 23 Prozent des Stromverbrauches. Da ist kein Anschub mehr nötig. Die Erneuerbaren müssen deshalb so schnell wie mög­lich mit der traditionellen Energieerzeugung harmonisiert werden. Meiner Ansicht nach sind sie dazu auch in der Lage. Denn der Produktionspreis zum Beispiel für Windenergie ist drastisch gefallen.

Wie sollen denn die Back-up-Kraftwerke wirtschaftlich laufen, die wir nur dann brauchen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint?Die Bereitstellung von sicherer Leistung muss einen ver­lässlichen Preis bekommen. Das heißt für ver.di: Wir

Wir müssen weiter darauf dringen, dass Atomkraftwerke rückgebaut werden. Die Unternehmen dürfen nicht mehr die Wahl haben, AKWs entweder einzu­schließen oder rückzubauen. Es muss die Rückbaupflicht ins Gesetz. So wird zumindest ein Teil der Arbeitsplätze in den Kernkraftwerken erhalten – wenn auch nur für knapp zehn Jahre. Denn so lange dauert es, bis ein Atomkraftwerk zurückgebaut ist. Klar ist aber auch: In den großen Energiekonzernen geht der Jobabbau weiter.

Viele Kraftwerke laufen nicht rentabel, weil sie nur noch in Zeiten von Strom-spitzen Energie liefern?Richtig. Davon sind nicht nur die großen Konzerne betroffen, sondern auch viele Stadtwerke. Schuld an dieser Misere ist der Einspeisevorrang der Erneu­erbaren. Gleichzeitig aber weiß jeder, dass wir weiterhin Kraftwerke brauchen, die dann einspringen, wenn Wind und Sonne nicht liefern. So, wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen.

Wie müssen die politischen Rahmenbedingungen künftig aussehen?Wir brauchen ein Marktdesign, das an den Erfordernissen der Energiewende ausgerichtet ist. Das heißt: Die einzelnen Bausteine müssen weit besser mitein­

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StÜBer: „Rückbau der Akw muss ins Gesetz, damit Arbeits-plätze erhalten bleiben.“

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enerGiePolitiSChe ForderunGen von ver.di

Von AKW­Rückbau bis KlimaschutzDas Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) reformieren Ein EEG muss Regelungen enthalten, die die Betreiber von er-neuerbaren Energien an den Kosten für die Systemeinbindung von Wind und Solar beteiligen.

Den Kapazitätsmarkt einführenVoraussetzung dafür, dass auch in Zukunft ausreichend Kraft-werke – und damit Arbeitsplätze – zur Verfügung stehen wer-den, ist ein „Markt für gesicherte Leistung“. Teilnahmebedin-gung an diesem Kapazitätsmarkt muss die Fähigkeit eines Anbieters sein, im vorgesehenen Zeitraum gesicherte Leistung vorzuhalten. Als Voraussetzung für die Teilnahme am Kapazi-tätsmarkt sollten hohe ökologische und soziale Qualitätskriteri-en festgelegt werden.

Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) verstärkt fördernKonventionelle Kraftwerke sollten – wenn immer möglich – in KWK betrieben werden, was aber Wärmespeicher erfordert. Der Zubau von Fern- und Nahwärmenetzen muss deshalb stärker als bisher gefördert werden.

Netzausbau anreizen Es werden bis zu 4000 Kilometer zusätzliche Höchstspannungs-trassen gebraucht, um Windstrom in die Ballungszentren zu transportieren. Auch die Offshore-Parks müssen angebunden werden. ver.di betont: Die Aufrechterhaltung der Versorgungs-

sicherheit durch neue Übertragungsnetze ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge.

Speicher entwickeln und fördern Mit dem weiteren Ausbau von Wind und Sonne werden Strom-speicher immer wichtiger. Speichertechnologien müssen weiter intensiv erforscht und aussichtsreiche Technolo gien bei der Markteinführung gefördert werden.

Energieeffizienz endlich ernst nehmen Um die Klimaschutzziele zu erreichen, aber auch die Energie-wende bezahlbar zu halten, hat eine bessere Energieeffizienz eine Schlüsselrolle. Deshalb muss Deutschland die EU-Energie-effizienzrichtlinie zügig umsetzen.

Kernenergieausstieg verantwortungsvoll durchführen Im Energiewirtschaftsgesetz muss der direkte Rückbau stillge-legter Kernkraftwerke (statt sie einzuschließen) als alleiniger Entsorgungsweg festgeschrieben werden. Dies sichert die Ar-beitsplätze und minimiert das Risiko.

Klimaschutz neu justieren Die Bundesregierung muss darauf dringen, dass die EU das CO²-Reduktionsziel für 2020 anpasst und die Zertifikate verknappt. Deutschland muss sich zu einem CO²-Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2020 bereiterklären.

Sozialverträgliche Gestaltung der Energiewende In die Energiewende müssen in den nächsten Jahren Milliarden-beträge investiert werden – in erneuerbare Energien, in fossile Back-up-Kraftwerke, in Netze, Speicher und in die Energieeffizi-enz. Die Zusatzkosten müssen gerecht auf alle Kundengruppen verteilt werden. Eigenverbraucher von erneuerbarer Energie dürfen nicht länger von Energieumlagen, Energiesteuern und Energieabgaben befreit werden.

Energiewende politisch besser koordinieren Die Konkurrenz der zuständigen Ministerien auf Bundes ebene, aber auch zwischen Bund und Ländern muss durch eine Zusam-menarbeit ersetzt werden. Das Kanzleramt muss seiner Koordi-nierungsaufgabe zwischen den Bundesministerien in der Ener-giepolitik gerecht werden. ■

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Wo liegen die Chancen, wo die Risiken für die Energiewirtschaft?Das größte Risiko für die Energiewirtschaft wie für die Wirtschaft insgesamt wäre ein „Zurück“. Investoren brauchen Planbarkeit und Sicherheit. Ein Risiko besteht aber auch, wenn die Energiewende nicht endlich nachjustiert wird, sondern es weitergeht wie bisher – mehr oder weniger unkontrolliert. Wo liegen die Chancen? Überall auf der Welt wird derzeit über neue Energien gegrübelt, nicht nur in Deutschland. Aber wir haben es angepackt. In wenigen Jahren

können wir die Lösungen exportieren. Ob es innerhalb der Energie­wirtschaft Gewinner und Verlierer gibt, ist derzeit schwer zu sagen. Vor wenigen Jahren meinten Experten, die Stadtwerke seien die Gewinner, weil die Energiezukunft eher dezentral ausgerichtet sein wird. Doch auch die Gaskraftwerke der Stadtwerke stehen derzeit oft still. Denn durch den Einspeisungsvorrang der Erneuerbaren bleiben sie auf ihrem Strom sitzen. Gewinner werden all diejenigen sein, die sich angesichts der Entwicklungen schnell neue Geschäfts­felder aufbauen.

Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz für ver.di?Selbstverständlich hat der Klimaschutz für uns einen sehr hohen Stel­lenwert. Deshalb dringen wir auch darauf, dass die EU die Energie­ziele über das Jahr 2020 hinaus fortschreibt. Und die Bundesregierung muss sich bereiterklären, den CO2­Ausstoß in Deutschland um 40 Prozent zu verringern. Zudem: Der Emissionshandel liegt am Boden. Zeitweise kostete jüngst eine Tonne CO2 weniger als drei Euro. Das stellt keinen Anreiz dar, den CO2­Ausstoß zu verringern. Deshalb haben Gaskraftwerke derzeit keine Chance am Markt. Wenn die EU nicht entschlossen einen großen Teil der gehandelten Verschmutzungs­rechte unwiderruflich vom Markt nimmt, wird sich daran auch nichts ändern. Aber man muss eines deutlich sagen: Wer nun, nachdem wir festgelegt haben, wann die Kernkraftwerke dichtmachen, fordert, auch die Kohlekraftwerke abzuschalten, erweist der Versorgungssi­cherheit einen Bärendienst. Der Versorgungssicherheit wegen werden wir die Kohle noch lange brauchen. Es muss aber darum gehen, dass moderne, effiziente Anlagen zum Zuge kommen. ■

zuKunFt der enerGiewirtSChaFt – Dokumentation der energiepolitischen ver.di-Tagungen 2013 unter: http://energie-bergbau.ver-und-entsorgung.verdi.de/

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brauchen einen Kapazitätsmarkt, bei dem ein Kraftwerk dafür Geld bekommt, dass es für einen gewissen Zeitraum eine bestimmte Ener­giemenge vorhält – ob diese Menge dann geliefert wird oder nicht. Kapazitätsmarkt bedeutet aber nicht, dass jedes Kraftwerk für jedes potenzielle Watt, das es liefern könnte, Geld bekommt. Die erfor­derliche Kapazität muss ausgeschrieben werden – wobei sich nur die Kraftwerke an der Ausschreibung beteiligen können, die hohe ökologische und soziale Qualitätskriterien erfüllen wie Arbeitssi­cherheit oder Tarif treue.

Was muss die neue Bundesregierung energiepolitisch jetzt als Erstes anpacken?Sie muss viele Hebel bewegen, aber vorrangig wäre der Netzausbau. Er geht immer noch viel zu langsam voran. Offshore wie onshore. Es ist bekannt, dass die Übertra­gungsnetzbetreiber die enormen Summen, die nötig sind, um zum Beispiel Offshore­Windparks an das Stromnetz anzubinden, nicht alleine stemmen können. Onshore dauern die Genehmigungen für neue Netze auch deshalb zu lang, weil Anwohner die Strommasten nicht vor ihrer Haustür haben wollen. Das ist einerseits nachvoll­ziehbar, andererseits aber muss den Menschen klar sein, dass – egal welche Energie sie verbrauchen – die Erzeugung und der Transport dieser Energie immer Auswirkungen haben wird.

Wer soll die enormen Summen für den Netzausbau aufbringen?Die Energiewende gibt es nicht umsonst. Das müsste allen klar sein. Die Umstellung auf die Erneuerbaren kostet Geld, ebenso die nötige Infrastruktur. Letztendlich müssen wir es alle bezahlen. Aber es muss darum gehen, dass einerseits die Kosten gerechter verteilt werden und dass andererseits nicht unnötig Kosten produziert werden. Bei­des ist derzeit nicht der Fall. Die Kosten rennen uns davon, Verbrau­cher wie Wirtschaft stöhnen – auch weil ihnen schwant, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. Die Zeit des billigen Stroms ist erst mal vorbei. Aber es gibt sehr wohl Stellschrau­ben, die verhindern können, dass die Strompreise alles sprengen. Dazu gehört eine EEG­Reform – und zwar so schnell wie möglich.

Wie soll die aussehen?Es darf nicht länger sein, dass die Gewinne privatisiert und die Kosten sozialisiert werden. Derzeit bekommen Betreiber von erneu­erbaren Energien gemäß dem EEG­Gesetz eine garantierte Rendite. Wenn sie gleichzeitig ihren Strom noch selbst nutzen, entfallen Ab­gaben und Steuern – auch diese Kosten bezahlen die anderen Ver­braucher mit. Kein Wunder, dass immer mehr Unternehmen und auch Private sich eigene kleine Anlagen auf das Gelände setzen. Mit dieser Entsolidarisierung muss so schnell wie möglich Schluss sein. Die Kosten der Energiewende müssen von allen getragen werden – von den privaten Haushalten und der Industrie. Es darf nicht länger sein, dass sich einige davonstehlen.

„Wir müssen akzeptieren, dass die Energiewende die Energiewirtschaft massiv verändert.“

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Stromkonzerne als VerliererStruKturwandel Die deutsche Stromwirtschaft steht nach der Liberalisierung und mit der Energiewende vor gewaltigen Herausforderungen. Während die Stadtwerke tendenziell profitieren, wird derzeit das alte Geschäftsmodell der Konzerne zu Grabe getragen.

Von uwe lePriCh, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES), Saarbrücken

Mit dem Energiekonzept von 2010 hat die Bundesregierung die erneuerbaren Ener­gien als „tragende Säule“ der zukünfti­gen Energieversorgung definiert. Kon­

krete Ziele hierfür wurden im Erneuerbare­ Energien­Gesetz (EEG) festgelegt: Es sieht vor, dass der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung mindestens auf 35 Pro­zent bis 2020 und auf 80 Prozent bis 2050 steigen soll.

teChniSChe auSGeStaltunG der enerGiewende _ Die Entwicklung des bundesdeutschen Stromsystems erscheint damit relativ klar: Bis zur Hälfte des Stromverbrauchs wird bereits mittelfristig über die heimischen Energiequel­len Wind, Solar, Biomasse und kleine Wasserkraft gedeckt, wobei die fluktuierenden erneuerbaren Energien, kurz FEE, Wind und Photovoltaik (PV) hieran den größten Anteil haben werden. Die Grafik stellt dieses System mit seinen einzelnen Komponenten in vereinfachter Form dar.

Ein Stromsystem, das FEE­Anlagen in das Zentrum rückt, benötigt Ergänzungen, um die unvermeidlichen Schwankungen auszugleichen und die Versorgungssicher­heit auch dann zu gewährleisten, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint.

Wie die Grafik zeigt, stehen für den Ausgleich unter­schiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, zunächst natür­lich der bestehende konventionelle Kraftwerkspark, der dabei ist, sich immer stärker zu flexibilisieren. Gut ausge­baute Netze sorgen für einen großflächigen Ausgleich der Schwankungen und minimieren dadurch den Bedarf an Flexibilitätsoptionen. Anlagen der Kraft­Wärme­Kopp­lung (KWK), die mit fossilen Energien oder Biomasse

betrieben werden, bieten z.B. bei einer Nachrüstung mit Wärmespeichern ebenfalls neue Flexibilitäten. Beim Neubau von Kraftwerken kommen in ers­ter Linie Gaskraftwerke infrage, die eine deutlich höhere Flexibilität aufwei­sen als Kohlekraftwerke und zudem kostengünstiger zu errichten sind. Dar­über hinaus gibt es bei den industriellen und gewerblichen Energieverbrauchern selbst Möglichkeiten, Lasten zu verschieben und zum Systemausgleich beizu­tragen. Schließlich sind auch die grenzüberschreitenden Ausgleichsmöglich­keiten im europäischen Verbund stärker und systematischer zu analysieren, um auf Dauer nationale Überkapazitäten und Fehlinvestitionen zu vermeiden und nicht vorschnell auf teure Stromspeicherlösungen zu setzen.

Das künftige Stromsystem ist demnach technisch charakterisiert durch das Zusammenspiel von flexiblen Erneuerbare­Energien­Anlagen, Flexibilitätsop­tionen und Netzen zur sicheren Abdeckung der Nachfragelast sowie zur Er­bringung der notwendigen Systemdienstleistungen. Kennzeichnend ist eine erhebliche Zunahme an Dezentralität.

GeSChäFtSModell FÜr StadtwerKe_ Hoffnungen, dass Stadtwerke und Kommunen Treiber der Energiewende sein könnten, waren lange Zeit eher verhalten. Lokal wurden Investitionen in dezentrale erneuerbare Energien über viele Jahre hinweg vernachlässigt, und auch bei der KWK war eher eine Stagnation und ein Know­how­Rückgang zu verzeichnen. Seit einiger Zeit jedoch – spätestens seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima – entdecken viele Stadtwerke die erneuerbaren Energien als Eckpfeiler einer vorwärtsge­wandten Geschäftspolitik. Zudem werden sie politisch von ihren Städte­ und Gemeinderäten immer stärker auf konkrete erneuerbare Ausbauziele verpflich­tet. Insgesamt sind sie derzeit sicherlich noch kein Motor der Energiewende, aber viele sind energisch auf den fahrenden Zug aufgesprungen und können dafür sorgen, dass er konsequent in die richtige Richtung fährt.

Neue Ansätze sowohl im Netzbereich (Smart Grids) als auch im Vertrieb (etwa durch Energieeffizienzaktivitäten) bieten den Stadtwerken und Regio­nalversorgern zudem hervorragende Möglichkeiten, ihre Geschäftsaktivitäten

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auszuweiten und sie stärker an die Erfordernisse der Energiewende anzupassen. Zusammen mit den ohnehin verfolgten Aktivitäten der dezentralen Erzeugung können hier Zukunftsaufgaben unter einem Dach gebündelt werden, die auf viele Jahre qualifizierte Arbeitsplätze und kommunale, regionale Wertschöpfung sichern und die Stadtwerke zu Gewinnern der Energiewende machen.

StroMKonzerne aBGehänGt_ Im Gefolge der Liberalisierung seit Mitte der 90er Jahre fand zunächst eine weitere Konzentration des Stromsektors statt: Aus acht Stromkonzernen wurden vier, die Deutschland in Regelzonen aufteil­ten. Zudem kauften sie sich in erheblichem Maße in Stadtwerke und Regio­nalversorger ein (vertikale Vorwärtsintegration), was das Bundeskartellamt ab dem Jahr 2003 dazu veranlasste, faktisch jedes weitere Beteiligungsvorhaben zu untersagen. Das galt insbesondere für die beiden Marktführer RWE und E.ON, die zusammen mehr als 300 dieser Beteiligungen und bei der Stromer­zeugung mehr als die Hälfte der Kapazitäten auf sich vereinigten. Als dann 2003 E.ON noch per Ministererlaubnis den größten Gaskonzern Europas, die Ruhrgas, übernehmen konnte, erreichte die Machtkonzentration im Energie­sektor ihren Höhepunkt.

Viele fragten sich, ob mit der Liberalisierung nicht das genaue Gegenteil erreicht werden sollte, nämlich eine De­konzentration von Marktmacht und die Ermöglichung fairer Wettbewerbsprozesse. Das sahen offensichtlich auch die Europäische Kommission und das Europäische Parla­ment so, als sie 2003 die zweite Binnenmarktrichtlinie auf den Weg brachten. Ihr Ziel war es nach wie vor, die un­terschiedlichen Wertschöpfungsstufen des Stromsektors zu entflechten und insbesondere das Übertragungsnetz als Herzstück des Systems eigentumsrechtlich von der Erzeu­gung zu trennen. Der erhebliche Widerstand der deutschen Konzerne gegen dieses „ownership unbundling“ zeigte, dass die EU offensichtlich den zentralen Punkt im Macht­gefüge des Stromsektors getroffen hatte, und rückblickend betrachtet stellt er den Wendepunkt in der Erfolgsge­schichte der Stromkonzerne in Deutschland dar. Ende 2009 wurde E.ON in einer spektakulären Auseinander­setzung mit der Europäischen Wettbewerbskommis­

enerGie-Szenarien

erneuerBare enerGien in BÜrGerhandVerteilung der Eigentümer an der bundesweit installierten Leistung zur Stromerzeugung aus Erneuerbare-Energien- Anlagen 2012 (72 900 MW)

daS KÜnFtiGe deutSChe StroMSySteMund seine technischen Komponenten

Quellen: IZES 2012; trend research, Stand 04/20013

GESAmT

72 900 Mw

Sonstige 1 %

Landwirte 11 %

Gewerbe 14 %

Fonds/Banken13 %

Andere Energie-versorger 7 %

Projektierer14 %

Große vier Energie-versorger 5 %

Privatpersonen35 %

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Netztechnische Anlagen

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ENERGIEN

Gud: Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk

Gt: Gasturbine

KwK: Kraft-Wärme-Kopplung

23Mitbestimmung 11/2013

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sion dazu gezwungen, sein Übertragungsnetz zu veräu­ßern; Vattenfall verkaufte es im gleichen Zeitraum freiwillig. Zermürbt durch die Beharrlichkeit der EU, sah sich auch RWE 2011 gezwungen, rund 75 Prozent seines Netzes zu verkaufen, zumal die rigiden Entflechtungsvor­schriften keine größeren Synergien zwischen Kraftwerken und Netzen mehr ermöglichten. Nur EnBW besitzt aktu­ell noch das Übertragungsnetz, dürfte sich aus finanziellen Gründen aber auch bald davon trennen.

Im Erzeugungsbereich hatten das Erneuerbare­Energien­ Gesetz (EEG) seit dem Jahr 2000 und das Kraft­Wärme­ Kopplungsgesetz (KWKG) seit 2002 dafür ge­sorgt, dass ständig steigende Anteile der Stromerzeugung

durch Dritte bereitgestellt wurden. Diese akzeptierten als häufig kleine oder mittelständische Akteure deutlich nied­rigere Renditen als die kapitalmarktorientierten Konzerne, die insofern auch keine Chance hatten, die Erosion ihrer Marktanteile zu verhindern. Aktuell ist bereits ein Drittel des Marktes in den Händen dieser neuen Akteure. Die Grafik auf Seite 23 verdeutlicht, dass der Anteil der Strom­konzerne an den EEG­Anlagen gerade einmal fünf Prozent beträgt, während Privatpersonen und Landwirte fast die Hälfte der Kapazitäten auf sich vereinigen.

Hinzu kommen die CO²­Zertifikate: Hier konnten die Konzerne – trotz ihres erbitterten Widerstandes – nicht verhindern, dass sie diese seit Januar 2013 vollständig bezahlen müssen, während sie sie vorher größtenteils kos­tenlos bekommen hatten. Da die Zertifikatspreise gleich­wohl seit 2005 in den Börsenpreisen enthalten waren, bedeutete die Gratiszuteilung in der Summe einen Zusatz­gewinn für die Konzerne von mehr als 30 Milliarden Euro.

hohe verSChuldunG drÜCKt_ Schließlich war man im Beteiligungsbereich aufgrund hoher Verschuldungsraten gezwungen, wesentliche Anteile zu veräußern: So verkauf­te E.ON im Jahr 2009 die Thüga mit über 90 Stadtwerke­beteiligungen, und auch RWE trennte sich von Beteiligun­gen an den Stadtwerken Bremen und Düsseldorf sowie an den Pfalzwerken und prüft aktuell sogar den Verkauf ei­niger Kraftwerke. Insgesamt ist weit und breit kein neues Geschäftsmodell für die Stromkonzerne erkennbar, das

das alte ersetzen könnte, und es deuten sich folgende Entwicklungen an: Vat­tenfall wird sich über kurz oder lang aus Deutschland zurückziehen; diese Entwicklung könnte beschleunigt werden durch Netzrückkäufe in Hamburg und Berlin. EnBW wird sich mit der Stilllegung seiner Atomkraftwerke von der Großkonzernbühne verabschieden und als regionaler Versorger in Baden­Württemberg deutlich kleinere Brötchen backen.

E.ON wird versuchen, den Bau von Großkraftwerken im Ausland voran­zutreiben: Brasilien, Indien und die Türkei gelten hier als Favoriten. Schulden in Höhe von 30 Milliarden Euro könnten dafür sorgen, dass weitere Beteili­gungen an Stadtwerken und Regionalversorgern in Deutschland verkauft werden müssten.

RWE klammert sich aktuell noch an seine Braunkohlekraftwerke, hat aber erstmals öffentlich Zweifel daran gesät, ob der Braunkohleabbau noch eine

große Zukunft in Deutschland hat. Mit dem weiteren Ausbau der dezentralen erneuerbaren Energien Wind onshore und PV sowie der de­zentralen Kraft­Wärme­Kopplung auf der Basis von Erd­ und Biogas wird das alte Geschäfts­modell der Konzerne schrittweise zu Grabe ge­tragen. Peter Terium, der RWE­Chef, ist hier Realist genug: „Die Energiewende hat zum ers­

ten Mal deutlich gemacht“, ließ er sich in der „Wirtschaftswoche“ vom 2. September 2013 vernehmen, „es geht auch ohne uns.“

Für die Arbeitnehmer sind das zunächst keine guten Nachrichten, und der Personalabbau bei den Konzernen ist ja bereits in vollem Gange. Andererseits sind im neuen energiewirtschaftlichen Mittelstand bereits mehr als 400 000 Arbeitsplätze entstanden, sodass der volkswirtschaftliche Saldo positiv ist. Letztlich stärkt der Strukturwandel in der Energiewirtschaft hin zu deutlich dezentraleren Strukturen auch die Belegschaften bei den Stadtwerken und Regionalversorgern, die in den Bereichen Erzeugung und Netze bereits einen Teil der Aufgaben der Konzerne übernommen haben. Insgesamt werden im Rahmen der Energiewende viele nachhaltige Arbeitsplätze entstehen, die in den nicht nachhaltigen Bereichen Atomenergie sowie Braun­ und Steinkohle­Stromerzeugung unvermeidlich verloren gehen. Ob diese Arbeitsplätze in den Konzernen selber entstehen, ist aus den oben genannten Gründen jedoch eher zu bezweifeln.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist der Wunsch der Konzerne, formuliert etwa vom BDI, das Tempo bei der Energiewende herauszunehmen und ein Moratorium zu beschließen, durchaus nachvollziehbar und findet in der Politik noch manchen Verbündeten. Doch das sind Rückzugsgefechte, die den Strukturwandel letztlich nicht aufhalten können und unter volkswirt­schaftlichen Aspekten besser aufgegeben werden sollten. ■

Institut für ZukunftsEnergieSysteme (IZES): KoMPaSSStudie MarKtdeSiGn. Leitideen für ein Design eines Stromsystems mit hohem Anteil fluktuierender Erneuerbarer Energien. Saarbrücken, 2012

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Für die Arbeitnehmer sind das keine guten Nachrichten, der Personalabbau bei den Konzernen ist in vollem Gange. Andererseits sind im neuen energiewirtschaftlichen Mittelstand bereits 400 000 Arbeitsplätze entstanden.

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BetrieBSratSvorSitzender

SChÖrniCh vor deM alten KraFt-

werK in dÜSSeldorF-FlinGern: Keine Lust, den Buhmann zu spielen

Wenn er über die Energiewende spricht, macht Klaus Schörnich eine Sache richtig sauer: dass die Stadt­werke die öffentliche Prügel für die Strompreiser­höhungen durch die EEG­Umlage beziehen. „Wir

haben keine Lust mehr, der Buhmann zu sein“, schimpft der Betriebs­ratsvorsitzende und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke Düsseldorf AG. „Denn wir sind ja nix anderes als ein Inkassobüro für andere. Für das Unternehmen bleibt kein Cent übrig.“ Mit dem nächsten Shitstorm rechnet der 60­Jährige zum Jahresende,

wenn den Stromkunden erneut eine Anhebung – um durchschnittlich acht Prozent – ins Haus steht. „Wie viel kann man den normalen Kunden, den Mietern, noch zumuten?“, fragt sich der ver.di­Mann. Und nicht nur das brennt ihm auf den Nägeln. Wie kann es weiter­gehen mit der EEG­Umlage, mit Netzausbau und Netzentgelten? Welche neuen Tarif­ und Bezahl modelle muss es geben, wenn die Kunden durch eigene Photovoltaik anlagen immer mehr selbst zu Energieerzeugern werden? Zu all diesen Problemen müsse die Politik sehr bald Stellung beziehen, damit es geordnet weitergehen kann auf dem umgepflügten Feld der Energieversorgung. „Wir sind zwar gut aufgestellt, aber auch wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“

Die größte Zukunftshoffnung setze die Stadtwerke Düsseldorf AG mit ihren rund 2200 Beschäftigten auf ihr „Weltmeisterkraft­werk“. So nennen sie stolz die neue Anlage, in die sie bis 2015 rund 500 Millionen Euro investieren wollen und die sie zurzeit von Siemens im Rheinhafen der Landeshauptstadt bauen lassen. 2015 soll das hocheffiziente Gas­ und Dampfturbinenkraftwerk (GuD) Fortuna den bisherigen Block Emil auf dem Kraftwerksgelände Lausward ablösen und die Leistung von 420 auf gut 600 Megawatt erhöhen. Es lasse sich in Minutenfrist hochfahren und werde „mit einem Wir­kungsgrad von über 61 Prozent in der reinen Stromerzeugung einen neuen Rekord aufstellen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der Klimaschutzziele der Landeshauptstadt leisten“, verspricht das Unternehmen, das seit seiner umstrittenen Privatisie­rung zu 54,95 Prozent dem Energieriesen EnBW, zu 25,05 Prozent der Stadt Düsseldorf und zu 20 Prozent der GEW Köln AG gehört. Ein Kraftwerk, wie geschaffen für die Anforderungen der Energie­wende: flexibel, umweltschonend, die perfekte Brückentechnologie.

