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Komm mit mir ins Abenteuerland: Der Schweizer Klub Wacker Thun erlebt bei seiner Premiere in der Champions League das aufregendste Jahr seiner Vereinsgeschichte - und das schwierigste Quelle: Handball-Magazin
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Von Alexander Kuszka
Komm mit mir ins Abenteuerland: Der Schweizer Klub Wacker Thunerlebt bei seiner Premiere in der Champions League das aufregendste Jahr seiner Vereinsgeschichte - und das schwierigste
GEGEN ALLE WIDERSTÄNDE
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Der kleine Unbekannte: Wacker Thun spielt in dieser Saison erst-
mals in der Champions League. Selbst Insider konnten mit dem
Klub aus der Schweiz bislang nicht viel anfangen. Vorzeigeklub
Kadetten Schaffhausen ist für Experten und Fans da schon eher
ein Begriff. Von diesem muss Wacker jetzt lernen.
Schaffhausen schließlich kennt die Schattenseiten des Erfolgs:
Die Saison 2012/13 endete für den Serienmeister auf dem letzten
Platz seiner Champions-League-Vorrunden-Gruppe. Und in der Liga
reichte es letztlich nur zu Platz zwei. Das langte gerade zur Qua-
lifikation für den Challenge Cup. Zu hoch war die Doppelbelastung
mit Königsklasse und Meisterschaftsbetrieb. Diese Erfahrung
muss jetzt auch Wacker Thun machen. In der vergangenen Saison
hatte es noch die Schwäche des großen Konkurrenten Schaffhausen
genutzt und den Favoriten in den Play-off-Finals überraschend ge-
schlagen – das Champions-League-Ticket war gelöst.
Ein Erfolg, der nicht nur Positives brachte, zumal das Team von
Martin Rubin unter gänzlich anderen Vorzeichen an den Start geht
als die Kadetten. Im Gegensatz zum Dissinger-Klub verfügt das
Team aus dem Berner Oberland nicht über die teuersten Spieler
und die größte Halle der Liga. Die Schaffhauser hatten in der
Champions League meist noch mithalten können mit ihren Geg-
nern, wenn sie letztlich auch ausschieden. Wacker Thun stellte al-
lein die Teilnahme am Wettbewerb vor gewaltige finanzielle und
organisatorische Aufgaben.
Die kleine Thuner Lachenhalle war eines der Probleme: Die Spiel-
stätte war zu klein, 2000 Plätze zu wenig gemäß der EHF-Auflagen.
Also ging es ab nach Bern, in die 3200 Zuschauer fassende
Wankdorfhalle. Die 30 Kilometer entfernte Hauptstadt sollte bei
den Auftritten in der Königsklasse als neue Heimspielstätte dienen.
Dass Sportvereine aus Thun bei internationalen Wettbewerben
nach Bern umziehen müssen, hat fast schon Tradi tion. Zuletzt
traf es die Fußballer. Die mussten 2005 ins Stade de Suisse
ausweichen, weil die Arena am Thunersee einfach zu klein und zu
marode war.
Trotz erster internationaler Erfahrungen: Wacker Thun muss noch viel lernen
Mit dem Hallenwechsel waren die Vorbereitungen für die Champions
League aber noch längst nicht abgeschlossen. Dabei ist Wacker
Thun keineswegs ein Neuling auf internationalem Parkett. Der
Verein sammelte zuvor Erfahrungen im EHF-Cup. Doch die Auf -
gabenliste für die Königsklasse sprengte alles bisher Dagewesene:
Wacker-Geschäftsführer Fred Bächer bezifferte das Budget für die
Champions League auf 750 000 Franken (circa 615 000 Euro).
Die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die seit Jahren
ein eingespieltes Team bilden, waren dabei noch nicht mit ein -
gerechnet. Ohne sie wäre der finanzielle Kraftakt schon gar nicht
zu stemmen gewesen. „Bisher klappt alles”, sagt Bächer, der ins
Schwärmen kommt ob seiner Mitarbeiter: „Unsere Volunteers liefern
bei jedem Heimspiel Spitzenleistungen. Würde es in der Champions
League ein Final Four der besten Gastgeber geben, wären wir mit
Sicherheit dabei. Ich würde uns sogar in der Favoritenrolle sehen.”
Auf dem Spielfeld sind die Schweizer in der Königsklasse hingegen
nie in der Favoritenrolle: Die Berner Oberländer holten bisher erst
einen Punkt in der Gruppe C – gegen Metalurg Skopje. �
Die Einwohnerzahlen der kleinsten Teilnehmerstädte
der laufenden Champions-League-Saison:
Velenje: 38 500
Thun: 43 500
Celje: 44 000
Halmstad: 62 000
Vezprem: 66 000
Flensburg: 83 700
Dünkirchen: 92 000
Aalborg: 106 900
Die Kleinsten in der Königsklasse
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Thuns Lukas von Deschwanden (grünes Trikot) muss gegen
die CL-Gegner mit seinem Team stets ans Maximum gehen
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Überzeugt haben sie trotzdem: Wacker hat sich durch seine Haltung
und seine positive Herangehensweise viele Freunde in Europa
gemacht – auch im ungeliebten Bern. Zwar war die Wankdorfhalle
mit ihren 3200 Plätzen für Wacker während der ersten drei
Heimspiele eine Nummer zu groß, doch kann der Verein mit dem
Zuschaueraufkommen zufrieden sein. Selbst bei den Kadetten
sah es in der Saison 2012/13 in eigener Halle nicht viel rosiger
aus. Als Bonbon wartet zudem das Heimspiel gegen den FC Bar-
celona am 8. Februar. Dann dürfte kein Platz unbesetzt bleiben in
der kleinen Halle neben dem prunkvollen Stade de Suisse.
