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PFLEGE ALLTAG SPEAKERS CORNER 54 Expertenstandards nicht mehr in DNQP-Hoheit? Bisher erarbeitete das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) federführend die nationalen Expertenstandards für die Pflege. Der 7. Expertenstandard wurde am 8. Oktober in Osnabrück vorgestellt – es könnte der letzte sein, den das DNQP in dieser Form erarbeitet hat. D In einer am 30. September veröf- fentlichten gemeinsamen Erklä- rung der Spitzenverbände der Pflegean- bieter und Kostenträger heißt es: „Mit dem am 1. Juli 2008 in Kraft getretenen Pflege-Weiterentwicklungsgesetz wur- de festgelegt, dass auf der Bundesebene die Vertragspartner für die Pflege ver- bindliche Qualitätsstandards festzulegen haben.“ Die Vertragsparteien nach § 113 SGB XI (Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, Vereinigung der Trä- ger der Pflegeeinrichtungen, GKV-Spit- zenverband) einigten sich auf eine Ver- fahrensordnung zur Entwicklung von Standards. Die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft kritisiert in diesem Zusammenhang, dass bei der Erarbeitung der Verfahrensordnung kein Pflegebe- rufsverband beteiligt war und kein pflege- wissenschaftliches Gutachten herangezo- gen wurde. In einem Protestaufruf heißt es: „Mit diesem Verfahren wird nicht nur die in dem Methodenpapier des DNQP differenziert begründete Methode zur Entwicklung von Expertenstandards in wichtigen Teilen außer Kraft gesetzt und konterkariert, sondern auch die Entschei- dung über die Entwicklung und Einfüh- rung von Expertenstandards größtenteils in die Hände von Kosten- und Leistungs- trägern gelegt. Die naheliegende Vermu- tung, dass Kostenerwägungen über denen einer fachlichen Qualität liegen werden, wird mit diesem Vorgehen untermauert.“ Laut dieser Verfahrensordnung, die noch durch das Bundesgesundheitsmini- sterium genehmigt werden muss, sollen die Aufträge zur Erarbeitung dieser Stan- dards öffentlich ausgeschrieben werden. Verliert das DNQP damit die Federfüh- rung bei der Erstellung und Aktualisie- rung der Expertenstandards? Das Vor- schlagsrecht für die Entwicklung von Expertenstandards als auch die Verab- schiedung dieser Standards soll in den Händen der Vertragsparteien liegen. Damit könnten durchaus Interessenkon- flikte zwischen Pflegewissenschaftlern, Leistungserbringern und Kostenträgern entstehen. Welche Folgen könnte das für die Qualität zukünftiger Expertenstan- dards haben? Verlieren die bisherigen Standards ihre Gültigkeit? z 4 DAS MEINEN DIE EXPERTEN Heilberufe 11 | 2008 F K.-Dieter Voß, Vorstand des GKV-Spit- zenverbandes: „An den methodischen Grundlagen der Standardentwicklung wird sich im Vergleich zum bisherigen Verfahren des DNQP wenig ändern. Sie haben sich be- währt. F Rolf Höfert, Geschäftsführer des Deut- schen Pflegeverbandes, DPV, Experte für Pflegerecht: „Nachdem die Pflegeprofessi- on bisher sieben Expertenstandards entwi- ckelt hat und diese inzwischen auch zu den Prüfkriterien des MDK gehören, ist es unver- ständlich, dass der § 113a des Pflegeweiter- entwicklungsgesetzes nun die Definition von Qualität in die Trägerverantwortung legt. » Es besteht die Gefahr, dass jetzt Standards nach Kassenlage definiert werden. Pflegende sind gut beraten, unter rechtlichen Aspekten die bisherigen Standards weiterhin zu realisieren. Denn bei Haftungsfragen die- nen diese der Beweisführung. Makaber wirkt übrigens die Pressemitteilung des GKV-Spitzenverbandes, dass man sich als erstes um einen Standard Dekubitusprophy- laxe kümmern wolle. Sind es nicht die Kos- tenträger, die seit Jahren die Finanzierung der vorbeugenden Maßnahmen verweigern und damit vielen Pflegenden durch den MDK Pflegefehler testieren lassen? DOI 10.1007/s00058-008-0195-7

Expertenstandards nicht mehr in DNQP-Hoheit?

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Page 1: Expertenstandards nicht mehr in DNQP-Hoheit?

PFLEGE ALLTAG S P E A K E R S CO R N E R54

Expertenstandards nicht mehr in DNQP-Hoheit?Bisher erarbeitete das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) federführend die nationalen Expertenstandards für die Pflege. Der 7. Expertenstandard wurde am 8. Oktober in Osnabrück vorgestellt – es könnte der letzte sein, den das DNQP in dieser Form erarbeitet hat.

