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Fremdsprache Deutsch Sprachenvielfalt im Klassenzimmer Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts Heft 31 I 2004

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Fremdsprache Deutsch

Sprachenvielfaltim Klassenzimmer

Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts

Heft 31 I 2004

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INHALT Heft 31: Sprachenvielfalt im Klassenzimmer

INGELORE OOMEN-WELKE /HANS-JÜRGEN KRUMM:

5 Sprachenvielfalt – eine Chance für den Deutschunterricht

MICHEL CANDELIER:14 Sprachen- und Kulturenvielfalt

in der GrundschuleEvlang: Ein Beitrag zur Verwirklichung von Zielender europäischen Sprachenpolitik

BRITTA HUFEISEN:19 Deutsch und die anderen (Fremd)Sprachen

im Kopf der Lernenden Wie man dieses Potenzial im Deutschunterrichtnutzen kann

24 Der Baum der Mehrsprachigkeit Von Eva-Maria Jenkins

EVANGELIA KARAGIANNAKIS:25 Von schönen Schwestern, politischen

Brüdern und GesetzesmütternFamilien- und Verwandtschaftsbezeichnungen im mehrsprachigen Deutschunterricht

SUSANNE REIF-BREITWIESER:30 „Wir sprechen zehn Sprachen“

Bericht über ein multilinguales Sprachenprojektin mehreren Teilen

JUTTA KEPSER:36 „Su nerede?“ – „Wasser wo?“

Das Modellprojekt „Interkulturelle Märchendidaktik“

DORIS WILDENAUER-JÓSZA:38 „Ich vergleiche immer ...“

Wie erwachsene Deutschlernende ihre Sprachen-kenntnisse einsetzen: Beispiel Grammatik

OLGA ESTEVE:44 Language-Awareness im mehrsprachigen

Kontext KataloniensLernaktivitäten zum Aufbau eines ganzheitlichenSprachlernkonzepts

Länderbericht UngarnMÁRTA S. RÁBAI:

48 Deutsch und andere Sprachen in ungarischen Schulen

Länderbericht GhanaSEBASTIAN K. BEMILE:

52 Sprachenvielfalt in Ghana – auch im Deutschunterricht

R U B R I K E N

4 Impressum 4 Editorial 56 Bücher, Zeitschriften, Internet-Adressen

zum Thema 58 Aktuelles Fachlexikon59 Rezensionen61 Unsere Sprachecke62 Litfaßsäule, Termine64 Unsere Autorinnen und Autoren

ANGEBOT! Siehe Bestellformular

in der Mitte des Heftes.

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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EDITORIALLiebe Leserin, lieber Leser,

schon beim Durchblättern werden Sie feststellen,dass sich dieses Heft von allen bisherigen stärkerunterscheidet, als Sie es gewohnt sind: Sie werden mit einer Vielzahl faszinierender Schrift-zeichen erfreut, verunsichert, neugierig gemacht.Damit läuten wir aber keinen Paradigmenwechselin der Fremdsprachendidaktik ein – nach demMotto: Von der Einsprachigkeit zum babyloni-schen Sprachenpotpurri, vom Unterricht Deutschals Fremdsprache zum Unterricht von Fremd-sprachen mit u.a. Deutsch.

Was beabsichtigt dann aber ein Heft mit demThema „Sprachenvielfalt im Klassenzimmer“?

Die beiden Herausgeber sagen dazu in ihrem Ein-leitungsbeitrag Spannendes und Bedenkenswertes.Ich möchte diesem Beitrag und dem Heft einigewenige Bemerkungen vorausschicken: Vielfalt undToleranz sind komplementäre Begriffe. Je vielfältigerund damit unterschiedlicher unsere Welt ist, destomehr ist gegenüber dem Anderen eine offene, tole-rante Haltung Voraussetzung für eine konfliktfreieVerständigung und schrittweise Annäherung.

Andere Sprachen spielen unter lernpsychologi-schen Gesichtspunkten eine wichtige Rolle injedem Fremdsprachenunterricht. Sie können aberauch einen Beitrag zur Verwirklichung einer ewigen Utopie leisten: der einer verständnisvollmiteinander lebenden multikulturellen Gesellschaftund Welt.

Die ästhetische Seite dieser Vielfalt springt insAuge. Dieses Heft zeigt auch, wie sichtbar schönSprachen sein können; eine intensivere Beschäf-tigung mit dem Heft wird Sie hoffentlich über-zeugen können, wie herausfordernd Sprachen-vielfalt auch in Ihrer Klasse sein kann.

Einen herzlichen Gruß vonBERND KAST

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer4

IMPRESSUM

Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts

herausgegeben vom Vorstand des Goethe-Instituts undPeter Bimmel, Hans-Jürgen Krumm, Gerhard Neunerim Verlag Ernst Klett Sprachen GmbH, Klett EditionDeutsch, Stuttgart

Schriftleitung und Vertretung des Goethe-Instituts:Bernd Kast, Fortbildungsdidaktik

Redaktionsbeirat des Goethe-Instituts: Edith Bialké, Robert Fallenstein, Hildegard Kirchner

Korrespondierendes Mitglied: Diethelm Kaminski (Zentralstelle für das Auslandsschulwesen)

Verantwortlich für dieses Heft: Ingelore Oomen-Welke,Hans-Jürgen Krumm

Redaktion: Eva-Maria JenkinsSatz und Gestaltung: Peter ChalupnikAnzeigenleitung: Klett Edition DeutschDruck: Ludwig Auer GmbH, DonauwörthTitelbild: Sprachenporträt (Sammlung Hans-Jürgen Krumm) Zeichnungen auf den Seiten 24, 26: Dorothee Wolters

Die Schriftenbeispiele auf den Seiten 14, 19, 36 stammenaus: Harald Haarmann: Universalgeschichte der Schrift.Frankfurt/New York: Campus Verlag 1991, 2. Aufl.

Themen der nächsten Hefte:• Ordnung und Variation in Satz und Text• Lust auf Internet• Prüfungsvorbereitung und Evaluation (Arbeitstitel)

Für FREMDSPRACHE DEUTSCH gibt es ein Jahres-abonnement mit zwei regulären Heften zum Preis vonEuro 16,50 zuzüglich Versandkosten, das Einzelheftkostet Euro 9,60 zuzüglich Versandkosten (2005). Die Abonnementdauer beträgt ein Kalenderjahr und läuft automatisch weiter, wenn nicht 2 Monate vorAblauf eines Jahres gekündigt wird.

© Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechtevorbehalten. Auch unverlangt eingesandte Manuskriptewerden sorgfältig geprüft. Unverlangt eingesandteBücher werden nicht zurückgeschickt.

Die als Arbeitsblatt oder Kopiervorlage bezeichneten Unter-richtsmittel dürfen bis zur Klassen- bzw. Kursstärke ver-vielfältigt werden.

Adresse der Schriftleitung: Bernd KastGoethe-Institut, Bereich FortbildungsdidaktikPostfach 190419, D-80604 München Tel.: 089/1 59 21-295; mailto: [email protected]

Bezugsadresse: Ernst Klett Sprachen GmbH,Klett Edition DeutschPostfach 106016, D-70049 Stuttgart, Tel.: ++49/711/6672-5730; Telefax: ++49/711/6672-2004Internet: www.klett-edition-deutsch.deE-Mail: [email protected]

Tel./Fax der Redaktion: ++43/ 1/523 54 48

ISBN 3-12-675559-3

ISSN 0937-3160

Heft 31/2004

Wie die Herausgeber nach Redaktionsschluss erfahrenhaben, ist Hans-Eberhard Piepho, Mitbegründer undMitherausgeber von FREMDSPRACHE DEUTSCH von1989 bis 1994, am 11. September 2004 im Alter von75 Jahren gestorben. Wir erinnern uns dankbar an diegemeinsame Arbeit und die vielen Impulse, die wir vonihm empfangen haben.

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Unser Thema ist das Lernen der deutschen Spracheim Kontext der Vielfalt von Sprachen: in der weitenWelt sowie an konkreten Orten, im praktischenGebrauch zwischen Sprachgruppen sowie in denindividuellen Köpfen der Sprechenden, in Sprach-kultur und Sprachenpolitik, wo über sprachliche Bildung und über Fördermaßnahmen entschiedenwird oder wo auch Sprachen ins Abseits gedrängtwerden. Davon handeln die Artikel dieses Heftes.

Die meisten Autoren und Autorinnen haben eine gemeinsame Vision: Das Interesse für und die Beschäftigung mit eigenen und anderen, auchfremden Sprachen verhilft zu sprachlicher Bewusst-heit; Sprachlernbewusstheit entsteht und unter-stützt das Sprachenlernen; Offenheit für andereSprachen und Kulturen führt zu Offenheit gegen-über den Menschen, also zur Verständigung überinnere und äußere Grenzen hinweg. Deutschunter-richt als Mutter-, Zweit- und Fremdsprache kannzusammen mit anderem Sprachunterricht dazubeitragen.

Was den Deutschunterricht betrifft, so beziehenwir uns auf Konzepte, die heute im weiten Sinneunter Language Awareness (Sprachaufmerksamkeit,Sprachbewusstheit) bekannt sind und die auf mög-lichst selbst gesteuerte Methoden des Sammelns,Sichtens, Vergleichens, Konstruierens von Sprach-ausdrücken zielen; das Projekt Evlang, das MichelCandelier in seinem Beitrag vorstellt, nutzt diesenAnsatz für das Sprachenlernen in der Grundschu-le. Auch Olga Esteve nutzt den Ansatz der Sprach-aufmerksamkeit, um den Lernenden ihre Spra-chenbiografien bewusst zu machen und damit zuihrer Lernautonomie beizutragen.

1. Lebensweltliche Mehrsprachigkeit

Kinder kommen in allen Ländern auf natürlichemWege mit vielen Sprachen in Berührung, mit denSprachen in der Familie, in der Nachbarschaft, inKindergarten und Schule, in den Medien.Sie erkennen, dass es verschiedene Spra-chen und auch Sprachvarianten gibt (siehe Kasten 1).

In vielen Ländern der Welt gehört dieMehrsprachigkeit zum gesellschaftlichenund öffentlichen Leben, und Kinder habenvon klein auf daran teil, sind selbst mehrsprachig.Manche haben zwei oder drei Familiensprachen,

Äußerungen von Schulkindern im deutschsprachigen Raum

Türkisch ist meine Heimatsprache und dann kann ich noch Französisch und Englisch (Ilham, 11 J.)

Ich hab Deutsch im Kindergarten gelernt - da kam so eine extra Frau und hat nurmich genommen zum Lernen - dann hat sie mich auf den Schoß genommen und hatso ein Buch gehabt - da waren immer so Bilder drauf - und dann hat sie gesagt dieHaarfarbe ist braun oder das ist ein Mensch - das ist ein Affe - das hat sie immer sogemacht (Sibel, 12 J.)

... und dann hab ich auch so mit der Zeit auch gelernt das war was anderes (als dieMuttersprache zu lernen) das war schwieriger - für die Ausländer ist es schwieriger -Deutsch zu lernen - und bei uns sind die Griechen - und da ist einer - der versucht -dem bring ich jetzt auch Deutsch bei - für den ist es ziemlich schwierig - (wie?) ja -ich sag halt einen Satz - und - da plappert die nach - manchmal schreiben wir auchwas - (es ist schwieriger) weil das eine ganz andere Sprache ist - wenn die - wenn dielänger in ihrem Lan - Land sind - dann kommen sie - in ein anderes Land - müssensie es jetzt erst mal lernen – und - wird ganz schön schwierig ... (Valentin, 14 J.)

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SPRACHENVIELFALT – EINE CHANCE FÜR DEN DEUTSCHUNTERRICHTVON INGELORE OOMEN-WELKE UND HANS-JÜRGEN KRUMM

In vielen Ländern der Weltgehört die Mehrsprachigkeitzum gesellschaftlichen undöffentlichen Leben, und Kinderhaben von klein auf daran teil.

Kasten 1

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In vielen Ländern lernen fast alle Kinder minde-stens eine Schulfremdsprache (siehe Kasten 2, Bei-spiel Japan). Das heißt: Überall auf der Welt, imdeutschen Sprachraum und anderswo, wachsenMenschen in mehrsprachigen Kontexten auf. Dasgilt auch für ein Land wie z.B. Ghana (ca. 60 Spra-chen, davon sind 12 als Schulsprachen zugelassen)und viele andere Länder in Afrika und Asien, indenen verschiedensprachige Ethnien zusammen-leben. Das gilt ebenso für Länder, die wir als schein-bar einsprachig wahrnehmen, in denen es jedochgleichfalls kleine oder große Sprachgruppen gibt. Sohaben z.B. die Länder, die 2004 der EuropäischenUnion beigetreten sind, Minderheitensprachen(darunter z.B. auch Russisch) mit in die EUgebracht. Schließlich existiert Mehrsprachigkeit inLändern wie z.B. Portugal, Frankreich oder den Nie-derlanden aufgrund der kolonialen Vergangenheitund / oder der Zuwanderung.

Zweisprachige Familien oder Menschen, die auf-grund ihrer Migrationsgeschichte in vielen Spra-chen zu Hause sind, werden für den Deutsch-unterricht überall auf der Welt zum Normalfall.

oft werden sie in der Schule in einer neuen Sprachealphabetisiert und unterrichtet.

Beispiel Dakar im Senegal: Ein Mädchen,Fatou, lernt in der Familie Bambara von derGroßmutter, Peul vom Vater, Serer von der Mutter. Wolof lernt es auf der Straße. Als es indie Schule kommt, wird es in Französischunterrichtet. Im Collège bekommt es Englischals erste Fremdsprache. Deutsch wählt es abKlasse 10 des Lycée.

Evangelia Karagiannakis zeigt in ihrem Beitrag, wieder Deutschunterricht bei den Familienbeziehun-gen und -bezeichnungen der Kinder ansetzen unddabei die verschiedenen Sprachen der Lernendennutzen kann.

Gekonnte und gelernte Sprachen, Beispiel Japan.1

Marianne

1) Ich habe beim Philipinische Sprache mehr gemalt weilmeine Mutersprache ist.

2) Ich habe auch beim Englisch Sprache ein bisschenmehr gemalt weil auch manchmal meine Muterspracheund ich habe schön früher Englisch gelernt hat als ichnoch Kind war.

3) Ich habe beim Deutsch Sprache auch nicht mehr gemaltweil ich kann noch nicht so gut Deutsch sprechen kann.

4) Beim Spanisch habe ich wenig gemalt weil ich kannauch nicht gut Spanisch kann. Und weil auch in unsereSprache gemischt ist.

5) Meine Lieblings Sprache auf der Welt ist Philipinischund Englisch.

6) Ein bisschen mag ich Deutsch.

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer6

Zweisprachige Familien oderMenschen, die aufgrund ihrerMigrationsgeschichte in vielenSprachen zu Hause sind, wer-den für den Deutschunterrichtüberall auf der Welt zum Normalfall.

Kasten 2

Kasten 3

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Das beschreibt zum Beispiel Marianne (Kasten 3),die mit Farben ihre verschiedenen Sprachen zueinem bunten Sprachenporträt zusammengefügthat (Krumm 2001, 72/73).

Sprachen in jungen Köpfen

Die vielsprachige Lebenswelt prägt die Kinder. Ausdem sprachlich Wahrgenommenen konstruieren sieihre Vorstellungen von Sprachen und entwickelnEinstellungen dazu. Zweisprachig aufwachsendeKinder lernen schon im ersten Sprachalter, dass die-selbe Sache verschieden benannt werden kann. Sieverbinden die Sprachen zunächst mit den Personen,die sie sprechen. Etwas später fragen Kinder diesePersonen regelmäßig nach Wortentsprechungen inihren Sprachen: „Wie sagst du Käse? Wie sagst duKindi (= Kindergarten)?“ Diese Entwicklung zeigt,dass zweisprachige Kinder schon früh zwischen denSachen und den Namen dafür unterscheiden lernen– dies wird später ein wichtiges kognitives Ziel desSprachunterrichts sein.

Aufmerksamkeit ist die Basis des Lernens. Lernenfindet mehr (oder sogar überhaupt nur) bei Auf-merksamkeit statt, sagen Neurobiologen (vgl. Roth1998). Von klein auf sind Kinder aufmerksam aufVisuelles, Akustisches, Taktiles. Sprachen nehmensie zunächst akustisch wahr, später auch visuell,und sie vergleichen das Wahrgenommene mit demin ihrem Kopf schon Vorhandenen. Jüngere Kindernehmen Sprachen, die nicht die ihren sind, zu-nächst als unverständlich wahr – und lachen oderwerden böse. Aber: Viele Kinder wollen sich denanderen, fremden Sprachen gern annähern, sofernsie es nicht unter Druck tun müssen. Sie wollen einWort oder mehrere kennen lernen. Sie wollen oftauch darüber sprechen. Mit ihren Kenntnissenprahlen sie dann gern, auch schon vor dem Schul-alter und auch noch später (siehe Kasten 4).

Das Interesse der Kinder an anderen als der eige-nen Sprache und das Sprachkönnen der zwei- undmehrsprachigen Kinder geben keine schlechte

Mischung ab. Wenn Kinder Gelegenheiterhalten, über die Sprachen zu sprechen,setzt das einen Reflexionsprozess auf bei-den Seiten in Gang. In der Grundschulegibt es viele Beispiele dafür, dass Kindersich spontan über ihre Sprachbeobach-tungen äußern. Beobachtungsfelder sindÄhnlichkeiten des Klangs in den Sprachen oder auf-fällige, weil häufige Wörter (siehe Kasten 5).

Ältere Lernende dagegen, die schon eine Be-wusstheit ihrer Muttersprache erworben habenund / oder mit mehreren Sprachen in Kontaktgekommen sind, haben sich meist eine Strategiedes Verstehens und Lernens erarbeitet. Fast alle vergleichen beim Deutschlernen den neuen Wortschatz mit ihren anderen Sprachen; bei neuengrammatischen Strukturen differenzieren sie eher – der Beitrag von Doris Wildenauer-Józsa indiesem Heft liefert Beispiele dafür.

Die Beispiele belegen eine allgemeine Wachheit(Vigilanz) gegenüber Sprachen, zeigen aber auchschon Ansätze einer gezielten, selektiven Aufmerk-samkeit.2 Beides unterstützt sich gegenseitig, beidesgilt es beim Sprachlernen auszubauen. Vigilanz undselektive Aufmerksamkeit sichern, dass der Unter-richt nicht spurlos an den Lernenden vorübergeht.Vor allem die selektive Aufmerksamkeit bedarfallerdings gezielter Methoden, um zu Ergebnissenzu kommen, die wiederum motivieren können.

Wissen über Sprachen

Um herauszufinden, was und wie Kinder undJugendliche in einer mehrsprachigen Lebensweltüber Sprachen denken und welche Einstellungensie dazu entwickeln, sollte man sie danach fragen.Größere Untersuchungen darüber gibt es kaum;daher verweisen wir hier auf eigene Studien. Ineinem Projekt an der Pädagogischen HochschuleFreiburg wurden etwa 200 Schülerinnen undSchüler nach ihren Sprachenvorstellungen befragt(vgl. Kasten 1, 4, 5, 6, 7). Die Befragung wurde 2001auf mehrere europäische Länder ausgedehnt. 3

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Kinder über andere Sprachen

Ich kann Französisch - wo ich doch schon Alouettesingen kann! (Kosta, 3,3 J.)

Ich kann Deutsch und ich kann von Deutsch und Englisch und Französisch und Italienisch bis zehn zählen!

(Nadia, 2. Klasse)

Kinder über ihre Sprachbeobachtungen

Ich kenn ein Lied auf Türkisch - da singen sie immer yok (Rebecca, 9 J.)

Russisch ‚rot’ heißt ja Mund!(Valentina, 8 J.)

Wenn Kinder Gelegenheiterhalten, über ihre und dieSprachen der anderen zu sprechen, setzt das einenReflexionsprozess auf beidenSeiten in Gang.

Kasten 4 Kasten 5 Kasten 5

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Es ist erst einmal aufschlussreich, welche Spra-chen der Welt Kinder und Jugendliche in Europanennen können. Außer der (oder den) offiziellenSprache(n) ihres Landes nennen sie vor allen ande-ren Englisch. Sie kennen auch weitere Sprachen vonMinderheiten im eigenen Land; Dialekte werdenvon einigen als Sprachen angesehen. Sprachen ver-schiedener Nachbarländer sind ihnen bekannt. Beientfernteren Erdteilen unterstellen sie eine Sprachefür den Erdteil (Afrikanisch, Amerikanisch), den-noch werden Chinesisch und Japanisch meistgesondert aufgeführt. Offensichtlich glauben diemeisten, dass genau eine Sprache zu genau einemLand gehöre.

Was unterscheidet Sprachen voneinander? Verbrei-tet ist die Antwort, dass sie eben verschieden seien.Es werden Beispiele für Ähnliches und Verschiede-nes vorgebracht (siehe Kasten 6).

Die meisten Kinder und Jugendlichen haben keinoperationales Instrumentarium oder keine Sprach-mittel zur Verfügung, um Unterschiede zu beschrei-ben. Aber meist wissen die Kinder genau, mit wemsie selbst welche Sprachen gebrauchen.

So führten Kinder in Wien bei der Frage nachihren Sprachen die Sprache „Parkisch“ an, jeneSprachmischung aus Deutsch, Türkisch, Bosnisch,und Kroatisch, die sie untereinander beim Spielenim Park gebrauchen.4

Fast alle Antworten von Kindern und Jugend-lichen in der Freiburger Untersuchung orientierensich am Wortschatz, der bei Sprachen offenbar amfasslichsten ist. Manche nennen schon Teilberei-che, in denen sich Verschiedenheit manifestiert, z.B.Aussprache und Rechtschreibung, Lexik und gegen-seitige Unverständlichkeit und dass man die Spra-che und die Geschichte der betreffenden Ländererst lernen müsse. Einige Befragte verweisen in die-sem Zusammenhang – gegenläufig zur Frage, wasjedoch ihr eigenständiges Denken dokumentiert –

auf Ähnlichkeiten durch Wörter gemeinsamer Her-kunft, Lehnwörter und Internationalismen.

All diese Beispiele geben Aufschluss über das pro-zedurale Wissen bzw. das operative Können. Dabeiwerden – meist ungeschult und naiv – ähnlicheMorpheme und Lexeme ermittelt und semantischeAspekte gestreift. Die vergleichenden Operationenbeziehen sich sowohl auf verschiedene Sprachenals auch auf Standard versus Dialekt (siehe Kasten6). Einzelne Kinder wagen sich bis in theoretischeBereiche vor. Andere sprechen über Subsprachen(baby talk) und andere Zeichensysteme (Geheim-sprachen, Tiersprachen), über Sprachentstehungund semantische Aspekte. Das bezeichnen siedann als besonders interessant. Viele haben Detail-kenntnisse oder Bereichswissen, dem der Ort imsystematischen Zusammenhang meist noch fehlt.Wörter sind für sie Buchstabenkombinationen, nurgelegentlich bezeichnen sie Wörter als Sinneinhei-ten; den Plural erkennen sie an den Suffixen; Satz-strukturen und der Unterschied der Genera laufenüber ein unsystematisches semantisches Erken-nen.

Einstellungen zu Sprachen

Einstellungen von Kindern und Jugendlichen zuihren Sprachen kommen unweigerlich zur Sprache,ob man danach fragt oder nicht. Wenn Kinder ihrSprachporträt zeichnen, d.h. jede Sprache mit eineranderen Farbe in ihre Silhouette malen (siehe Titel-bild), dann wird die Muttersprache oft rot und als Herz gemalt, Englisch kommt öfters als Reise-sprache in die Füße, die Lernsprache Deutsch inden Kopf.

Das Gespräch über Sprachen gibt dem Nachden-ken der Kinder und Jugendlichen oft einen kleinenSchubs in Richtung metasprachlicher Reflexionen.Im Beispiel in Kasten 7 etwa wird die Unterschei-dung zwischen Wort und Gegenstand angebahnt.

Deutlich sichtbar ist in solchen Beispielen dasreflektorische Potenzial der Lernenden. Offensicht-lich benötigen sie ein Ohr (oder einige Ohren), dasihre Reflexionen aufnimmt, sowie die sanfte Len-kung durch einen Lernberater oder eine Lernbera-terin. Sie brauchen kognitive und operationaleKenntnisse für ihren Umgang und ihre Einstellun-gen zu den Sprachen und Varietäten, so dass sie all-mählich Sprachsicherheit gewinnen können.

Vielsprachiger Deutschunterricht

Die in den Kästen wiedergegebenen Äußerungensind mehrheitlich durch direkte Befragung von

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer8

Schulkinder und Sprachvergleich

Da gibt’s auch Ähnlichkeiten, wenn zum Beispiel house ‚das Haus’ oder garden ‚derGarten’ the lamb ‚das Lamm’ oder was zum Beispiel verschieden ist - flower ‚Blume’

(Sara, 12 J.)

(Dialekt ist) ein abgeändertes Deutsch ein bißchen - I bin hiekeit - ‚ich bin hingefallen’...Dort sind manche Wörter verändert oder ein paar andere Buchstaben eingesetzt -dort in - das ist ein Moskauer Dialekt - normalerweise heißt es auf Russisch Moskwaund wir in Moskau sprechen Maskwa - eigentlich sprechen wir zu Hause diesenMoskauer Dialekt (Michail, 10 J.)

Kasten 6

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Kindern und Jugendlichen gewonnen. Einige Bei-spiele stammen aus dem Anfangsunterricht derjeweiligen Länder. Dass das Thematisieren vonSprachbeobachtungen durch die Lernenden baldnachlässt, wenn die Lehrperson nichts mit den Mit-teilungen über Sprache anzufangen weiß, ist einbedauerliches Faktum. So entgehen den Lehrper-sonen Einblicke in das Denken und die subjektivenTheorien von Lernenden wie auch Anknüpfungs-möglichkeiten für ihren Unterricht.

Man kann das jedoch ändern! Unsere Aufgabe istes, in den Beobachtungen der Kinder ihr Interesse,ihre „Vor-/Prä-Konzepte“ und ihr reflektorischesPotenzial zu erkennen und darauf Lernprozesseaufzubauen. Die Lernprozesse können entwederdirekt an das Denken der Lernenden anschließen,indem sie deren Beobachtungen und Ideen auf-greifen und sie eventuell modifizieren, in jedem Fal-le aber erweitern. Sie können der reflektorischenDisposition der Kinder neues Futter geben, indemsie die Präkonzepte und das Gewusste mit neuemSprachmaterial kontrastieren. Das geht, indem wirin den Äußerungen der Kinder Themenvorschlägesehen und sie aufgreifen.

Eine einfache Möglichkeit, an die Ideen der Ler-nenden und ihre vielen Sprachen anzuknüpfen, istdie Frage: Gibt es in den Sprachen, die ihr kennt,gleich klingende Wörter? Jugendliche Aussiedlerhaben Wörter gesucht, die im Deutschen undRussischen ähnlich klingen. Natalja, 14 Jahre, hatknapp 400 Wörter gefunden und alphabetischgeordnet (siehe Beispiele in Kasten 8).

Die hier zitierten Schüleräußerungen belegennicht nur die in verschiedenen Ländern bestehen-de Sprachenvielfalt, sie zeigen auch Möglichkeitenzur genaueren Untersuchung des sprachlichenMaterials. Dass lässt sich, wie dieses Heft zeigt, imUnterricht erweitern und vertiefen. Man kann mitLauten arbeiten, mit Wörtern und Wortbausteinen,mit Satzstrukturen.

Schüler und Schülerinnen lernen dabei, an Spra-chen zu arbeiten, Fragen zu stellen, ihr Vorgehengemeinsam zu planen, genau hinzusehen und zuvergleichen, zu Ergebnissen zu kommen, diese zupräsentieren. Heute nennt man dies Methoden-kompetenz; sie ergibt sich in einem weitgehend

selbst gesteuerten Unterricht, in dem die Sprachenund Fragen der Lernenden eine Rolle spielen. Die-ser Zusammenhang ist uns wichtig.

Dabei muss der Unterricht nicht stehen bleiben.Die genannten Befragungen zeigen, dass Kinderund Jugendliche sich für ihre eigenen und für ande-re Sprachen, für Sprachenverschiedenheit, fürSprachgeschichte und für Sprachentstehung inter-essieren. Aus diesen Bereichen könnten also für denUnterricht thematische Angebote und Arbeitsvor-schläge entwickelt werden. Hier einige Beispiele:� Gearbeitet werden kann an kleinen Texten in

zwei Sprachen, seien es Sprachen verschiedenerHerkunft, verwandte Sprachen oder eine Stan-dardsprache und einer ihrer Dialekte.

� Schriftsysteme können betrachtet, Alphabet-und logographische Schriften verglichen wer-den.5 Beim Schreiben mit dem lateinischenAlphabet lässt sich z.B. herausfinden, dass ver-schiedene Sprachen das graphemische Inventarunterschiedlich nutzen, so u.a. imBereich der Reibelaute [f; v] und derZischlaute [s; ∫].

Das Sprechen über einzelnde Probleme,zu deren Lösung die Kinder beitragen,muss von Zeit zu Zeit durch ordnendeMomente ergänzt werden. Das Erkann-te wird dabei noch einmal umgewälztund vertieft sowie an seinen Platz ineinem übergeordneten Zusammenhanggestellt: Was haben wir jetzt herausgefunden, undwie erweitert das unser Wissen über Sprachen? Es istnämlich von erheblicher Bedeutung, dass die Ler-nenden ihren Lernfortschritt erkennen und veror-ten können, damit sie motiviert weiterlernen.

Jutta Kepser berichtet in ihrem Beitrag vonmehrsprachigen Unterrichtsprojekten, die zur Ent-wicklung von Sprachwissen und Sprachbewusstheitbeitragen.

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„Schule“

Schule hört sich blöd an - [Hört sich Schule auf Englischdenn besser an? – fragt die Interviewerin] Nee - aber ichglaub das liegt nicht am Wort - das liegt an der Schule

(James, 11 J.)

Wörter, die im Deutschen und im Russischen ähnlich klingen.

Deutsches Wort Russisches Wort Aussprache (IPA)*

Allergie a€ €ep„sfl Al4r*gi:ja

Balkon ·a€ÍÓÌ balk*o:n

Dialog ‰ sa€Ó„ dia*lCk

Fabrikant Ùa·psÍaÌ‚ fabri*kant

Motor ÏÓ‚Óp m a*to:r

Pension fleÌcsfl *p4nsija

Eine einfache Mög-lichkeit, an die Ideender Lernenden undihre vielen Sprachenanzuknüpfen, ist die Frage: Gibt es in den Sprachen, die ihr kennt, gleich klingende Wörter?

Kasten 7 Kasten 8

* Aussprache einer russischen Deutschlehrerin.

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Sprachenvielfalt jugendlicher underwachsener Deutschlerner

Ein besonderer Blick gilt noch den Jugendlichenund Erwachsenen, auch wenn die Ausführungenoben sie einschließen. Erwachsene ohne schulischeSprachbildung sind sich der Mehrsprachigkeit ihrerLebenswelt vielfach kaum bewusst und Migrationoder Flucht desorientieren sie sprachlich. Umsowichtiger wäre es, ihre Spracherfahrungen zu akti-vieren und sie zu ermuntern, aktive Teilnehmendedes Sprachkurses zu werden. SpachlernerfahreneErwachsene dagegen haben im Fremdsprachen-lernprozess oft zu hören bekommen, sie dürften dieZielsprache, z.B. Deutsch, mit keiner anderen ver-gleichen. Auf Befragen stellt sich dann öfter heraus,dass sie es trotzdem tun, aber schlechten Gewissens(vgl. den Beitrag von Wildenauer-Jósza in diesemHeft). Eine Ermutigung zur Nutzung der Sprachenals Lernstrategie hilft ihnen ein Stück weiter.

Sprachenvielfalt ist auch in Kursen für Jugend-liche und Erwachsene oft in zweifacher Weise vorhanden: Zum einen sind die Lerngruppen derSprachenschulen meist sprachlich und kulturellheterogen zusammengesetzt, zum zweiten ist fastjeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin schon mit mehreren Sprachen in Kontakt gekommen. Vielestammen aus mehrsprachigen Ländern, und dieSprachen dort haben je nach Herkunftsland unter-schiedlichen Status: In Kasachstan z.B. wird Rus-sisch neben Kasachisch gleichberechtigt als zweiteVerkehrssprache gesprochen. In der Türkei wurdenandere Sprachen als Türkisch bisher nicht aner-kannt (z.B. Kurdisch) oder nur für bestimmteZwecke benutzt (z.B. Arabisch für den Koran). InWestafrika spielen die einheimischen Sprachengegenüber dem Französischen im öffentlichenLeben und im Bildungssystem eine untergeordne-te Rolle, im sozialen Leben aber eine bedeutendeusw. Die Menschen dort haben fast alle Englischgelernt, sei es als Muttersprache, als offizielle Spra-che oder als Fremdsprache, und manche könnenFranzösisch.

Diese sprachliche – und damit verbunden kulturel-le – Kompetenz der Lernenden ist ein Potenzial,

das nicht ungenutzt bleiben darf.Lernökonomisierung, Erweiterungsprachlichen Wissens und nichtzuletzt der Spaß am Entdecken undVerstehen sprachlicher Phänomenesind überzeugende Argumente

dafür, im Unterricht an das vorhandene Wissen undKönnen anzuknüpfen und es auszubauen. Norma-lerweise kommt es nicht zur Sprache, weil erst

wenige Lehrwerke den reflektierenden Bezug zuden Ausgangssprachen vorsehen und die Lehr-person die Sprachen nicht kennt. So spielt sichSprachenvergleich unbegleitet in den Köpfen derLernenden ab und wird nicht wirklich genutzt.

Könnte das anders sein? Ja, wenn im Kurs Raumdafür wäre, dass die Lernenden ihre Beobachtun-gen, Fragen, Theorien zu Gemeinsamkeiten undUnterschieden in den Sprachen, also zum Sprach-vergleich, äußern könnten, möglichst von Anfangan. Der Befürchtung, dass sie das nicht können,möchte dieses Heft entgegen treten: Befragt manLernende in Deutschkursen, ob und wie sie ihreKenntnisse anderer Sprachen für das Deutschler-nen nutzen und ob ihnen das hilft, so können man-che viel dazu sagen, bei manchen kommt durch dasGespräch über Sprachen der Reflexionsprozess erstin Gang, und schon während des Gesprächs erken-nen sie den Nutzen des Sprachenvergleichs. Wirwollen jedoch nicht verhehlen, dass es auch Lern-traditionen gibt, in denen die Lernenden sich nichtmit eigenen Ideen hervortun wollen; hier wärenunsere Vorschläge besser vorsichtig zu gebrauchen.

Englisch – Krake oder Behelfsbrücke?