Der Mehrheitsaktionär EnBW war lange skeptisch gegenüber dem Bau gewesen. Denn gute Prognosen hatte der bisherige Effizienzweltrekordhalter, das E.ON­Gas­kraftwerk Irsching, auch mal gehabt. Aber die topmoderne Anlage steht vor dem Aus, weil der Gaspreis an der Strombörse nicht konkurrenzfähig ist.

Natürlich gebe es ein Risiko, bestätigt Betriebs­ und Aufsichtsrat Schörnich. Aber den Bau des GuD­Kraftwerks am Rhein haben er und seine Kollegen von Anfang an energisch befürwortet und tun es noch: „Der Block wird sich langfristig rechnen“, ist er sicher. Klaus Schörnich setzt auf den günstigen Standort am Rhein, der statt

+++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus

Stadt-werKer Mit weitBliCKStadtwerKe Klaus Schörnich, Vize­Auf­sichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Düssel­dorf AG, ist sauer über die politische Untätig­keit. Und setzt auf Investitionen – in das neue Gaskraftwerk Fortuna.

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+++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++

Kühltürmen die wirtschaftlichere Frischwasserkühlung erlaubt. Eine direkte Einspeisung ins Netz der Stadtwerke erspare außerdem die Netzentgelte, und ein „sehr guter Gasliefervertrag, der an die Strom­ und CO²­Preise gekoppelt ist, mit dem norwegischen Unternehmen Statoil gibt uns Sicherheit“, sagt er. „Entscheidend ist auch die Mög­lichkeit, in großem Umfang Fernwärme auszukoppeln und in die nahe Innenstadt zu liefern. Das verschafft uns zusätzlichen Umsatz.“

Wermutstropfen: Das Weltmeisterkraftwerk kostet Arbeitsplät­ze. Klaus Schörnich geht davon aus, dass 40 Prozent weniger Per­sonal als mit dem Betrieb des alten Blockes Emil benötigt werden. Das Unternehmen werde die Jobs sozialverträglich abbauen, be­triebsbedingte Kündigungen sind tarifvertraglich bis Ende 2014 ausgeschlossen. „Die Energiewende hat in der Branche überall eine Verlagerung von Arbeitsplätzen gebracht, nicht nur bei den Stadt­werken Düsseldorf“, gibt der Betriebsrat zu bedenken. „Viele Jobs sind weg – durch technische Erneuerungen, aber auch durch wirt­schaftlichen Druck.“ In den vergangenen Jahrzehnten ist die Düs­seldorfer Belegschaft – nicht nur wegen der Energiewende – von 4400 Beschäftigten auf die Hälfte geschrumpft. Er sei froh, dass zumindest Outsourcing noch kein Thema sei. „Ich kenne andere Versorger, die arbeiten immer mehr mit Fremdfirmen.“

Der Umbruch des Versorgungsmarktes bedeutete für die Stadt­werker auch einen Umbruch der Unternehmensstruktur: 750 Be­schäftigte hat die AG in das Tochterunternehmen Stadtwerke Düs­seldorf Netz GmbH ausgegliedert, das sich um Netzmanagement, Netznutzung, Netzanschlussmanagement und technische Netzfüh­rung kümmert und vom bisherigen Gesamtbetriebsrat der Stadtwer­ke mitbestimmt wird. Neun Mitarbeiter beschäftigt daneben die neue Grünwerke GmbH für regenerative Energien, die vor allem Photovoltaik­ und Onshore­Windkraftprojekte auf Wirtschaftlich­keit prüft und umsetzt. Weil das alte Geschäftsmodell als reiner

Energielieferant bröckelt, entwickelt eine Arbeitsgruppe „Neue Produkte“ alternative Dienstleistungen auf Basis der Tatsache, dass aus ehemaligen Verbrauchern – etwa durch die eigene Photovoltaik­anlage – nun Energieerzeuger werden, berichtet Klaus Schörnich. Ständige technische Neuerungen haben für die Beschäftigten schon lange Fortbildungen zum täglich Brot werden lassen. Ja, man wolle die Wende mitgestalten und habe im Unternehmen viel in Bewegung gebracht. Nun sei die Politik am Zug. Dringend. ■

Von CarMen Molitor

enerGiSChe Frau iM taGeBauMiBraG Roswitha Uhlemann, Betriebsrats­vorsitzende im Braunkohle­Tagebau um Bitterfeld, möchte ein klares Bekenntnis der Politik zur Braunkohle, weil ansonsten die MIBRAG nicht in CO²­ärmere Kraftwerke investieren wird.

„Wir sind gut aufgestellt – dennoch stehen wir mit dem Rücken zur Wand.“

STADTWERKE­BETRIEBSRAT SchöRNIch

Roswitha Uhlemann ist manchmal ganz schön entnervt. „Es gibt nach wie vor kein Energiekonzept, von dem ich sagen könnte: Darauf kann man die Zukunft auf­bauen“, sagt die Betriebsratsvorsitzende der MIBRAG,

der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft. Ihr fehlt ein klares Bekenntnis der Politik zur Braunkohle. Die aber brauche der Indus­triestandort Deutschland in seinem Energiemix, gerade in Zeiten der Energiewende, meint die 60­Jährige, die auch Aufsichtsratsmit­glied der MIBRAG ist und bis 2013 im dreißig­köpfigen Hauptvor­stand der IG BCE war. „Aus der Steinkohle steigen wir 2018 aus, das letzte Atomkraftwerk geht 2021 vom Netz. Wer meint, bis da­hin könnten wir allein mit regenerativen Energien unseren Strom erzeugen, ist blauäugig“, echauffiert sich die Betriebsrätin.

Das Hauptgeschäft der MIBRAG, die früher unter dem Namen VEB Braunkohlekombinat Bitterfeld firmierte, ist die Braunkohle. „Wir machen Kohle mit der Kohle“, sagt Uhlemann und lacht. Der Konzern ist eines der kleinsten Braunkohleunternehmen in Deutsch­land und gehört inzwischen dem tschechischen Unternehmen Ener­getický a Průmyslový Holding (EPH). Hier herrscht Montanmitbe­stimmung, die Arbeitsbedingungen sind gut, und das Geld stimmt. Neben dem Chemiedreieck Leuna ist die MIBRAG der größte Ar­beitgeber in der Region. Zwei Tagebaue südlich von Leipzig gehören zum Unternehmen, zum einen Profen in Sachsen­Anhalt und einige Kilometer östlich der Tagebau Vereinigtes Schleenhain in Sachsen. Die Kohle, die hier abgebaut wird, ist bis zu 45 Millionen Jahre alt. Außerdem betreibt die MIBRAG inzwischen noch zwei Braunkohle­kraftwerke, die in erster Linie Strom für den eigenen Tagebau­Bedarf produzieren. Das dritte und älteste Kraftwerk ging im Sommer die­ses Jahres vom Netz.

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Die Renaissance der Braunkohle hat viele überrascht. Wilfried Schreck nicht. Der Vorsitzende des Gesamt­betriebsrates der Vattenfall Europe Generation AG und Aufsichtsrat der Vattenfall GmbH arbeitet seit rund

30 Jahren im Kraftwerk Jänschwalde mitten im Braunkohlerevier in der Lausitz und hat hier viel wirtschaftliches Auf und Ab erlebt. Als die Energiewende begann, witterte Schreck die große Chance für den fast schon totgesagten Energieträger: „Man kann nicht aus Kernenergie und Braunkohle zeitgleich aussteigen, weil die erneu­erbaren Energien nicht jederzeit zur Verfügung stehen“, so sein Argument. „Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, wer macht’s dann?“ Als Industrieland brauche Deutschland eine sichere, bezahlbare Brückentechnologie, bis die erneuerbaren Ener­gien zuverlässig speicherbar sind – und die beste Option dafür ist nach Schrecks Meinung klar die Braunkohle. Sie ist gefragt wie selten: 62 Millionen Tonnen hat Vattenfall 2012 in der Lausitz ge­fördert. „Diese Zahlen haben wir das letzte Mal 1994 erreicht“, berichtet der ehemalige SPD­Bundestagsabgeordnete. „Das zeigt ganz deutlich: Wir werden gebraucht, und darauf sind wir stolz.“ Neue Jobs sind durch den Boom freilich nicht entstanden.

Abgesehen vom Markterfolg der Braunkohlesparte, durch die Vattenfall hierzulande 85 Prozent seines Stroms produziert, dringen zurzeit aus Deutschland kaum noch erfreuliche Nachrichten in die Stockholmer Konzernzentrale. Ganz im Gegenteil: Die deutsche Energiewende bringt den Energieriesen, der zu 100 Prozent dem schwedischen Staat gehört, Stück für Stück ins Wanken: Die AKWs Krümmel und Brunsbüttel mussten stillgelegt werden. Den Plan einer Versuchsanlage in Jänschwalde, die die Abscheidung und un­terirdische Speicherung von Kohlendioxid testen sollte, begrub der Konzern wieder – weil ihm die gesetzlichen Grundlagen für die

+++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++

Uhlemann setzt auf neue Technologie. Die MIBRAG hat schon seit Jahren Pläne für ein gut regelbares Großkraftwerk Profen, technisch auf dem neusten Stand, mit geringerem CO²­Ausstoß und größerem Wirkungsgrad. „Profen ist ein großes Zukunftsprojekt“, sagt Uhle­mann, „doch aufgrund der unsicheren Situation fährt der Konzern es zurzeit auf Sparflamme. Denn so ein Kraftwerk ist ein Milliar­denprojekt.“ Aber da die Politik sich nicht für die Kohle ausspricht, liegen die Pläne zurzeit in der Schublade. Immerhin wolle so manche Partei ja den vollständigen Ausstieg aus der Braunkohle. Die Ar­beitnehmervertreterin Uhlemann hält das für naiv, streitet mit den Grünen vor Ort immer wieder um diese Fragen. Natürlich, auch Uhlemann findet es gut, „dass es Menschen gibt, die sagen, wir müssen auf unsere Umwelt achten.“ Auch sie will für ihre Enkel­kinder eine saubere Zukunft. „Deshalb brauchen wir technologisch hochwertige Kraftwerke“, meint sie. „Durch die Braunkohle wird die Umwelt immer weniger belastet.“

Rund 1900 Beschäftigte hat die MIBRAG. Gut die Hälfte von ihnen arbeitet in den Tagebauen. Die politischen Unwägbarkeiten drücken derzeit auf die Stimmung. „Unsere Belegschaft ist hin­ und hergerissen“, erzählt Uhlemann. „Die einen glauben noch an das Kraftwerk Profen. Die anderen sagen, das kommt nie.“ Außerdem hat die MIBRAG auch Windräder. „Die ersten drei sind in Betrieb“, erzählt Uhlemann, und es seien weitere im Gespräch. ■

Von Karin FlothMann

Br-vorSitzende uhleMann, taGeBau in zeitz: „Wir machen Kohle mit der Kohle.“

der Braun-Kohle- verFeChtervattenFall Aus für die Atomkraft, Boom für die Braunkohle: Gesamtbetriebsrats­vorsitzender Wilfried Schreck erlebt beim schwedischen Energiekonzern Vattenfall gerade die Extreme der Energiewende.

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Br-vorSitzender SChreCK

vor deM KraFtwerK JänSCh-

walde: Kann sein, dass Vattenfall irgendwann die Nase voll hat

+++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++

Einführung der Carbon­Capture­and­Storage­(CCS)­Technik zu schwammig und die Bürgerproteste gegen mögliche Lagerstätten in Deutschland zu laut waren.

Inzwischen fordern Umweltschützer wegen der Klima­ und Um­weltbelastung immer vehementer auch den baldigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung. Und nachdem die Hamburger Bürger im September in einem Volksentscheid für den Rückkauf der Netze durch

die Stadt stimmten, ist obendrein eine erneuerte Konzession für Vat­tenfall als Betreiber des Hamburger Stromnetzes fraglich. All das führte dazu, dass bei dem Energieversorger, der in Deutschlang lange Jahre satte Gewinne einfahren konnte, 2013 dunkelrote Warnleuch­ten angingen: Das Staatsunternehmen schrieb Milliarden Euro ab und kündigte harte Einsparungen an, inklusive des (sozialverträglichen) Abbaus von 1500 Stellen in Deutschland und eines Einstellungsstopps. Eine Exitstrategie deutet sich an: Ab 2014 wird das Geschäft in die Einheiten Kontinentaleuropa/Großbritannien und Skandinavien auf­

geteilt. Vattenfall gehe davon aus, dass „sich der Markt in absehbarer Zeit nicht erholen wird“, heißt es resignativ in einer Pressemitteilung.

Wilfried Schreck wundert sich nicht, dass sich die Gerüchte über einen Rück­zug von Vattenfall aus dem Deutsch­landgeschäft hartnäckig halten, obwohl Deutschlandchef Tuomo Hatakka sie wiederholt dementiert hat. Wie lange Vattenfall angesichts des erklärten Un­ternehmensziels, Strom und Wärme völ­lig CO²­neutral zu produzieren (bis 2050), an den Braunkohlewerken fest­halten wird, ist fraglich. „Es kann

durchaus passieren, dass die irgendwann die Nase voll haben“, glaubt der IG­BCE­Mann. Dann könnte es vielen der 17 000 Vat­tenfall­Beschäftigten in Deutschland ähnlich ergehen wie den Mit­arbeitern aus den Atomkraftwerken, die sich neu orientieren müssen, fürchtet Schreck.

Speziell um das Lausitzer Revier, wo circa 5000 Menschen für die Vattenfall Europe Mining AG (Braunkohlebergbau) und knapp

3000 Beschäftigte für die Vattenfall Europe Generation AG (Braunkohlekraftwerke) arbeiten, macht sich der 58­Jährige aber weniger Sorgen: „Wenn Vattenfall geht, macht’s ein anderer weiter. Für Investoren ist es zwar zurzeit nicht leicht, aber das Geschäft ist robust und die Preise nicht vom Weltmarkt abhängig und gut kalku­lierbar. Man weiß im Prinzip heute schon, was Braun­kohle 2030 kostet – das weiß man von Steinkohle, Gas und Erdöl nicht. Ich habe keine Bedenken, dass es hier

nicht weitergeht, wenn die Schweden sich zurückziehen.“ Wann die Braunkohle als Brückentechnologie der Energiewende ausgedient haben wird, dazu will sich Schreck nicht festlegen: „Wir meinen aber, dass die Lausitzer Kraftwerke noch bis 2050 und durchaus auch länger laufen“, sagt der Gesamtbetriebsrat. „Wir sollten die Brücke nicht abreißen, solange das rettende Ufer nicht erreicht ist.“ ■

Von CarMen Molitor

„Wenn Vattenfall geht, macht ein anderer weiter, ich habe keine Bedenken für die Zukunft des Lausitzer Reviers.“

VATTENfALL­BETRIEBSRAT SchREcK

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Vor der Energiewende galt die Energie Baden­Würt­temberg AG, kurz EnBW, Kritikern als Atomkon­zern. Bis 2005 liefen fünf Kraftwerksblöcke, dann wurde als Erstes das AKW Obrigheim vom Netz

genommen – nach dem ersten, dem rot­grünen Ausstiegsbe­schluss. Und nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima schaltete die EnBW die Blöcke in Neckarwestheim und in Phi­lippsburg ab. Noch ein Jahr zuvor, 2010, hatte der Betrieb der vier Atomkraftwerke im EnBW­Konzern deutlich mehr als die Hälfte des Gewinns erwirtschaftet. Es folgten Ertragseinbrüche von 80 Prozent bei einem der vier großen Energiekonzerne ne­ben E.ON, RWE und Vattenfall.

„Natürlich tun uns die Auswirkungen der Energiewende weh“, sagt Dietrich Herd, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der EnBW­Sparte Erneuerbare und konventionelle Erzeugung AG und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des drittgrößten Energieunternehmens in Deutschland. Rund 20 000 Menschen arbeiten in dem Konzern, „der Druck auf die Beschäftigten hat sich erhöht“. Die Ertragseinbrüche waren Folge der reduzierten Energiemengen. „Aber stärker noch trifft uns der stark gesun­kene Strompreis an der Börse“, berichtet Herd. Im Geschäftsjahr 2012 erwirtschaftete der Konzern wieder einen Überschuss von 474 Millionen Euro; zwei Jahre zuvor (vor Fukshima) hatte der Konzernüberschuss noch bei 1,17 Milliarden Euro gelegen.

Die Kernkraftwerke, die das Geld brachten, werden heute zurückgebaut, also abgerissen. „In Obrigheim sind wir mitten im Rückbau“, sagt Herd. An den Kernkraftstandorten Neckar­westheim und Philippsburg bereite man den Rückbau vor. Denn auch dafür braucht man offizielle Genehmigungen, und die lassen oft auf sich warten. „Die EnBW hat – ich glaube als

einziges der vier großen Energieunternehmen – verkündet, dass sie den Rückbau auch zum Teil mit eigenem Personal stemmen will. Wir werden da nicht nur Fremdfirmen einschalten“, zeigt sich Herd zufrieden. Für die Beschäftigten in den stillgelegten AKWs rechnet sich das. „Bis auf einige Kollegen, die in den Ruhestand gegangen sind, haben wir noch nahezu die gleiche Mannschaft an Bord“, erklärt Herd. Und das wird in den nächsten 15 bis 20 Jahren je nach Rückbau­Fortschritt so bleiben. Denn so lange, so schätzen Herd und seine Kollegen, wird es dauern, bis dort, wo heute noch Atom­kraftwerke stehen, wieder grüne Wiese ist. Sofern für den Atommüll ein Endlager gefunden wird. „Wir haben ja das Problem der Lage­rung von unseren schwach und mittel radioaktiven Abfällen“, sagt Herd. „Wenn das Endlager Konrad nicht oder erst verspätet

+++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++

intereSSen-vertreter iM KonzernenBw Drei Atomkraftwerke von fünf hat der Konzern abgeschaltet, gleichzeitig geht der Ausbau der Windparks nicht voran. EnBW­Betriebsräte verlangen von Berlin endlich Entscheidungen und Investitionssicherheit.

GBr-vorSitzende MeSSner und herd (r.) in StuttGart:

Noch 15 bis 20 Jahre Arbeit beim Rückbau der Kernkraftwerke

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+++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++

kommt, dann wird das auch zu Verzögerungen beim Rückbau füh­ren.“ Mit den zwei verbliebenen Kernkraftwerken produziert die EnBW noch heute Atomstrom. „Bedingt durch die Kostenstruktur und die optimale Fahrweise fahren wir mit den Kernkraftwerken Grundlast“, berichtet der Gesamtbetriebsratsvorsitzende. Das heißt, beide Kraftwerke sind ständig in Betrieb, und daher hat Atomstrom „bei der tatsächlich produzierten Strommenge noch den größten Anteil am Strommix der EnBW – mit abnehmender Tendenz“, meint Herd. Das ist kostengünstiger. Dagegen fahre man (wegen der Er­

zeugungskosten) „die Steinkohlekraftwerke stärker zurück, wenn der Vorrang der regenerativen Erzeugung eine Reduzierung der Er­zeugung erforderlich macht“.

Die EnBW hat eigene Steinkohlekraftwerke – ein hochmodernes neues wird zeitnah in Karlsruhe in Betrieb genommen. Außerdem hat der Konzern Beteiligungen an Braunkohlekraftwerken, die alle außerhalb von Baden­Württemberg liegen. „Generell sieht es mit den Kohlekraftwerken im Moment nicht so toll aus“, sagt Dietrich Herd. „Bedingt durch den sehr niedrigen Strompreis an der Börse haben wir, was die Einsatzzeiten der Kohlekraftwerke angeht, gro­ße Probleme.“ Für die Beschäftigten sei die Situation daher ange­spannt, zumal schon erste Kraftwerke zur Stilllegung angemeldet sind. Hierzu stehe jedoch der Bescheid der Behörde noch aus. „Aber es gibt auch Überlegungen, noch weitere Anlagen stillzulegen“, sagt Herd. „Denn bei den geringen Einsatzzeiten können diese Kraftwer­ke einfach ihr Geld nicht mehr verdienen. Zum Teil können wir nicht einmal die Fixkosten abdecken.“

Da stellt sich für die Beschäftigten, die von der Gewerkschaft ver.di vertreten werden, die Frage: Wie geht’s mit meinem Ar­

beitsplatz weiter? Der Schwebezustand führt dazu, dass „uns junge Kollegen verlassen“, während der Konzern sich schwertut, diese Stellen neu zu besetzen. Weil keiner weiß, wie es weitergeht. „Uns liegt sehr daran, dass wir hier schnell Klarheit bekommen“, sagt Herd. „Wir erwarten von der Politik klare, nachhaltige Signale zur künftigen Energieerzeugung.“

Die Politik ist gleichzeitig Anteilseigner an der EnBW. Das Un­ternehmen gehört zu gleichen Teilen mit jeweils 46,75 Prozent dem grün­rot regierten Land Baden­Württemberg und den überwiegend CDU­geprägten Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW), einem Zusammenschluss von Kommunen im südlichen Baden­

Württemberg. „Dass wir zum Teil in Besitz einer grün­roten Lan­desregierung sind, ist nicht entscheidend, aber schon spürbar“, findet Herd. „Denn der Anteilseigner Land hat ein großes Interesse an dem Umbau des Konzerns hin zu mehr regenerativer Energie.“ Nicht weniger signalisiere der OEW ein dahin gehendes Interesse an der Energiewende.

Unter den Big Four sei EnBW der Konzern, der überhaupt so etwas wie ein Zukunftskonzept zu bieten hat, schreibt der „Spiegel“ Mitte September. So plane EnBW­Chef Mastiaux, die klassische

Energieerzeugung mit Kohle und Kernkraft in den kommenden Jahren erheblich zu reduzieren; gleich­zeitig solle massiv in erneuerbare Energien, dezentra­le Systeme und intelligente Netze investiert werden.

Die EnBW hatte in ihrem Strommix schon vor dem Ausstieg aus der Atomenergie einen überdurchschnitt­lich hohen Anteil an erneuerbaren Energien, der vor allem aus großen Wasserkraftwerken kommt. Jetzt ist noch ein Gutteil Windkraft hinzugekommen, auch im Offshore­Bereich. In der Ostsee, 16 Kilometer nörd­

lich der Halbinsel Fischland, betreibt EnBW seit zwei Jahren den Windpark Baltic I. Im Baustadium ist Baltic II, ein zweiter Offshore­Windpark rund 32 Kilometer nördlich von Rügen. „Auch bei Off­shore­Anlagen, wo sich der Konzern gern noch stärker engagieren würde, haben wir das Problem, dass im Moment keine klaren Vor­gaben vonseiten der Politik existieren.“ So sei völlig unklar, wie es mit der Förderung von Offshore­Anlagen weitergeht. Das führe dazu, „dass unsere aktuellen Projekte auf Eis liegen“, erklärt Herd, „weil unklar ist, ob wir mit unseren Investitionen auf lange Sicht auch einen wirtschaftlichen Ertrag erzielen“. Sein Fazit: „Wir brau­chen endlich verlässliche Rahmenbedingungen.“ Darum sollte sich eine neue Bundesregierung schnellstmöglich kümmern. Denn die Stimmung unter den Beschäftigten der EnBW ist gedrückt.

Bei Netzausbau und Netzerneuerung „haben wir so viel Arbeit, dass man sich kaum davor retten kann“, sagt Arnold Messner, Ge­samtbetriebsratsvorsitzender der EnBW Regional AG und EnBW­Aufsichtsratsmitglied, zuständig für die Netze. „Gleichzeitig ist die Situation beim Netzausbau angespannt, denn der Konzern will die Aufgaben mit einem Minimalaufwand an Personal bewältigen. Und das macht die Kollegen bei uns auch nicht glücklicher als den Kol­legen im Kraftwerk, der in seiner stillstehenden Anlage Patrouille geht“, sagt Messner.

Trotz aller Unsicherheit, die für die Beschäftigten schwer erträg­lich ist: „Die Notwendigkeit der Energiewende, die ist auch bei den Beschäftigten im Konzern angekommen“, versichert Gesamtbe­triebsrat Messner. ■

Von Karin FlothMann

„Unsere aktuellen Projekte liegen auf Eis. Wir erwarten von der Politik klare, nachhaltige Signale zur künftigen Energie-erzeugung.“

ENBW­BETRIEBSRAT hERD

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+++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++ +++ +++ Energiewende aus Arbeitnehmervertreter-Sicht +++

der windKraFt-BauerPowerBladeS Alan­Thomas Bruce baut Flügel für Windkraftanlagen auf hoher See – und setzt sich dafür ein, dass seine Kollegen das auch in Zukunft noch tun können. Die Unsicherheit bei Politik und Investoren bremst die Windkraftbauer gerade komplett aus.

Vor allem schnell müsse die neue Bundesregierung han­deln, sagt Alan­Thomas Bruce. „Bis Ende des Jahres haben wir noch Arbeit. Wie es ab Januar 2014 wei­tergeht, weiß niemand. Bis dahin brauchen wir ver­

lässliche Rahmenbedingungen.“ Bruce baut Flügel für Windkraft­anlagen auf hoher See. Genauer gesagt: Er setzt sich dafür ein, dass seine Kollegen auch in Zukunft noch Flügel bauen können. Als freigestellter Betriebsrat beim Bremerhavener Offshore­Spezialisten Powerblades, einer Tochter des Windkraftriesen REpower, rotiert er momentan zwischen Krisensitzungen, Personalgesprächen und

Der Cuxhavener aPPell unter: www.dialog.igmetall.de/uploads/media/appell-Cux.pdf

mehr informationen

Betriebsversammlungen – wenn er nicht gerade „im Dienste der Windkraft“ unterwegs ist. So nennt es Bruce, wenn er mit seinen IG­Metall­Kollegen öffentlich für das Gelingen der Energiewende demonstriert wie zuletzt beim „Cuxhavener Appell“, mit dem die fünf norddeutschen Bundesländer im August Planungssicherheit für die Offshore­Windkraft forderten.

