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ISBN 0178-4757 Preis 4 Euro Das der Johannes Gutenberg-Universität Mainz 23. Jahrgang GEIST

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ISBN

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Prei

s 4

Euro

Das der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

23. Jahrgang

GEIST

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Wissensräume, liebe Leser, sind ein Thema unbe-grenzter Variationsmöglichkeiten in mehr als dreiDimensionen. Dieses Heft bietet Themen, die univer-sitäre Forschung, Forschungsergebnisse und Perspek-tiven aufzeigen. Der Schwerpunkt liegt beimHistorisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszen-trum (HKFZ) Mainz – Trier. Weitere Beiträge kommenaus der Psychologie, Betriebswirtschaft, Kernphysik,Pharmazie, Anthropologie und Musik. Dahinter stehtein Konzept, mit dem die Präsentation von Wissen-schaft finanzierbar bleiben soll, weil das Geld für denDruck dieses Heftes aus den Anzeigen kommt, wofürwir uns herzlich bedanken.

Die Finanzierung von Wissenschaft überhauptist ein großes Thema dieser Tage, da Geld für For-schung und Lehre knapp ist, wobei die Bedeutung fürdie Gesellschaft nicht in Frage gestellt wird. Für unse-re Universität weist der Jahresbericht 2006 des Präsi-denten 245 Mio Euro aus. Ein Betrag, der vieles er-möglichen sollte.

Die durch die Exzellenzinitiative freigesetztenKräfte haben in unserer Johannes Gutenberg-Uni-versität zu neuen für die Strategie der Universitätrelevanten Strukturen geführt.

Mit der „Gutenberg-Akademie“ wird ange-strebt, die besten zwei Prozent der Doktorandinnenund Doktoranden gezielt zu fördern, indem sie mit

hervorragenden Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftlern ins Gespräch kommen und indem gleich-zeitig Netzwerkverbindungen zu externen Mentorengeknüpft werden.

Das „Gutenberg Forschungskolleg“ als zweiteneue Einrichtung zur Förderung der Exzellenz wirdden Präsidenten und die Fachbereiche strategisch be-raten und mit eigenen Mitteln nach eigener Ent-scheidung die Forschung der Johannes Gutenberg-Universität nach innen und außen fördern.

Schließlich ist auch der öffentliche Raum unse-res Campus einer Sichtung unterzogen worden, diezur Herausarbeitung von Strukturen geführt hat unddamit zu Grundlagen zukünftiger Baumaßnahmenund nach deren Umsetzung zu einem neuen Lebens-gefühl hier auf dem Campus führen kann.

Angesichts der vielfältigen Themen in diesemHeft liegt ein einfaches Fazit nahe:

Die vorliegenden Beiträge reflektieren Aspekteder Wissenschaften, in denen wir leben und arbeitenund deren Zukunft wir in jedem Falle mit gestalten.

Die Ressourcen mögen knapp sein, aber esliegt an uns, das Beste daraus zu machen.

Ihr

Prof. Johannes PreußVizepräsident für Forschung

EDITORIAL

3FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

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INHALT

IMPRESSUM

5FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

Räume des WissensVon Mechthild Dreyer

Von Schmitt und Schmitz und von Leppla und RaquetEin Familiennamenatlas für das WestmitteldeutscheVon Rudolf Steffens

Wissen und seine Medialität in religiösen Kontexten der Frühen NeuzeitVon Irene Dingel, Elisabeth Oy-Marra, Volker Remmert und Oliver Scheiding

Rezeptwissen und Spezialwissen. Zur Konstituierung von politischen Räumen in spätmittelalterlichen StädtenVon Jörg Rogge

Fremdbilder – Selbstbilder: Kulturtransfer in höfischen Bildkonzepten des Alten ReichsVon Matthias Müller und Ruth Hansmann

Eine deutsche Geniza – Hebräische und aramäische Einbandfragmentein Mainz und TrierVon Andreas Lehnardt

Wissensraum und Herrschaftsraum ByzanzVon Jörg Drauschke, Michael Herdick und Klaus-Peter Todt

Werbung für ältere Konsumenten:Wie spricht man die Zielgruppe „50 plus“ am besten an?Von Axel Mattenklott, Ursula Hentschel und Nina Blum

Ist Preis gleich Preis? – Ein interkultureller Vergleich zwischen Deutschland und China Von Frank Huber, Frederik Meyer, Kai Vollhardt und Johannes Vogel

Asymmetrien denken. Zur „Geschichte des Wissens“ in der interkulturellen KulturwissenschaftVon Susanne Klengel

Das harmonische doppelseitige Mikrotron – Die neue, vierte Beschleunigerstufe des Mainzer MikrotronsVon Andreas Jankowiak

Ein neues Gewand für Arzneistoffe.Von einer einfachen Tablette zum Delivery-System Von Peter Langguth

Die Totenhütte von Benzingerode – Ein Blick in die VergangenheitVon Kurt W. Alt, Christian Meyer, Veit Dresely, Barbara Bramanti und Olaf Nehlich

Christoph Willibald Gluck: La Semiramide riconosciuta – Wiederaufführung im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen der Hochschule für Musik und dem Staatstheater MainzVon Carolin Lauer und Kristina Pfarr

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Der Präsident der Johannes Gutenberg-UniversitätMainz, Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch

Petra GiegerichLeiterin Bereich Öffentlichkeitsarbeit

Bettina Leinauer

Tel.: 06131 39-22369, 39-26112Fax: 06131 39-24139E-Mail: [email protected]

4.000 Exemplare, die Zeitschrifterscheint zweimal im Jahr

Thomas Design, Freiburg

„Wissensräume“Thomas Hartmann, Taunusstein

Bereich Öffentlichkeitsarbeit

die webfabrik GmbHKapellenstrasse 22D-55124 MainzAnzeigenleitung:Martina WeyerhäuserTel: +49 (0)6131 46519-42Fax: +49 (0)6131 46519-99E-Mail: [email protected]://www.webfabrik.net

Werbedruck GmbH Horst Schreckhase,Spangenberg

Themenschwerpunkt: Historisch-Kulturwissenschaftliches Forschungszentrum

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Der Raum ist derzeit ein aktuelles Thema kulturwis-senschaftlicher Forschung. Dabei wird der Raumeinerseits im umgangssprachlichen Sinn des Wortesuntersucht, d. i. der Raum als ein dreidimensionalesGebilde, in dem sich – wie in einem Behältnis – et-was befindet oder mit dem – wie mit einem Behältnis– Handlungen, Techniken und Inhalte verknüpft sind.Andererseits wird insbesondere in den gesellschafts-und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen derRaum als ein dynamisches Gebilde gefasst, das imZuge menschlicher Vergesellschaftungsprozesseallererst konstituiert und durch sie aufrechterhaltenwird. Bereits diese beiden Raumverständnisse zei-gen, dass der Raumbegriff gerade aus kulturwissen-schaftlicher Perspektive polysemantisch und vieldi-mensional bestimmt werden muss und die jeweiligeVerwendungsweise nicht im Sinne einer austausch-baren Metapher verstanden werden darf. In diesemForschungszusammenhang hat allerdings bislangkaum Beachtung gefunden, dass der kulturelleUmgang mit dem an sich unstofflichen Phänomendes Wissens ein ebenso wichtiges wie traditionsrei-ches Anwendungsfeld der Raumkategorie bildet, unddies sowohl in der physikalischen als auch in der so-zialwissenschaftlichen Lesart des Raumes. Die Ver-bindung von Wissen und Raum, d. h. der BegriffWissensraum, evoziert vor diesem Hintergrund einer-seits die Vorstellung von Bibliotheken, in denenWissen in Buchform gesammelt und architektonischverräumlicht präsentiert wird. Andererseits fassenauch die Informationstechnologien im Feld von Inter-und Intranet Wissen als im virtuellen Raum lokalisiertund lokalisierbar auf. Als ein weiteres Beispiel wäreauch der Verbund einer Forschergruppe anzusehen:Durch ihr Fachwissen, das die Beteiligten miteinan-der erwerben und austauschen, konstituieren sieeinen ihnen gemeinsamen Wissensraum, in dem siesich als Spezialisten hervorheben und gegenübereiner undefinierten Menge von „Nicht-Fachleuten“abgrenzen können.