Wenn die verschiedenen Sprachen in Kopf und Welteinen gemeinsamen Orientierungsrahmen benöti-gen, wenn das Lernen verschiedener Sprachen inZusammenhang steht, dann ist die Frage bedeu-tend, welche Rolle Englisch im Kontext von Spra-chenvielfalt und Deutschunterricht spielt. Mussman befürchten, dass Englisch alle anderen Fremd-sprachen verdrängt, weil diese obsolet werden?Dass Englisch die regionale Mehrsprachigkeit undsogar am Ende die Muttersprachen aufsaugt? Oderist – ganz im Gegenteil – zu erkennen, dass Englischden Erhalt der anderen Sprachen ermöglicht, weiles sich für Regionen übergreifende Zwecke eignetund die eigenen Sprachen daneben bestehen lässt?Ja dass es sogar als Brücke zum Lernen andererSprachen genutzt werden kann, z.B. bei Deutsch alszweiter Fremdsprache? 6

Wir vertreten die Auffassung, dass Englisch für dasLernen des Deutschen als Fremdsprache von Vorteilsein kann: � Es baut Brücken im Wortschatz, die ein Stück

weit leiten; allerdings stellt es auch Fallen durchfalsche Freunde / unechte Kognaten (to become =werden, ≠ bekommen).

� Es baut Brücken bei der Wortstellung, aber nurden Deutschanfängern, denn die größere Varia-bilität der Stellung im Deutschen muss eigensgelernt werden.

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer10

Die sprachliche – und damit ver-bundene kulturelle – Kompetenz

der Lernenden ist ein Potenzial,das nicht ungenutzt bleiben darf.

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� Bei der Frage mit Hilfs- und Modalverben ent-spricht die Wortstellung im Englischen weitge-hend dem Deutschen: Are you happy? / Bist duglücklich? (allerdings nicht bei Vollverben).

� Englisch hat auch Artikel (the, a), sie sind jedochnicht grammatisch aufgeladen wie die deutschen.

� Englische finite Verben erfordern Personal-pronomen wie im Deutschen (I, you, he, she usw.)

� Im Englischen gibt es eine rudimentäre Kon-jugation der Verben (3. Person Präsens der Voll-verben: she comes), das kann am Anfang fürDeutschlernende hilfreich sein, die aus ihrer Her-kunftssprache keine Konjugation kennen.

� Die zusammengesetzten Tempora (Perfekt, Futurusw.) des Englischen erleichtern das Deutsch-lernen.

� Englisch enthält Konsonantenverbindungen wie/str/ (strong), /spl/ (splendid), /mp/ ( jump) usw.,die es auch im Deutschen gibt und die die Aus-sprache für manche Sprecher schwierig machen.Von hier aus kann es Brücken zur deutschen Artikulation geben. Usw.

Aus solchen Gründen kann Englisch eine Basis fürden Einstieg ins Deutsche abgeben, aber nur einStück weit. Wir sprechen von einem hilfreichenSteg, von einer praktischen Behelfsbrücke Englisch,die man immer mal wieder betritt.

Aus Deutschkursen für Erwachsene, die schonEnglisch gelernt haben und die ihre Mehrsprachig-keitserfahrungen aktivieren dürfen, wissen wir um den genannten Anfangsvorteil. Kindern undJugendlichen sollten wir zu solchen Erfahrungenverhelfen, indem wir den Einstieg über bekannteSprachen – also oft Englisch – erleichtern und Ori-entierung in der Sprachenwelt schaffen. Allerdingsist zu vermeiden, dass der Eindruck entsteht, nurwer Englisch kann, könne Deutsch lernen. Undnicht alle, die zuvor Englisch gelernt haben, warendabei besonders erfolgreich und wollen dann imDeutschunterricht immer wieder an den Englisch-unterricht erinnert werden. Außerdem bringen viele Lernende gar keine Englischkenntnisse, son-dern Kenntnisse ganz anderer Sprachen mit in denDeutschunterricht. Die „Brückensprache Englisch“sollte also mit Vorsicht genutzt werden.

2. Sprachenpolitik: Sprachenvielfaltund SprachenrechteSprachenvielfalt ist ein unumkehrbarer Prozess; nurDiktaturen unterdrücken Sprachen und zwingen denMenschen eine bestimmte Sprache auf. Auch die Sor-ge, Englisch könne als neue Weltsprache alle anderenSprachen verdrängen, hat sich nicht bewahrheitet.

Das hat verschiedene Gründe:

� Für die meisten Menschen ist ihre Muttersprachezentraler Bestandteil ihrer Identität, sie leistenWiderstand, wenn man ihnen diese Mutterspra-che nehmen will. Deshalb malen viele Kinderund Jugendliche, wenn man sie Sprachen-porträts zeichnen lässt, ihre Muttersprache alsHerz oder an die Stelle, wo das Herz sitzt, oft inleuchtenden und warmen Farben.

� Mehrsprachige Menschen werden einem Spra-chenkonflikt ausgesetzt, wenn man sie zwingt,nur eine der verschiedenen, für sie wichtigenSprachen zu sprechen. Erst in einer mehrspra-chigen Gesellschaft können sich Minderheitenund Zuwanderer „integriert“, aufgenommen undzu Hause fühlen, weil sie niemand am Gebrauchihrer Sprache(n) hindert.

� Auch die Globalisierung erfordert Menschen, diemobil sind, und das heißt auch, sich in verschie-denen Sprach- und Kulturräumen bewegenkönnen. Diese Mobilität, z.B. der Wirtschaft,bringt es mit sich, dass auch die Teilhabe an derGesellschaft, in der man lebt, Sprachkenntnissein verschiedenen Sprachen erfordert.

Sprachenvielfalt ist also nicht nur eineAngelegenheit des Individuums, son-dern für die politische und wirtschaft-liche Entwicklung von großer Bedeu-tung. Deshalb haben der Europarat unddie Europäische Union in den letzten Jahren eineSprachenpolitik entwickelt, die darauf zielt, dieMenschen zu befähigen, viele Sprachen zu lernen.

Mehrsprachigkeit als Kennzeicheneiner europäischen IdentitätDie Europäische Union geht davon aus, dass eine„europäische Identität“, d.h. die Bereitschaft derMenschen in Europa, sich als Einheit zu fühlen, nurdann entstehen kann, wenn alle ihre Mutterspra-chen in diesem Europa wiederfinden, und zwarnicht nur in den eigenen nationalen Grenzen (dieja auch immer durchlässiger werden), sondernauch in anderen Ländern, wo diese Muttersprachenals Fremdsprachen gelehrt und gelernt werden. Umsich in einer vielsprachigen Welt zu Hause zufühlen, muss man selbst Fremdsprachen lernen,aber eben auch auf Menschen treffen, die die eige-ne Sprache als Fremdsprache gelernt haben. In denverschiedensten Deklarationen und Programmenhat die Europäische Union daher festgeschrieben,dass eine entwickelte mehrsprachige Handlungs-fähigkeit der Bürger erreicht werden muss, wenn

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Sprachenvielfalt ist nicht nureine Angelegenheit des Individu-ums, sondern für die politischeund wirtschaftliche Entwicklungvon großer Bedeutung.

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Europa als demokratisches Gemeinwesen funktio-nieren soll. (Siehe dazu den Auszug aus dem „Arbeits-programm des Europäischen Rates zur Umsetzungder Ziele der Systeme der allgemeinen und berufli-chen Bildung in Europa“ vom 14.02.2004, Dokument6365/02 EDUC 27, Ziel 3.3 in Kasten 9).

Durch die EU-Erweiterung 2004, mit der sich dieZahl der Amtssprachen der EU auf 21 erhöht hat,kommt einem solchen Programm der Sprachen-vielfalt besondere Bedeutung zu. Dieses Programmsignalisiert, dass es nicht um einen „Sprachen-kampf“ gehen soll, sondern um die Entwicklung

eines Konzeptes von Mehrsprachig-keit, in dem die verschiedenenSprachen Platz haben. Ein solchesProgramm stellt für den Deutsch-unterricht eine wichtige Zukunfts-perspektive dar. Würden alle Men-

schen nur eine Sprache lernen können, die meistenwürden Englisch wählen. Erst die Mehrsprachigkeitsichert auch der deutschen Sprache und dem Deutschunterricht einen festen Platz im Sprach-angebot. Am Beispiel Ungarns zeigt Márta Rábai,wie eng die Attraktivität des Deutschunterrichts mitden Sprachenkonstellationen im jeweiligen Landzusammenhängt. Das heißt aber auch, dass derDeutschunterricht sich als Beitrag zu einer solchenMehrsprachigkeit verstehen, also die bei den Ler-nenden vorhandenen Sprachen aufgreifen und nut-zen und für weitere Sprachen „Fenster öffnen“muss, wie es auch der „Gemeinsame europäischeReferenzrahmen“ (GER) beschreibt (siehe Kasten10). Was hier für Europa gesagt wird, gilt erst recht

für viele asiatische und afrikanische Länder. Der 22-jährige Pong aus China ist ein gutes Beispieldafür, wie sich eine vielsprachige Identität ent-wickeln kann (siehe Kasten 11).

Sebastian Bemile zeigt in seinem Beitrag, wie der Deutschunterricht in Ghana, einem Land mit60 Sprachen, aussieht.

Wie im Deutschunterricht Mehrsprachigkeit ge-fördert werden kann, dazu hat die Mehrsprachig-keitsdidaktik Konzepte und Materialien vorgelegt(vgl. den Beitrag von Hufeisen in diesem Heft), auchin Lehrwerken kann man inzwischen interessanteUnterrichtsangebote finden 8. Dass Mehrsprachig-keit im Deutschunterricht die verschiedenstenBereiche umfassen kann, zeigt der „Baum derMehrsprachigkeit“ von E.-M. Jenkins auf Seite 24.

Sprachenrechte sind nicht teilbar

Was die Europäische Union und der Europarat so vehement fordern, gilt zur Zeit allerdings nichtfür alle Sprachen und für alle Menschen. Die Sprachenpolitik der EU umfasst die Amtssprachender Mitgliedsländer, nicht die Sprachen von Min-derheiten. Was mit den Sprachen solcher Minder-heiten passiert, ist Sache der einzelnen Länder, diesehr zögerlich sind, die Sprachen ihrer verschie-denen Minderheiten als Reichtum zu erkennen und in das Bildungswesen einzubeziehen. Meintman das Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit ernst, sowürde das bedeuten

a) dass auch die Kinder von Minderheiten gene-rell ein Recht darauf haben, ihre Muttersprache(n)in der Schule zu lernen;

Auszug aus dem „Arbeitsprogrammdes Europäischen Rates ...“ vom14.02.2004

Europas Vielfalt manifestiert sich besondersdeutlich in seinen Sprachen. Wenn die Bür-ger jedoch von dieser Vielfalt profitieren wol-len, müssen sie in der Lage sein, miteinanderzu kommunizieren. Sprachkenntnissegehören zu den Grundfertigkeiten, die dasEuropa der Wissensgesellschaft erfordert; imAllgemeinen sollte jeder zwei Fremdsprachensprechen können. Der Fremdsprachenerwerb,gegebenenfalls bereits von früher Kindheitan, muss gefördert werden, d.h. die Metho-den des Fremdsprachenunterrichts müssenverbessert und der Kontakt zwischen Lehrernund Schülern sowie den betreffenden Fremd-sprachen muss verstärkt werden. Daher stehtdie Ausbildung von Fremdsprachenlehrern imMittelpunkt dieses Ziels.

Auszug aus dem GER, Europarat2001, S. 163

Der herkömmliche Ansatz beschreibt dasFremdsprachenlernen so, dass man seinermuttersprachlichen Kommunikationskompe-tenz einzelne Bestandteile der Kompetenz, ineiner fremden Sprache zu kommunizieren,hinzufügt. Das Konzept einer mehrsprachi-gen und plurikulturellen Kompetenz hinge-gen tendiert dazu, ... in Betracht zu stellen,dass ein Mensch nicht über eine Ansamm-lung von eigenständigen und voneinandergetrennten Kommunikationskompetenzenverfügt, je nachdem, welche Sprachen mankennt, sondern vielmehr über die einzigemehrsprachige und plurikulturelle Kompe-tenz, die das ganze Spektrum der Sprachenumfasst, die einem Menschen zur Verfügungstehen.

Pong, Student aus China, zu seinemSprachenporträt

Englisch und Deutsch habe ich in den Kopfgemalt, weil das die Sprachen sind, die ichzur Zeit am meisten benutze, deshalb denkeich auch in diesen Sprachen.Spanisch ist in meiner Kehle, denn ich liebees, Spanisch zu sprechen.Chinesisch habe ich in die Gegend von Brustund Herz gemalt, denn zu dieser Sprachegehören meine Gefühle; alle meine Regelnund meine Moral sind damit verbunden,alles, was mit Emotion zu tun hat, passiertauf Chinesisch.Französisch sitzt in meinen Beinen, denn ichspreche es nicht mehr gut, aber es ist immernoch irgendwo vorhanden.7

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer12

Erst die Mehrsprachigkeit sichertauch der deutschen Sprache

und dem Deutschunterricht einenfesten Platz im Sprachangebot.

Kasten 9 Kasten 10 Kasten 11

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b) dass die Sprachen der Minderheiten in denSchulen genau so selbstverständlich von allengelernt werden können wie die bisher üblichenSchulsprachen (z.B. Englisch, Französisch, Spanisch).

Von einer solchen Praxis sind wir noch weit ent-fernt, denn noch sind die Sprachenrechte der Men-schen nicht gleich: Es gibt geförderte Sprachen (zudenen Deutsch und Englisch gehören) und solche,die es schwer haben. So ist zum Beispiel Türkischdie stärkste Minderheitensprache in Deutschland,trotzdem ist es weder selbstverständlich, dass tür-kische Kinder ihre Muttersprache in der Schule ler-nen, noch dass deutsche Kinder dieser Sprache imUnterricht begegnen können (siehe dazu Kasten 12).

Der Beitrag von Reif-Breitwieser in diesem Heftzeigt, wie lebendig Sprachunterricht wird, wieSprachbegegnung entstehen kann, wenn eineSchule alle Sprachen, die die Schülerinnen undSchüler mitbringen, aufgreift und stolz auf dieseSprachenvielfalt ist.

3. Fazit: Deutschunterricht undMehrsprachigkeitAuf die Frage, was den Deutschunterricht die allge-meine Mehrsprachigkeitsdiskussion angehe, lassensich vier Antworten geben:

1. Eine sprachenpolitische Antwort: Sie betrifft die Existenz des Deutschunterrichts, dennohne eine aktive Förderung der Mehrsprachigkeithätte Deutsch als Schulsprache neben oder nachEnglisch keine Chance. Nur wenn im Schulwesenmindestens zwei, nach Möglichkeit drei Sprachenangeboten werden und für die Lernenden Wahl-möglichkeiten bestehen, kann auch die deutscheSprache ihren Platz auf dem „Markt der Sprachen“behaupten.

2. Eine sprachlernpsychologische Antwort:Überall auf der Welt bringen Lernende ihre Spra-chen in den Deutschunterricht mit, die immer auchdabei sind, wenn Deutsch gelehrt und gelernt wird.Sprachlernpsychologische Gründe sprechen dafür,diese Sprachen nicht aus dem Deutschunterricht zuverbannen, sondern sie zu nutzen und darauf auf-zubauen.

3. Eine soziolinguistische Antwort: Die Welt, auf die der Deutschunterricht vorbereitensoll, ist mehrsprachig. Das beginnt mit all den„Fremdwörtern“, die das Deutsche aus vielen Spra-chen, keineswegs nur aus dem Englischen, aufge-nommen hat und weiterhin aufnimmt; Werbungund Medien sind ebenso vielsprachig wie in-

zwischen nahezu jede Gebrauchsanleitung. ZurAuthentizität von Kommunikation gehört daherauch der Umgang mit mehrsprachigen Texten undMenschen, gehören der Sprachwechsel und die„Sprachmittlung“, die im europäischen Referenz-rahmen als ‚neue’, im Sprachunterricht zu vermit-telnde Fertigkeit betont werden.

4. Damit hängt die sprachdidaktischeAntwort zusammen: Ein Deutschunterricht, der Lernende auf eine mehr-sprachige Welt vorbereiten will, muss ihnen Ge-legenheit verschaffen, die deutsche Sprache imKonzert der Sprachenvielfalt zu verwenden, d.h.Schüler und Schülerinnen mit verschiedenen Spra-chen aktiv einzubeziehen und ihr Sprachbewusst-sein weiterzuentwickeln.

Anmerkungen:

1 Dieses Beispiel stammt aus einem Projekt der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und wurde uns von Frau Christiane Drasdo, ZfA,zur Verfügung gestellt.

2 Zu dieser Unterscheidung siehe Spitzer 2002, S. 142 ff.3 Diese Angaben wurden von I. Oomen-Welke in zwei Projekten erhoben:

„Sprachaufmerksamkeit“ (Freiburg) und „Ja-Ling“. Vgl. Oomen-Welke2003.

4 Aus einer unveröff. Erhebung von Sprachenporträts von Krumm 2003.5 Auf der Internet-Seite www.zompist.com/yingzi/yingzi.htm mit dem

Titel „If Englisch was written like Chinese“ finden sich für Jugendlicheund junge Erwachsene, die Englisch verstehen, witzige Schriftversuche.Gefunden 2/2004

6 Vgl. FREMDSPRACHE DEUTSCH 20 / 1999: Deutsch als zweite Fremd-sprache.

7 Im Original hat Pong sein Sprachenporträt Englisch beschriftet; Übers.H.-J.Krumm.

8 Zu nennen ist hier insbesondere das Lehrwerk „Dimensionen“ vonJenkins/Fischer/Hirschfeld/Hirtenlehner/Clalüna, Hueber Verlag2002 / 2003.

Literaturverzeichnis:

Europarat: Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Langenscheidt: Berlin / München 2001.

Krumm, Hans-Jürgen: Kinder und ihre Sprachen – lebendige Mehrsprachig-keit. Wien: Eviva – WienerVerlagsWerkstatt 2001.

Oomen-Welke, Ingelore: L’univers des langues: Ce que pensent les enfantset les adolescents en Europe. In : Michel Candelier et al. : Janua Lingu-arum – La porte des Langues. L’introduction de l’éveil aux langues dansle curriculum. Graz 2003.

Roth, Gerhardt: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologieund ihre philosophischen Konsequenzen. Frankfurt am Main: Suhr-kamp 2.Aufl. 1998.

Spitzer, Manfred: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens.Heidelberg: Spektrum 2002.

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Der Europarat 2002 zur Bedeutung einer mehrsprachigen Kompetenz(Übersetzung Krumm)

Die Bedeutung einer mehrsprachigen Kompetenzist eine zweifache:

• Zum einen erlaubt sie die Teilhabe an demokratischen Prozessen nicht nur im eigenen Land und der eigenen Sprachregion, sondern auch zusammen mit anderenEuropäern in anderen Sprachen und Sprachregionen,

• zum zweiten führt der Erwerb einer mehrsprachigen Kompetenz zu einem besserenVerstehen der mehrsprachigen Kompetenz anderer Menschen und zu einem Respektvor dem Recht auf Sprachen, nicht zuletzt den Sprachenrechten von Minderheitenund Sprechern weniger gesprochener und gelehrter Sprachen.

Kasten 12

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Michel Candelier berichtet vom Umgang mit den Sprachen der Welt in französischen Grundschulklassen, die am europäischen

LINGUA-Projekt Evlang (Eveil aux langues) teilgenommen haben. Diese Erfahrungen bettet er in den theoretischen Kontext

der Language Awareness ein, und er verweist auf entsprechende Entwicklungen in anderen europäischen Ländern.

Evlang und was dahinter steckt

Was also sind die Ziele der europäischen Sprachen-politik, auf die in der Überschrift hingewiesen wird?

Die Antwort könnte schlicht lauten: Es sind die-jenigen Ziele, die mit der Förderung der Mehrspra-chigkeit in Europa zusammenhängen. Nun mussman aber feststellen, dass unter Mehr-Sprachigkeitoft nur Zwei-Sprachigkeit verstanden wird: Zwei-sprachigkeit, basierend auf der Beherrschung dereigenen Nationalsprache und des Englischen; Zwei-sprachigkeit, die einen „Bi-Ethnozentrismus“ för-dert, die die sprachliche und kulturelle Vielfaltnegiert und derzufolge alle anderen Sprachen undKulturen als von minderem Wert erscheinen.

Diese Auffassung von Mehrsprachigkeit ist in kei-nem Fall im Sinne der Sprachen- und Kulturen-politik weder der europäischen Union noch desEuroparats. Beide Institutionen hatten gemeinsamdas Jahr 2001 zum Europäischen Jahr der Sprachenerklärt mit dem Zweck, „die sprachliche und kultu-relle Vielfalt in Europa zu fördern und die Vorteile

des Sprachenlernens ins Bewusstsein zu rücken.“2

Aber Viel-falt ist nicht Zwei-falt (oder Zwie-falt ??). Genau um diese Vielfalt geht es im ProgrammEvlang. Der Wunsch, der Schule einen Weg zu er-öffnen, damit sie ihrer Pflicht zur Förderung derDiversität endlich gerecht werden kann, ist eine derMotivationen, die das LINGUA-Programm Evlang – Eveil aux langues in der Grundschule, 1998-2001 –charakterisieren.

Was unter dem Begriff Eveil aux langues verstan-den und praktiziert wird, ist kein Sprachunterrichtim gewöhnlichen Sinne, bei dem eine bestimmte Sprache „gelernt“ wird (auch wenn natürlich der„normale“ Sprach- und Fremdsprachenunterrichtebenfalls gefördert werden soll). Eveil aux languesist eine aktive Auseinandersetzung der Lernendenmit mehreren Sprachen, die sie entdecken, hören,zum Teil „sprechen“, beobachten, analysieren, ver-gleichen usw.. Auf diese Weise macht Eveil aux langues die Verschiedenheit der Sprachen selbstzum Gegenstand des Unterrichts und kann, untervielen anderen Bildungszielen, das Interesse fürderen Vielfalt fördern. Das anspruchsvolle Ziel:

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer14

SPRACHEN- UND KULTURENVIELFALT IN DER GRUNDSCHULEEvlang: Ein Beitrag zur Verwirklichung von Zielen der

europäischen Sprachenpolitik1

VON MICHEL CANDELIER

Kyrillische Schrift: mittelalterliche Zauberformel.Kyrillische Schrift: mittelalterliche Zauberformel.

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Evlang, ...also Eveil aux langues, wie wir uns das vor-stellen, entstammt direkt dem von Hawkins inGroßbritannien seit 1974 dargestellten Konzeptvon Sprache als „Brückenfach durch das Curri-culum hindurch“ (bridging subject). Der Ansatzentwickelte sich in den achtziger Jahren erfolg-reich aus der theoretischen und praktischenArbeit von Eric Hawkins und anderer Forscherund Lehrer innerhalb der Bewegung LanguageAwareness. Dieser Bewegung folgte keine institutionelle Anerkennung im Lande. In anderen Ländern Europas hat das Language-Awareness-Gedankengut zu mehreren punktu-

ellen Initiativen geführt (zum Beispiel in Greno-ble). Zur gleichen Zeit arbeitete in DeutschlandIngelore Oomen-Welke (Pädagogische Hoch-schule Freiburg) in dieselbe Richtung, allerdingsmit Schwerpunkt auf Klassen, die einen hohenAnteil an Kindern ausländischer Herkunft haben.In Deutschland und Österreich haben zwei Landesinstitute Experimente durchgeführt, diezum Teil ebenfalls durch die Language-Aware-ness-Bewegung beeinflusst worden waren:„Begegnung mit Sprachen in der Grundschule“(Landesinstitut für Schule und Weiterbildung,Soest), „Sprach- und Kulturerziehung“ (Zentrum

für Schulentwicklung, Graz). Den höchstenInstitutionalisierungsgrad hat der Ansatz unterdem Namen EOLE (Eveil aux langage et ouver-ture aux langues) in der frankophonen Schweizerreicht. An diesem Punkt der Entwicklung dieses Ansatzes angelangt, setzte sich derGedanke durch, dass es notwendig sei, einumfangreicheres Projekt auf die Beine zu stel-len, um die Richtigkeit der damit verbundenenErwartungen zu überprüfen. So kam es zumProgramm Evlang, das durch die EuropäischeKommission von Ende 1997 bis Juni 2001 imRahmen von LINGUA unterstützt wurde.

Eveil aux langues – ein Beitrag des Sprachunterrichtszum Aufbau von solidarischen, sprachlich und kul-turell pluralistischen Gesellschaften! Der Eveil-Ansatzwill dazu beizutragen, dass Vielfalt bzw. Verschie-denartigkeit und Solidarität sich vertragen.

Dieser Ansatz entspricht also den Zielen derinterkulturellen Bildung. Auch darum geht es in denBemühungen des Europarats zur Förderung derPrinzipien der „demokratischen Bürgerschaft“, zuderen Aufbau u.a. der Sprachunterricht verhelfensoll. Die Schule soll den Lernenden die notwendi-gen Kenntnisse über die Welt und die Offenheitgegenüber Anderen vermitteln, die eine unerläss-liche Grundlage für die Teilhabe an einer demokra-tischen Gesellschaft sind. Zu diesem Zweck kannsich die Schule jedoch nicht damit begnügen, denLernenden den Kontakt zu nur einer bzw. zu nurzwei Sprachen anzubieten, die bereits in den Medi-en und in der Kultur, die diese Medien verbreiten,dominierende Sprachen sind.

Mit den Bildungszielen, die im Eveil-Ansatz vordiesem Hintergrund formuliert werden, sollen beiden Lernenden günstige Wirkungen in den folgen-den Bereichen ausgelöst werden:

1. Die Entwicklung von positiven Vorstellungen undEinstellungen zu Sprachen und Sprachenvielfaltsowie die Motivation, Sprachen zu erlernen;

2. Die Entwicklung metasprachlicher Fähigkeiten,um Sprachen zu beobachten und zu analysieren,Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszu-finden;

3. Die Entwicklung einer „Sprachkultur“ – damit isthier gemeint, dass Sprachen als Zugänge zu einersich wandelnden vielfältigen Welt entdeckt undgenutzt werden.

Was hier abstrakt formuliert ist, wird deutlicher inder Aufschlüsselung von Unterzielen, von denenhier nur eine Auswahl präsentiert wird:

� Wissen, dass die Sprachenvielfalt in der Welt sehrgroß ist, dass es in einem Land mehrere Sprachengeben kann, aber auch eine Sprache in mehrerenLändern;

� Wissen, dass zwischen den Sprachen Unter-schiede und Ähnlichkeiten bestehen;

� Neugier entwickeln gegenüber dem Funktionie-ren von Sprache und von Sprachen sowie Inter-esse, dazu genauere Beobachtungen anzustellen;

� Ungewohnte Laute in unbekannten Sprachenerkennen und im Gedächtnis behalten;

� Fähigkeit zu einigen Schritten der Sprachanalyse,erstes Verständnis für die Bauform und dieBedeutung einer schriftlichen oder mündlichenÄußerung in einer unbekannten Sprache;

� Positive Einstellung zu sprachlicher und kultu-reller Vielfalt bzw. Interesse dafür;

� Wissen, dass Sprachen und Kulturen keine in sichgeschlossenen Welten darstellen, sondern dasssie durch ihre historische Entwicklung bzw.durch den Kontakt der Menschen Gemeinsam-keiten haben und sich miteinander austauschen;

� Entlehnungen, die eine Sprache im Laufe ihrerEntwicklungsgeschichte aus anderen Sprachenvollzogen hat, als Bereicherung für die entleh-nende Sprache betrachten usw.

Um die Kompetenzen, die die Lernenden im Laufedes Unterrichts durch Sprachaufmerksamkeit er-werben können zu erkennen, werfen wir einen Blickin ein Klassenzimmer.

Blick in ein Evlang-Klassenzimmer

Wir blicken in eine ganz gewöhnliche Klasse ineinem kleinen Dorf im Département Eure in Frank-reich. Die Schülerinnen und Schüler sind im Durch-schnitt 9 bis 10 Jahre alt. Wir befinden uns im März2000, die Klasse nimmt seit einem Jahr an der Er-probung des europäischen Programms Evlang teil.

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Wir hätten eine andere Klasse wählen können, eineKlasse in einem Stadtzentrum vielleicht, oder in denVororten mit vielen Kindern aus Migrantenfamili-en – die gibt es in unserem Eure-Dörflein nicht. Tre-ten wir diskret ein, um nicht zu stören …

Die Kinder arbeiten mit einem Lehrmaterialnamens „1, 2, 3 … 4000 langues“ (Sprachen), dasspeziell für Evlang entwickelt wurde. (Ein wichtigesZiel von Evlang ist es, den Lehrpersonen didaktischaufbereitete Materialien in vielen Sprachen zu lie-fern, das ihnen Unterricht mit Sprachenvielfaltermöglicht.)

Eines der Ziele der Arbeit mit „1, 2, 3, ...“ bestehtdarin, Kinder die Verwandtschaftsbeziehungen zwi-schen verschiedenen Sprachen der Welt entdecken

zu lassen. Die Lernenden befinden sich nun in derzweiten Phase der ersten Unterrichtseinheit undarbeiten in kleinen Gruppen von drei bis vier Kin-dern. Die Lehrerin hat an jede Gruppe neun Papier-kärtchen mit Blumen verteilt. Jede Blume hat achtBlumenblätter mit Zahlen in je einer Sprache (esgibt drei romanische, drei germanische und dreislawische Sprachen), siehe Abbildung 1.

Die Kinder versuchen nun, die jeweils drei Kärt-chen derselben Sprachfamilie zusammenzubrin-gen, indem sie die Zahlen in den Blumenblätternvergleichen. Sie wissen, dass ein Gruppenmitglieddanach vor der ganzen Klasse über ihre Arbeitberichten und erklären wird, wie sie zu ihren Ergeb-nissen gekommen sind.

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer16

polnisch

jedendwa

trzy

cztery

pięcsześc

siedem

osiem

englisch

onetwo

three

four

fivesix

seven

eight

italienisch

unodue

tre

quatro

cinquesei

sette

otto

niederländisch

eentwee

drie

vier

vijfzes

zeven

acht

tschechisch

jedendva

tri

ctyr i

pětšest

sedm

osm

französisch

undeux

trois

quatre

cinqsix

sept

huit

spanisch

unodos

tres

cuatro

cincoseis

siete

ocho

slowakisch

jedendva

tri

štyri

p�es�

sedem

osem

deutsch

einszwei

drei

vier

fünfsechs

sieben

acht

Abb. 1: Zahlen in

verschiedenen

Sprachen

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In dieser Stunde gibt es zufällig gerade keineArbeit mit Hörbeispielen. Hörbeispiele sind jedocheine wichtige Dimension des Evlang-Ansatzes imPrimarunterricht, denn Tonmaterial ist in die vonder Evlang-Gruppe entwickelten Unterrichtsmittelintegriert. Wenn wir vor einem Monat gekommenwären, hätten wir unsere kleinen Schülerinnen undSchüler in folgender Situation sehen können:

Die Kinder hören und sehen in vier Sprachen denTitel des Märchens Rotkäppchen (Finnisch: Puna-hilkka, Portugiesisch: O Capuchinho Vermelho,Deutsch: Rotkäppchen, Italienisch: Cappuccetto ros-so). Dann wird ihnen auch der Beginn des Märchensin den vier Sprachen vorgespielt (Es war einmal einkleines Mädchen. Es hieß Rotkäppchen ...). Jedesmal,wenn sie die Bezeichnung für Rotkäppchen heraus-hören, kreuzen sie auf ihrem Arbeitsblatt den Mär-chentitel der betreffenden Sprache an. Das heißt,dass sie schon gelernt haben, einige Elemente auseinigen fremden Sprachen wiederzuerkennen.

Wie wird man Lehrer oder Lehrerin fürEvlang?Im Rahmen des internationalen Unterrichts Evlanghaben mehr als 150 Klassen in fünf Ländern (Frank-reich, Italien, Österreich, Schweiz, Spanien/Katalo-nien) acht bis dreizehn Monate lang ein Eveil auxlangues-Programm durchlaufen. Bei den Durch-führenden handelte es sich um allgemein ausge-bildete Grundschullehrerinnen und -lehrer ohnespezielle Kompetenzen für dieses Programm. Dasheißt z.B., dass diese Lehrerinnen und Lehrer dievielen Sprachen, die in dem Programm benutztwerden, natürlich nicht selbst beherrschen. DieseLehrkräfte erhielten eine zwei- bis dreitägige Schu-lung. Dann arbeiteten sie in ihren üblichen Klassenmit Hilfe spezieller Print- und Ton-Unterrichtsma-terialien, die von der Forschergruppe unter Mitar-beit von anderen Lehrkräften entwickelt wordenwaren und in denen nicht weniger als sechsund-sechzig Sprachen mit unterschiedlichem Status(Amtssprachen, Minderheitensprachen, Migrations-sprachen, Kreole usw.) für didaktische Zwecke ver-wendet wurden. Wenn sich in ihren Klassen Kindermit verschiedenen Muttersprachen befanden,konnten und sollten sie diese und deren Familienals Informationsquellen mit einbeziehen.

Die Ergebnisse liegen nun vor. Sie lösen zwar keineBegeisterungsstürme aus, aber sie entsprechendem, was man bei pädagogischen Innovationendieser Art und bei dieser Form von Evaluation fürgewöhnlich erreicht – und man kann sagen, dassdie Evlang-Arbeit insgesamt Früchte getragen hat.

Schauen wir uns den Bereich Einstellungen undFertigkeiten an.

Veränderte Einstellungen undFertigkeitenAls Auswirkungen von Evlang auf die Einstellungender Schülerinnen und Schüler wurden ihr Interes-se an der Vielfalt und ihre Offenheit gegenüberUngewohntem getestet. Im Bereich der sprachli-chen Fähigkeiten zielte die Untersuchung auf audi-tive Diskrimination und Gedächtnisleistung absowie auf syntaktisches Konstruktionsvermögennach Dekompositions- und Rekonstruktionsauf-gaben anhand von Beispielen aus unbekanntenSprachen (siehe Abbildung 2).

In beiden Fällen – sowohl bei den Einstellungenwie auch bei den Fähigkeiten – wird die Wirkungvon Evlang auf die jeweils erstgenannte Kompo-nente der Untersuchungspaare (Interesse, auditiveFähigkeiten) in einer großen Mehrheit der Proben

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Exemple:

Voici trois phrases écrites dans une langue que tu ne connais pas, elles sont traduites en français.

