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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 31.03.2009 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr
Gazprom
Weltmacht aus der Pipeline
Von Ulli Wendelmann
Co-Produktion WDR/DLF/NDR/SR
URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. � Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript -
Atmo-O-Ton-Montage aus Nachrichten vom 19./20. Janu ar 2009 und davor
Ukraine Gasstopp
Es ist 8 Uhr. Der russische ...
Sprecher 1:
20. Januar 2009. Ein Politpoker geht zu ende. Moskauer Drohungen, hitzige
Debatten in Kiew, Brüssel und Berlin, frostige Wohnungstemperaturen und Kältetote
in Slowenien und Bulgarien bestimmten wochenlang die Schlagzeilen.
2
Ansage
Gazprom
Weltmacht aus der Pipeline
Ein Feature von Ulli Wendelmann
O-Ton: Alexander Rahr, Deutsche Gesellschaft f. aus wärtige Politik
"Das 21. Jahrhundert wird bedauerlicherweise immer stärker von Ressourcenkriegen
betroffen sein. Möglicherweise war der Gasstreit zwischen Kiew und Moskau der
Beginn solcher Energiekriege oder Auseinandersetzung um Ressourcen. Nach
meiner Einschätzung betreten wir jetzt das neue historische Zeitalter der
Renaissance der Ressourcen. Wir sehen, dass es neue Bündnisse auf dieser Welt
geben wird, die alle im Zeichen der Energie gebildet werden."
Sprecher 2:
Alexander Rahr, Programmdirektor Russland, der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik. Rahr ist in Russland aufgewachsen und ein international
anerkannter Politikberater. Er kennt viele Spitzenmanager und Politiker an der
Moskwa persönlich und ist Ehrenprofessor an der Moskauer Staatsuniversität für
internationale Beziehungen.
O-Ton: Alexander Rahr
"Gazprom ist kein gewöhnlicher Gaskonzern. Gazprom ist ein Imperium für sich in
Russland. Gazprom füllt die russische Staatskasse: Gazprom betreibt in Russland
auch Politik".
Sprecher 1:
Ein "Great Game" ist im Gang, es geht um die neue Aufteilung globaler Macht und
Einflusssphären. Der Rohstoff für Energie ist die entscheidende Trumpfkarte. In
diesem Poker soll Gazprom Russland ganz weit nach vorne bringen.
O-Ton: Alexander Rahr
3
"Gazprom versorgt eigentlich auch den russischen Sozialstaat mit den notwendigen
Petrodollars oder Rubel. Gazprom ist die Geldbörse des russischen Staates heute.
Russland ist gleich Gazprom."
O-Ton: Waleri Panjuschkin-Übersetzung
"Außer Gas, Öl und Stahl wird in Russland nichts produziert was Geld bringt. Wenn
man das mit einem menschlichen Körper vergleicht, dann sind Gas und Öl wie Herz
und Leber. Und im Norden, den riesigen Gebieten hinter dem Ural, gibt es nur
Gazprom, hier hängt buchstäblich alles von dem Gasunternehmen ab, sonst gibt es
hier nichts. "
Sprecher 2:
Waleri Panjuschkin ist Journalist und schreibt seit Jahren für angesehene Moskauer
Tageszeitungen wie Kommersant und Wedomosti. 2004 wurde der 39-Jährige mit
dem renommierten russischen Journalistenpreis, der "Goldenen Feder",
ausgezeichnet.
Gazprom sorgt für sechzig Prozent der gesamten Außenhandelseinnahmen. Die
Steuerabgaben finanzieren mehr als ein Drittel des russischen Staatshaushaltes.
Sprecher 1:
Waren es die im Quartalstakt steigenden Gasrechnungen oder Meldungen über
einen neuen Job für Altkanzler Schröder in einer Gazpromfiliale?
Meine Neugier hatte der russische Energieriese schon lange vor dem spektakulären
Lieferstreik im Januar 2009 geweckt.
Atmo: Stadion FC Schalke ... Fangesänge ... .
Sprecher 1:
Wenn mich nicht alles täuscht, war es die Sportschau, die den Ausschlag gab.
Plötzlich war der Schriftzug Gazprom auf der Brust von Kevin Kuranyi und
tausendfach auf den Fantrikots der Königsblauen zu lesen. Was wollte der russische
Energieriese "auf Schalke", beim FC-04, meinem Lieblingsverein? Sicher war zum
4
Saisonauftakt 2007 nur Eines: Gazprom hatte jede Menge Kohle locker gemacht, um
als Sponsor des FC Schalke 04 aufzutreten.
Atmo: Trainingsgelände Schalke 04, Spielerrufe, Fan s diskutieren:
Sprecher 1:
Auf dem Trainingsgelände des FC-04 schieben sich Westermann, Bordon und Co
beim vier gegen vier die Bälle zu. Zweihundert Kiebitze verfolgen das Treiben ihrer
Lieblinge. Es gibt Bier und Würstchen und Gazprom.
O-Ton: drei Fans
"Andere Vereine würden sich doch belecken, wenn sie die Einnahmen hätten, ist mir
doch egal, wie der heißt, was die machen, und was für eine Politik. Wichtig ist, dass
der Verein davon gut lebt und der lebt davon gut. Wir wollen den Erfolg für Schalke
und den garantieren die uns mit ihrem Geld."
Sprecher 2 :
Das russische Wort Gazprom steht für Gasindustrie. Gazprom ist einer der größten
Energiekonzerne der Welt, denn Russland verfügt über die größten Erdgasvor-
kommen der Welt. Gazprom hat ein staatliches Fördermonopol. Über 400 000
Mitarbeiter sorgten allein im ersten Quartal 2008 für einen Gewinn von fast 11
Milliarden Dollar. Westeuropa bezieht mehr als vierzig Prozent seiner
Erdgaslieferungen von dem russischen Monopolisten.
Sprecher 1:
Die Konzernzentrale im Moskauer Süden. Ein wuchtiger Büroturm, mehr als dreißig
Stockwerke hoch, in einem weitläufigen Gebäude- und Parkkomplex: Gazprom-City.
Bei Nacht leuchtet der angestrahlte Bau aus weißem Basalt und blau getöntem Glas
wie eine stilisierte Gasflamme.
Atmo Musik
Sprecher 1:
5
Gern hätte ich mit einem Verantwortlichen des Konzerns gesprochen. "Keine
Termine frei", lautet die lapidare Antwort. Was mir verwehrt bleibt, konnte Waleri
Panjuschkin aus erster Hand erfahren.