Das Historisch-Kulturwissenschaftliche For-schungszentrum (HKFZ) Mainz-Trier widmet sich ineiner Vielzahl von Einzelprojekten dem Zusammen-hang von Wissen und Raumstruktur. Das Zentrumbesteht seit Sommer 2005 und wird im Rahmen desProgramms „Wissen schafft Zukunft“ vom LandRheinland-Pfalz gefördert. Als Träger des Zentrumsfungieren die Universitäten Mainz und Trier. ImZentrum wirken auch Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler aus anderen Forschungseinrich-

tungen beider Städte mit; hinzu kommen Koopera-tionspartner aus ganz Deutschland und dem deutsch-sprachigen Ausland.

Die Erfassung und Deutung des PhänomensWissen mit Hilfe von Raumvorstellungen ist keinespezifisch moderne Erscheinung, sondern reicht bis indie griechische Antike zurück. Zu beobachten ist je-doch, dass diese historischen Erfahrungen mit räum-lichen Organisationsformen von Wissen weitgehendverloren gegangen sind, obgleich der Raum alsAusdrucksform von Möglichkeiten des Denkens wei-terhin benutzt wird. Deshalb erscheint es notwendig,die Auseinandersetzung mit aktuellen Fragestellun-gen an historische Untersuchungen zurückzubinden,um so die Lösung aktueller Probleme in Kenntnis dergeschichtlichen Hintergründe ihrer Sachverhalte zuermöglichen. Die historische Forschungsperspektiveerlaubt zudem zu fragen, ob dem Zusammenhangvon Wissen und Raum eine diachrone Kontinuitätbspw. in der europäischen Kultur zugesprochen wer-den kann.

Der thematische Schwerpunkt Wissensräumeist derzeit Gegenstand von acht Arbeitsgruppen. Die-se sind: 1. Konstitutionsbedingungen von Wissens-räumen, 2. Raum als Organisationsmodus von Wis-sen in literarischen Texten, 3. Wissensraum Stadt, 4.Herrschafts- und Wissensraum Byzanz, 5. Medienund Methoden der Konstruktion von Wissensräumen,6. Technik und Wissensraum, 7. Wissensräume reli-giöser Gruppen in der Frühen Neuzeit, 8. Wissens-raum Sprache. Das Thema ermöglicht durch sein brei-tes Spektrum an Fragehorizonten, eine Vielzahl un-terschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen inter-und transdisziplinär zu vernetzen. Derzeit sind fol-gende Disziplinen mit Teilprojekten im Forschungs-zentrum vertreten: Bibliothekswissenschaft, Byzan-tinische Kunstgeschichte, Byzantinistik, Computer-Philologie, Evangelische und Katholische Theologie,Germanistik, Geschichte, Jiddistik, Klassische Philo-logie, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Phi-losophie, Romanistik und Wissenschaftsgeschichte.Ein Teil der Projekte wird mit modernen Digitali-sierungstechniken durchgeführt. Damit schlägt dasGesamtforschungsprojekt Wissensräume eine Brückezwischen aktuellem, systematischem und techni-schem Umgang mit der Raumstruktur und Raum-formung von Wissen, was gerade durch die Erfor-schung von historischen Wissensräumen seineGrundlage erhält.

Ob zu Hause, in der Bibliothek,an der Universität, aber auch im

Archiv, im Internet auf den Daten-autobahnen – überall wird Wissen

in Räumen gesammelt, aufbewahrtund zugänglich gemacht – überall

finden wir Wissensräume.

HKFZ

Von Mechthild Dreyer

Räume des Wissens

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Die Forschungsergebnisse des HKFZ werden ineiner eigenen Buchreihe im Akademie-Verlag Berlinunter dem Titel Beiträge zu den Historischen Kultur-wissenschaften publiziert. Die ersten Bände erschei-nen in diesem Jahr.

Die nachfolgenden Beiträge stellen sechs Ein-zelprojekte aus den verschiedenen Arbeitsgruppendes HKFZ vor. Sie zeigen exemplarisch, wie in unter-schiedlichen Kontexten Raum und Wissen in einemsachlichen Zusammenhang stehen und wie derBegriff des Wissensraumes das inter- und transdiszi-plinäre Gespräch zwischen den Einzelbereichen derhistorischen Kulturwissenschaften ermöglicht.

HKFZ

7FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

■ Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Mechthild DreyerPhilosophisches SeminarJohannes Gutenberg-Universität MainzJakob-Welder-Weg 1855128 MainzTel. +49 (0) 6131 39-22264 oder -22925Fax +49 (0) 6131 39-20889E-Mail: [email protected]://www.dreyer.philosophie.uni-mainz.de/http://www.hkfz.info

Univ.-Prof. Dr.Mechthild Dreyer

Mechthild Dreyer, geboren1955, studierte KatholischeTheologie, Philosophie undPädagogik an der Universi-tät Bonn, wo sie 1980 dasDiplom im Fach Katholische

Theologie erhielt. 1984 folgte die Promotion und1995 die Habilitation im Fach Philosophie. NachAssistenten-Jahren in Freiburg, Berlin und Bonnwurde sie 1995 stellvertretende Direktorin am Alber-tus-Magnus-Institut in Bonn. 1997 erhielt sie denPreis der Nordrhein-Westfälischen Akademie derWissenschaften. 1999 wurde sie apl. Professor inBonn. Es folgte eine Kurzzeitdozentur am Depart-ment of Philosophy der Loyola Marymount Universityin Los Angeles. Im selben Jahr wurde sie auf die C4-Professur für Philosophie des Mittelalters an dieUniversität Mainz berufen. Sie ist Mitglied derSchriftleitung Archa Verbi, des WissenschaftlichenBeirates des Philosophischen Jahrbuchs, Sprecherindes Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungs-zentrums Mainz-Trier sowie stellvertretende Vor-sitzende des Hochschulrates der Universität Mainz.

■ Summary Although the concept of space has become a pro-minent theme in cultural historic research, littleattention has been paid to the insight that culturalcoping with knowledge constitutes a field to whichthe category of space is applicable. In a broad rangeof projects, the Center for Historical-Cultural Studies(HKFZ) Mainz-Trier devotes itself to understandingthe connection between knowledge and space. Thethematic focus on “spaces of knowledge“ is present-ly an objective for eight sub-divisions of the Center:1. Conditions of the constitution of knowledgespaces, 2. Space as organizational mode forknowledge in literary texts, 3. The city as space ofknowledge, 4. Byzanz as a space of power and spaceof knowledge, 5. Media and methods for the con-struction of knowledge spaces, 6. Technology andspaces of knowledge, 7. Spaces of knowledge of reli-gious groups in the early modern period, 8. Linguisticknowledge spaces. The projects presented in the fol-lowing give special attention to the historic dimen-sion of that connection.

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Der „Kleine Atlas westmitteldeutscher Familien-namen“ versteht sich als regionale Ergänzung undVerfeinerung des Groß-Projektes „DeutscherFamiliennamenatlas (DFA)“. Der DFA ist mit seinenbeiden von der Deutschen Forschungsgemeinschaftfinanzierten Arbeitsstellen an den UniversitätenMainz (Leitung: Prof. Dr. Damaris Nübling) undFreiburg (Leitung: Prof. Dr. Konrad Kunze) einLangzeitprojekt. Er wird auf mehr als 1000 Karten diedeutschlandweite Verbreitung von Familiennamenund vor allem von Familiennamentypen dokumentie-ren und wissenschaftlich kommentieren. Beim„Kleinen Atlas“ handelt es sich um ein Arbeits-vorhaben des Instituts für Geschichtliche Landes-

kunde an der Universität Mainz. Beide Atlanten grei-fen auf elektronisch gespeicherte Daten zurück, näm-lich die Festnetzanschlüsse. Hatte man in denAchtziger- und Neunzigerjahren des vergangenenJahrhunderts Telefonbucheinträge als Quellen für dieFamiliennamengeographie ausgewertet, so stehender Personennamenkunde (Anthroponymie) heutegewaltige digitale Datenbestände zur Verfügung. DasNamenmaterial (einzelne Namen, auch Namentypenwie Carstensen, Jörgensen) wird durch hierfür entwi-ckelte Programme durchsucht und die Verbreitungauf der Fläche durch Kartierprogramme auf Post-leitzahlbezirke oder auf administrative Einheiten wieLandkreise projiziert.