En inu betsiaki J´ai vu le jaguar.je le Jaguar ai vu

En baka betsiaki J´ai vu le poisson.je le poisson ai vu

Min baka betsiaki Tu as vu le poisson.tu le poisson as vu

Regarde bien comment sont construites ces phrases et essaie d' écrire, dans cette langue, la phrase suivante:

Tu as vu le jaguar: _______________________________________________

Beispiel:

Hier sind drei Sätze in einer Sprache, die du nicht kennst. Sie sind jeweils ins Französische (für unsere Zwecke ins Deutsche) übersetzt.

En inu betsiaki Ich habe den Jaguar gesehen.ich den Jaguar habe gesehen

En baka betsiaki Ich habe den Fisch gesehen.ich den Fisch habe gesehen

Min baka betsiaki Du hast den Fisch gesehen.du den Fisch hast gesehen

Schau dir genau an, wie diese Sätze gebaut sind und versuche jetzt, den folgendenSatz in der neuen Sprache zu konstruieren:

Du hast den Jaguar gesehen: __________________________________________

Original:

Abb

2: R

ekon

stru

ktio

nsau

fgab

e m

it Ü

bers

etzu

ng

Übersetzung:

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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bestätigt. Bei der zweiten Komponente (Offenheitund syntaktisches Konstruktionsvermögen) hatsich der Evlang-Effekt ebenfalls gezeigt, allerdingsnur in einigen Fällen: Offenheit ist eine deutlichhöhere Anforderung als bloßes Interesse, und wasdie Dekompositions-/Rekonstruktionsübungenbetrifft, so wissen wir, dass sie weniger häufigdurchgeführt wurden als das Hörtraining. Die ein-zige kleine Enttäuschung betrifft die positiven Aus-wirkungen von Evlang auf die Kompetenzen in derUnterrichtssprache, sie konnten nämlich nichtbestätigt werden, auch wenn die Lehrkräfte in dendurchgeführten mündlichen und schriftlichenBefragungen zu der Annahme neigen, dass es siegibt. In den meisten Fällen hatten die Initiatorenund Initiatorinnen von Evlang selbst schon dies-bezügliche Zweifel angemeldet.

Die Ergebnisse treffen für einen Erprobungs-durchlauf zu, dessen allgemeine Dauer 35 Stundenumfasst. Eine Untersuchung über den Zusammen-hang zwischen Stundenanzahl und Wirkungsinten-sität zeigt deutlich, dass ein länger dauernderDurchlauf mehr Chancen hat, Auswirkungen vonallgemeinerer Gültigkeit sowie von bedeutendererTragweite zu erreichen.

Festgehalten werden soll, dass der Beitrag, denEvlang zur Entwicklung der Einstellungen erbringt,im Wesentlichen die leistungsschwächsten Schüle-rinnen und Schüler betrifft. Es lässt sich auch erken-nen, dass Eveil aux langues den Wunsch, Sprachenzu lernen, deutlich steigert. In mehreren Fällen(und dies ganz besonders in Frankreich) verstärktEveil aux langues auch das Interesse, Minoritäten-sprachen – Immigrationssprachen inbegriffen – zulernen.3

Wie geht es weiter?

Zunächst geht es vorrangig um die Verbreitung desEvlang -Ansatzes und gleichzeitig – weil wir der Auf-fassung sind, dass bei jedem „Transfer“ der Kontextausschlaggebend ist – um die Erforschung derBedingungen für die Einführung in die Curriculaverschiedener Schulsysteme.

Allmählich hat sich ein Konsens über einigeGrundprinzipien gebildet. Eveil aux Langues-Akti-vitäten sollten gleich zu Beginn der Schullaufbahnstarten (schon im Kindergarten) und sich dabeimöglichst weit auf die in der Klasse bzw. Umge-bung vorhandenen Sprachen stützen. Der Ansatzsoll nach der Primarstufe weitergeführt werden,und sei es nur, weil er dazu beitragen kann, diebedauerliche Isolierung der einzelnen sprachlichenFächer zu überwinden, indem er sprachliches

Orientierungswissen bereit stellt. Eveil aux langueshat also eine Empfangsfunktion (Empfang der Ler-nenden in der vielfältigen Welt der Sprachen, Emp-fang der Lernenden in der Vielfalt ihrer Sprachen)und eine Begleitfunktion (Begleitung durch die Weltdes Sprachenlernens). Es besteht generell auch einKonsens über ein Curriculummodell in Form einesauf den Kopf gestellten Trichters, mit einer breite-ren Basis, wo sich dieser sprachenpluralistischeAnsatz weit „ausdehnen“ könnte, zum Beispiel biszum zweiten oder dritten Jahrgang der Grund-schule (also bis zum Alter von 7-8 Jahren). Daraufaufbauend könnte eine Weiterführung durch dieganze weitere Schullaufbahn folgen, in der Formeines „Rückgrats“ mit Anschwellungen bei bestimm-ten „Wirbeln“, dort etwa, wo es darum geht, die Ein-führung weiterer Sprachen in das Curriculum vor-zubereiten.

Einer der Orte, an denen diese Diskussion statt-findet, ist das europäische Innovationsnetzwerk„Janua Linguarum“ (Tor zu Sprachen)4, das seitJanuar 2000 durch das Europäische Fremsprachen-zentrum (Europarat) in Graz gefördert wird. Es setztsich zusammen aus Forschern und Forscherinnen,Lehrerausbildern und -ausbilderinnen sowie Leh-rern und Lehrerinnen, die in sechzehn LändernEuropas tätig sind. Die meisten von ihnen befindensich zugleich in einem Comenius-Programm glei-chen Namens.

Anmerkungen:1 Eine ausführlichere Darstellung des Evlang-Ansatzes befindet sich in der

Dokumentation der Tagung „Europäische Sprachenpolitik” (Juni 2002, Uni-versität Würzburg), die 2003 beim Universitätsverlag C. Winter in Heidel-berg erschienen ist. Einige Stellen dieses Beitrags beruhen auf vorherigenvon mir auf Französisch geschriebenen Texten, die zum Teil durch EdithMatzer (Atelier Mehrsprachigkeit, Graz) ins Deutsche übertragen wurden.Siehe auch http://www.zse3.asn graz.ac.at/download.

2 Tagung des Rates Bildung/Jugend am 28. Mai 2001 in Brüssel – Mit-teilung an die Presse.

3 Detaillierte Darstellungen der Evaluationsmethode und der Ergeb-nisse befinden sich auf der Website des Programms Ja-Ling: http://jaling.ecml.at/ – Vgl. Michel Candelier, ed.: Evlang – l’éveil auxlangues à l’école primaire, Bruxelles: De Boek – Duculot, 2003.

4 Der deutsche Partner dieses Netzwerks ist die Pädagogische Hoch-schule Freiburg unter der Leitung von Prof. Dr. Ingelore Oomen-Wel-ke ([email protected]).

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer18

L E S E T I P P :

Michel Candelier u.a.:• 2003: Janua Linguarum – La porte des langues.L’introduction de l’éveil aux langues dans le curriculum. Graz: CELV. (französiche Fassung)• 2004: Janua Linguarum – The gateway to langua-ges. The introduction of language awareness intothe curriculum: Awakening to languages. Graz:ECML. (englische Fassung)Bericht über Schulklassen in 15 europäischen Ländern,in denen mit Vielsprachigkeit gearbeitet wird.

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DEUTSCH UND DIE ANDEREN(FREMD)SPRACHEN IM KOPF DER LERNENDENWie man dieses Potenzial im Deutschunterricht nutzen kannVON BRITTA HUFEISEN

Britta Hufeisen stellt die schon vorhandenen und sich vergrößernden Sprach- und Lernerfahrungen der Deutschlernenden

ins Zentrum ihrer Überlegungen. An einem (andernorts genauer erläuterten) Faktorenmodell macht sie klar, was alles beim

Sprachlernen eine Rolle spielt. Da die Lernenden auf der Basis dieser Erfahrungen handeln, sollte der Deutschunterricht

diese Potenziale nutzen. Dazu liefert sie Beispiele aus verschiedenen Bereichen.

1. Deutschlernende als „alte Hasen” inSachen Fremdsprachenlernen

Wie wir bereits im Einführungsartikel gesehenhaben, können viele unserer Lernenden, die mitDeutsch als Fremdsprache beginnen, als „alteHasen” im Fremdsprachenlernen und Spracher-werb bezeichnet werden, denn sie sprechen viel-leicht mehr als eine Muttersprache, verwendenmöglicherweise eine oder sogar mehrere andereSprachen als überregionale Verkehrssprachen imtäglichen Leben und im Umgang mit Behörden(Beispiel hierfür sind Lernende in vielen LändernAfrikas, Thailands, Malaysias oder Indonesiens)und lernen vielleicht noch weitere Fremdsprachenin der Schule oder an der Universität. Während dieErstsprache oder Muttersprache (= L1) und dieunmittelbaren Kommunikationssprache(n) meistungesteuert erworben werden, werden die über-regionalen Verkehrssprachen, die jeweilige LinguaFranca, und die regulären Schulfremdsprachen oft

in einem gesteuerten Kontext gelernt. Dieses alleshat oft bereits stattgefunden, wenn wir diese Ler-nenden kennen lernen, um ihnen beim Lernen desDeutschen zur Seite zu stehen. Auch wenn, wie sooft beklagt wird, die erste offizielle überregionaleSchulfremdsprache Englisch kaum oder nur schlechtbeherrscht wird, sind die Lernenden dennocherfahren in Bezug auf die Unterrichtssituation desFremdsprachenlernens. Sie kennen das Vokabeln-lernen, sie wissen, dass es beim Fremdsprachen-lernen immer wieder um Texte geht und dass esdauernd Situationen gibt, in denen sie nicht gleichalles verstehen. Auch die individuellen Interlangu-ages der anderen (Fremd)Sprachensind im Kopf der Lernenden vorhandenund können gar nicht ignoriert werden.Und diese Erfahrung sollten wir nachKräften ausnutzen! Das heißt: Wir kön-nen das vorhandene Wissen und dievorgängigen Erfahrungen ganz offensiv nutzen undsollten keine Angst davor haben bzw. den Einbezug

Im Deutschunterricht sollten wir das vorhandene Wissen und die vorgängigen Erfahrun-gen ganz offensiv nutzen.

Malayalam-Schrift, Südindien

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z.B. von Englisch in den Deutschunterricht nichtvorschnell ablehnen: „Ach, deren Englisch ist dochso schlecht, davon kann man nichts nutzen!“

Wir müssen uns überlegen, an welchen Stellen undin welchen Situationen wir das Englische oderandere Fremdsprachen als Hilfe, als Kontrast oderals Brücke zum Deutschen verwenden können undwo wir vor dem Englischen besser warnen oder esexplizit ausschließen. Gerade im Bereich der Lexikz.B., aus der wir die viel gescholtenen FalschenFreunde kennen, überwiegt der gemeinsame Wort-schatz zwischen dem Deutschen und dem Engli-

schen gegenüber den paar falscheingeschätzten ungleichen Bedeu-tungen. So hilft Englisch beispiels-weise sehr bei der Perzeption, d.h.beim Verstehen von Neuem, beimLesen oder Hören, entweder weilGeschriebenes dem Englischenähnelt, oder weil man bestimmteStrukturen bereits aus dem Engli-

schen kennt. Hier kann man Lernende ermuntern,bei einer neuen Vokabel zu überlegen, ob sie diesevielleicht schon aus dem Englischen oder aus ande-ren Sprachen kennen. Man kann sie gezielt für sol-che Suchen sensibilisieren.

Bei der Produktion hingegen scheint es tatsäch-lich häufig so zu sein, dass das Englische behindert,weil Englisches einfach übersetzt wird und imDeutschen dann falsch ist, oder weil Lernende sichnicht vorstellen können, dass zwei Formen im Eng-lischen und Deutschen tatsächlich gleich sind undentsprechende Formen im Deutschen vermeiden.Aber trotzdem denke ich, dass es besser ist, wennLernende kreativ unter Zuhilfenahme ihrer anderenSprachen etwas im Deutschen „erfinden“, als dasssie gar nichts sagen.

Selbstverständlich müssen wir auch die Kehrsei-te dieser Medaille mit einbeziehen: Vielleicht habendie Lernenden schlechte Erfahrungen mit ihremvorgängigen Fremdsprachenunterricht gemacht,vielleicht war er methodisch sehr einseitig ausge-legt, so dass die Lernenden wenig an diesen Unter-richt erinnert werden möchten, vielleicht haben sieschlechte Noten bekommen, so dass sie nun mitder neuen Fremdsprache Deutsch auch ein neuesKapitel in Sachen Fremdsprachenlernen aufschla-gen möchten. Oder vielleicht haben ihnen ihre vor-gängigen Fremdsprachen einfach nicht gefallen,und sie bauen darauf, dass Deutsch die bessere,interessantere, schönere oder nützlichere Fremd-sprache ist. Auch diesen Bedenken müssen wirRechnung tragen und in solchen Fällen den direk-ten Vergleich und Kontrast zwischen den verschie-denen vorhandenen (Fremd)Sprachen und der neu-en Zielfremdsprache in den Hintergrund stellen, umuns auf die vorgängigen individuellen Lernerfah-rungen, die auch unabhängig von Einzelsprachengesehen werden können, zu konzentrieren.

Deshalb können wir zwischen den sprachbezo-genen Vorerfahrungen und -kenntnissen und denfremdsprachenlernspezifischen Erfahrungen unter-scheiden. Erste beziehen sich auf die Sprachenselbst, letztere auf das, was mit dem Fremdspra-chenlernen zusammenhängt: Lernstrategien, Be-wusstsein usw. Auf diese Aspekte geht der folgendeAbschnitt ein.

2. Zum Faktorenmodell des multiplenFremdsprachenlernensEs gibt nicht nur eine Menge allgemeiner Faktoren,die das Lernen des Deutschen in irgendeiner Formbeeinflussen, wie z.B. das Alter, die Mutterspra-che(n) oder die Lerntradition, sondern auch einige

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer20

Englisch hilft bei der Perzeption,d.h. beim Verstehen von

Neuem, beim Lesen oder Hören,entweder weil Geschriebenes

dem Englischen ähnelt, oder weilman bestimmte Strukturen bereits

aus dem Englischen kennt.

Neurophysiologische Faktoren: Generelle Spracherwerbsfähigkeit, Alter, ...

Lernerexterne Faktoren: Lernumwelt(en), Art und Umfang des Inputs, ...

Emotionale Faktoren: Motivation, (Lern)Angst, Einschätzung der eigenen Sprachliteralität, empfundene Nähe / Distanz zwischen Sprachen, Einstellung(en) zu den Sprachen, zu den zielsprachigen Kulturen, zum Sprachenlernen, individuelle Lebenserfahrungen, ...

Kognitive Faktoren: Sprachbewusstsein, metalinguistisches Bewusstsein, Lernbewusstsein,Wissen um den eigenen Lerntyp, Lernstrategien, individuelle Lernerfahrungen, ...

Fremdsprachenspezifische Faktoren: Individuelle Fremdsprachenlernerfahrungenund Fremdsprachenlernstrategien, Interlanguages der vorgängigen Fremdsprachen,Interlanguages der jeweiligen Zielfremdsprache, ...

Linguistische Faktoren: L1, L2, Lx, ...

Lx (x>2)

Faktorenkomplexe beim Lernen des Deutschen in einem mehrsprachigen Kontext Abb

.1

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ganz besonders fremdsprachenspezifische, dieeinen erheblichen Einfluss auf das Lernen des Deut-schen haben können, wenn Deutsch – wie in denmeisten Fällen – die zweite oder oft sogar weitereFremdsprache ist, und die beim Lehren und Lernenberücksichtigt werden können. Im Folgendenmöchte ich einige dieser Faktoren vorstellen unddiskutieren. Selbstverständlich kommen in der kon-kreten Unterrichtsstunde so genannte situative Fak-toren hinzu wie z.B. Sprech- und Kommunikations-angst oder die jeweiligen Kommunikationspartner.

Aus Platzgründen stelle ich mein Faktorenmodellzum multiplen Sprachenlernen nicht in den vierStufen vom Erwerb der Muttersprachen(n) über dasLernen der ersten bis zum Lernen der zweiten undweiteren Fremdsprache(n) vor, sondern kompri-miere es zu einem Überblick über das gesteuerteFremdsprachenlernen bzw. das Lernen des Deut-schen als zweiter oder weiterer Fremdsprache (sie-he Abbildung 1).

3. Diskussion einiger Faktoren anhandvon BeispielenDie folgenden Überlegungen und Vorschlägebeschränken sich übrigens nicht allein auf die Pha-se des anfänglichen Deutschunterrichts, sondernkönnen m.E. auch in späteren Lernsituationenangewendet und aufgefrischt werden.

3.1. Ausgangspunkt aller weiteren Aktivitäten undAnleitungen für die Lernenden ist die Bewusst-machung, die Bewusstmachung über die verschie-denen Sprachen (Sprachbewusstsein), die Bewusst-machung über den Vergleich, den Kontrast, dieBeschreibung der Sprachen und die eigene Distanzzu den Sprachen (metalinguistisches Bewusstsein)und die Bewusstmachung des eigenen Lerntypsund der eigenen verwendeten und bevorzugtenLernstrategien in Bezug auf Fremdsprachen (Lern-bewusstsein). Die folgenden Fragen werden den Ler-nenden nicht „am Stück“ / auf einmal gestellt, son-dern entsprechend dem Gesprächsverlauf.

Beispiel: Vokabeln

Typische Fragen und Arbeitsaufträge können sein: Wie lernen Sie normalerweise Vokabeln? Beschrei-ben Sie dies so, dass auch die anderen Lernendenes kennen lernen und ausprobieren können. Hatdas funktioniert? Kennen Sie andere Arten, Voka-beln zu lernen? Vergleichen Sie Ihre Art, Vokabelnzu lernen, mit Ihren Nachbarn und stellen Sie dieverschiedenen Möglichkeiten zusammen.

Ziel einer solchen Phase (die immer wieder einenPlatz im Deutschunterricht finden kann) ist die Vor-stellung möglichst vieler verschiedener Arten, Voka-beln zu lernen, das Üben und das Herausfinden fürdie Lernenden, welche für sie wirklich die beste(n)ist bzw. sind (vgl. für konkrete Einzelbeispiele beiRampillon in Hufeisen / Neuner 2003 sowie Rieger1999).

Beispiel: Lernerfahrung in denvorherigen FremdsprachenTypische Fragen und Arbeitsaufträge können sein: Hat Ihnen der Fremdsprachenunterricht in Ihrenanderen Fremdsprachen Spaß gemacht? Was fanden Sie gut und was möchten Sie im Deutsch-unterricht genauso machen? Gab es Dinge, dieIhnen nicht gefallen haben? Was würden Sie des-halb im Deutschunterricht jetzt anders machen?Wie? Haben Sie Ideen? Wie haben Sie z.B. Texte inIhren anderen Fremdsprachen gelesen? MusstenSie sie Wort für Wort erschließen, oder sind Sie ausder „Vogelperspektive“ herangegangen? Was hilftIhnen besser, den Text zu verstehen? Wie haben Sie bislang Grammatik behandelt?Schauen Sie sich viele Beispiele anund bauen Sie neue Sätze nach demgleichen Muster, oder haben SieTabellen und Regeln bekommen undversuchen, daraus konkrete Beispie-le abzuleiten? Was ist Ihnen lieber,womit können Sie besser lernen?

Ziel solcher Nachfragen ist es, denLernenden einerseits behilflich zusein, nach und nach mehr über ihreneigenen Lerntyp herauszufinden, damit sie ge-zielter und effektiver lernen können; andererseitskann man Wiederholungen von eventuell als nega-tiv empfundenen Erfahrungen aus vorgängigemFremdsprachenunterricht vermeiden bzw. positi-ve Erfahrungen als Basis für das weitere Lernenbenutzen.

3.2 Sie können, falls es Ihr Lehrwerk nicht ohnehinvorsieht, hin und wieder kleinere Einheiten desexpliziten Sprachvergleichs einbauen (dafür müssenSie gar nicht alle im Klassenraum vorhandenenSprachen selbst beherrschen) und diesen Vergleichz.B. an Englisch (oder einer der anderen der vorhergelernten (Fremd)Sprachen) und der ZielspracheDeutsch zeigen: Ich habe festgestellt, dass Lernen-de bei Themen, bei denen sie selbst nach Paralle-len und Unterschieden forschen können, sehr fin-dungsreich sein können.

Im Zentrum aller Unter-richtsaktivitäten steht die Bewusstmachung, dieBewusstmachung über dieverschiedenen Sprachen,über den Vergleich, den Kontrast, die Beschreibungder Sprachen und die Bewusstmachung des eigenen Lerntyps.

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Beispiel: Komparation

Typische Fragen und Arbeitsaufträge können sein: Vergleichen Sie die Komparation im Deutschen(nett, netter, am nettesten) und Englischen (nice,nicer, the nicest) mit Ihrer Muttersprache bzw.ihren anderen (Fremd)Sprachen, z.B. Französisch(gentil, plus gentil, le plus gentil). Was fällt Ihnenauf? Welche beiden Funktionsprinzipien erkennenSie? Welches Funktionsprinzip (Steigerung desAdjektivs selbst, Kennzeichnung der Steigerungaußerhalb des Adjektivs) gilt für Ihre anderen Spra-chen?

Beispiel: Farbplakat

Eine Plakatrolle wird längs ausgerollt und an dieWand geklebt, entweder werden horizontale Strei-fen bunt gemalt und dann ausgefüllt, oder dieNamen für die Farben werden in den entsprechen-den Farben in den jeweiligen Sprachen aufge-schrieben. Entlang jeder Farbe werden die Farb-namen in allen Sprachen der jeweiligen Lerngrup-pe aufgelistet, ganz vorne stehen die deutschenFarbbezeichnungen. Das Farbplakat wird aufge-hängt und bei Bedarf ergänzt (siehe Abb. 2).

Solche Plakate mit Parallelformen eignen sich auchfür die Sammlung von Familienbezeichnungen(Mutter, mother, mère, ... usw., vgl. Karagiannakisin diesem Heft), Esswaren, Haushaltsgegenständen.Die Lernenden können sehen, wie nah und fern dieverschiedenen Sprachen aussehen im Vergleichzum Deutschen. (Dieses Beispiel stammt aus Huf-eisen 2003a; hier und in Hufeisen 2003b findet sicheine Reihe weiterer konkreter Beispiele.)Ziel: Indem Sie ganz zielgerichtet die anderen Spra-chen im Deutschunterricht ansprechen, werden dieLernenden ermuntert, ihr vorhandenes Wissen beieiner konkreten Aufgabe einzusetzen und sie nichtisoliert zu behandeln. Die (vorhandenen) Netz-werke werden gezielt genutzt und die Lernendenkönnen üben, diese Netzwerke auszubauen undganzheitlich an die Sprache heranzugehen (vgl. fürweitere Beispiele Hufeisen/Neuner 2003).

3.3. Wenn Interferenzen produziert werden, könntenoder sollten auch diese Gegenstand der Bewusst-machung sein, aber weniger unter dem Aspekt, dasssie etwas Drohendes oder ganz Schlimmes sind, son-dern dass sie – genau wie die Parallelen – auch Teildes Sprachenkontaktes im Kopf der Lernenden sind.Zwar sind sie keineswegs so erstrebenswert wie rich-tige Sprachformen, aber wenn man sie unter demAspekt behandelt, dass sie nun einmal die andereSeite der Medaille sind und dass man auch auf sieAcht geben muss, können sie als integraler Bestand-teil des Fremdsprachenunterrichts gesehen werden.

Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, da-mit umzugehen:

Interferenzen thematisieren und erklären, wennsie produziert werden. Die Lernenden können ihre eigenen, individuellen Interferenzlisten er-stellen und ständig erweitern. Wenn es sich um einefeste Lerngruppe handelt mit eigenem Unter-richtsraum, kann man diese Lernfallen auf Plaka-ten sammeln. Für ganz wichtig halte ich es jedoch,aus dieser „Fehlermücke“ keinen Elefanten zu machen: Auch wenn Fehler, die auf Transfer be-ruhen, ärgerlich sein können, sind sie doch Teil derindividuellen Sprachent-wicklung, und sie sindnicht die Hauptsache derLernresultate: In einemsprachsystematischen Ver-gleich gibt es oft viel mehrParallelen als Interferenz-möglichkeiten!

Lustig wird es insbeson-dere für jüngere Lernende,wenn Interferenzen aufder lexikalischen Ebene, die zugleich falsche Freun-de sind, aus allen in der Lerngruppe vorkommen-den Sprachen als „Wortschlangen“ auf Plakatengesammelt und mit Beispielen veranschaulichtwerden:„Waiter, when do I become a beefsteak?“ ?=? „Wannbekomme ich ein Beefsteak?” !=! „Wann werde ichein Beefsteak, guten Appetit!“„Det är en hygglig hund!“ ?=? „Das ist ein hügeliger,bergiger Hund!” !=! „Das ist ein wohlerzogenerHund!“

Ziel: Die Lernenden sollten gewarnt und sensibili-siert, aber nicht verschreckt werden.

3.4. Bei all diesen Kontrasten und Vergleichen sollte(n) die Muttersprache(n) gar nicht ausgespartwerden, denn sie ist bzw. sind genau so im Kopf derLernenden wie die anderen, vorgängigen (Fremd-)

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer22

Deutsch English Français Svenska Italiano

blau blue bleu blå blu, azzurro

grün green vert grön verde

rot red rouge röd rosso

schwarz black noir svart nero

gelb yellow jaune gul giallo

Interferenzen sollteman thematisierenund erklären, wennsie produziert werden.Über Interferenz-fehler sollte man sichnicht ärgern, sie sindTeil der individuellenSprachentwicklung.

Abb. 2

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Sprachen und kann bzw. können deshalb gar nichtausgeschaltet werden! Inzwischen wurde allerdingsin Studien festgestellt, dass die L1 (die Muttersprache)einen doch anderen Status im mentalen Lexikon und in der Sprachverarbeitung zu haben scheint als die Fremdsprachen, die einander oft näher zu liegen scheinen. Dafür wurde der Begriff „foreign language mode“ geprägt und man meint damit, dasswir beim Fremdsprachenlernen und -verarbeitenoffenbar den Lernschalter auf „Fremdsprachen“umlegen und die L1 dann nicht unbedingt im Vor-dergrund stehe. Neurologische Studien bestätigendiese Annahme: Die nicht früh gelernten Fremd-sprachen verarbeiten wir offenbar (gemeinsam) ineinem anderen Hirnareal als die Muttersprache(n)und die früh gelernten Fremdsprachen.

Die Muttersprache drängt sich – anders als beianderen Spracheinheiten – allerdings insbesonderebei der Aussprache in den Vordergrund; dies wiedermeist unbewusst. Auch hier hilft meiner Erfahrungnach nur die Transformation des muttersprachlichUnbewussten in bewusst gemachtes Wissen, dasdann im Vergleich mit der Zielfremdsprache ausge-schaltet oder zumindest zurückgedrängt und mini-miert werden kann. So merken beispielsweise vie-le meiner Studierenden mit Spanisch und Italie-nisch oder einer osteuropäischen Sprache als L1 garnicht, wie prominent ihr „r“ auch im Deutschen istund – besonders wenn es am Silbenende produziertwird – wie stark dies das Verstehen behindert!

An diesem Beispiel kann man abschließend zugleich zeigen, dass es bei solchen bewusstmachenden Verfahren für die Lehrkraft keineswegsnotwendig ist, alle in einer erstsprachlich hetero-genen Lerngruppe vorkommenden Herkunftsspra-chen zu beherrschen: Die Fehler weisen uns denWeg, und zusammen mit den Lernenden kann mandie Vergleiche und Kontraste anstellen.

Weiterführende Literatur:Hufeisen, Britta / Neuner, Gerhard: Mehrsprachigkeitskonzept – Tertiär-

sprachen – Deutsch nach Englisch. Graz: Europäisches Fremdspra-chenzentrum 2003.

Hufeisen, Britta (a): Muttersprache Französisch – Erste Fremdsprache Eng-lisch – Zweite Fremdsprache Deutsch. Sprachen lernen gegeneinanderoder besser miteinander? In: Meißner, Franz-Josef / Picaper, Ilse (Hrsg.):Mehrsprachigkeitsdidaktik zwischen Frankreich, Belgien und Deutsch-land. Tübingen: Gunter Narr 2003, 49-61.

Hufeisen, Britta (b), L3-Didaktik für polnische Deutschlernende. In: Stasiak, Halina (Hrsg.): „Hallo! Kannst du schon Englisch? Jetzt ist esZeit, Deutsch zu lernen.“ Materialien für den studienbegleitendenDeutsch-Unterricht an Fremdsprachenlektoraten in Polen. Danzig:Universität Danzig 2003, 25-37.

Hufeisen, Britta: Deutsch als Tertiärsprache. In: Helbig, Gerhard / Götze,Lutz / Henrici, Gert / Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Deutsch alsFremdsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin: Walter deGruyter 2001, 648-653.

Rieger, Caroline: Lernstrategien im Unterricht „Deutsch als zweite Fremd-sprache“. In: FREMDSPRACHE DEUTSCH 20 / 1999, 12-14.

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va-M

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Erstmals erschienen in: G. Schneider /M. Clalüna: Mehrsprachigkeit undDeutschunterricht, bulletin vals-aslaSonderheft 2002.

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VorbemerkungTrotz gegenteiliger Erkenntnisse und didaktischerForderungen wird Sprachenvielfalt im Klassenzim-mer sowohl im muttersprachlichen als auch imfremdsprachlichen Unterricht noch immer zuwenig genutzt. Dabei bringen gerade Fremdspra-chenlernende ein hohes Potenzial an sowohl theo-retischem als auch analytischem Wissen über For-men und Struktur von Sprache(n) mit, welchesbewusst in den Fremdsprachenunterricht mit ein-bezogen werden kann. Gründe hierfür gibt es viele,allen voran die Forderungen der Europäischen Union nach einer „mehrsprachigen und pluri-kulturellen Kompetenz“, die m. E. keineswegs aufEuropa beschränkt bleiben darf.

Zu den wichtigsten Methoden eines Unterrichts,der auch andere als die Zielsprache in Betrachtzieht, zählt der Sprachvergleich. Von den vielenZwecken, die dieser erfüllen kann, sind zwei beson-ders hervorzuheben:

Das Vergleichen von Strukturen verschiedener

VON SCHÖNEN SCHWESTERN, POLITISCHEN BRÜDERN UND GESETZESMÜTTERN Familien- und Verwandtschaftsbezeichnungen im

mehrsprachigen DeutschunterrichtVON EVANGELIA KARAGIANNAKIS

Evangelia Karagiannakis untersucht mit ihren erwachsenen Deutschlernenden die Benennungen von Familienbeziehungen,

die ja häufig auch in Lehrwerken thematisiert werden. Dabei geht es um die Wahrnehmung von Ähnlichkeiten und

Unterschieden in verschiedenen Sprachen. Ihre konkreten Unterrichtserfahrungen zeigen darüber hinaus, wie motivierend

gerade in diesem Bereich (jede und jeder hat eine Familie) die emotionale Einstellung der Lernenden sein kann.

Sprachen fördert die Einsicht sowohl in einzelneBereiche einer bestimmten Sprache als auch in die Funktionsweise von Sprachen allgemein (meta-linguistische Kompetenz).

Das Vergleichen von Sprachen führt auch zumVergleichen von Welten der jeweiligen Sprecher und damit zu einem besseren Verständnis für dieLebensart und die Denkweisen anderer Menschen,wodurch schließlich Vorurteilen entgegenwirktwerden kann.

Sprachvergleichendes Arbeiten im UnterrichtAls Beispiel wähle ich das Thema Familien- und Verwandtschaftsbezeichnungen, weil Familie einesder Hauptthemen in Lehrwerken für Deutsch alsFremdsprache ist. Übungen wie die folgendenkönnten also direkt an die entsprechende Lektioneines Lehrwerks anknüpfen. Außerdem ist diesesThema Lernenden aller Altersstufen und Natio-nalitäten vertraut, spricht sie an und motiviert sie.

GriechischesVolkslied

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Zudem ist es realitätsbezogen, denn oft wollen /sollen / müssen sie über sich und ihre Familie Aus-kunft geben.

Die vorgestellten Materialien und Übungsfor-men sind grundsätzlich für jede Altersgruppe geeig-net. Sie basieren auf Erfahrungen in internationa-len Gruppen erwachsener Deutschlernender. ImEinzelfall müssen sie an die konkreten Bedingun-gen der jeweiligen Gruppe angepasst werden.

Erste Schritte: Die engere Familie

Als Einstieg bietet sich ein Bild bzw. ein Foto einerFamilie mit einem dazu gehörenden Stammbauman (Beispiel siehe Abb. 1). Hier tauchen schon ersteBezeichnungen für die engere Familie auf, dieAnzahl der Personen und Ausdrücke bleibt insge-samt jedoch überschaubar. Bild / Foto und Stamm-baum bieten verschiedene Redeanlässe: Wer sindwohl die dargestellten Personen? Welcher Namegehört zu wem? Wie alt sind die Personen? Wo

wohnen sie? Bei welcher Gelegenheit wurde das Bildgemacht? Meine Großmutter / Mein Großvater heißt... Habe ich Tanten / Onkel? usw. Die Gespräche dar-über können in Kleingruppen oder im Plenumstattfinden, nur mündlich geführt oder schriftlichfixiert werden. Entscheidend ist, dass die Lernen-den über das Bild mit den dazu angebotenen Infor-mationen in die Thematik eingeführt werden, dabeiin Kommunikation zueinander treten und dassauch schon erste Übertragungen auf den eigenen,persönlichen Lebensbereich Familie stattfinden.Falls die Mitglieder einer Familie aus zwei odermehr verschiedenen Ländern stammen, ist damitvon Anfang an auch das Thema „Kontakt zwischenverschiedenen Kulturen“ präsent, ohne dass ex-plizit darauf hingewiesen werden muss. Hierauslassen sich zu einem späteren Zeitpunkt auch an-dere, neue Themen, etwa zur Namengebung, zuFamilientraditionen usw., ableiten und vertiefen.

Bereits dieses sehr begrenzte Sprachmaterial kannnun im nächsten Schritt Grundlage für einen inten-siven Sprachvergleich werden. Hierzu sollten dieLernenden zunächst, ausgehend von den Familien-bezeichnungen im Stammbaum, Entsprechungenin anderen Sprachen suchen. Grundsätzlich gibt eshierfür verschiedene mögliche Vorgehensweisen:� Die Lernenden tragen Wörter aus ihren eigenen

Sprachen zusammen, also aus ihren Mutterspra-chen und / oder ihnen bekannten Fremdsprachen.Dieses Verfahren bietet sich besonders in hetero-genen Gruppen mit vielen Muttersprachen an.

� Die Lehrperson stellt Hilfsmittel (Wörterbücher,Internet-Adressen) zur Verfügung und lässt dar-in Begriffe suchen. Mit dieser Variante könnenauch homogene Gruppen ein breites Spektruman Sprachen abdecken (und dabei gleichzeitigden Umgang mit Medien üben).