O-Ton: Waleri Panjuschkin - Übersetzung
"Das Erste, was einem auffällt, ist dieser überflüssige Luxus und Reichtum. Zum
Beispiel liegt im Vorzimmer von Gazpromchef Miller ein prächtiger, seidener Teppich,
der einfach nur teuer und exklusiv aussieht. Das kann man im Schlafzimmer machen,
aber was hat der in einem Vorzimmer zu suchen, wo viele Leute kommen und
gehen? In jedem Zimmer hängen Bilder von Putin. Überall hängen Portraits der
Direktoren als große Ölgemälde. Man hat den Eindruck, hier wird Geschichte
gemacht, und nicht vom Staat."
Atmo: Musikausschnitt "La nuit de la Saint Barthele my/G.Bregovic
Sprecher 2:
Gazprom ist ein Imperium: mit Geldinstitut - die Gazprombank ist die drittgrößte
Russlands -, einer Lebensversicherung - die in der ganzen Föderation Kunden hat -,
mit Zeitungen wie der traditionsreichen Iswestija, einem landesweit ausstrahlenden
Fernsehsender und dem Radiosender "Echo Moskau". Kontrolliert durch
Gazprommedia.
O-Ton: Alexander Rahr
"Gazprom ist der Porsche, auf dem die Kremlführung fährt. Es ist das Prunkstück der
Putinschen Modernisierungspolitik. Die Ziele der russischen Führung sind ganz klar:
aus Russland ein Energieimperium zu machen. Wir haben die Güter, die Ware, die
alle Welt von uns möchte, das sind unsere Gasvorkommen und die werden wir
strategisch einsetzen. Nicht nur um Geld zu verdienen, sondern um uns wieder
aufzurichten, als die Größe, die wir einst gewesen sind. In diese Richtung läuft das."
Atmo/O-Ton: Geschäftsstelle Schalke 04, Telefonzent rale
"Schalke 04, Achim Wetter Guten Tag ... gibt es, ja ... das weiß ich nicht, wie lange
da die Kontingente reichen werden ...
6
Sprecher 1:
Gleich neben dem gepflegten Trainingsgelände die Geschäftstelle des
Traditionsvereins. In der Führungsetage die obligatorische Pokalvitrine, Bilder
ruhmreicher Vergangenheit. Das Logo des neuen Sponsors springt den Besucher als
Muster auf dem Teppichboden an.
O-Ton: Peter Peters, Schalke 04
"Für Schalke 04 war ein Kriterium, wo kommt Schalke 04 her. Schalke 04 ist auf
Kohle geboren. Schalke 04 war Energieversorgung, Ruhrgebiet.
Sprecher 2:
Schalke-Geschäftsführer, Peter Peters, ehemaliger Sportjournalist.
O-Ton: Peter Peters, Schalke 04
Wir haben immer gesagt, Energiefirmen sind für den FC-Schalke 04 eigentlich
geborene, gelebte Partner.
Sprecher 2:
Zum Zeitpunkt der Verhandlungen über den Sponsorenvertrag ist Schalke 04 hoch
verschuldet.
Sprecher 1:
Dass Gazprom 125 Millionen Euro für einen Fünfjahresvertrag zahlt, will Peter Peters
nicht bestätigen. Richtig Kasse mache man nur, wenn Schalke große Titel holt.
Gazprom auf Schalke - für die Medien war das eine Steilvorlage: Die traditionsreiche
Fußballdiva aus dem Revier und der Konzern, den die englische Sunday Times als
"den gruseligsten der Welt" bezeichnete.
Sprecher 2:
Im Oktober 2006 - kurz nach dem Mord an der regierungskritischen Journalistin Anna
Politkowskaja - wird der Sponsorenvertrag beim Besuch des russischen Präsidenten
Wladimir Putin in Dresden besiegelt.
7
Sprecher 1:
Für Peter Peters war das Ganze:
O-Ton: Peter Peters, Schalke 04
"Hochpolitisch ... ."
Sprecher 1:
... als er und ein paar Andere nach Dresden flogen, um alles unter Dach und Fach
zu bringen.
O-Ton: Peter Peters, Schalke 04
Da fragte mich mal irgendeiner hier bei uns, sag mal, habt ihr den Vertrag schon
unterschrieben? Da sag ich, wie den Vertrag unterschrieben, dafür fliegen wir doch
hin. Ja, aber das kannste doch nicht machen. Da sag ich, wie kannste nicht machen?
Ja, du musst doch wenigstens drei Wochen vorher alles unterschrieben haben. Und
das zeigt mir dieses Missverhältnis. Wir Deutschen, kein Vertrauen und ängstlich und
sagen ooh, wer weiß, was der mit uns macht und da der Russe, wir haben doch alles
geregelt, wieso fragst du, glaubst du uns etwa nicht? Da war ich beschämt."
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
"Als wir begonnen haben, da hatten wir eine ganze Reihe von Begründungen, das
passt von der Farbe, das ist eine bodenständige Region, die machen auch Bergbau
und Gaswirtschaft, das sind ja so gesehen auch Bergleute. Also wir hatten
unheimlich viel Aspekte, die auf Anhieb passten."
Sprecher 1:
Eine schöne Geschichte von irgendwie gemeinsamer Kumpeltradition und "wir
gehören zusammen" Gefühl. Für Claus Bergschneider, den Generalbevollmächtigen
von Gazprom "Germania", ist Schalke 04 der ideale Partner.
Atmo
Sprecher 1:
8
Tatsächlich reichen die Beziehungen zwischen dem Revier und der russischen
Gaswirtschaft bis weit in die fünfziger Jahre zurück. Industrielle der Schwerindustrie,
allen voran Kruppchef Bertold Beitz, wollen billige Energie aus Russland beziehen.
Im Gegenzug will Krupp Großrohre für den Pipelinebau liefern und Devisenkredite
zur Verfügung stellen.
O-Ton: Karsten Rudolph, Historiker
"Es wurde im Bundestag ja nicht nur zum Westen geguckt, es wurde ja auch gegen
den Osten geschossen und man hat vielen Unternehmern, beispielsweise Berthold
Beitz, mehr als einmal Vaterlandsverrat vorgeworfen und den Vorwurf gemacht, sie
würden die Außenpolitik, der damals CDU geführten Bundesregierung
konterkarieren"...