D In einer am 30. September veröf-fentlichten gemeinsamen Erklä-

rung der Spitzenverbände der Pflegean-bieter und Kostenträger heißt es: „Mit dem am 1. Juli 2008 in Kraft getretenen Pflege-Weiterentwicklungsgesetz wur-de festgelegt, dass auf der Bundesebene die Vertragspartner für die Pflege ver-bindliche Qualitätsstandards festzulegen haben.“ Die Vertragsparteien nach § 113 SGB XI (Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, Vereinigung der Trä-ger der Pflegeeinrichtungen, GKV-Spit-zenverband) einigten sich auf eine Ver-fahrensordnung zur Entwicklung von Standards. Die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft kritisiert in diesem Zusammenhang, dass bei der Erarbeitung der Verfahrensordnung kein Pflegebe-rufsverband beteiligt war und kein pflege-wissenschaftliches Gutachten herangezo-gen wurde. In einem Protest aufruf heißt es: „Mit diesem Verfahren wird nicht nur die in dem Methodenpapier des DNQP differenziert begründete Methode zur Entwicklung von Expertenstandards in

wichtigen Teilen außer Kraft gesetzt und konterkariert, sondern auch die Entschei-dung über die Entwicklung und Einfüh-rung von Expertenstandards größtenteils in die Hände von Kosten- und Leistungs-trägern gelegt. Die naheliegende Vermu-tung, dass Kostenerwägungen über denen einer fachlichen Qualität liegen werden, wird mit diesem Vorgehen untermauert.“

Laut dieser Verfahrensordnung, die noch durch das Bundesgesundheitsmini-sterium genehmigt werden muss, sollen die Aufträge zur Erarbeitung dieser Stan-dards öffentlich ausgeschrieben werden. Verliert das DNQP damit die Federfüh-rung bei der Erstellung und Aktualisie-rung der Expertenstandards? Das Vor-schlagsrecht für die Entwicklung von Expertenstandards als auch die Verab-schiedung dieser Standards soll in den Händen der Vertragsparteien liegen. Damit könnten durchaus Interessenkon-flikte zwischen Pflegewissenschaftlern, Leistungserbringern und Kostenträgern entstehen. Welche Folgen könnte das für die Qualität zukünftiger Expertenstan-dards haben? Verlieren die bisherigen Standards ihre Gültigkeit? z

4 DAS MEINEN DIE EXPERTEN

Heilberufe 11 | 2008

F K.-Dieter Voß, Vorstand des GKV-Spit-zenverbandes: „An den methodischen Grundlagen der Standardentwicklung wird sich im Vergleich zum bisherigen Verfahren des DNQP wenig ändern. Sie haben sich be-währt.

F Rolf Höfert, Geschäftsführer des Deut-schen Pflegeverbandes, DPV, Experte für Pflegerecht: „Nachdem die Pflegeprofessi-on bisher sieben Expertenstandards entwi-ckelt hat und diese inzwischen auch zu den Prüfkriterien des MDK gehören, ist es unver-ständlich, dass der § 113a des Pflegeweiter-entwicklungsgesetzes nun die Definition von Qualität in die Trägerverantwortung legt.

» Es besteht die Gefahr, dass jetzt Standards nach Kassenlage definiert werden.

Pflegende sind gut beraten, unter rechtlichen Aspekten die bisherigen Standards weiterhin zu realisieren. Denn bei Haftungsfragen die-nen diese der Beweisführung.Makaber wirkt übrigens die Pressemitteilung des GKV-Spitzenverbandes, dass man sich als erstes um einen Standard Dekubitusprophy-laxe kümmern wolle. Sind es nicht die Kos-tenträger, die seit Jahren die Finanzierung der vorbeugenden Maßnahmen verweigern und damit vielen Pflegenden durch den MDK Pflegefehler testieren lassen?

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F Prof. Dr. Doris Schiemann, Wissen-schaftliche Leiterin des DNQP, Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege: „Während die gemeinsame Pres-semitteilung der Spitzenverbände der Pfle-geanbieter und Kostenträger doch eher all-gemein gehalten war, konnten wir von Herrn Moldenhauer (GKV-Spitzenverband) auf der 7. Konsensus-Konferenz am 10. Oktober in Osnabrück in seinem Vortrag zur ‚Zukunft der Expertenstandards aus Sicht der Vertrags-partner´ erfahren, dass die von den Vertrags-partnern beschlossene Verfahrensordnung für die zukünftige Entwicklung, Konsentie-rung, Implementierung und Aktualisierung von Expertenstandards eng an der Methodik des DNQP (www.dnqp.de) orientiert sein soll. Unter dieser Voraussetzung ist das DNQP an der Fortsetzung seiner bisherigen Arbeit sehr interessiert. Das Antragschreiben kann uns nicht abschrecken, darin sind wir geübt.