Die gefundenen Ergebnisse werden in einer Tabel-le zusammengestellt, die am besten auf großePapierbögen übertragen und im Klassenzimmeraufgehängt wird (siehe Abb. 2). Je nach Zeit undInteresse kann sie auch mit bildlichen Elementen(z.B. bunte Länderflaggen, Bilder zu den Familien-mitgliedern) ansprechend gestaltet werden. Wennkeine Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden kön-nen, kann es durchaus vorkommen, dass einzelneBegriffe in der einen oder anderen Sprache nichtbekannt sind. Dies ist nicht weiter tragisch, dennauch unvollständige Übersichten bieten oft mehrDenk- und Arbeitsanstöße, als man im Unterrichttatsächlich unterbringen kann.

Die Tabelle in Abb. 2 bietet Informationen zu ver-schiedenen Fragen und Überlegungen.

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Das ist Lauras Familie. Ihre Mutter kommt aus Italien, der Vater aus Deutschland.

Abb. 1: Lauras Familie

GroßvaterGuiseppe

GroßmutterVincenza

TanteLuisa

OnkelRosario

GroßvaterRichard

GroßmutterAnnegret

TanteHanna

OnkelChristoph

MutterValentina

VaterThomas

EliasLaura

� �

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� Welche Wörter klingen gleich / ähnlich bzw.sehen gleich / ähnlich aus (Schreibung und Aus-sprache)? • dt. Vater / engl. father• dt. Tante / frz. tante• engl. uncle / frz. oncle • span. tía / portugies. tia / ital. zia / griech.

���� [*�ia]; poln. matka / tschech: matka� Worin ähneln bzw. wodurch unterscheiden sich

die Bezeichnungen für „die Eltern von Vater undMutter“ (Wortbildung)?• dt., engl., frz., türk.: groß + Vater / Mutter;andere Sprachen haben eigene Bezeichnungenfür sie.

� Werden die zusammengesetzten Bezeichnun-gen in den jeweiligen Sprachen nach dem glei-chen Prinzip geschrieben (Rechtschreibung)?• dt., engl., türk.: zusammengeschrieben: Großmutter, grandmother, büyükanne• frz. mit Bindestrich: grand-mère

� Gibt es in bestimmten Sprachen besondereBuchstaben oder Zeichen (Graphematik)?• griech.: Alphabet, Akzente zur Betonung ������ [pa*t4ras]• türk.: Zeichen, welche die Aussprache regeln /ș/ –> [∫]

� Kann man an den Endungen das Geschlechterkennen (Morphologie)?• engl.: nein• griech.: ja, immer• ital.: ja, manchmal

� Gibt es Besonderheiten bei der Bedeutung derWörter (Semantik)?• Das Türkische hat je drei Bezeichnungen für Tante und Onkel, und zwar je nachdem, ob es sich um die Schwester oder den Bruder der Mutter oder des Vaters handelt oder ob die Tante / der Onkel angeheiratet ist.

An dieser Stelle könnte ein Vergleich mit deninzwischen veralteten deutschen Bezeichnun-gen Muhme / Oheim / Ohm (Schwester / Bruder der Mutter) und Base / Vetter (urspr.Schwester / Bruder des Vaters) von Interesse

sein. In einem fortgeschrittenen Deutschkurs an einer deutschen Universität machten sich dieLernenden sogar auf den Weg und befragtendeutsche Muttersprachler zu den Bedeutungenund dem Gebrauch dieser Ausdrücke. (Späterwanderten Base und Vetter in die nächste Gene-ration: Sie waren die Vorgänger der heutigenCousine / Kusine / Cousin = Verwandtschaftsbe-zeichnung der Kinder von Tanten und Onkeln).

� Gibt es andere Erkenntnisse?• Das griechische Wort für Papa heißt ���� [ba*bas] (vgl. türk. baba, Vater).Außerdem heißen im Griechischen die Paten-tante bzw. der Patenonkel �o�� [nC*na] (vgl. ital. nonna, Großmutter) und �o�o [nC*nCs](vgl. ital. nonno, Großvater).

Kontrastive Betrachtungen, Vergleiche zwischenZiel-, Mutter- und Fremdsprachen können, wiegerade gezeigt wurde, viele Erkenntnisse auf lingui-stischer Ebene hervorbringen. Das Wissen um solche linguistischen Gegebenheiten, das Wissenum Ähnlichkeiten und Unterschiede, macht (pro-blematische) Sachverhalte der Zielsprache klarer,bietet Lernhilfen, verdeutlicht bestimmte sprachli-che Phänomene, bewirkt oft auch ein besseres Ver-ständnis der eigenen Muttersprache, fördert ein all-gemeines Interesse und dadurch eine größere Sen-sibilität für Sprachen. Es wirft aber auch außerhalbder konkreten Beispiele übergreifende Fragen auf,etwa nach Herkunft, Verwandtschaft, gegenseitigerBeeinflussung von Sprachen usw. Dies wiederummag zu Fragen führen wie etwa:Warum haben gera-de die Sprachen X und Y Ähnlichkeiten? Welche histo-rischen Gründe hat dies, was hat das mit den heuti-gen Menschen aus den entsprechenden Ländern zutun? Warum gibt es im Deutschen nur noch eineBezeichnung für Tante und Onkel und im Türkischenmehrere? Warum sind die Eltern der Eltern in man-chen Sprachen „große“ Eltern, in anderen nicht? usw.

Das Gelernte kann später auf verschiedene Weise kreativ eingesetzt werden. So könnte derStammbaum in Abb. 1 beispielsweise neu, nämlichmehrsprachig gestaltet werden. Ebenso wäre es

Deutsch Englisch Französisch Spanisch Portugiesisch Italienisch Griechisch Türkisch Polnisch Tschechisch

Großmutter grandmother grand-mère abuela avô nonna ������ büyükanne babka, babcia babicka

Großvater grandfather grand-père abuelo avo nonno ����o büyükbaba dziadek dedecek

Mutter mother mère madre mãe madre ����� anne matka matka

Vater father père padre pai padre ������ baba ojciec otec

Tante aunt tante tía tia zia ���� teyze, hala, ciotka, ciocia tetayenge1

Onkel uncle oncle tío tio zio ���o amca, dayı, wujek stryceniște2

Abb. 2: Bezeichnungen für Familienmitglieder in verschiedenen Sprachen.

1 Mutterschwester, Vaterschwester, angeheiratete Tante

2 Vaterbruder, Mutterbruder, angeheirateter Bruder

Abb. 2: Bezeichnungen für Familienmitglieder in verschiedenen Sprachen.

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denkbar, dass die Lernenden ihre eigenen Stamm-bäume zweisprachig (Mutter- und Zielsprache)oder in einer bisher gänzlich fremden Sprachegestalten.

Vertiefende Übungen – die engere Familie Wenn die Lernenden während der Arbeit an derTabelle und/oder an den Stammbäumen nichtohnehin schon von sich aus Fragen nach weiterenFamilienbezeichnungen stellen, können diese ineinem der nächsten Schritte bewusst hinzugefügtwerden. Denn, will man ausführlich über die Fami-lie sprechen, benötigt man mehr Ausdrücke, dieweitere Beziehungen bezeichnen. Eine solche Listewäre z.B. Großeltern, Enkelin, Enkel (Junge), Enkel(Sammelbezeichnung), Eltern, Tochter Sohn, Kind,Schwester, Bruder, Geschwister, Cousine, Cousin,Nichte, Neffe. Auch hier könnte die erste Aufgabeeine tabellarische Darstellung der gesammeltenWörter sein. Die Bezeichnungen lassen sich an-schließend nach ihrer Bedeutung in Gruppenunterteilen, die je drei bis vier Lernende genauer„unter die Lupe nehmen“ können. In einem Kursmit jungen Studierenden erstellte eine Kleingrup-pe die in Abb. 3 dargestellte Grafik. Die anderenKleingruppen entwickelten andere Formen derDarstellung, worüber später eine Diskussion ge-führt wurde, ein interessanter Nebeneffekt.

Aus den Informationen in Abb. 3 erarbeiteten dieStudierenden eine Reihe von Faktoren vor allem ausdem semantischen, aber auch aus dem grammati-schen Bereich:� Die Bedeutung Eltern wird sehr unterschiedlich

realisiert. Das Türkische sagt dafür schlicht

Mutter Vater, das Spanische sagt wörtlich dieVäter, im Deutschen, Englischen und Griechi-schen gibt es völlig neue Wörter.

� Ähnliche Unterschiede gibt es bei dem Sammel-begriff für Bruder und Schwester. Im Spanischensind es die hermanos (Brüder), im Englischenbrothers and sisters (Brüder und Schwestern). DasGriechische bildet vom selben Wortstamm einefeminine Form für Schwester, ������, eine maskuline für Bruder, �����o, und eine imNeutrum Plural für Geschwister, �������. DasTürkische hat ebenfalls ein Grundwort für die Beziehung zwischen Kindern einer Familie,kardeș. Dieses wird kombiniert mit kiz (Mädchen)zu Schwester, mit erkek (Mann) zu Bruder undschließlich mit dem Pluralmorphem -ler zuGeschwister.

� Nach dem gleichen Prinzip bildet das Türkischedie Begriffe für Kind evlat, Tochter kiz evlat undSohn erkek evlat.

� Im Spanischen (und im Griechischen) kann manan der Endung das Geschlecht erkennen: niña /niño, hija / hijo, hermana / hermano.

� Die deutschen und englischen BezeichnungenBruder / brother und Schwester / sister, Tochter /daughter und Sohn / son sind miteinander ver-wandt.

Viele dieser Beziehungen können Lernende ent-decken. Daraus lassen sich allgemeine Regeln fürdie jeweiligen Sprachen ableiten, was zu inhalt-lichen Fragen führt: Warum sind Geschwister imSpanischen männlich? Warum sind die Enkel in England „groß“ (grandchildren) und in Frankreichgerade das Gegenteil (petits-enfants)? Warum hat dasGriechische Sammelbezeichnungen für Cousine /Cousin und Nichte / Neffe, die anderen Sprachen abernicht? Diese und ähnliche Fragen führen zu regenDiskussionen, in denen eine Reihe von angrenzen-den Themen zu verschiedenen Kulturen angespro-chen werden.

Vertiefende Übungen – die angeheiratete FamilieEin weiterer Bereich, der vor allem bei erwachse-nen Deutschlernenden auf Interesse stößt, ist dasFeld der Bezeichnungen für verschwägerte Familien-angehörige. In einem Kurs, in dem die meisten Lernenden verheiratet waren, kam in einer Unter-richtseinheit zum Thema „Beziehung und Partner-schaft“ die Frage auf, was genau eigentlich Schwa-ger bedeute. In einem ersten Schritt wurde dieserFrage mit einem etymologischen Wörterbuch nach-gegangen. Dabei stießen die Lernenden auch auf

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer28

ELTERNspan.: padresengl.: parents

türk.: anne babagriech.: �o���

KINDspan.: niña, -o

engl.: childtürk.: evlat

griech.: �����

TOCHTERspan.: hija

engl.: daughtertürk.: kiz evlatgriech.: �o��

SOHNspan.: hijoengl.: son

türk.: erkek evlatgriech.: ��o

SCHWESTER, hermana, sister, kiz kardeș, ������

BRUDER, hermano, brother, erkek kardeș, �����o

GESCHWISTERspan.: hermanos

engl.: brothers and sisterstürk.: kardeșler

griech.: �������

Abb. 3: Die engere Familie

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verwandte Wörter wie Schwäher oder Schwiegerund auf den – inzwischen etwas veralteten –Schwippschwager. Ein griechischer Teilnehmererklärte, in seiner Sprache gebe es auch eine Ent-sprechung dafür, außerdem je zwei Bezeichnungenfür Schwager / Schwägerin, und zwar abhängigdavon, ob es sich um die Geschwister des Ehepart-ners oder um die Ehepartner der Geschwister han-dele. Dies war in anderen Muttersprachen der Ler-nenden ähnlich. Die Lernenden, an sprachverglei-chendes Arbeiten gewöhnt, stellten von sich ausnun zu den deutschen Bezeichnungen die Entspre-chungen in ihren Muttersprachen sowie in denihnen bekannten Fremdsprachen zusammen. Da-bei kam es besonders bei den Differenzierungen fürdeutsch Schwager / Schwägerin in einigen Sprachenund über die grundsätzliche Art, Verschwägerungauszudrücken, zu lebhaften Diskussionen. Unterden in der Gruppe vorhandenen Sprachen gab esdrei, die eine solche Differenzierung vorsahen: dasSpanische zwei, das Griechische drei, das Türkischesogar vier für Schwägerin und drei für Schwager.Diese Vielfalt beschäftigte die Lernenden sehr: Warum ist eine solche Differenzierung überhauptnötig? Und warum gibt es für die Schwägerin mehrBezeichnungen als für den Schwager? Gibt es in ande-ren Sprachen vielleicht doch genauere Differenzie-rungen,die den Lernenden nur deshalb nicht bekanntsind,weil sie unüblich sind? Und was genau bedeutendie verschiedenen Ausdrücke? Hier gab die Gegen-überstellung der spanischen und griechischenBegriffe Anlass zur Diskussion. Beide Sprachenunterscheiden zwischen den Geschwistern desjeweiligen Ehepartners und den Ehepartnern dereigenen Geschwister. Während der Begriff für erstere in beiden Sprachen gleich ist (cuñada / �o �����), bezeichnet das Spanische letztere als„politische“ Brüder und Schwestern (hermana politica / hermanos politicos), das Griechische hin-gegen als Braut und Bräutigam (� �� � ����o).An dieser Stelle kamen verschiedene Gefühle undEmpfindungen der Lernenden ins Spiel. Die einenfanden die griechischen Bezeichnungen schöner,herzlicher und die spanischen zu kühl und distan-ziert, die anderen standen allen Bezeichnungenvöllig sachlich gegenüber. Bei den Schwiegerelternund Schwiegerkindern waren es die Komposita, welche die Gemüter erhitzten. Dem deutschenSchwieger- und dänischen sviger- standen alle völlig neutral gegenüber. Dagegen wurden englischmother- / father-in-law auf der einen Seite und französisch belle-mère / beau-père auf der anderensehr kontrovers diskutiert. Manche empfanden -in-law als extrem kalt und distanziert, während fürsie belle- / beau- Nähe und Wärme und damit ein

gutes Verhältnis zwischen den Bezeichneten aus-drückten. Andere meinten, das Englische drückelediglich das aus, was es sei, nämlich eine juris-tische Beziehung, für welche die Betroffenen nichtskönnten. Die französischen Ausdrücke dagegen seien völlig überzogen und geheuchelt. Auffallendwar bei der recht intensiven Diskussion, dass dieTeilnehmenden zwar sehr unterschiedlicher Meinung waren, dabei aber großen Respekt vor den Einstellungen der anderen hatten und sichbemühten, deren Sichtweisen zu verstehen undnachzuvollziehen.

Schlussreflexion

Diese Beispiele mögen verdeutlichen, wie vielsprachliches und kulturelles Wissen in Deutsch-Lern-Klassen versammelt ist. Das Wissen unsererLernenden als festen Bestandteil in den Unterrichtzu integrieren, kann den Lernprozess sehr be-flügeln. Neben der Vertiefung eben dieser Inhaltekönnen auch übergreifende Fertigkeiten „neben-her“ geübt werden, darunter methodische (re-cherchieren, nachschlagen, im Internet suchen,Informationen grafisch verarbeiten) und soziale(anderen zuhören, sie ausreden lassen, andere Mei-nungen respektieren). Erst die Kombination ausalledem führt letztlich zu kommunikativer Kom-petenz, einem der Hauptziele eines jeden Fremd-sprachenunterrichts.

Das sprachliche Wissen unserer Lernerinnen undLerner als festen Bestandteil in unseren Unterrichtzu integrieren, bedeutet für uns Lehrende, nichtjede Unterrichtsphase auf ihre inhaltliche Richtig-keit hin überprüfen zu können. Es bedeutet, uns aufFelder zu wagen, auf denen wir nicht oder nurbegrenzt kompetent sind, auf denen wir jedochselbst noch eine Menge interessanter Dinge lernenkönnen. Schließlich erfordert es von uns, Vertrauenin unsere Lernenden zu setzen.

Weiterführende Literatur:

Karagiannakis, Evangelia: LA im Kontext eines suggestopädisch orientier-ten (Fremd-)Sprachenunterrichts. Theoretische Überlegungen undBeispiele aus der Praxis. In: ide, informationen zur deutschdidaktik,03/2002. Innsbruck: Studienverlag, 2002, 85- 93.

Luchtenberg, Sigrid: Möglichkeiten und Grenzen von Language Awarenesszur Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit im (Deutsch-)Unterricht.In: Kuhs, Katharina / Steinig, Wolfgang (Hrsg.): Pfade durch Babylon.Konzepte und Beispiele für den Umgang mit sprachlicher Vielfalt inSchule und Gesellschaft. Freiburg: Fillibach Verlag 1998, 137-156.

Neuner, Gerhard und Hunfeld, Hans: Methoden des fremdsprachlichenDeutschunterrichts. Fernstudieneinheit 4. München: Langenscheidt1993. Kap.7, Der interkulturelle Ansatz, 106-127.

Oomen-Welke, Ingelore: Deutschland – Land vieler Sprachen. In: Balhorn,Heiko / Niemann, Heide: Sprachen werden Schrift. Lengwil am Bo-densee: Libelle Verlag 1997, 234-243.

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Susanne Reif-Breitwieser ging in dem Projekt „Wir sprechen zehn Sprachen“ an der Vienna Bilingual School (Schulsprachen

Deutsch und Englisch) mit ihren Schülerinnen und Schülern auf Entdeckungreise, um die vielen Sprachen zu erkunden, die

sie in den Unterricht mitbringen. Ein solches Projekt ist nicht an eine bilinguale Schule gebunden, wir möchten es auch für

ganz normale Schulen zur Nachahmung empfehlen, wobei auch einzelne Elemente – z.B. dass Schüler in einer Schnupper-

stunde als Lehrer ihrer eigenen Sprache auftreten – herausgegriffen werden können. Die Zusammenarbeit von Deutsch-

und Englischlehrerin ist auch dann möglich, wenn nicht eine Lehrkraft beides unterrichtet. Natürlich sind auch andere Sprach-

kombinationen denkbar – auch Eltern oder ältere Schüler können als Sprachexperten herangezogen werden.

„WIR SPRECHEN ZEHN SPRACHEN“Bericht über ein multilinguales Sprachenprojekt in mehreren TeilenVON SUSANNE REIF-BREITWIESER

1. Zur Ausgangslage

Die Klasse 1C, mit der das Projekt 2002/2003 durch-geführt wurde, besteht aus 30 Kindern, 19 Mädchenund 11 Buben im Alter von ca. 11/12 Jahren, die denbilingualen Zweig (Vienna Bilingual Schooling)unserer Schule in Wien besuchen. Die Jugendlichenwaren gewohnt, mit zumindest zwei Sprachen,Englisch und Deutsch, ständig im Unterricht um-zugehen. Zwölf Kinder sind als muttersprachigeSprecher der englischen Sprache eingestuft, obwohlsie Englisch in den seltensten Fällen als Mutter-sprache (= erste Sprache) gelernt haben bzw. inihren Familien sprechen, sondern Englisch als Ver-kehrssprache benutzen.

Außer Deutsch und Englisch finden sich nochfolgende Fremdsprachen in der Klasse: Afrikaans,Chinesisch (Mandarin), Libanesisch, Polnisch,

Slowakisch, Tagalog, Türkisch und Urdu. Das brach-te mich auf die Idee, den großen Sprachschatz, denich hier vorfand, wenigstens in kleinem Rahmen zuheben.

Das Projekt in seiner jetzigen Form entstanddann eher zufällig anlässlich folgenden Vorfalls: Der pakistanische Schüler, dessen MutterspracheUrdu und dessen Zweitsprache Englisch ist, stellteanlässlich einer Übung zur Verschiebeprobe imRahmen des Unterrichts einen deutschen Satz derartig sinnstörend um, dass alle schallend zulachen anfingen – auch er selbst übrigens!

2. Projektziele

Ausgehend von diesem Anlass wollte ich den Schülerinnen und Schülern klar machen, dass vie-le von ihnen Sprachen sprechen, die völlig anders

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Chinesisches Gedichtaus dem Projekt

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strukturiert sind als Englisch und Deutsch. Abgese-hen vom kognitiven Gewinn dieser Demonstration,die weiter unten beschrieben ist, sollte diese Übungauch einen sozialen Zweck verfolgen, nämlich zuzeigen, warum manchmal belachte Fehler auftre-ten, wenn ein nicht muttersprachiger Sprecher desDeutschen „unsere“ Sprache spricht bzw. sollte auchgezeigt werden, welchen Stellenwert Interkultura-lität im Rahmen von Kommunikation einnimmt.

Zweitens sollte in den Kindern, abgesehen vonInteresse und Neugier, auch ein gewisses Maß an„Ehrfurcht“ vor der fremden Sprache geweckt wer-den, indem in entsprechenden Übungen versuchtwurde, schwierige Schriftzeichen abzumalen oderneue Wörter etwa auf Türkisch oder Arabisch nach-zuahmen, „richtig“ auszusprechen bzw. im bestenFall auch zu erwerben. Welche Herausforderung dasdarstellen sollte, ahnten wir alle zu dem Zeitpunktnatürlich noch nicht.

Weiters wurde in den Stunden, die der nonverba-len Kommunikation gewidmet waren, Wert daraufgelegt zu demonstrieren, wie viel an Kommunika-tion durch Gesten, Körperhaltung und Mimikerfolgt. Es versteht sich fast von selbst, dass geradediese Stunden sich besonders großer Beliebtheiterfreuten, die Jugendlichen insgesamt aber mitFeuereifer und großem Engagement bei der Sachewaren und auch ich selbst den Unterricht währendder gesamten Projektphase mit ausgeprägtemInteresse und Faszination verfolgt habe.

3. Projektbeschreibung

Für das Projekt wurden über ca. zweieinhalbWochen insgesamt etwa 22 Stunden veranschlagt,die sich ohne jede Stundenplanänderung aus derTatsache ergaben, dass ich selbst neun Wochen-stunden Deutsch und Englisch in der Klasse unter-richtete und meine Kollegin Elisabeth Schmidauer,bei der ich mich für ihre Flexibilität, ihren Einsatzund eine Reihe sehr guter Ideen besonders herzlichbedanken möchte, mir ihre zwei Stunden, in denensie sonst die nicht muttersprachige Deutschgruppebetreute, zur Verfügung stellte.

4. Projektablauf

1. Als Einstieg wurden bunte Schilder angefertigt,auf denen alle in der Klasse gesprochenen Spra-chen auf Deutsch und in der jeweiligen Sprachebzw. mit den jeweiligen Schriftzeichen aufge-schrieben wurden, also z.B. Polnisch-Polski, Eng-lisch-English usw. Die Schilder wurden unter dem

Titel „Wir sprechen zehn Sprachen in der 1C“ aneiner großen Plakatwand im Schulhaus befestigt.

2. Daran anschließend wurden die jeweiligen Spre-cher der Sprachen gebeten, der Klasse kurz ihre per-sönliche Beziehung zu ihrer Sprache zu schildern,wann sie begonnen hatten diese Sprachen zuerwerben, wie gut und wie oft sie sie sprechen, obsie sie auch schreiben können usw.

3. Da die nächsten zwei Stunden stundenplan-mäßig als Doppelstunde Englisch geplant waren,wurde in Gruppenarbeit versucht, ein englischesGedicht „Catch a little rhyme“ ins Deutsche so zuübersetzen, dass die einfache Reimstruktur (aa bbcc) und der Sinn des Gedichts – es wird ein Reimgefangen, der sich in alles Mögliche verwandelt undimmer wieder entwischt – erhalten bleibt. Es wur-de primär keine wörtliche Übersetzung angestrebt,z.T. aber von den Übersetzern durchaus erreicht. InHausübungen musste das Gedicht schön auf demComputer getippt werden. Die am besten gelunge-ne Version pro Gruppe wurde auf ein Plakat geklebtund ebenfalls präsentiert.

4. Die nächste Einheit war den verschiedenen Satzstrukturen gewidmet: Der Satz „Wir brauchenSprachen, um neue Freundschaften zu schließen“ –„We need languages to make new friends“ dientedazu als Ausgangsbasis. Jedes einzelne Wort wurdejeweils auf Deutsch und Englisch auf bunte Schil-der geschrieben und von insgesamt 15 Jugend-lichen dargestellt. Im Anschluss daran wurden wie-derum die Sprecher anderer Sprachen gebeten, derReihe nach den Satz in ihrer Sprache an die Tafel zuschreiben und die Kinder dieser Struktur entspre-chend aufzureihen um zu demonstrieren, wo inihrer Sprache z.B. Subjekt, Prädikat, Infinitiv usw. zustehen kommt. Es war natürlich gestattet, mittelsweißer Karten Ergänzungen anzubringen bzw. Wör-ter wegzulassen, die im Deutschen zur Bildungeines korrekten Satzes notwendig sind. Es wurdenauch Bedeutungen einzelner Wörter erklärt, umeine Idee davon zu vermitteln, welches Denken hinter den Sätzen steht. So heißt es z.B. im Arabi-schen, dass man Freundschaften „holt“ bzw. imTürkischen, dass man „fremde Sprachen“ sagenmuss, damit der Satz den gewünschten Sinn ergibt.Im Slowakischen ist das Wort für „Freundschaft“identisch mit dem für „Gesellschaft“ und im Chi-nesischen war zu unserer großen Überraschung dieStruktur des Mustersatzes der deutschen sehr ähn-lich. Alle Sätze wurden von den Kindern in eigensdafür als Hausübung individuell gestaltete „multi-linguale Wörterbücher“ abgeschrieben. Alle hatten

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größte Mühe damit, die chinesischen Schriftzeichenabzumalen, die von der chinesischen Schülerinerklärt und z.T. auch korrigiert wurden. Die größteHerausforderung stellten allerdings die urdischenSchriftzeichen dar.

5. Die folgende Doppelstunde stand ganz im Zei-chen der „Konferenz für bilingualen Unterricht“,die am 6. und 7. Juni 2002 in Wien stattfand undeine große Gruppe ausländischer Gäste an unsereSchule brachte. Ihnen wurde im Rahmen des Pro-jekts die folgende Unterrichtseinheit unter demMotto „Teaching English to a mixed ability group“präsentiert: Die Kinder waren in Gruppen geteilt,native und non-native speakers voneinander ge-trennt und hatten Dialoge zu bereits behandeltenAlltagsthemen (food, clothes, TV, pets etc.) zu ver-fassen und aufzuschreiben, die sie zum größtenGaudium des Publikums am Ende dann der Klassevorspielen durften.

6. In einem nächsten Schritt wurden einige einfa-chere Dialoge herausgegriffen, von den Sprechernanderer Sprachen z.T. übersetzt und in gemischt-sprachiger Konversation vorgeführt, d.h. die pol-nische mit der chinesischen Sprecherin in ihrer je-weiligen Sprache usw. Ziel war es zu sehen, welcheinterkulturellen Unterschiede hier sichtbar werdenbzw. wie viel Bedeutung den metaverbalen Anteilen(Gestik, Mimik usw.) zukommt. Der Originaldialogauf Englisch wurde dabei auf Folien geschrieben;die Klasse konnte in einem zweiten Durchgang mit-lesen, was hier geboten wurde. Zur großen Über-raschung aller konnte in praktisch allen Fällen schonim ersten Durchgang das eine oder andere Wort ver-standen werden (z.B. Pizza) und so wurde in fastallen Fällen der Inhalt des Dialogs wenigstens ober-flächlich „erraten“. Dass diese Aktivität außerdemnoch große Heiterkeit auslöste, lässt sich vorstellen!

7. Der nächste Block war den sogenannten „Sprach-kursen“ gewidmet. Als Beispiel für eine Sprache mitSchriftzeichen wurde Mandarin gewählt: Die Schü-lerin, die einmal in der Woche in Wien auch einechinesische Schule besucht, hatte eine Stunde Zeit,uns, dem staunenden Publikum, einige Phrasen wie„Wie geht es dir?“, Grußformeln, Zahlen und Wo-chentage in Wort und Schrift zu vermitteln. In denfolgenden zwei Stunden fanden dann die „Kurse“für jene Sprachen statt, die sich in ihrer Schrift nichtvom Deutschen unterscheiden: Afrikaans, Polnisch,Slowakisch, Tagalog und Türkisch. In wechselndenGruppen musste jedes Kind zwei verschiedene„Kurse“ besuchen und die „Lehrerinnen und Leh-rer“ waren mit größtem Engagement bemüht, we-

nigstens einige Wörter bzw. kurze Sätze zu ver-mitteln. Das so erworbene Wissen fand in Wort undSchrift Eingang in die multilingualen Wörterbücher.

8. Daran anschließend fand noch einmal eine Stun-de statt, in der meine Kollegin die Klasse mit derZeichensprache der Gehörlosen vertraut machte,die sie dann in „Dialogen“ anwenden sollten. Nichtnur wegen der Freiluftklasse, in der diese Stunde beistrahlendem Schönwetter gehalten wurde, rief dasgroße Begeisterung hervor.

9. Zur Abrundung der Projektarbeit wurde in derfolgenden Stunde die Geschichte von Peter Bichsel,„Ein Tisch ist ein Tisch“ als Klassenlektüre gelesen.Da die Stunde planmäßig eine Englischstundegewesen wäre und daher mein amerikanischer Kol-lege mitkam, waren die Schülerinnen und Schülerangehalten, den Text absatzweise auch auf Englischnachzuerzählen. Die natürliche Sprechsituationwar geschaffen, da mein Kollege nicht sehr gutDeutsch verstand und es daher wichtig war, auchDetails zu erwähnen.

10. In einem letzten Schritt wurde die Geschichtedann im Rahmen der „Computerintegration im Trägerfach Deutsch“ individuell weiterentwickelt:In Paaren bzw. Dreiergruppen musste in Anlehnungan die Bichsel-Geschichte jeder ein eigenes Lexikonentwerfen und in Tabellenform in den Computertippen. Diese Listen fanden dann Eingang in die„Wörterbücher“. Zuletzt spielten einige GruppenDialoge vor, in denen ihre „Lexis“ zur Anwendungkam um aufzuzeigen, dass Sprache als Überein-kunft einer Gruppe von Sprechern nur funktioniert,wenn sich alle an diese Übereinkunft halten. DasFehlen von Verständnis führt zu Fehlen von Kom-munikation und das wiederum zieht Vereinsamungnach sich. Diese Aussage, die auch die AussagePeter Bichsels ist, sollte von allen dreißig Mädchenund Buben der 1C als eine der Botschaften, die dasProjekt vermitteln wollte, mitgenommen werden.Eine Fotodokumentation der gesamten Projekt-arbeit wurde im Schulhaus ausgestellt.

5. Das mutilinguale Lyrik-Projekt

Dem Sprachen-Projekt folgte ein multilingualesLyrik-Projekt, das im Rahmen des Schulfestes amSchuljahresende 2003 zum Abschluss kam.

Projektziele waren:Das Erfahren von Literatur in der fremden Sprache,das vertraut Machen mit dem Klang fremder Sprachen im Rahmen von Lyrik, das neuerliche

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bewusst Machen von sprachlicher Kompetenzinnerhalb der Klasse – als Beitrag zu interkultu-rellem Lernen und Toleranzerziehung.

Projektablauf

1. Die Sprecher und Sprecherinnen der zu Beginnaufgezählten Sprachen wurden zunächst aufge-fordert, ein Gedicht in ihrer Sprache auszuwählen,aufzuschreiben und in den Unterricht mitzu-bringen.

2. In Kleingruppen (insgesamt neun Gruppen)mussten die Jugendlichen das Originalgedicht insDeutsche und Englische übertragen, wobei derjeweilige muttersprachige Sprecher zunächst inner-halb seiner Gruppe mündliche Übersetzungsarbeitleisten musste. Selbstverständlich ging es hier nichtnotwendigerweise um eine wörtliche Übersetzung.Es war den Jugendlichen z.B. auch frei gestellt, obsie versuchen wollten, ein Reimschema zu erhaltenoder nicht. Hauptaugenmerk lag dabei auf denGedanken, die hinter dem Gedicht stehen, da Spra-che ja immer als Ausdruck der Gedankenwelt einerGruppe von Sprechern erfahren werden soll, wofürsich Lyrik besonders gut eignet.

3. Im Unterricht wurde das Gedicht zunächst imOriginal vorgestellt, die Schülerinnen und Schülerkonnten mit Hilfe der OH-Folie mitlesen. Beim ara-bischen, chinesischen bzw. Urdu-Gedicht war diesnatürlich in herkömmlicher Form nicht möglich,hier musste wiederum der/die muttersprachigeSprecher/Sprecherin als „Lehrer/in“ fungieren.

4. Im Anschluss daran wurden die Inhalte vonanderen, die sich in der Gruppe damit beschäftigthatten, auf Deutsch bzw. Englisch vorgetragen. DerSchüler/Die Schülerin, die das Gedicht vorgestellthatte, musste die Wahl begründen. Er/Sie solltebeim lauten Vortrag auf eventuelle Reime, Ono-matopöieen (Lautmalerei), Alliterationen (gleich-lautender Anlaut bei betonten Silben), metapho-rischen Sprachgebrauch und auf „Typisches“ (z.B. topografische, kulturelle Anteile) soweit wiemöglich hinweisen.

5. Als nächste Aktivität wurden englische Interviewszu den Gedichten verfasst, die abfragen sollten, wel-chen persönlichen Bezug der jeweilige Sprecher zudem Gedicht hat, was daran typisch ist usw. DieseInterviews fanden schließlich ebenso Eingang in dieLyrikanthologien.

33

Der 1997 von der Europäischen Kommission insLeben gerufene Wettbewerb wird in nahezuallen EU-Staaten durchgeführt. Er richtet sichan Schulen, Universitäten u.a. Bildungsorgani-sationen sowie an Personen, die beispielgeben-de Projekte zum Sprachenlernen durchführen.Jedes Jahr werden für den Wettbewerb beson-dere Schwerpunktthemen ausgeschrieben. Die europaweit gültigen Kriterien für den Wett-bewerb lauten:

• Die Initiativen / Projekte sollten umfassendsein. Alle beteiligten Personen (Lehrer undLernende) und einschlägigen Hilfsmittel(Methoden und Materialien) sollten dazu beitragen, dass die Bedürfnisse der Lernen-den erkannt und erfüllt werden.

• Die verfügbaren Ressourcen sollten kreativgenutzt werden, um zum Erlernen vonFremdsprachen zu motivieren. Die Präsenzvon Muttersprachlern, die praktische Anwen-dung von Sprachkenntnissen im Kontakt mit Partnerkommunen bzw. -einrichtungenoder die Zusammenarbeit mit lokalen Unter-nehmen wären Beispiele dafür.