Öffentlicher Druck ist derzeitig nötig. „Das Hin und Her bei der Energiepolitik hat dazu geführt, dass Investoren abspringen“, sagt Bruce. Das Erneuerbare­Energien­Gesetz garantiert den Betreibern von Windkraftanlagen einen Mindestpreis für ihren Strom. Allerdings nur bis 2017. Was danach passiert, steht noch in den Sternen. Bruce kann die scheuen Investoren sogar verstehen: „Wenn ich nicht wüss­te, was die Zukunft bringt, würde ich mein Sparschwein auch in der Schublade lassen.“ Ohne Investitionen geht offshore gar nichts, denn die Hochseewindparks kosten Milliarden. Und ohne Parks keine Auf­träge für Powerblades und die zahlreichen anderen Unternehmen, die in den letzten Jahren vor allem in Norddeutschland entstanden sind und Tausende Arbeitsplätze geschaffen haben.

„400 Jobs wurden in den letzten neun Monaten bei uns abgebaut, alles Leiharbeiter“, sagt der 52­jährige Bruce, der selbst als Leihar­beiter bei Powerblades angefangen hat. „Das waren gute Kollegen, die oft drei, vier Jahre im Unternehmen waren, Freundschaften ge­schlossen hatten. Jetzt sorgen sich die restlichen 250 Kollegen, dass es uns bald geht wie denen bei BARD in Emden oder Cuxhaven Steel Construction.“ Der Hochseewindmühlenbauer BARD und sein Tochterunternehmen gehörten zu den ersten Opfern der Offshore­Krise. In Emden wurde die Produktion im September eingestellt, im April in Cuxhaven. Inzwischen gibt es kaum ein Unternehmen ohne Probleme. Auch bei REpower wurde gerade ein Restrukturierungs­programm verabschiedet, bis zu 750 Arbeitsplätze sollen gestrichen werden.

„Aber ohne Offshore­Windkraft wird es mit der Energiewende nichts werden“, sagt Bruce. „Denn nur auf See dreht sich rund um die Uhr und das ganze Jahr über die Mühle.“ Und was müsste die neue Bundesregierung jetzt tun? Ganz klar, meint er: Energiewende beschleunigen, Finanzierung verbessern und den Netzbetreibern genauer auf die Finger schauen. „Und wenn die mit der Anbindung der Windparks überfordert sind, muss der Staat das eben selbst in die Hand nehmen.“ Von seiner Gewerkschaft, der IG Metall, er­wartet er, dass sie ihren klaren Kurs pro Energiewende fortsetzt. Und falls die Regierung die Zeichen der Zeit nicht erkennt? „Dann brauchen wir eben eine bundesweite Kampagne, am besten mit einer zentralen Demonstration in Berlin.“ ■

Von JohanneS SChulten

BetrieBSrat BruCe,

PowerBladeS: Nur noch Arbeit bis Ende des Jahres

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„Das ist ein vergifteter Anreiz“interview Michael Vassiliadis über die verquere Subventionswirkung des EEG, ideologischen Strom, die Kohlebrücke und warum man besser den Unternehmenserfolg besteuern sollte als den Rohstoffeinsatz.

Mit dem IG-BCE-Vorsitzenden sprach Cornelia Girndt in Hannover.

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Da können die Lebensverhältnisse von gesellschaftlichen Eliten nicht der Maßstab sein. Wir wollen keine Klassengesellschaft – auch keine in neuer Form.

Was muss die neue schwarz-rote Bundesregierung vordringlich anpacken? Sie muss sich endlich den Widersprüchen stellen: Etwa dem zwischen Klimaschutz und Energieinfrastruktur. Der Anteil Deutschlands am globalen CO²­Ausstoß beträgt 2,8 Prozent. Wir werden also das Weltklima allein nicht retten können. Allerdings kann man voran­gehen und deshalb bin ich sehr dafür, alle sinnvollen Anstrengungen zu unternehmen, um auf 2,5 Prozent zu kommen. Aber nicht mehr mit Kernenergie. Wir haben uns aus guten Gründen von der Kern­energie verabschiedet, daran wird auch nicht gerüttelt. Nun gehen 22 Prozent der klimaneutralen Energieversorgung vom Netz. Da sind die Konsequenzen zu bedenken – und Antworten darauf zu finden.

Die lautet, massiv die Erneuerbaren auszubauen.Wir liegen heute bei 25 Prozent Erneuerbare, kein Klacks für ein Industrieland – wobei uns klimaneutral gegen klimaneutral viel Geld kostet. Wir brauchen Brücken ins regenerative Zeitalter. Die können nicht allein aus Gaskraftwerken gebaut werden. Wollten wir den 30 Prozent Kohleanteil mit Gas kompensieren, bräuchten wir sehr vie­

le neue Gaskraftwerke. Wer das will, muss sagen, wer diese Inves­tition unter den gegebenen, wenig lukrativen Bedingungen leisten soll. Der Staat? Die Unternehmen?

Zunehmend steht die Kohle als Klimakiller unter Beschuss. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, deren Land energetisch und mit vielen Arbeitsplätzen von der Kohle abhängig ist, wird vorge-worfen, sie rufe Artenschutz aus für „ihre“ Kohlekraftwerke.Darum geht es doch nicht, das ist dummes Zeug. Klar, aus der Kernkraftgegnerschaft wird zunehmend eine Kohlegegnerschaft. Doch ohne die Kohle kommen wir nicht ins regenerative Zeitalter. Gleichzeitig müssen wir viel stärker als bisher investieren und auf Innovationen setzen. Zum Beispiel in die Gebäudesanierung und die Elektromobilität.

Michael Vassiliadis, Sie kritisieren die Energiewende als „teuer, ineffizient und ungerecht“. Das hört sich nach einem Totalverriss an. Sind Sie von einem Mo-

derator, der Industrie und Arbeitnehmer auf dem Weg mitnehmen will, zu einem vehementen Kritiker geworden? Ich kritisiere den Prozess, nicht das Ziel der Energiewende, das ich grundsätzlich befürworte. Schließlich habe ich in der Ethikkommis­sion 2011 einiges zu einem gemeinsamen Ergebnis beitragen können. Meine Sorge ist, dass man sich in eine Sackgasse manövriert, aus der wir kurzfristig nicht mehr herauskommen, weil niemand die finanziell, technologisch und investiv notwendigen Entscheidungen trifft. Ziele wie die Abschalttermine für Kernkraftwerke und die Ausbauraten der Erneuerbaren werden weiterhin zelebriert, aber wie wir realistisch dahin kommen, das ist völlig unklar. Am Ende gefährdet das die ganze Energiewende.

Die Energiewende ist Strukturwandel pur: von der Großindustrie zu kleinteiligen Produzenten, von guter, mitbestimmter Arbeit zu tariflosen Arbeitsplätzen. Werden die Arbeitnehmer in den Kon-zernen und Kohlekraftwerken die Verlierer sein, und damit auch jene, die bei der IG BCE organisiert sind? Richtig ist, dass dieser Wandel nicht einer sein darf von guter zu fragiler Arbeit. Das ist übrigens als Anspruch festgehalten im Bericht der Ethikkommission, und wurde auch von den Umweltverbänden unterschrieben. Die neue technologische Infrastruk­tur muss einhergehen mit Guter Arbeit. Es geht um die Qualität von Arbeitsplätzen und Produktions­verfahren.

Unterstreichen dies die Industriegewerkschaften mit ihrem Anspruch der „sozialen Nachhaltigkeit“? Wir müssen uns verabschieden von den schlichten Vorstellungen – hier die gute grüne Zukunftstechnologie und dort die schlechte, alte Industrie, die womöglich auch noch schwarz ist. Die Energiewende bekommen wir nur mit der Industrie hin, nicht gegen sie. Ein Windrad wird aus Stahl und Kunststoffen gebaut, das ist nicht aus nachwachsenden Rohstoffen geschnitzt.

Man hört die Ironie heraus gegenüber den Wind- und Wutbürgern. Sind die sozial so unsensibel?Jedenfalls erwarte ich auch von den so genannten Wutbürgern eine gewisse Empathie für die Belange der Arbeitnehmerinnen und Ar­beitnehmer. Nachhaltigkeit hat auch eine soziale und eine ökono­mische Dimension. Wer das ausblendet und allein den ökologischen Aspekt zur Richtschnur politischen Handelns macht, landet sehr schnell in einer Sackgasse. Die Energiewende muss bezahlbar sein.

„Ich streite nicht dafür das Erneuerbare- Energien-Gesetz abzuschaffen, ich will es gerechter machen.“

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Warum werden neue, klimafreundliche Gaskraftwerke reihum stillgelegt, während die alten Kohlekraftwerke heutzutage die Geld-bringer sind? Das hat mit dem Einspeisevorrang der Erneuerbaren zu tun. Immer wenn es unattraktiv ist, muss man die Kraftwerke zuschalten. Die Konzerne verhalten sich dann ganz marktwirtschaftlich und suchen nach der billigsten Lösung, was ihnen keiner vorwerfen kann. Das führt im Ergebnis dazu, dass die ältesten, komplett abgeschriebenen Kohlekraftwerke am häufigsten hochgefahren werden. Das zeigt, dass das System in sich nicht stimmig ist.

Wird man ein zweites, teures Parallelsystem aus Kraftwerken sub-ventionieren müssen?Das würde extrem teurer. Die Lösung für diese Backbone­Geschich­te sehe ich eher darin, dass wir die Energieversorgung europäisch integrieren. Europa hat energie­ und klimapolitisch einiges vorzu­weisen, dazu kommt eine enorme Innovationskraft.

Auch wenn dann Atomstrom aus Frankreich aus der Steckdose kommt? Strom mit einem ökologischen Unbedenklichkeitszertifikat oder ideologisch reiner Strom wird noch ein Reihe von Jahren nicht aus­

reichen, um eine sichere und verlässliche Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen.

Vattenfall will sich von seinen Braunkohlekraftwerken verabschie-den, RWE könnte aus dem Tagebau Garzweiler aussteigen wollen. Trifft das die IG BCE?RWE hat mit der Braunkohle einen gesunden Unternehmenskern. Die Braunkohle stabilisiert nicht nur den Konzern, sondern wird – ich unterstreiche das – auch als stabile Brücke in die Ära einer neu­en Energieversorgung noch lange gebraucht.

Wäre eine Mischung aus Atomkraft und Erneuerbaren die bessere Lösung – was die Schweden oder die Franzosen favorisieren?Ich will kein Zurück zur Atomkraft. Wir müssen und wollen unse­ren eigenen Weg gehen. Und da liegen beim Verkehr und bei der

Gebäudesanierung noch erhebliche Einsparpotentiale brach, die sollten wir nutzen – auch wenn das ungemütlich werden könnte.

In die Energieträger Kohle und Atomenergie sind viele Milliarden geflossen. Warum nicht auch in die Erneuerbaren als echte Zu-kunftstechnologie?Es war sicher richtig, die Erneuerbaren zu Beginn mit Schub zu versehen. Da hat das EEG positive Wirkung entfaltet. Jetzt allerdings zeigt sich immer deutlicher, dass das Gesetz vor allem Renditean­reize setzt – aber keine zur ständigen Technologieentwicklung und ­förderung. Zugespitzt: Das EEG ist ein vergifteter Anreiz. Die volks­wirtschaftliche Steuerungswirkung ist schlicht fatal. Zu spüren be­kommen das beispielsweise auch die Solarunternehmen. Die haben anders als ihre chinesischen Konkurrenten keine Unterstützung für die Technologieentwicklung bekommen. Stattdessen wurden die Solarpanele auf den Dächern subventioniert. Resultat: Die Produk­tion findet heute vor allem in China statt.

Was ist am EEG sozial ungerecht? Das Ganze folgt durchaus einer Logik: teure Energiepreise zwingen zur Energieeffizienz. Das will ich nicht bestreiten. Aber wenn man in einem Hochhaus wohnt, das nicht wärmegedämmt ist und sich

keine neuen energiesparenden Geräte leisten kann, wird das Ganze ungerecht. Es wird noch mal unge­recht, wenn es auch noch Profiteure gibt…

… wie den Bauern mit den Solarmodulen auf dem Kuhstall oder die Windrad-Genossenschaft.… das geht direkt von dem einen zum anderen. Und die Belastung ist zu hoch. Deshalb bin ich dafür, einen Teil der Kosten über Steuern zu finanzieren.

Das Steuersystem stellt sicher, dass diejenigen, die mehr profitieren, auch mehr zahlen. Ich streite nicht dafür, das EEG abzuschaffen, ich will es gerechter machen. Es ist schon frech, dass der Staat Milliar­den mitverdient, indem er auf die EEG­Umlage noch eine Mehr­wertsteuer erhebt.

Die energieintensive Industrie, darunter Stahl, Aluminium, Papier, muss keine EEG-Umlage zahlen. Nun hat das FDP-Wirtschafts-ministerium den Kreis der Unternehmen erheblich ausgeweitet – darunter Golfplätze, Hühnerfarmen, was Industrie und Verbraucher erst recht gegeneinander aufbrachte. Wir haben die Ausweitung nicht gefordert. Wir konnten mit der alten Regelung ganz gut leben. Über Sonderfälle muss man reden. Es ist überfällig, Ungerechtigkeiten an der Schwelle zur Ausgleichs­regelung durch gleitende Übergänge zu begradigen. Ein Beispiel:

„Ich erwarte auch von den so genannten Wutbürgern eine gewisse Empathie für die Belange der Arbeitnehmer. Nachhaltigkeit hat auch eine soziale Dimension.“

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Wenn die Ressourceneffizienz zu sinkendem Stromverbrauch führt, das Unternehmen aber genau deswegen in die volle EEG­Umlage rutscht, so ist das widersinnig. Insgesamt geht es darum, Energie­ und Industriepolitik aus einem Guss zu machen.

Was braucht die Industrie? Die energieintensive Industrie kann sich nicht noch an den Lasten der EEG­Umlage beteiligen. Ganz generell: Man sollte nicht die Energie, mithin den Rohstoffeinsatz, besteuern. Besteuern soll man den Unternehmenserfolg – dann wenn die Firmen Speicher entwi­ckelt haben und Windräder verkaufen. Ein ‚New Deal’ aus meiner Sicht wäre: Die Welt der Erneuerbaren stärker steuerfinanziert zu fördern. Und in einem Pakt für Innovation die Industrie zu pushen – im Sinne einer Industriepolitik, die diesen Namen auch verdient. Und wenn dann die Unternehmen erfolgreich sind, vielleicht auch durch Steuergelder erfolgreich, dann müssen sie auch kräftig Steuern zahlen – und zwar in Deutschland.

Der Strompreis an der Börse ist gefallen, und trotzdem sprechen die Unternehmen von Verlagerung und drohender Schließung. Das versteht der Bürger auch nicht wirklich. Global hat sich die Energiesituation fundamental geändert, das zählt für die Industrie. Während in Deutschland die Zielvorgabe, mit Energiepreisen Effizienz zu erzwingen, an seine Grenzen kommt, gehen die Amerikaner einen ganz anderen Weg. Sie senken drastisch die Energiepreise. Damit hat man so nicht gerechnet in all den Sze­narien. Die Unternehmen unserer Branchen nehmen das sehr genau wahr und fragen sich bei ihren Investitionsentscheidungen: Wo wird Energie auf Dauer günstig sein? Und wie es in Deutschland weiter geht, weiß man nicht so richtig.

Fürchtet die IG BCE, dass sich mit steigenden Rohstoffkosten der Druck auf die Arbeitskosten erhöht?Das passiert schon, wir haben in jeder Tarifrunde das Thema auf dem Tisch. Allerdings ist ganz klar: Mit den Mitteln der Tarifpolitik sind die Energiefragen nicht zu klären. Der Punkt ist: Wollen wir die Wertschöpfungskette, die in einem Windrad steckt, zu 80 Prozent im Land haben oder wollen wir nur noch die Windradmonteure hier haben. Man darf die Komplexität unserer Volkswirtschaft nicht unterschätzen, das ist ein fein ziseliertes Räderwerk, da kann man nicht einfach ein paar Zacken rausbrechen. Dazu kommt, dass wir uns jetzt in einer vergleichweise robusten konjunkturellen Phase befinden. Was aber passiert mit der Energiewende, wenn die nächs­te wirtschaftliche Delle kommt? Jedenfalls sollten wir uns schnells­tens daran machen, die irrationalen Widersprüche abzuarbeiten und aufzulösen. ■

zur PerSon

MiChael vaSSiliadiS, 49, haben die 99,2 Prozent bei sei-ner Wiederwahl auf dem IG-BCE-Kongress Mitte Oktober überrascht. Wo er doch seiner IG BCE einige Veränderungen zugemutet habe. Sein Fazit: „Es geht, man muss es nur gut machen“. Der Sohn griechischer Einwanderer, Chemielabo-rant und Gitarrespieler, kann Leute mitnehmen und Hoff-nungen auf sich ziehen; die seiner 665 000 Mitglieder darf der Chef der Industriegewerkschaft Chemie, Bergbau, Ener-gie jetzt nicht enttäuschen. Zumal er gewisse Alleinstel-lungsmerkmale hat gegenüber den anderen Gewerkschaf-ten, die in der Energiewirtschaft unterwegs sind: Nach Fu-kushima wurde Vassiliadis als einziger Gewerkschafter in die Ethikkommission berufen, die den Atomkraftausstieg für machbar erklärte. Er ist Mitglied im Rat für Nachhaltigkeit und hat zusammen mit namhaften Firmen das Innovations-forum Energiewende (If.E) gegründet. „Eines will ich nicht“, sagt Vassiliadis am Anfang des einstündigen Gesprächs:

„Dass ein Bild von uns gezeichnet wird als die Bremser, die mit der sterbenden Kohle, und den anderen winkt die Zu-kunft.“ Das stimme so auch nicht: Der Solarbereich sei bei der IG BCE, dafür stehen Firmen wie Wacker und Schott Solar teilweise auch der Gasbereich mit der BASF-Tochter Wintershall und E.On Ruhrgas. Und wenn man schon von Alttechnologien sprechen wolle, in Kernkraftwerken habe die IG BCE kein einziges Mitglied – wohl aber in der Uran-anreicherung, Brennelementefertigung und Entsorgung –

„und in Gorleben, weil das ist Bergbau“.

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Das Licht geht aus im „Solar Valley“induStriePolitiK Keine Industrie ist so schnell gewachsen wie die Produktion von Photovoltaik modulen – und keine ist so schnell wieder zusammengebrochen. Was ist hier industriepolitisch schiefgelaufen? Ein Besuch in Thüringen.

Von JÖrn Boewe und JohanneS SChulten, Journalisten in Berlin, deren Recherchen von der Otto-Brenner-Stiftung gefördert wurden.

Wer wissen will, wie dicht Aufstieg und Fall der deut­schen Solarindustrie beieinanderliegen, sollte ins thüringische Arnstadt fahren. Hinter dem Fußball­stadion des SV Rudisleben, dessen morbider

Charme nicht recht zu seinem martialischen Namen „Manfred­von­Brauchitsch­Kampfbahn“ passen will, biegt man am Lützer Feld in ein Gewerbegebiet ein, fährt bis zur Robert­Bosch­Straße und hält auf dem Parkplatz des mit Abstand größten Fabrikgebäudes, einer

fast 300 Meter langen, silbergrauen Halle. Hier verwandelt die Bosch Solar Energy AG (Bosch SE) Siliziumblöcke in Photozellen und So­larmodule. Das Sinnbild für die Gigantomanie der deutschen Solar­industrie ist aber nicht die erst im Sommer 2011 fertiggestellte Fa­brik. Es ist die eingezäunte Brachfläche daneben. Hier, so heißt es, wollte Bosch noch vor nicht viel mehr als einem Jahr ein zweites Werk gleichen Ausmaßes hinstellen, die Fabrik „spiegeln“, wie sie das im Firmenjargon nannten.

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Klaus, der eigentlich anders heißt und lieber anonym bleiben will, winkt ab: „Heute arbeitet die Fabrik nur noch mit halber Kraft“, sagt der Mechaniker und ehemalige Anlagenführer bei Bosch Solar Energy. Trotzdem redet das Management von „Vollauslastung“. Bosch SE ist ein Unternehmen auf Abruf. Der Mutterkonzern in Gerlingen/Stuttgart hat im März beschlossen, komplett aus der So­larbranche auszusteigen. Ein paar Hundert Beschäftigte mussten gehen, wie viele weiß keiner so genau. Bosch betont, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben habe. „Das ging ganz ge­räuschlos“, sagt Klaus, „die hatten fast alle befristete Verträge.“

2008 war Bosch ins Solargeschäft eingestiegen. Für 546,4 Mil­lionen Euro kaufte der Automobilzulieferer die Ersol Solar Energy AG vom Finanzinvestor Ventizz. 2011 folgte der Prenzlauer Mo­dulhersteller Aleo Solar. In gerade einmal vier Jahren mauserte sich Bosch zu einem der größten Solarkonzerne Deutschlands. „Das Besondere war, dass Bosch die gesamte Wertschöpfungskette von der Waferproduktion über die Zellen bis zu den Modulen abgedeckt hat. Das war einzigartig“, sagt der Branchenexperte Ulrich Bochum, der für die Otto Brenner Stiftung der IG Metall die Solarindustrie untersucht hat. Angesichts der gewaltigen Investitionen kann er den Ausstieg „nur schwer nachvollziehen“.

ahnunGSloSe wirtSChaFtSPolitiKer_ Keine zweite Industrie ist in den letzten Jahrzehnten so schnell gewachsen wie die Produk­tion von Solarmodulen – und keine ist so schnell wieder zusammen­gebrochen. Was man vor drei Jahren noch eine Zukunftsbranche nannte und demnächst vielleicht die ehemalige deutsche Solarindus­

trie nennen wird, hat innerhalb von anderthalb Jahrzehnten eine Entwicklung durchgemacht, die einer Achterbahnfahrt gleich­kommt. Mitte der 90er wurden aus Garagenunternehmen enthusi­astischer Erfinder kleine Mittelständler, die um die Jahrtausendwen­de an den Risikokapitalmarkt drängten, fünf Jahre später als Börsenstars gefeiert wurden und ab 2011 reihenweise in die Insol­venz schlitterten. Solar Millenium, Q­Cells, Centrotherm, um nur ein paar der größten zu nennen. Zuletzt, im Juli 2013, Conergy mit 1200 Mitarbeitern – ein paar am Firmensitz in Hamburg, die meis­ten in Frankfurt (Oder) an der polnischen Grenze. Rund 30 000 Arbeitsplätze gingen innerhalb eines Jahres verloren, sagt der Bun­desverband Solarwirtschaft. Privates Kapital wurde in zweistelliger Milliardenhöhe vernichtet, Finanzmarktexperten sind sich nur un­schlüssig, ob es eher um 30 oder 50 Milliarden Euro geht.

Wirtschaftspolitiker wurden vom Ausbruch der Krise völlig über­rascht. „Im Oktober 2011 haben wir eine Studie in die Hand be­kommen, in der der dramatische Verfall der Modulpreise auf dem Weltmarkt analysiert wurde“, erinnert sich Bernd Messerschmidt von der IG Metall. Messerschmidt war 2010 als „Projektsekretär Solar“ nach Erfurt gekommen, um die vielversprechende Branche gewerkschaftlich zu organisieren. Die Gewerkschafter rechneten damals mit dem Entstehen Tausender Arbeitsplätze. „Als wir die Prognosen zum Preisverfall lasen, haben wir sofort den Wirtschafts­minister alarmiert.“ Auch Matthias Machnig, SPD, soll überrascht gewesen sein – nicht nur von den dramatischen Prognosen: „Vor allem hat er sich gewundert, dass sich bei ihm noch kein einziger Solarunternehmer gemeldet hatte“, sagt Messerschmidt. In den

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Jahren der Goldgräberstimmung hatten sie sich bei den Landesre­gierungen die Klinke in die Hand gedrückt, denn es gab etwas zu holen: 142 Millionen in Brandenburg, 120 Millionen in Sachsen­Anhalt und 143 Millionen Euro in Thüringen flossen aus den För­dertöpfen der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regio­nalen Wirtschaftsstruktur“ in die Windkraft­ und Solarindustrie. Der Löwenanteil entfiel auf Letztere. Bei einigen Ansiedlungen legte die öffentliche Hand ein Drittel der Investitionssumme oben­drauf. Dazu kamen in allen Ländern jeweils zweistellige Millionen­beträge zur Förderung von Forschung und Entwicklung.

Nach anderthalb Jahrzehnten Rückbau der größtenteils maroden DDR­Industrie hofften im kaputten Osten alle auf eine neue Gründer zeit: Wissensbasiert, hochtechnologisch, ökologisch nach­haltig – so klang das Lied, das die Zukunftsbranche von sich selber sang und in das Politiker aller Parteien dankbar einstimmten. Er­neuerbare Energien hatten einen höheren Sympathiefaktor als Hähn­chenmastanlagen, und nach diversen Pleiten fahrender Glücksritter mit windigen Großprojekten von Lausitzring bis Cargolifter sah es endlich mal so aus, als käme etwas Solides. Conergy, First Solar und Aleo Solar siedelten in Ostbrandenburg an, Schott, Sunways und Ersol gingen nach Thüringen. Sachsen­Anhalt sah sich gar schon als ostdeutsches Kalifornien und nannte einen Industriepark an der A9

bei Bitterfeld­Wolfen „Solar Valley“. Aber nicht nur mit Investiti­onszuschüssen griff die öffentliche Hand den Unternehmen unter die Arme. „Personalkosten in Ostbrandenburg liegen durchschnitt­lich ein Drittel niedriger als in den alten Bundesländern“, warb ein vom Land finanziertes „Investor Center“. „Dank flexibler Tarifmo­delle, einem moderaten Lohnniveau (25,6 Prozent unter deutschem Durchschnitt) und hoher Arbeitsproduktivität ist Sachsen aus Kos­tengesichtspunkten in jedem Fall erste Wahl“, heißt es auf der In­ternetseite der Wirtschaftsfördergesellschaft „Silicon Saxony“.

Zeitlich fällt der Solarboom mit der Deregulierung des Arbeits­marktes durch die Hartz­Reformen zusammen. Zufall, meint Peter Hettlich, einer der sechs Grünen­Bundestagsabgeordneten, die 2003 gegen die „Agenda 2010“ stimmten. Die Hartz­Kommission habe „sich ganz sicher keine Gedanken über die Solarindustrie gemacht“. Allerdings hätten die Unternehmer der Branche, „pfiffig und clever wie sie sind, sofort gemerkt, was da für sie an Möglichkeiten drinsteckte“: Die Leiharbeit, die neuen Zumutbarkeitsregeln – „all das hat denen in die Hände gespielt.“ Und so warb man nicht nur mit niedrigen Löhnen, man bemühte sich auch, sie aktiv zu verbil­ligen. Was das Investor Center Ostbrandenburg als „vielfältige Mög­lichkeiten der Förderung von Lohnkosten und Schulungsmaßnah­men“ anpries, beschreibt ein Betriebsrat der Bosch­Tochter Aleo

Das „Solar Valley“ ist Hochsubventionsgebiet und Niedriglohnzone. Die Deutschen setz­ten auf Billigarbeit, während die Chinesen vollautomatisierte Solarfabriken hochzogen.

