14
Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg

Das neue PatientenrechtegesetzFrequently Asked Questions (FAQ)

Page 2: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 2

1. Wie zeitnah müssen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse nach der Rechtsprechung im Berufs-alltag umgesetzt werden, um Verstöße gegen den medizinischen Standard auszuschließen?

Die Antwort hängt vom Einzelfall ab. Hierbei spielt sicherlich auch eine Rolle, wo und in welchen Medien neue Fachkenntnisse publiziert werden. Ein Beispiel aus der Rechtsprechung gibt es dazu, was jedenfalls nicht ausreichend ist: Erkenntnisse, die im Jahr 2004 publiziert wurden, wurden bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012, S. 1304).

2. Wo ist die Grenze, bei der eine Nachbesserung prothetischer Leistungen dem Patienten nicht mehr zumutbar ist?

Für die Frage, wann eine Nachbesserung nicht mehr zumutbar ist, kann es z. B. eine Rolle spielen, wie sich der Zahnarzt gegenüber dem Patienten verhält. Lehnt er eine Nachbesserung kategorisch ab, wird man von einer Unzumutbarkeit ausgehen können. Eine Nachbesserung ist auch dann unzumutbar, wenn bereits mehrere erfolglose Nachbesserungsversuche stattgefunden haben. Umfang und Häufigkeit der seitens des Patienten einzuräumenden Nachbesserungsversuche hängen von den Umständen des Einzelfalles ab (OLG Köln, Beschluss vom 27.08.2012, Az.: 5 U 52/12). Eine Unzumutbarkeit von Nachbesserungsmaßnahmen kann schon bei vier erfolglosen Nachbesserungsversuchen vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2006, Az.: B 6 KA 21/06 R). Lediglich zwei Nachbesserungstermine müssen hingegen zur Begründung einer Unzumutbarkeit nicht ausreichen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 21.01.2008, Az.: 4 W 28/08, NJW-RR 2009, S. 30; SG Stuttgart, Urteil vom 24.10.2001, Az.: S 10 KA 165/00).

3. Was versteht man unter der „Mitwirkungspflicht“ des Patienten?

Zu den Mitwirkungspflichten des Patienten gehört, dass die notwendigen Informationen mitgeteilt werden, um die medizinisch notwendigen Maßnah-men zu ermöglichen, vorzubereiten oder zu unterstützen. Den Patienten trifft - laut Gesetzesbegründung zum PatRG - insbesondere die Obliegen-

Page 3: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 3

heit, die für die Behandlung bedeutsamen Umstände zeitnah offen zu legen und dem Behandelnden auf diese Weise ein Bild von seiner Person und seiner körperlichen Verfassung zu vermitteln. Er muss z. B. im Rahmen der Anamnese alle relevanten Umstände darlegen. Zu den Mitwirkungspflichten des Patienten gehört auch, dass bei einer prothetischen Versorgung ggf. die Möglichkeit eingeräumt wird, Ungenauigkeiten und Passschwierigkeiten zu beheben (OLG München, Urteil vom 14.07.1994, Az.: 1 U 7018/93, VersR 1995, S. 1103). Die Mitwirkungspflicht umfasst dabei bspw. die Anzeige von Druckstellen, Lockerungserscheinungen oder Beweglichkeiten bei pro-thetischen Arbeiten (vgl. LG Magdeburg, Urteil vom 29.10.2008, Az.: 9 O 1716/04-405).

4. Wie oft sollte ein Anamnesebogen neu ausgefüllt werden?

Eine genaue Vorgabe, wann ein Anamnesebogen aktualisiert werden muss, gibt es nicht. Die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts sehen eine Ak-tualisierung in regelmäßigen Abständen vor. Als grobe Richtlinie kann man sagen, dass dieser spätestens alle zwei Jahre aktualisiert werden sollte, ggf. im Einzelfall eher, wenn z. B. größere Eingriffe bevorstehen oder es sich um ältere Patienten handelt.

5. Was mache ich, wenn ein Patient den Anamnese -bogen nicht ausfüllen möchte?

Füllt ein Patient den Anamnesebogen nicht bzw. falsch aus, verstößt er gegen seine Mitwirkungspflichten (s. o. Frage Nr. 3). Im Falle der Geltend-machung eines Haftungsanspruches wird ihm dies zugerechnet werden, so dass ggf. eine Haftung des Zahnarztes sogar ganz entfallen kann. Wenn eine Behandlung aufgrund fehlender Angaben in dem Anamnesebogen nicht möglich ist, muss erwogen werden, ob eine Behandlung überhaupt durchgeführt werden kann.