• Die Initiativen / Projekte sollten einen zusätz-lichen Nutzen im jeweiligen nationalen Kon-text erbringen. Sie sollten eine quantitativeund/oder qualitative Verbesserung beim Lehren und Lernen von Fremdsprachenbewirken. Der quantitative Aspekt könntezum Beispiel in der Einbeziehung mehrererSprachen bestehen, insbesondere solcher, die weniger verbreitet sind. Der qualitativeAspekt könnte den Einsatz verbesserter Technologien umfassen.

• Die Initiativen / Projekte sollten bei den Lernenden und/oder Lehrenden Motivationerzeugen.

• Die Initiativen / Projekte sollten originell undkreativ sein. Sie sollten noch unbekannteAnsätze untersuchen, die sich für die be-treffende Zielgruppe der Lernenden eignenkönnten. Allerdings: Was in einem bestimmtenKontext originell, kreativ und innovativ ist, musses in einem anderen nicht unbedingt sein.

• Die Initiativen / Projekte sollten eine euro-päische Dimension enthalten. Sie sollten die

Gegebenheiten Europas sowie die sprachlicheund kulturelle Vielfalt berücksichtigen und dieMöglichkeiten nutzen, die sich bieten (z.B.durch grenzüberschreitende Kontakte), umdas Verständnis für andere Kulturen mit Hilfedes Erlernens von Fremdsprachen zu verbes-sern.

• Die Initiativen/Projekte sollten Innovationenbeinhalten, die auf andere Situationen über-tragen werden können. Sie sollten einepotenzielle Quelle der Inspiration für andereMenschen in verschiedenen Staaten undSituationen sein. Sie sollten zum Beispielinsoweit angepasst werden können, dassandere Sprachen oder andere Altersgruppenals die ursprünglich vorgesehenen mit einbe-zogen werden können.

Das Projekt „Wir sprechen zehn Sprachen“wurde 2003 im Rahmen des Jahresschwer-punkts „Nachbar-, Minderheiten- und Migra-tionssprachen: Motivations- und Sensibilisie-rungsmaßnahmen zur Förderung der sprach-lichen Vielfalt“ in Österreich mit dem Europa-siegel ausgezeichnet.

Europäisches Siegel für innovative Sprachenprojekte / Spracheninitiativen (ESIS):

Die Internet-Adressen für das Europäische Sprachensiegel lauten: D: Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB): http://www.na-bibb.de/eu-sprachensiegel/

A: Österreichisches Sprachen-Kompetenzzentrum: http://www.zse3asn-graz.at/ EU: http://europa.eu.int/comm/education/policies/lang/languages/actions/languagelabel_en.html

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6. Abschließend erhielten alle Kinder Kopien derOriginale und deren Übertragung ins Englische undDeutsche und stellten diese als „MultilingualeGedichtanthologie“ (Multilingual Poetry Antholo-gy) zusammen. Diese hielt dann jede/jeder schöngestaltet als Endprodukt in Händen.

7. Am 14. Juni rezitierten die Schülerinnen undSchüler im Rahmen unseres Schulfests alle erar-

beiteten Gedichte auswendig in Originalsprache,Deutsch und Englisch und so fand das Projekt sei-nen krönenden Abschluss. Die Präsentation fandbeim Publikum großen Anklang und stellte somitauch für alle beteiligten Kinder ein äußerst moti-vierendes Erlebnis dar.

8. Ende Juni besuchten wir schließlich noch dieAusstellung „Der Turmbau zu Babel“ in Schloss

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer34

Gedicht in Urdu.Urdu ist die offizielle Amtssprache in Pakistan, es ist diebevorzugte Verkehrssprache der städtischen Bevölkerung.

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Eggenberg in Graz, die in besonders anschaulicherWeise Sprachen- und Schriftenvielfalt darstellteund von den Kindern sehr positiv erlebt wurde.

6. Vorausschau

Es ist geplant, ähnliche Projekte im Rahmen derUnterstufe fortzusetzen. Im kommenden Frühlingwird vermutlich ein fächerübergreifendes Projekt

mit Geografie und Wirtschaftskunde die Ost-erweiterung der EU auch mit einem Sprachen-schwerpunkt – in unserem Fall mit Slowakisch undPolnisch – behandeln.

Teile der Projektarbeit in Form von Fotos könnenauf unserer Homepage unter www.grg23vbs.ac.atStichwort „Erinnerungen 2002/3 – Projekte“ ein-gesehen werden.

Traditionelles slowakisches Gedicht

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1. Das Konzept der „InterkulturellenMärchendidaktik“ 1

Auf der Basis des Language Awareness-Konzepts inszenierten wir gemeinsam mit den Kindern undEltern russische und türkische Märchen als„mehrsprachige Märchenspiele mit Musik“. Einwesentlicher Bestandteil des Projekts waren russi-sche und türkische Lieder für eigens konzipierteSprachbegegnungsstunden im Primar- undSekundar-I-Bereich. Der Einsatz der Texte im Regel-unterricht Deutsch, in Kursen für Deutsch alsZweitsprache und Deutsch als Fremdsprache undim mehrsprachigen Theaterprojekt war möglich,obwohl zu Projektbeginn keine der Lehrkräfte überRussisch- bzw. Türkischkenntnisse verfügte. Folgende Voraussetzungen sollten erfüllt sein:� Als Unterrichtsmaterial werden authentische, den

Lernenden bekannte Texte (Kinderverse, Lieder)verwendet – Prinzip der Schülernähe.

� Muttersprachliche Schülerinnen und Schülerund Eltern werden als „Experten“ hinzugezogen(u.a. als Aussprache-Experten) – Prinzip der Stärkung bilingualer Schüler und Eltern.

� Die Lehrkraft sollte über grundlegende grammati-sche / sprachstrukturelle Kenntnisse verfügen undsich einige Aspekte des Sprachvergleichs aneignen.

2. Unsere ProjekteTextauswahl und TextarbeitGemeinsam mit den Eltern (Muttersprachler) wirdder Text ausgewählt und werden die Aussprache-regeln erarbeitet. Dabei spielt unter Umständen derregionale Dialekt eine Rolle. Wichtig ist hier dasAushandeln einer gemeinsamen Aussprachenorm,

eventuell nach einer einfachen Lauttabelle aus Reisesprachführern.

Produktion und Einsatz von TonträgernDa eine deutschsprachige Lehrperson die fremd-sprachigen Texte in der Regel nicht phonetisch kor-rekt wiedergeben kann, sollte ein Muttersprachler(Kind oder Elternteil) den Text vortragen. Es istaußerdem sinnvoll, zur UnterrichtsvorbereitungTonaufnahmen des gesprochenen Textes zu pro-duzieren: Die Lehrkraft kann sich dann auch zuHause mit dem Text beschäftigen und die Aufnah-me im Unterricht einsetzen.

AusspracheIn der Unterrichtsstunde finden die Lernenden dieAusspracheregeln während des Zuhörens selbstheraus und formulieren sie auch selbst – Prinzip desentdeckenden Lernens. Eventuell hilft ein Arbeits-blatt, auf dem die textrelevanten phonetischenBesonderheiten zusammengefasst sind. Sprach-führer helfen bei der Zusammenstellung.

GrammatikEine Wort-für-Wort-Übersetzung des Textes durchdie Schülerinnen und Schüler ist im ersten Schrittsinnvoll. Die Sinnkonstitution, die sich nicht ohneweiteres daraus ergibt, kann im Allgemeinen mitHilfe der mehrsprachigen Lernenden erfolgen. Sieoder ihre Eltern sollten den übersetzten Text ver-stehen und akzeptieren. Lerninhalte unserer Unter-richtseinheiten mit grammatischem Schwerpunktwaren vor allem:� Erstellen einer wörtlichen Übersetzung; � Transfer der wörtlichen in eine grammatisch

korrekte Übersetzung. Dabei findet auch eine

„SU NEREDE?“ – „WASSER WO?“ Das Modellprojekt „Interkulturelle Märchendidaktik“VON JUTTA KEPSER

Jutta Kepser hat mit Schulklassen fachübergreifend mehrsprachige Projekte durchgeführt,

mit dem Ziel der Integration einer verschiedensprachigen Schülerschaft und der Entwicklung

von Sprachwissen und Sprachbewusstheit. Russisch- und türkischsprachige Kindern betei-

ligten sich an verschiedenen Theaterprojekten, die zum größten Teil außerhalb der Unter-

richtszeit jeweils unter Beteiligung der russischen und türkischen Eltern stattfanden.

In diesem Beitrag stellt sie die Arbeit mit einem türkischen Lied vor.

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer36

Mongolischer Text in Lapidarschrift

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Sensibilisierung für zentrale Regeln im deutschenSprachsystem statt: Wortstellung im Aussage-und Fragesatz, Klammerstellung von Hilfs- undVollverb im Perfekt, Artikel; Pronomen und Hilfs-verben müssen hinzugefügt werden.

Ergebnis und Reflexion

Integration findet nachhaltig statt:

Kinder mit Migrationshintergrund erleben in derAufwertung ihrer Kultur eine soziale Anerkennungdessen, was sie sonst oft zu verleugnen suchen. Dieaktive Mitwirkung der Eltern im Schulalltag verbes-sert die familiäre Kommunikation, denn die meis-ten Kinder sind stolz auf ihre Eltern, die im Unter-richt als Experten für die Muttersprache hinzugezo-gen werden. Gerade die nicht deutschen Eltern hat-ten vorher aus verschiedenen Gründen Vorbehalte,sich aktiv am Schulgeschehen zu beteiligen. Wirerleben sie nun häufiger bei Elternaktivitäten.Umgekehrt erleben die deutschen Kinder ihre zwei-sprachigen Klassenkameraden als interessant. DieInteraktionserfahrung stärkt die Solidarität.

Sprachaufmerksamkeit entsteht auf vielen Ebenen:

Die Kinder mit Migrationshintergrund vertiefendurch Kontrastieren der Sprachen die Sprach-kenntnisse bezüglich ihrer Muttersprache. AlleSchüler erleben im Sprachvergleich eine Vertiefungder Kenntnisse des deutschen Sprachsystems (pho-netisch, orthografisch, morpho-syntaktisch). DieSprachbegegnung mit den verschiedenen Mutter-

sprachen der Mitschüler und Mitschülerinnenkann als „Türöffner“ für das Erlernen dieser Fremd-sprachen fungieren. Darüber hinaus beobachtenwir, dass die Kinder ihre Erfahrungen, die sie imgesteuerten, aber aktiven und selbst entdeckendenSprachvergleich gemacht haben, auch auf denschulischen Regel-Fremdsprachenunterricht über-tragen und insgesamt die Prozesse des Fremdspra-chenlernens besser zu reflektieren vermögen.

Neue Einblicke der Lehrperson:

Durch die Sensibilisierung für typische Interferenz-fehler der bilingualen Schülerinnen und Schülerund – und das ist vielleicht das Lohnendste daran– durch die interkulturellen persönlichen Kontakte,die sich während solcher Sprachprojekte ergeben,gewinnt auch die Lehrperson ganz neue Einblicke.

Solche interkulturellen Projekte setzen bei Lehr-kräften ein erhebliches Maß an Lernbereitschaft,Engagement und Initiative voraus, vor allem solan-ge es noch nicht genügend methodisch aufbereite-tes Textmaterial gibt. Unsere Ergebnisse sind aller-dings so ermutigend, dass wir auch Lehrkräftenohne profunde Fremdsprachenkenntnisse emp-fehlen, ähnliche Unterrichtsideen zu entwickeln.

Anmerkungen:

1 Ausgezeichnet mit dem BMW LIFE Award 2002.2 Eine CD mit der Popversion dieses volkstümlichen Sprechverses und

weitere Audio- / Print-Unterrichtsmaterialien liegen in Erprobungs-fassungen vor. Kontakt: [email protected].

Die Mutter Komșu, komșu, hu, hu!Das Mädchen Hu-hu, hu-hu!Die Mutter Oglun geldi mi?Das Mädchen Geldi.Die Mutter Ne getirdi ki?Das Mädchen ıncik bonçuk.Die Mutter Kime kime?Das Mädchen Sana bana.

Die Mutter Komșu, komșu, hu, hu!Das Mädchen Hu-hu, hu-hu!

Die Mutter Bașka da kime?Das Mädchen Kara kediye.Die Mutter Kara kedi nerede?Das Mädchen Agaca çıktı.Die Mutter Agaç nerede?Das Mädchen Balta kesti.

(Refrain)Die Mutter Balta nerede ki?Das Mädchen Suya düștü.Die Mutter Su nerede? Su nerede? Das Mädchen ınek içti.Die Mutter ınek nerede?Das Mädchen Daga kaçtı.Die Mutter Dag nerede?Das Mädchen Yandı bitti kül oldu.

(Refrain)

Nachbarin, Nachbarin, hu, hu!Hu-hu, hu-hu!Ist dein Sohn gekommen? Er ist gekommen.Was hat er denn mitgebracht?Winzige Perlen.Für wen? Für wen?Für dich und für mich.

Hallo, Nachbarin, hu, hu!Hu-hu, hu-hu!

Für wen außerdem noch?Für die schwarze Katze.Wo ist die schwarze Katze?Sie ist auf den Baum geklettert.Wo ist der Baum?Die Axt hat ihn gefällt.

(Refrain)Wo ist denn die Axt?Sie ist ins Wasser gefallen.Wo ist das Wasser? Wo ist das Wasser?Die Kuh hat es getrunken.Wo ist die Kuh?Auf dem Berg.Wo ist der Berg?Er ist verbrannt, vernichtet, zu Asche geworden.

(Refrain)

WÖRTLICHE ÜBERSETZUNG

Nachbarin, Nachbarin!Hu-hu, hu-hu!Dein Sohn er ist gekommen? Er ist gekommen.Was er hat mitgebracht denn?Winzige Perlen.Für wen? Für wen?Für dich und für mich.

Hallo, Nachbarin, hu, hu!Hu-hu, hu-hu!

Noch außerdem für wen?Schwarz für die Katze.Die schwarze Katze wo?Auf den Baum sie ist geklettert.Baum wo?Die Axt sie hat gefällt.

(Refrain)Die Axt wo denn?Ins Wasser sie ist gefallen.Das Wasser wo?Die Kuh sie hat getrunken.Die Kuh wo?Auf den Berg sie ist weggelaufen.Der Berg wo?Er ist verbrannt, vernichtet, zu Asche geworden.

(Refrain)

Eine Wortliste hilft bei der Übersetzung

agac der Baumagaca auf den Baumbalta die Axtbana mir, für michbașka nochçıktı sie ist geklettertda außerdemdag der Bergdaga auf den Bergdüștü sie ist gefallengeldi er ist gekommengetirdi er hat gebrachtiçti sie hat getrunkenıncik bonçuk winzige Perleninek die Kuhkaçtı sie ist weggelaufenkara schwarzkedi die Katzekediye für die Katzekesti sie hat gefälltki dennkime? für wen?komșu der Nachbar, die

Nachbarinmi (macht aus einem

Satz eine Frage)ne? was?nerede? wo?oglun dein Sohnsana dir, für dichsu das Wassersuya ins Wasser

Das türkische Komșu-Lied: Textgrundlage für eine Sprachbegegnungsstunde Türkisch-Deutsch2

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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2. Sprachbewusstheit und Sprachvergleich

Erkennen von Ähnlichkeiten in derGrammatik Voraussetzung für Sprachvergleiche ist, dass die zuvergleichenden Sprachen dem Lernenden bewusstsind. Beim Wortschatzlernen ist das Vergleichengängige Praxis: Über 90 Prozent lernen deutscheVokabeln über die Brücke des Englischen, der Erst-sprache oder anderer Sprachen. Um herauszufin-den, inwieweit z.B. die Erstsprache auch beimGrammatiklernen präsent ist – d.h. als Vergleichs-sprache zur Verfügung steht – wurden die Proban-den aufgefordert, Ähnlichkeiten und Unterschiedegrammatischer Strukturen zwischen Erstspracheund Deutsch zu beschreiben.

Das Ergebnis spricht deutlich für eine starke Präsenz der Erst-/Muttersprache im Lernerwissen:73,5 % der Befragten können Ähnlichkeiten, 64,7 %Unterschiede zwischen deutscher und mutter-sprachlicher Grammatik nennen. Es kommt dabei –überraschenderweise? – nicht darauf an, welcheMuttersprachen die Befragten sprechen. Studieren-de mit japanischer Muttersprache können genausowie ihre Kommilitonen mit indoeuropäischen

1. Überblick

Der folgende Artikel beschäftigt sich mit dem Ein-fluss von vorhandenen Sprachkenntnissen (Mutter-und Fremdsprachen) auf das Lernen einer weiterenSprache (hier Deutsch als Fremdsprache). Er entfal-tet die in diesem Heft von Oomen-Welke/Krummund von Hufeisen dargestellten Konzepte weiterund belegt deren Berechtigung. Vorgestellt werdenErgebnisse einer Interviewstudie mit erwachsenenDeutschlernenden, die zum Thema Sprachvergleichbefragt wurden. Ich berichte über die Reflexionender Deutschlernenden zum Bereich Grammatik,d.h. es werden das kontrastive Bewusstsein gram-matischer Phänomene und Sprachvergleich beimGrammatiklernen thematisiert. Am Schluss des Artikels gehe ich darauf ein, wie durch ein sprach-vergleichendes Vorgehen im Unterricht die sprach-lichen Kompetenzen heterogener Lernergruppenden Kurs bereichern und das Lernen vertiefen können.

Die 40 Probanden im Alter von 20 bis 26 Jahrenbereiteten sich zum Zeitpunkt der Erhebung amSprachenkolleg in Freiburg auf die Deutsche Sprach-prüfung Hochschule (DSH) vor. Sie hatten 17 ver-schiedene Muttersprachen und verfügten über min-destens eine weitere Fremdsprache außer Deutsch.

Doris Wildenauer-Józsa fasst einige Ergebnisse ihrer Grundlagenstudie zum Lernen einer zweiten Fremdsprache zusammen,

die sie bei jungen erwachsenen Deutschlernenden in Deutschland durchgeführt hat. Die Interviews bieten Einblick in

Sprachbewusstheit und in Lernstrategien von Deutschlernenden aus aller Welt. Auf solchen „naiven“ Vergleichsstrategien

lässt sich ein Unterricht aufbauen, der Reflexion einbezieht, weiterführt und neues Nachdenken anregt.

„ICH VERGLEICHE IMMER ....“ Wie erwachsene Deutschlernende ihre Sprachenkenntnisse

einsetzen: Beispiel Grammatik VON DORIS WILDENAUER-JÓZSA

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer38

Vortragstext auf Japanisch

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Muttersprachen Ähnlichkeiten und/oder Unter-schiede benennen und erklären. Hierzu ein Beispiel einer japanischen Studentin:

Japan (w = Y1)

Y1: Partizipien

I: Partizipien gibt es im Japanischen

Y1: Ja dann ko-ja ich wusste nicht aber ich konnte so diese

Grammatik gut mir merken einfach

(w = weiblich; m = männlich)

Die Japanerin stellt grammatikalische Ähnlichkei-ten zwischen dem Deutschen und dem Japani-schen bei den Partizipien fest. Diese Erkenntnis hatihr offensichtlich geholfen, diesen grammatischenBereich im Deutschen besser zu verstehen undabzuspeichern. Aus der Aussage wird auch klar („... ich wusste nicht aber ...“), dass erst durch dasLernen der Fremdsprache die ähnliche mutter-sprachliche Struktur ins Bewusstsein rücken konn-te. An diesem Beispiel wird bereits deutlich, dass dieeigenaktive Konstruktion, das bewusste Erkennenvon strukturellen Ähnlichkeiten zwischen den Spra-chen eine Lernhilfe und damit eine Lernökonomi-sierung bedeuten können. Zudem zeigt sich, dassdie Muttersprache sprachliches Wissen bereitstellt,das für das Lernen neuer Sprachen gewinnbringendeingesetzt werden kann – auch wenn Mutter- undZielsprache nicht verwandt sind. Es gibt auf deranderen Seite aber auch einige Lernende, die keineÄhnlichkeiten und/oder Unterschiede zwischenden Sprachen wahrnehmen können:

China (m = M)

I: Und im Chinesischen gibt es da ähnliche

M: Ich finde Chine- Chinesisch ist Deutsch ganz verschieden

I: Mhm ja

M: Nein

I: Kann man gar nicht vergleichen

M: Nein ich kann nicht äh Ähnlich- Ähnlichkeit finden

Für den chinesischen Studenten sind seiner Ansichtnach Muttersprache und Deutsch aufgrund der Verschiedenheit der Sprachsysteme nicht zu ver-gleichen. Seine subjektive Theorie über die Unähn-lichkeit der beiden Sprachen beeinflusst bzw. ver-hindert also den Einsatz von Sprachvergleich (vgl.Kellerman 1986, 36). Eine andere Studentin mit gleicher Muttersprache kann aber z.B. bezüglichdes Satzbaus durchaus Vergleichbares feststellen:

China (w = W)

I: Oder ist alles unterschiedlich

W: Nicht ganz alles zum Beispiel wie eine Satz bauen

I: Satzbau aha

W: Ja, das ist Grundstruktur, ja, chinesisch sagt auch Subjekt

zuerst und dann Verb und dann Objekt, das ist gleich – aber

wann diese Satz eine zwei Verben, zum Beispiel Modalverben

plus Verb – dann ist wie Englisch sprechen, die Modalverben

zuerst, und dann Verb und dann Objekt das ist Unterschiede

ja ja (...)

Hier wird deutlich, dass die Wahrnehmung vonÄhnlichkeiten zwischen den Sprachen offensichtlichunabhängig von der jeweiligen Muttersprache vonLernenden zu Lernenden unterschiedlich sein kann.An den drei Beispielen wird bereits ein sprach-vergleichendes Vorgehen der Befragten deutlich:Die japanische und die chinesische Studentinerkennen durch den Vergleich von Mutter- undFremdsprache Deutsch Ähnlichkeiten des Sprach-baus, so dass der Sprachvergleich zu einer Lern-erleichterung führt. Im Gegensatz dazu geht derchinesische Student von der Annahme aus, dass die beiden nicht verwandten Sprachen keinerleiÄhnlichkeiten aufweisen und dass daher derSprachvergleich beim Lernen nicht hilfreich wäre.

Nutzung des Sprachvergleichs zum LernenIn der Studie wurde neben dem Bewusstsein derSprachen auch explizit das Sprachvergleichsverhal-ten der Befragten untersucht. Die Befragten wurdendanach gefragt, ob sie beim Grammatiklernen mitMutter- und/oder Fremdsprachen vergleichen. DieErgebnisse der quantitativen Auswertung machendeutlich, dass der Sprachvergleich eine wichtigeLernerstrategie erwachsener Deutschlernender ist:

Kein Sprachvergleich 32,5 % (13)

Sprachvergleich nur mit Muttersprache 27,5 % (11)

Sprachvergleich nur mit Fremdsprache(n) 22,5 % (9)

Sprachvergleich mit Mutter- und

Fremdsprache(n) 17,5 % (7)

Gesamtheit derer, die vergleichen: 67,5 %

Etwa zwei Drittel der Befragten setzen beim Gram-matiklernen ihre vorhandenen Sprachkenntnissezum Sprachvergleich ein, wobei die Muttersprachein dieser Probandengruppe eine relativ gewichtige-re Rolle spielt. Deutlich wird hier, dass für viele Lernende die vorhandenen Sprachkenntnisse einWissenspotenzial darstellen, das sie zum Spra-chenlernen nutzen – selbst wenn im Unterricht die-se Verknüpfungen zwischen den Sprachen kaumoder gar nicht gefördert werden.

Beim Grammatiklernen ist der Sprachvergleichnicht für alle eine sinnvolle Lernstrategie: Etwa einDrittel der Lernenden spricht sich gegen den Ein-satz von Sprachvergleich aus. Sie können keinen

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Sprachvergleich anwenden oder sie empfinden den Sprachvergleich als zu verwirrend, zu kompli-ziert oder zu langwierig. Hierzu ein Beispiel aus denInterviews:

China (w = X)

X: Zuerst äh – wenn ich spreche meine Muttersprache, dann kann

ich äh nicht denken auch Grammatik – ich spreche so äh natür-

lich, natürlich und fließend, und auch jetzt die englische Gram-

matik habe ich total vergessen – so – ich kann nicht vergleichen

Grammatik mit meiner Muttersprache oder mit äh Englisch

Bei dieser chinesischen Studentin verhindern Un-bewusstheit der Muttersprache und mangelndeFremdsprachenkenntnisse (durch fehlende Übung?)offensichtlich den Einsatz von Sprachvergleich.Vielleicht hätten anleitende Übungen im Unterrichtden positiven Effekt, dass den Lernenden sprach-liches Wissen und Strategien für das Lernen neuerSprachen zur Verfügung gestellt würde.

Die Mehrheit der Befragten jedoch setzt bereitsSprachvergleich zum Grammatiklernen ein. DieArgumente für den Einsatz sind vielfältig. Die italienische Studentin im folgenden Beispiel vergleicht mit Mutter- und Fremdsprachen, umstrukturelle Unterschiede zwischen den Sprachenerkennen zu können. Der Sprachvergleich hilft ihr somit, Auswendiglernen zu verhindern:

Italien (w = B)

B: Ähm ich vergleiche immer

I: Mit Italienisch – oder auch mit Englisch

B: Italienisch Englisch Französisch

I: Alle mhm

B: Ja äh ich muss äh am Anfang muss ich äh wirklich

verstehen, wo die ähm Unterschied wo der Unterschied ist,

sonst kann ich auf äh auswendig lernen – zum Beispiel diese

Konstruktion ist so, aber warum – äh vielleicht lerne ich besser,

wenn ich vergleiche und verstehe, wo den Unterschied ist

als au- auswendig lernen

Die Möglichkeit neben der Muttersprache auch aufandere Fremdsprachen beim Vergleichen zurück-zugreifen, kann bei bestimmten Strukturen desDeutschen von Vorteil sein, wenn z.B. strukturelleÄhnlichkeiten zwischen den Fremdsprachen vor-handen sind. Eine polnische Studentin konnte dasdeutsche Perfekt erst durch den Vergleich mit derenglischen Struktur verstehen:

Polen (w = J)

J: Ja mit einer Fremdsprache – ich hab äh Perfekt mit Englisch

vergleicht – sonst konnte ich das nicht verstehen am Anfang

I: Weil du weil es das im Polnischen nicht gibt

J: Das gibts nicht, also ich und Präteritum, Präteritum und

Perfekt, beide Vergangenheit, nein, das ist ein nein, das war ein

Mischmasch, also ich konnte das am Anfang nicht verstehen,

worum geht es, also jetzt natürlich ja

I: Und da hat dir Englisch geholfen

J: Genau, am Anfang, ja warum ist es mit haben und so und

ja – (...)

Die Bedeutung bereits gelernter Fremdsprachen fürden Lernprozess wird auch an der folgenden Aus-sage deutlich. Der Student aus Brasilien erwähntzum einen die Lernerfahrung, z.B. über die Anwen-dung des Sprachvergleichs, die den Lernprozessverbessern kann. Zum anderen ist es allgemeinsprachliches Wissen über Strukturen, bzw. dieUnterschiede sprachlicher Strukturen, die das Ler-nen einer neuen Sprache erleichtert:

Brasilien (m = E)

I: Ah ja interessant bei dir – was denkst du

E:Ja ich denke dass eine dritte oder vierte fünfte Sprache ist immer

leichter weil man hat hat schon gelernt wie eine neue Sprache

lernen müsste – zum Beispiel mit diese Vergleichen und so wei-

ter und man hat auch mehr – Basis oder so und eine neue Struk-

tur zu verstehen und man weiß schon dass es nicht äh genau wie

in seiner Muttersprache – dann das macht die Sache leichter

Neben einer stärker lernökonomischen Ausrich-tung kann der Sprachvergleich auch eine weitereKomponente aufweisen: Echtes Interesse und Spaßam Entdecken sprachlicher Phänomene. Der mon-golische Student im folgenden Beispiel wurde erstdurch das Lernen des Deutschen fähig, die Mutter-sprache analysieren zu können, was ihm offen-sichtlich Freude bereitet. Daneben ist auch ein spie-lerischer Umgang mit den Sprachen möglich, indemSatzkonstruktionen vermischt werden können:

Mongolei (m = E)

I: Mit Englisch mhm – und bei dir – vergleichst du, wenn du

jetzt deutsche Grammatik lernst (...)

E: Ja das ist äh jetzt lerne ich äh – Deutsch – und die Lehrerin

zeigen, ganz klar wie die äh Satzstelle sind und äh das macht

mir auch sehr interessante Sache aber Spaß, jetzt kann ich auch

mongolische Sprache ja – äh analysieren, wo ist diese – Position wo

sind die Positionen und bin äh – das ist auch möglich deutsche

Satz wie auf Mongolisch benutzen, auch mongolische Satz, die

Satzbau auf Deutsch benutzen, aber wir sprechen manchmal

äh wie die deutsche Sprache äh – läuft

3. Ergebnisse der Untersuchung

Die Erkenntnisse der Neurophysiologie zeigen, dass Lernen das Neuanlegen oder Verändern von Nervennetzwerken bedeutet. Die Aufnahme neuer

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer40

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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Informationen kann dabei nicht ohne den Rückgriffauf bestehende Gedächtnisinhalte vor sich gehen(vgl. Roth 1998, 241 f.). In meinem Projekt wurdeuntersucht, wie bewusst dieser Anknüpfungspro-zess an vorhandenes sprachliches Wissen stattfin-det bzw. ob und wie die Lernenden die bewusstenVerknüpfungen für das Sprachenlernen nutzen.Das Grammatiklernen wurde ausgewählt, weilSprachvergleiche der Lernenden in diesem Bereichnur selten im Unterricht thematisiert werden.

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass muttersprachliches und fremdsprachliches Wissenüber grammatische Strukturen bei vielen Proban-den im Lernerwissen präsent und miteinander ver-bunden sind. Dies lässt auf eine hohe kontrastiveBewusstheit der Muttersprache und des Deutschenschließen. Auch der Sprachvergleich beim Gram-matiklernen weist auf die Verknüpfungen zwischenden Sprachen im Lernerwissen hin: Die Mehrheitder Probanden vergleicht beim Grammatiklernenmit Mutter- und/oder Fremdsprachen. Die Aussa-gen machen deutlich, dass der Sprachvergleich zurLernökonomisierung eingesetzt wird und/odergenerell der Erweiterung des sprachlichen Wissensdient. Bei einigen Befragten zeigt sich, dass das ver-gleichende Betrachten der Sprachen und damit ver-bunden das Entdecken von Ähnlichkeiten undUnterschieden Spaß machen und Interesse vertie-fen kann.

4. Methodisch-didaktischer Ausblick

AllgemeinesDeutschunterricht gebildeter erwachsener Lernen-der in den deutschsprachigen Ländern bedeutetzumeist, dass sich die Lernenden in Bezug auf Mut-tersprachen und erlernten Fremdsprachen unter-scheiden. Trotz dieser Heterogenität kann manallerdings davon ausgehen, dass sie Englischkennt-nisse (auf unterschiedlichem Niveau) vorweisen.Meine Untersuchung bestätigt dies.

Es mag zunächst scheinen, dass sprachverglei-chendes Arbeiten den Unterricht schwierigermacht, weil die Lehrperson mit der Sprachenviel-falt fertig werden muss (und nicht nur mit einerrelativ einheitlichen Muttersprache wie in sprach-homogenen Gruppen, oder nicht nur mit einerbestimmten Fremdsprache wie Englisch). Englischkann jedoch vielfach Basis des Sprachvergleichs mitdem Deutschen sein – dazu muss die Lehrpersonallerdings selbst über ein gutes Niveau in Englischverfügen. (Vgl. dazu auch Oomen-Welke/Krummsowie Hufeisen in diesem Heft.)

Die vorgestellte Interviewstudie sollte dazu anre-gen, Sprachvergleiche mit Mutter- und Fremdspra-chen in den Deutschunterricht aufzunehmen. DerSprachlernprozess wird durch die Kontrastierungvon Strukturen interessanter und das Verstehen einfacher, weil die sichtbare Gegenüberstellungexplizites Regellernen möglicherweise überflüssigmacht. Hier muss man differenzieren, denn nichtfür alle Lernenden sind dieselben Lernstrategieneffektiv.

Beispiel: PassivWie kann das Vergleichen von Sprachen in hetero-genen Lerngruppen fruchtbar gemacht werden, sodass die Lernenden ihr Sprachwissen und ihreSprachbewusstheit erweitern? Am Beispiel des Pas-sivs soll eine solche kontrastive Unterrichtssequenzdargestellt werden.

Anhand von in Kontexte eingebetteten Beispie-len wird zunächst die Funktion des werden-Passivs(und evtl. des sein-Passivs) im Deutschen erklärt.Danach wird eine sprachvergleichende Sequenzeingeschoben, die hier skizziert werden soll. Diesekontrastive Bewusstmachung wird in vier Phasenangeregt:� Bewusstmachung der Unterschiede zwischen

Muttersprache und Deutsch in Einzel, -Partner-,oder Gruppenarbeit

Die Lernenden werden aufgefordert – je nach mut-tersprachlicher Heterogenität in Partner-, Gruppen-oder Einzelarbeit – sich anhand eines Beispielsatzes die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen dermuttersprachlichen und der deutschen Strukturbewusst zu machen. So setzen sie sich aktiv mit derStruktur auseinander und erkennen, ob es in ihrerSprache etwas Entsprechendes gibt oder nicht.� Sammeln der Ergebnisse des Sprachvergleichs

Muttersprache/Deutsch im Plenum, Diskussionder Ergebnisse des Sprachvergleichs.

� Nun wird der deutsche Beispielsatz an die Tafeloder auf Papierstreifen geschrieben. Die Grup-pen werden jetzt nacheinander aufgefordert, ihrejeweilige muttersprachliche Entsprechung unterden deutschen Satz zu schreiben und die Unter-schiede und Ähnlichkeiten zwischen den Spra-chen im Plenum zu erklären. Dies kann z.B. fol-gendermaßen aussehen:

Die Mülltonnen werden heute geleert.