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Solar in Prenzlau so: „Über die Agentur für Arbeit wurden erst mal Praktikanten eingestellt. Jeder, der in der Uckermark bei drei nicht auf dem Baum war, ist irgendwann mal bei uns gewesen. Erst als die Arbeitsagentur keine Leute mehr hatte, sind die an die Personal­dienstleister rangegangen.“ So auch in Thüringen: Neun Monate lang wurden die künftigen Anlagenführer – „Operators“, wie man sie im Branchenjargon nennt – bei einem öffentlich finanzierten Träger ausgebildet. „Davon waren vier Monate Praktikum, in der Zeit wurde schon in drei Schichten gearbeitet, auch an Feiertagen und Wochenenden“, sagt der Bosch­Mechaniker Klaus, „und alles komplett bezahlt mit Arbeitslosengeld.“

arBeitSzeitGeSetze auSSer KraFt_ Aber nicht nur billig, auch flexibel sollte die Arbeitskraft sein. Wenn schon „Solar Valley“, dann auch mit US­amerikanischen Arbeitsbedingungen. First Solar brach­te den Zwölf­Stunden­Tag im Zweischicht­System aus Ohio nach Ostdeutschland, und die anderen zogen nach. Das deutsche Arbeits­zeitgesetz wurde kurzerhand außer Kraft gesetzt – Aufsichtsbehör­den erteilten bereitwillig Sondererlaubnisse, allein in Brandenburg wurden von 2006 bis 2010 sechs Genehmigungen für Zwölf­Stun­den­Schichten im Regelbetrieb erteilt. Nicht ein Antrag aus der So­larbranche wurde abgelehnt. Begründung des Landesamtes für Arbeitsschutz: „Aus technologischen Gründen“ sei „ein kontinuier­licher Produktionsprozess erforderlich“. „Technisch ist das nicht nachvollziehbar“, sagt Joachim Kletzin von der Berliner Beraterge­nossenschaft „Gruppe 7“. Kletzin, der in der Gewerkschaftsbildung der IG Metall tätig war, begleitet seit Jahren Betriebsräte, darunter auch zahlreiche von Solarfirmen. Die Entscheider in den Aufsichts­

behörden würden sich die Betriebe in der Regel nicht von innen anschauen. „Wenn dann ein Unternehmer kommt und sagt: ‚Unse­re Fabrik ist 120 Millionen Euro wert, und wir stehen in globaler Konkurrenz, deshalb brauchen wir die Zwölf­Stunden­Kontischicht‘, dann wird nicht mehr kontrolliert, sondern nur noch ein unbefris­teter Bescheid erteilt.“ Das „Solar Valley Ostdeutschland“ ist aber nicht nur Niedriglohnzone und Hochsubventionsgebiet. Es kombi­niert zugleich „Hightechindustrie und Manufakturarbeit“, betont Kletzin. Während die Chinesen in den letzten Jahren vollautoma­tisierte Solarfabriken hochzogen, habe die deutsche Photovoltaik­branche auf Billigarbeit gesetzt: „Die Geschäftsleitungen wollten Parias“, sagt Kletzin. „Knöpfchendrücker“, nennt es der ehemalige Operator Klaus. „Man steht tagein, tagaus an der Anlage, bestückt sie mit Material, guckt, ob alles läuft, und nimmt wieder raus, was hinten rauskommt. Wenn die rote Lampe leuchtet, sagen sie dem Prozess assistenten Bescheid – das war’s.“

Und was wird jetzt mit Thüringen? „Für die Region ist der Weg­gang von Bosch eine Katastrophe“, sagt Wolfgang Lemb, Erster Bevollmächtigter der IG Metall für Erfurt und SPD­Landtagsabge­ordneter. „Es sind aber nicht nur die 3000 Arbeitsplätze, die inklu­sive Zulieferern verloren gehen könnten.“ Dass ein Weltkonzern wie Bosch hier produzierte, „hatte einen enormen Effekt für weite­re Ansiedlungen“. Bis zuletzt hat die IG Metall versucht, Bosch von seiner Entscheidung abzubringen: Es gab zwei große Demonstrati­onen, eine Onlinepetition, verschiedene Aktionen. Gebracht hat es nichts. „Jetzt geht es darum, mögliche Nachfolgeinvestoren zu fin­den. Wenn das nicht gelingt, kann eine komplette Zukunftsindust­rie verloren gehen“, sagt Lemb. Als möglicher Kandidat ist das Branchenschwergewicht SolarWorld im Gespräch, das aber selbst tief in den roten Zahlen steckt. Dafür gibt es jetzt neue Jobs im Dienstleistungssektor. Zalando, Norma, DHL und Red Coon haben Logistikzentren und Lager entlang der A4 Richtung Weimar hinge­stellt. Wieder gibt es Investitionszulagen und Bildungsgutscheine. Die Logistikbranche könnte den Wegfall der Industriearbeitsplätze vielleicht kompensieren, meint Klaus, doch die Löhne seien deutlich niedriger. „Dann sind wir wieder da, wo wir vor fünf Jahren waren.“

Schichtwechsel. Der halbvolle Parkplatz an der Arnstädter Ro­bert­Bosch­Straße füllt sich mit Menschen. Leute strömen durch die Drehkreuze, Zigaretten werden angezündet und gierig inhaliert. Das Auf und Ab, diese Achterbahnfahrt, geht den Leuten an die Nieren. „2008 habe ich als naiver Mitarbeiter von Ersol gedacht: Das ist die Zukunftsbranche, da kann ich bis zur Rente bleiben“, sagt Klaus. „Als dann Bosch einstieg, war das wie ein Sechser im Lotto. Und jetzt ist genau das Gegenteil passiert.“ ■

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„Die große Zeit liegt noch vor uns“interview Eicke R. Weber, Leiter des Fraunhofer­Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, über die richtige Industrie­politik für eine Zukunftstechnologie

Das Gespräch führten JÖrn Boewe und JohanneS SChulten.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz fördert indirekt den Verkauf von Solaranlagen, egal wo sie produziert wur-den. Haben also die deutschen Stromkunden über ihre

EEG-Umlage die chinesischen Billiganbieter subventioniert und dazu beigetragen, dass bei uns Industriearbeitsplätze vernichtet wurden?Das sehe ich anders. Erst durch das EEG wurde in Deutschland ein Markt für Photovoltaik (PV) geschaffen mit der Folge, dass heute unsere PV­Technologien weltweit führend sind. Für den Aufbau einer Photovoltaik­Industrie erhielten die ostdeutschen Bundeslän­der Geld aus der EU­Regionalförderung, während man in China die Regionen in einen Wettbewerb brachte, was dort zu einer giganti­schen Überkapazität führte. Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Der größte Teil der in Asien errichteten Produktionsanlagen wurde in Deutschland geordert. Es waren Firmen wie Centrotherm, Roth und Rau, RENA oder M&B, die Aufträge in einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro für China erledigt haben. Für die deutschen Anlagenbauer war das ein Riesengeschäft. Und die produzierten Module wurden dann vor allem nach Deutschland exportiert.

Von einem chinesischen Dumping, von dem in Deutschland oft die Rede ist, wollen Sie also nicht sprechen? Ich meine nein. Das Dumping bestand höchstens darin, dass die Chinesen Industriepolitik betrieben haben, indem sie preisgünstige Kredite für den Fabrikbau zur Verfügung stellten, was allerdings hier in kleinerem Maßstab auch in Ostdeutschland gemacht wurde.

Seither sind viele deutsche Modulbauer in die Insolvenz gegangen, kaum jemand arbeitet kostendeckend. Ist unsere heimische Solar-industrie noch zu retten? Das Problem ist, dass ein Großteil der deutschen Hersteller nicht in der Lage ist, zu den jetzigen, niedrigen Modulpreisen zu produzieren. Das ist auf Dauer kein Geschäftsmodell. Jetzt ist die große Frage: Bleiben wir am Ball und entwickeln für den Weltmarkt eine neue Generation von Solarproduktionsanlagen – hochautomatisiert, neu­este Technologie, hocheffizient, im Gigawattmaßstab? Wenn wir unsere Karten richtig spielen, haben wir eine reelle Chance, für diese zweite Generation von Photovoltaik­Produktionstechnologie die Anlagen zu liefern. Wir dürfen nicht den Fehler machen, den

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wir in der Mikroelektronik begangen haben: Wesentliche Erfindun-gen kamen aus Europa. Am Schluss ging die Produktion jedoch in Richtung USA und dann später nach Japan, Korea und Taiwan. Um das zu verhindern, brauchen wir eine systematische Industriepolitik.

Eine systematische Industriepolitik für das Geschäftsfeld der er-neuerbaren Energien ist aber derzeit nicht zu erkennen. Wir sind ganz am Anfang, etwa wie die Autoindustrie im Jahre 1910. Die große Zeit liegt noch vor uns. Die Photovoltaik beginnt, sich weltweit als preiswerteste Art der Stromerzeugung durchzusetzen, der Strombe-darf wird enorm steigen, und wir haben beim Solar-strom – das zeigen unsere Berechnungen – ein riesiges Wachstumspotenzial. Der Solarmarkt ist also ein em-bryonaler Markt im Gegensatz zu dem, was wir in ei-nigen Jahren haben werden. Wir haben zwar mit dem EEG Anschub-kosten übernommen und unsere Stromrechnung erhöht. Aber jetzt, wo es spannend wird, will jetzt die Politik etwa aussteigen?

Was sollte sie tun? Wir brauchen europäische Instrumente, um den Unternehmen zins-günstige Kredite zu garantieren. Die Solarindustrie braucht Geld, um durch das Tal der Tränen zu kommen. Aber das Kapital ist seit der Lehman-Pleite risikoscheu geworden Hier muss die Politik eingreifen. Das kann über Kreditversicherungen geschehen. Die Frage ist doch: Welchen Branchen billigen wir das zu und welchen nicht? Der neue Airbus wäre ohne eine milliardenschwere Kreditausfallversicherung auch nicht gebaut worden.

Glauben Sie, dass die höheren Arbeits- und Sozialstandards in der Europäischen Union ein Standortnachteil sind?Nein, überhaupt nicht. In der heutigen Photovoltaik-Produktion machen Lohnkosten nur noch fünf Prozent der Gesamtkosten aus. Selbst wenn die Beschäftigten in China zum Nulltarif arbeiten wür-den, ergäbe sich nur ein geringer Vorteil, der direkt wieder durch die Transportkosten kompensiert würde. Der große Standortvorteil in Asien ist die Verfügbarkeit von Investmentkapital. Und diesen haben die PV-Werke in Malaysia, in Indonesien oder in China, also überall dort, wo die Regierung sagt: Wir wollen diese Arbeitsplätze, wir wollen diese Industrie aus strategischen Gründen.

Viele Sorgen macht die Kostenexplosion beim Strom, sie wird dem EEG und dem angeblich unkontrollierten Ausbau der erneuerbaren Energien zugeschrieben. Sind Wind- und Solarenergie unsozial?Der große Irrtum, der in die Welt gesetzt wurde, ist, dass der Strom-preis bei weiterem Zubau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen weiter steigen wird. Das ist absolut falsch. Von der EEG-Umlage, die im nächsten Jahr bei 6,24 Cent liegen wird, sind nur 0,18 Cent für den Zubau von weiteren PV- und Windanlagen gedacht. Der Rest ist darauf zurückzuführen, dass immer mehr Unternehmen von

der Umlage befreit wurden und dass der Strompreis an der Strom-börse EEX in Leipzig so stark gesunken ist.

Dadurch ist auch das EEG-Umlagekonto ins Minus gerutscht. An-fang des Jahres war es um zweieinhalb Milliarden Euro überzogen. Das muss durch den Stromverbraucher ausgeglichen werden.Wir sollten nach vorne schauen, statt zu lamentieren. Die Einspei-

severgütung ist jetzt gesenkt worden, für Solarenergie liegt sie bei zehn Cent pro Kilowattstunde für große Anlagen. Bei einem Haus-haltsstrompreis von 25 Cent pro Kilowattstunde wird damit der Eigenverbrauch sehr viel interessanter. Die Energiewende wird uns nicht mehr viel zusätzliches Geld kosten. Sie wird dazu führen, dass wir die Energieversorgung Deutschlands in den nächsten zehn bis 20 Jahren auf regenerative Energien umstellen können, anstatt die Rohstoffe teuer einzukaufen.

Die Industrie ächzt über die Strompreise, weil in den USA oder Frankreich der Strom viel billiger ist. Wenn wir wirklich Geld bei der EEG-Umlage einsparen wollen, sollten wir den Kreis der ausgenommenen Firmen wieder schärfer auf die energieintensiven Firmen konzentrieren, die im internatio-nalen Wettbewerb stehen und daher große Probleme mit steigenden Energiepreisen haben. Aber auch für diese Firmen sollten wir eine Umlage von einem Cent pro Kilowattstunde erheben, das entspricht dem Betrag, um den die Industriestrompreise besonders durch die verstärkte Einspeisung von Sonnen- und Windstrom gefallen sind. Es ist nicht einzusehen, dass die energieintensive Industrie von der Energiewende erheblich profitieren soll, und alle anderen Verbrau-cher müssen dafür eine höhere Rechnung zahlen.

Die deutsche Energiewende setzt auf Kohle als Brückentechnologie. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Das Unangenehme ist, dass die Stromversorger aus den Kohlekraft-werken noch unheimlich gute Gewinne ziehen können. Das sind Gelddruckmaschinen. Die Anlagen sind größtenteils abgeschrieben, und weil der Ausstoß von CO² praktisch nichts kostet, ist die Koh-leverstromung sehr preiswert. Den Entschluss des schwedischen Vattenfall-Konzerns, aus der Kohle auszusteigen, finde ich sehr er-freulich. Aber das ist die Entscheidung eines einzelnen Unterneh-mens. Wir sollten versuchen, eine gesamtgesellschaftliche Umstel-lung in Gang zu bringen. Und das funktioniert nur, wenn die Emission von klimaschädlichem CO² teurer wird. ■

„Die Solarindustrie braucht Kredite und Bürgschaften, um durch das Tal der Tränen zu kommen.“

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Schuften rund um die UhrarBeitSSChutz Nachtarbeit bedeutet für die Beschäftigten Stress, bringtaber oft auch üppige Zulagen. Gesundheitsschonende Schichtpläne sind dahernicht zwingend gern gesehen. Betriebsräte müssen deshalb die Kollegenaktiv einbeziehen.

Von ulla wittiG-Goetz, Journalistin in Frankfurt am Main

Wenn Betriebsräte Schichtpläne verbessern wollen, stoßen sie häufig nicht nur auf den Widerstand der Arbeitgeber, son­dern auch auf den der Beschäftigten. Denn die müssen von Eingriffen in ihre gewohnten Schichtpläne erst überzeugt

und für eine gesündere Gestaltung gewonnen werden. Diese Erfahrung mach­te auch der Betriebsrat der Badischen Stahlwerke in Kehl. Der Betriebsrat hatte sich intensiv mit den Gesundheitsgefahren der Nachtarbeit auseinander­gesetzt und die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zur ergo­nomischen Gestaltung von Schichtarbeit in die Praxis übersetzt. „Danach waren unsere Schichtpläne extrem belastend und nicht mehr zeitgemäß“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende Frank Zehe. „Wir entwickelten Vorschlä­ge für verbesserte Schichtpläne und stützten uns dabei auf das Arbeitsschutz­gesetz, das Arbeitszeitgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifver­träge.“ Genutzt hat das aber wenig. Nicht nur etliche Vorgesetzte, sondern auch viele Beschäftigte liefen dagegen Sturm, wie der Betriebsratsvorsitzende berichtet: „Die Reaktionen waren heftig und reichten von Drohungen, etwa mit einem Amtsenthebungsverfahren, bis hin zu zerstochenen Reifen und brennenden Briefkästen.“

widerStand der BeleGSChaFt_ Zehes Erfahrungen sind kein Einzelfall. Schichtplangestaltung birgt oft erheblichen Konfliktstoff, und die Emotionen kochen dabei nicht selten hoch. Da gibt es die finanziellen Aspekte: Wer die Schichtarbeit verringert, schützt zwar die Gesundheit, verringert aber auch das Geld auf dem Konto der Beschäftigten. Wenn sich Arbeitnehmer gegen

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land): Wer nachts gegen die innere Uhr arbeitet, muss sich davon auch an-gemessen erholen.

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neue Schichtpläne zur Wehr setzen, spielen aber oft auch psychologische Ursachen wie die Angst vor Neuem eine Rolle. Zudem berührt die Schicht das Familienleben. „Die Kollegen haben ihr ganzes privates Leben an den Schicht­plänen ausgerichtet und sich diesen angepasst. Ganze Fa­milien leben danach, das gibt ihnen Sicherheit. Auf Verän­derungen reagieren sie deshalb erst mal ablehnend“, erläutert Zehe. Der Betriebsrat hat damals aufgrund der heftigen Reaktionen aus der Belegschaft das Umset­zungstempo erheblich gedrosselt und die Beschäftigten erst einmal intensiv über gute Schichtplangestaltung informiert.

Laut den aktuellen arbeitsmedizinischen Erkenntnissen sind vorwärts rotierende Schichtfolgen, also erst Früh­,

dann Spät­ und schließlich Nachtschicht, besser als die in umgekehrter Reihenfolge. Je länger jemand gegen seine innere Uhr nachts arbeitet, desto mehr Zeit benötigt der Organismus, um wieder ins Lot zu kommen. Deshalb sollte der Schichtplan nur zwei bis drei Nachtschichten hintereinander vorsehen. Ein schnell rotierendes System mit wenigen Tagen in der gleichen Schicht ist generell besser zu bewältigen als ein Wechsel im Wochenrhythmus. Die Schicht sollte nicht mehr als acht Stunden dauern und von der Arbeitsschwere abhängen. Als Grundregel gilt: kurze Schichten bei intensiver physischer oder psychischer

Belastung, längere bei weniger belastungsintensiven Arbeiten. Zudem braucht es natürlich ausreichend Zeit zum Erholen zwischen den Schichten. Ein später Beginn der Frühschicht, also nicht vor sechs Uhr, verhindert, dass Beschäftig­te mit langen Anfahrtszeiten mitten in der Nacht aufstehen müssen. Freizeit­blöcke am Wochenende sind besser als einzelne freie Tage.

Bei den Badischen Stahlwerken wurden auf Informationsveranstaltungen und Betriebsversammlungen intensiv die gesundheitlichen und sozialen Vortei­le des neuen Schichtmodells erörtert. „Die Kollegen müssen mitgenommen werden. Gegen ihren Willen läuft gar nichts“, sagt Zehe. Schließlich wurde das neue Schichtsystem probeweise umgesetzt. Es beinhaltete im ersten Zyklus zwei Tage Frühschicht, dann drei Tage Spätschicht und zwei Tage Nachtschicht. Im zweiten Zyklus folgten auf drei Tage Frühschicht zwei Tage Spät­ und zwei Tage Nachtschicht, im dritten Wechsel zwei Tage Frühschicht, zwei Tage Spätschicht

und drei Tage Nachtschicht. Alle Beschäftigten erhielten die Option, nach einer gewissen Probezeit zum früheren Plan zurückkehren zu können. Doch das wollte bislang keiner.

naChtarBeit niMMt zu_ Die gesundheitlich belastende Nacht­ und Schichtarbeit ist auf dem Vormarsch. Über fünf Millionen Beschäftigte arbeiten nachts, viele davon in Wechselschicht rund um die Uhr, und dies nicht nur in

Produktionsbetrieben, sondern zunehmend in der Dienstleistungsbranche ins­gesamt. Oft dominiert dabei das Drei­Schicht­System: Früh­, Spät­ und Nacht­schicht wechseln sich meist wöchentlich ab.

„Ein ideales Schichtsystem für alle gibt es nicht“, betont Arbeitszeitforscher Friedhelm Nachreiner. Man müsse nach Belastungen differenzieren, weil eben der Hitzearbeitsplatz in der Stahlindustrie nicht mit dem Montagearbeitsplatz in der Feinelektronikindustrie zu vergleichen sei. Ein optimales Schichtsystem, das für jeden passe, verbiete zudem die Individualität der Menschen, „denn ihre inneren Uhren ticken unterschiedlich“, sagt Chronobiologe Till Roenne­berg vom Institut für Medizinische Psychologie der Universität München. „Wenn zwischen zwei und sechs Uhr morgens nicht gearbeitet würde, gäbe

„Die Kollegen müssen einfach mit-genommen werden. Gegen ihren Willen läuft gar nichts.“

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es viele Probleme gar nicht“, gibt Roenneberg zu bedenken. Dann könnten die Spättypen bis zwei Uhr ihren Job machen und die Frühtypen ab sechs Uhr.Die besonderen Herausforderungen, vor denen Betriebsräte stehen, wenn sie sich um betriebliche Verbesserungen für Nacht­ und Schichtarbeiter kümmern, waren auch Thema bei einem Experten­Workshop der Arbeitsgemeinschaft „Engere Mitarbeiter der Arbeitsdirektoren Stahl“ mit Unterstützung der Hans­Böckler­Stiftung. Dort stimmte man darin überein, Schichtarbeit am besten zu reduzieren. Wenn das nicht möglich ist, sollte der Schichtplan möglichst geringen Gesundheitsverschleiß verursachen, also ergonomisch gestaltet sein. Allerdings könnten den Beschäftigten über ihre Köpfe hinweg keine besseren Schichtpläne aufgezwungen werden. Einigkeit herrschte unter den Teilnehmern darüber, dem Tausch „ungesunde Arbeit gegen gutes Geld“ eine klare Absage zu erteilen. Diese Ansicht werde auch zunehmend von den Belegschaften geteilt. Betriebsrat Ralf Niemann von der ArcelorMittal Bremen GmbH unterstrich, dass jeder, der finanziell dazu in der Lage sei, gerne wieder von der Nacht­ in die Tagesschicht wechsle. Auch in diesem Unternehmen nehme der von den Beschäftigten gewählte Zeit­ statt Geldausgleich für Nachtarbeit zu und be­trage inzwischen 50 : 50. Andere Redner forderten, als Kompensation für das dann geringere Einkommen nicht nur über zusätzliche Rentenpunkte nach­zudenken.

Zur Ausdünnung von Nachtschichten, also wenn mehr Tätigkeiten in die Früh­ und Spätschicht verschoben werden, empfahl Werner Spreckelmeyer, Leiter des Bereichs Arbeitssysteme bei der Georgsmarienhütte GmbH, verstärkt das Know­how der Techniker und Meister zu nutzen. In der Eisen­ und Stahl­industrie könnte man aber höchstens zehn bis 15 Prozent der Beschäftigten da rausnehmen, „weil sich der Hochofen nicht um 17 Uhr abschalten lässt“.

Bei den Dortmunder Verkehrsbetrieben werden inzwischen Ältere aus der Nachtschicht genommen, entsprechend qualifiziert und im Servicebereich, beispielsweise im Infocenter, für neue Tätigkeiten eingesetzt. Dabei bleiben sie in ihrem gewohnten sozialen Umfeld. Betriebsrat Karl­Heinz Schmidt von der Vallourec & Mannesmann Deutschland GmbH betonte auf dem Workshop, wie wichtig dies gerade den älteren Kollegen sei, in ihrer angestammten sozi­alen Umgebung oder Gruppe weiterarbeiten zu können, sonst drohten neue

Belastungen. Wenn sich die Nachtschichten nicht verrin­gern lassen, kommt es darauf an, andere Belastungsfak­toren wie Lärm oder das Heben und Tragen schwerer Lasten zu reduzieren und die betriebliche Gesundheitsför­derung auszubauen.

BeSChäFtiGte BeFraGen_ Die Erfahrungen aus der Pra­xis zeigen aber auch: Ein neues Schichtmodell kann nicht einfach verordnet werden, sondern die Beschäftigten sind aktiv einzubeziehen und zu ermuntern, auch einmal Neues auszuprobieren. So berichtet Sonia Hornberger von ihrer überraschenden Erfahrung bei der Audi AG, wonach schnelle Schichtrotation im Zweitagesrhythmus von den betroffenen Frauen trotz ihrer familiären Pflichten gut gemeistert wurde, weil dieses Modell weniger die Gesund­heit angreife, wie eine Befragung ergeben habe. Die Be­lastungen würden durch den ständigen Wechsel als weni­ger hoch empfunden.

Den Beschäftigten mit der Rückkehroption zum alten Modell das letzte Wort zu geben hat letztlich auch den Konflikt um die Schichtpläne bei den Badischen Stahlwer­ken beendet. Beteiligung kann oft Wunder wirken. Das ist umso wichtiger, weil Schichtplangestaltung ein Dauer­thema ist. Sie ist langwierig, kann nur schrittweise erfolgen und muss immer wieder neu justiert werden. „Wir haben 874 Beschäftigte, davon rund 600 im Schichtdienst, und diese arbeiten inzwischen nach 137 unterschiedlichen Schichtmodellen“, sagt Betriebsrat Zehe. „Bei der Gestal­tung von Schichtarbeit dürfen wir nicht stehen bleiben, sondern müssen immer weitere Verbesserungen anstre­ben.“ In Kürze finden erneut Abteilungsversammlungen bei den Stahlwerken statt, auf denen die Kollegen abermals über Neuerungen abstimmen werden. ■

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zehe (v.l.): Ohne Nachtarbeit funktioniert es nicht.

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Unsoziales SozialunternehmentariFPolitiK Die Beschäftigten des Sozialvereins CeBeeF in Frankfurt haben den bundesweit ersten Arbeitskampf in der persönlichen Behindertenassistenz geführt. Der von ihnen erstrittene Tarifvertrag aber wird bis heute nicht angewandt.

Von JoaChiM F. tornau, Journalist in Kassel

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FranKFurt: Einzigartige Tarifauseinandersetzung

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Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.“ Den Satz, Papst Gregor dem Großen zugeschrie­ben und bekannt geworden durch den Kabarettisten

Georg Schramm, hat jemand auf einen gelben Zettel geschrieben und im Betriebsratsbüro des CeBeeF Frankfurt über die Eingangstür gehängt. Zwar haben es die Arbeitnehmervertreter beim „Club Be­hinderter und ihrer Freunde e. V.“ in der Mainmetropole nicht un­bedingt mit „dem Bösen“ zu tun, zornig aber sind sie. Denn seit mehr als einem Jahr müssen sie erleben, wie ein zäh erkämpfter Tarifvertrag behandelt wird, als sei er nur ein Stück Papier.

Am 1. Juli 2012 trat bei der Selbsthilfeorganisation, die rund 500 Menschen beschäftigt, ein Haustarif in Kraft – der deutschland­weit erste in diesem Bereich. Er orientierte sich am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Und: Er legte für die bislang unge­regelten Berufe der persönlichen Assistenz und der Schulbegleitung eine Eingruppierung auf Facharbeiterniveau fest. Bis dahin hatten die meisten CeBeeFler für einen Bruttostundenlohn von 9,31 Euro gearbeitet. Der Tarifvertrag brachte ihnen nun einen Lohnzuwachs von bis zu 50 Prozent. Oder richtiger: Er würde es ihnen bringen, wenn er denn umgesetzt würde. Doch bis heute zahlt der Verein le­diglich 81 Prozent des vereinbarten Tariflohns aus. Für mehr, recht­fertigt sich Geschäftsführerin Sabine Eickmann, reiche das Geld nicht. Aber auch wenn sie sich selbst mit dem „bundesweit einmaligen und wegweisenden“ Tarifabschluss brüstet: Einhalten wollte sie ihn von Anfang an nicht. „Noch während Frau Eickmann den Vertrag un­terschrieb, verkündete sie schon, dass er gestundet werden müsse“, sagt Betriebsratsvorsitzende Astrid Buchheim. „Seitdem wiederholt sie mantramäßig ihre Forderung nach einem Notlagentarifvertrag.“

Knackpunkt ist die Refinanzierung. Der CeBeeF wird für seine Betreuungsleistungen von der Stadt Frankfurt und den Pflegekassen bezahlt. Und eigentlich waren die Voraussetzungen bestens, als die Geschäftsführung mit dem neuen Tarifvertrag zur Stadt ging, um sich auf höhere Vergütungssätze zu einigen: Im Zuge der Tarifaus­einandersetzungen hatten die CeBeeF­Beschäftigten erreicht, dass das Frankfurter Stadtparlament eine Tariftreueerklärung für sozia­le Dienstleistungen verabschiedete. Auch das ein Novum in deut­schen Kommunen. Trotz des Beschlusses aber sollen die Leistungs­vereinbarungen zwischen Stadt und Verein nicht ausreichen, um den Tarifvertrag zu bedienen. So jedenfalls stellt es CeBeeF­Chefin Eick­mann dar. Das Sozialamt, sagt sie, habe „eine unterschiedliche Auf­fassung von der Eingruppierung der betroffenen Mitarbeiter“.

Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld (CDU) will sich den Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen – und konterte Anfang Juli gar mit der fristlosen Kündigung der neuen Vereinbarungen wegen Nichterfüllung des Tarifvertrags. „Die Beschäftigten“, sagt ihre Sprecherin Manuela Skotnik, „haben nicht bekommen, was der CeBeeF uns gegenüber veranschlagt hat.“ Zwar hat das Frankfurter Verwaltungsgericht die Kündigung einstweilig für unwirksam er­klärt, doch das letzte juristische Wort ist noch nicht gesprochen: Die Stadt hat die Gerichtsentscheidung angefochten. Im Rathaus ist man

überzeugt, ausreichend refinanziert zu haben. Einzig bei der Schul­begleitung – bei den Betreuern also, die behinderten Kindern und Jugendlichen den Besuch regulärer Schulen ermöglichen – habe es „überzogene Vorstellungen“ gegeben. „Da haben wir uns auf einen Mittelweg geeinigt“, sagt die Sprecherin. Was Skotnik berichtet, als sei es bloß ein unbedeutendes Detail, betrifft mehr als jeden dritten CeBeeF­Beschäftigten.

Stadt MuSS tariF aKzePtieren_ Dass sich die Geschäftsführung auf diese Abweichung eingelassen hat, kann Andreas Heymann, bei ver.di in Frankfurt für Gesundheit und soziale Dienste zuständig, nicht begreifen. „Der CeBeeF hat sich offenbar in Nachverhandlun­gen ziehen lassen“, sagt der Gewerkschaftssekretär. Dabei sei es allein Sache der Tarifparteien, die Entgelte auszuhandeln: „Wo kä­men wir denn hin, wenn die Stadt die Löhne diktieren könnte?“ Und über die konkrete Eingruppierung eines Beschäftigten hätten sich Betriebsrat und Arbeitgeber zu verständigen, niemand sonst. „Wenn die Stadt das nicht akzeptiert, muss der Arbeitgeber klagen“, verlangt Heymann. Verhandlungen über einen Notlagentarifvertrag, wie von Geschäftsführerin Eickmann immer wieder gefordert, kom­men für ver.di daher nicht infrage. „Das ist keine Notlage, das ist Politik“, sagt der Gewerkschafter.

Auch der Betriebsrat sieht nicht ein, warum die Belegschaft jetzt bluten soll. „Nicht der Tarifvertrag ist ursächlich für die jetzige Situation, sondern die fehlende politische Öffentlichkeitsarbeit des CeBeeF“, sagt Betriebsratsvorsitzende Buchheim. Statt öffentlich Druck auf die Stadt auszuüben, habe die Geschäftsführung rein defensiv reagiert – und gleichzeitig die Beschäftigten mit der Forde­rung nach Absenkung des Tarifvertrags unter Druck gesetzt. „Der größte Teil der Belegschaft lässt sich aber nicht mehr einschüchtern“, sagt Buchheim. Vier Kollegen haben bereits den Tariflohn eingeklagt. Knapp 60 weitere Klagen, die mit Unterstützung von ver.di einge­reicht wurden, sind anhängig.

Zweieinhalb Jahre haben die Beschäftigten für den Tarifvertrag gestritten. Sie organisierten den ersten Warnstreik, den es bei der Behindertenassistenz in Deutschland jemals gegeben hat – was in einem Betrieb, in dem die meisten Arbeitnehmer dezentral und ein­zeln arbeiten, nicht einfach ist. Und sie ließen sich von ihrem Ziel auch durch massive Drohgebärden nicht abbringen: Der Arbeitgeber mahnte Mitarbeiter ab, die sich besonders engagiert eingesetzt hatten. CeBeeFlern, die bei ihren Kunden um Unterstützung der Tarifforde­rungen werben wollten, wurden arbeits­ und strafrechtliche Konse­quenzen angekündigt – wegen „Verstoßes gegen die Schweigepflicht“. Und den Behinderten und ihren Angehörigen malte die Geschäfts­führung in düsteren Farben aus, was sie bei einem Streik zu befürch­ten hätten: Vielleicht müssten sie mangels Personals dann sogar mit einer Einweisung ins Krankenhaus rechnen. Gerade vor diesem Hin­tergrund will sich die CeBeeF­Belegschaft mit einer Teilanwendung des erstrittenen Tarifvertrags nicht zufriedengeben. „Die Stimmung ist überwiegend: Damit lassen wir uns nicht abspeisen“, sagt Be­triebsrätin Buchheim. „Dafür haben wir zu lange gekämpft.“ ■

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Stahl im ÜberflussiG-Metall-StahlKonFerenz Seit fünf Jahren verschieben die deutschen Stahlkocher ihre Hoffnung auf Besserung ins nächste Jahr. In der EU tobt der Wettbewerb, der Kostendruck auf Personal und Energie ist knallhart.

Von dirK SChäFer, Journalist in Dortmund

Sparen, sparen und noch einmal sparen – aus der Stahlbran­che ist derzeit kaum ein anderes Wort so oft zu hören. So auch bei der „Branchenkonferenz Stahl“ des IG­Metall­Zweigbüros in Dortmund. Seit 2008 die Finanzkrise den

Höhenrausch der Stahlkocher jäh beendete, hofft man auf Besserung. Aktuell etwas günstiger gewordene Rohstoffe und in einigen Seg­menten leicht gestiegene Stahlpreise sind nicht mehr als ein Hoff­nungsschimmer. „Eine durchgreifende Erholung ist derzeit nicht in Sicht“, sagt Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsverei­nigung Stahl.

Eine Zeit lang konnten die hiesigen Produzenten mit hochwer­tigen Produkten, hoher Produktivität und Flexibilität trotzen – mit treuen Abnehmern im eigenen Land, wie in Europa und Nordame­rika. Weil aber die Konjunktur in Deutschland kaum anzieht, in Südeuropa weiter arg schwächelt und in den USA ebenfalls nur leicht nach oben zeigt, gleichzeitig China und auch Russland immense Mengen billig produzierten Stahls in den Weltmarkt drücken, geht den deutschen Stahlkochern langsam die Puste aus.

Die Belegschaften geraten immer stärker unter Druck. Jüngst musste die zweitgrößte deutsche Stahlschmiede ihr Sparprogramm „Salzgitter 2015“ ausdehnen. Die Baustahl­Tochter Peiner Träger hatte die ohnehin angeschlagenen Niedersachsen tief ins Minus ge­rissen. Doch das Stilllegen des gesamten Peiner­ Standorts, an dem gerade ein zweiter Elektroofen fertig wurde, kam nicht infrage. Derzeit verhandeln die Sozialpartner, wie viele der insgesamt rund 25 000 Salzgitter­Beschäftigten das Unternehmen verlassen müssen. Die Rede ist von 1500.

Auch bei der europäischen Stahlsparte von ThyssenKrupp ist umfassendes Krisenmanagement angesagt: Die Aufträge brachen jüngst ebenfalls drastisch ein, noch aber schreibt Steel Europe knapp schwarze Zahlen. Indes plagen den Konzern hohe Verluste durch die

zum Verkauf stehenden Werke in Brasilien und den USA. Die Kosten sollen bis 2015 um zwei Milliarden Euro runter, somit stehen bei Steel Europe rund 2000 der 27 600 Arbeitsplätze zur Disposition. Ab Herbst nächsten Jahres sollen zudem 20 000 Stahlkocher befris­tet weniger arbeiten, im Gegenzug sind die Jobs bis 2020 gesichert, darauf einigten sich IG Metall und Unternehmen in einem neuen Haustarifvertrag. Insgesamt will ThyssenKrupp­Konzernchef Hein­rich Hiesinger das zyklische Stahlgeschäft zurückfahren, stattdessen setzt er stärker auf andere Sparten wie Aufzüge oder Anlagenbau.

ÜBerKaPazitäten_ Nicht nur hausgemachte Miseren, Eurokrise und billiger Stahl aus Asien oder Russland sorgen für Druck. In der europäischen Branche ist ein handfester Streit entbrannt um eigene Überkapazitäten, wobei in Europa zwischen 30 Millionen bis 80 Mil­lionen Tonnen abgebaut werden müssten. Wie viel auch immer: „Wir kommen nicht umhin, Überkapazitäten anzuerkennen und das Thema anzugehen“, sagt Karlheinz Blessing, Vorstandschef der Saarstahl AG und der Dillinger Hüttenwerke. Das allerdings nicht unbedingt in Deutschland. Denn die deutschen Hütten verlasse, so Blessing, unter dem Strich in etwa so viel Stahl, wie der Inlandsmarkt nachfrage.

In den Nachbarländern hat das sensible Thema die Politik zur Intervention veranlasst. Entsprechend hat ArcelorMittal Ende 2012 seine Stilllegungspläne für ein Werk in Lothringen aufgegeben. Und der drohenden Schließung des größten Stahlkomplexes in Europa, des maroden Ilva­Werks in Norditalien, kam im Frühjahr die italie­nische Regierung zuvor. Um die Arbeitsplätze zu retten, verstaat­lichte sie kurzerhand die gesamte Unternehmensgruppe. Nun will man das Werk mit öffentlichen Geldern sanieren. „Diese brutale Wettbewerbsverzerrung geht zulasten deutscher Stahlstandorte“, empört sich Saarstahl­Chef Blessing. Sollten diese Interventionen andauern, so Blessing, werde man auch an der Saar über Anpassun­

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gen reden müssen. Hierzulande haben sich IG­Metaller im Verbund mit der Politik ebenfalls gegen das Stilllegen von Hochöfen ausge­sprochen, so bei Peiner Träger. „Wir sind froh, dass Bundesländer wie Niedersachsen oder Stiftungen wie bei ThyssenKrupp Anteile halten bei jenen Firmen, die Taktgeber der Branche sind. Verstaat­lichung ist für uns jedoch kein Weg“, stellt Hannelore Elze klar, die

Leiterin des Zweigbüros des IG­Metall­Vorstandes in Düsseldorf. Die Hebel sind andere: „Gäbe es nicht die Montanmitbestimmung, den hohen Organisierungsgrad und die moderaten Länderbeteili­gungen, sähe es derzeit wohl schlimmer aus.“

Wie können die Stahlunternehmen den vielfachen Belastungen standhalten, diese Frage stand im Zentrum der Stahlkonferenz: „Wir haben eine innovative und gut vernetzte Industrie, die mit ihren hoch­wertigen Produkten am Markt bestehen kann. Jetzt müssen wir auf­passen, dass wir uns nicht kaputtsparen. Auf der anderen Seite müssen wir noch auf faire Rahmenbedingungen pochen für die industrielle Produktion in Deutschland, damit die rund 90 000 Menschen, denen der Stahl gute Arbeitsplätze bietet, nicht hintenüberfallen“, so Elze.

Mit „fairen Rahmenbedingungen“ gemeint sind in erster Linie die Energiekosten, denn die üben Druck aus auf Arbeitskosten und Arbeitsplätze. Mit hohen Investitionen haben die Firmen selbst ei­niges getan, um Energiekosten zu reduzieren und umweltfreundli­

cher zu produzieren. Derzeit aber, befindet Saarstahl­Chef Karlheinz Blessing, sorge das Durcheinander bei der Energiewende für Inves­titionszurückhaltung, und das nicht nur bei den Stahlherstellern selbst, sondern auch bei deren Auftraggebern, zum Beispiel in der Windbranche. Wie andere energieintensive Industrien ist die Stahl­branche weitgehend von bestimmten Abgaben für grünen Strom wie der EEG­Umlage befreit. Derzeit prüft die EU­Kommission in Brüs­sel, ob die Entlastung für die Energieintensiven als unerlaubte staat­liche Beihilfe einzustufen ist. Wenn Brüssel sein Veto einlegt, würde das für die Saarstahl AG einen zweistelligen Millionenbetrag bedeu­ten, warnt Karlheinz Blessing. „Die Ausnahmen müssen erhalten bleiben, sonst droht zahlreichen Stahlfirmen tatsächlich der Kol­laps“, mahnt auch Hannelore Elze an die Adresse der neuen Bun­desregierung. Seit Längerem fordert die IG Metall zudem, die Liste der begünstigten Unternehmen wieder auf den Kern wirklich ener­gieintensiver Unternehmen zurückzuführen, die Ex­Wirtschaftsmi­nister Rösler (FDP) ausgeweitet hatte.

Gute Arbeit darf dabei nicht unter die Räder kommen. Sich um Werkverträge oder alternsgerechte Arbeitsplätze zu kümmern, ist gerade für kleinere Unternehmen der Branche ein Kraftakt. Die Gro­ßen sind hier einmal mehr die Taktgeber. Bei der ThyssenKrupp AG haben Betriebsräte darauf gedrängt, dass man sich von externen Fir­men trennt, die mit Werkverträgen bestimmte Standards unterlaufen. Und bei der Salzgitter AG hat die Arbeitnehmerseite selbst unter den aktuellen Sparzwängen die Sozialbetriebe erhalten können, die rund 300 älteren sowie erkrankten Stahlwerkern leichteres Arbeiten oder den Wiedereinstieg ermöglichen. „Der Bedarf an solchen Arbeitsplät­zen wird größer“, blickt Hasan Cakir, GBR­Vorsitzender der Salzgit­ter AG, in die Zukunft. Der Altersdurchschnitt der deutschen Hüt­tenmannschaften liegt heute bei 46 Jahren. „Wir brauchen hier von Gewerkschaftsseite ein koordiniertes Vorgehen“, fordert Cakir. ■

„Diese brutale Wettbewerbs-verzerrung geht zulasten deut-scher Standorte.“

KARLhEINZ BLESSING, VORSTANDSchEf SAARSTAhL AG

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Der Ausgang der Bundestagswahlen hat gezeigt, dass das Ansehen von Kanzlerin Angela Merkel im eigenen Land so hoch ist wie noch nie. In Griechenland oder

auch in Italien hingegen wird sie gerne mal in eine SS-Uniform gezwängt oder mit Hitler-Bärtchen gezeigt. Warum tut sich zwi-schen dem Kanzlerinnen-Bild der Deutschen und dem ihrer euro-päischen Kritiker eine so breite Kluft auf?In der Eurokrise gehen die Interessen der Länder auseinander. Die­se divergierenden Interessen sind für die Zukunft Europas zum Pro­blem geworden. Anders als viele meiner Landsleute bin ich allerdings nicht der Meinung, dass die Hauptschuld bei den Deutschen liegt. Sondern sie liegt bei den Ländern, die keine Reformen durchgeführt haben. Als in Deutschland die Agenda 2010 ausgearbeitet wurde, hat Italien unter Berlusconi einfach das Geld der günstigen Euro­kredite verfrühstückt. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielen die Me­dien, die gerne mit harten Bildern kulturelle Klischees und Vorur­teile befeuern.

Erklärt der Reformstau, den Sie in den Ländern des Südens aus-machen, die wirtschaftlichen Unterschiede im Euroraum?

„Als Italiener darf ich das“interview Der italienische Philosoph und Deutschlandkenner Angelo Bolaffi erklärt, warum er in Europa eine deutsche Führungsrolle nicht nur für unvermeidlich, sondern auch für wünschenswert hält.

Das Gespräch führte MarGarete haSel in Rom.

Ohne die Reformen von Wirtschaft und Gesellschaft, die größtenteils das Verdienst der rot­grünen Regierung unter Gerhard Schröder sind, hätte das Modell Deutschland weder den großen Umbruch infolge des Falls der Berliner Mauer bewältigt noch hätte sich Deutschland vom kranken Mann Europas zur führenden Wirt­schaftsmacht des Kontinents entwickeln können. Das entfacht Neid und manchmal sogar Hass.

In dieser Situation fordern Sie eine „Hegemonie“ Deutschlands für Europa. Das klingt für deutsche Ohren überraschend, nach allem, was der deutsche Anspruch auf eine Führungsrolle im letzten Jahr-hundert in Europa angerichtet hat.Ich verwende den Begriff im Sinne von Antonio Gramsci. Er sagt, Hegemonie sei Stärke, gepanzert mit Zustimmung. Das heißt, eine Kraft, die in der Lage ist, etwas zu erzwingen, und deren Legitima­tion die Zustimmung jener ist, die an der Entscheidung beteiligt und von ihr betroffen sind. Es ist keine Hegemonie im Sinne der politi­schen Theorie des 19. Jahrhunderts, also von oben nach unten, sondern von oben nach unten im Sinne, dass die Betroffenen von der Entscheidung überzeugt werden und ihre Zustimmung geben.

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Das trifft im Falle der Austeritätspolitik, für die die deutsche Kanz-lerin steht, wohl kaum zu. Die Kritik an ihrer Kompromisslosigkeit wird immer lauter, nicht nur in Griechenland, sondern auch im EU-Gründungsland Frankreich.Mir geht es nicht vorrangig um die Zustimmung zur aktuellen deut­schen Politik, sondern ich werbe für das deutsche Modell der Mit­bestimmung und der Sozialpartnerschaft, das auf Konsens beruht, eine aktive und starke Rolle der Gewerkschaften vorsieht – und das erheblich zur wirtschaftlichen Stabilität Deutschlands beiträgt. In Europa gibt es zwei Modelle der industriellen Beziehungen. In Grie­chenland, Italien, Spanien, teilweise in Frankreich und ganz stark in England herrscht das konfliktorische Modell vor. In den deutsch­sprachigen Ländern hingegen besteht zwar auch der Interessenge­gensatz zwischen Kapital und Arbeit fort, aber man sucht im Rah­men der Sozialpartnerschaft als Ausdruck des Klassenkompromisses nach gemeinsamen Lösungen. Daraus resultiert das System der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmen. Dieses Mo­dell übrigens ist im Prinzip im Lissabon­Vertrag verankert. Dort hat sich Europa für die Soziale Marktwirtschaft entschieden. Das ist sozusagen europäisches Verfassungsrecht, da kann man anknüpfen.

Schon die Kriterien von Maastricht wurden ja in großem Maße von der Deutschen Bundesbank beeinflusst, nicht von der Banca d’Italia.

Was meinen Sie damit?Das italienische Modell war interessant, solange es bis in die 60er, 70er Jahre funktionierte. Es basierte auf einer schwachen Regierung und auf einer schwachen Währung. Mit der Einführung des Euro wurde dieses Modell außer Kraft gesetzt. Das deutsche Modell hin­gegen setzte von Anfang an auf eine solidere Regierung und eine solidere Währung und hat sich als erfolgreicher erwiesen. Dafür hat sich Europa entschieden. Die Italiener und Franzosen haben den Euro gewollt, weil sie Angst vor der D­Mark hatten. Die besten italienischen Europäer, wie der ehemalige Ministerpräsident Roma­no Prodi oder der gegenwärtige Staatspräsident Giorgio Napoleta­no, haben übrigens insgeheim immer gehofft, mit dem äußeren Zwang durch die Maastricht­Kriterien das italienische System zu reformieren. Die Hoffnung hat Silvio Berlusconi vereitelt.

Auch in Deutschland gibt es Erosionsprozesse: Arbeitgeber entzie-hen sich der Tarifbindung …

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POLITIK

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Auf dem italienischen Arbeitsmarkt haben die Beschäftigten in wich­tigen Sektoren als Insider nach wie vor ein Monopol, alle anderen bleiben draußen vor der Tür. In Deutschland ist das anders, da gibt es beispielsweise keine große Jugendarbeitslosigkeit. Und die Arbei­ter werden auch nicht einfach vor die Tür gesetzt, denn sie stellen für den Betrieb einen Wert dar. Umschulungsmaßnahmen, Zeitbe­schäftigung oder Jobsharing fangen sie auf.

Diese Wirklichkeit wird brüchig. Und gilt nur noch für ein abneh-mendes Segment der Beschäftigten, nicht aber für die wachsende Zahl von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern oder die prekär Beschäftigten.Ich werde in Italien oft auf deutsche Diskussionen über soziale Ge­rechtigkeit angesprochen. Ja, auch in Deutschland wächst die Sche­re zwischen Arm und Reich. Aber aufgrund der sozialen Sicherungs­systeme geschieht das sozialverträglicher als anderswo. Alle, inzwischen selbst die Kanzlerin, sagen: Wir brauchen einen Min­destlohn. Man sieht das Problem – und sucht eine Lösung.

Kann das deutsche System den Herausforderungen in der globali-sierten Wirtschaft trotzen?Es gibt in Deutschland einen breiten gesellschaftlichen Konsens für dieses System. Deshalb halte ich es für sehr widerstandsfähig. Ein

weiteres Argument für seine Widerstandskraft ist seine lange Ge­schichte, die durch den Nazismus unterbrochen wurde. Die Wei­marer Republik wird immer als großes Chaos dargestellt, aber in Wirklichkeit war es eine große und wichtige Erfahrung. Sozialde­mokratische Juristen wie Hugo Sinzheimer oder Ernst Fraen kel haben damals ein System ausgearbeitet, wie man die Arbeiter nicht nur politisch, sondern auch sozial einbinden kann. Damals wurde die erste Betriebsverfassung in Paragrafen gegossen und ist in Kraft getreten. Deshalb war die Bundesrepublik nach dem Zweiten Welt­krieg das einzige Land Europas, das auf Erfahrung mit einem so­zialen Rechtsstaat zurückgreifen konnte.

In ihrem jüngst erschienenen Buch „Warum Nationen scheitern“ behaupten die US-Wirtschaftswissenschaftler Daron Acemoglu und James A. Robinson, dass nationaler Reichtum auf stabilen, inklu-siven Institutionen beruhe. Erklärt diese These das europäische Entwicklungsgefälle? Ich halte diese Erklärung für sehr plausibel. Einer der Gründe für die italienische Krise ist, dass sich die wirtschaftlichen und politi­schen Eliten zusammenschließen und alle anderen ausschließen. Sie arbeiten nur, um ihre Privilegien und Pfründe zu behalten. So machen sie das Land kaputt. Italien ist ein sozial gelähmtes, aber gleichzei­tig politisch instabiles Land.

zur PerSon

anGelo BolaFFi, geboren 1946 in Rom, lehrt politische Philosophie an der römischen Universität La Sapienza. Er promovierte 1969. Seit den 70er Jahren, als er zu einem For-schungsaufenthalt an der Freien Universität nach Berlin zog, ist er einer der bekanntesten Deutschlandkenner Italiens. Er veröffentlichte zahlreiche Essays, unter anderem über Carl Schmitt, Ernst Cassirer und Hannah Arendt, und verschiedene Bücher, so 1993 „Il sogno tedesco“ („Der deutsche Traum“). Von 2007 bis 2011 leitete Bolaffi das italienische Kultur-institut in Berlin. Sein jüngstes Buch „Cuore tedesco. Il modello Germania, l’Italia e la crisi europea“ (Donzelli Editore 2013) erscheint im Februar 2014 unter dem Titel „Deutsches Herz“ bei Klett-Cotta auf Deutsch.

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Nach dem Risorgimento, der Einigungsbewegung im 19. Jahrhun­dert, und der Resistenza, der antifaschistischen Widerstandsbewe­gung, braucht Italien eine dritte Modernisierung. Das Regierungs­programm von Romano Prodi von 1996 war ein solcher Versuch. Er strebte eine Befreiung von strukturellen Verkrustungen an. Dazu gehören die Kultur, die Freiheit des Einzelnen und eine gewichtige Rolle der Gewerkschaften. Man stelle sich vor: Keine Regierung hat es bislang gewagt, die Pfründe der Taxifahrer oder der Apothe­ker anzutasten! Von der Atomlobby ganz zu schweigen. Prodi hat dies zunächst sogar ohne tiefe Einschnitte in das Sozialsystem geschafft. Ihm ist es gelungen, einen Konsens zwischen verschiedenen Interessengruppen herzustellen. Dann kam Berlusconi. Heute ist Italien das Land, das Europa kaputt machen kann. Vor zehn Jahren war es noch ein sympathisches Land. Jetzt sind die Leute frustriert und verbittert. Die Italiener waren nie ausländerfeindlich, jetzt sind sie es. Sie haben Vertrauen verloren, das ist eine große Gefahr für die Demokratie.

War es angesichts dieser großen Differenzen nicht von Anfang an vermessen, auf ein gemeinsames Europa zu setzen?Die Grundidee Europas entstand aus der gemeinsamen Erfahrung des Krieges. Eine Festung des Friedens wollte man bauen – und das hat ja auch lange funktioniert. Für den Aufbau des politischen Ge­füges glaubte man viel Zeit zu haben. Doch plötzlich begann die Geschichte zu galoppieren. Mit dem Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung ist eine neue Welt entstanden. Jetzt muss sich Europa einigen – nicht um die Gespenster der Vergangen­heit zu bannen, sondern um die wirtschaftlichen und demografischen Herausforderungen im globalen Zeitalter zu meistern. Kein Land kann das alleine schaffen – auch das starke Deutschland nicht.

Wie könnte dieses Europa aussehen, dessen Herz Ihrer Ansicht nach deutsch schlagen soll? Als Italiener darf ich das: eine Hegemonie Deutschlands fordern. Deutschland hat lange gebraucht, bis es sich unter Adenauer für die Westbindung entschieden und den fatalen Weg als vagabundierendes Land zwischen Ost und West verlassen hat, den es zwischen den beiden Weltkriegen eingeschlagen hatte. Kulturell hat dieser Prozess bis zur 68er­Bewegung gedauert: die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, den Nazi­Verbrechen und dem Krieg. Mein Freund, der Historiker Dan Diner, spricht jetzt zu Recht von einer „post­deutschen Republik“, in der die sogenannten guten alten, aber ge­fährlichen deutschen Tugenden nicht mehr gelten. Das Land kann und muss jetzt die Verantwortung für Europa übernehmen. Das

muss die politische Elite akzeptieren. Sie müssen sagen: Wir haben Europa zweimal kaputt gemacht. Jetzt müssen wir Europa aufbau­en. Dazu braucht man Geld. Und gute Politiker.

Man braucht dazu auch gute politische Institutionen. Wie kann man die europäischen Institutionen stärken?

Ich glaube nicht, dass das Europaparlament ohne Verbindung zu den nationalen Parlamenten wirklich handlungsfähig werden kann. Die großen Europäer wie Alcide de Gasperi oder Willy Brandt wa­ren alle auf nationaler Ebene legitimierte und sogar geliebte Staats­männer. Man braucht die nationale politische Legitimation, um Europa aufzubauen.