Sprecher 2
Karsten Rudolph ist Historiker für neue Geschichte und hat sich intensiv mit der
Ostpolitik der westdeutschen Industrie beschäftigt. Er ist Landtagsabgeordneter der
SPD und lehrt als Privatdozent an der Universität Bochum.
Sprecher 1
Im Klima des Kalten Krieges stießen die Verhandlungen "Gas gegen Röhren"
zunächst auf Vorbehalte. Gewerkschafter und SPD-Politiker aus dem Ruhrgebiet
unterstützen die Initiative.
O-Ton: Karsten Rudolph
"Wichtig ist, dass es auch persönliche Kontakte gab, und da stellt man eben fest,
dass ein Teil der Nomenklatura die eigenen Söhne oder Schwiegersöhne in wichtige
außenwirtschaftlichen Positionen untergebracht hatte. Man lernte auf einmal den
Sohn von Breschnew kennen, weil der in der Wirtschaftsadministration saß, oder den
Schwiegersohn von Kossygin."
Musik/Atmo
Sprecher 2:
9
Mitten im Kalten Krieg und dem ideologischen Kampf der Systeme wird ein Netzwerk
von Beziehungen geknüpft. Gegenseitiges Vertrauen und eine Tradition von
Geschäftsverbindungen entstehen, die bis heute wirken..
Sprecher 1
Für die Kooperation mit Schalke 04 ist die Deutschlandzentrale des russischen
Unternehmens in Berlin zuständig. Im Gegensatz zu dem repräsentativen Bau von
Gazprom in Moskau könnte man das schlichte Bürogebäude in der Nähe des
Gendarmenmarktes glatt übersehen, würden nicht LED-Strahler den
Eingangsbereich in gleißend blau-weißes Licht tauchen.
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
"Früher war das für die Leute doch etwas vollkommen unbekanntes. Ja, wer ist denn
die Gazprom? Und dann hat man so die Vorstellung, das sind son paar, die kommen
mit ner Fellmütze des Weges."
Sprecher 2:
Gazprom verlost Eintrittskarten für die Schalke Arena, Gazprom lädt Fangruppen aus
Gelsenkirchen zu Spielen von "Zenit Sankt Petersburg" ein.
O-Ton: Claus Bergschneider
"Ich bin mit 120 Schalkefans, bin ich nach Sankt Petersburg geflogen, haben da ein
Spiel von Zenit angeguckt. Anschließend haben wir mit Zenitfans gemeinsam gefeiert
und friedlich gefeiert, auch feucht-fröhlich gefeiert."
Sprecher 2:
Gazprom tourt mit den Schalker Altstars Olaf Thon und Klaus Fischer durch
Russland, spielt Fußball in Usbekistan, wo das russische Unternehmen ein
Gasförderungsprojekt betreibt.
Sprecher1
Claus Bergschneider, der junge Manager bei Gazprom "Germania", ist immer dabei.
O-Ton: Claus Bergschneider
10
"Fragen Sie mal die Schalkefans, was sie von dieser Reise halten. Die erzählen auch
heute noch begeistert davon und die wollen so schnell wie möglich wieder da hin".
Sprecher 1:
Auf der Internetseite von Schalke 04 wird die Diplomatie in kurzen Hosen ausführlich
mit Filmclips und Fotoserien vorgestellt. Tausendfach wird die deutsch-russische
Freundschaftswerbung von Fans hier abgerufen.
Atmo/ Musik
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
"Wenn man irgendwann den Endkunden beliefern möchte, dann muss der einen
natürlich erstmal kennen, dann muss er einen auch mögen und schließlich wenn er
einen genug mag und von dem Produktangebot überzeugt ist, dann hat er auch eine
Kaufbereitschaft."
O-Ton: Waleri Panjuschkin - Übersetzung
"Als Putin an die Macht kam, verfügte er über keine Hausmacht. Gazprom gehörte
dem Staat und das war ein Glück für ihn. Putin hat Gazprom zu einem Hebel der
Macht gemacht. Er hat die Manager ausgetauscht. Die neuen waren seine Leute aus
dem Geheimdienst. So war ihm die Unterstützung von Gazprom sicher. Sonst wäre
er wahrscheinlich eine Marionette der Oligarchen geworden, die ihm zur Macht
verholfen haben. Erst als Putin die Kontrolle über Gazprom bekam, hatte er wirklich
Macht. Erst diese Macht hat ihm auch die Kontrolle über Medien und Banken
verschafft."
Sprecher 1:
Putin und Gazprom, eine Zufallsbegegnung war das nicht.
Sprecher 2
1997 hatte Wladimir Putin eine 218-Seiten starke Doktorarbeit geschrieben. Thema:
"Die staatliche Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen". Zwischen 1985 und 1989
war er als KGB-Agent in der DDR tätig.
11
Sprecher 1
Putin beobachtet ostdeutsche Industriebetriebe und westliche Konzerne, die sich auf
der Leipziger Messe präsentieren.
Aus erster Hand erfährt Putin wie multinationale Großkonzerne in der Welt der Politik
agieren. Dass wirtschaftliche Macht mehr bewirkt als Militärparaden und
Raketenarsenale, ist dem KGB-Major spätestens beim Sturm der Demonstranten auf
seinen Dresdener Dienstsitz im November 1989 klar.
Sprecher 2
Bis Ende der achtziger Jahre ist die russische Gasindustrie Teil des staatlichen
Energie- und Erdölministeriums, das Viktor Tschernomyrdin führt.
Sprecher 1
Doch Gorbatschows Perestroika, die offene Grenzen und Marktkonkurrenz
bedeutete, stürzt die staatliche Kommandowirtschaft in ein Chaos. Mitte der
neunziger Jahre stehen die riesigen Kombinate, die für Transport, Versorgung und
Energie sorgten, vor dem Bankrott. Um diese Schlüsselbereiche zu modernisieren,
kennen Berater aus dem Westen nur ein Heilmittel: Privatisierung.
Sprecher 2 :
Banken, Öl- und Handelsgesellschaften mit westlichem Know-how und Kapital
entstehen. Die russische Erdgasindustrie wird in eine Aktiengesellschaft
umgewandelt und erhält den Namen: Gazprom.