Der „Kleine Atlas“ benutzt die Festnetzan-schluss-Daten aus dem Jahre 1995. Welche Namensollen nun in diesem Atlas dokumentiert werden? Essind solche, die schwerpunktmäßig im Dialektbereichdes Westmitteldeutschen vorkommen, ein Gebiet,das in seiner Süd-Nord-Ausdehnung als der Bereichvon etwa Speyer bis etwa Düsseldorf beschriebenwerden kann. Wenn man moderne administrativeGrenzen zugrunde legt, wird der Atlas Namen derBundesländer Saarland, Rheinland-Pfalz und Hessenerfassen, wobei Nordrhein-Westfalen mit seinemsüdlichen Teil und Baden-Württemberg mit einemNordwest-Zipfel in das Areal hineinragen. Der„Kleine Atlas westmitteldeutscher Familiennamen“fungiert als Teilprojekt 02 im Arbeitsbereich VI„Technik und Wissensraum“ des Historisch-kultur-wissenschaftlichen Forschungszentrums Mainz-Trier.

Familiennamen sind im deutschen Sprach-gebiet vor allem im späten Mittelalter entstanden.Sie speisen sich aus fünf Quellbereichen:

– Familiennamen aus Rufnamen: dabei sindsolche aus germanischen Rufnamen (Friedrich, Kuhn,Walter) von denen aus biblischen (Peters, Petry) undanderen christlichen Rufnamen (Franz, Valentin) zuunterscheiden.

– Familienamen nach der Herkunft: dies warenzunächst Namen für Fremde. Es kann sich hier umeinfache Ortsnamen handeln wie Darmstadt oderGemünden. Sehr viel häufiger sind mit -er gebildeteNamen vom Typus Adenauer (Adenau in der Eifel).

– Familiennamen nach der Wohnstätte: mitdiesen Namen wurden Einheimische benannt:Steeger „der am Steeg wohnt“, Steiner „der amStein, am Felsen wohnt“, Neuhaus „der im neuenHaus wohnt“, Backes „der im/am Backhaus wohnt“.

Familiennamen sind in Deutsch-land vorwiegend im späten

Mittelalter aufgekommen. IhreVerbreitung kann heute mit

modernen Computerprogrammengenau dokumentiert werden.

HKFZ – LANDESKUNDE

Von Rudolf Steffens

Von Schmitt und Schmitz und von Leppla und RaquetEin Familiennamenatlas für das Westmitteldeutsche

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Abb. 1: Verbreitung derFamiliennamen Schmitz

und Schmitt

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– Familiennamen aus Berufsbezeichnungen:hier sind die direkten Berufsnamen (Müller, Schmidt,Schneider) von indirekten zu unterscheiden (Stoiberfür den Müller, Funke oder Hammer für den Schmied).

– Familiennamen aus Übernamen: Diese bezie-hen sich vor allem auf körperliche (Groß/Große/Grote, Lang, Kurz, Klein, Schwarz, Weiß) und charak-terliche (Ehrlich, Fröhlich, Grimm) Eigenschaften.

Schmitt und Schmitz

Die 14 häufigsten Familiennamen in Deutschlandsind (nach Festnetzanschlüssen des Jahres 1995) dieNamen Müller, Schmidt, Schneider, Fischer, Meyer,Weber, Schulz, Wagner, Becker, Hoffmann, Schäfer,Koch, Bauer, Schröder. Es sind allesamt Familien-namen aus Berufsbezeichnungen. Für Müller können269.984 Anschlüsse gezählt werden, das entsprichteinem Anteil von 9,5 Prozent. Auf Platz 15 folgt mitKlein (56.872 Anschlüsse) der erste Übername.Hartmann (Rang 26, 41.168 Anschlüsse) ist der häu-figste Familienname, der aus einem germanischenRufnamen entstanden ist. Mit Peters rangiert aufPosition 40 (32.193 Anschlüsse) der frequentestechristliche Rufname als Familienname. Im Arbeits-bereich des „Kleinen Atlas westmitteldeutscherFamiliennamen“ setzt sich die Rangliste etwasanders zusammen: Müller, Schmidt, Schmitz,Schneider, Becker, Weber, Klein, Schäfer, Hoffmann,Fischer. Es sei darauf hingewiesen, dass Klein hierschon Rang 7 einnimmt und mit Peters ein christli-cher Name bereits auf Position 26 zu finden ist.

Abb. 1 zeigt die Verbreitung der Familien-namen Schmitt (41.739 Anschlüsse) und Schmitz(44.012 Anschlüsse) nach dreistelligen Postleit-zahlbezirken. Beide gehören zur BerufsbezeichnungSchmied. In beiden Fällen haben die Namen kompak-te Räume ausgebildet. Dies war in dieser Genauigkeitbislang nicht bekannt. Schmidt (194.884 Anschlüsse)hingegen ist deutschlandweit ohne charakteristischeRaumbildung vorhanden. Es ist darauf hinzuweisen,dass auch in anderen Ländern die auf eine Be-zeichnung für den Schmied zurückzuführendenFamiliennamen überaus frequent sind. England/USA:Smith, Frankreich: Lefebvre, Levèvre; Italien: Ferrari;Spanien: Herrero; Polen: Kowalski; Ungarn: Kovács.

Von Servatius zu Zierfuß

Aus dem Namen des Hl. Servatius (Bischof vonTongern und Maastricht, gest. 384) ist eine ganze

Reihe von Familiennamen entstanden. Es handeltsich um Familiennamen aus einem ursprünglichenRufnamen: Servas, Serwas, Zervas, Zerfaß, Zerfas,Zerfass, Zirfas, Zirfass, Zirfaß, Zierfuß, Zehrfuß,Zerbes, Faas, Faaß, Faatz und weitere. Die VollformServatius existiert zudem noch. Einzelne Namen sinddurch volksetymologische Umdeutungen so starkentstellt (Zehrfuß, Zierfuß), dass sich der Zusam-menhang mit Servatius kaum mehr erschließt.

HKFZ – LANDESKUNDE

9FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

Abb. 2: Verbreitung der huge-nottischen Familiennamen Besier,Guillaume, Hussong, Leppla undRaquet (Regionalkarte)

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Hugenottennamen

In Hessen und Rheinhessen, in der Pfalz und auch imSaarland finden sich gehäuft Familiennamen franzö-sischer Herkunft: Besier, Bouffier, Cezanne,Galle/Gallé, Gillot, Guillaume, Guttandin, Hussong,Lawall, Leppla und andere. Es dürfte sich um dieNamen von Hugenotten handeln, die seit Ende des17. Jahrhunderts Frankreich aus Glaubensgründenverließen. Einige der Namen sind so stark einge-deutscht worden, dass ihr französischer Ursprungkaum mehr sichtbar ist, wie zum Beispiel bei Lepplaaus LeBlanc. Abb. 2 kartiert die Namen Besier,Guillaume, Hussong, Leppla und Raquet nach vier-stelligen Postleitzahlbereichen (Regionalkarte).

Der Name Backes

Bis weit in die Neuzeit hinein war es üblich, Brot imGemeindebackhaus zu backen. Es sollte aus Brand-schutzgründen vermieden werden, dass in denPrivathäusern gebacken wurde. Oft befand sich in derNähe des Backhauses ein Brandweiher. Die Frauenbereiteten den Teig zu Hause vor und schafften ihnins Backhaus. Welche Familie wann und wie vieleStunden die meist zwei Backöfen benutzen durfte,wurde vorher vereinbart oder ausgelost. Die Dialekt-bezeichnung für das Backhaus ist im Westmittel-deutschen der Backes (Abb. 3). Beim FamiliennamenBackes handelt es sich um einen Wohnstättennamenfür jemanden, der am/im Backhaus der Gemeindewohnte oder dort beschäftigt war.

In der Vollform Backhaus (3.476 Telefon-anschlüsse) tritt der Name vorwiegend nördlich einerLine Köln/Erfurt auf, also weitgehend außerhalb desArbeitsgebietes des „Kleinen Atlasses“. Backes(2.987 Anschlüsse) hingegen ist ein Name, der fastausschließlich im Saarland einen hohen prozentualenAnteil am gesamten Namenbestand hat.

HKFZ – LANDESKUNDE

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Dr. phil.Rudolf Steffens

Rudolf Steffens, geboren1954 in Simmern im Huns-rück, studierte Germanistik,Geschichte und Erziehungs-wissenschaften an der Jo-

hannes Gutenberg-Universität Mainz. 1981 legte erdas Erste Staatsexamen für das Lehramt an Gym-nasien ab, 1987 erfolgte die Promotion in histori-scher Sprachwissenschaft. Er ist seit 1981 am Institutfür Geschichtliche Landeskunde beschäftigt. Steffensist am Deutschen Institut der Universität in der Lehretätig und hat Publikationen zum Frühneuhoch-deutschen, zur Personennamenkunde und zur histori-schen Fachsprache des Weinbaus veröffentlicht.