Alle fiebern dem Duell mit dem FC Barcelona entgegen – und hoffen auf eine volle Halle
Trainer Martin Rubin fiebert dem Spiel besonders entgegen. Er
sagt: „Das wird ein tolles Match, auch für mich. Ausverkaufte Hal-
le, das beste Team der Welt und meine Jungs auf der Platte. Das
gibt Gänsehaut, sicher”, reibt sich Rubin die Hände. Auch Fred
Bächer dürfte an diesem Abend in die Hände klatschen, wenn der
bisherige Zuschauerschnitt von knapp 1726 Fans mutmaßlich in
die Höhe schnellt. „In finanzieller Hinsicht haben wir das enorme
Glück, dass sich unser Hauptsponsor spontan bereit erklärt hat,
uns auch in der Champions League zu begleiten und wir zudem
auf die Unterstützung der Stadt Thun und diverser Business-Partner
zählen dürfen”, sagt Bächer. „Ohne diese Unterstützung wäre es
ein finanzielles Wagnis geworden. Die Frage, ob wir es uns
nochmals leisten könnten, kann ich nicht abschließend beantworten.
Da müssten wir uns nochmal zusammensetzen und nach neuen
Lösung suchen”, so der Geschäftsführer. Für ihn stellt die Cham-
pions League die größte Herausforderung in der Geschichte seines
Vereins dar. Aber auch eine Chance, sich auf der großen europä -
ischen Bühne zu zeigen. Doch für dieses Erlebnis zahlt Wacker
Thun einen hohen Preis: Der Schweizer Meister versinkt in der
Liga im Mittelmaß.
Der Spagat zwischen Autogrammstunden in Barcelona und
Pflichtprogramm in der heimischen Spielklasse gelingt den
Akteuren noch nicht. Es ist eine schnelllebige Welt, in der sie sich
derzeit bewegen: Ligaspiel abends gegen Kriens-Luzern, danach
Reise nach Minsk um drei Uhr morgens, Champions-League-
Spiel, Training, zurück in den Beruf. Für Vollprofis eine gewohnte
Prozedur, nicht aber für die Thuner, die nur drei Spieler mit Voll-
profi-Status in ihren Reihen haben. Der Rest des Teams muss einer
geregelten Arbeit oder einem Studium nachgehen, denn reich
wird man als Handballer in der Schweiz nicht.
Die Schweizer wissen mit Geld umzugehen. Finanzielle Risiken sind ihnen fremd
Die schweizer Klubs sind nicht bereit, sich in finanzielle Abenteuer
zu stürzen – nicht für die Champions League. Der prestigeträchtige
Wettbewerb hat schon Vereine wie Kopenhagen oder Atlético
Madrid dazu veranlasst, über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu
leben. Am Ende stand der Konkurs. Den Eidgenossen sind solche
riskanten Spielchen fremd und so gehen sie lieber das sportliche
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Spieler Beruf/Lehre oder Ausbildung/Schule
Remy Behnd Bankkaufmann
Romas Caspar Business Analyst
Georgios Chalkidis Profistatus
Jonas Dähler Praktikum als Physiotherapeut
im Krankenhaus Thun
Nikola Dokic Profistatus
Nick Eggenberger Abitur
Borna Franic Semi-Profistatus/Verkäufer
Reto Friedli Kaufmann
Viktor Glatthard Bachelor-Studium der
Psychologie an der Uni Bern
Markus Hüsser Landschaftsarchitekt
Stefan Huwyler Abitur-Abschlussarbeiten
Nikola Isailovic Profistatus
Thomas Lanz Abitur
Luca Linder Master-Studium
in Business & Administration
Andreas Merz Master-Studium in Economics
Thomas Rathgeb Bachelor-Studium der
Informatik an der Uni Bern
Fabian Studer Master-Studium
in Medizin an der Uni Bern
Lukas von Bachelor/Master-Studium
Deschwanden in Sport an der Uni Bern
Marc Winkler Kaufmann
Yvan Wyttenbach Kaufmännische Ausbildung
Mit drei Profis durch die Königsklasse
Kampfschrei: Fabian Studer (rechts) steuerte einen
Treffer zum Unentschieden gegen Metalurg bei
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Risiko ein, gegebenenfalls sang- und klanglos aus dem Wettbe-
werb auszuscheiden.