O-Ton: Waleri Panjuschkin - Übersetzung
"In den neunziger Jahren hat in Russland kaum jemand Steuern gezahlt. Weder
Firmen noch Privatpersonen. Der Staatshaushalt bestand praktisch aus den
Einnahmen von Gazprom und den Einnahmen einiger Ölfirmen."
Sprecher 1:
Präsident Putin sorgt dafür, dass der Staat Hauptaktionär des neuen Unternehmens
Gazprom bleibt. Ausländische Investoren haben keine Chance.
12
Sprecher 2:
Einnahmen aus Gasexporten, die Dollars aus dem Westen, retten das Überleben von
Firma und Staat. Viktor Tschernomyrdin, der Gazprom als Engergieminister durch die
Perestroikaturbulenzen führte, wird 1992 Ministerpräsident und Chef des russischen
Parlaments.
O-Ton: Alexander Rahr
"Über Gazprom herrscht eine Clique von alten Funktionären. Gazprom war praktisch
eine Art Schatztruhe des Premiers Tschernomyrdin, der seine Freunde an der Spitze
dieses Monopolisten hatte. Es wurden Filialen und andere kleinere Ölgesellschaften
gegründet, wo sehr viel Geld am Staat vorbei aus der Gaswirtschaft in andere
Taschen sickerte."
Atmo/Musik
Sprecher 1
Konzerne und Produkte, die strategisch wichtig sind, haben nationalen Interessen zu
dienen und erst dann irgendwelchen Aktionären. Das ist das politische Credo von
Wladimir Putin. Nach seiner Wahl zum Regierungschef geht er systematisch daran,
die Macht der Oligarchen zu brechen und die Ausplünderung von Gazprom zu
stoppen. Zielstrebig besetzt er Führungspositionen bei Gazprom mit seinen Leuten.
Zu Ihnen gehört auch ein Mann namens Dimitri Medwedjew. Der Wirtschaftsexperte
ist seit 2008 Russlands Staatspräsident. Mit ihm hatte Putin bereits in Sankt
Petersburg zusammengearbeitet.
Sprecher 1:
Systematisch wird in Moskau an der Vision vom russischen Energieimperium
gearbeitet. Gazprom fungiert dabei als eine Art Außenministerium.
Waleri Panjuschkin:
O-Ton: Waleri Panjuschkin - Übersetzung
"Der Kreml hat Gazprom zu einer politischen Waffe gemacht, gerade wenn es um
außenpolitische Dinge geht. Die Ukraine schuldete Gazprom viel Geld. Doch man
hatte viel Geduld mit der Zahlung. Man wollte, dass der russlandfreundliche
13
Januskowitsch Präsident bleibt. Solange er an der Macht war, musste Gazprom
liefern ohne Geld zu sehen. Sobald der westlich orientierte Viktor Juschtschenko
gewählt war, forderte Gazprom die Schuldenzahlung und drohte mit einem
Lieferungsstopp".
Atmo /Musik
Sprecher 2:
Sylvester 2005: ein Manager von Gazprom legt, von Fernsehkameras begleitet, den
Hebel eines Gasverteilers Richtung Ukraine um.
O-Ton: Peter Peters, Geschäftsführer, Schalke 04
"Wir mussten ein Jahr lang, mittlerweile ist es ja ab geebbt, ein Jahr lang permanent
Fragen beantworten, ja aber die kaufen euch doch eh, denen könnt ihr doch eh nicht
trauen ...
Sprecher 2:
Schalke Geschäftsführer Peter Peters
O-Ton: Peter Peters, Geschäftsführer, Schalke 04
Mit jeder Störung einer Gaslieferung und wo eine Pipeline mal wieder umstritten war,
wurden wir dann gefragt, aber bei euch ist doch auch alles nicht koscher? Und ich
sage nein, Entschuldigung, ich kann nicht sagen wie die Gaslieferungen der Welt
passieren, das ist auch nicht mein Bier. Ich weiß nur, die Zusammenarbeit zwischen
Schalke und Gazprom war von Anfang an ehrlich und vertrauensvoll."
O-Ton: Alexander Rahr
"Man hat im Kreml gesehen, dass die Ukraine drauf und dran war der Nato
beizutreten.
Sprecher 2:
Alexander Rahr, Programmdirektor Russland der deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik
14
O-Ton: Alexander Rahr
Besondere strategische Partnerschaften militärischer Art mit dem Westen
einzugehen. Die Ukraine in einem fremden, vielleicht antirussischem
Verteidigungsbündnis, das hat in Russland die Alarmglocken läuten lassen. Und
dann ist man politisch auch gegen die Ukraine vorgegangen. Man hat über die
Gasschraube klar gemacht, diesem Land, dass es die Wahl treffen muss."
Atmo/ Musik
Sprecher 1:
Anfang 2009 verschärft Gazprom seine Gangart gegenüber dem Nachbarn.
O-Ton: Peter Peters, Geschäftsführer Schalke 04
"Als wir in Moskau saßen, hat uns Fursenko noch mal deutlich gesagt: wir möchten
fünf Jahre und er hat es auch begründet. Er hat gesagt: Gazprom gilt in Deutschland
als unzuverlässig.
Sprecher 1
Schon lange vor dem spektakulären Lieferstopp wissen die Russen um ihren Ruf.
O-Ton: Peter Peters, Geschäftsführer Schalke 04
Gazprom gilt in Deutschland als: 'musste drauf aufpassen'. Wenn wir heute einen
Vertrag machen über zwei Jahre, dann wird jeder sagen, ja, sie kommen und sie
gehen. Wir wollen aber heute schon klarmachen, wir sind Partner von Schalke, wir
sind Partner von Deutschland. Und deswegen war die Laufzeit für Gazprom auch
eine Botschaft, ganz bewusst überlegt: Die wollten eine lange Laufzeit, um diese
Botschaft der Zuverlässigkeit auch zum Ausdruck zu bringen"
Sprecher 1:
Für das Weltunternehmen sind vertrauensbildende Maßnahmen wichtiger denn je.
Eine Mischung aus Drohung und Bestechung soll die einstigen Bruderländer im
Westen auf Linie bringen. Weißrussland, wo mit Lukaschenko der "letzte Diktator
Europas" - wie er sich selbst nennt - an der Macht ist, erhält eine Sonderbehandlung
und billige Gas- und Öllieferungen, Schulden werden gestundet.