■ Kontakt

Dr. phil. Rudolf SteffensInstitut für Geschichtliche Landeskundean der Universität MainzAbt. II: Landeskundliche Sprach- und VolksforschungJohann-Friedrich-von-Pfeiffer-Weg 355099 MainzTel. +49 (0) 6131 39-24828Fax +49 (0) 6131 39-25508E-Mail: [email protected]://www.igl.uni-mainz.dehttp://www.familiennamenatlas.de

Foto

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Abb. 3:Backhaus (Backes) in Dexheim,

Kreis Mainz-Bingen, aus dem Jahre 1636. Renoviert um 1985.

■ Summary Surnames emerge in Germany before all in the LateMiddle Ages. Profession names like Müller, Schmidt,Schneider are the most frequent surnames. The„Kleine Atlas westmitteldeutscher Familiennamen”is planned as a regional amendment to the project„Deutscher Familiennamenatlas / German SurnameAtlas”, financed by the Deutsche Forschungs-gemeinschaft / German Research Foundation. Theatlas will map those surnames, which mainly occur inthe westmitteldeutsch language area, first off all inthe federal states of Rhineland-Palatinate, Hesse andSaarland. The databasis consists of all fixed networktelephone lines. Postal code areas serve as a pointof reference.

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HKFZ – RELIGIONEN

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Das 16. und 17. Jahrhundert zeichnet sich in Europanicht nur durch Religionsgespräche und Konfessions-kriege aus, sondern auch durch die Gründung zahlrei-cher religiöser Gruppen innerhalb der großen christli-chen Konfessionen. Solche Gruppierungen waren vorallem auch darum bemüht, durch die Abgrenzungvon anderen, u.U. konkurrierenden Gemeinschafteneine eigene Identität herauszubilden. Dabei spielt dieAneignung und Vermittlung von Wissen eine bishernur ungenügend beachtete Rolle. Zur Durchsetzungihrer Geltungsansprüche bedienten sich religiöseGruppen verschiedenster Medien. Seit langem weistdie Forschung darauf hin, welche unterschiedlichenMedien in der Auseinandersetzung um Fragen vonGlauben und Lehre eingesetzt wurden. Selbst wennes im Protestantismus harsche Kritik an der Bilder-verehrung gab, bedeutete dies keineswegs, dass mandie Bildpublizistik nicht gezielt für die eigenenInteressen fruchtbar machte und darüber hinausweitere öffentlichkeitswirksame Medien, von derRhetorik bis hin zu Streitschriften und Musik, heran-zog, um die eigenen Anliegen zu propagieren undandere davon zu überzeugen. In dem geplantenForschungsprojekt haben sich Wissenschaftler ausvier Disziplinen – Evangelische Theologie, Amerika-nistik, Geschichte der Naturwissenschaften undKunstgeschichte – zusammengefunden, um beispiel-haft und in vergleichender Perspektive unterschiedli-che religiösen Gruppen wie Jesuiten, Lutheraner undPuritaner auf ihr Verhältnis zu Wissen und seinerMedialität im Hinblick auf ihre Formierung und Iden-titätsbildung zu untersuchen.

Die Jesuiten sind im 17. Jahrhundert in zweier-lei Hinsicht eine globale intellektuelle Elite. Einerseitshat ihre religiöse und kulturelle Missionstätigkeit

sie weit über die Grenzen des von politischen undreligiösen Spannungen gekennzeichneten Europahinaus nach Asien und auf den gesamten amerikani-schen Kontinent geführt. Andererseits hat der Ordenseit seiner Gründung im Jahr 1540 ein außerordent-lich reges intellektuelles Leben entfaltet, das mit sei-ner Entwicklung zum Lehrorden einherging. DieGründung des ersten Jesuitenkollegs in Messina1548 markierte den Beginn einer rasanten Ent-wicklung: 1615 gab es bereits knapp 300 Jesuiten-kollegien und 1750 mehr als 650. Wissen und seineVermittlung spielten also eine zentrale Rolle im Jesu-itenorden.

Das weltumspannende Netz der jesuitischenMission und das dichte Netz von Jesuitenkollegienund -universitäten in Europa war als „corporatestructure“ von einer strukturellen Dynamik gekenn-zeichnet, die ihresgleichen nicht hatte. Daher kommtim Jesuitenorden der Problematik der Konturierungeines inhaltlich wie geographisch globalen Wissens-raums große Bedeutung zu.

Um ihre Identität auszubilden undnach außen sichtbar zu machen,haben sich religiöse Gruppen wiedie Jesuiten, Lutheraner und Puri-taner verschiedener Wissensfor-men bedient – von der Literaturund Rhetorik bis zur Kunst undMusik.

Von Irene Dingel, Elisabeth Oy-Marra, Volker Remmert und Oliver Scheiding

Wissen und seine Medialität in religiösen Kontexten der Frühen Neuzeit

Abb. 1: Die weltweite Verbreitungder Gesellschaft Jesu (JohannesTollerarius, Societas Jesu toto orbediffusa implet prohetiam Malachiae,in: Imago primi saeculi societatisJesu, Antwerpen 1640, S. 3)

Abb. 2:Konversion von Königsreichen undProvinzen (Johannes Tollerarius,Regnorum et Provinciarum perSocietatem conversion, in:Imago primi saeculi societatis Jesu,Antwerpen 1640, S. 321)

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Wissen und seine Vermittlung spielen abernicht nur eine zentrale Rolle für die weltumgreifendeMissionstätigkeit des Jesuitenordens. Auch die Aus-dehnung protestantischer Glaubensrichtungen imZuge einer „trans-European Reformation” ging ein-her mit einer massiven Informations- und Wissens-expansion. So gründeten die puritanischen Neueng-länder 1636 Harvard College als geistiges Zentrumder religiösen Erziehung und errichteten gleichzeitigeine der frühesten Druckereien in den englischenKolonien Nordamerikas. Das erste in Nordamerikagedruckte Buch, The Whole Book of Psalms, erschien1640. Entgegen einer weithin verbreiteten Meinungwaren die protestantischen Glaubensgruppierungenin der neuen Welt allerdings keine religiösenHinterwäldler oder sektiererische Besserwisser, son-dern nahmen regen Anteil an einer internationalagierenden und den Atlantik überspannenden Buch-und Schriftkultur.

Im Gegensatz zu den Bestrebungen derJesuiten, eine Einheit von Wissen und Glauben herzu-stellen und Geschlossenheit zu demonstrieren, kenn-zeichnet den Puritanismus diesseits und jenseits desAtlantiks die Radikalisierung und Heterogenität sei-ner Glaubensrichtungen. Insbesondere der in Eng-land seit 1640 wütende Bürgerkrieg löste eine Hin-und Rückwanderungswelle zwischen den Kolonienund dem Mutterland aus, die begleitet wurde voneinem heftigen Richtungsstreit innerhalb der unter-schiedlichen protestantischen Glaubensgruppierun-gen. Sahen sich insbesondere die Puritaner gezwun-gen, radikales und fremdes Gedankengut in ihr calvi-nistisches Welt- und Kirchenbild zu integrieren, kames hierüber zu komplexen Aushandlungsprozessenzwischen traditionellen und heteronomen Wissens-beständen.

Hiervon zeugt eine facettenreiche Buch- undIllustrationskultur, die der „transeuropäische” Pro-testantismus hervorgebracht hat (Abb. 4). Apologe-tiken, Häresiographien, Katechismen, Erbauungs-und Pamphletliteratur, Reiseberichte und Historio-graphien sowie die religiöse Dichtung und die

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Abb. 3:Die Formung der Grundpfeiler

der Gesellschaft Jesu (JohannesTollerarius, Institutio iuventutis, in:Imago primi saeculi societatis Jesu,

Antwerpen 1640, S. 468)

Abb. 4: Die graphische Darstellungder Titelelemente der berühmten

Indian captivity-Erzählung von MaryRowlandson spiegelt die Hierarchie

der calvinistischen Glaubensord-nung wider.

The Souveraignty and Goodness ofGod, Together with the Faithfulnessof His Promises Displayed; Being aNarrative of the Captivity and Res-toration of Mrs. Mary Rowlandson.Cambridge: Samuel Green, 1682.