Genau so sieht es auch Thuns Trainer Martin Rubin, der seit sechs
Jahren an der Seitenlinie der Berner Oberländer steht. „Mit dem
Titel sind die Ansprüche im Umfeld des Vereins sicherlich gestiegen,
doch wir wussten, dass es eine schwierige Saison wird. Der Punkt
in Skopje hat uns versöhnlich gestimmt und jetzt freuen wir uns
auf die nächsten Aufgaben in der Champions League”, sagt der
ehemalige Schweizer Nationalspieler. Vergleiche mit den Kadetten
Schaffhausen hält Rubin nicht für angebracht. „In Schaffhausen
herrschen Profibedingungen. Das sind Spieler, die internationale
Auftritte gewohnt sind. Wir hingegen können höchstens fünf Mal
pro Woche in der Halle trainieren – höchstens!”
Trotz der begrenzten Möglichkeiten gab sich der 49-Jährige vor
der Saison kämpferisch: „Wenn wir eine Chance auf einen Punkt-
gewinn haben, wollen wir diese auch ergreifen”, sagte Rubin. Mit
ein paar Monaten Abstand kann er die Situation nun besser
einordnen: „Als Trainer in einem semi-professionellen Klub kann
man nur begrenzt auf die Mannschaft einwirken. Während der
Champions-League-Phase trainieren wir höchstens noch einmal
in der Woche und halten Videositzungen ab. Die Spieler freuen
sich über die vielen Partien natürlich. Sie spielen lieber, als dass
sie trainieren”, so der Übungsleiter des Neulings.
Für die Kritiker waren die Auftritte der Thuner bisher enttäuschend
– nicht aber für den bescheidenen Klub selbst. Die ersten Auftritte
in der Königsklasse an sich zählen als Erfolg, als bedeutender Teil
der Klubgeschichte. „Wenn du in Skopje bei Metalurg spielst vor
5500 Zuschauern, dann läuft es dir eiskalt den Rücken runter.
Das sind ja nicht nur Handballfans, sondern auch Fußballfans und
Ultras. Das ist einzigartig. Und wir haben in der Höhle des Löwen
einen Punkt geholt. Das ist phänomenal”, erzählt Wacker-Coach
Rubin vom Höhepunkt in Mazedonien.
An die eigene Stärke glaubend: Wacker Thunlässt sich für die Königsklasse nicht verbiegen
Die vergangenen Monate haben den Verein sportlich sehr verändert.
Die Champions League hat den Berner Oberländern finanziell und
organisatorisch einiges abverlangt, doch sind sie sich treu geblieben.
Ihr Credo: Keine finanziellen Wagnisse eingehen, ein perfekter
Gastgeber sein und sich in Handball-Europa von der besten Seite
zeigen. Aus dem fernen Barcelona ist jetzt schon zu vernehmen,
dass man sich auf den Besuch in der Schweizer Hauptstadt sehr
freut. Für die bodenständigen Thuner ist die Champions League
ein wahrgewordenes Märchen, das sie weiterhin mitschreiben und
genießen wollen. Sie wissen die Gesamtsituation genau ein -
zuschätzen. „Wir Schweizer tun gut daran, die Champions League
zu genießen und nicht zu viel von ihr zu verlangen”, sagt Rubin.
„Nur so können wir uns langsam an das Niveau gewöhnen und
unsere Talente weiter ans Optimum heranführen. Als kleiner Verein
Druck zu erzeugen, um in der Königsklasse mithalten zu können,
wäre kontraproduktiv!”, so Rubin. Doch ganz gleich, wie das
Abenteuer Champions League für das Team aus Thun endet:
Wacker ist in Europa kein Unbekannter mehr. �
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Reto Zwahlen, seit Anfang
2013 Präsident von Wacker
Thun, zur aktuell schwieri-
gen Situation der Schweizer
Handballvereine in Europa.
Der 43-Jährige glaubt, die
Probleme könnten nicht von
den schweizer Klubs allein
gelöst werden:
„Es stellt sich die Frage, wie
hoch in Zukunft die Anfor -
derungen der EHF an die CL-Teilnehmer sein werden und
wie groß die Bereitschaft der EHF sein wird, die Aufwände
entsprechend abzugelten. Bleibt es so wie es aktuell ist,
werden die Schweizer Clubs einerseits das Umfeld weiter
und viel stärker professionalisieren müssen, um die zeitliche
Belastung aller Beteiligten entsprechend handhaben zu
können. Andererseits – und das ist der elementare Punkt –
müssen die Klubs von irgendwo großzügig finanziell unter-
stützt werden, um all die anfallenden Kosten, wie zum Bei-
spiel die Forderungen der EHF, oder die Anmietung von
entsprechenden Hallen dort, wo diese nicht vorhanden
sind, stemmen zu können. Es sind aber nicht nur die Klubs
gefordert: Auch der Schweizerische Handball Verband
steht in der Pflicht. Vor allem muss die Problematik der
Fernseh produkt für die kommenden Jahre auf oberster
Ebene geregelt werden.“
„Nicht nur die Klubs sind gefordert“
Trainer Martin Rubin trägt seit 2007 die Verantwortung
für die sportliche Entwicklung Wacker Thuns
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