Im Mai 2014 wird ein neues Europaparlament gewählt. Europa-skeptiker und -gegner könnten erheblich an Einfluss, ja sogar die Mehrheit gewinnen – im denkwürdigen 100. Jahr nach Beginn des Ersten Weltkrieges. In Italien ist die Hälfte des Parlaments gegen Europa, allen voran die Gruppe von Beppe Grillo und die Lega Nord. Der Ausgang der deutschen Bundestagswahl hat viele Hoffnungen auf ein Ende der Austeritätspolitik enttäuscht. Das schafft weiteren Unmut. Auch im Osten Deutschland besteht die Gefahr, dass die AfD noch stärker wird. Das ist eine große Gefahr. Denn solange in Deutschland das Europa­Barometer auf freundlich steht, kann Europa funktionieren. Wenn sich aber in Deutschland eine antieuropäische Partei durch­setzt, dann wird es hart für Europa. Ich weiß nicht, ob die politischen Eliten in Deutschland das Format haben, dies zu verhindern. Ange­la Merkel muss in der Europafrage Farbe bekennen. Angesichts ihrer deutlichen Mehrheit kann sie sich nicht länger drücken.

Verhindern, dass in Italien Berlusconi doch noch die Regierung Letta stürzt oder dass Frankreich die Schuldengrenze nicht einhält, kann sie aber nicht. Wenn in diesen zwei Ländern keine Reformanstrengungen unter­nommen werden, sehe ich sehr schwere Zeiten auf Europa zukom­men. Bisher gab es Europa für die Europäer quasi umsonst. Jetzt kostet es etwas. Aber es gibt keine Alternative. Sonst kämpft jeder für sich und die Krise gegen alle. ■

„Die politische Elite Deutschlands muss ihre Verantwortung akzeptieren und sagen: Wir haben Europa zweimal kaputt gemacht, jetzt müssen wir Europa aufbauen.“

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POLITIK

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Aufatmen bei VolkswagenMitBeStiMMunG Der jahrelange Rechtsstreit um das VW­Gesetz ist endlich beendet. Die EU­ Kommission scheiterte mit ihrer erneuten Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.

Von GuntraM doelFS, Journalist in Berlin

vw-KBr-vorSitzender oSterloh, niederSaChSenS MiniSter-

PräSident weil aM 22. oKtoBer in wolFSBurG: „Der jahre-lange Kampf hat sich gelohnt.“

Nach acht Jahren Rechtsstreit hat der Europäische Ge­richtshof (EuGH) nun endgültig einen Schlussstrich unter die juristischen Auseinandersetzungen um das VW­Gesetz gezogen. Die Luxemburger Richter wiesen

eine erneute Vertragsverletzungsklage der EU­Kommission gegen Deutschland ab (Rechtssache C­95/12). Mit dem Richterspruch muss Deutschland das VW­Gesetz nicht erneut ändern – und damit auch keine Vertragsstrafe von mindestens 68 Millionen Euro zahlen, wie es die Kommission gefordert hatte.

Beim VW­Konzernbetriebsrat und der IG Metall wird das Urteil mit großer Genugtuung aufgenommen. „Wir sind stolz darauf, dass sich der jahrelange Kampf gelohnt hat“, sagt Bernd Osterloh, Vor­sitzender des VW­Konzernbetriebsrates. „Das Urteil bestätigt uns, in der Mitbestimmung stärker zu werden und Regelungen wie im VW­Gesetz breiter in die Fläche zu bringen“, meint Tanja Jaquemin, Ressortleiterin Betriebsverfassung und Mitbestimmung beim IG­Metall­Vorstand. Das Urteil aus Luxemburg sei nicht nur eine kla­re Absage an all diejenigen, die immer wieder die deutsche Mitbe­

stimmung auf ein niedriges Niveau drücken wollen. Es zeige sich auch, „dass wir großen Handlungsbedarf auf europäischer Ebene in Sachen Mitbestimmung haben“, so die Expertin der IG Metall.

Die Erleichterung ist verständlich, sichert doch das VW­Gesetz der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat des Konzerns eine weitrei­chende Mitbestimmung. So kann diese bei Entscheidungen über Standorte durch die sogenannte Zwei­Drittel­Regelung (Zustim­mung durch zwei Drittel der Aufsichtsratsmitglieder) Alleingänge des Vorstandes und der Kapitalseite verhindern. Außerdem räumt das VW­Gesetz dem Land Niedersachsen de facto ein Vetorecht ein. Feindliche Übernahmen sind damit praktisch unmöglich, was Por­sche bei beim gescheiterten Übernahmeversuch zu spüren bekam.

einiGKeit aller aKteure_ Der Rechtsstreit zwischen Berlin und Brüssel um das VW­Gesetz schwelt schon lange. Nach Auffassung der Kommission behindern nämlich Regelungen des Gesetzes, mit dem Volkswagen 1960 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wor­den war, den freien Kapitalverkehr in Europa. 2005 hatte sie deshalb erstmals Klage beim EuGH gegen das VW­Gesetz eingereicht. 2007 folgten die Luxemburger Richter in einem ersten Urteil der Linie der Kommission und stellten einen Verstoß fest, weil Bund und Land Niedersachsen jeweils zwei Vertreter im Aufsichtsrat stellten, die Stimmrechte der Aktionäre auf 20 Prozent begrenzt waren und bei­de Regelungen in Verbindung standen mit einer Sperrminorität von 20 Prozent statt der im deutschen Aktienrecht üblichen 25 Prozent.

Die Bundesregierung regelte daraufhin das VW­Gesetz neu und strich die ersten beiden Punkte, die Sperrminorität von 20 Prozent blieb jedoch erhalten. Aus diesem Grund klagte die EU­Kommission erneut – und scheiterte. „Deutschland ist dem vorangegangenen Urteil des Gerichtshofes in vollem Umfang nachgekommen“, urteil­ten jetzt die Richter. Begründung: Der entscheidende Kritikpunkt – die Verbindung zwischen Entsendung, Beschränkung der Stimm­rechte und abgesenkter Sperrminorität – bestehe nicht mehr.

Beigetragen zum Erfolg hat sicherlich auch die Einigkeit von Arbeitnehmerseite, Land Niedersachsen und Bundesregierung. Bernd Osterloh dankte deshalb ausdrücklich Kanzlerin Merkel, weil diese der EU­Kommission „erfolgreich die Stirn geboten hat“. ■

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54 Mitbestimmung 11/2013

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Eigentlich sollte an dieser Stelle ein Artikel über Detroit stehen. Sollten die Leser der Mitbestimmung erfah­ren, wie nach 30 Jahren Neolibera­

lismus neues demokratisches Leben in den Rui­nen der alten Industriestadt entsteht und welche Rolle US­Gewerkschaften für die Arbeit der zahlreichen solidarisch organisierten Stadtteil­gruppen in der einstigen Autometropole spielen. Dazu ist es nicht gekommen. „Your ESTA status has changed“, lautet der Betreff der E­Mail, die dem Autor und seiner Begleiterin fünf Stunden vor dem geplanten Abflug lapidar mitteilt, die Reise sei „nicht genehmigt“. ESTA ist ein System des US­Ministeriums für „Homeland Security“, dem wir zehn Tage vorher gegen insgesamt 28 Dollar Gebühr wahrheitsgemäß anvertraut hat­ten, wirklich weder Drogen schmuggeln noch einen Terroranschlag in den USA verüben zu wollen. Deutschland und die USA garantieren eigentlich wechselseitig visafreies Reisen, war­um also erreicht uns, unbescholtene Bürger, deren schlimmste Vergehen kleine Verkehrsde­likte waren, gerade einmal fünf Stunden vor Abflug diese E­Mail?

Einreise verweigerthoMeland SeCurity Unser Autor war Anfang September mit Vertretern der US­Gewerkschaft UAW und zivilgesellschaftlicher Gruppen in Detroit verabredet. Für

eine Reportage. Er durfte auf Veranlassung der US Homeland Security nicht einmal das Flugzeug in Berlin besteigen. Die Gründe kennt er bis heute nicht.

Von luKaS FranKe, freier Autor und Dramaturg in Berlin, arbeitet für die IG Metall, amnesty international und Theater in Berlin und Wien.

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Meine Begleiterin ist für ein Stadtforschungsinstitut im öffentlichen Dienst tätig und hat vor einigen Wochen eine Online­Petition unterschrieben, in der Asyl für Edward Snowden gefordert wurde, ich arbeite freiberuflich unter anderem für die IG­Metall­Kampagne „Revolution Bil­dung“, als Theaterdramaturg, früher auch mal für am­nesty international. Wir sind mit dem gegenwärtigen Kapitalismus aus vielen Gründen nicht einverstanden – hätten uns selbst jedoch bis dato als vollkommen unge­fährlich für die nationale Sicherheit der USA eingestuft und haben mit dem in linken Kreisen verbreiteten latenten Antiamerikanismus nichts am Hut.

Leider ändert das nichts daran, dass die US­Behörden uns verdächtig finden – denn heute gilt zunächst einmal jeder als verdächtig, der in die USA einreisen will, und es ist Aufgabe umfangreicher Sicherheitschecks, diesen mil­lionenfachen Generalverdacht zu widerlegen. Dazu wer­den alle Reisenden nach der Anmeldung im ESTA­System automatisch durchleuchtet, unter anderem von der „Ter­rorist Screening Database“, in der alle namentlich bekann­ten Terroristen gespeichert sind, dem „Automated Targe­ting System“ (ATS), das aus so brisanten Daten wie Reiseziel, Sitzplatz und Essensvorlieben eine Sicherheits­einstufung errechnet, und dem „Treasury Enforcement Communications System“ (TECS), einem undurchschau­baren Datenmoloch, der auch aus NSA­Daten gespeist werden dürfte.

Vom überwiegenden Teil dieser nur unvollständig auf­gezählten Überprüfungen bekommen die Reisenden wenig mit. Erst wenn der Algorithmus vermeintlich verdächtige Schlagwörter etwa in E­Mails oder im Facebook­Profil

findet, merkt der Bürger, der eigentlich denkt, er habe nichts zu verbergen, wie schnell sich diese Annahme än­dern kann. In unserem Fall könnten die Teilnahme an jener Petition für Edward Snowden sowie das Wörtchen „Revolution“ im Titel besagter IG­Metall­Kampagne den Beginn einer Auseinandersetzung mit dem digitalen Levi­athan markieren. Wobei der digital hochgerüstete Staat alles weiß – und der Reisende nur, dass er nichts weiß.

Er versucht dennoch, die Einreisegenehmigung zu er­halten. Nimmt die Auseinandersetzung auf, die in irgend­einem Büro der Homeland Security irgendwo im mittleren Westen ihren Anfang nahm. Setzt sie fort nun mit der

Visaabteilung der US­Botschaft in Berlin – oder vielmehr mit den zahlreichen privaten Firmen, mit denen die Botschaft sich abschirmt. Erste Station für uns ist eine horrend teure 0900­Telefonnummer – wie sie auch von Telefonsex­Anbietern verwendet wird – und die zu diesem Zeitpunkt die einzige telefo­nische Kontaktmöglichkeit in Visafragen ist.

Dort erfahren wir, dass wir für einen Termin in der Visaabteilung der US­Botschaft in Berlin 130 Euro an eine Vertretung der Allianz­Versicherung am Berliner Kurfürstendamm zahlen und, wiederum gegen eine Gebühr von zehn Dollar, ein umfangreiches Formular im Internet ausfüllen müssen. Drei Wochen später dürfen wir dann endlich in der Botschaft vorstellig werden, wo wir von uniformierten Offiziellen, die sich bei genauerem Hinsehen als Mitarbeiter

eines privaten Sicherheitsdienstes erweisen, im Kasernen­hofton durch eine Sicherheitsschleuse geschickt werden. Erst jetzt, nach einer geplatzten Reise mit entsprechenden Kosten, weiteren 170 Euro Aufwendungen im Zusammen­hang mit dem Botschafts termin und mindestens drei Tagen Vorarbeit dürfen wir zwei Minuten mit einem Mitarbeiter der Botschaft sprechen – der freilich noch immer kein Vi­

sum ausstellt, dafür aber unseren Pass einzieht. Wir erfahren lediglich, dass unser Fall einer Überprüfung durch die Homeland Security unterläge, das komme zurzeit häufiger vor, innerhalb von fünf bis acht Werktagen erhielten wir Bescheid. Das ist nun, Anfang November, einige Wochen her, der Pass ist weg, telefonische Nachfragen sind teuer, siehe oben.

Man mag die Schikane und die Intensität der Kontrollen für übertrieben halten, denn Ähnliches trifft auf das Grenzregime der EU ebenfalls zu, jeden­falls aus afrikanischer oder arabischer Perspektive. Interessant ist allenfalls, in welchem politischen Umfeld dies geschieht: Denn die gleichen westlichen Regierungen, deren Geheimdienste im Namen der Freiheit die gesamte welt­weite Internetkommunikation überwachen, verabschieden sich immer häufiger von grundlegenden demokratischen Prinzipien wie Presse­ oder Reisefreiheit

Was könnte der Grund sein? Die Petition für Edward Snowdon? Die Arbeit für die IG­Metall­Kampagne „Revolution Bildung“?

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Berlin; nSa-loGo

in Fort Meade:

Für einen Termin in der US-Botschaft,

muss man vorab 130 Euro bei einer Allianz-Vertretung einzahlen.

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und geben zugleich immer mehr Aufgaben an den privaten Sektor ab, der sich öffentlicher Kontrolle weitgehend entzieht.

Man denke an die gut dokumentierten Versuche der britischen Regierung, die Berichterstattung des „Guardian“ zu unterbinden, den aktuellen Bericht des Washingtoner „Committee to Protect Journalists“, das Obama vorwirft, freie Berichterstattung zu verhindern, und an das Einreiseverbot für den Schrift­steller Ilja Trojanow, dem die amerikanischen Behörden Anfang Oktober den Flug von Brasilien nach Denver untersagten, mutmaßlich weil er einer der Protagonisten der Proteste gegen die NSA­Überwachung und bereits 2009 gemeinsam mit Juli Zeh Verfasser eines Buches zum Thema war. Trojanow beschrieb die amerikanischen Sicherheitsbehörden nach dieser Erfahrung als „Staat im Staat“, der sich eines Systems „repressiver Dienstleistungen“ durch private Unternehmen bediene, die keiner effektiven Kontrolle unterlägen. Pe­ter Sloterdijk schießt wohl weit über das Ziel hinaus, wenn er von den USA als einer „Junta von Sicherheitsoffizieren, die sich einen Präsidenten leisten“, spricht, aber Vergleiche etwa zur Paranoia der McCarthy­Ära mit ihrer ge­dankenlosen Kommunistenhatz ebenso wie zum „autoritären Kapitalismus“, von dem der slowenische Philosoph Slavoj Zizek gesprochen hat, drängen sich auf. Denn hier entsteht ein schwer adressierbarer Machtblock, dem der Ein­zelne hilflos ausgeliefert gegenübersteht und in dem die neoliberale Vision weitgehend verwirklicht ist: Der Staat wird zur Firma, die Firma zum Staat.

ein SySteM, daS niCht Mehr FunKtioniert_ Wohin dieser beklemmende Gesellschaftsentwurf führt, das lässt sich in der bankrotten US­Metropole Detroit wie unter dem Brennglas beobachten. Ein Drittel der Gebäude im Stadtgebiet steht leer, viele sind zu Ruinen verfallen. Arbeit ist rar, die Löhne schon seit Jahren mies. Supermärkte haben sich aus der Stadt verabschiedet, öffentlicher Nahverkehr wurde stillgelegt, Versorgung und Mobilität der Men­schen sind entsprechend schlecht. Überhaupt funktioniert vieles nicht – bis auf die konsequente Durchführung weiterer Zwangsräumungen, die von Un­

ternehmen wie der vom Staat mit 60 Milliarden Dollar gestützten Hypothekenbank Fanny Mae durchgesetzt werden – und die Obdachlosigkeit und Verfall weiter ver­schlimmern.

In diesem hoffnungslosen Dreieck aus Armut, dem Rückzug öffentlicher Strukturen und der gnadenlosen Politik großer Unternehmen entsteht in der „Motown“ Detroit neues Leben: Bewohner bauen in Projekten des „Urban Gardening“ auf den Brachflächen der Stadt Ge­müse an. In der einstigen Autostadt werden Fahrräder und Fahrradtaschen für Hipster in New York und London gebaut, und den Zwangsräumungen versuchen die Men­schen durch gemeinsamen solidarischen Widerstand zu begegnen. Mitten in den Ruinen des Industriekapitalismus und gezeichnet von den Verwerfungen von 30 Jahren neo­liberaler Politik scheinen hier alte amerikanische Tugen­den auf: Optimismus, Pragmatismus und ein tief verwur­zeltes demokratisches Bewusstsein.

In Detroit wird täglich erprobt, wie praktische Soli­darität und solidarisches Wirtschaften unter den Bedin­gungen eines politischen Systems, das nicht mehr funkti­onsfähig ist, aussehen und welch wichtige Funktion Gewerkschaften in dieser Situation übernehmen können. Auch wenn es in Deutschland nicht so weit kommen muss, in einigen Ländern der Europäischen Union herrschen bereits heute vergleichbare Bedingungen, für die Deutsch­land zumindest teilweise Mitverantwortung trägt. Daher geht uns das Leben in Detroit etwas an. Daher wird das Vorhaben, aus Detroit zu berichten, weiter verfolgt. Dem­nächst mehr an dieser Stelle. ■

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ZUR SAchE

Die EU­Kommission hat ihre industriepolitische Abstinenz aufge­geben. „Wir können nicht weiterhin einfach dabei zusehen, wie unsere Industrie aus der EU abwandert“, konstatierte der zuständi­ge Industriekommissar Antonio Tajani vor gut einem Jahr und for­derte, dass der Anteil der Industrie am europaweiten Bruttoinlands­produkt von derzeit 16 auf 20 Prozent im Jahr 2020 steigen müsse. Die Mitteilung der EU­Kommission unter der programmatischen Überschrift „Neue industrielle Revolution für eine Rückkehr der Industrie nach Europa“, die Kommissar Tajani im Oktober 2012 vorstellte, markiert einen Wendepunkt in der europäischen Priori­tätensetzung. Bis dahin hatte der Lissabon­Vertrag von 2000 der EU den Aufbruch in die Wissensgesellschaft verordnet – mit Europa als dem „wettbewerbsfähigsten, dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum“. Industrie galt in diesem Konzept als überholt und gestrig. Vor wenigen Monaten, als die EU­Kommission der angeschlagenen europäischen Stahlindustrie und ihren über 360 000 Beschäftigten mit einem Aktionsplan zu Hilfe eilte, war davon nicht mehr die Rede. Im Gegenteil: Die Bedeutung der Branche für die Wertschöpfungskette in Europa wurde betont.

Dass Länder mit einer starken Industrie die Krise besser bewältigt haben, hat dieses Umdenken deutlich befördert. Zu diesen Ländern zählt Deutschland. Im gesamteuropäischen Vergleich steht die Bun­desrepublik mit einem Anteil von rund 25 Prozent der vom verar­beitenden Gewerbe aller EU­Mitgliedstaaten gemeinsam erwirt­schafteten Bruttowertschöpfung relativ gut da. Weitere Daten unterstreichen die Stärke des hiesigen Industriestandorts: 90 Prozent

aller Exporte der hiesigen Wirtschaft entfallen auf den Industriesek­tor, knapp 90 Prozent der Aufwendungen für Forschung und Ent­wicklung werden im verarbeitenden Gewerbe ausgegeben.

Betriebsräte und Gewerkschaften machen sich schon immer für das Thema Industriepolitik stark. Damit untrennbar verbunden ist eine starke Mitbestimmung, die erst zur erfolgreichen Krisen­politik befähigt. So der Tenor der Diskussionen auf einer Betriebs­rätekonferenz, die die Hans­Böckler­Stiftung in Kooperation mit IG BCE und IG Metall unlängst in Brüssel durchführte. Es war bereits die dritte gemeinsame Veranstaltung zum Thema Indust­riepolitik in diesem Jahr. Ein wichtiges Thema, das die Betriebsräte auf diesen Veranstaltungen umtrieb, war die Sorge um die vielfach beobachtete abnehmende Akzeptanz in der Gesellschaft gegenüber Industrieprojekten – und damit verbunden die Frage, inwieweit die Betriebsräte ihre Glaubwürdigkeit geballt in die öffentliche Debatte werfen sollen, um für die Gefährdung sicher geglaubter Arbeitsplätze zu sensibilisieren. Immer lauter auch artikulierten sie ihre Forderung nach einem verlässlichen Rahmen für die Ener­giewende, der für die Planungssicherheit ihrer Unternehmen un­abdingbar ist.

Solche Veranstaltungen sind wichtig, denn gerade auch auf EU­Ebene hapert es an der konsequenten Umsetzung der eigenen Ein­sichten. So spielen Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften in den Überlegungen der EU­Kommission zur Industriepolitik zwar eine Rolle, sie sollen sich jedoch auf Fragen der Aus­ und Weiterbildung beschränken. Dies sind fraglos wichtige Aspekte der Zukunftssiche­

„Auf EU-Ebene hapert es an der konsequenten Umsetzung der jüngst gewonnenen

Einsichten in die Bedeutung der Industrie.“

Oliver Emons über europäische Industriepolitik

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Oliver Emons leitet ein Wirtschaftsreferat in der Hans-Böckler-Stiftung.

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Am Wirtschafts­ und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans­Böckler­Stiftung (WSI) promovieren die Juristin Lena Oerder (l.) und die Sozial­wissenschaftlerinnen Barbara Zimmer, Susanne Schulz und Sarah Lille­meier (v.l.). In ihrer Forschung beschäftigen sie sich mit typischen WSI­ Themen wie der Qualität der stationären Versorgung, der Gesundheit am Arbeitsplatz oder der Herstellung von Entgeltgleichheit etwa durch eine diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung. Zudem sind sie in die Arbeit des Instituts eingebunden und beteiligen sich am Gender­Daten­Portal oder dem Forschungsprojekt zu einem „sozialen Recht der Arbeit“. „Teil des WSI­Alltags zu sein ist ein großer Vorteil“, sagt Zimmer. Und Oerder er­gänzt: „Der Austausch mit den erfahrenen Kolleginnen und Kollegen gibt uns immer wieder neue Anregungen für unsere Dissertationsprojekte.“ ■

Die neuen Forscherinnen

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rung, doch entspricht diese Fokussierung weder den grundlegenden industriepolitischen Impli­kationen der Unternehmen noch dem Selbstver­ständnis der Akteure.

Weitere Vorstöße unterstreichen die Not­wendigkeit einer gesamteuropäischen und ab­gestimmten Industriepolitik. Von den deutschen Industriegewerkschaften mit großem Interesse zur Kenntnis genommen wurde der Entwurf eines Reports zur Reindustriealisierung Euro­pas, den der Grünen­MdEP Reinhard Bütikofer als Berichterstatter des Europaparlaments vor Kurzem vorstellte („Report on re­industrialising Europe to promote competitiveness and sustain­ability“). Der sichtbaren „De­Industrialisie­rung“ müsse eine „Re­Industrialisierung“ ent­gegengestellt werden, fordert der Report. Notwendige Voraussetzung für die zukünftige industrielle Stärke Europas sei eine Strategie zur Erneuerung der Industrie für ein nachhaltiges Europa. Doch was bedeutet nachhaltig? Die Antworten der Betriebsräte und Gewerkschaf­ten machen unmissverständlich klar, dass öko­nomische, ökologische und soziale Aspekte gleichgewichtig zu berücksichtigen sind. Nur so kann europäische Industriepolitik gelingen. ■

doKtorandinnen aM wSi

Sarah Lillemeier, Telefon: 02 11/77 78-574, [email protected] Oerder, Telefon: 02 11/77 78-236, [email protected] Schulz, Telefon: 02 11/77 78-585, [email protected] Zimmer, Telefon: 02 11/77 78-265, [email protected]

59Mitbestimmung 11/2013

AUS DER STIfTUNG

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Es war ein Verpackungsschwindel par excellence: Im Jahr 1770 sorgte der „Schachtürke“, ein schachspielender Roboter, für Aufse­hen in Europa. Der Automat in Gestalt eines Turbanträgers ent­puppte sich nach Jahren als Mogelei: Im Gehäuse verbarg sich ein Mensch. Fast ein Vierteljahrtausend später verbucht eine Internet­plattform namens „Mechanical Turk“ regen Andrang. Auf dem Onlinemarktplatz von Amazon schreiben Auftraggeber kleinstteili­ge Jobs aus und greifen so auf Wissensarbeit zu.

„Crowdsourcing“ heißt diese Beschäftigungsform, die sich einen großen Pool an arbeitswilligen Internetusern nutzbar macht. Six Silberman, Informatiker von der University of California Irvine, hat die Plattform von Amazon genau beobachtet. Sein Fazit: Auch beim modernen Mechanical Turk, der kurioserweise nach dem trickrei­chen Schachapparat heißt, geht es nicht immer mit rechten Dingen zu. Die Aufgaben, die hier vergeben werden, sind fast mikroskopisch klein – beispielsweise die Beschreibung dessen, was auf einem Foto abgebildet ist, oder das Umformulieren eines Satzes.

wiSSenSarBeit iM warenKorB_ Das Honorar für solche Mikro­jobs bewegt sich meist zwischen einem US­Cent und wenigen US­Dollars.„Die meisten erzielen damit nicht einmal den Mindestlohn“,

enGineerinG-taGunG Wie verändert sich die Arbeitswelt der Technikexperten? Wie lassen sich deren Interessen stärken? Darüber diskutierten 300 Teilnehmer auf der diesjährigen Engineering­ und IT­Tagung von Hans­Böckler­Stiftung und IG Metall in Berlin.

mikrojobs aus dem Netz

weiß Silberman. Oft werden sie auch noch um ihre wenigen Cent geprellt: Das Amazon­System verpflichtet die Auftraggeber nicht, Leistungen auch zu bezahlen. Eigentlich soll das die Käufer davor schützen, wertlose Lieferungen entlohnen zu müssen. „Doch manche nutzen das systematisch, um ihre Kosten zu drücken.“ Wer sich beschweren will, kann das nur auf elektronischem Wege tun und weiß nie, ob seine Nachricht je gelesen wird.

Das Crowdsourcing ist ein relativ neues Phänomen der Arbeits­welt. Auch andere Unternehmensstrategien, bei denen es um Kos­tenreduktion oder die flexible Beschaffung und Steuerung von Arbeit geht, haben an Gewicht gewonnen. Dabei schlagen die Gesetze des Marktes oftmals sehr direkt auf die Individuen durch. Diese Ent­wicklungstrends, Veränderungen in den Unternehmen und mögliche Antworten der Gewerkschaften standen im Zentrum einer gemein­samen Tagung der Hans­Böckler­Stiftung in Kooperation mit der IG Metall vom 24. bis 26. September in Berlin.