Niederschlag fand dieses Wissen nicht nur inden Büchern und Schriften gelehrter jesuitischerAutoren, sondern auch in Bildern. Der Orden bedien-te sich eines großen Spektrums von graphischenBildgattungen – vom Emblem über Titelblätter bis hinzum Thesenblatt –, in denen durchaus unabhängigvon dem ihnen zugeordneten Text unterschiedlicheWissensformen zum Ausdruck gebracht werden undBilder selbst einen Teil des Wissens ausmachen. Nichtzuletzt zählte sowohl der Vorgang der visuellenWahrnehmung als auch die künstlerische Arbeit zujenen Wissensgebieten, denen gerade die Jesuiten imRahmen ihrer intensiven Bildnutzung besondereAufmerksamkeit widmeten. Zur Verbreitung vonWissen und des Glaubens wurden in der GesellschaftJesu gezielt visuelle Strategien entwickelt, gelehrt,geübt und eingesetzt. Dabei steht das Interesse imVordergrund, innerhalb des Ordens die Einheit desWissens, bzw. die Vereinbarkeit von Glaube undWissen, ins Bild zu setzen und nach außen dieHomogenität des dynamischen jesuitischen Wissens-raumes und die damit verbundenen Macht- undGeltungsansprüche aufzuzeigen.

Als Beispiel seien hier drei Bilder aus der zumAnlass des hundertjährigen Bestehens des Ordensherausgegebenen Festschrift „Imago primi saeculi“von 1640 vorgestellt, die das Selbst- und Medien-bewusstsein des Ordens besonders betonen. Sie sindBestandteil von Emblemen und dementsprechendmit Titulus und Descriptio versehen, die die Bilderausdeuten, doch besitzen sie auch ohne dieseBeschreibung eine große Ausdruckskraft. Stolz wirdin der Abbildung 1 auf die Verbreitung des Ordensauf der ganzen Weltkugel verwiesen und im Titel mitder Prophezeiung des Propheten Maleachi inVerbindung gebracht, der natürlich nicht für denOrden, sondern für das Schicksal des jüdischenVolkes sprach (Abb. 1). Für die Bildpublizistik typischwird der globale Geltungsanspruch des Ordens mitkonkretem Wissen über die Geographie der Erde unddem theologischen Wissen der Bibel verknüpft. Ganzähnlich kommt der globale Anspruch auch in einemanderen Bild zum Ausdruck (Abb. 2). Hier wird dieDrehung der Erde als himmlische Mechanik darge-stellt, womit auf eine Technik zurückgegriffen wird,die die Zeit besonders beschäftigt hat und die manals Grundlage aller Bewegung in der Natur vermute-te. Dass im Orden die Medien auch eigens reflektiertwurden, zeigt die dritte Abbildung, auf der einBildhauer bei der Arbeit zu sehen ist. Die Statuen, dieer bereits geschaffen hat, lassen sich deutlich erken-nen. Ganz links ist ein antiker Redner offenbar alsPersonifikation der Rhetorik zu erkennen, währendrechts im Hintergrund eine Frauenstatue, die Theo-logie repräsentierend, zu sehen ist (Abb. 3). So gehenRhetorik, Theologie und bildende Künste im jesuiti-schen Verständnis eine enge Verbindung ein.

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Lehrbücher sind Beispiele vielschichtiger Wissens-formen, in denen sich literarische und visuelle Stra-tegien überkreuzen. Wurde die asketische Weltsichtdes Puritanismus häufig als Gegenpol zum barockenPomp der katholischen Gegenreformation verstan-den, so ging damit zugleich eine Vorstellung vonWissen und seiner Medialität einher, welche die aufeinfachen Formen beruhende puritanische Liturgieauf die Kunst und Literatur übertrug. Das unermüd-lich vorgebrachte Zitat “God’s Altar needs not ourpollishings” diente häufig in der Forschung alsBeweis für die Blindheit der Puritaner gegenüberästhetischen Genüssen und ihrer strikten Ablehnungbildhafter und metaphorischer Formen der Wissens-vermittlung.

Wenig Berücksichtigung findet die Tatsache,dass die Puritaner Strategien der Wissensvermittlungentwickelten, die hochgradig intermedial und inter-textuell operieren. So nimmt etwa William Bradford(1590-1657) in seinem Geschichtswerk Of PlimmothPlantation (1630-1646) Anleihen bei der italienischenHistoriographie der Renaissance und ruft zugleich diebekannte Ikonographie protestantischer Märtyrerwach, die ihm aus der Lektüre der monumentalenKirchengeschichte von John Fox (The EcclesiasticallHistory, 1570) vertraut war. Die vielgelesene Heresio-graphy (1645-1661) von Ephraim Pagitt (1575-1647),eine Mischung aus skandalträchtiger Enthüllungs-story und Bildgeschichte, richtete sich vornehmlichgegen eine Liberalisierung orthodoxer Glaubens-grundsätze, wie es die Bildvignetten etwa zu denWiedertäufern, den Familisten und den Antinomiernnahelegen (Abb. 5). Ins Bild rutscht ebenso eineAttacke gegen den Jesuitenorden, emblematisch dar-gestellt in der Figur des Jesuiten mit Globus. DasAnzitieren der Weltkugel rekurriert auf Bildkonven-tionen der Jesuiten, die Pagitt jedoch radikal umwer-tet. Die Beispiele unterstreichen die Wechselseitigkeitliterarischer und bildsprachlicher Strategien in derDurchsetzung puritanischer Wissensordnungen.

Die Analyse der Funktionen und der Mediendieser visuell, literarisch und rhetorisch zur Erschei-nung gebrachten Wissensformen ist das Ziel diesesForschungsvorhabens. Dabei sollen bislang isoliertuntersuchte Phänomene religiöser Einzelkulturen im

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Abb. 5: Ephraim Pagitts bekannteHäresiographie erfuhr sechs Aus-gaben und ist ein beredtes Zeugnisgegen die Religionsfreiheit zwi-schen 1645 und 1661 in England.

Pagitt, Ephraim, 1575-1647.Heresiography, or, A description ofthe heretickes and sectaries sprangup in these latter times declaring1. their originall and first procee-dings, 2. their errors and blasphe-mies, 3. their severall sorts, 4. theiraudacious boldnesse in these dayes,5. the confutation of their errours,6. how they have beene punished,and suppressed amongst us hereto-fore / by Ephraim Pagitt.Sixth Edition. London: William Lee,1654.

■ Summary The sixteenth and seventeenth centuries saw thefounding of many new religious groups. While thesegroups desired to shape their own identity, they alsoclearly distanced themselves from other religiouscommunities. The role that the acquisition and com-munication of knowledge played in these identityformation processes has not been a major field ofstudy, although the use of different media in ques-tions of religion has been pointed out for some time.The research project looks at different religiousgroups (Jesuits, Lutherans, Puritans) to find out howliterary, rhetorical, and visual forms of knowledgehave helped shape the construction of their identi-ties.

Douglas Anderson: William Bradford’s Books: Of Plimmoth Plantation and the Printed World. Baltimore and London 2003.

Gauvin Alexander Bailey: Between Renaissance and Baroque: Jesuit Art in Rome, 1565-1610. Toronto 2003.

Philip F. Gura: A Glimpse of Sion’s Glory: Puritan Radicalism in New England, 1620-1660. Middletown 1984.

John W. O’Malley: Religious Culture in the Sixteenth Century: Preaching, Rhetoric, Spirituality, and Reform. Adershot 1993.

Volker Remmert: Widmung, Welterklärung und Wissenschaftslegitimierung: Titelbilder und ihre Funktionen in der

Wissenschaftlichen Revolution. Wiesbaden 2005.

Literatur

Zusammenspiel von Kunst-, Literatur- und Kultur-wissenschaft und der Wissenschaftsgeschichte ineine einheitliche Perspektive gebracht werden, umdie Wissensdynamik religiöser Kulturen im 17. Jahr-hundert systematisch zu erfassen und für benachbar-te Disziplinen in der Geschichtswissenschaft, derPhilosophie und Religionswissenschaft anschluss-fähig zu machen.