S P E A K E R S CO R N E R PFLEGE ALLTAG

11 | 2008 Heilberufe

F Siegfried Huhn, Krankenpfleger und Pflegepädagoge, Mitglied in der Exper-tengruppe zur Erarbeitung des Exper-tenstandards Sturzprophylaxe: „Ich se-he – insbesondere nach den Ausführungen durch die Spitzenverbände – das Risiko des Qualitätsverlusts. Die Spitzenverbände wollen zum Beispiel bei der zukünftigen Standardentwicklung auf die Prozessebene verzichten. Aus fachlicher Sicht ist das fatal, weil damit die Hinweise zur Umsetzung und inhaltlichen Gestaltung nicht mehr gegeben sind, die von den Praktikern dringend ge-braucht und gewünscht werden. Auch wird überlegt, zukünftig auf die pflege-

wissenschaftliche Erstellung zu verzichten. Aus

meiner Sicht müssen aber Standards dieser

Form unbedingt weitgehend wissenschaftlich

entwickelt werden. Auch der Verzicht auf die

Implementierungsphase führt dazu, dass mög-

liche Praxisprobleme ungeklärt bleiben. Das erscheint fachlich und berufspolitisch ein Desaster zu werden und wird mit Sicherheit zu Akzeptanzproblemen führen.

F Bernd Tews, Geschäftsführer des Bun-desverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa): „Mit dem Pflege-Weiter-entwicklungsgesetz hat der Gesetzgeber die Verantwortung der Entwicklung, Vereinba-rung und Einführung von Expertenstandards der Selbstverwaltung übertragen. Fristge-recht haben die Trägerverbände von Pflege-einrichtungen, der Spitzenverband Bund der Pflegekassen und die Bundesarbeitsgemein-schaft der Sozialhilfeträger eine Verfahrens-ordnung zur Entwicklung und Überarbei-tung der Expertenstandards vorgelegt. Das DNQP wird im Rahmen dieses Verfahrens selbstverständlich berücksichtigt. Die von dort bisher entwickelten nationalen Exper-tenstandards sollen nach der gemeinsamen Verfahrensordnung vorrangig, nach Maßga-be der Selbstverwaltung, überarbeitet und beschlossen werden, und dann durch Veröf-fentlichung im Bundesanzeiger verbindlich für alle Pflegeeinrichtungen gelten. Neben einer umfänglichen Ausrichtung an der Pra-xis von Pflegeeinrichtungen wird zukünftig eine Kosten-Nutzen-Analyse Bestandteil der Entwicklung und Modellerprobung in den verschiedenen Einrichtungstypen sein. Es ist

Wie bisher werden Aufträge zur Entwicklung von Expertenstandards ausgeschrieben. Alle, die sich mit ihrem Fachwissen bereits bisher und dankenswerterweise für die Qualitäts-entwicklung in der Pflege engagiert haben, sind eingeladen, dies auch weiterhin zu tun. Bewerbungen nach erfolgter Ausschreibung sind willkommen. Als administrative Anlauf-stelle wird hierfür beim GKV-Spitzenverband eine Geschäftsstelle eingerichtet. Im Moment steht die Genehmigung der Verfahrensord-nung durch die zuständigen Bundesministe-rien noch aus. Sobald sie vorliegt, kann und wird das Plenum der Vertragsparteien seine Arbeit aufnehmen. Einigkeit besteht darin, zunächst die bereits vorliegenden Experten-standards zu bewerten und gegebenenfalls Aktualisierungen in Auftrag zu geben.“

Wird ein institutioneller Rahmen geschaffen, innerhalb dessen weiterhin auf dem Stand der Kunst und mit unabhängiger metho-discher Steuerung gearbeitet werden kann, sind Qualitätsabstriche bei zukünftigen Ex-pertenstandards nicht zu befürchten. Da im Gesetzestext (§ 113a SGB XI) steht, dass in der Verfahrensordnung, das Vorgehen auf anerkannter methodischer Grundlage, ins-besondere die wissenschaftliche Fundierung und Unabhängigkeit´ zu regeln ist, sind wir zuversichtlich, dass das auch geschieht.”

sichergestellt, dass den Pflegeeinrichtungen und Pflegekräften ausreichend Zeit zur Ein-führung und Umsetzung der Standards in die Praxis zur Verfügung gestellt wird.Wir begrüßen, dass die Entscheidungs-kompetenz über die Expertenstandards in die Hände der Selbstverwaltung gelegt wurde, die Praxis der Pflegeeinrichtungen und deren Pflegekräfte stärker berücksich-tigt wird und die pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse sich einer Wirkungs- sowie Kostenanalyse unterziehen müssen, bevor sie umgesetzt und dann sowohl für Kosten- als auch Einrichtungsträger verbindlich sind.“