6. Welche Leistungen sind konkret delegierbar?

Einen Anhaltspunkt, welche Leistungen delegierbar sind, gibt das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG). Nach § 1 Abs. 5 ZHG können bspw. die nachfolgenden Tätigkeiten an dafür qualifiziertes Prophylaxeper-sonal mit abgeschlossener Ausbildung, wie zahnmedizinscher Fachhelferin,

Page 4: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 4

weitergebildete Zahnarzthelferin, Prophylaxehelferin oder Dental-Hygienike-rin, delegiert werden:

� Herstellung von Röntgenaufnahmen, � Entfernung von weichen und harten sowie klinischen subgingivalen

Belegen, � Füllungspolituren, � Legen und Entfernen provisorischer Verschlüsse, � Herstellung provisorischer Kronen und Brücken, � Herstellung von Situationsabdrücken, � Trockenlegen des Arbeitsfeldes relativ und absolut, � Erklärung der Ursache von Karies und Parodontopathien, � Hinweise zu zahngesunder Ernährung, � Hinweise zu häuslichen Fluoridierungsmaßnahmen, � Motivation zu zweckmäßiger Mundhygiene, � Demonstration und praktische Übungen zur Mundhygiene, � Remotivation, � Einfärben der Zähne, � Erstellen von Plaque-Indizes, � Erstellung von Blutungs-Indizes, � Kariesrisikobestimmung, � lokale Fluoridierung z. B. mit Lack oder Gel und � Versiegelung von kariesfreien Fissuren.

7. Was bedeutet „Textform“ im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Informationspflicht?

Die Textform bestimmt sich nach § 126 b BGB. Hiernach muss die entspre-chende Erklärung

� in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe auf Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben,

� die Person des Erklärenden genannt und � der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunter-

schrift oder anders erkennbar gemacht werden. Die Textform kann durch ein Schriftstück erfüllt werden, aber auch durch eine Telefax-Nachricht, maschinell erstellte Briefe, E-Mail-, Telegramm- oder SMS-Nachrichten etc.

Page 5: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 5

Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Informationspflicht nach § 630 c Abs. 3 BGB bedeutet dies, dass der Patient vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in dieser Form informiert werden muss.

Die Erklärung muss folglich nicht eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werden.

8. Kann die (wirtschaftliche) Information delegiert werden?

Der Kernbereich zahnärztlichen Handelns kann nicht delegiert werden. Hierzu zählt auch

� die Anamnese, � die Untersuchung sowie � die Diagnose und Indikationsstellung.

Soweit Informationspflichten in diesem Zusammenhang bestehen, sollten diese deshalb nicht delegiert werden. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Informationspflicht besteht zwar kein Erfordernis, diese zwingend durch den Zahnarzt zu erfüllen, allerdings ist für diese das Textformerfordernis vorge-schrieben, so dass insoweit eine Delegation in der Praxis nicht weiterfüh-rend sein wird.

9. Reicht ein Kostenvoranschlag zur Erfüllung der wirtschaftlichen Informationspflicht aus?

Nach § 630 c Abs. 3 Satz 1 BGB ist unter den dort genannten Vorausset-zungen „über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform“ zu informieren. Da ein Kostenvoranschlag die voraussichtlichen Kosten der individuellen Behandlung angibt, ist er grundsätzlich geeignet, diese Anfor-derung zu erfüllen. Das ist der Fall, wenn hiermit der Hinweis verbunden ist, dass eine vollständige Übernahme dieser Behandlungskosten nicht gesi-chert ist und auch der Kostenvoranschlag die Textform erfüllt, er also die Person des Erklärenden nennt (die Zahnarztpraxis bzw. den Zahnarzt) und durch Nachbildung der Namensunterschrift o. ä. abschließt.

Page 6: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 6

10. Reicht ein allgemeiner Hinweis (z. B. im Kosten-voranschlag), dass die Übernahme der Kosten nicht gesichert ist?

Die wirtschaftliche Informationspflicht ist auf den Einzelfall bezogen, so dass der Patient konkret informiert werden sollte. Durch eine individuelle Infor-mation setzen Sie den Patienten auch darüber in Kenntnis, dass es mögli-cherweise Probleme bei der Erstattung geben wird. Hierdurch lassen sich „böse Überraschungen“ auf Seiten der Patienten vermeiden, was sich auch auf die Zufriedenheit Ihrer Patienten auswirken wird. Dies können Sie mit allgemeinen, an alle Patienten gerichteten Informationen nicht erreichen.