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■ Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Oy-MarraKunstgeschichteJohannes Gutenberg-Universität MainzBinger Straße 2655122 MainzTel. +49 (0) 6131 39-33875Fax +49 (0) 6131 39-30136E-Mail: [email protected]

Dr. phil. habil.Volker Remmert

Volker Remmert, geboren1966, ist wissenschaftlicherMitarbeiter in der Arbeits-gruppe Geschichte derMathematik und der Natur-wissenschaften am Mathe-

matischen Institut der Universität Mainz. Nach einemStudium der Geschichte und der Mathematik erhielter 1993 das Diplom in Mathematik, 1997 erfolgte diePromotion in Geschichte in Freiburg/Breisgau, 2003die Habilitation in Neuerer und Neuester Geschichtein Fribourg/Schweiz und 2006 die Umhabilitationnach Mainz: Geschichte der Mathematik und derNaturwissenschaften. Seine Arbeitsschwerpunktesind die Wissenschafts- und Kulturgeschichte derFrühen Neuzeit sowie Wissenschaftsgeschichte inDeutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Forschungs-stipendien führten ihn ans Warburg Institute(London), an die Herzog August Bibliothek Wolfen-büttel und das Dibner Institute for the History ofScience and Technology (MIT, Cambridge, Mass.).

Univ.-Prof. Dr.Oliver Scheiding

Oliver Scheiding, Jahrgang1963, ist seit 2004 Pro-fessor für amerikanischeLiteratur an der JohannesGutenberg-Univers i tätMainz. Zuvor war er Vertre-

tungsprofessor an der Albert-Ludwigs-UniversitätFreiburg i. Br. und von 1994 bis 2003 wissenschaftli-cher Mitarbeiter und Assistent an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Daneben führten ihn Lehr- undForschungstätigkeiten an nordamerikanische Univer-sitäten (u.a. University of Maryland, College Park;University of Washington, Seattle; Stanford Univer-sity). 1994 hatte er in der Amerikanistik an derUniversität Hamburg mit einer Arbeit zur politischenLiteratur der 1930er-Jahre in den USA promoviert.2001 folgte die Habilitation in der Amerikanistik ander Eberhard-Karls-Universität Tübingen mit einerStudie zum frühen amerikanischen Roman. Seine For-schungsschwerpunkte liegen in der Geschichte deramerikanischen Kolonialliteraturen.

Univ.-Prof. Dr.Elisabeth Oy-Marra

Elisabeth Oy-Marra, Jahr-gang 1959, ist seit 2004Professorin für Kunstge-schichte am Institut fürKunstgeschichte der Johan-nes Gutenberg-Universität

Mainz. Von 1991 bis 1996 war sie wissenschaftlicheAssistentin am Kunsthistorischen Institut in Florenz,1996 bis 2004 folgte eine Assistenz an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Hier wurde sie imFebruar 2003 mit einer Arbeit über „ProfaneRepräsentationskunst in Rom von Clemens VIII.Aldobrandini (1592–1605) bis Alexander VII. Chigi(1655-1667). Studien zu Funktion und Semantikrömischer Deckenfresken im höfischen Kontext.”habilitiert. Sie veröffentlichte zahlreiche Aufsätze zurKunst der frühen Neuzeit und hielt Vorträge zur Kunstdes 20. Jahrhunderts.

Univ.-Prof. Dr.phil. theol. habil.Irene Dingel

Irene Dingel, geboren 1956in Werdohl/Westfalen, hatEvangelische Theologie undRomanistik in Heidelbergund Paris studiert. 1981 bis

1982 war sie Lektorin und „Élève à titre étranger“ ander École Normale Supérieure (ENS) de Fontenay-aux-Roses, Frankreich. 1986 erfolgte die Promotion(Dr. phil.), 1993 die Habilitation (Historische Theo-logie) an der Ruperto Carola in Heidelberg. Von 1994bis 1998 war sie Professorin für Historische Theologiean der Johann Wolfgang Goethe-Universität inFrankfurt/M., seit 1998 ist sie Professorin für Kirchen-und Dogmengeschichte an der Evangelisch-Theolo-gischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Univer-sität. Sie ist Ordentliches Mitglied der Akademie derWissenschaften und der Literatur Mainz undDirektorin des Instituts für Europäische Geschichte inMainz, Abteilung Abendländische Religionsge-schichte.

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Von Jörg Rogge

Rezeptwissen und Spezialwissen. Zur Konstituierung von politischen Räumen in spätmittelalterlichen Städten

In der aktuellen Forschung in den Sozial- undKulturwissenschaften wird immer deutlicher heraus-gearbeitet, dass die Vorstellung vom Raum als einergeographisch-materiell beschreibbaren Einheit(euklidischer Raum, Container, „territoriale Folie“1)zu kurz greift. Die bisher oft vorgenommene Unter-scheidung von gegebenem Raum einerseits undMenschen (die in dem Raum agieren) andererseitswird sukzessive abgelöst von einem Modell, in demRaum zu einem dynamischen Gebilde wird, das inden (menschlichen) Handlungsablauf integriert ist.Räume erscheinen als physikalisch-kulturelle Mi-schungen, die sich wechselseitig bedingen und inei-nander abbilden. Konkret also: bebaute oder um-baute Orte können bei der entsprechenden sozialenZuschreibung und durch die entsprechenden kultu-rellen Codes zu Ausgangspunkten oder An-knüpfungspunkten für die Konstitution von sozialenund politischen Räumen werden.2

Politische Räume bilden Handlungsrahmen, indenen es u. a. um die Herstellung und Durchführungvon für die Bürger verbindlichen Entscheidungengeht. Solche politischen Räume können einerseitsdurch Bauten markiert sein und andererseits durchrelationale Anordnung von sozialen Gütern undMenschen konstituiert werden. Oder anders gewen-det: Indem Menschen aktiv die sozialen Güter undPersonen verknüpfen, entstehen Räume. Die Soziolo-gin Martina Löw spricht von Spacing, um das Posi-tionieren von Menschen, Gütern und symbolischenMarkierungen zu bezeichnen. Es ist ein Positionierenin Relation zu anderen Platzierungen: „Spacingbezeichnet bei beweglichen Gütern oder beiMenschen sowohl den Moment der Platzierung, alsauch die Bewegung zur nächsten Platzierung“. Dochzur Konstitution von Raum bedarf es auch einerSyntheseleistung, mit der „über Wahrnehmungs-,Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse […] Güterund Menschen zu Räumen zusammengefasst wer-den“.3 Dieser Ansatz zur Untersuchung von Raum-bildungsvorgängen ist auch geeignet, um nach denBedingungen und Wirkungen der Raumkonstitutionin vormodernen Gesellschaften zu fragen. ImFolgenden wird dies am Beispiel von Städten in derZeit des späten Mittelalters und zu Beginn der FrühenNeuzeit (14. bis 16. Jahrhundert) veranschaulicht.

In den spätmittelalterlichen Städten gab eseine topographisch-räumliche Ordnung, die funktio-nal von den Einwohnern und der Ratsobrigkeitgenutzt wurde – die Nachbarschaften, Pfarrbezirke

und Stadtviertel.4 Diese räumliche Einteilung dientezur Verwaltung und zur Organisation der Ver-teidigung. Die Stadtviertel oder Pfarren wurden alsSteuerbezirke genutzt, die Bewohner der Viertelwaren zum Teil für die Verteidigung der Mauern undTore verantwortlich. Diese Räume waren jedochimmer verschränkt mit solchen, oft nur kurzzeitigbestehenden Räumen, die durch das menschlicheHandeln generiert und konstituiert wurden.

Und für diese Konstruktionsleistung war auchWissen erforderlich. Die Akteure mussten bestimmteVorstellungen und bestimmtes Wissen vom Politi-schen haben, um politische Räume auf die eben skiz-zierte Weise konstituieren zu können. Um politischeRäume zu konstituieren, wurde vor allem auf Alltags-wissen zurückgegriffen. Dem Handeln lagen nicht sosehr die großen Ideen zugrunde, sondern eher vor-theoretisches Wissen, denn dieses Wissen bildet dieBedeutungs- und Sinnstruktur jeder menschlichenGesellschaft.5 Was jedermann weiß oder wissenkann, ist gesammelt in Glauben, Mythen, Werten,Sprichwortweisheiten, Normen. Es ist noch nicht inein theoretisches System gebracht oder integriert, eshandelt sich um „Rezeptwissen“. Es war ein Wissendavon, welche Voraussetzungen für ein friedlichesZusammenleben der Bürger erfüllt sein müssen. Inunserem konkreten Zusammenhang ist damit dasWissen um die Einrichtung der politischen Ordnung,die Form der politischen Partizipation am Rat, dieKenntnis der wichtigen politischen Aufgaben desRatsregimentes in den Städten gemeint.