15
O-Ton: Alexander Rahr
"Mit einem Mann wie Lukaschenko kann Russland durchaus leben. Es ist derjenige,
der auf postsowjetischem Raum, der sein Land niemals in die Nato oder die
Europäische Union führen wird."
Atmo/Musik
Sprecher 2:
Nach der Jahrtausendwende schießt der Börsenkurs von Gazprom explosionsartig in
die Höhe.
Sprecher 1
Verantwortlich sind die rasant steigenden Energiepreise. Ein Unternehmenswert von
einer Billion Dollar sei keine Utopie, verkündet die Chefetage. Der Westen staunt.
O-Ton: Alexander Rahr
"Man kauft heute - und über das Geld verfügt man - heute die Gasreserven und Gas
aus den zentralasiatischen Ländern auf, pumpt dieses Gas in die russischen
Pipelines und exportiert und verkauft dieses zentralasiatische Gas schließlich als
russisches Gas nach Westen."
Sprecher 2
Turkmenistan, Aserbeidschan und Usbekistan, die ehemaligen Sowjetrepubliken,
verfügen über enorme Erdgasvorkommen.
O-Ton: Alexander Rahr
"Natürlich läuft die russische Strategie darauf hinaus, eine Monopolstellung für die
Belieferung des Westens, der europäischen Union, mit Öl und Gas beizubehalten,
sie zu festigen sogar."
Sprecher 2:
16
Über 80 Prozent der Erdgasströme nach Westeuropa fließen durch die Pipelines von
Gazprom.
Sprecher 1
Seit Jahren plant ein Konsortium europäischer Firmen, darunter auch die Rheinisch-
Westfälischen Elektrizitätswerke aus Essen, den Bau einer eigenen Pipeline
Richtung Zentralasien. Sie soll für mehr Markt und Wettbewerb im Energiebereich
sorgen und Alternativen zum Liefermonopol der Russen schaffen.
Sprecher 2
Ab 2013 soll die neue Pipeline Gas u.a. aus Turkmenistan und Aserbeidschan in den
Westen liefern,
Sprecher 1
direkt: unter Umgehung Russlands.
Sprecher 2
- 3300 Kilometer lang soll sie sein, in der Türkei beginnen, enden in Österreich. -
Sprecher 1
Nicht zufällig wählte man die Verdioper Nabucco zum Namensgeber. In dem
Musikdrama geht es um die Befreiung aus babylonischer Gefangenschaft.
O-Ton: Alexander Rahr
"Russland hat jetzt den Krieg um Südossetien gegen die angreifenden Georgier,
muss man sagen, nicht um Energie, um Öl und Gas geführt, aber man hat natürlich
seine Hausaufgaben mit erledigt. Man hat natürlich erstmal gezeigt, dass man im
Südkaukasus den größeren Einfluss genießt. Man hat natürlich auch Signale
Richtung möglicher potentieller Investoren aus dem Westen geschickt, das ein Land
wie Georgien so fragil ist, dass man dort keine Pipelines bauen sollte."
Sprecher 1:
Vereint mit dem Kreml will Gazprom das "Nabuccoprojekt" mit einer eigenen Pipeline
torpedieren. Die mächtige "Southstream" soll Gas über den Kaukasus durchs
17
Schwarze Meer nach Griechenland leiten und von hier in die Netze des Westens
führen.
Atmo: Foyer, EU-Kommission für Verkehr und Energie, Brüssel
Sprecher 2:
Gazprom versorgt Finnland und Polen zu fast hundert Prozent. Italien und
Deutschland zu vierzig Prozent.
Sprecher 1
Bei der EU-Kommission für Energie und Verkehr in Brüssel ist das Projekt seit
langem ein Thema. Nabucco, die Hoffnung der Europäischen Union!
O-Ton: Heinz Hilbrecht, EU Kommission Verkehr u. En ergie
"Weil sie eine Alternative bietet zu den herkömmlichen Lieferquellen.
2. Sprecher:
Heinz Hilbrecht ,Generaldirektor der EU-Behörde für Energie und Verkehr
O-Ton: Heinz Hilbrecht, EU Kommission Verkehr u. En ergie
Weil sie es uns ermöglicht auch an Lieferländer heranzukommen, die bisher noch
nicht Gas nach Europa geliefert haben, insbesondere Turkmenistan."
2. Sprecher
In Turkmenistan und Usbekistan wurden 2005 Aufstände gegen die Willkür der
Staatsmacht blutig niedergeschlagen.
O-Ton: Heinz Hilbrecht, EU Kommission Verkehr u. En ergie
"Die letzten Schätzungen der turkmenischen Gasreserven sind erheblich positiver als
das, was wir noch vor einigen Monaten geglaubt haben. Es sind bis zu 14 Trillionen
Kubikmeter Gas"
Atmo /Musik
18
Sprecher 1
Anfang 2009 ließ die Demonstration russischer Energiemacht die Aktien für das
Nabuccoprojekt rapide steigen. Ende Januar dann der Dämpfer: Nur wenn die EU
ihre Beitrittsverhandlungen mit der Türkei forciert, ist Ankara dabei. Will man
Russland umgehen, braucht man das Land am Bosporus.
"Politische Erpressung" im Great Game um die Energieströme!
2. Sprecher
1998 liberalisierte das Europäische Parlament den Energiemarkt und viele
Mitgliedsstaaten privatisierten die Energieversorgung.
Sprecher 1
Der Rückzug staatlicher Fürsorge wird den Bürgern als Chance für mehr Markt und
sinkende Preise verkauft. Doch statt Wettbewerb von vielen, fördert die
Liberalisierung große Champions, die teilen den Markt unter sich auf und diktieren
die Preise.
Sprecher 2:
2005 betreibt Gazprom den Einstieg beim größten britischen Versorger Centrica.
Sprecher 1
Im Straßburger Parlament löst dies hektische Aktivitäten aus.
O-Ton: Heinz Hilbrecht, EU Kommission Verkehr u. En ergie
"Deswegen haben wir uns überlegt, ob wir da nicht etwas stärkere Vorschriften
einführen müssen, falls ein ausländisches, also nicht EU-Unternehmen Kontrolle an
den Gasversorgungsleitungen innerhalb der EU hat."