11. Muss ich über die genauen Kosten aller in Be -tracht kommenden Behandlungen aufklären (z. B. mittels Kostenvoranschlag) oder nur über die Be -handlung, für die sich der Patient entscheidet?

Die Regelung zur wirtschaftlichen Informationspflicht geht von einer kon-kreten Behandlung aus. Über die verschiedenen in Frage kommenden Behandlungsalternativen ist im Rahmen der Aufklärung hinzuweisen, was allerdings von der wirtschaftlichen Informationspflicht zu unterscheiden ist. Diese muss nur im Hinblick auf die geplante und vereinbarte Behandlungs-maßnahme erfüllt werden.

12. Was ist damit gemeint, wenn gesagt wird, dass die Aufklärung „insgesamt“ richtig erfolgen muss?

Eine richtige Aufklärung ist Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung in die Behandlung. Nach der Rechtsprechung (z. B. BGH, Urteil vom 07.02.1984, Az.: VI ZR 188/92; Urteil vom 14.02.1989, Az.: IV ZR 65/88) ist die Einwilligung dabei nicht teilbar. Sie bezieht sich auf den Eingriff als Gan-zen und nicht isoliert auf das eine oder andere Risiko. Daher führt auch eine nur teilweise fehlerhafte Aufklärung dazu, dass die Einwilligung insgesamt unwirksam ist. Die Aufklärung muss somit im Hinblick auf alle möglichen Risiken zutreffend sein.

Page 7: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 7

13. Kann man in einem Termin zu Beginn der Behand-lung über mehrere Behandlungsschritte aufklären oder muss man die Aufklärung ggf. vor jedem Be -handlungsschritt durchführen?

Eine Aufklärung über mehrere bereits geplante Behandlungsschritte in einem Termin ist grundsätzlich möglich. Die im Anschluss an die Aufklärung erteilte Einwilligung kann ggf. noch bis zum Eingriff widerrufen werden. Eine Aufklärung und Information in einem Termin kann aus Gründen der Pra-xisorganisation sinnvoll sein. Hier besteht die Möglichkeit, alle Fragen im Vorfeld zu klären, so dass man sich in den folgenden Behandlungsterminen der zahnärztlichen Behandlungen widmen kann.

14. Zur Risikoaufklärung: Was sind allgemeine Risi-ken, über die ich nicht aufklären muss?

Allgemeine Risiken können sein:

� Wundinfektion, � Nachblutungsgefahr, � schlechtere Wundheilung durch Rauchen.

15. Reicht es, wenn ich im Anamnesebogen auf z. B. das Risiko einer Nervschädigung bei Leitungsan-ästhesien hinweise?

Eine Aufklärung, insbesondere über die einer Behandlung anhaftenden Risiken, muss grundsätzlich mündlich erfolgen. Der alleinige Hinweis in einem Anamnesebogen ist deshalb nicht ausreichend. Er kann allenfalls als begleitende Information dienen, ersetzt jedoch nicht das mündliche Aufklä-rungsgespräch.

16. Ist bei einer Entfernung von Weisheitszähnen über das Risiko des Kieferbruchs aufzuklären?

Nach Auffassung des OLG München handelt es sich hier um ein aufklä-rungsbedürftiges Risiko, auch wenn die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts beim Kläger gering ist (Urteil vom 30.03.1995, Az.: 1 U 3458/94). Bei opera-

Page 8: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 8

tiver Entfernung von Zähnen, insbesondere von tief verlagerten Weisheits-zähnen, besteht grundsätzlich eine Erhöhung der Kieferbruchgefahr (so auch Stöhr, Aufklärungspflichten in der Zahnheilkunde, MedR 2004, S. 156).

17. Muss auch bei der Wiederholung bestimmter Be -handlungen (z. B. mehrere Extraktionen in mehre -ren Terminen) jedes Mal neu aufgeklärt werden?

Eine Aufklärung ist entbehrlich, wenn der Patient aufgrund von Vorbehand-lungen bereits über die Sachkenntnisse verfügt. Eine Aufklärung über eine Nervläsion bei Extraktion eines Weisheitszahnes kann deshalb entbehrlich sein, wenn zwei Monate zuvor im Rahmen einer ersten Extraktion hierü-ber bereits ordnungsgemäß aufgeklärt wurde (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.12.2007, Az.: I 8 U 19/07). Je länger eine Aufklärung zurückliegt, desto eher sollte jedoch noch einmal aufgeklärt werden.