Neben dem „Rezeptwissen“, an dem prinzi-piell alle Bürger Anteil haben konnten, gab es„Spezialwissen“, über das nur die Mitglieder desRatsregimentes verfügten bzw. solches Wissen, dasder Gemeinde bei Schwörtagen und im Zusammen-hang mit dem Ratswechsel einmal im Jahr vermitteltwurde. An dem jeweiligen Wissen teilzuhaben warwichtig für eventuelle Mitarbeit an der Konstruktionvon politischen Räumen.

Durch den Einsatz dieser Wissensformen zurSyntheseleistung und das Spacing wurden in denspätmittelalterlichen Städten politische Räume kon-stituiert, die man in idealtypischer Zuspitzung folgen-dermaßen unterscheiden kann:

Zunächst gab es den Geltungsbereich desStadtrechtes mit dem Rathaus als Zentrum. Von hieraus ergab sich ein politischer Raum, der deckungs-

Politische Räume – das sind zumBeispiel das Rathaus oder derRatssaal – werden nach einemneuen Ansatz in den Geistes-wissenschaften nicht nur durchden bebauten Raum definiert,sondern sie sind auch einErgebnis der handelndenMenschen in diesem Raum.

Abb. 1: Rathaus Mainz, AnsichtRheinfront. Rekonstruktion nachStadtansichten von 1565 und 1633

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gleich mit dem topographischen Stadtraum sein soll-te. Denn für den Stadtrat als Obrigkeit, der mit derVerantwortung für den „Gemeinen Nutzen“ sowiemit der Sicherung des Stadtfriedens betraut war,konnte es nur diesen politischen Raum geben, in denalle Bürger, ja sogar die Einwohner (Beisassen), ein-gebunden waren.

Weiter konnten in bestehenden Räumen durchbestimmtes Verhalten und die Anordnung derMenschen in diesem Raum weitere Räume entfaltetwerden. Das lässt sich am Beispiel von Rathäusernveranschaulichen. In Mainz z.B. saßen nach derRatserweiterung von 1332 die Ratsherren derGeschlechter, also die „Alten“, im Ratssaal auf derrechten Seite, die Ratsherren aus den Zünften, diesogenannten „Jungen“, auf der anderen Seite. Durchdie Sitzverteilung im Ratssaal wurde die Differenzzwischen den beiden Gruppen sichtbar gemacht.Denn es gab zwar de jure einen Rat, doch dieRatsherren der alten Geschlechter machten durch dieSitzordnung deutlich, dass de facto zwei politischeRäume bestanden. Die Ratsherren aus den Zünftensollten von ihrem Raum ausgeschlossen bleiben.Durch die Anordnung der Körper auf den Ratsbänkenwurde die formale Gleichheit aller Ratsmitgliederaufgehoben und die faktische Geschlossenheit desAlten Rates demonstriert. Verändert wurde dieseSitzordnung erst im Zusammenhang mit derVerfassungsänderung 1429, als sich am 10. Februardie 35 neuen Ratsherren in der Reihenfolge nachihrem Alter und nicht nach Zugehörigkeit zu den„Alten“ oder „Jungen“ auf die Ratsbänke setzten.

Wenn sich die Ratsherren zu Beratungen tra-fen, dann wurde nicht selten auch „Spezialwissen“mitgeteilt; die Diskussionen und teilweise auch dieErgebnisse der Ratssitzungen blieben geheim. DieRatsherren unterlagen einer Schweigepflicht. Zubestimmten Anlässen wurden jedoch die Türen des

Rathauses geöffnet und die Bürgerschaft erhieltZutritt. Im Zusammenhang mit dem Ratswechsel undder jährlichen Eidleistung der Bürger vor dem neuenRat wurden explizit auf Affirmation ausgerichtetepolitische Räume konstituiert. Das soll am Beispielvon Erfurt konkreter dargestellt werden. Laut derRatswahlordnung von 1453 wurden nämlich amSt. Stefans Tag (26. Dezember) die Bürger aufgefor-dert, sich auf dem Fischmarkt vor dem Rathaus zuversammeln, um von dort aus – nach Zünften undStadtvierteln geordnet – in den Ratssaal des Rat-hauses zu gehen. In Gruppen wurden die Bürgernach und nach in den Ratssaal eingelassen, um demneuen Rat zu huldigen. Während ihres Aufenthalteshatten die Bürger die Gelegenheit, die Ausstattungdes Saales zu betrachten. Die Motivschilde mitWappen, Evangelistensymbolen und Propheten oderauch die Rundschilde mit Freidanksprüchen solltendie Bürger zu tugendhaftem Leben motivieren; siestehen für die politischen Ordnungsvorstellungenund erinnerten insgesamt an das nötige Wissen zurSicherung des friedlichen Zusammenlebens in derStadt.6

Das Rathaus einer spätmittelalterlichen Stadtwar zweifellos das Zentrum des politischen Ge-schehens, gleichwohl sind aber auch politischeRäume in Nebenzentren konstituiert worden. Zu denwichtigen durch Mauern, Türen und Schwellen mar-kierten, institutionalisierten politischen Räumengehörten neben den Rathäusern als Nebenzentrender Macht die Versammlungsorte der zur politischenPartizipation am Rat berechtigten Gruppen.

In Mainz gehörten dazu neben der Münze, aufder sich die „Alten“ versammelten, die Stuben aufden beiden Häusern Mombaselier. Dort trafen sichdie Ratsherren der „Jungen“. Das waren dieRatsherren, die seit 1332 als Vertreter der Zünfte,zusammen mit den Ratsherren der Geschlechter –„den Alten“ – den Stadtrat bildeten. So wie die„Alten“ darauf achteten, die Distinktion zu den„Jungen“ im Rat durch die Sitzordnung aufrecht zuerhalten, so entwickelten die Ratsherren der„Jungen“ auf ihren Stuben einen eigenen, von denZünften getrennten, gesellschaftlichen und politi-schen Raum. Oder genauer: zwei Räume, denn in dereinen Stube versammelten sich die aktuellen, für jeein Jahr gewählten Ratsherren und in der anderendiejenigen, die im Jahr davor Ratsherren gewesenwaren und die mit ihrer Wiederwahl rechneten.

Die Räte und andere wichtige politischeGruppen in den Städten hatten mit ihren Stuben undHäusern je eigene Orte, in denen und von denen auspolitische Räume konstruiert werden konnten. DieseGruppen tendierten dazu, die Grenzen der politi-schen Räume eng zu fassen und sogar diejenigenGruppen der Bürger, die sie als Ratsherren vertretensollten – wie die „Jungen“ auf den Häusern

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Abb. 2: Der Ratssaal im alten Rat-haus in Erfurt. Aus: Ulman Weiss,Die frommen Bürger von Erfurt,Weimar 1988.

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Mombaselier in Mainz – aus diesem Raum auszu-schließen. Vergleichbares lässt sich auch für dieGesamtheit der Ratsherren feststellen, die sich einer-seits für das Ganze verantwortlich hielten, jedochandererseits den Zugang zu ihrem Raum auf demRathaus begrenzten.

Aber diesen institutionalisierten Räumen wur-den immer wieder andere Raumkonstruktionen ent-gegengestellt. Diese Räume wurden in erster Liniedurch die Körper von Menschen konstituiert undmarkiert, die zusammenkamen, um gegen die beste-henden politischen, auf Affirmation der Ordnung zie-lenden Räume zu protestieren; z. B. wenn durchspontane oder organisierte Protestversammlungenvor dem Rathaus der politische Raum vom Rathausauf den Platz oder die Straßen erweitert wurde. DieseRäume waren aus Sicht der Ratsherren kritisch, weilsie von ihnen nicht zu kontrollieren waren. Solche„Zusammenkünfte“ und „Zusammenrottungen“störten aus der Sicht des Regimentes denStadtfrieden und wurden in Mainz wie in Erfurt ver-boten und unter Strafe gestellt.

Gemeindeausschüsse hingegen waren besserlegitimiert, denn sie wurden gebildet, um im Auftragder mit der Politik des Rates unzufriedenen Bürgermit den Ratsherren zu verhandeln. In Erfurt wähltedie Gemeinde im Januar 1310 die sogenannten„Vierherren“. Das war eine Reaktion der Bürger aufdie als schlecht bewertete Ratspolitik. Diese vierMänner waren keine Mitglieder des Rates, hattenaber das Recht, sich ständig auf dem Rathaus aufzu-halten. Ihre Aufgabe war es, Beschwerden der Bürgerdirekt anzunehmen und vor den Rat zu bringen sowieaus den Bürgeranfragen Reformvorschläge zumachen und dem Rat vorzulegen. Mit der Platzierungder Vierherren auf dem Rathaus wurde ein politischerRaum aufgefaltet, den es zuvor nicht gegeben hat.Die Trennung von Obrigkeit (Rat) und Gemeindewurde auf diese Weise überbrückt.