Sprecher 1
Die EU-Politiker hatten nicht bedacht, dass die Privatisierung des Energiemarktes für
den Kremlkonzern eine Einladung sein könnte, elementare Lebensbereiche ganzer
Staaten zu kontrollieren. Eine so genannte Gazpromklausel der Brüsseler
Kommission soll nun verhindern, dass Unternehmen aus Drittstaaten Strom- und
Gasnetze regionaler Betriebe aufkaufen können. Denn würde der Superkonzern
19
Gazprom nationale Grundversorger mehrheitlich übernehmen, wären Produktion und
Vertrieb in einer Hand. Markt und Verbraucher hätten keine Chance.
Sprecher 2:
Der Versuch des Gazprom-Konzerns, bei der britischen Centrica einzusteigen,
misslingt.
Sprecher 1
Auf die Eroberung des deutschen Marktes sind die Moskauer besser vorbereitet.
Sprecher 2
1993 kauft sich Gazprom bei der WINGAS GmbH ein, einer Tochter der BASF-
Gruppe. WINGAS verfügt über ein zweitausend Kilometer langes Pipelinenetz und
liefert russisches Erdgas an Industriekunden und Stadtwerke.
Seit April 2006 hält Gazprom fünfzig Prozent minus eine Aktie an der WINGAS
GmbH in Kassel.
Sprecher 1
2007 betrug der Umsatz der Firma WINGAS rund 6.1 Milliarden Euro.
Sprecher 2
1991 stieg Gazprom bei der "Verbundnetz Gas AG" in Leipzig ein. Die VNG versorgt
traditionell ostdeutsche Kommunen. Das Handels- und Transportunternehmen ist
über Beteiligungen und Kooperationen auch in Ost-, Mittel- und Südeuropa aktiv.
Sprecher 1
Diese Beteiligungen passen perfekt zur Strategie der Russen, die Energie selbst bis
in die Wohnzimmer und Küchen zu bringen. Ein Großteil der Gewinne geht an
Transitländer, Pipelinebetreiber und Zwischenhändler bis hin zu den Stadtwerken.
O-Ton: Waleri Panjuschkin - Übersetzung
20
"Gas kostet innerhalb Russlands bis zur russischen Grenze einhundert Dollar. Wird
es bis zur deutschen Grenze gebracht, von einem deutschen Versorger übernommen
und ins Haus geliefert, kostet es schon 500 Dollar.
Natürlich will Gazprom den großen Schnitt machen."
Sprecher 2
E.ON-Ruhrgas, RWE, Vattenfall und EnBW nehmen siebzig Prozent des gesamten
russischen Gasexports ab und geben ihn über ihre eigenen Pipelines weiter.
Sprecher1
Die vier größten Versorger haben Deutschland in "Hoheitsgebiete" aufgeteilt.
Sprecher 2:
Claudia Kemfert beobachtet für das Deutsche Institut der Wirtschaftsforschung seit
Jahren die Entwicklung auf dem Gasmarkt und berät als Energie-und Klimaexpertin
Jose Manuel Barroso, den Präsidenten der Europäischen Union.
O-Ton: Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirt schaftsforschung
"Das ist genau die Diskussion, die wir auch vom Strommarkt kennen, dass
diejenigen, denen das Netz gehört und gleichzeitig die Bezieher von Gas in diesem
Fall, beides kontrollieren können. Und dass das natürlich dazu führt, dass die Preise
höher sind, als wenn sie einen freien Zugang haben. Beispielsweise Stadtwerk XY,
dass es direkt nach Norwegen gehen kann und sagen kann, ich möchte von euch
jetzt Gas beziehen. In dem Moment, wo sie Unternehmen haben, die das
Pipelinenetz kontrollieren und hohe Preise verlangen, dann ist das erst mal ein
Instrument, was man ja auch vom Strommarkt gesehen hat, um sich Konkurrenz vom
Hals zu halten."
Sprecher 1:
Trennung von Versorgern und Netzbetreiben - die entscheidende Voraussetzung, um
das Kartell der Großen auf zu weichen!
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
21
"Wenn man jetzt hergeht und schreibt den Unternehmen vor, dass sie diese Anteile
abgeben müssen, dann ist das ein Eingriff in die Eigentumsrechte.
Sprecher 2:
Claus Bergschneider, der Generalbevollmächtige von Gazprom-Germania
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
Und wenn man an einer Ecke damit mal anfängt, ja dann können wir die
Eigentumsrechte irgendwann mal auch komplett vergessen".
Sprecher 1:
Eigentum! - In den letzten Jahren hat Gazprom immer wieder versucht, sich bei
deutschen Stadtwerken einzukaufen.
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom-Germania
"Das ist erklärte Strategie und am Ende dieser Kette steht so gesehen der kleinste
Kunde, um den man sich natürlich dann besonders bemühen muss, und das ist der
sogenannte Endverbraucher oder Endkunde und der steht auch auf dem Programm."
Sprecher 1:
Gazprom hat einen langen Atem und wirbt um Vertrauen. Für die Partnerwerbung ist
die deutsche Vertretung von Gazprom-"Germania" in Berlin zuständig.
Geschäftsführer ist Hans-Joachim Gornig.
Sprecher 2
Seit 1967 war Gornig leitender Mitarbeiter und Stellvertretender Generaldirektor in
Unternehmen der Erdöl- und Gaswirtschaft der DDR, sowie Regierungsbeauftragter
der DDR für den Erdgasleitungsbau in der UdSSR.
Sprecher 1
Zwei enge Mitarbeiter Gornigs, Finanzchef Felix Strehober und Personalchef Hans
Uwe Kreher, waren inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit.
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
22
"Dazu gibt es auch Akten, das lässt sich nicht einfach weg reden. Das sind Fakten
so. Aber das ist jetzt natürlich auch schon sehr lange her und strafrechtlich ist es
nicht relevant."
Sprecher 1:
Trotz langfristiger Terminanfrage ist Hans-Joachim Gornig für ein Gespräch nicht zu
gewinnen und schickt Claus Bergschneider, den Generalbevollmächtigen des
Unternehmens vor.
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
"Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass diejenigen, seitdem sie hier im
Unternehmen arbeiten, solide Arbeit machen und sich auch korrekt verhalten. Das
klingt jetzt etwas seltsam, aber das sind ganz normale nette Kollegen wie andere
auch."
O-Ton: Waleri Panjuschkin - Übersetzung
"Bei Gazprom in Russland arbeiten so viele Leute, die auf diese oder jene Weise in
Verbindung mit dem Geheimdienst stehen. Wenn man dann irgendwo eine Filiale
aufmacht, ist es doch einfach nur logisch, sich an die Leute zu wenden, die man dort
kennt. Man wendet sich an Leute, mit denen man eine Sprache spricht, mit denen
man zusammengearbeitet hat, eine gemeinsame Vergangenheit und ein Gefühl der
Zugehörigkeit hat".