A kukák ma ki lesznek ürítve. (Ungarisch, 1)

A kukákat ma kiürítik. (Ungarisch, 2)

Los cubos de basura son vaciados hoy. (Spanisch)

Lernpsychologisch hat diese Vorgehensweise denVorteil, dass strukturelle Übereinstimmungen

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zwischen Mutter- und Fremdsprache zu Lernöko-nomisierung und strukturelle Differenzen zu einerProblembewusstheit führen, die z.B. hilft, Interfe-renzen in der Sprachproduktion zu verhindern. DieLernenden können hier aber auch viel über dasFunktionieren der anderen Sprachen im Kurs ler-nen, wodurch allgemein Sprachaufmerksamkeitund Sprachbewusstsein der Lernenden gefördertwerden. Vielleicht erkennt jemand erst dadurchbestimmte Strukturen seiner eigenen Sprache.Anhand der oben genannten Beispiele können dieLernenden z.B. folgende Erkenntnisse gewinnen: Die Struktur des ungarischen Passivsatzes ist ähn-lich der deutschen Struktur (werden + eine demdeutschen Partizip entsprechende Form, die einenZustand ausdrückt, Satz 1); das Passiv wird aberkaum gebraucht, sondern eine unpersönliche Passiversatzform, die der deutschen man-Kon-struktion entspricht (Satz 2).

Das Passiv im Spanischen wird mit einer Formvon sein (ser) gebildet und dann mit einem Partizipkombiniert. Im Unterschied zum Deutschen wirdaber das Partizip im Numerus an das Subjekt ange-glichen usw.

� Wenn die Lernenden eine direkte Wort-für-Wort Übersetzung unter ihre jeweiligen mutter-sprachlichen Sätze schreiben, wird der Kontrastbzw. die Ähnlichkeit zur deutschen Struktur nochdeutlicher. Dabei ist nicht wichtig, dass sich dieLernenden die Regeln der anderen Sprachen ein-prägen. Es geht vielmehr darum, ein Bewusst-sein zu entwickeln, dass man in verschiedenenSprachen ganz unterschiedliche Realisierungs-möglichkeiten grammatischer Phänomene vor-finden kann oder aber, dass auch bei nicht ver-wandten Sprachen vergleichbare Strukturen zufinden sind. Dieses Wissen ist hilfreich beim Ler-nen weiterer Sprachen. Die kontrastiven Sprach-betrachtungen können zudem auch die Neugierauf andere Sprachen wecken und Mut machen,weitere Sprachen zu lernen.

Einbezug von Fremdsprachen in denSprachvergleichDie vergleichende Sprachbetrachtung kann danndahin erweitert werden, dass die Lernenden aufge-fordert werden, nach dem Vergleich mit der Mut-tersprache auch die ihnen bekannten Fremdspra-chen in den Vergleich einzubeziehen und sich überdie Ergebnisse auszutauschen.

Beispiel: EnglischThe rubbish bins will be emptied today.

Da Englisch zumeist erste Fremdsprache ist undverwandtschaftsbedingte Ähnlichkeiten zum Deut-schen vorhanden sind (hauptsächlich im Wort-schatz), ist die Gefahr groß, dass Lernende davonausgehen, dass auch in der Grammatik viele Regelnins Deutsche übertragbar sind. Hier kann eine kon-trastive Gegenüberstellung Klarheit schaffen undhelfen, Interferenzfehler zu vermeiden. Hier wäre esdie ausschließliche Bildung mit be sowie zusätzlichdas Futur.

Vergleich von SprachlernerfahrungenNeben dem Sprachvergleich können an dieser Stel-le auch die Sprachlernerfahrungen der Lernendenzu interessanten Diskussionen und Erkenntnissenführen. Die Lernenden haben die Möglichkeit zuäußern, wie sie sich selbst helfen, die neue Strukturzu verstehen und zu behalten. Das setzt eine indi-viduelle Aktivität in Gang, die dazu führt, das eige-ne Wissen, die eigenen Strategien mit den anderen zu teilen und die Sprachlernbewusstheit aller zu fördern. Dabei braucht die Lehrperson nur zumoderieren, nicht zu korrigieren und zu bewerten.

5. Schlussreflexion

Eine solche kontrastive Vorgehensweise fordert eineneue Rolle der Lehrkraft: Bei den genannten Lern-aktivitäten sind die Lehrenden gezwungen, einen Teil ihrer Kompetenz an die Lernenden abzugeben,da sie nicht über Kenntnisse aller in der Klasse vor-handenen Mutter- und Fremdsprachen verfügen unddamit auch nicht kontrollieren können, ob die Ver-gleiche der Lernenden „richtig“ sind. Diese Art vonSpracharbeit impliziert somit, den Lernenden alsSprachexperten anzuerkennen und ihm etwas zuzu-trauen (vgl. hierzu auch Oomen-Welke 1998, 198 ff.).

Die beschriebenen Sequenzen können problem-los in den Unterrichtsablauf eingeschoben werden.Ganz nebenbei und ungekünstelt werden bei dieserArt Spracharbeit authentische Sprechanlässe ge-schaffen, die aus dem Interesse der Lernenden entstehen und zu denen jeder und jede Lernendeetwas beitragen kann.

Literaturverzeichnis:Kellerman, Eric: An eye for an eye: Crosslinguistic constraints on the deve-

lopment of the L2 lexicon. In: Eric Kellerman & M. Sharwood Smith(Hrsg.): Crosslinguistic influence in second language acquisition. Oxford: Pergamon Press 1986, 35-48.

Oomen-Welke, Ingelore: „ ... Ich kann da nix“. Mehr zutrauen im Deutsch-unterricht. Freiburg im Breisgau: Fillibach 1998.

Roth, Gerhard: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologieund ihre philosophischen Konsequenzen. Frankfurt am Main: Suhr-kamp Taschenbuch Wissenschaft 1998, 2. Aufl.

Wildenauer-Józsa, Doris: Sprachvergleich als Lernerstrategie erwachsenerDeutschlernender – Eine Interviewstudie. Freiburg: Fillibach 2004.

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1. Der Kontext

Katalonien ist eine mit etwa sechs Millionen Ein-wohnern bevölkerte Region im Nordosten Spaniens.Die offiziellen Landessprachen sind Katalanischund Spanisch. Die Mehrheit der katalanischenBevölkerung ist potenziell zweisprachig. Welche derzwei Sprachen die Erstsprache ist, ist sehr unter-schiedlich. Beide Sprachen werden im Alltag ge-braucht und beide werden in der Schule unterrich-tet. In den staatlichen Schulen ist Katalanisch die Unterrichtssprache. Das Fremdsprachenlernenbaut im schulischen Kontext also auf zwei Eigen-sprachen auf. Außerhalb des schulischen Kon-textes bestehen in ganz Katalonien, so wie in anderen Regionen Spaniens, die so genannten Escoles Oficials d’Idiomes, staatliche Sprachen-schulen für das Erlernen von Fremdsprachen in der Erwachsenenbildung. In Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus der genannten Institution entwickle ich seit einigen JahrenLanguage Awareness-Ansätze für den schulischen

und außerschulischen (Erwachsenenbildung, Uni-versität) Deutschunterricht.

2. Didaktische Überlegungen undUnterrichtsvorschlägeLanguage-Awareness-Konzeptionen beruhen aufeinem ganzheitlichen Sprachkonzept, bei demmehrere Dimensionen ineinander fließen: die se-mantische, die pragmatische, die grammatikalischeund die kulturspezifische. Vom Beginn des Sprach-kurses an sollen die Lernenden in dieses Sprach-konzept eingeführt werden. Dabei ist zunächst zufragen, mit welchen Vorstellungen über das Spra-chenlernen die jugendlichen und erwachsenen Ler-ner in den Fremdsprachenunterricht kommen.Damit eine gemeinsame Basis geschaffen wird, mussauf zwei wichtige Stränge eingegangen werden: dieSprachdimension (nach welchem Sprachkonzeptwird gearbeitet?) und die Lerndimension (nach wel-chem methodischen Lern- und Lehransatz wirdgearbeitet?).

LANGUAGE-AWARENESS IM MEHR-SPRACHIGEN KONTEXT KATALONIENS Lernaktivitäten zum Aufbau eines ganzheitlichen SprachlernkonzeptsVON OLGA ESTEVE

Olga Esteve nutzt den Language-Awareness-Ansatz insbesondere, um den Deutschlernenden im zweisprachigen

Katalonien durch Sprach- und Lernbewusstheit größere Autonomie zu ermöglichen. Awareness-Konzepte

können jedoch nur dann wirksam werden, wenn die traditionelle Lehr-Lernsituation verändert wird und kulturelle

sowie soziale Faktoren berücksichtigt werden.

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer44

Lernende machen bewusst oder unbewusst einen strategischen Gebrauch von bereits vorhandenem Wissen, ein Wissen, das nicht nur aus „Inhalten”, sondern auch aus Strategien und Fähigkeiten in der Eigensprache besteht. Dieses Wissen kann auf das Erlernen der Fremdsprache übertragen und damit optimiert werden.

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DeutschDas Haus ist größer als ... (Komparativform)Das ist am ... sten (Superlativform)Das scheint besser zu sein. (lexikalisches Mittel: seltener)

(Je höher das Sprachniveau, desto mehr Sprachrealisierungen werden genannt.)

Aufbau eines gemeinsamenSprachkonzepts

Durch die – im Folgenden beschriebenen – auf-einander aufbauenden Lernaktivitäten sollen dieLernenden in ein ganzheitliches Sprachkonzept ein-geführt werden, mit dem die meisten erwachsenenLernenden in unserem Kontext nicht vertraut sind.Dadurch sollen sie dafür sensibilisiert werden,a) dass es unter den Sprachen keine Entsprechun-gen eins zu eins gibt und dass jede Sprache überbestimmte und eigenartige Merkmale verfügt;b) dass man besser und effizienter lernen kann,wenn man eine tolerante Einstellung zu diesenEigenschaften von Sprache hat.

Aktivität 1: Überlegungen in der Eigen-sprache (Am Anfang eines Kurses, unabhängig vomSprachniveau)

� Die Lernenden werden aufgefordert, sich aus-zudenken, wie sie jemandem, der/die unsereSprache/n lernt, eine typische Besonderheitunserer Sprache/n erklären würden.

� In kleinen Gruppen überlegen sie sich,a) an welcher sprachlichen Besonderheit siearbeiten möchten,b) welche der beiden Landessprachen (Kata-lanisch oder Kastillianisch/Spanisch) es betrifft.

� Jede Gruppe überlegt sich, wie sie das betref-fende Phänomen erklären würde, und stellt dasErgebnis ihrer Arbeit den anderen Gruppen vor.

� Im Plenum wird über die Auswahl der Aus-gangssprache und über die Auswahl des Sprach-phänomens reflektiert.

� Anschließend wird im Plenum kurz über denSinn einer solchen Lernaktivität reflektiert: Waswar schwer? Warum? Was kennzeichnet jedes einzelne Phänomen? Welche Schlüsse kann manfür das eigene Fremdsprachenlernen ziehen?

Aktivität 2: Arbeit mit Redemitteln (Ab Grundstufe 2, aufbauend auf Aktivität 1)

� An die Tafel wird (in den zwei LandessprachenKatalanisch, Spanisch) ein kommunikativesFeld1 in der Muttersprache geschrieben, bei-spielsweise comparar (vergleichen).

� Die Lernenden sollen spontan auf die Frage reagieren: Wie werden im Katalanischen und imSpanischen Vergleiche angestellt? Schreibt kon-krete Beispiele.

� An der Tafel werden alle konkreten Sprach-realisierungen in zwei Spalten zusammen-getragen (siehe Tabelle 1).

� Die aufgeschriebenen Sprachrealisierungen

werden unter grammatischen Gesichtspunktenanalysiert: Gibt es große Unterschiede in derStruktur zwischen Katalanisch und Spanisch?(Die Antwort lautet immer ,nein’.) Sind die Formulierungen syntaktisch alle gleich? Worinunterscheiden sie sich? Welche Sprachrealisierun-gen wären für jemanden, der / die Katalanisch /Spanisch lernt, einfacher? Warum?

Möglicher Lehrerdiskurs: Was ist der Unterschied,grammatisch betrachtet, zwischen ... und .... und ...?Beim ersten Fall geht es um eine Komparativform desAdjektivs, beim zweiten und dritten um einen Kom-parativsatz, während es sich beim vierten um ein reinlexikalisches Mittel handelt. Diese Kategorien wer-den schnell von erwachsenen Lernenden erkannt.

� Nun werden die bereits vorhandenen Deutsch-kenntnisse der Lernenden abgerufen: Wie ver-gleicht man im Deutschen? Schreibt alle Formu-lierungen auf, die ihr bereits kennt.

Folgende Formulierungen werden häufig genannt:

� Anschließend wird der deutsche Begriff „Rede-mittel“ eingeführt:

Möglicher Lehrerdiskurs: Redemittel = Jede sprach-liche Äußerung, die dazu dient, eine Sprechabsicht zuversprachlichen. ,Vergleichen‘ ist eine Sprechabsicht.Tabelle 1 und Tabelle 2 zeigen, dass für die Sprech-absicht ,Vergleichen‘ mehrere Redemittel möglich sind.

Nun entscheiden die Lernenden selbst (in Zusam-menarbeit mit der Lehrperson), an welchen deutschen Sprachrealisierungen sie zuerst arbeitenmöchten; sie stellen also eine Prioritätenliste auf,der die Lehrperson folgen muss.

Katalanisch SpanischÉs més bonic. / És menys gran. Es más bonito. / És más grande. (Komparativform) (Komparativform)La casa és més gran del que em pensava. La casa es más grande de(Komparativsatz) lo que creía. (Komparativsatz)Es com si tot això no hagués passat mai. Es como si no hubiese pasado nunca.(Komparativsatz im Konjunktiv) (Komparativsatz im Konjunktiv)Sembla un esquirol. Parece una ardilla.(Lexikalisches Mittel: „ähneln”) (Lexikalisches Mittel: „ähneln”)Quan més treballem més feina tenim. Cuanto más trabajamos peor. (Proportionalsatzgefüge: „je ... desto”) (Proportionalsatzgefüge: „je ... desto”)Això és així, però allò altre no. Esto es así. Sin embargo, lo otro no. (Konnektor: dagegen, jedoch) (Konnektor: dagegen, jedoch)

Tabelle 1

Tabelle 2

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Aktivität 3: Hinübersetzung (von derEigensprache in die Fremdsprache)

Interessanterweise hat sich die Hinübersetzung(von der Eigensprache/den Eigensprachen in dieFremdsprache) als ein sehr geeignetes Mittel er-wiesen, um die metasprachliche Reflexion in derFremdsprache sowie die Toleranz gegenüber denfür jede Sprache spezifischen sprachlichen Phä-nomenen zu fördern2. Es hat sich herausgestellt,dass Übungen zur Hinübersetzung das durch dievorangehenden Aktivitäten eingeführte Sprach-konzept festigen. Die Übersetzungsübungen er-gänzen den kommunikativen Sprachunterricht inRichtung Sprachbewusstheit, ihr Ziel ist die Sensi-bilisierung. Geeignet sind besonders solche Über-setzungsaufgaben, in denen deutsche Sprach-phänomene vorkommen, die für katalanische oderspanische Verhältnisse „unlogisch“ erscheinen odereinfach „anders funktionieren“. Das sind zum Bei-spiel die Negation, die drei verschiedenen Generaim Deutschen, die lange Satzklammer, der Ge-brauch des Gerundivums, die Tempusformen u.a..Die Übersetzungsaufgaben sollten so konzipiertsein, dass sie einen kreativen Umgang mit derFremdsprache erlauben. Sie sollten die Lernendendazu bringen, mit allen Redemitteln „zu wuchern”.Die Vielfalt der möglichen Formulierungen berei-chert den Unterricht.

• Kommentare der DeutschlernendenAm Ende eines Schuljahres wurden die Lernendengebeten, in Form eines Aufsatzes das Verfahren zum

Aufbau eines ganzheitlichen Sprachkonzepts ausihrer Sicht zu kommentieren. Daraus geht hervor,dass die Lernenden die Strukturen der deutschenSprache nun besser verstehen und dadurch dasGefühl haben, „zufrieden zu sein“. Außerdem wirddie Tatsache hervorgehoben, dass es in diesemUnterricht nicht mehr um das Grammatiklernen ansich ging, sondern um eine übergreifendere Sprach-betrachtung. Im Kasten 3 dokumentieren wir einigeder in deutscher Sprache verfassten Lerneräußer-ungen.

Aufbau eines gemeinsamen Lehr- und Lernkonzepts

Die meisten unserer Lernenden kommen in denUnterricht mit der Vorstellung, dass es sich beimFremdsprachenlernen entweder um „Sprechen“handelt oder ausschließlich um die Vermittlung vonexpliziten Grammatikregeln durch die Lehrperson.Die Auseinandersetzung mit den Vorstellungen derLernenden bezüglich des methodischen Ansatzesist mindestens ebenso wichtig wie der Lerngegen-stand selbst. Induktive Lernverfahren, die Sprach-bewusstheit und damit die Übernahme einer„Sprachforscherrolle“ fördern, soll folgende Akti-vität mittels Introspektion entwickeln.

Aktivität 4: Meine Sprachenlernbiografie(Am Anfang eines Sprachkurses)

Die Lernenden bekommen folgendes Arbeitsblatt:

Meine Sprachenlernbiografie

� Schreib deine Gedanken zum Thema Fremdsprachen-lernen und ich auf Katalanisch, Spanisch oderDeutsch auf.

� Wie stellst du dir das Deutschlernen vor?

Nach zwei Monaten Deutschunterricht:

� Schreib deine Gedanken zum Thema Deutsch und ich auf. Hat sich in den letzten zwei Monaten etwasgeändert? Du darfst den Aufsatz auf Katalanisch, Spanisch oder Deutsch schreiben.

Am Ende des Kurses:

� Schreib deine Gedanken über den Kurs auf: Der Kurs und ich. Was war für dich wichtig?

(Die Aufsätze dürfen anonym sein und werden nicht korrigiert.)

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer46

Abschließend verstand ich die deutsche Syntax besser, da wir es mit den Arbeitsaufträgen praktiziert haben.

Ich bin der Meinung, dass der Unterricht sehr nützlich gewesen ist,weil wir Unschlüssigkeiten aufhellen können (...). Folglich versteheich besser Deutsch und ich bin zufrieden.

Wir haben anders gearbeitet (...). Meine Strukturen sind klarer. Anstatt von viel auswendig lernen haben wir alles insgesamt behandelt.Ich habe eine neue Mentalität, um neue Texte zu lesen und auch zu verstehen. Das ist eine sehr wichtige Sache.

Jetzt versuche ich es (etwas auf Deutsch zu sagen) wenigstens mit allen Mitteln.

Für mich ist das Wichtigste, das ich gefunden habe, dass diese Sprache nicht sounmöglich zu lernen ist.

Was ich mochte gern war ,inversa’ (Hinübersetzung), da ich alle die Grammatik zurück nachprüfen musste.

Kasten 3: Lerneräußerungen zum Aufbau eines ganzheitlichen Sprachkonzepts

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3. Schlussreflexion

Nach Anfangsschwierigkeiten mit der neuen „Lehr-methode“ erweisen sich Aktivitäten, wie die hiervorgestellten, als wichtige Pfeiler, damit Lernendesich langsam und sicher in eine Lernweise einar-beiten, die Sprachbewusstheit zum Ziel hat. Wenndieser erste Grundstein gelegt ist, gelingt es nachunserer Erfahrung auch, dass dieser Ansatz lang-sam verstanden und letztendlich gut aufgenom-men wird.

Das Umdenken der Lernenden hat zu tun mit derGanzheitlichkeit des Unterrichtsverfahrens, mit derLernerautonomie. Diese erlaubt, dass jeder undjede Lernende sich viel stärker in den ganzen Pro-zess mit einbezieht.

Lernerautonomie und Language Awareness stehenin einem sehr engen Zusammenhang. Die Arbeitmit Sprachbewusstheit erfordert einen bewusstenund vor allem konsequenten Umgang mit ganz-heitlichen, die Autonomie fördernden Lehrverfah-ren. Die Erfahrung zeigt, dass die Motivation derLernenden dabei erheblich steigt und dass die Ler-nenden allmählich ein Selbstvertrauen entwickeln,das entscheidend zum Lernerfolg beiträgt.

Weiterführende Literatur:Buscha, Joachim u.a.: Grammatik in Feldern. München: Verlag für Deutsch

1998.Esteve, Olga (i.V.): Über die Grenzen der kognitiven Strategien: meta-

sprachliche und -kognitive Reflexionen in Kleingruppenarbeit im DaF-Unterricht für Anfänger. Akten der FMF-Tagung „Autonomes Lernenund Fremdsprachenunterricht“. Friedrich-Schiller-Universität Jena,15.-17. Februar 2001.

Esteve, Olga/Borrás, J.: Lernende als Sprachanalytiker: Zum Einsatz meta-sprachlicher Reflexionen im DaF-Unterricht. In: INTERKULTURELLUND GLOBAL, Heft 1/2, 2003, 124-140.

Anmerkungen: 1 Nach Buscha u. a. bestehen kommunikative Felder aus Inhaltsberei-

chen, „die nach ihrer kommunikativ-semantischen Funktion imSprachgebrauch abgegrenzt und gegliedert sind und denen in syste-matischer, aber mehrfach vermittelter Weise die grammatischen, lexikalischen und wortbildenden Formen als ‚Sprachmittel‘ (oder ,Redemittel’) entsprechen“.

2 Die Arbeit mit „Hinübersetzung“ ziehe ich in letzter Zeit dank denIdeen und Vorschlägen meines Kollegen Francesc Fernández als Be-standteil meiner Arbeit im Bereich der Sprachbewusstheit konsequentmit ein.

• Kommentare der DeutschlernendenDie Äußerungen und Gedanken der Lernenden imersten und dritten Aufsatz zeigen deutliche Unter-schiede. Während im ersten und dann vor allem imzweiten Aufsatz Gefühle wie „Angst“, „Unsicher-heit“, „Desorientierung“ oder negative Kommenta-re zum Schwierigkeitsgrad der deutschen Sprachegenannt werden, gibt es im letzten Aufsatz dannÄußerungen, die ausdrücklich eine positivere Ein-stellung zeigen (Kasten 4).

Besonders im dritten Aufsatz stehen diese Re-flexionen immer in Zusammenhang mit Kommen-taren über den methodischen Ansatz (Kasten 5).

Erster AufsatzEnglisch war und ist meine starke Sprache.

Als ich angefangen habe, Sprachen zu lernen, hätteich mir nie vorgestellt, dass ich an die deutsche Spra-che interessiert würde.

Das war Liebe auf den ersten Blick. Ich muss aber sagen, dass die Methode und der Lehrer schuldig waren. Dannach ist derHass gekommen: lernen, lernen und noch lernen (...). Die verdammte Deklinationen, die gehasste Präpositionen, (...).

Zweiter und dritter AufsatzIch könnte meine Geschichte mit deutsch mit einer sentimentalischen Beziehung vergleichen, weil ES mich langsam meinen Herzen gewonnen hat.

Ich gebe zu, dass ich ziehe romanische Sprachen wieFranzösisch oder Portugiesisch vor. Aber ich bewunderean der deutschen Sprache, dass sie so reich ist.

Ich bin sehr froh, weil ich besser vestehe.

Ich bin zufrieden. Ich habe meine Scham mitDeutsch verloren.

(...) ich bin glücklich, weil ich mehr Deutsch verstehe.

Ich bin sehr stolz auf meine Entwicklung.

Kasten 4

Abschließend möchte ich festhalten, dass ichzufrieden bin, weil die Lehrzeit als einSpiel gewesen ist.

Ich möchte gern mit dieser Methodologie weitermachen, weil ich viel deutsch lernen will.

Der Kurs war schwerer. (...) Im Großen und Ganzen denke ich, dass das eine gute aber schwere Methode ist.

Deutsch ist schwierig, aber in diesem Kurs habe ich vielgelernt. Ich denke, dass die Methode nützlich ist.

Kasten 5

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1. Ungarn in Kontakt mit demdeutschen Sprachraum

Ungarn, jahrhundertelang ein typischer Vielvölker-staat, wurde infolge des Friedensvertrags nach demErsten Weltkrieg zu einem beinahe homogenenStaat. Von den ehemaligen Nationalitäten stelltennur noch die Deutschen eine bedeutende Minder-heit, 6,9% der Gesamtbevölkerung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aufgrund des PotsdamerAbkommens ungefähr die Hälfte der Ungarn-deutschen in die Bundesrepublik und in die DDRumgesiedelt. Im Vergleich zur Gesamtzahl der Na-tionalitäten in Ungarn ist die deutsche eine großeMinderheit, ihr folgen die Slowaken, die Südslawenund die Rumänen. Als Nationalitätensprache ran-giert Deutsch an erster Stelle (vgl. Földes 1992, 259).Die Sprecherzahl der deutschen Minderheit wirdunterschiedlich eingeschätzt, nach den letzten statistischen Erhebungen kann sie mit 37.500 ange-geben werden. Die Minderheitenschulen könnenauch von Kindern besucht werden, die keineUngarndeutschen sind. 1995/96 besuchten 41.029

Schüler eine deutsche Minderheitenschule (Quelle:AstatMiBu). Diese Zahl hat sich im Jahr 2002/03kaum verändert (41.026; Quelle: AstatMiBu).

Für die meisten Ungarn ist Deutsch eine Fremd-sprache und hat als Fremdsprache eine lange Tra-dition: Bis zum zweiten Weltkrieg war Deutschüberall präsent und die wichtigste Fremdsprachean Schulen.

Ungarn ist dem deutschen Sprachraum unmittel-bar benachbart. Ungarn werden beim praktischenGebrauch der deutschen Sprache mit verschiedenenVarietäten konfrontiert (südliche Varietäten, öster-reichisches Deutsch, Urlauber-Varietäten, Medien-sprache) und außerdem mit dem Deutsch der Min-derheiten. Diese Gegebenheiten beeinflussen auchdie Fremdsprachenwahl an Schulen.

Bis 1956 konnte in den Bildungseinrichtungenlediglich Russisch als Fremdsprache gelernt wer-den, nur in einigen traditionsreichen Gymnasiengab es Latein oder Altgriechisch. Gebildete Schich-ten verfügten aber über Deutsch-, Französisch-oder Englischkenntnisse, dabei spielte Deutscheine besondere Rolle. In vielen Familien (nicht nur

DEUTSCH UND ANDERE SPRACHEN IN UNGARISCHEN SCHULEN VON MÁRTA S. RÁBAI

Márta S. Rábai zeigt, dass Deutsch vom Kindergarten bis in die Sekundarstufe einen beachtlichen Platz im ungarischen

Schulsystem einnimmt. Ein Grund liegt in der politischen und kulturellen Verwobenheit Ungarns mit deutschsprachigen

Ländern. Durch die gemeinsame Zukunft in der EU wird sich dieser Platz nach Rábais Einschätzung festigen. Dennoch

ist es wichtig, dass sich die Lehrenden auf die Kombination Deutsch – Englisch einstellen.

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer48

LÄNDERBERICHT UNGARN

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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aus der Minderheit) wurde Deutsch nicht als Fremd-sprache behandelt, sondern es war selbstverständ-lich, Deutsch zu sprechen.

Nach 1956 wurden Deutsch, Englisch und Fran-zösisch an Gymnasien als zweite Fremdspracheeingeführt. Deutsch spielte weiterhin die Haupt-rolle in der Sprachenwahl an Gymnasien, hatte alsoein hohes Prestige. Das Jahr 1989 bedeutete auchfür den Fremdsprachenunterricht einen großenWandel. Mit der Abschaffung des Russischen alsPflichtfach fand die entscheidende Wende imFremdsprachenunterricht statt.

2. Bisherige Sprachenwahl anungarischen Bildungsinstitutionen

Kindergärten und GrundschulenEs gibt immer mehr Kindergärten, in denen Fremd-sprachen spielerisch unterrichtet werden. Hier wirdheute am häufigsten das Deutsche, seltener dasEnglische gewählt. In der Grundschule (Klasse 1-8)ist eine beliebige Fremdsprache ab der 4. Klasseobligatorisch. (In einigen Schulen, wo es die Mög-lichkeit gibt, wird die erste Fremdsprache schon abder 3. oder sogar der 1. Klasse eingeführt.) Tabelle 1zeigt den Anteil von Englisch, Deutsch, Russischund Französisch als 1. Fremdsprache an den unga-rischen Grundschulen in den Jahren 1990-2003.

Für die zweite Fremdsprache, die in der Grund-schule fakultativ gelernt wird (von relativ wenigenSchülern) ergibt sich ein anderes Bild (Tabelle 2).Für die Grundschule kann festgestellt werden, dassEnglisch die am häufigsten gewählte Sprache ist,am zweithäufigsten wird Deutsch gewählt.

SekundarstufenIn den Berufsschulen (Tabelle 3) ist Deutsch die ersteFremdsprache. Hier müssen die Schüler eine oderzwei Fremdsprachen lernen, das hängt von der Artder Schule ab. Noch wählt die Hälfte der SchülerDeutsch als erste Fremdsprache.

Im Gymnasium müssen die Schüler zwei Fremd-sprachen lernen und im Gegensatz zur Berufs-schule wird hier seit der Wende häufiger Englischgewählt als Deutsch. Es gibt eine Verteilung derFremdsprachen nach Schultypen. Nach Siedlungs-typen kommt man zu einem weiteren Ergebnis: Jeweiter man nach Osten kommt, desto stärker sinktder Anteil von Deutsch. Die Komitatsstädte (ver-gleichbar den deutschen Kreisstädten) zeigen eineerkennbare Verschiebung der Präferenzen zu Guns-ten des Englischen, und die Hauptstadt übertrifftdiese Präferenz noch bei weitem (siehe Tabellen 4und 5).1

Tabelle 1: Wahl der ersten Fremdsprache in der Grundschule zwischen 1990/91 und 2002/03.Absolute Werte für die Anzahl der Schüler pro Sprache. (Quelle: Abteilung für Statistik derHauptabteilung für Informatik beim Ungarischen Ministerium für Bildung und Unterricht, im weiteren: AstatMiBU)

Schuljahr Englisch Deutsch Russisch Französisch1990/91 130.663 186.017 485.002 9.9281991/92 175.263 260.107 69.888 10.5291992/93 224.024 325.408 138.249 12.1221993/94 225.169 350.522 55.586 11.4771994/95 266.977 354.341 21.764 10.1351998/99 318.629 355.683 6.030 7.1251999/00 331.602 347.802 5.248 6.1742001/02 336.642 275.652 3.538 5.5752002/03 357.108 267.868 2.687 4.004

Tabelle 2: Wahl der zweiten Fremdsprache in der Grundschule zwischen 1990/91 und 1994/95.Absolute und prozentuale Werte für die Anzahl der Schüler pro Sprache. (Quelle: AstatMiBU)

Schuljahr Engl. Deutsch Russisch Franz. Ital. Span. Sonst. Gesamt1990/91 22.864 20.094 8.716 2.064 – – 1.973 55.711

41,04% 36,06% 15,64% 3,70% – – 3,54% 100%1991/92 23.278 20.759 5.296 1.974 82 458 1.929 53.776

43,28% 38,60% 9,84% 3,67% 0,15% 0,85% 3,58% 100%1992/93 21.035 20.636 3.587 2.082 355 695 4.112 52.502

40,06% 39,30% 6,83% 3,96% 0,67% 1,32% 7,83% 100%1993/94 18.676 14.486 2.018 1.852 135 672 3.489 41.328

45,18% 35,05% 4,88% 4,48% 0,32% 1,62% 8,44% 100%1994/95 18.915 13.918 1.164 1.875 61 786 4.529 41.248

45,85% 33,74% 2,82% 4,54% 0,14% 1,90% 10,97% 100%

Tabelle 3: Fremdsprachen in der Berufsschule

Schuljahr Englisch Deutsch Russisch Französisch1990/91 4.102 13.165 1.1881995/96 7.556 26.790 1.786 1.5481998/99 15.324 36.517 1.491 1.6571999/00 18.950 40.098 1.475 1.4422001/02 26.565 51.295 1.193 2.4262002/03 32.087 55.053 883 1.763

Tabelle 4: Erste Fremdsprache im Gymnasium

Schuljahr Englisch Deutsch Russisch Französisch1990/91 70.993 54.118 75.891 15.6491995/96 112.097 85.525 12.756 19.8061998/99 123.400 101.757 3.358 19.4511999/00 128.601 103.456 3.088 19.6282001/02 150.815 116.577 2.638 20.6912002/03 160.888 121.523 2.115 21.329

Tabelle 5: Erste Fremdsprache in der Fachmittelschule

Schuljahr Englisch Deutsch Russisch Französisch1990/91 49.293 46.668 90.797 8.6931995/96 98.045 92.612 5.244 8.1891998/99 120.394 104.664 2.006 7.2371999/00 127.211 105.541 1.468 7.2872001/02 130.695 99.179 1.201 7.0252002/03 136.941 99.792 642 5.983

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3. Das Welt-Sprache-Programm: die neue Strategie desBildungsministeriums (2002)

Das neue Schulprogramm hat die Zielsetzung, denFremdsprachenunterricht dadurch effektiv undwirksam zu gestalten, dass in den Gymnasien zuerstnur eine Fremdsprache – aber diese intensiv (min-destens fünf Stunden pro Woche) – unterrichtetwird. Dadurch entsteht eine ganz neue Situation:Wir müssen damit rechnen, dass die Mehrheit derSchüler als erste Fremdsprache Englisch lernen will.

4. Grundsätzliche Überlegungen zurSprachenwahl in UngarnBei der Wahl der ersten Fremdsprache müsste inBetracht gezogen werden, dass Ungarisch keineindoeuropäische Sprache ist und deshalb andersgebaut ist als die traditionellen Fremdsprachen.Beim Fremdsprachenlernen müssen sich Ungarnauf völlig neue Strukturen einlassen. Unter lern-psychologischen Aspekten, so meinen viele, solltenKinder als erste Fremdsprache eine morphologischkomplizierte Sprache lernen. In dieser Hinsicht warfrüher das Latein gut geeignet, heute wäre die deut-sche Sprache eine gute Wahl.

Die englische Sprache ist keine Konkurrenz fürDeutsch, Englisch ist die internationale Spracheund Wissenschaftssprache, die Sprache des globa-len wirtschaftlichen Raumes. Deutsch ist die Spra-che des europäischen, geografischen, politischen,kulturellen Raumes und die Sprache des mittel-europäischen Subraumes. Durch die Erweiterungder EU wird die Bedeutung der deutschen Sprachevon den Menschen in den Beitrittsländern her-vorgehoben: Die Länder Ostmittel- und Osteuropashaben viele historische Verbindungen mit demdeutschen Sprachraum.

Wird Deutsch oder Englisch mehrheitlich als lingua franca in der Region oder in Ungarn ver-wendet werden? Untersuchungen tendieren – wennauch vorsichtig – dazu, der deutschen Sprache dieChance einer regionalen lingua franca in Ostmittel-europa, auch in Ungarn, zuzuschreiben (vgl. Földes1993,195).