Über die neuen Rahmenbedingungen aus Unternehmenssicht sprach Klaus Helmrich, Chief Technology Officer von Siemens. Um im globalen Wettbewerb technologische Führerschaft zu behaupten, gelte es, kontinuierlich die neuesten Technologien in die eigene Pro­duktwelt zu integrieren. „Dazu brauchen wir das Know­how unse­

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rer Mitarbeiter“, sagt Helmrich und erwartet von ihnen zugleich, sich für Wissen von außen zu öffnen: „Nachhaltigkeit erfordert Unternehmen, die in Netzwerken arbeiten.“ Kooperation über La­bor­ und Ländergrenzen hinweg ist gefragt.

daS riSiKo: nie Mehr aBSChalten_ Eine hohe räumliche Mobi­lität gehört dabei für viele Fachkräfte zum Alltag. Auch die Tagungs­teilnehmer, das zeigte die Abstimmung in einem der Workshops, arbeiten häufig von unterwegs oder von zu Hause aus. Das birgt Freiheitspotenziale, die viele schätzen – aber zugleich auch das Ri­siko, nie wirklich abzuschalten: „Der Blick auf den Blackberry ist zu verführerisch“, so eine Stimme. Erste Ansatzpunkte, auch inner­halb der entgrenzten Arbeitsformen feste Limits zu setzen, gibt es bereits. So sollen beispielsweise bei Bosch und BMW klare Vorgaben die mobilen Mitarbeiter vor Überlastung schützen. Geregelt sind unter anderem die Zeiterfassung und die Erreichbarkeit sowie – ebenso wichtig – Zeiten der Nichterreichbarkeit.

Doch auch hier bleiben Fragen offen: Wie lässt sich zum Beispiel sicherstellen, dass Mitarbeiter zu Hause Pausenzeiten einhalten und nicht undokumentiert weiterarbeiten, um ehrgeizige Projektziele zu erreichen? Hoher Leistungsdruck und oftmals unrealistische Ziel­vorgaben: Dieses Thema bereitet vielen Teilnehmern im Betriebs­alltag Kopfzerbrechen. Angesichts eines harten Wettbewerbs ist Überlastung vorprogrammiert. Da helfen auch Yogakurse und Mas­sagen, wie manche Unternehmen sie bieten, nur wenig. Das gilt umso mehr, wenn immer wieder der Job auf dem Spiel steht: „Die wirklich großen Probleme sind die permanente Restrukturierung, Outsourcing und die Angst um den Arbeitsplatz“, so ein Teilnehmer.

Permanente Verunsicherung sei unsozial und fördere keine Kre­ativität, mahnt Berthold Huber, Erster Vorsitzender der IG Metall: „Wir brauchen eine Balance zwischen den Flexibilitätserfordernis­sen der Unternehmen und den Sicherheitsbedürfnissen der Beschäf­

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und Benner: Auf der Suche nach dem Digital Deal

tigten.“ Bei Siemens, dem Gastgeber der Konferenz, geht der Trend derzeit in eine andere Richtung: Mit „Siemens 2014“ wird ein Sparprogramm umgesetzt, bei dem in Deutschland Tausende Stel­len gestrichen werden sollen. Solche renditegetriebenen Strategien wurden auf dem Podium sehr kritisch diskutiert. Huber fordert langfristigere Konzepte. Gemeinsam mit den Beschäftigten haben die Betriebsräte und die IG Metall den Gegenentwurf „Siemens 2020“ erarbeitet, der das Know­how und den Standort langfristig sichern soll.

FaireS CrowdSourCinG iSt MÖGliCh_ Der Weg zu den Technik­experten, um die die Gewerkschaft verstärkt werben will, führe über beteiligungsorientierte Diskurse, meint Christiane Benner, geschäfts­führendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Ein wichtiges Thema wird das digitale Arbeiten sein: „Wir müssen die positiven Potenziale ausschöpfen und den negativen Aspekten entgegenwirken“, seien es die digitale Akkordarbeit von Crowdworkern oder die Standar­disierung und Verlagerung von Wissensarbeit. „Wir brauchen einen ‚Digital Deal‘, der ein Leitbild guter digitaler Arbeit definiert.“

Beim Mechanical Turk von Amazon lässt ein solches Leitbild vorerst auf sich warten. Daher haben einige Crowdworker zur Selbsthilfe gegriffen: Sie entwickelten eine Browser­Erweiterung namens „Turkopticon“. Sie macht transparent, wie es um das Ver­halten und die Zahlungsmoral der Auftraggeber steht. Das System wird rege genutzt. Oberstes Ziel wäre aber, es überflüssig zu ma­chen, sagt Silberman, der faires Crowdworking für möglich hält: „Amazon sollte solch ein Reputationssystem selbst integrieren.“ Das blieb bislang aus. Ganz gleichgültig ist die Sache dem Online­anbieter anscheinend nicht: Amazon hat den Domainnamen turk­opticon.com gekauft; wer die Seite aufruft, findet einen Platzhalter. ■

Von Karin hirSChFeld, Journalistin in Berlin

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Die 8,50 Euro, die der DGB derzeit als gesetzlichen Mindestlohn fordert, sind für viele Tarifpolitiker und gewerkschaftsnahe Wissen­schaftler fast schon eine historische Referenz, noch bevor dieses politische Ziel erreicht ist. Das war der Tenor auf der Abschluss­runde der Tarifpolitischen Tagung des WSI am 25. September. Zu­vor hatte WSI­Wissenschaftler Thorsten Schulten in seinem Vortrag darauf hingewiesen, dass sowohl in den Benelux­Ländern als auch in Frankreich die Neun­Euro­Marke gekappt sei; auch lägen nur noch wenige deutsche Branchenmindestlöhne unter 8,50 Euro.

Schulten zeigte, dass man einen Mindestlohn auf sehr unterschied­liche Weise bemessen kann. Wer in Düsseldorf Hartz IV bezieht und zusätzlich die Freibeträge ausschöpft, erzielt ein Einkommen, das analog einen Mindestlohn von 9,41 pro Stunde nahelegt, veranschlagt auf eine 38­Stunden­Woche. Ein Stundenlohn über einer „Armuts­lohnschwelle“, die bei 50 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohns liegt, müsste bereits 11,51 Euro betragen. Legt man die von Deutsch­land ratifizierte Europäische Sozialcharta zugrunde, die in Artikel 4 das Recht auf ein gerechtes Entgelt garantiert, müsste nach den Kri­terien des Europarates der Mindestlohn sogar bei 12,47 Euro liegen.

Debattiert wurde auf der Düsseldorfer Tagung nicht nur über die Höhe, sondern auch über den konkreten Durchsetzungsmechanismus und die regelmäßige Anpassung. Für die nötigen Erhöhungen halten praktisch alle Diskutanten eine Mindestlohnkommission nach dem Vorbild der britischen Low Pay Commission für erstrebenswert – mit unterschiedlichen Akzentuierungen im Detail. Dieter Schormann (NGG) hält eine „Größenordnung um 8,50 Euro“ zunächst für re­alistisch, fordert aber Anpassungen, die „das Wachstum, die Preis­indizes und die Umverteilung“ berücksichtigen. Dabei, sagte er, könne sich Deutschland am „englischen Modell“ orientieren.

Christian Jungvogel (IG BCE) erklärte: „ Die frühere Position der IG BCE, ein Mindestlohn könne Druck nach unten auf die Löhne ausüben, hat sich geändert.“ Er wirbt für ein Mischmodell: eine Untergrenze mit Abweichungen nach oben. „Die 8,50 Euro müssen an die Preissteigerung angepasst werden“, sagte Jungvogel. Neben der Reallohnentwicklung könne man auch andere Faktoren hinzu­ziehen. Jungvogel kann sich für „Verhandlungen in Richtung des englischen Modells“ erwärmen „mit Vertretern der Regierung“.

tariFPolitiK In den Verhandlungen für eine große Koalition spielt ein allgemeiner Mindest­lohn eine wichtige Rolle. Wissenschaftler vom WSI und Tarifpolitiker diskutierten in Düsseldorf einen möglichen Anpassungsmechanismus.

Rechenmodelle jenseits 8,50 Euro

Jörg Wiedemuth (ver.di) erinnerte daran, dass seine Gewerkschaft und die Gewerkschaft NGG es waren, die bereits sehr früh einen gesetzlichen Mindestlohn forderten. Er sagte aber auch: „Wenn die 8,50 der Start wären, wäre die Differenz zu einem auskömmlichen Lohn relativ hoch. Wir brauchen relativ rasche Schritte Richtung 9,50 Euro. Eine reine Indexierung reicht dafür nicht aus.“ ver.di favorisiert dafür eine Kommission von acht Personen, wobei jede Seite zwei Wissenschaftler entsenden kann.

Etwas Wasser in den Wein schüttete Thorsten Schulten, der da­rauf hinwies, dass die Ergebnisse des englischen Modells zuletzt bescheiden gewesen seien. Den englischen Mindestlohn hält er heu­te „de facto für einen Armutslohn“. Die Frage, wie Tarifpartner und Staat sich die Verantwortung in einer Mindestlohnkommission teilen können, wird deswegen noch für Diskussionen sorgen. Rein­hard Bispinck vom WSI bringt das Dilemma, das hinter dieser Fra­ge steht, auf den Punkt: „Wenn die Gewerkschaften mitbestimmen wollen, wie stehen sie dann zur Verantwortung der Politik?“ Auch die Rolle, die Wissenschaftlern in einer zukünftigen Kommission zukommen könnte, ist offen. Andreas Rieger vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), der in Düsseldorf die Schweizer Min­destlohnkampagne vorgestellt hatte, riet den Deutschen davon ab, überhaupt Wissenschaftler zu berufen: „Das würde das Ganze nur entpolitisieren.“ ■

Von Kay MeinerS, Redakteur des Magazins Mitbestimmung

wSi-ForSCher BiSPinCK, tariFPolitiKer wiedeMuth, SChor-

Mann, JunGvoGel (v.l:): Auf der Suche nach dem richtigen Modell

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Informationen zu MindeStlÖhnen iM internationalen

verGleiCh: www.boeckler.de/wsi-tarifarchiv_43610.htm

mehr informationen

62 Mitbestimmung 11/2013

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tiPPS & terMine

Gute arBeit und ÖKoloGiSCher wandelDie Abschlusstagung der gleichnamigen Veranstaltungsreihe von Hans-Böckler-Stiftung und DGB diskutiert mögliche Antworten auf Fragen nach guter Arbeit bei gleichzeitigem ökologischem Wandel.

Hans-Böckler-StiftungBeatrice MenzTelefon: 02 11/77 [email protected]

IG BCE BerlinSonja DifTelefon: 0 30/30 86 [email protected]

KonGreSS

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* Weitere Veranstaltungstipps unter www.boeckler.de und Fachtagungen für Aufsichtsräte unter www.boeckler.de/29843.htm

altStiPendiaten-netzwerKtreFFenDas Netzwerk Südbayern trifft sich, um sich anhand eines praktischen Beispiels im BMW-Werk Dingolfing von der Möglichkeit alters-gerechter Arbeitsplätze zu überzeugen.

„Seid waChSaM …“Die Wanderausstellung „Seid wachsam, dass über Deutschland nie wieder die Nacht hereinbricht“ ist mit Lesungen und Schautafeln verfolgten Gewerkschaftern im Dritten Reich gewidmet.

SChÖneBerGer ForuM 2013Zu einem Austausch, wie Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst fair ausgestaltet werden können, laden DGB und Hans-Böckler- Stiftung ein. Am zweiten Veranstaltungstag findet die Verleihung des Deutschen Personalräte-Preises statt.

Deutscher GewerkschaftsbundRobert RostomTelefon: 0 30/2 40 [email protected]

Hans-Böckler-StiftungNadine RaupachTelefon: 02 11/77 [email protected]

veranStaltunG

aM 28. noveMBer

in dinGolFinG

Hans-Böckler-StiftungStephanie TelaarTelefon: 02 11/77 [email protected]

interne arBeitSMärKteDie Tagung gibt einen Überblick über verschiedene Modelle von in-terner Personalvermittlung in Unternehmen sowie Beispiele für be-triebliche Vereinbarungen dazu und ihre praktischen Auswirkungen.

netzwerKtreFFen StaBSMitarBeiterStabsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen von Betriebsräten sind einge-laden, für sie spezifische Themen wie Öffentlichkeits- und Gremien-arbeit zu diskutieren.

Hans-Böckler-StiftungKatharina JakobyTelefon: 02 11/77 [email protected]

FaChtaGunG

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KonFerenz

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Absolventenfeier in Berlin

Botschafter für das deutsche modell

STUDIENFÖRDERUNG

MITBESTIMMUNGSFÖRDERUNG

Rund 150 Gäste haben am 5. Oktober an der Absolventenfeier der Stiftung in der IG-Metall-Bildungsstätte in Berlin-Pichelssee teilge-nommen. Neben den Stipendiaten, die seit Oktober 2011 ihr Studi-um oder ihre Promotion beendet hatten, waren dieses Mal auch viele Altstipendiaten angereist, um ihre Netzwerke vorzustellen und Möglichkeiten, sich daran zu beteiligen. Nachdem Wolfgang Jäger, Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung, die Anwesenden be-grüßt und Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Mitglied im Vorstand der Stiftung, eine kämpferische Festrede zum Thema „Wohlstand,

Frankreich interessiert sich zunehmend für das Wirt-schaftsmodell des Nachbarn Deutschland. Darüber ist Sebastian Sick, Wirtschaftsjurist bei der Hans-Böckler-Stiftung, ein gefragter Experte in Sachen Unterneh-mensmitbestimmung auch auf der anderen Rheinseite geworden. In der aktuellen Ausgabe der Wirtschafts-zeitschrift „Réalités industrielles“ (www.annales.org)

erläutert er den Lesern – überwiegend Manager und Arbeitgeber – welche Vorteile es hat, Beschäftigte über Betriebs- und Aufsichtsräte bei Unternehmens-entscheidungen einzubeziehen. Dabei schildert er ins-besondere die guten Erfahrungen während der jüngs-ten Finanz- und Wirtschaftskrise und beschreibt, wie die Mitbestimmung rechtlich verankert ist. ■

Wachstum, Lebensqualität – Herausforderungen für die Mitbestim-mung“ gehalten hatte, bot der Abend ein musikalisches Unterhal-tungsprogramm. Den Aufschlag machte ein Konzert der Hambur-ger Band „The Splashdowns“, einer Gruppe, die Surfmusik im Stil eines Dick Dale fabriziert und ihre Musik als Hommage an die Apollo-Mondmission verstanden wissen will, vor allem an jene Nerds und Ingenieure, die am Boden geblieben sind. Im Anschluss übernahm DJ MITbeSTIMMUNG aka Martin Kaluza, der den Lesern dieses Magazins auch als Autor bekannt ist. ■

Sebastian Sick

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Gestärkte Redaktion

Neuer Sprecherausschuss

matthias helmer ist gestorben

WSI-MITTEILUNGEN

VERTRAUENSDOZENTEN

NACHRUF

Die Zeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, die „WSI-Mitteilungen“, wird personell besser aus-gestattet. Seit Oktober ist Philipp Klages mit an Bord. Er wird gemeinsam mit

der Redaktion die Perspektive der Zeitschrift auf inter-nationale Themen ausweiten. Klages war zuletzt als wissenschaftlicher Assistent am Soziologie-Lehrstuhl von Professor Richard Münch an der Universität Bam-berg tätig. Er hat am Max-Planck-Institut für Gesell-schaftsforschung seine Dissertation mit einer verglei-chenden Untersuchung über die Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland und den USA abgeschlos-sen. An seiner neuen Tätigkeit reizt ihn „die Möglich-keit, den gesellschaftspolitischen Nutzen wissenschaft-licher Erkenntnisse aufzuzeigen“. Einen besonderen Akzent will er beim Thema europäische Solidarität set-

zen. Statt nationale Interessen in den Vordergrund zu stellen, sagt Klages, gel-te es, nach gemeinsamen Problem- und Interessenlagen Ausschau zu halten und interessenpolitische Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. ■

Bernhard Kelle (2.v.l.), Professor für Germanistische Linguistik an der Univer-sität Freiburg, ist auf der 42. Konferenz der Vertrauensdozenten der Hans-Böckler-Stiftung Ende Oktober in Weimar zum neuen Sprecher der rund 500 Vertrauensdozenten gewählt worden. Er ist damit auch beratendes Mitglied im Vorstand der Hans-Böckler-Stiftung. Kelle folgt in dieser Funktion Ingrid Miethe, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Gießen, die das Amt seit 2009 innehatte und nicht mehr kandidierte. Ebenfalls in den Sprecherausschuss der Vertrauensdozenten gewählt wurden (v.l.): Martina Winkelmann, Univer sität Greifswald, Edith Glaser, Universität Kassel, Lud-ger Kolhoff, Hochschule Braunschweig/Wolfen-büttel, Heinz Sünker, Uni-versität Wuppertal, so-wie Herbert Clasen vom Wilhelm-Riehl-Kolleg Düsseldorf und Leonie Wagner von der Hoch-schule Hildesheim. ■

Unser Freund und Kollege ist tot. Diese traurige Nachricht hat uns erreicht, während wir die Bei-träge von Matthias für diese Ausgabe aufberei-teten. In der Rezension auf Seite 68 sowie im Website-Check blitzt nun zum letzten Mal auf, was seine Texte so lesenswert und gehaltvoll machte: seine profunden Kenntnisse der indus-triellen Beziehungen und der Gewerkschafts-politik, die in seiner wissenschaftlichen Arbeit

am Göttinger SOFI ihre Wurzeln haben. Über zehn Jahre, seit 2002, war er dem Magazin als freier Mitarbeiter verbunden. Von Januar 2008 bis Januar 2009, als Matthias in der Redaktion eine Krankheitsvertretung übernommen hatte, lernten wir seine verbindliche, immer freund-liche Aufrichtigkeit besonders schätzen. Nie-mand ahnte damals, dass bald eine schreckliche Krankheit sein Leben verändern würde. Die Muskeln verloren ihre Funktion. Nichts mehr ging ohne intensive Pflege. Als auch die Sprache versagte, ermöglichte ihm nur noch der Com-puter den Kontakt mit der Außenwelt. Doch er ging auf großartige Weise damit um – und er wollte weiterarbeiten. Je mehr sich sein Zustand verschlechterte, desto wichtiger wurde ihm das. Erst vor kurzem, im Septemberheft, erschien in der Rubrik „Mein Arbeitsplatz“ ein Text, in dem er seine Arbeit beschrieb. Darin stand der Satz: „Ich kann noch schreiben, immerhin.“ Matt hias Helmer starb am 30. Oktober in Göt-tingen im Alter von 47 Jahren. Er hinterlässt Frau und Sohn. Wir vermissen ihn sehr. ■

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Der neue Sprecherausschuss

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AUS DER STIfTUNG

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Von CarMen Molitor, Journalistin in Köln

Der Wissenschafts-manager

Philosophie. Doch obwohl er die Fächer mochte, vor allem Ge­schichte, gestand er sich bald ein, dass er nicht dafür geschaffen war, darin eine akademische Karriere zu machen. „Dafür muss man zu 120 Prozent in dem Fach drin sein; ich kam eher auf 50 Prozent“, sagt er. Die andere Hälfte seiner Aufmerksamkeit nahm ein, wie die Wissenschaft organisiert wird. Darüber woll­te er alles wissen: Bartz engagierte sich in der Fachschaft, in den Gremien der studentischen und akademischen Selbstverwaltung, in Fakultät und Senat, „denn dort konnte ich Einblicke gewin­nen, wie der Betrieb funktioniert“. Sein Hobby ist inzwischen sein Beruf. Olaf Bartz führt seit Anfang 2013 die Geschäfte des Akkreditierungsrates, einer öffentlich­rechtlichen Stiftung, die für die Akkreditierung der Studiengänge in Deutschland zustän­dig ist.

Der 42­jährige, verheiratete Wahlkölner ist ein wortgewand­ter, überlegter Gesprächspartner, dem man die Erfahrung in akademischen Diskussionen anmerkt. Er ist daran gewöhnt, nicht aus der Hüfte steile Thesen aufzustellen, sondern sie mit schlüssigen Argumenten auch zu belegen. In die Wiege ist ihm

Die Universität ist eine Wissenschaft für sich. Das dämmerte Olaf Bartz schon beim ersten Mal, als er eine Hochschule betrat. „Mich hat vom ersten Tag an die Art und Weise interessiert, wie Wissen­

schaft entsteht“, erinnert er sich. „Es gibt für die Herstellung von Wissenschaft ein Produktionssystem, einen institutionellen Hintergrund und dahinterliegende Prozesse. Das hat mich sofort genauso fasziniert wie die Wissenschaft selbst.“

Die Wissenschaft, mit der Bartz an der Universität Köln in den 90er Jahren seine akademische Karriere begann, war die Chemie, nach dem Vordiplom wechselte er zu Geschichte und

das nicht gelegt worden: Bartz stammt aus der Nähe von Han­nover und ist ein klassischer Bildungsaufsteiger. „Meine Eltern waren keine Akademiker, wir stammen aus einer Vertriebenen­familie aus Pommern/Ostpreußen“, erzählt Bartz. Der Vater arbeitete als Industriekaufmann bei Miele und verstarb früh, die Mutter war Sozialarbeiterin. Olaf Bartz wuchs als Einzelkind auf und war im Kreise der Cousinen und Cousins einer der Ersten, der zur Uni ging. Bei der Finanzierung des Studiums half zuerst ein Stipendium des evangelischen Studienwerkes, bei der Promo­tion unterstützte ihn die Hans­Böckler­Stiftung.

Längere Zeit stand der Wissenschaftsrat im Fokus seiner Ar­beit. Schon in seiner Dissertation befasste sich Bartz mit der Rolle dieses einflussreichen wissenschaftspolitischen Beratungs­gremiums und der Hochschulplanung in den Jahren zwischen 1957 und 1975. In einem anschließenden Postdoc­Projekt schrieb er die Forschungen bis ins Jahr 2007 fort. Später wirk­te Bartz erstmals selbst für den Wissenschaftsrat an der Akkre­ditierung privater Hochschulen mit und lernte damit eine wei­tere Facette des Wissenschaftsbetriebs kennen. Er fand es interessant, wie die Privaten „das Produkt Lehre verkaufen und ihre ganze Einrichtung entsprechend aufbauen“. So ausschließ­lich profitorientiert, wie er zuvor vermutet hatte, seien die Pri­vaten aber nicht gewesen, erinnert sich Bartz, häufig hätten philanthropische und institutionelle Interessen hinter den Ein­richtungen gestanden.

Während der Wissenschaftsrat nur nichtstaatliche Hochschu­len akkreditiert, steuert der Akkreditierungsrat die Bewertung von Studiengängen und Qualitätssicherungssystemen aller Hoch­schulen. Als dessen Geschäftsführer habe er nun die Chance, „unmittelbar an der Umsetzung von Empfehlungen mitzuwirken, die ich selbst auf der Seite des Wissenschaftsrates mit erarbeitet habe“. Olaf Bartz sieht das Akkreditierungswesen vor großen Herausforderungen, denn nach Abschluss der grundlegenden Reformen der Hochschulen in den Nullerjahren, die vom soge­nannten Bolognaprozess mit der Einführung von Bachelor­ und Masterstudiengängen bestimmt waren, könne auch die Beurtei­lung der Qualität von Studiengängen nicht mehr weiterlaufen wie gehabt. „Die Akkreditierungsverfahren müssen evaluativer, unterstützender und in mancher Hinsicht kollegialer werden“, wünscht sich Bartz. Er wolle sich dafür einsetzen, dass man sich dabei mehr an der „konkret erfahrbaren Studienqualität“ orien­tiert und nicht in erster Linie nur die formale Umsetzung der Reformvorgaben im Blick hat.

Der neue Job eröffnet ihm eine weitere Perspektive darauf, wie Wissenschaft funktioniert. Bartz sieht keine Anzeichen dafür, dass er der alten Faszination überdrüssig werden könnte: „Ich kann mir vorstellen, den Rest meines Berufslebens im Wissen­schaftsmanagement zu bleiben.“ ■

Porträt Olaf Bartz kümmert sich als Geschäfts­führer des Akkreditierungsrats um die Qualität deutscher Hochschulen. Wie der Wissenschaftsbe­trieb funktioniert, faszinierte ihn schon als Student.

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AUS DER STIfTUNG

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hÖrSaal der uni Bonn: „Fasziniert, wie Wissenschaft entsteht“

67Mitbestimmung 11/2013

AUS DER STIfTUNGaltStiPendiaten der StiFtunG

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Seit den 1980er Jahren ist in Euro­pa der Verkauf öffentlicher Unter­nehmen in Mode. Inzwischen ver­suchen viele Kommunen, wieder selbst die Verantwortung zu über­nehmen. Wer einen Überblick über diese Entwicklung bekommen will, ist mit diesem Buch gut bedient. Die Herausgeber haben eine über­sichtlich gegliederte Aufsatzsamm­lung zusammengestellt, in der Bür­germeister und Wissenschaftler, Gewerkschafter und Betriebsräte

zu Wort kommen. Der Verkauf von Eigenbetrieben schien ange­sichts chronischer Defizite vielerorts als willkommene Finanzsprit­ze. Doch die Privatisierung von Energie­ und Wasserversorgung, Müllabfuhr und Schwimmbädern erwies sich für die Bürger oft als teure Angelegenheit mit noch dazu mangelhaftem Service. Mitt­lerweile kehrt sich die Entwicklung um. Seit 2007 wurden über 60 neue Stadtwerke gegründet und 170 Gas­ und Stromkonzessi­onen neu an kommunale Betreiber vergeben.

Das Buch zeigt, worauf Kommunalpolitiker achten müssen, wenn sie Betriebe zurückkaufen wollen. In Bergkamen und Sprin­ge wollten die privaten Energieversorger das Netz zu einem über­höhten Preis verkaufen. Den Kommunen blieb nichts übrig, als sich zunächst darauf einzulassen und später mit Erfolg dagegen zu klagen. Inzwischen gewinnen die Gemeinden strategischen Einfluss. Sie können eigene Elektrotankstellen einrichten und so­ziale Eintrittspreise im Schwimmbad finanzieren. Nachdem in Bergkamen die Abfallbeseitigung rekommunalisiert wurde, san­ken die Müllgebühren um 12 Prozent. Allerdings warnt Bürger­meister Roland Schäfer vor rein ideologischen Einschätzungen: Das Motto „Privat vor Staat“, sagt er, sei genauso untauglich wie das umgekehrte „Kommune schlägt Konzern“. So bringt die Re­kommunalisierung für die Beschäftigten nicht immer Vorteile. Vor allem im Energiesektor gibt es Widerstand, wie zwei Betriebs­ratsvorsitzende von E.ON deutlich machen: Sie fürchten Ein­kommenseinbußen und Arbeitsplatzabbau, wenn Stadtwerke auf Synergien zwischen Strom, Gas, Fernwärme und Wasser setzen. Karsten Schneider vom DGB weist außerdem darauf hin, dass die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst heute keineswegs mehr vorbildlich sind: Eine hohe Befristungsquote, Personalab­bau und Arbeitsverdichtung prägen auch hier das Bild. ■

Von annette JenSen, Journalistin in Berlin

Um es kurz zu machen: „Gewerk­schaftsdämmerung“ ist ein ziem­lich unsägliches Buch. Der Autor Robert Lorenz, Politikwissen­schaftler in Göttingen, beschäftigt sich mit der „Geschichte und Per­spektive deutscher Gewerkschaf­ten“ – allerdings in einer Sprache und einem Duktus, die kaum ein Klischee auslassen. Sicher, vieles an der Politik und Strategie der Ge­werkschaften ist kritikwürdig. Etwa die Vernachlässigung be­

stimmter Arbeitnehmergruppen oder der Rückzug aus der Fläche. Lorenz walzt diese Themen allerdings in einer Penetranz aus, dass auch geduldige Leser bald die Lust verlieren – oder in jenen Zu­stand verfallen, den der Titel des Buches verspricht.