Sprecher 2:
Wiktor Iljuschin ist heute in der Geschäftsführung von Gazprom in Moskau, in den
achtziger Jahren war er Verbindungsmann der Partei zum KGB, Vizegeschäftsführer
Walerij Golubjow war zwölf Jahre beim KGB, danach mit Putin in der Petersburger
Stadtverwaltung aktiv.
Sprecher 1:
In einer Broschüre von Gazprom Germania zu den Sponseringaktivitäten des
Unternehmens gelobt Geschäftsführer Hans-Joachim Gornig:
Sprecher 2:
23
"Wir wollen uns damit gleichzeitig der Öffentlichkeit stellen, Transparenz beweisen,
Vorbehalte abbauen und Vertrauen gewinnen".
Atmo
Sprecher 1:
Vertrauen gewinnen! Auch mit Hilfe von Schalke. Wie verhält sich dieses Ziel zu
dem, was der Spiegel berichtete? Danach soll Hans-Joachim Gornig zusammen mit
einem Staatssekretär aus gemeinsamen DDR-Zeiten an eigenen Firmen, die im
Gasgeschäft aktiv sind, beteiligt sein.
Sprecher 2
Ab 1992 betrieben die beiden die Firma DAGA, die als Zwischenhändler bei
Gaslieferungen von Russland nach Bulgarien diente. 2004 wurden diese Aktivitäten
eingestellt. Die DAGA benannte sich um in Fortis Consulting GmbH, Geschäftsführer
wurde Gornigs Sohn Mika.
Gornig selbst blieb mit 60 Prozent Miteigentümer der Fortis Consulting und beteiligt
sich zudem an der Firma Gasconsult GmbH, von der wiederum achtzig Prozent der
Fortis Consulting gehören. Auftraggeber für die Gasconsult GmbH ist Gazprom-
Germania.
Laut Rechnungsbelegen vom 31.12.2007 erarbeitet die Gasconsult GmbH
gaswirtschaftliche "Analysen, Expertisen und Studien" und ist im Kommunikations-
und Informationsmanagement für die Germania tätig.
Sprecher 1
Diese Fakten enthüllte der "Spiegel" in seiner Ausgabe vom 25. August 2008. Ein
Jahr zuvor hatte Gazprom durch die Nürnberger "Gesellschaft für Konsumforschung"
nach den Imagewerten des Konzerns fragen lassen.
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
"Die richtige Sympathie hatten wir zu Beginn eben nicht, das konnten wir in der
Marktforschung feststellen. Beim Thema Vertrauen können wir noch einiges leisten,
das ist effektiv so. Aber ich bin da gar nicht mal traurig drum. Wenn die Werte alle
schon Klasse wären, ja dann hätten wir gar keine Arbeit."
24
Atmo /Musik
Sprecher 1:
Für Gazprom ist der wichtigste Kooperationspartner in Deutschland die E.ON-
Ruhrgas AG. Der Essener Konzern ist Europas größter Energieversorger. Er nimmt
den Löwenanteil des russischen Gases ab.
Im Herbst 2008 feiern Gazprom und die E.ON-Ruhrgas AG ein außergewöhnliches
Jubiläum: Die deutsch-russische Energiefreundschaft hat eine 35-jährige Tradition.
Atmo: Empfang, Festessen, Reden EON-Gazpromjubiläum sfeier
Sprecher 1:
Auf dem festlichen Empfang zur Jubiläumsfeier von E.ON und Gazprom stoßen die
Manager auf eine neue Etappe der traditionsreichen Partnerschaft an.
Sprecher 2
2005 hatte Gazprom E.ON eine Beteiligung an der geplanten Nord Stream, der
Ostseepipeline eingeräumt. Die Energietrasse soll die russische Ostseeküste bei
Wyborg durch eine Unterwasserleitung direkt mit der deutschen Küste bei Greifswald
verbinden, unter Umgehung der bisherigen Transitländer Weißrussland und Polen.
Die Nord Stream soll das zwölftausend Kilometer lange Pipelinenetz, das E.ON in
Deutschland und Westeuropa unterhält, mit Gas versorgen.
O-Ton: Bernhard Reutersberg, E.ON-Ruhrgas
"Über die neue Leitung sollen ab 2011 rund 27 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr
fließen. Wir wollen und werden gemeinsam mit diesem Projekt die Versorgung nach
Europa nach vorne bringen.
Sprecher2
Bernhard Reutersberg, Chef der E.ON-Ruhrgas AG und Mitglied des
Aktionärsausschusses der North European Gas Pipeline Company von Gazprom
25
O-Ton: Bernhard Reutersberg, E.ON-Ruhrgas
Gazprom wird langfristig als eines der größten fördernden Unternehmen weltweit und
als großer Energielieferant von Gas eine zentrale Rolle für E.ON Ruhrgas und den
europäischen Gasmarkt spielen. Russland ist und bleibt ein Eckpfeiler der
europäischen Energieversorgung "
Atmo /Musik
O-Ton Claudia Kemfert
"Die Ostseepipeline war ja eigentlich das, was die Energiewirtschaft als Lösung
angeboten hat.
Sprecher 2:
Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
O-Ton Claudia Kemfert
Es ist natürlich keine wirkliche Lösung, weil man damit die Abhängigkeit von
russischen Gaslieferungen noch erhöht. Denn in der Zukunft nimmt norwegisches,
niederländisches Gas ab. Das heißt der Anteil von russischen Gaslieferungen nach
Deutschland steigt von heute knapp 40 auf dann 60 Prozent. Und damit hat man
nicht wirklich viel gewonnen."
Sprecher 2:
Zehn Tage vor der Bundestagswahl 2005 war Präsident Putin bei Bundeskanzler
Gerhard Schröder zu Besuch und unterzeichnete eine Vereinbarung über den Bau
der neuen deutsch-russischen Energietrasse. Der interministerielle Ausschuss des
Parlaments hatte noch in seinen letzten Amtsmonaten eine Bundesbürgschaft in
Höhe von 900 Millionen Euro bewilligt. Die Öffentlichkeit erfuhr davon erst im April
2006.