5. Konsequenzen für denSprachunterrichtIn Ungarn wird die Kombination von Deutsch undEnglisch für immer mehr Lernende zu einem fes-ten Bestandteil des schulischen Sprachenlernens.Beim Unterricht der zweiten Fremdsprache darfman nicht vergessen, dass die Lernenden ihre Lern-

erfahrungen (positive oder negative Erlebnisse)mitbringen. Wenn die Schülerinnen und Schülerschlechte Erfahrungen (falsche Lernmethoden,Misserfolge) gemacht haben, Hemmungen oderVorurteile mitbringen, dann müssen diese abge-baut werden.

Daraus folgt für die erste Fremdsprache, gleich obEnglisch oder Deutsch, dass in ihr ein generellesSprachlerntraining stattfinden muss, das im Unterricht der zweiten Fremdsprache aufgegriffenwerden kann. In der zweiten Fremdsprache sollteder Unterricht damit beginnen, die bisherigenSprachlernerfahrungen abzufragen (vgl. den Bei-trag von Hufeisen in diesem Heft). Gefordert wirdalso eine curriculare Mehrsprachigkeit, d.h. nichtein bloßes Nebeneinander im Unterrichten der verschiedenen Fremdsprachen, sondern ein koor-diniertes Angebot.

Deutschlehrerinnen und -lehrer in Ungarn behaup-ten, dass sie über englische Sprachkenntnisse ver-fügen müssen, wenn sie mit Erfolg Deutsch unter-richten wollen, nicht zuletzt, weil auch die deutscheSprache immer mehr Anglizismen enthält, die sichauch in den Lehrwerken finden. Hier ein paar Bei-spiele aus zwei gängigen Lehrwerken: Meeting,Headquarter, Infopool, per Mausklick, checken, dieMünchner City, Bodygard-Agenturen, Nebenjob,Doppeljobber,Wohnungssuche-Outfit (Tangram 2B);Full-Time-Job, Webpages, Fun-Sportarten, cool,Designer-Drogen, Netzwerk-Surfer, Cash car, gestylterBody (Regenbogen, 16 Gesprächsthemen mit Tex-ten, Übungen und Bildern). Die Lehrer sollten hiernicht das Nebeneinander von Deutsch und Eng-lisch beklagen, auch bedeutet das nicht, dass manohne Englisch nicht Deutsch lernen (oder unter-richten) kann. Die Sprachlehrer sollten vorhande-ne Sprachkenntnisse für ihren Unterricht nutzenund betonen, dass es mit jeder neuen Spracheleichter fällt, weitere Sprachen zu erwerben, weilsich Methode, Technik und Verstand verfeinerthaben.

Motivation ist notwendig für das Fremdsprachen-lernen. Sie ist die Energie, die man ständig braucht,solange man am Lernprozess teilnimmt. Englischist ohne Zweifel modisch und daher motivierend,es gibt aber in Ungarn auch eine Reihe guter Gründe Deutsch zu lernen. Einen dieser Gründemöchte ich nochmals betonen: die Kontinuität des Kontakts des Ungarischen mit dem deutschenSprachraum und die damit verbundene Möglich-keit, in verschiedenen kommunikativen Situatio-nen Deutschkenntnisse auch wirklich gebrauchen

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zu können. Aus einer eigenen Untersuchung (2003)weiß ich, dass viele Lernende Deutsch gewählthaben, weil sie

� die Sprache leichter finden als zum BeispielEnglisch oder Französisch,

� die Menschen sympathisch finden,� mehr Möglichkeit haben, persönliche Kontakte

zu knüpfen (Tourismus, Stipendien, deutsch-sprachige Sendungen im Fernsehen),

� meinen, man brauche Deutsch im Beruf .

Sprechen lernen kann man am besten in echtenSprechsituationen, wo man die im Unterrichtgelernten Strategien und Techniken umsetzen underproben kann. Die ungarischen Deutschlehrkräf-te sollten die Tatsache, dass Ungarn dem deutschenSprachraum unmittelbar benachbart ist und dass esdaher viele persönliche Kontakte gibt, besser nut-zen. An Gelegenheiten zu echter Kommunikationmit Deutschen mangelt es nicht in Ungarn.

Abschließend ist festzustellen, dass die Deutsch-lehrkräfte in Ungarn neue Wege im Unterrichtsuchen müssen: Wir sollten die neuen Lehr- undLernziele und die Vielfalt der Sprachangeboteakzeptieren. Das Niveau und die Effektivität desFremdsprachenunterrichts sind auch politisch undwirtschaftlich von großer Bedeutung.

Die Erwartungen an die EU sind groß, undUngarn hat mit seiner langen Tradition im Bereichdes Deutschlernens keine schlechte Position.

Anmerkung:1 Zu einigen Studien, auf deren Ergebnissen das Gesagte basiert, vgl.

Földes 1993 und Paul 1996.

Weiterführende Literatur:Földes, Csaba: Deutsch als Verkehrsprache in Ostmitteleuropa – am Bei-

spiel Ungarns. In: Born, Joachim / Stickel, Gerhard (Hrsg.): Deutsch alsVerkehrssprache in Europa. Berlin / New York: de Gruyter 1993.

Manherz, Károly u.a.: Expertise Ungarn. In: Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.):Sprachen – Brücken über Grenzen. Wien: eviva-WienerVerlagsWerk-statt 1999, 153 – 171.

Paul, Rainer: Der Wandel der Fremdsprachenpolitik und die Stellung vonDeutsch als Fremdsprache in Ungarn. In: Funk, Hermann / Neuner,Gerhard (Hrsg): Verstehen und Verständigung in Europa. Berlin: Cor-nelsen 1996, 111 – 120.

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1. Sprachenvielfalt in Ghana

Die Einwohnerzahl von Ghana beträgt ca. 20 Millio-nen Menschen, die aus verschiedenen ethnischenGruppen bestehen. Es gibt mehr als 60 einheimischeSprachen und darunter mehrere Dialekte. Der Staatfördert die Entwicklung von Lehrmaterialien undden Unterricht in den Schulen; er fördert auch eini-ge Hoch- und Fachhochschulen und bestimmteMehrheitssprachen: Akan (Twi und Fante), Dagaare(Dagara), Dagbani, Dangbe, Ewe, Ga, Gonja, Gurune,Kasem und Nzima (vgl. Bemile 2001, 1631) in denRegionen, in denen sie hauptsächlich gesprochenwerden. Außer diesen ghanaischen Sprachen gibt esandere afrikanische Sprachen, die von Ansiedlernaus den verschiedensten afrikanischen Länderngesprochen werden und die zum Teil von Ghanaernübernommen worden sind, beispielsweise Hausa,Moore und Fulfulde.

Ghana ist eine ehemalige britische Kolonie undgebraucht daher immer noch Englisch als Unter-richtssprache. Allerdings werden auch andereFremdsprachen wie Arabisch, Deutsch, Französisch,Hausa, Portugiesisch, Russisch und Spanisch unter-richtet. Es gibt auch zahlreiche europäische und

asiatische Sprachen in Ghana, die zwar von Nicht-Ghanaern als Muttersprache gesprochen, aber nichtstaatlich durch Unterricht unterstützt werden, z.B.Niederländisch, etliche skandinavische Sprachen,Griechisch, Chinesisch, Japanisch und Hindi.

Diese Sprachenvielfalt weist bereits darauf hin,dass die Lernergruppen im Sprachunterricht hete-rogen sind. Die Unterrichtenden sind deshalb oftdazu gezwungen, die direkte Methode des Sprach-unterrichts zu wählen, da es schwierig sein kann,kontrastiv-linguistisch zu arbeiten oder Überset-zungen vorzunehmen, die zur Kontrolle des Ver-ständnisses bestimmter kniffliger fremdsprach-licher Strukturen dienlich sein könnten (vgl. House2003, 153-163).

2. Stellenwert der deutschen Sprachein GhanaObwohl deutschsprachige Händler (Brandenbur-ger) bereits 1782 den Boden des heutigen Ghanabetraten, konnte sich die deutsche Sprache erst im19. Jahrhundert durch deutschsprachige Missio-nare wie beispielsweise J.A. Zimmermann, J.G.Christaller und Diedrich Westermann in Ghana

SPRACHENVIELFALT IN GHANA – AUCH IM DEUTSCHUNTERRICHT VON SEBASTIAN K. BEMILE

Sebastian K. Bemile bietet eine Übersicht über den Fremdsprachenunterricht in Ghana, vor allem an Hochschulen. In

vielsprachigen Klassen, in denen es nicht immer eine gemeinsame Arbeitssprache gibt, wenden die Lehrkräfte vorwiegend

Formen einer „direkten Methode“ an, unterstützt von viel körpersprachlicher und extrasprachlicher Demonstration.

In dem mehrsprachigen Land gibt es eine große Offenheit gebenüber dem Lernen von Fremdsprachen.

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer52

LÄNDERBERICHT GHANA

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durchsetzen und bei der Bevölkerung kulturelleSpuren hinterlassen. Allerdings durfte wegen derschon an der damaligen Goldküste vorhandenenKolonialsprache Englisch kein Deutsch unterrichtetwerden. Erst 1961, als Ghana schon längst unab-hängig war und gerade eine Republik wurde, wurdedie deutsche Sprache in einigen Schulen versuchs-weise offiziell eingeführt. Der derzeitige Stellenwertder deutschen Sprache in Ghana lässt sich sobeschreiben: Deutsch wird nur in wenigen Sekun-darschulen, jedoch an den Universitäten und eini-gen Fachhochschulen sowie in Privatinstitutionenmeistens als Nebenfach unterrichtet.

3. Wo wird Deutsch unterrichtet?

Zur Zeit hat Ghana fünf staatliche Universitäten, andenen Sprachen studiert bzw. unterrichtet werden:Die University of Ghana in Legon, die University ofCape Coast in Cape Coast, die Kwame NkrumahUniversity of Science and Technology in Kumasi, die University of Development Studies im NordenGhanas, und die University of Education in Winneba.An den privaten Universitäten wird kein Deutschunterrichtet. Außerdem gibt es seit 1961 das GhanaInstitute of Languages mit Zweigstellen in Accra,Kumasi und Tamale, in dem Fremdsprachen unter-richtet werden.

Deutschunterricht an denUniversitätenAn den staatlichen Universitäten studieren vorwie-gend ghanaische Staatsbürger, die Englisch alsAmtssprache gelernt und es als Unterrichtsspracheschon von Kindheit, d.h. vom Kindergarten und derPrimarschule an, gebraucht haben. Da die Studie-renden aus verschiedenen ethnischen Gruppenstammen, wird Englisch als Vehikel für die Vermitt-lung aller Fachkenntnisse gebraucht. Englisch istdeshalb auch im Fremdsprachenunterricht, vorallem im Anfangsstadium, die Arbeitssprache. Oftwerden Übersetzungen ins Englische vorgenom-men, um das Verstehen eines Textes und dersprachlichen Strukturen zu gewährleisten. KeineUniversität bzw. Fachhochschule in Ghana bietetGermanistik als Studienfach an, die Studierendenlernen Deutsch zu bestimmten beruflichenZwecken. Das Studium ist kostenlos, Deutsch stu-diert man als Nebenfach, und zwar um beispiels-weise später in einem deutschsprachigen Land studieren oder um als Übersetzer, Dolmetscher,Touristenführer, Fremdsprachensekretär(in) oderFremdsprachenkonferenz-Facilitator arbeiten zukönnen. Geschäftsleute lernen auch Fremdsprachen,

um mit Ausländern besser verhandeln zu können.Die Chancen, einen internationalen Job zu bekom-men, werden erhöht, wenn man in Fremdsprachenkompetent ist. Für ghanaische Forscher ist es vongroßem Vorteil, in mehr als einer Sprache publizie-ren und auf internationale Konferenzen gehen zukönnen, ohne auf einen Dolmetscher angewiesenzu sein. Der Unterricht wird auf die Bedürfnisse die-ser Kategorien von Sprachenlernenden zugeschnit-ten und so konzipiert, dass die Lernenden in kur-zer Zeit gute Ergebnisse erzielen.

Natürlich gibt es dabei Schwierigkeiten. Häufigwerden die grundlegenden Strukturen der Sprachezu schnell überflogen und nur das Nötigste unter-richtet. Beispielsweise achtet man nicht so sehr aufdie richtige Aussprache, vor allem wenn es um inder Muttersprache oder im Englischen nicht vor-handene Laute und syntaktische Strukturen geht.Dazuhin gilt Deutsch in Ghana als schwierige Spra-che, die Aussicht aber, nach einem erfolgreichenDeutscherwerb zwecks Arbeitsaufnahme, Studium,Ehe/Familiengründung, Forschung oder aus ge-schäftlichen Gründen in ein deutschsprachigesLand reisen zu können, ermutigt die Studierenden,Deutsch zu lernen.

Sprachunterricht am Ghana Instituteof LanguagesDas Ghana Institute of Languages, das eine Fach-hochschule für Fremdsprachen ist, wurde 1961durch den ersten Präsidenten Ghanas, Dr. KwameNkrumah, zur Förderung des Panafrikanismus und der freundschaftlichen Beziehungen zwischenGhana und seinen Nachbarn im Besonderen undGhana und anderen nichtafrikanischen Ländern imAllgemeinen gegründet. Das Institut erhielt außer-dem das Mandat, der Regierung bzw. dem StaatExpertenberatung über das Unterrichten der imInstitut angebotenen Sprachen zu geben. Zur Zeitwerden sieben europäische Sprachen, Arabisch,Deutsch, Englisch, Französisch, Portugiesisch, Russisch und Spanisch unterrichtet. Das Institut

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besteht aus drei Abteilungen (‚Schulen’), einer rei-nen Sprachenschule, wo man sich eine der obenerwähnten Sprachen aneignet, einer Fremdspra-chenschule, wo bilinguale Fremdsprachensekretäreund -sekretärinnen professionell ausgebildet wer-den, und einer Übersetzerschule, wo dreisprachigeÜbersetzer – manche fungieren später als Dolmet-scher – ausgebildet werden. Die Studentenzahl beträgt ca. 1.800. Alle studieren entweder nur Sprachen oder je nach Berufsziel Sprachen undNebenfächer wie Jura, Volkswirtschaftslehre, inter-nationale Beziehungen, Bürofachkenntnisse undManagement. Die Studierenden kommen aus denverschiedensten Ländern der Welt, vor allem ausafrikanischen Ländern. Sie haben die verschieden-sten Muttersprachen und können sich oft nur in der im Klassenzimmer unterrichteten Sprache ver-ständigen.

4. Wie wird unterrichtet?

Werfen wir einen Blick in eine Englisch- und eineArabischklasse in der Sprachenschule:

Die Englischklasse besteht aus 40 Schülern ausGhana, Côte d’Ivoire, Burkina Faso, Togo, Benin,Equatorial-Guinea, Libanon, Saudi-Arabien undGabun. Die Schüler werden von einer Lehrerinunterrichtet, die zwar Englisch und Französischspricht, jedoch in der Klasse nur auf Englisch kom-muniziert. „Hier wird nur Englisch gesprochen“betont sie, „denn ich denke, nur so können sie dieSprache schneller lernen“. Als sie gefragt wird, wiesie normalerweise im Unterricht vorgeht, meint sie,dass sie Bilder, Plakate, Landkarten, Gestik, Mimik,ständige Wiederholung, Sprachlaborübungen undSketches benutzt. Manchen Schülern, die aufgrundihres kulturellen Hintergrunds bestimmte Unter-richtsmedien nicht verstehen, müsse sie entwedermehr Zeit widmen, oder sie müsse Näheres überderen Bezugskultur lernen, um ihnen (nächstesMal) die Tatbestände besser erklären zu können.Eine andere Lehrerin, die sowohl Englisch als auchFranzösisch in Klassen jeweils von 40 bis 46Schülern unterrichtet, meint, dass sie ebenfalls dieoben angegebenen Methoden benutzt. Darüberhinaus benütze sie auch situationsbezogene Ansät-ze wie Sketches, um den Wortschatz zu erweiternund zu vertiefen. Sie meint allgemein, dass auch siekeine andere Fremdsprache zulasse, denn einmonolingualer Unterricht zwinge die Studierendendazu mitzudenken, zu raten, zu spekulieren undwach zu bleiben. Außerdem lässt sie gelegentlicheinen Schüler die ganze Klasse etwas lehren, umMethodenvielfalt zu erreichen und die Studieren-

den ihre eigenen Methoden entwickeln und benut-zen zu lassen.

Nun ein Beispiel aus dem Arabischunterricht:Durch den gemeinsamen Vertrag zwischen Ghanaund Ägypten werden jedes Jahr zwei bis drei Arabischlehrer zum Ghana Institute of Languagesgeschickt, um dort Arabisch zu unterrichten. HerrL.D. ist sehr engagiert. Da die arabische Sprachegewisse Laute besitzt, die in den meisten afrikani-schen oder europäischen Sprachen nicht vorhan-den sind, ist er der Ansicht, nur durch laute undständige Wiederholung könnten sich die Studie-renden diese fremdsprachlichen Laute, vor allemdie Gutturallaute und die interdentalen Laute, an-eignen. Selbst wenn man mehr als 100 Meter vondieser Arabischklasse entfernt ist, kann man dielauten Wiederholungen hören. Fazit: Die Ausspra-che der Schüler ist zwar ausgezeichnet und dieSchüler können sich sehr gut ausdrücken. Aber eineandere Arabischklasse, die im Nebenraum lernt,muss an einem ruhigeren Ort Zuflucht suchen. Wasdie arabische Schrift angeht, so werden die Schülerso lange gedrillt, bis sie sehr schön schreiben kön-nen und jedem, der die Klasse besucht, zusammenlaut vorlesen können. Es wird allgemein hier gesagt:„Herr L.D. ist ein sehr guter Lehrer“.

Deutschunterricht im Ghana Instituteof LanguagesDie meisten Deutschlernenden hier haben Englischals „Ersatzmuttersprache“. Sie haben ähnliche Ziele wie die Deutschlernenden an den Universi-täten. Der Unterschied ist, dass sie am Ghana Insti-tute of Languages Geld zahlen müssen, um Deutschzu lernen. Außerdem haben sie keine weiterenFächer (außer manchmal eine zweite Fremdspra-che) und können sich dem Erlernen der deutschenSprache ganz und gar widmen. Darüber hinausbekommen sie nach einem Jahr, am Ende des Kur-ses (sei es nach der Grundstufe, Mittelstufe oderOberstufe), ein Zeugnis – entweder zur Motivationoder zur Vorlage bei einer Behörde. Die Studieren-den hier scheuen sich nicht vor schwierigengrammatischen Übungen, aber die Konjugationen,die Deklinationen, die langen zusammengesetztenWörter und die langen Schachtelsätze im Deut-schen bereiten ihnen viele Schwierigkeiten.

Das Studium in der Übersetzerschule dauert jenach dem akademischen Hintergrund der Studie-renden zwei bis fünf Jahre. Hier muss jeder dreiSprachen studieren. Die Studierenden kommen ausden verschiedensten Ländern Afrikas und könnenAnglophone, Frankophone, Arabophone, Lusophone

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Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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(Portugiesischsprachige) u.ä sein. Jede Klasse istdeshalb immer mehrsprachig. Deutsch wird, wieauch Arabisch, Portugiesisch, Russisch und Spa-nisch als dritte Fremdsprache studiert. Eine Klassein der Übersetzerschule besteht aus höchstens fünfundzwanzig Studierenden. Die meisten studie-ren Spanisch, da sie meinen, es sei eine einfacheSprache und dem Französischen, das sie obligato-risch studieren, ähnlich. Außerdem ist Spanisch diedrittweitverbreiteste Sprache der Welt. Sie ist zudemeine der in den Vereinten Nationen offiziell benutz-ten Sprachen. Die zweitbeliebteste Sprache an derÜbersetzerschule ist Deutsch, da die Studierendensich von einem Studium der deutschen Sprache vielversprechen. In den unteren Klassen werden nor-male Deutschkurse wie im Deutschunterricht in derSprachenschule angeboten. In den höheren Klassenmüssen die Studierenden Texte aus dem Deutschen(der dritten Fremdsprache) in die Mutter- bzw.Ersatzmuttersprache oder die so genannte ersteFremdsprache übersetzen. Es wird angenommen,dass sie jetzt die deutsche Sprache beherrschen undin den Sprachnuancen gewandt sind. Allerdingstauchen auch hier noch sehr oft phonetische, syn-taktische und lexikalische Interferenzen, falscheFreunde, Sprachmischung und Sprachwechsel imUnterricht und in Hausaufgaben auf.

Interferenzprobleme

Zu Anfang des Erlernens einer ähnlich lautendenoder ähnlich strukturierten Sprache, also Spanisch /Französisch oder Deutsch / Englisch kommt es zuvielen Interferenzen. Die Studierenden sind derMeinung, die Sprachen seien schwer zu unter-scheiden. Soll man beispielsweise auf Spanisch„bien venudo“ oder „bien venido“, „yo parloEspañol“ oder „yo hablo Español“ sagen? Was istrichtig auf Deutsch: „My name ist X“, „Mine Nameist X“, „Mine Fader is X“ oder „My Fader ist X“? Diedeutschen Laute [x] und [ç] werden oft mit den eng-lischen Lauten [k] und [S] in Wörtern wie „Nacht“und „mich“ verwechselt, so dass man vielmehr[nakt] „nackt“ und [miS] „misch“ hört, usw!

Man könnte hier viele Beispiele für Interferenzen(phonetisch, lexikalisch, strukturell) anführen, aberwir wollen es damit gut sein lassen.

Tatsache ist, dass die Studierenden bei dem von vie-len Lehrkräften bevorzugten situationsbezogenenUnterricht, bei dem Dialoge und Sketche im Zen-trum des Unterrichts stehen, häufig Wörter, Aus-drücke oder ganze Sätze aus einer anderen Sprache(meist Englisch) benutzen oder dass sie von einerSprache zur anderen wechseln. Dies führt dazu,

dass viele Studierende nicht in der Lage sind, einenganzen Satz in der Fremdsprache (Deutsch) zu kon-struieren. In diesem Fall verhängen manche LehrerStrafen, z.B.: Wer zwei Sprachen bei einem ein-sprachigen Unterricht mischt, muss eine bestimm-te Geldsumme zahlen.

5. Klassengrößen in Ghana

Im Ghana Institute of Languages stehen Lehrkräfteoft vor einer Klasse von mehr als 40 Studierenden.Bei dieser Klassengröße ist es unmöglich, alle Lernenden während des Unterrichts anzuhören,anzusprechen, geschweige denn zum Sprechen zubringen. Es herrscht oft auch ein Mangel an Lehr-materialien, insbesondere an Büchern. Oft könnennicht alle Hausaufgaben korrigiert werden. Um denUnterricht effektiver zu gestalten, müssten kleine-re Klasse ermöglicht und mehr Lehrpersonen ein-gestellt werden. Das allerdings ist mit höherenKosten verbunden. Und wer soll das bezahlen?

Literaturverzeichnis:Bemile, Sebastian K.: Deutschunterricht und Germanistik in Ghana. In:

Helbig, G. / Götze, L. / Henrici, G. / Krumm, H.-J. (Hrsg.): Deutsch alsFremsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin: de Gruyter Verlag2001. Band 2, 1631-1634.

Bemile, Sebastian K. : Begegnung falscher Freunde und Interferenzen beimDeutscherwerb, insbesondere unter englischsprachigen Deutschler-nenden. In: Auer, M. / Müller, U. (Hrsg.): Kanon und Text in interkultu-rellen Perspektiven: ‚Andere Texte anders lesen’. Stuttgart: Verlag Hans-Dieter Heinz 2002, 189-198.

House, Juliane (2003): Übersetzen im Unterricht. In: Schneider, G. / Clalüna, M. (Hrsg.): Mehr Sprache - mehrsprachig - mit Deutsch. Didaktische und politsche Perspektiven. München: Iudicium 2003,153-164.

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Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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B Ü C H E R U N D Z E I T S C H R I F T E N

Seit dem „Europäischen Jahr der Sprachen2001“ gibt es zahlreiche Bücher zum ThemaSprachenvielfalt. Wir weisen zunächst auf einige grundlegende Veröffentlichungen hin.

Ingrid Gogolin:Der monolinguale Habitus der multi-lingualen Schule. Münster: Waxmann Verlag 1994.Dieses Buch bildet eine wichtige Grundlage für das heutige Verständnis von Sprachenviel-falt in der Schule. Die Verfasserin zeigt, wie es dazu kam, dass sich auf dem vielsprachigeneuropäischen Kontinent die Vorstellung ent-wickeln konnte, Einsprachigkeit sei etwasSelbstverständliches. Sie zeigt am Beispiel einer Hamburger Schule, wie sich dieses mono-linguale Selbstverständnis im Handeln der Lehrenden niederschlägt – und sie entwickeltein Konzept der „sprachlichen Pluralisierung“für die heutige Schule. Exemplarisch zeigt die folgende Untersuchungportugiesischer Jugendlicher am Übergang von der Schule zur Arbeitswelt, wie sich Mehr-sprachigkeit als Reichtum auswirken kann.

Sara Fürstenau:Mehrsprachigkeit als Kapital im trans-nationalen Raum. Münster: Waxmann 2003.

Wenn Kinder mit mehreren Sprachen gleich-zeitig aufwachsen, so gestaltet sich ihr Sprach-erwerb anders, als wenn alle Sprachen inAbständen nacheinander gelernt werden.Damit sind nicht nur neue Fragen für die Spracherwerbsforschung gestellt (siehe hier-zu auch die Besprechung des Buches von E. Oksaar, S. 59), Mehrsprachigkeit tangiert die ganze Persönlichkeit, wie u.a. die beidenfolgenden Bücher darstellen.

Nina Janich / Christiane Thim-Mabrey(Hrsg.):Sprachidentität – Identität durch Sprache.Tübingen: Gunther Narr Tübingen 2003.Die Frage der „Sprachidentität“ wird in diesemSammelband in vielfältigen sprach- undliteraturwissenschaftlichen Perspektiven verfolgt.

Elke Burkhardt Montanari:Wie Kinder mehrsprachig aufwachsen. Ein Ratgeber. Frankfurt a.M.: Brandes &Apsel 2000, 3. Aufl. 2003.Dies ist kein Fachbuch, sondern ein Ratgeber, der

vom Verband binationaler Familien und Partner-schaften herausgegeben wurde. Er zeigt anhandvieler praktischer Beispiele, dass Kinder mehrereSprachen gleichzeitig lernen und benutzen kön-nen. Auch die Schwierigkeiten, die auftretenkönnen, werden nicht verschwiegen – es gibtzahlreiche Hinweise, wie Erziehende Kinder beider Entwicklung ihrer Mehrsprachigkeit fördernund unterstützen können.

Zu den mit Sprachenvielfalt verbundenen sprachenpolitischen Aufgaben verweisen wiraus Platzgründen lediglich auf ein Buch, das im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung die Entwicklungstendenzen verschiedener Spra-chen in ausgewählten Ländern untersucht.

Juliane Besters-Dilger / Rudolf de Cillia /Hans-Jürgen Krumm / Rosita Rindler-Schjerve (Hrsg.):Mehrsprachigkeit in der erweiterten Euro-päischen Union. Klagenfurt: Drava 2003.

Wie man eine Sprache unterrichtet und dabeigleichzeitig die Spracherfahrungen der Lernen-den nutzt und das Erlernen weiterer Sprachenvorbereitet, damit beschäftigen sich seit einigenJahren die Mehrsprachigkeitsdidaktik und dieTertiärsprachenforschung. Eine grundlegendeEinführung gibt die folgende Fernstudien-einheit.

Gerd Neuner / Britta Hufeisen u.a.:Deutsch im Kontext anderer Sprachen –Tertiärsprachendidaktik: Deutsch nach Englisch. Erprobungsauffassung auf CD-Rom, München 2004 (zu beziehen über das Goethe-Institut. Die Druckfassungerscheint in der Reihe der Fernstudien-einheiten des Langenscheidt Verlages).

Britta Hufeisen (Hrsg.):Deutsch als zweite Fremdsprache. FREMDSPRACHE DEUTSCH Heft 20/1999.Stuttgart: Ernst Klett Sprachen, EditionDeutsch. Neben mehreren Beiträgen zur Rolle vonDeutsch als zweiter Fremdsprache enthält dieses Heft zahlreiche weitere Hinweise aufFachliteratur und Übungsanregungen.

Die folgenden Veröffentlichungen regen dazuan, die sprachliche Heterogenität der Lernen-den als Ausgangspunkt für einen Vielsprachig-keit thematisierenden und nutzenden Unter-richt zu betrachten.

Basil Schader:Sprachenvielfalt als Chance. Das Hand-buch. Hintergründe und 101 praktischeVorschläge für den Unterricht in mehr-sprachigen Klassen. Troisdorf: Bildungs-verlag EINS 2004.Neben einer grundsätzlichen Einführung enthält dieses Buch 101 konkrete Unterrichts-vorschläge für verschiedene Altersgruppen(vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe I). Die Übungen und Spiele sind so angelegt, dass Kinder die Sprachen der anderen kennenlernen, oft sogar brauchen, um eine Aufgabezu lösen; sie tragen unmittelbar zur Entwick-lung von Sprachbewusstheit bei.

Katharina Kuhs / Wolfgang Steinig (Hrsg.):Pfade durch Babylon. Konzepte und Beispiele für den Umgang mit sprachlicherVielfalt in Schule und Gesellschaft. Freiburg: Fillibach 1998.Das Buch liefert Beiträge zu den linguistischenund curricularen Grundlagen ebenso wie kon-krete Beispiele, die Sprachenvielfalt der Kinderfür interkulturelles Lernen, für die Entwicklungdes Schreibens und Erzählens, aber auch dieGrammatik zu nutzen.

Hartung, Regine / Kudlinska-Stankulova,Krystyna:Sprachen öffnen Welten. Hamburg: Körber-Stiftung 2001. www.koerber-stiftung.deSprachbezogene Themen für Jugendliche undErwachsene, z.B. Sprache und ich, Funktionenvon Sprache, Andere Sprachen – andere Welten?, Eine Nation = eine Sprache?, Sprachenpolitik in Europa. Arbeitsvorschlägemit motivierenden Arbeitsmaterialien.

Seipel, Wilfried:Der Turmbau zu Babel. Wien: Kunst-historisches Museum 2003.Witziges Heft mit Karten, Grafiken, Abbildun-gen alter Schriftdokumente, Texten und Bei-lagen zu Sprachfamilien, Sprachgeschichte und Sprachenvielfalt. Für Jugendliche undErwachsene. Zu bestellen bei: KunsthistorischesMuseum Wien, Burgring 5, A-1010 Wien.

Ingelore Oomen-Welke (Hrsg.):Sprachen in der Klasse. PRAXIS DEUTSCH157/ 1999. Seelze: Friedrich Verlag Velber.Das Heft gibt eine Einführung in den Umgangmit der Sprachenvielfalt von Schulklassen inden deutschsprachigen Ländern, die Anregun-gen für andere Situationen bieten kann.

BÜCHER, ZEITSCHRIFTEN, INTERNET-ADRESSEN ZUM THEMA

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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Zeitschrift GRUNDSCHULE SPRACHEN 2001-2003; ab 2004 weitergeführt als GRUND-SCHULE DEUTSCH. Seelze: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung.Viele praktikable Unterrichtsideen für mehr-sprachige Grundschulklassen und für denFremdsprachenunterricht in der Grundschule.

Gerlind Belke:Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht.Sprachspiele, Spracherwerb und Sprach-vermittlung. Baltmannsweiler: SchneiderVerlag Hohengehren 2000, 3. Aufl. 2003.In diesem Buch wird ein didaktisches Konzeptfür den gemeinsamen Unterricht von Kindernmit Deutsch als Zweit- bzw. Fremdsprache undmit Deutsch als Muttersprache entwickelt. ImMittelpunkt steht die Entwicklung von Sprach-aufmerksamkeit, vor allem, was die Strukturender deutschen Sprache angeht. Sprachreflexionund Grammatik einerseits, Poesie und Umgangmit sprachlicher Kreativität andererseits bildendie Orientierungspunkte für den Unterricht,wobei die Zwei- und Mehrsprachigkeit der Lernenden durchgehend berücksichtigt wird.Die Vorschläge zielen auf den Sprachunterrichtin der Primarstufe, viele Anregungen lassensich aber auch für einen integrativen Unterrichtmit älteren Kindern nutzen.

Hans-Jürgen Krumm:Kinder und ihre Sprachen – lebendigeMehrsprachigkeit. Wien: Eviva•Wiener VerlagsWerkstatt 2001.Eine Sammlung von Sprachenporträts, die dazuanregen soll, die Sprachbiografien der Lernen-den zu erkunden und mit ihnen zu arbeiten.

Kirsten Adamzik / Eva Roos (Hrsg.):Sprachbiografien. bulletin valsa asla no. 76(= Bulletin suisse de linguistique appli-quée) Institut de linguistique de l’Univer-sité de Neuchâtel 2002.In diesem mehrsprachigen Sammelband wirdein sprachbiografischer Ansatz an konkretenBeispielen entwickelt. Es wird deutlich, wie vielfältig die Spracherfahrungen von Menschenund ihr Umgang mit dieser Vielsprachigkeitsind.

Günther Schneider / Monika Clalüna(Hrsg.): Mehr Sprache – mehrsprachig – mit Deutsch. Didaktische und politischePerspektiven. München: iudicium 2003.

Günther Schneider / Monika Clalüna (Hrsg.):Mehrsprachigkeit und Deutschunterricht.Sonderheft bulletin vals-asla: Neuchâtel2002.Diese beiden Veröffentlichungen enthalten diePlenarvorträge bzw. die Thesen und Ergebnisseder Sektionen der XII. Internationalen Tagung derDeutschlehrerinnen und Deutschlehrer 2001 inLuzern. Hier wird das gesamte Spektrum desUmgangs mit Sprachenvielfalt im Unterrichtmethodisch und sprachenpolitisch entfaltet.

I N T E R N E T- A D R E S S E N

Die (leider nur englischsprachige) Homepageinformiert über Forschungsprojekte im Bereichder Tertiärsprachenforschung, bietet Links undLiteraturhinweise an.http://www.spz.tu-darmstadt.de/projekt_l3/

EuroCom – Sprachenlernen in SprachfamilienDie Projekte „Interkomprehension in Sprach-familien“ (EuroCom) untersuchen, wie manbeim Erlernen einer Sprache zugleich lernenkann, auch eine weitere verwandte Sprachezu verstehen. Es bestehen drei Projekte für die drei Sprachfamilien: • Slawische Sprachen (EuroCom-Slav)• Romanische Sprachen (EuroCom-Rom)• Germanische Sprachen (EuroCom-Germ).http://www.eurocomcenter.de/

http://www.eurocom-frankfurt.de/

Kinder entdecken Sprachen (KIESEL)In diesem Projekt, das am ÖsterreichischenSprachen-Kompetenzzentrum in Graz durch-geführt wurde, wurden Lehrmaterialien ent-wickelt und erprobt, mit denen die Sprachen-vielfalt im Unterricht genutzt werden kann.Unter dem Eintrag DOWNLOAD (dann KIESEL)lassen sich von der folgenden Homepage 15 Einheiten (Unterrichtseinheiten und Er-probungsberichte) abrufen. http://www.sprachen.ac.at/

www.ph-freiburg.de/jaling Hier erhalten Sie Informationen über ein Spra-chenprojekt von zehn europäischen Ländern,das Kinder und Jugendliche für die eigenenund für andere Sprachen sensibilisieren undinteressieren will: Links zu den Homepages der Partnerinstitutionen des Projekts.(Siehe auch die Publikation Candelier u. a.2003 / 2004 auf Seite 18.)