18. Kann ein Patient bei einer fehlenden/unvollstän-digen Aufklärung und anschließend erfolgreicher Behandlung dennoch Schadensersatz verlangen?

Grundsätzlich ist Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch, dass auch ein Schaden entstanden ist. Kann ein solcher nicht geltend gemacht werden, sind die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nicht gegeben. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass wenn noch nicht einmal eine erforderliche Grundaufklärung erfolgt, eine Haftung auch für verwirk-lichte Risiken in Betracht kommt, über die gar nicht hätte aufgeklärt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1991, Az.: IV ZR 232/90, NJW 1991, S. 2346).

19. Was mache ich, wenn der Patient nicht in die Be -handlung einwilligt? Wie sieht es bei Notfällen aus?

Die Einwilligung ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Behand-lung. Wenn ein Patient die Behandlung nicht wünscht, kann und sollte er hierzu nicht gezwungen werden. Dies gilt grundsätzlich auch für Notfälle.

Page 9: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 9

20. Reicht es als Einwilligung nicht aus, dass der Pa-tient sich behandeln lässt oder sich zu dem Rönt-genapparat bewegt?

Nein, die Einwilligung des Patienten ist „einzuholen“. Der Gesetzgeber versteht dies so, dass der Patient nach vorheriger ordnungsgemäßer Auf-klärung ausdrücklich und unmissverständlich gefragt werden muss, ob er in den bevorstehenden Eingriff einwilligt.

21. Wie erkenne ich als Zahnarzt, ob ein Patient ein-willigungsunfähig ist?

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die in der Praxis er-scheinenden Patienten einwilligungsfähig sind. Etwas anderes gilt nur, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die darauf hindeuten, dass der Patient nicht einwilligungsfähig ist (z. B. bei offensichtlich stark geistig behinderten Patienten oder Kindern). Auch Minderjährige können nach überwiegender Auffassung eine Einwilligung erteilen, wenn sie insofern über die erfor-derliche Einsichtsfähigkeit verfügen. Der Minderjährige muss nach seiner geistigen und sittlichen Reife imstande sein, Bedeutung und Tragweite des Rechtsgutsverzichts zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen.

22. Worauf muss ich bei einem Patienten achten, der z. B. aus einem Altersheim/Behindertenheim kommt?

Auch hier kann zunächst grundsätzlich von einer Einwilligungsfähigkeit aus-gegangen werden. Etwas anders gilt jedoch, wenn dem Zahnarzt Gegen-teiliges bekannt ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Patient nicht einwilligungsfähig ist. Entscheidend für die Einwilligungsfähigkeit ist, dass der Patient das natürliche Einsichts-, Urteils- und Verständnisvermö-gen hat, um die geplante Maßnahme, ihre Folgen und das insoweit beste-hende Risiko zu ermessen. Der Patient muss Wesen, Bedeutung, Dringlich-keit und Tragweite des Eingriffs zumindest in groben Umrissen erkennen und das Für und Wider abwägen können (vgl. Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Auflage 2010, § 139 Rdnr. 43). Bestehen Anhaltspunkte für eine Einwilligungsunfähigkeit, sollte ggf. versucht werden, weitere Informa-tionen einzuholen, z. B. bei Familienangehörigen und/oder der Heimleitung. Erfolgt eine Behandlung, ohne dass der Patient wirksam einwilligen konnte, ist die Behandlung nicht rechtmäßig erfolgt.

Page 10: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 10

23. Wie ist es mit der Einwilligung bei einer Betreu-ung?

Bei einer angeordneten Betreuung muss der Betreuer - nach vorheriger Aufklärung - in die Behandlung einwilligen. Die Einwilligung des Betreuers bedarf nach § 1904 Abs. 1 BGB nur dann der Genehmigung des Betreu-ungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.

24. Was ist, wenn der Betreuer des Patienten nicht bei der Behandlung dabei ist?

Muss der Betreuer in die Behandlung einwilligen, sollte ohne dessen Einwil-ligung keine Behandlung erfolgen.

25. Darf ich Minderjährige ohne das Einverständnis der Eltern röntgen?

Dies hängt von der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen ab. Verfügt dieser über die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit, kann er selbst in die Maßnahme einwilligen. Je jünger der Patient ist, desto eher sollte eine Einwilligung der Eltern eingeholt werden.