Befremdlich ist zuweilen auch der Argumentationsgang: So schreibt der Autor, die unerträglichen Bedingungen in Fabriken und Bergwerken hätten die Arbeiter in die Arme der Gewerk­schaften getrieben. Irgendwie war es doch umgekehrt: Gewerk­schaften wurden von Beschäftigten gegründet, um bessere Stan­dards und Rechte durchzusetzen. Der Autor berichtet auch von zerrütteten Verhältnissen zwischen machtversessenen, „feindseli­gen“ Hauptamtlichen und „gebieterischen“ Betriebsräten einer­seits und Vertrauensleuten andererseits. Dies geht an den Reali­täten in den Betrieben ebenso vorbei wie die angebliche Beteiligung von Beschäftigten durch – mittlerweile nicht mehr ganz – neue Managementkonzepte, die Lorenz für bare Münze nimmt. Ge­werkschafter, so der Tenor des Buches, sind notorische Ewiggest­rige, die in „verrauchten, holzvertäfelten Hinterzimmern“ tagen und sich jedweden Neuerungen verschließen.

Dass Lorenz auch sachlich schreiben kann, zeigen die beiden Schlusskapitel. Es reicht völlig aus, diesen Teil des Buches zu lesen. Wirklich Neues erfährt man aber auch hier nicht. Mit dem Generationswechsel seien die Gewerkschaften offener für neue Strategien und Zielgruppen geworden, stellt der Politologe fest. Zu alter Stärke würden sie allerdings nicht mehr gelangen, weil sich das traditionelle Arbeitermilieu auflöse. Lorenz weist aber auch darauf hin, dass die Gewerkschaften weitaus mehr Mitglie­der haben – im DGB über 6,1 Millionen Ende 2012 – als die politischen Parteien zusammengenommen, denen so viel Gewicht und Aufmerksamkeit zukommt. ■

Von MatthiaS helMer, (1966–2013)

Tipps für den Rückkauf Voller KlischeesClaus Matecki/Thorsten Schulten (Hrsg.): zurÜCK zur ÖFFentliChen

hand? Chancen und Erfahrungen der Rekommunalisierung. Hamburg, VSA-Verlag 2013. 181 Seiten, 16,80 Euro

Robert Lorenz: GewerKSChaFtSdäMMerunG. Bielefeld, Transcript Verlag 2013. 308 Seiten, 29,80 Euro

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drei FraGen an …

die Frauen in den GewerKSChaFten waren Jahre-

lanG eher unSiChtBar. waruM eiGentliCh? Die Ge-werkschaften sind sehr hierarchisch aufgebaut. Wenn der DGB-Vorsitzende auftritt, dann ist diejenige vom Vorstand, die für Frauen zuständig ist, noch lange nicht sichtbar. Die Frauen sollten, so wie die Frauenbeauftragten, ein eigenes Recht bekommen, sich nach außen zu vertreten. Sie müss-ten viel stärker als Personen sichtbar werden, nicht nur als Partner in Tarifverhandlungen oder im Streikkomitee.

GewerKSChaFtliChe FrauenarBeit iM dGB war BiS

1989 eine doMäne von Frauen der union. wo waren

die SPd-Frauen? Der DGB wurde als Einheitsgewerkschaft gegründet. Damals fielen zwei Vorstandsmandate an die Unionsgewerkschafter. Eines davon war das für Frauen. Zwei der wichtigsten Repräsentantinnen waren im Laufe der Jahre Maria Weber und Irmgard Blättel. Beide waren frauenpoli-tisch sehr engagiert. Die SPD-Frauen liefen während der Gründung dagegen Sturm, dass CDU-Frauen ihnen den Rang ablaufen sollten. Doch sie konnten erst nach der Ein-heit Ursula Engelen-Kefer an die Spitze bringen.

waS iSt die GrÖSSte errunGenSChaFt, die Frauen in

den GewerKSChaFten erreiCht haBen? Gefallen hat mir, dass so viele Gewerkschafterinnen direkt aus dem Wi-derstand gegen den Nationalsozialismus kamen. Vom ersten Tag an haben sie für den gleichen Lohn für Frauen ge-kämpft – und tun dies bis heute. Wichtig ist auch, dass die Gewerkschaften Frauen, die im Arbeiter- oder Angestellten-bereich aufgewachsen sind, eine Chance geben, gesell-schaftlich aufzusteigen und zwar bis hoch in die Aufsichtsrä-te. Das ist doch ganz wunderbar! ■

Die Fragen stellte Karin FlothMann.

… SiBylle PloGStedt, Journalistin und Filmemacherin mit einem Faible für starke Frauen

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Was bewegt einen Men­schen dazu, seine Heimat zu verlassen und fern von Familie und Freunden einer Arbeit nachzugehen? Was bedeutete Wanderarbeit in den letzten Jahrhunderten, und wie sieht sie heute aus? Diesen Fragen geht das Be­gleitbuch zur Ausstellung

„Wanderarbeit. Mensch – Mobilität – Migration“ des Landschaftsverbandes Westfalen­Lippe nach. Von verschiedenen Autoren werden acht historische Wanderberufe vorgestellt und deren Entwicklung nachvollzogen. Dem gegenüber stehen sieben Wanderberufe der Gegenwart. Hier wird etwa beschrieben, unter welchen zum Teil unwürdigen Be­dingungen polnische Spargelstecher arbeiten oder auch mit wel­chen Gefahren und Nöten die Flüchtlinge und Migranten auf Lampedusa zu kämpfen haben.

Die Gründe für Wanderarbeit sind vielfältig. Während bei­spielsweise der Beruf des Wanderschäfers den Ortswechsel not­wendig mit sich bringt, ist in vielen anderen Fällen eine wirt­schaftliche Notlage in der eigenen Heimat der Beweggrund, sich anderen Orts Arbeit zu suchen. So sahen sich etwa zahlreiche Männer aus Lippe dazu gezwungen, ihre Region, die im 19. Jahr­hundert den Anschluss an die Industrialisierung verpasst hatte, zu verlassen, um saisonal auf auswärtigen Ziegeleien zu arbeiten. Heutzutage sind es vor allem die Globalisierung, aber auch die technischen Entwicklungen in Bereichen wie Kommunikation und Warentransport, die ein verstärktes Aufkommen von Wan­derarbeit zur Folge haben. Zudem führen die globalen Lohnun­terschiede dazu, dass Arbeiter etwa nach Deutschland kommen und hier für einen deutlich geringeren Lohn ihre Arbeitskraft anbieten können als die einheimischen Arbeitenden.

Dies betrifft unter anderem die Baubranche und kann zu Aus­beutung führen: „Insbesondere Arbeiter aus Rumänien und Bul­garien arbeiten in Deutschland häufig zu Niedriglöhnen und unter inhumanen Arbeits­ und Wohnbedingungen“, beschreiben die Autoren einen aktuellen Konfliktherd. Das Buch bietet, oft anhand von Biografien einzelner Arbeiter, informative Einblicke in den Alltag der verschiedenen Wanderberufe. Und es spricht die Missstände an, die in vielen Bereichen der Wanderarbeit da­mals wie heute bestehen. ■

Von MariKe SChnarr, Journalistin in Köln

In der fremdeLWL-Industriemuseum (Hrsg.): wanderarBeit. Mensch – Mobilität – Migration. Historische und moderne Arbeitswelten. Essen, Klartext Verlag 2013. 160 Seiten, 14,95 Euro

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Zwar hat sich das Tempo verlangsamt, aber Chinas Wirt-schaft boomt nach wie vor. Viele ausländische Firmen lassen im Reich der Mitte produzieren, unter zum Teil himmelschrei-enden Arbeitsbedingungen. Die in New York ansässige Or-ganisation China Labor Watch (CLW) hat bereits zahlreiche Missstände aufgedeckt, etwa bei den Apple-Zulieferern Fox-conn und Pegatron. Die englischsprachige Website zeigt, in welchem Ausmaß dort und in anderen Fabriken Arbeit-nehmer- und Menschenrechte verletzt werden. Ein aktueller Beitrag berichtet über Kinderarbeit bei Lianchuang, wo Flachbildschirme für Sharp und HTC hergestellt werden. Elf Stunden am Tag müssen die Kinder hier schuften. Auch beim Samsung-Zulieferer HEG montieren Kinderhände Handys und anderes, wie CLW enthüllte. Auf der Internetseite finden sich zahlreiche Reports und Meldungen, vornehmlich aus der Elektronik- und Spielwarenindustrie. Foxconn war 2010 in den Schlagzeilen nach einer Serie von Selbstmorden unter den Beschäftigten. Der eindrucksvolle Kurzfilm „Deconst-ructing Foxconn“ widmet sich diesem Thema. Das Portal bietet noch mehr Videoclips, zum Teil allerdings älteren Da-tums. Außerdem viel lesenswertes Hintergrundmaterial.

fazit: Erschreckende Einblicke in die fabrikhallen chinas!

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www.chinalaborwatch.org

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Von MatthiaS helMer, (1966–2013)

Mit den Hartz­Gesetzen, die in den Jahren 2003 bis 2005 in Kraft tra­ten, wurden für Arbeitslose neue Zumutbarkeits­ und Sanktionsre­geln eingeführt. Die Architekten dieser Gesetze gingen davon aus, dass die Passivmentalität vieler Ar­beitsloser mitverantworlich für ihre Arbeitslosigkeit sei. Nun legt der Jenaer Soziologe Klaus Dörre Studien vor, in denen die sozialen Folgen dieser Arbeitsmarktreform untersucht werden. Er konzentriert

sich dabei auf diejenigen Personengruppen, die keinen regulären Job gefunden haben. Dörre und sein Forscherteam haben rund 120 Arbeitslose und 100 Arbeitsmarktexperten dazu befragt, welche Folgen die Hartz­Gesetze auf die Arbeitslosen haben.

Die Soziologen unterscheiden drei Gruppen von Arbeitslosen: Die „Um­jeden­Preis­Arbeiter“ nutzen buchstäblich jede Chance, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen – oft auch jenseits der Arbeitsverwaltung. Sie nehmen jeden Job an. Prototypisch sind Aufstocker. Die „Als­ob­Arbeiter“ versuchen, der Arbeitsnorm zu entsprechen, auch wenn sie keinen regulären Job finden. Ge­meint sind Ein­Euro­Jobber, die diese Arbeit nicht als „Bestra­fung“ erleben, sondern als „eine Möglichkeit, die Fassade der Normalität eine Zeit lang aufrechtzuerhalten“. Beide Gruppen erleben die Arbeit der Jobcenter als nicht hilfreich. Die letzte Gruppe der Arbeitslosen, die „bewussten Nichtarbeiter“, haben jede Hoffnung auf einen Job verloren und oft keine Ausbildung vorzuweisen. Sie müssen mit der Stigmatisierung durch die Mehr­heitsgesellschaft zurechtkommen.

Nach Meinung der Autoren tragen die Hartz­Gesetze dazu bei, dass sich Arbeitslose gesellschaftlich stigmatisiert fühlen und sich – teilweise als Reaktion darauf – von der Gesellschaft ab­wenden. Das Buch schildert vor allem subjektive Bewertungen und Einschätzungen der Betroffenen. Allerdings deutet auch ein im Sommer dieses Jahres bekannt gewordener Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofes zur Arbeit der Bundesagentur für Arbeit an, dass die Bürokratie sich vorrangig um leicht vermit­telbare Arbeitslose kümmert und schwierigere Klientelgruppen weitgehend ignoriert. Ob im Zuge solcher Prozesse in Deutsch­land eine neue Unterschicht entsteht, ist die eigentlich beunruhi­gende Frage, die das Buch aufwirft. ■

Von inGo zander, Journalist in Köln

Am RandKlaus Dörre/Karin Scherschel/Melanie Booth u. a. (Hrsg.): BewährunGS-

ProBen FÜr die unterSChiCht? Soziale Folgen aktivierender Arbeits-marktpolitik. Frankfurt, Campus Verlag 2013. 423 Seiten, 29,90 Euro

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BuChtiPPS

Veröffentlichungen mit Bestellnummer sind nicht im Buchhandel erhältlich, sondern ausschließlich über SetzKaSten GMBh, Düsseldorf, Telefon: 02 11/408 00 90-0, Fax: 02 11/408 00 90-40, [email protected] oder über www.boeckler.de. Hier sind auch alle Arbeitspapiere der Hans-Böckler-Stiftung kostenlos herunterzuladen.

Gesundheitsschutz Die Aus-wertung von 125 Vereinbarungen zeigt, wie betriebliche Aktivitäten rund um die Gesundheit der Beschäftigten unter dem Dach eines ganzheitlichen, systemati-schen Gesundheitsmanagements verbes-sert werden können. Plus CD mit Aus-zügen aus den Vereinbarungen.

BetrieBliCheS GeSundheitSManaGe-

Ment. Von Eberhard Kiesche. Reihe Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Frankfurt am Main, Bund-Verlag 2013. 12,90 Euro

Schulmaterial Das Themenheft behandelt die Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt. Auf 50 Seiten werden ökonomische, politische und soziale Aspekte beleuchtet – in Texten, Karikaturen, Schaubildern und ergänzt durch einen didaktisch-methodischen Kommentar.

atyPiSCh, FlexiBel, Gut? neue trendS

in der arBeitSwelt. Von Carolin Kölzer und Oliver Krebs. Themenheft Arbeitswelt ab Klasse 9 (Schülerheft). Reihe Böckler Schule, Düssel-dorf. Kostenlos bestellen über www.boeckler-schule.de

Renteneintritt Wie können die Beschäftigten das Rentenalter bei guter Gesundheit erreichen? Altersteilzeit kann dabei ein wichtiges Instrument sein. Die Auswertung von 124 Vereinbarungen zeigt, wie betriebliche Akteure auch nach dem Ende der staatlichen Förde-rung diese Möglichkeit des Übergangs nutzen und welche Trends sich abzeich-nen. Plus CD mit Beispielen.

GeStaltunG deS ÜBerGanGS in den ruhe-

Stand. Von Hans Riegel und Dietmar Röhricht. Reihe Betriebs- und Dienstvereinbarungen, Frankfurt am Main, Bund-Verlag. 12,90 Euro

„Wie müssen gesellschaftliche Ver­hältnisse beschaffen sein, damit die Menschen ihre Potenziale frei entwickeln können?“ Oder: „Wie kann der Mensch als freies und selbstbewusstes Individuum ein gutes und gelingendes Leben füh­ren?“ Fragen der eher grundsätz­lichen Art wirft Berthold Huber, der scheidende Vorsitzende der IG Metall, im einleitenden Beitrag dieses Sammelbandes mit dem programmtischen Titel „Kurs­

wechsel für ein gutes Leben“ auf. Huber, der auch als Heraus­geber fungiert, möchte damit eine Suchbewegung nach den Kon­turen einer „humanen Ökonomie“ anstoßen, in der „qualitatives Wachstum, gute Arbeit, Gerechtigkeit und demokratische Teil­habe für alle“ miteinander verbunden sind.

Der Band dokumentiert die Beiträge eines internationalen Kongresses der Metallgewerkschaft, der Ende vorigen Jahres in Berlin stattfand. Auf diesem Kongress machte sich eine stattliche Anzahl prominenter Referenten – etwa der ehemalige brasiliani­sche Präsident Lula da Silva oder der Umweltexperte Ernst Ulrich von Weizsäcker – zusammen mit der IG Metall auf die Suche nach einer Alternative zum gescheiterten neoliberalen Entwick­lungsmodell. Dass eine solidarische Gesellschaft bei einem ent­sprechenden politischen Willen möglich ist, ist dabei die Grund­annahme, von der sich alle Autoren bei der Beschreibung ihrer vielfältigen Zugänge zu dieser konkreten Utopie leiten lassen. In der Zusammenschau der Beiträge wird deutlich, dass guter Arbeit eine Art Schlüsselfunktion für ein gutes Leben zugewiesen wird.

Anständig bezahlte, tarifgebundene Arbeitsverhältnisse in mitbestimmten Unternehmen sind nicht nur unverzichtbar für ein Leben in Würde, sondern auch für die Bereitschaft zu gesell­schaftlicher Teilhabe. Der britische Sozialwissenschaftler Colin Crouch spricht von einem „Verfall der Fähigkeiten der unteren und mittleren sozialen Schichten, sich politisch zu organisieren und ihre Interessen zu artikulieren“, und führt dies auf die wu­chernde Prekarisierung der Arbeitswelten zurück. Die Auseinan­dersetzung um „gute Arbeit“ bekommt nach dieser Lesart eine grundsätzliche Bedeutung im Ringen um gesellschaftlichen Zu­sammenhalt und Demokratie. Das Buch zeigt diesen Zusammen­hang fundiert auf. ■

Von dirK Manten, ver.di-Bildungsreferent in Bielefeld

Ja zur SolidaritätBerthold Huber (Hrsg.): KurSweChSel FÜr ein GuteS leBen.

Wege zu einer solidarischen Gesellschaft. Frankfurt, Campus Verlag 2013. 276 Seiten, 24,99 Euro

71Mitbestimmung 11/2013

mEDIEN

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rätSelFraGen

■ An der Neuen Synagoge in Berlin erinnert eine Gedenk-tafel an einen Polizeibeamten, der sich der SA in den Weg stellte und das Gebäude vor der totalen Zerstörung bewahrte. Wie lautet sein Name?

■ Wie hieß der hessische Ministerpräsident, der 1978 an der Veranstaltung in der Paulskirche teilnahm?

■ In welchem Jahr trat der CDU-Politiker Philipp Jenninger als Bundestagspräsident zurück, nachdem er für eine missverständliche Rede zum 9. November kritisiert worden war?

Alle richtigen Einsendungen, die bis zum 29. November 2013 bei uns eingehen, nehmen an einer Auslosung teil.

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1. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 50 Euro, 2.– 4. Preis: Gutschein der Büchergilde Guten-berg, Wert 30 Euro

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Redaktion Mitbestimmung, Hans-Böckler-Straße 39,40476 Düsseldorf, E-Mail: [email protected]: 0211/77 78-225

Plisch und Plum – Beate Klarsfeld – CDU/CSU Den 1. Preis hat Sascha Krejsa aus Potsdam gewonnen. Je einen Gutschein im Wert von 30 Euro erhalten Antje Trosien aus Hersbruch, Toni Rudnik aus Berlin-Neukölln und Alexander Seitz aus Landshut.

auFlÖSunG der rätSelFraGen 10/2013

Der Terror, der in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Juden überall im Deutschen Reich heimsucht, ist ein Fanal. Auf unverhohlene Aufforderung des Regimes werden jüdische Gotteshäuser, Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe durch SA und SS zerstört. Rund 1400 Synagogen werden niedergebrannt; 400 Men­schen finden den Tod. „Kristallnacht“ nennen die Men­schen die düsteren Ereignisse – wegen der Splitter der zerborstenen Glasscheiben, die überall den Weg der Täter säumen. Es ist ein unheimliches, gleichwohl euphemisti­sches Wort für eine Menschenjagd, die für alle Zeit den Übergang von der offenen Diskriminierung der Juden hin zu ihrer systematischen Vernichtung markiert. In den Nachkriegsjahren bleiben die wenigen Überlebenden beim Gedenken meist unter sich. Erst nach und nach wird

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das Datum Teil der Erinnerungskultur. Eine wichtige Rolle spielt das Jahr 1978, in dem sich die Ereignisse zum 40. Mal jähren.

In der Bundesrepublik gibt es 1978 so viele Veranstaltungen, Ausstellun­gen und Bücher wie nie zuvor. Viele Städte erinnern an das Geschehen, so wie die Stadt Oberhausen (Plakatfoto). Das Historische Museum der Stadt Hannover zeigt eine Ausstellung über die Ereignisse des Jahres 1938. Und in der Frankfurter Paulskirche findet am 7. November der Auftakt zu einer Fachtagung der Gewerkschaft GEW unter dem Titel „40 Jahre nach der Reichskristallnacht – Erziehung für eine demokratische Gesellschaft“ statt. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Werner Nachmann, nimmt da­ran ebenso teil wie der hessische Ministerpräsident, der aus einer Rede des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann zitiert: „Es ist Zeit, dass ein freiheitlich­demokratisches Deutschland unsere Geschichte bis in die Schulbüchern hinein anders schreibt.“ ■

Kay MeinerS

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RäTSELhAfTES fUNDSTÜcK

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0211/[email protected]

der heiSSe draht zur redaKtion

TITELTHEMA 12/2013

Gerade eine Generation ist es her, seit die Gewerkschaf­ten sich erstmals mit Computern und Bildschirmarbeit auseinandersetzen mussten. Längst hat die Digitaltech­nik mit ihrem Doppelgesicht unseren Alltag durchdrun­gen: Während sie viele Abläufe vereinfacht und flexibili­siert, bringt sie auch neue Zwänge hervor. Wir zeigen, wie unser eigenes Konsumverhalten unsere Arbeitsplätze verändert. Mit Forschern und Arbeitnehmervertretern reden wir darüber, welche Folgen es hat, wenn Arbeits­prozesse immer schneller, immer komplexer und immer schwerer beherrschbar werden. Viele Fragen stellen sich: Wie kann man gute Arbeit schaffen, wenn Arbeit und Privatleben verschwimmen, Crowdworking­Platt­formen festen Arbeitsverträgen Konkurrenz machen? Wie muss die Arbeitsorganisation verändert werden, damit der Mensch nicht die Kontrolle verliert? Und die eine, große Frage: Werden wir zu Sklaven der Technik, oder nutzen wir sie, um unsere Freiheitsgrade als Konsumen­ten und Arbeitnehmer zu vergrößern?

Digital, mobil, vernetzt

So arbeiten wir heute

iMPreSSuM

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SCC-13

herauSGeBer: Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmungs-,

Forschungs- und Studienförderungswerk des DGB,

Hans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorf

verantwortliCher GeSChäFtSFÜhrer: Wolfgang Jäger

redaKtion:

Cornelia Girndt (verantwortlich), Telefon: 0211/77 78-149

Margarete Hasel, Telefon: 0211/77 78-192

Andreas Kraft, Telefon: 0211/77 78-575

Kay Meiners, Telefon: 02 11/77 78-139

KonzePtion deS titeltheMaS: Cornelia Girndt

Co-redaKtion dieSer auSGaBe: Hasel/Meiners/Kraft

redaKtionSaSSiStenz: Astrid Grunewald

teleFon: 0211/77 78-147

Fax: 0211/77 78-225

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MitGlieder deS redaKtionSBeiratS: Birgit Grafe-Ruhland,

Wolfgang Jäger, Rainer Jung, Birgit Kraemer, Michaela Kuhnhenne, Manuela

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Nicole Ellmann, Roger Münzenmayer, Jörg Volz, Torsten Walker

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Gibt es in Ihrem Betrieb etwas, über das wir unbedingt einmal berichten sollten? Etwas, das richtig gut läuft, oder etwas, über das Sie sich ärgern? Vermissen Sie ein Thema im Magazin? Dann schreiben Sie uns oder rufen Sie uns an.

73Mitbestimmung 11/2013

VORSchAU

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Bernhard BoSCh, 66, hat seinen Ruhestand beendet, um in Albstadt auf der schwäbischen Alb 33 alte Strickmaschinen wieder in Betrieb zu nehmen. Der Textiler ist einer der wenigen, die sie noch bedienen können. Er hat auf den Rundstühlen seine Lehre gemacht.

Textdokumentation und Foto:Knut henKel

Albstadt­Tailfingen, Pfeffingerstraße 49. „Es war eine große Überraschung, als der Firmeninhaber Rudi Loder mich ansprach, ob ich nicht die alten Rundstühle wieder zum Laufen bringen könnte. Rundgestrickten Stoff für die Produktion alter Arbeiterhemden wollte er produzieren. Natürlich war ich sehr überrascht, dass er Abnehmer für diesen Stoff hatte. Der war bis in die 1960er Jahre das Nonplusultra der deutschen Textilindustrie. Ich habe die großen Hallen noch vor Augen, wo unzählige Rundstühle standen und wo ich meine Lehre gemacht und gelernt habe, wie man Maschinen einstellt, den Faden neu einspannt und sie wartet. Dass ich das mal wieder machen kann, hätte ich mir nie träumen lassen. Qualitativ ist der rundgestrickte Stoff deutlich besser als die modernen Baumwoll­stoffe. Die Rundstühle verarbeiten den Faden viel schonender als moderne Strickmaschinen. Zudem sind die Stoffe stabiler. Aber so ein Rundstuhl wie hier in der Gota­Wäschefabrik produziert rund fünf bis sechs Kilogramm Stoff pro Tag. Eine moderne Strickmaschine schafft bis zu 600 Kilogramm. Da hatte der Rundstuhl lange keine Chance – obwohl die Stoffe viel angenehmer zu tragen sind. Genau dieser Tragekomfort hat mir und den Leuten hier in der Fabrik wieder Arbeit beschert. Es gibt eine Reihe Kunden, denen die rundgestrickten Arbeiterhemden im Stil der 20er Jahre gefallen. Die T­Shirts, die hier auf der Schwäbischen Alb aus unserem Stoff hergestellt werden, werden nicht nur in Berlin und Düssel­dorf verkauft, sondern mittlerweile auch in Tokio, Paris und Seoul. Für unser kleines Team ein Glücks­fall, denn wir profitieren von diesem Retrotrend, der auch auf die Qualität von einst setzt. Die Kollegen an den Nähmaschinen müssen richtig aufwendige Stiche beherrschen, um so wie vor 80, 90 Jahren zu produzieren. Ich liefere dafür die Rohware, den feinmaschigen, rundgestrickten Stoff. Der wird auf insgesamt 33 Maschinen hergestellt, wobei jede einer bestimmten Bundweite und somit einer Konfek­tionsgröße entspricht. Der Rundstuhl dort drüben strickt Stoff in der Größe 52, die kleine Maschine dort drüben ist für eine Kindergröße noch nicht wieder im Einsatz. Aber das kann ja noch werden.“ ■

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mEIN ARBEITSPLATZ

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Helga Appel, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Bremen

Dr. Michael Bachner, Rechts-anwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Frankfurt/M.

Frank Bantle, Richter am Arbeitsgericht Heilbronn

Dr. Martin Becker, Richter am Arbeitsgericht Frankfurt/M.

Dr. Olaf Deinert, Professor für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Göttingen, ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht

Dr. Michael Kittner, Professor em. für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Kassel, langjähriger Justitiar der IG Metall

Thomas Lakies, Richter am Arbeitsgericht Berlin

Sonja Litzig, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Bremen

Dr. Udo Mayer, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Hamburg

Christian Schoof, Rechtsanwalt, ehemals Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall, Bezirk Küste

Felix Stumpf, Assessor jur., Justitiariat der IG Metall

Brigitta Winkelmann, Rechtsan-wältin, Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht, Ingolstadt

Dr. Bertram Zwanziger, Richter am Bundesarbeitsgericht in Erfurt

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