S P R A C H E N P O RT F O L I O S

Das Konzept von Sprachenportfolios wurde vomEuroparat entwickelt und wird derzeit in vielenLändern für Schulen, Volkshochschulen u.ä. ausgearbeitet. Der Grundgedanke ist, dassZeugnisse und Prüfungen nur wenig über dievielfältigen Spracherfahrungen eines Menschenaussagen, so dass andere Formen der Doku-mentation die Zertifikate ergänzen müssen. Ein Sprachenportfolio hat in der Regel Platz für• die Sprachenbiografie (welche Sprachen

man wo gelernt hat, noch lernen will, mitwem man sie spricht, wo man sie auf Reisenoder in Praktika schon angewendet hat usw.),zu der auch Selbsteinschätzungen hinsichtlichder Beherrschung der jeweiligen Sprachengehören;

• das Dossier, eine Sammlung von Projekt-arbeiten, Texten, also Beispielen und Ergebnissendes Lernens und Verwendens von Sprachen;

• den Sprachenpass, d.h. Nachweise über formellen Sprachunterricht, bestandene Prüfungen usw., die sich an den Niveau-stufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens orientieren.

Die folgende Broschüre sowie die angege-benen Internetadressen informieren über die Sprachenportfolio-Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Edith Matzer (Hrsg.):Das europäische Sprachen-Portfolio undandere Umsetzungsformen des Portfolio-Konzepts (Report 57 des Kompetenz-zentrums für Schulentwicklung, Bereich III:Fremdsprachen), Graz 2001.

http://www.sprachen.ac.at/

Stichwort: Arbeitsbereich ESP (Das EuropäischeSprachen-Portfolio): Hier werden die öster-reichischen Entwicklungen dokumentiert.

http://www.schule.bremen.de/sprachen/portfolio.html

Diese Seite führt weiter zu den Sprachen-portfolios im Internet, in verschiedeneneuropäischen Ländern und in einigen deutschen Bundesländern. Zusätzlich ver-fügen viele deutsche Bundesländer über eigeneInformationsseiten.

http://www.sprachenportfolio.ch/

Hier werden die Schweizer Sprachenport-folios vorgestellt.

HANS-JÜRGEN KRUMM, INGELORE OOMEN-WELKE

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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Sprachenvielfalt im Klassenzimmer58

LANGUAGE AWARENESS (Sprachbewusstheit, Sprachbewusstsein)

Der Anstoß, Sprachwissen und Sprachauf-merksamkeit in der mehrsprachigen Gesell-schaft weiterzuentwickeln, kommt seit den1970-er Jahren aus England; von dort wurdezum Teil auch die Terminologie der „LanguageAwareness“, der „Knowledge about Language“und „Metalinguistic Awareness“ übernommen.Einen besonders wichtigen Anstoß gab dasBuch von Eric Hawkins: Awareness of Language:An Introduction. Cambridge 1984, 1987.

Im deutschsprachigen Raum entstanden seitEnde der 1980-er Jahre verschiedene Aware-ness-Konzepte mit dem Ziel, durch die stän-dige Auseinandersetzung mit Sprachen sowohldie Sprachpraxis als auch die Reflexion überSprache zu verbessern. Language Awarenesswird deutsch manchmal auch als Sprach-begegnung oder Sprachsensibilisierung über-setzt; wir halten das Wortpaar Sprachaufmerk-samkeit und Sprachbewusstheit für geeigneter.

Sprachbewusstheit ist ein neu gebildetes Wortim Unterschied zu dem Wort Sprachbewusst-sein der Alltagssprache (= Stilempfinden).Sprachbewusstheit umfasst die Aufmerksam-keit eines Individuums auf Sprachen und dieFähigkeit, sprachliche Operationen und Re-flexionen über Sprache durchzuführen. Sieentwickelt sich mit dem Gebrauch einer odermehrerer Sprachen, indem aufgrund dermenschlichen Sprachfähigkeit Hypothesengebildet und am Sprachgebrauch überprüftwerden. Sprachaufmerksamkeit und Sprachbe-wusstheit basieren daher auf Spracherfahrung.

Sprachbewusstheit umfasst außerdem Aspektewie Sprachlernbewusstheit und Sprach-verwendungsbewusstheit als verschiedenenBewusstheiten, die sich eventuell in Reparatur,Regulierung, Dialogreflexion, Sprachurteil usw.zeigen.

Sprachwissen ist davon nicht genau unter-schieden, weil die Ergebnisse der Sprach-reflexion sich als Sprachwissen verfestigen können. Sprachwissen meint das Wissen überSprachsystem und Sprachgebrauch. Im mehr-sprachigen Kontext umfasst es auch Wissenum Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten

von Sprachen, Wissen um allgemein möglicheBauformen und Strukturen sowie um Realisie-rungen in einzelnen Sprachen, um Rolle undWert der Sprachen usw.

MEHRSPRACHIGKEIT – VIELSPRACHIGKEIT

Beim Thema Mehrsprachigkeit ist zu unter-scheiden zwischen der individuellen Mehr-sprachigkeit, d.h. der Fähigkeit eines Men-schen, mehr als zwei Sprachen zu verwenden,und der gesellschaftlichen Mehrsprachig-keit, d.h. der Koexistenz mehrerer Sprachen ineinem Land zum Beispiel, was nicht bedeutet,dass jedes Individuum all diese Sprachen kann.Die Schweiz gilt in diesem Sinne als Beispielfür ein vielsprachiges Land mit vier Amts-sprachen, jedoch nicht alle Schweizerinnenund Schweizer sind mehrsprachig.

Im Deutschen wie im Französischen könnenwir beides auch begrifflich unterscheiden:Mehrsprachigkeit (multilingualisme) zielt aufdie individuelle, Vielsprachigkeit (plurilinguisme)auf die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit. DasEnglische kennt für beide Phänomene nureinen Begriff: Multilingualism. Um die beidenAspekte auch auf Englisch ausdrücken zu kön-nen, verwendet die Europäische Union in vie-len Dokumenten neben Multilingualism für dieindividuelle Mehrsprachigkeit die BezeichnungLinguistic Diversity (Sprachenvielfalt) für diegesellschaftliche Mehrsprachigkeit. Gleichzeitigaber setzt sich der Begriff Mehrsprachigkeitimmer mehr als generelle Bezeichnung für beides durch, so z.B. im Gemeinsamen euro-päischen Referenzrahmen für Sprachen, indem unter der Überschrift „Sprachenvielfaltund das Curriculum“ (Kapitel 8) nur von„mehrsprachiger Kompetenz“ die Rede ist.Will man sich genau ausdrücken, so empfiehltes sich, durch die Adjektive individuell – gesell-schaftlich anzuzeigen, was gemeint ist. Dasbewährt sich auch insofern, als die beidenBegriffe Mehrsprachigkeit – Vielsprachigeit inmanchen Dokumenten zum Beispiel des Euro-parats in genau umkehrter Bedeutung benutztwerden.

In der Psycholinguistik gibt es eine langwährende Diskussion zu der Frage, ab wannman einen Menschen als zweisprachigbezeichnen kann. Diese Frage gilt natürlich

auch für die individuelle Mehrsprachigkeit:Wie gut muss man Sprachen können, damitman von einer mehrsprachigen Kompetenzsprechen kann? Heute herrscht Einigkeit darüber, bereits frühe Stadien der Fähigkeit, verschiedene Sprachen zu verwenden, mitMehrsprachigkeit zu bezeichnen. Keinesfallsmuss man in allen Sprachen die gleichen Fer-tigkeiten und Niveaustufen erreichen, um sichals mehrsprachig bezeichnen zu können – dies ist ein Fehler, der in der Anwendung derNiveaustufen-Beschreibungen des europäi-schen Referenzrahmens vielfach gemacht wird:Es werden diese Niveaustufen (z.B. A2 oderB1) in allen Fertigkeiten und allen Themenbe-reichen gemessen und beurteilt, obwohl dochMenschen ihre verschiedenen Sprachen zuäußerst verschiedenen Zwecken, in unterschied-lichen Themenbereichen und in unterschiedli-cher Perfektion gebrauchen (vgl. die Diskussionin Bausch u.a. 2003). Charakteristikum vonindividueller Mehrsprachigkeit ist, dass diese„unausgewogen“ ist, dass sich die Kompe-tenzprofile in den verschiedenen Sprachen (z.B.zwischen mündlich und schriftlich, zwischenRezeption und Produktion) unterscheiden. DerReferenzrahmen spricht von dem „kurzlebigenProfil“ und der „veränderlichen Konfiguration“der Mehrsprachigkeit: „Je nach Beruf, fami-liärem Hintergrund, Reiseerfahrung, Lektüreund Hobbys der betroffenen Person verändertsich ihre linguistische und kulturelle Biografiedeutlich. Damit verändert sich auch das Un-gleichgewicht innerhalb ihrer Mehrsprachigkeitund erhöht sich die Komplexität ihrer Erfah-rungen mit kultureller Vielfalt“ (S. 133).Sprachenportfolios (vgl. S. 57 in diesem Heft)sind ein hervorragendes Instrument, diese indi-viduelle, „ungleichgewichtige“ Mehrsprachig-keit zu dokumentieren.

INGELORE OOMEN-WELKE,

HANS-JÜRGEN KRUMM

Bausch, Karl-Richard / Christ, Herbert / Königs,Frank G. / Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.):Der Gemeinsame europäische Referenzrahmenfür Sprachen in der Diskussion. Tübingen: Narr 2003.

Europarat / Rat für kulturelle Zusammenarbeit:Gemeinsamer europäischer Referenzrahmenfür Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin:Langenscheidt 2001.

AKTUELLES FACHLEXIKON

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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REZENSION

Els Oksaar: Zweitspracherwerb. Wege zur Mehr-sprachigkeit und zu interkultureller Verständigung.Stuttgart: Kohlhammer 2003, 222 S., 28,00 Euro.

Wie kommt der Mensch zu seinen Sprachen? Mitdieser Frage sind, wie auch im „Baum der Mehr-sprachigkeit“ (vgl. S. 24) illustriert, vielfältige psy-cho- und soziolinguistische sowie interkulturelleAspekte verknüpft. Die Einführung in Fragen desSpracherwerbs, die Oksaar vorlegt, geht ihr Themadaher auch umfassend und interdisziplinär an,wobei die Komplexität in fünf einander ergänzen-den Großkapiteln übersichtlich geordnet ist. InKapitel 1 „Zweitspracherwerb als interdisziplinärerForschungsbereich“ werden Grundbegriffe wie Erst-,Mutter- und Zweitsprache noch einmal geklärt undauf ihre Implikationen für den Spracherwerb unter-sucht (Achtung: Zweitspracherwerb ist für Oksaarder Oberbegriff, der auch Fremdsprachenlerneneinschließt). Außerdem entwickelt Oksaar fünf Prin-zipien der Sprachbetrachtung:� das Prinzip der Kulturalität: Jeglicher Sprach-

erwerb ist mit interkulturellem Lernen verknüpft;� das Prinzip der Ganzheit und des Teilganzen:

Teile (Wörter, Sätze) können nur vom Ganzen,der Kommunikationssituation her, verstandenwerden, was bedeutet, parasprachliche und nonverbale Mittel und Elemente ebenso in dieBetrachtung einzubeziehen;

� das Prinzip der Dynamik und der Variation: Sprache ist nichts Statisches, sie gewinnt ihreAusdruckskraft erst in der konreten Sprach-verwendung, die von der Kreativität der Spre-cherInnen mitbestimmt ist;

� das Prinzip der Heterogenität und Individualität:Spracherwerb ist zu allererst ein individuellerProzess, was zu vielfältigen Differenzierungenund einer grundsätzlichen Heterogenität vonLerngruppen führt;

� Sprachenlernen als Notwendigkeit und als Berei-cherung, d.h. die Erkenntnis, dass Mehrsprachig-keit eine für die Gesellschaft wichtige wie für dasIndividuum nützliche Ressource darstellt.

Gerade weil die Betonung von Sprachenlernen als Kulturlernen in üblichen Arbeiten zur Sprach-erwerbstheorie gerne vernachlässigt wird, ist esschade, dass sich Oksaar im 2. Kapitel „Zweit-spracherwerb und kulturelles Lernen“ ausschließ-lich auf die von ihr entwickelte (und schon häufi-ger publizierte) „Kulturemtheorie“ beschränkt undviele Ansätze und Erkenntnisse zum Zusammen-

hang von sprachlichem und kul-turellem Lernen (weder Müllers 1

konfrontative Semantik noch die Kulturstandard-Theorie vonThomas 2 o.a.) zur Kenntnisnimmt. Damit fällt dieses wichti-ge Kapitel aus dem Rahmen einerEinführung, die ja auch einenÜberblick über verschiedene Forschungsansätze geben soll,heraus.

Im Unterschied dazu liefern das 3. („Rahmenbedingungen für den Zweit-spracherwerb“) und das 4. Kapitel („Theorien,Modelle und Methoden des Zweitspracherwerbs“)das, was man von einer Einführung erwartet, einenaktuellen Überblick über den Forschungsstand, beidem auch widersprüchliche und ungelöste For-schungsfragen nicht ausgeklammert werden. VomAspekt des Alters beim Spracherwerb über Motiva-tion, den Akzent, Kontrastivität und Fehleranalyse,die kognitiven Aspekte bis zur Frage der Sprach-bewusstheit der Lernenden reicht das breite Spek-trum der diskutierten Erkenntnisse, darunter einenützliche Analyse von Interferenzen (S. 137-149).Insgesamt wird deutlich, dass es nach wie vor keine umfassende Spracherwerbstheorie gibt, dassalso verschiedene Ansätze und Betrachtungsweisenkombiniert werden müssen, will man den viel-fältigen individuellen, sozialen und psycholinguis-tischen Spracherwerbsverläufen gerecht werden.

Kapitel 5 („Gesellschaftspolitische Aspekte desZweitspracherwerbs“) behandelt drei sprachen-politische Aspekte:� die Rolle und Funktion von Sprachen bei Migra-

tion und Minderheiten,� die Sprachenpolitik in der Europäischen Union � und die internationale Stellung des Deutschen

als Fremdsprache.

Insgesamt leistet das Buch einen aktuellenÜberblick und eine gute Einführung in Fragen desSpracherwerbs und der Spracherwerbsforschungund schließt wichtige interkulturelle und sprachen-politische Aspekte ein. Es eignet sich gut, um in diesem Heft nur angedeutete Fragestellungen inden wissenschaftlichen Kontext einzubetten.

HANS-JÜRGEN KRUMM

1 Bernd-Dietrich Müller: Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung.Fernstudieneinheit 8. Berlin / München: Langenscheidt 1994.

2 Alexander Thomas (Hrsg.): Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen / Bern: Hogrefe 1996.

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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Sprachenvielfalt im Klassenzimmer60

REZENSION

Brückner, Heidemarie / Gaidosch-Nwankwo, Ulrike / Hölscher, Petra /Kaviani, Claudia / Münch, Kathari-na / Penndorf, Gudrun / Pottek, Kir-sten / Schier, Evelyn / Tanyeri, Jale/ Vogl, Ingrid: Schule mal anders –Mütter lernen Deutsch an der Schu-le ihrer Kinder. Stuttgart: Ernst KlettSprachen, Klett Edition Deutsch2002, 94 S., 12,80 Euro.

Wenn es um die schulische Situation von Migran-tenkindern geht, wird von Lehrerinnen und Lehrernhäufig beklagt, dass viele Mütter nicht genugDeutsch könnten. Solche Mütter könnten ihrenKindern bei unterrichtsbezogenen Schwierigkeitennicht helfen und hätten insgesamt zu wenig Ein-blick in das schulische Geschehen und überdieskaum Kontakt zu deutschsprachigen Familien.

In dem 95 Seiten umfassenden Heft wird einabgeschlossenes Modellprojekt vorgestellt, dessenZiel es war, die genannten Probleme durch die Ein-richtung von Deutschkursen für Mütter zu bewäl-tigen, die an verschiedenen Schulen in Münchenund Umgebung angeboten wurden. Das Projektwurde vom Bayerischen Staatsministerium fürUnterricht und Kultus in Auftrag gegeben, vomStaatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsfor-schung organisatorisch und inhaltlich begleitet undvon unterschiedlichen Institutionen aus dem Bil-dungsbereich durchgeführt.1 Durch die Durchfüh-rung der Kurse an Schulen und die Schaffung wei-terer günstiger Voraussetzungen wie die Betreuungvon kleinen Kindern wurde beabsichtigt, den Müt-tern den Besuch eines Deutschkurses zu erleichtern.

Die Deutschkurse zeichneten sich dadurch aus,dass sich die Lerninhalte an der Lebenswirklichkeitder Mütter orientierten, d.h., dass „Erfahrungenund Bedürfnisse aus ihrem Lebensalltag undbezüglich des schulischen Werdegangs der Kinder“(S. 7) thematisiert wurden – den unterschiedlichenSprach- und Bildungsniveaus der Mütter wurde mitHilfe der Kursleiterarbeit im Team begegnet.

Nach der Vorstellung der statistischen Daten von106 Kursteilnehmerinnen (S. 9 f.) widmet sich dasHeft in vier großen und übersichtlichen Kapitelnder Darstellung der geleisteten Arbeit, wobei dieInformierung von Schulen und Trägern, die Deutsch-kurse für Mütter anbieten möchten, im Vorder-grund steht. In einem „Leitfaden für die Einrichtungvon Sprachkursen an den Schulen“ (S. 12 f.) werden

verschiedene Aspekte vorgestellt, die in der Praxisberücksichtigt werden sollten, es gibt auch eine‚Checkliste’ für die Einrichtung eines Kurses. DemLeitfaden folgt eine Darstellung von Varianten derOrganisation an verschiedenen Schulen. Diese Dar-stellung enthält neben Informationen zum Trägerdes Kurses, der Kursdauer, des Kostenbeitrags derTeilnehmerinnen etc. auch Beispielmuster für El-ternbriefe und Abschlussbescheinigungen (S. 15 f.).

Der Abschnitt „Curriculum für Deutsch lernendeMütter“ (S. 23 f.) ist nach verschiedenen Lernfelderngegliedert (z.B. Lernfeld Nr. 1: ‚ich und du imSprachkurs’, S. 28 f.) und enthält neben einer Auf-listung der Kerninhalte die zu thematisierendenlexikalischen Bereiche und syntaktischen Mittelund eine ausführliche Auflistung von möglichenAktivitäten zum Erwerb der Sprache in dem jewei-ligen Bereich. Insgesamt werden 6 Lernfelder syste-matisch in ihren Grundstrukturen vorgestellt, kon-kretisiert werden die Entwürfe im letzten Teil derBroschüre mit anschaulichen Beispielen aus demdurchgeführten Unterricht. Die Beispiele weiseneine große thematische Bandbreite auf, z.B. ‚Woh-nung gesucht: Lernerorientierte Wortschatzarbeit’,‚Erlaubt – verboten: Hinweisschilder verstehen’,‚Schule erleben: Unterricht mit den Lehrkräftenund Schülern’ (S. 48 f.).

Ein Erfahrungsbericht zeugt von vielen positivenReaktionen von Seiten der Lehrkräfte, Schüler undEltern. Deutlich wird ein großer Integrations-zuwachs der Mütter an den Schulen. Auch Erfah-rungen aus dem Unterricht, z.B. bezüglich desUmgangs mit unterschiedlichen Fortschritten, wer-den beschrieben.

Insgesamt wird ein sehr positives Bild der Deutsch-kurse vermittelt; Interessentinnen und Interessen-ten für die Einrichtung solcher Kurse werden viel-fältige praktische Hilfestellungen an die Hand gege-ben. Der Projektdarstellung schließt sich die Fragean, wie sich die Deutschkurse für Mütter auf denSchulerfolg der Kinder auf die im Heft genanntenZiele der besseren Kooperation zwischen der Schu-le und den Müttern auswirken – dies ist aber eineFrage, deren Bearbeitung einer gesonderten Unter-suchung bedarf.

Für die Informierung im Hinblick auf die Ein-richtung von Deutschkursen für Mütter ist das Heftuneingeschränkt zu empfehlen. INCI DIRIM

1 Eine Liste mit der im Schuljahr 2001 / 2002 am Projekt beteiligten Schulen findet sich im Anhang des Hefts.

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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Große Aufregung in Deutschland um die Recht-schreibreform! Wahrscheinlich haben auch Sie in irgendeiner Form davon etwas mitbekommen.Immerhin flatterte Ihnen so manche E-Mail überdas IDV-NETZ in Ihren PC. Nachdem sich die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung vonAnfang an nicht an der Reform beteiligt hat, sindjetzt auch Bild und Spiegel zu den alten Regelnzurückgekehrt, andere sind noch unschlüssig. Somancher wünscht sich gar eine Volksabstimmungin dieser Angelegenheit.

Diese jetzt stattfindende Diskussion halte ich für irritierend und überflüssig. Und leider wissenviele, die sich an ihr beteiligen, nicht, wohin siezurückkehren möchten.

Welche Argumente werden vorgetragen?

� Einige wild gewordene Bildungsbürokraten hät-ten der Bevölkerung eine Reform diktiert, die sienicht will und nicht braucht.

� Die meisten Änderungen seien unlogisch undwidersprüchlich.

Schauen wir uns doch ein paar der Beispiele an:

Das sind wenige Beispiele, die verdeutlichen, dassdie Regeln vereinheitlicht und damit vereinfachtwurden. Das gilt vor allem für die Kommasetzung,die Groß- und Kleinschreibung und das Zusammen-und Getrenntschreiben. Außerdem ist die Reformgeprägt von einer starken Liberalisierung, in vielenFällen kann man sich so oder so entscheiden: hier-zulande oder hier zu Lande, anstelle oder an Stelle,viel versprechend oder vielversprechend, mithilfeoder mit Hilfe. Oder die Schreibweise liegt in derSache begründet: Einen Schuh kann man fest bin-den, einen Hund festbinden.

Verlage haben ihre Publikationen auf die neuenRegeln umgestellt, Schüler und Schülerinnen wer-den seit sechs Jahren nach den neuen Regeln unter-richtet. Alles umsonst? Soll das alles rückgängiggemacht werden?

Dabei muss man wissen, dass nur etwa zwei Prozent eines normalen Textes von der Recht-schreibreform betroffen sind. 98 Prozent werden wie früher geschrieben.

Das Goethe-Institut hat im August eine klarePosition eingenommen und als Resolution in dieÖffentlichkeit gebracht: Es bittet zwar die Konfe-renz der Kultusminister der Länder der Bundes-republik Deutschland nachdrücklich um eine kriti-sche, konsensfähige Überarbeitung des Regel-werkes, weist aber nachdrücklich darauf hin, dasses in seiner externen und internen Kommunikation,vor allem aber im Deutschunterricht weltweit seit1996 die Rechtschreibreform umsetze. Eine Rück-nahme der Reform sei den weltweit 20 MillionenDeutschlernenden nicht zu vermitteln.

Lassen Sie sich also nicht verunsichern durchdiese Diskussion. Sie wird vergehen, wie sie ge-kommen ist. BERND KAST

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UNSERE SPRACHECKE

alt neuin bezug auf in Bezug aufmit Bezug auf mit Bezug auf

alt neuder Aufwand der Aufwandaufwendig aufwändig

alt neuAuto fahren Auto fahrenradfahren Rad fahrenskifahren Ski fahren

alt neumit achtzig Jahren mit achtzig JahrenSie ist Mitte Achtzig. Sie ist Mitte achtzig.

alt neuSchiffahrt SchifffahrtPappplakat* Pappplakat

alt neuauf deutsch auf DeutschEr spricht gut Deutsch. Er spricht gut Deutsch.auf gut deutsch auf gut Deutsch

© Erl/CCC,www.c5.net

* Bisher schon galt: Folgt bei zusammengesetzten Wörtern auf einen Doppelkonsonanten derselbe Konsonant, schreibt man drei Konsonanten.

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Sprachenvielfalt im Klassenzimmer62

Litfaßsäule

Die kleine Eule – eine Geschichte in vielen SprachenDie Geschichte der österreichischen Autorin Lene Mayer-Sukmanz, zu der Salvatore

Sciascia märchenhafte Zeichnungen beigesteuert hat, erzählt von einer kleinen Eule,

die durch die Welt fliegt, mit Tieren und Menschen redet und so allmählich weise

wird, wie es alle von einer Eule erwarten. Auf der Homepage findet sich diese

Geschichte zur Zeit in 25 Sprachen. Sie kann als Grußbotschaft über das Internet

verschickt werden. Die Stadtbücherei der Stadt Lienz in Osttirol, die die Initiative für

dieses Projekt ergriffen hat und dafür 2003 mit dem europäischen Siegel für inno-

vative Sprachenprojekte ausgezeichnet wurde (vgl. S. 33), hat dieses Projekt mit Festen

und Veranstaltungen vor Ort kombiniert, bei denen die Geschichte in verschiedenen

Sprachfassungen vorgelesen wurde. Der Text lädt zum Vorlesen und Weitererzählen

bzw. Weiterschreiben ein, vielleicht auch dazu, ihn in die eigene Sprache zu übertra-

gen. Ebenso aber lassen sich die einzelnen Sprachfassungen vergleichen. Auch das

„Weltenbüro“ von Lienz (über die gleiche Homepage zu erreichen) dokumentiert

den Versuch der Stadt, Menschen mit ihren verschiedenen Sprachen in Kontakt zu

bringen und diesen Sprachenreichtum zu nutzen. http://kleine-eule.osttirol.net

Kurzfassung der Kinderrechte-Konvention Herausgeber: BM für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Abt. V/12, Referat für interkulturelles Lernen,

Servicestelle Menschenrechtsbildung. 1014 Wien, Minoritenplatz 9 (Dezember 2003). www.sprachen.ac.at

Angeboten wird eine Mappe aus 13 farbigen kartonierten Bögen, auf denen die Kurzfassung der Kinderrechte-

Konvention in großer Schrift in den Sprachen Albanisch, Arabisch, Bosnisch / Kroatisch / Serbisch, Bulgarisch,

Chinesisch, Deutsch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Slowakisch, Spanisch, Türkisch, Ungarisch wiederge-

geben ist. Dazu gibt es ein Blatt mit Arbeitshinweisen für den Unterricht in mehrsprachigen Klassen.

Hase & IgelVideokassette, 6 Minuten, s/w, Kurzspielfilm, Deutschland 1999, mit Arbeitshilfe.

Regie: Sebastian Winkels; Produktion: Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“, Potsdam Babelsberg.

Mit Unterstützung des Goethe-Instituts Berlin; Ausleihe: Bildstellen und Medienzentren; Kauf: Katholisches

Filmwerk, Postfach 111152, D-60046 Frankfurt/M., Tel.: +49/+69-97 14 360, www.filmwerk.de

Es klingelt: Der Deutschkurs beginnt. Aus dem Off hört man den Lehrer zählen: „eins, zwei, drei ...“ und er liest –

zum deutlich sichtbaren Amüsement der Kursteilnehmenden – die Geschichte vom Wettlauf zwischen dem Hasen

und dem Igel vor. Danach sieht und hört man die Lernenden bei der Wortschatzarbeit, die sie in kleinen Gruppen

erledigen. Ein Schnitt – und nun erzählt jeder Teilnehmer / jede Teilnehmerin frontal in die Kamera ein Stück der

Geschichte. Schnitt und Montage machen den Reiz dieses Films aus. Durch Kombination und Herauslösen der

Textstellen ergeben sich neue, reizvolle Momente. Oft sorgt die Wiederholung derselben Textstelle – unterschiedlich interpretiert und mit

anderen Fehlern wiedergegeben – für Verständnis. Die mehrmals eingeblendeten ‚stummen‘ Kommentare durch Minenspiel der Lernen-

den erhöhen die leise Komik des Films. Die unterschiedlichen Varianten der Geschichte sind so montiert, dass am Ende das komplette

Märchen erzählt ist. Lehrerinnen und Lehrer kann der Film dazu inspirieren, ähnliche Märchenstunden zu veranstalten. Aber auch im

Deutschkurs kann der Film eingesetzt werden: Die TeilnehmerInnen können aus den Darbietungsformen und Fehlern der ErzählerInnen

im Film lernen, sie können sich dazu anregen lassen, andere Darbietungsformen (z.B. Dramatisierung) auszuprobieren, sie können aber

auch einfach Spaß an dieser beispielhaften Märchenstunde haben.

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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Termine

XIII. Internationale Tagung der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer in Graz 01.-06. August 2005: BEGEGNUNGSSPRACHE DEUTSCH Motivation, Herausforderung, Perspektiven

Das 2. Vorprogramm ist erschienen. Es enthält:

• Ziele und didaktische Grundlagen der IDT 2005 • Erläuterungen zu den Vorträgen, Foren, Sektionen,

Podien • Das Ausflugsprogramm • Den Wochenplan • Ein Anmeldeformular

Zu bestellen unter: IDT Tagungsbüro, Universität Graz, Institut für Germanistik, Mozartgasse 8, A-8020 Graz.

Alle Informationen und Einschreibung auch unter www.idt-2005.at

4. Internationaler Kongress über Erwerb von Drittsprachen und Mehrsprachigkeit06.-08. September 2005, Fribourg / Freiburg und Biel / Bienne, SCHWEIZ

Anmeldung von Beiträgen: ab 1. September 2004

Abgabetermin für die Beiträge: 31. Dezember 2004

Schlusstermin für die Einschreibung: 25. Juni 2005

Weitere Informationen: Universität Fribourg / Freiburg www.unifr.ch Tagungsbüro: [email protected]

Kontaktstudium Fremdsprachen für Erwachsene – Sprachandragogik: Workshops 2004 und 200524. November/4. Dezember 2004: Lernpsychologische Grundlagen und Lernen im Alter; 4./5. März 2005: Methoden und Kursleitung

Weitere Informationen unter: www.sprachandragogik.uni-mainz.de

Ausschreibungen und Informationen: Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,

D-55099 Mainz; Tel.: +49/+6131/39-26080; [email protected]

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Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007

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Sprachenvielfalt im Klassenzimmer64

Dr. Sebastian K. BemileGhana Institute of LanguagesP.O.Box M 67Accra / [email protected] des Ghana Institute of Languagesund Vizepräsident des Internationalen Verbands für Deutschlehrerinnen undDeutschlehrer.

Prof. Dr. Michel CandelierUniversité du MaineFaculté des Lettres, Langues et Sciences HumainesAv. Olivier MessiaenF-72085 Le Mans Cedex 9FRANKREICH [email protected] http://div.univ-lemans.frHochschullehrer und Sprachdidaktiker,Leiter des Fremdsprachenzentrums derUniversität, Koordinator des Lingua-Programms Evlang 1997-2000 und desJaLing-Projekts beim European Center for Modern Languages des Europarats in Graz 2000-2004.

Prof. Dr. Olga EsteveUniversitat Pompeu Fabra Facultat de Traducció i Interpretatió La Rambla 30-32E-08002 [email protected] Dozentin für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Pompeu Fabra; Koordinatorin des virtuellen Selbstlern-zentrums für Fremdsprachen; tätig in der Unterrichtsforschung und der Lehrer-aus- und -weiterbildung.

Dr. Britta HufeisenLeiterin des Sprachenzentrums der TU DarmstadtDirector of the Language-Resource CenterHochschulstr. 1D-64289 DarmstadtDEUTSCHLAND [email protected]: Tertiärsprachen-forschung; fremdsprachliches Schreiben.

Eva-Maria JenkinsMariahilferstr. 88a/1/6A-1070 WienÖ[email protected] und Autorin für Deutsch als Fremdsprache; Lehrbeauftragte derUniversität Wien.

Evangelia KaragiannakisPädagogische Hochschule FreiburgKunzenweg 21D-79117 Freiburg [email protected] Didaktikerin Deutsch als Zweit- undFremdsprache an Hochschulen und bei Workshops; Geschäftsführerin desJaLing-Comenius-Projekts.

Prof. Dr. Hans-Jürgen KrummUniversität Wien, Institut für Germanistik /Deutsch als FremdspracheDr.-Karl-Lueger-Ring 1A-1010 WienÖ[email protected]://www.univie.ac.at/Germanistik/personen/krumm.htmProfessor für Deutsch als Fremdsprache ander Universiät Wien.

Dr. Jutta Kepser Johann-Rode-Str. 27D-28357 [email protected] Lehrerin, Deutschdidaktikerin; kooperiertmit Schulen bei interkulturellen Projekten,eines davon wurde ausgezeichnet mit demLIFE-Award von BMW.

Prof. Dr. Ingelore Oomen-WelkePädagogische Hochschule FreiburgKunzenweg 21D-79117 Freiburg [email protected] http://home.ph-freiburg.de/oomen/ www.ph-freiburg.de/jalingHochschullehrerin und Deutschdidaktikerinmit Interesse für DaZ, DaF und interkul-turelles Lernen. Projekte und Konzeptezum Deutschlernen im Kontext andererSprachen. Koordinatorin des Comenius-Projekts JaLing 2001-2004.

Márta RábaiUniversität KaposvárHochschulfakultät „Csokonai Vitéz Mihály“ Lehrstuhl für Fremdsprachen, Literatur und MethodikBajcsy-Zs. 10.H-7400 Kaposvá[email protected] Derzeit Oberassistentin für Deutsch alsFremdsprache; Arbeitsschwerpunkte:Jugendliteratur und Methodik.

Susanne Reif-BreitwieserGRg23/VBS Draschestraße 90/92A-1230 WienÖ[email protected] Deutsch- und Englischlehrerin am Gymnasium und Realgymnasium Draschestraße in Wien; Projekte zurMehrsprachigkeit.

Doris Wildenauer-JózsaNyiregyháza FöiskolaNémet tanszékSóstói ut 31 bH-4400 Nyiregyháza [email protected] Lektorin für Deutsch als Fremdsprache inUngarn; zuvor Projektmitarbeiterin andidaktischen Projekten in Deutschland.

Unsere Autorinnen und Autoren

Fremdsprache Deutsch Heft 31/2004 – Sprachenvielfalt im Klassenzimmer, ISBN 978-3-19-199183-8, © Hueber Verlag 2007