26. Was ist, wenn bei Minderjährigen die Eltern unter-schiedlicher Meinung über einen bestimmten me -dizinischen Eingriff sind?

Sind sich die sorgeberechtigten Eltern im Hinblick auf die Durchführung einer Maßnahme nicht einig, kann nicht von einer wirksamen Einwilligung ausgegangen werden. Von der Durchführung des Eingriffs oder der Maß-nahme ist deshalb abzuraten.

27. Was ist, wenn ein Minderjähriger wegen einer Schmerzbehandlung vorstellig wird, die Eltern aber eine Behandlung ablehnen?

Wenn der Minderjährige selbst nicht einwilligungsfähig ist, kann er auch keine wirksame Einwilligung erteilen. Ein trotzdem durchgeführter Eingriff

Page 11: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 11

ist deshalb nicht rechtmäßig. Wird hierdurch ggf. das Kindeswohl gefährdet, ist zu erwägen, ob andere Stellen, wie z. B. das Jugendamt, eingeschaltet werden müssen.

28. Was ist, wenn der Minderjährige die Behandlung konsequent ablehnt, die Eltern ihn aber zu einer Behandlung zwingen?

Minderjährigen Patienten kann insbesondere bei einem nur relativ indizier-ten Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen ein Veto-Recht gegen die Einwilligung der Eltern zustehen, wenn bei ihm eine ausreichende Urteilsfä-higkeit vorliegt (BGH, Urteil vom 10.10.2006, Az.: VI ZR 74/05, MedR 2008, S. 289). Dies kann dazu führen, dass im Einzelfall eine solche Behandlung auch abgelehnt werden muss. Zu bedenken ist auch, dass eine Behandlung möglicherweise auch tatsächlich gar nicht durchgeführt werden kann, z. B. wenn der Patient den Mund nicht öffnet oder sich körperlich dagegen wehrt.

29. Was ist, wenn eine Extraktion bei einem Minder-jährigen vorgenommen werden muss, die Eltern aber nicht erreichbar sind?

Wenn eine Behandlung nicht sofort durchgeführt werden muss, sollte bei einem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen von einer Extraktion abge-sehen werden, da keine wirksame Einwilligung in den Eingriff vorliegt.

30. Reicht die telefonische Einholung der Einwilli-gung z. B. der Eltern aus?

Ja, die Erteilung der Einwilligung bedarf keiner besonderen Form. Sie sollte jedoch dokumentiert werden.

31. Wie kläre ich bei Minderjährigen auf, wenn deren Eltern nicht deutsch sprechen, um von diesen eine wirksame Einwilligung zu erlangen?

Bei Patienten, die nach eigenen Angaben oder nach der Überzeugung des Behandelnden der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sind, hat die Aufklärung in einer Sprache zu erfolgen, die der Patient versteht. Gege-

Page 12: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 12

benenfalls ist eine sprachkundige Person oder ein Dolmetscher - auf Kosten des Patienten - hinzuzuziehen (so die Gesetzesbegründung zum Patien-tenrechtegesetz). Dies gilt entsprechend für Eltern eines minderjährigen, einwilligungsunfähigen Kindes, da diese aufgeklärt werden müssen, um in den Eingriff einzuwilligen.

32. Wann muss bei einer Füllungstherapie aufgeklärt werden?

Bei der Füllungstherapie reicht eine Aufklärung am selben Tag aus.

33. Was sind medizinische Selbstverständlichkeiten, die nicht in die Dokumentation aufgenommen werden müssen?

Als Beispiel für eine nicht zu dokumentierende Selbstverständlichkeit kann das Urteil des OLG Oldenburg (Urteil vom 30.01.2008, Az.: 5 U 92/06) herangezogen werden: das spannungsfreie Verknoten von Anastomosen-Nähten.

34. Ist dem Dokumentationserfordernis genüge ge -tan, wenn ich in der Karteikarte auf den Inhalt eines Arztbriefes verweise?

Der Verweis kann ausreichen. Zu beachten ist jedoch, dass Arztbriefe regel-mäßig wohl nach Erstellung der Dokumentation und deshalb auf Grundlage dieser angefertigt werden.

35. Dürfen die Originale von Arztbriefen, Aufklä-rungsbögen, Vereinbarungen über Privatleistun-gen nach dem Einscannen als pdf-file vernichtet werden?