Sprecher 1
Da hatte der Ex-Kanzler schon seinen neuen Job im Aktionärsausschuss der "North
European Gas Pipeline Company" angetreten. Das Unternehmen, bei dem Gazprom
die Mehrheit hält, ist für das Ostseeprojekt zuständig.
26
Für Gazprom hat die Ostseepipeline große strategische Bedeutung. In Deutschland
sind die zahlungskräftigsten Kunden und wichtigsten Partner: E.ON, WINGAS, RWE
oder die VNG. Sie erfüllen eine wichtige Drehscheibenfunktion, um russische Energie
in Europa zu verteilen. Russland braucht die Milliardeneinnahmen aus dem Westen.
Noch.
Atmo /Musik
Sprecher 2
Die Erdgasfelder der Zukunft liegen in der Arktis und Ostsibirien, weit weg von
Europa. Alexander Rahr, Programmdirektor Russland der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik
O-Ton: Alexander Rahr
"China und Indien sind sehr daran interessiert russische Rohstoffe zu bekommen,
inzwischen machen diese Länder beide Druck auf Russland, weil Russland zögert.
Russland spielt natürlich Asien gegen Europa, Europa gegen Asien aus. Inzwischen
bauen die Chinesen ihre Pipelines aus Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan
ins eigene Land auch unter Umgehung Russlands, und deshalb sieht sich Russland
auch unter Druck."
O-Ton: Kirsten Westphal, Stiftung Wissenschaft und Politik
"Was man jetzt an der russischen Politik beobachten kann, und was auch russische
Kollegen zur Sorge veranlasst, ist, dass ein Großteil der Investitionen der Gazprom in
strategische Pipelineprojekte fließt, die ja wirklich extrem teuer sind. Es gibt
russische Experten, die von einer Gaslücke sprechen, das heißt, dass in ein paar
Jahren das Gas fehlt, um tatsächlich die Lieferverträge zu erfüllen".
Sprecher 2:
Kirsten Westphal ist bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Sie ist zuständig für
internationale Energiepolitik und Energiesicherheit. Die Berliner Stiftung berät
Parlament und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.
27
O-Ton: Kirsten Westphal, Stiftung Wissenschaft u. P olitik
"Werden die Felder erschlossen und werden sie rechtzeitig erschlossen?- das ist
tatsächlich die Frage. Werden die Investitionen, die notwendig sind getätigt?"
Sprecher 1:
Nach Schätzungen der internationalen Gasagentur in Paris könnte die drohende
Gaslücke für Westeuropa schon im Jahr 2010 100 Milliarden Kubikmeter betragen.
Um die Vertragsverpflichtungen einzuhalten und um die notwendigen Einnahmen für
Konzern und Staat zu erzielen, hat der Export höchste Priorität. Doch auch der
einheimische Gasverbrauch wächst rasant.
O-Ton: Kirsten Westphal, Stiftung Wissenschaft und Politik
"Dass in Russland verstärkt Kohlekraftwerke gebaut werden, man wieder die
Kernenergie ausweiten will, einfach um ein Mehr an Gas zu haben, um es nach
Europa zu exportieren. Das ist natürlich, wenn man sich das globale Bild anschaut
und den Klimafaktor reinbringt, eine fatale Entwicklung."
Sprecher 2:
Die Essener E.ON-Ruhrgas AG ist Europas größter Erdgashändler. Mit Gazprom hat
sie Lieferverträge über große Mengen bis 2036 abgeschlossen.
Sprecher 1
Auch andere Versorger haben langfristige Verträge. Dies wird Verbrauchern immer
wieder als Versorgungssicherheit verkauft, doch schafft die traditionelle deutsch-
russische Energiepartnerschaft auch fatale Abhängigkeiten und verhindert die
rechtzeitige Suche nach alternativen Energiequellen und Anbietern.
O-Ton: Alexander Rahr, Deutsche Gesellschaft für au sw. Politik
"Der Versuch Russlands in den nächsten Monaten eine Gas-Opec zu schaffen mit
Ländern wie Venezuela, Algerien, Katar und natürlich den zentralasiatischen
Ländern. Das sind alles Dinge, die man als Vorläufer eines größeren
Energiekonfliktes sehen könnte."
28
O-Ton: Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirt schaftsforschung
"Mit allen Ländern, wo Europa hingeht und versucht bilateral in Kontakt zu treten, war
Russland schon vorher da und hat mit denen Abkommen geschlossen, genau mit
dieser Motivation, ein Kartell zu gründen, was sie auch öffentlich nicht bestreiten, um
die Preise nach oben zu treiben."
Atmo: Schalke 04, Trainingsgelände
Sprecher 1:
In Gelsenkirchen, am Ernst Kuzorra-Weg ist man mit dem nächsten Spiel und dem
nächsten Gegner beschäftigt. In Sachen Sponsoring sind auf beiden Seiten nach
knapp einem Jahr keine Wünsche offen.
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
"Dass wir mit Schalke zusammen arbeiten, das war nicht nur eine grandiose
Entscheidung, das war für uns einfach ein Glücksfall. Wir haben
Aufmerksamkeitswerte erzielt, die grandios sind und das schon nach ganz kurzer
Zeit der Präsens."
Sprecher 1
Claus Bergschneider, Vizechef "Gazprom-Germania
O-Ton: Claus Bergschneider, Gazprom Germania
"Und um da noch einen kleinen drauf zu setzen. Wir sind auch auf Schalke vertreten
und zwar nicht in den offiziellen Geschäftsräumen von Schalke, sondern in den
Büros des Dachverbandes der Fanclubs. Und wenn man da angekommen ist, dann
ist man im Herzen von Schalke angekommen."
Atmo: Trainingsgelände Schalke /Musikausschnitt "Gl avna tema" G.Bregovic
O-Ton: Schalke 04, Fan
"Ich sage einfach, Geld stinkt nicht."
Absage:
29
Gazprom
Weltmacht aus der Pipeline
Ein Feature von Ulli Wendelmann
Es sprachen:
Matthias Ponnier
Stephan Schad
und
Sigrid Burkholder
Technische Realisation:
Patrick Huth und Sebastian Nohl
Musik:
Dirk Leyers
Regieassistenz:
Sascha von Donat
Regie:
Nikolai von Koslowski
Redaktion:
Dorothea Runge
Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks mit dem Saarländischen Rundfunk,
dem Deutschlandfunk und dem Norddeutschen Rundfunk 2009.