Ein eingescanntes pdf-file kann zum Nachweis ausreichen. Sollte jedoch vor Gericht die Echtheit bzw. Urheberschaft eines eingescannten Doku-ments bestritten werden und kann kein Original vorgelegt werden, wird der Beweis des Gegenteils nur noch schwer gelingen. Daher sollten diese Unterlagen grundsätzlich 10 Jahre aufbewahrt werden.

Page 13: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 13

36. Nachträgliche Änderung der Dokumentation: Ist es möglich, z. B. noch am gleichen Abend die Do-kumentation zu ergänzen?

Nachträgliche Ergänzungen der Dokumentation sind immer möglich. Sie müssen jedoch als solche erkennbar sein (z. B. indem Tag und Uhrzeit der Änderung hinzugefügt wird).

37. Bis wann kann dokumentiert werden, ohne dass der Beweiswert schwindet?

Genaue Grenzen, bis wann eine Dokumentation zu erfolgen hat, sind nicht vorgesehen. Es spielt im Einzelfall auch eine Rolle, um welche Art von Maßnahme bzw. Eingriff es sich handelt. Bei außergewöhnlichen Maßnah-men wird man davon ausgehen können, dass man sich hieran auch nach längerer Zeit verhältnismäßig gut erinnern kann. Grundsätzlich gilt jedoch: Je eher dokumentiert wird, desto besser ist der Beweiswert der Dokumenta-tion.

38. Wie konkret muss die Aufklärung und Einwilli-gung dokumentiert werden?

Es sollte dokumentiert werden, dass eine bestimmte Aufklärung in einem bestimmten Umfang erfolgt ist und der Patient in die Maßnahme einwilligt. Kommen mehrere Risiken hinsichtlich der Behandlung in Betracht, sollte die Aufklärung über diese im Einzelnen dokumentiert werden. Entsprechendes gilt z. B. für Behandlungsalternativen. Nur so kann nachgewiesen werden, dass auch über alle in Betracht kommenden Alternativen aufgeklärt wurde.

39. Reicht für die Dokumentation der Einwilligung die Unterschrift des Patienten z. B. auf einer Mehrkos-tenvereinbarung, Privatvereinbarung, Heil- und Kostenplan etc. aus?

Die Einwilligung des Patienten ist lediglich zu dokumentieren. Eine schriftli-che Bestätigung der Einwilligung durch den Patienten stellt demgegenüber ein „Mehr“ dar. Aus dem Blickwinkel der Dokumentation reicht dies deshalb grundsätzlich aus. Allerdings ist hierbei auf das jeweilige Formular abzustel-len. Dieses sollte eine Erklärung enthalten, dass der Patient die genannte

Page 14: Frequently Asked Questions (FAQ)...bei einer Operation im März 2005 nicht berücksichtigt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2012, Az.: 5 U 1450/11, NJW-RR 2012, S. 1302, VersR 2012,

Das neue Patientenrechtegesetz Frequently Asked Questions (FAQ)

Seite 14

Behandlung wünscht bzw. in diese einwilligt. Einige der in den Zahnarztpra-xen verwendeten Formulare enthalten solche Formulierungen, andere hin-gegen nicht. Zu bedenken ist auch, dass der Patient - nach der Vorstellung des Gesetzgebers - ausdrücklich und unmissverständlich gefragt werden muss, ob er in den Eingriff einwilligt.

40. Muss in ganzen Sätzen dokumentiert werden?

Es reicht eine stichwortartige Dokumentation.

41. Bis wann gilt jemand als „Anfänger“ im Zusam-menhang mit sog. Anfängerfehlern?

Der Eingriff durch einen Zahnarzt, der nicht über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, birgt eine Risikoerhöhung in sich, die selbst dann einen Behandlungsfehler ausmacht, wenn der genaue Kausalablauf zwi-schen Eingriff und eingetretener Schädigung nicht genau aufgeklärt werden kann (§ 630 h Abs. 4 BGB). Ob und inwieweit ein Zahnarzt als Anfänger im Sinne des Gesetzes gilt, lässt sich nicht allgemein beurteilen. Ob jemand als Anfänger einzustufen ist, muss folglich anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles ermittelt werden.

HerausgeberKassenzahnärztliche Vereinigung Baden-WürttembergHauptverwaltungAlbstadtweg 970567 Stuttgart

KontaktTel. 0711/7877-437, Mail: [email protected]

Stuttgart im März 2013