So wurden die institutionalisierten, baulichmarkierten und begrenzten politischen Räume ineine differierende Raumbildung einbezogen. Gegendie affirmativen politischen Räume setztenMitglieder der Bürgerschaft konkurrierende politi-sche Räume durch ihre Anwesenheit (die Platzierungihrer Körper). So entstanden durch die Synthese derGebäude mit den durch die Bürger konstituiertenephemeren Räumen neue, größere politische Räume,in denen die Kommunikation zwischen der Rats-obrigkeit und den Bürgern verbessert werden konnte.

■ Summary There are some new approaches in the humanities,which consider political spaces as a result of givenmaterial space and the constitution of space throughhuman practise. These approaches help to investiga-

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■ Kontakt

Prof. Dr. Jörg RoggeHistorisches Seminar IIJohannes Gutenberg-Universität MainzSaarstr. 2155099 MainzTel. +49 (0) 6131 39-22433Fax +49 (0) 6131 39-24829E-Mail: [email protected]://www.unimainz.de/FB/Geschichte/hist2/index.html

Prof. Dr. Jörg Rogge

Jörg Rogge, geboren 1962in Bad Oeynhausen, stu-dierte Geschichte, Sozial-und Erziehungswissen-schaften an der UniversitätBielefeld. Von 1994 bis

2000 war er Assistent für Geschichte des Mittelaltersan den Universitäten in Halle und Mainz, nach derHabilitation an der Johannes Gutenberg-Universitätwar er von 2001 bis 2005 Hochschuldozent; seit2006 ist er Akademischer Rat und seit 2007 apl.Professor am Historischen Seminar der UniversitätMainz. Zu seinen Arbeitschwerpunkten zählen dieHerrschaftslegitimation und Praxis des mittelalterli-chen europäischen Königtums, Theorie- und Be-griffsgeschichte sowie die Gesellschaft und Kulturdes spätmittelalterlichen Stadtbürgertums. JörgRogge ist Mitbegründer und Arbeitsgruppensprecherdes Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungs-zentrums Mainz-Trier.

Literatur

1) Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt/M. 2001, S. 257.

2) Rudolf Maresch, Niels Weber, Permanenzen des Raumes, in: Dies. (Hg.), Raum-Wissen-Macht, Frankfurt/M. 2002, S. 7-30,

hier S. 12-14, Markus Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt/M. 2006.

3) Löw, Raumsoziologie, S. 159.

4) Jörg Rogge, Viertel, Bauer-, Nachbarschaften. Bemerkungen zu Gliederung und Funktion des Stadtraumes im 15. Jahrhundert,

in: Hanse-Städte-Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500, hrsg. von Matthias Puhle,

Magdeburg 1996, S. 231-240; Dietrich Denecke, Quartiere, Viertel, Nachbarschaften. Zur historisch-geograhischen,

tourismusorientierten Interpretation des innerstädtischen Gefüges, in: Die Alte Stadt 31, 2004, S. 104-116.

5) Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie,

Frankfurt/M. 1980 (orig. 1966), S. 16.

6) Uwe Heckert, Die Ausstattung des Großen Saales im alten Erfurter Rathaus. Ein Beitrag zum politischen Selbstverständnis

eines Stadtrates im späten Mittelalter, in: Mundus in Imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter.

Festgabe für Klaus Schreiner, hrsg. von Andrea Löther u. a., München 1996, S. 303-316.

te how political spaces in late medieval cities wereconstructed. To take part in the process of politicalspace building, the citizens needed knowledge of thepolitical order, forms of political participation, andthe goals of city politics. Institutionalized politicalspaces like the town hall and guild halls were veryimportant political spaces within a city. There havebeen different political spaces even inside the townhall, which were marked with the position of peoplewithin the room like in Mainz, where the councillors

of the Geschlechter (old families) sat on one benchand the councillors of the guilds (from younger fami-lies) sat on another bench in the council hall. In con-trast to political spaces in buildings, one can observeephemeral political spaces built by people whogathered in front of the town hall to protest, or whoformed committees to make suggestions in order toinfluence city politics. Consequently, new politicalspaces were constituted and the communication wit-hin them could improve.

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HKFZ – KUNSTGESCHICHTE

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Von Matthias Müller und Ruth Hansmann

Fremdbilder – Selbstbilder: Kulturtransfer in höfischenBildkonzepten des Alten Reichs

Fragen des Kulturtransfers werden in der kunsthisto-rischen Forschung erst seit wenigen Jahren systema-tisch analysiert. Der entscheidende Impuls ging dabeivon den modernen Kulturwissenschaften aus. Sowurden ab 1985 unter dem Stichwort transferts cul-turels in deutsch-französischer Zusammenarbeiterste Ansätze einer neuen kulturwissenschaftlichenPerspektive entwickelt. Protagonisten wie MichelEspagne, Matthias Middell und Michael Werneruntersuchten zunächst die neuzeitlichen Austausch-prozesse zwischen Deutschland und Frankreich,wobei die Wissenschaftler zugleich die kulturellenBedingtheiten der eigenen Herkunft und die sichdaraus ergebenden Formen der Zusammenarbeit re-flektierten.

Die neue Fragestellung stieß schnell auchaußerhalb ihres ursprünglichen Entstehungskon-textes auf großes Interesse. Im Bewusstsein der neugewonnenen Freiheit im gerade wiedervereinigtenBerlin fand 1992 unter Leitung von ThomasGaethgens der XXVIII Internationale Kongress fürKunstgeschichte mit dem Thema KünstlerischerAustausch statt. Diesen Rahmen nutzte Gaethgensfür die Forderung, die internationale Kunstwissen-schaft müsse eine fachspezifische Definition des kul-turwissenschaftlichen Untersuchungsansatzes desKulturtransfers und eine dementsprechende Metho-dologie entwickeln. Die Forderung nach einem spezi-fischen kunstwissenschaftlichen Instrumentariumwurde inzwischen durch die Ergebnisse einer Reihevon Einzeluntersuchungen, Sonderforschungsbe-reichen und Graduiertenkollegs eingelöst. In beson-derer Weise konnten so neue Perspektiven zu Themendes Kulturtransfers in der kunsthistorischen Mediä-vistik und Frühneuzeitforschung aufgezeigt werden.

Das kunstgeschichtliche Konzept Kulturtrans-fer grenzt sich bewusst von einer Kunstgeschichts-schreibung ab, die recht unspezifisch nur nach„Einflüssen“ fragt und dabei deutlich von der Vor-stellung einer gebenden Leitkultur und einer neh-menden Sekundärkultur bestimmt ist. Rezeptions-vorgänge, die das Vorbild abwandeln, werden hierbeiletztlich als Ausdruck eines mehr oder minder starkausgeprägten Kulturgefälles verstanden – und damitwird zugleich das Konstrukt eines einseitigenAbhängigkeitsverhältnisses verschiedener Kulturenpropagiert. Im Gegensatz dazu verlagert sich dasForschungsinteresse der kulturwissenschaftlich aus-gerichteten Kunstgeschichte einerseits auf dieRelation von Ausgangs- und Rezeptionskultur, sodass

nicht nur der Export, sondern auch der Wille und dieBereitschaft zum Import von künstlerischen Ele-menten, die einer fremden kulturellen Praxis ent-stammen, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Inden Blickpunkt geraten andererseits gerade derProzess des Transfers und die Fragen nach denAnlässen und äußeren Bedingungen, den Trägern,Mitteln und künstlerischen Medien und nach denbeabsichtigten und erreichten Zwecken und Funk-tionen des Austauschs. Auch Form und Grad desTransfers und die Position der rezipierten Bestand-teile im alten und neuen Bezugssystem werden imRahmen dieses Ansatzes differenziert betrachtet.

Kunstwerke lassen sich in diesem Kontext alsMedien, als kostbare Objekte und auch als spezifi-sche Produkte des Kulturtransfers betrachten. Für dieden Kulturtransfer thematisierende Kunstgeschichts-forschung verkörpern sie Quellen, die mit ihrer künst-lerischen Bildsprache einen auf der ästhetischenEbene verlaufenden Diskurs über die Gültigkeit undWertigkeit unterschiedlicher Kulturmodelle zurAnschauung bringen. Auch die Museen als Orte der

Die deutschen Fürstenhöfe bilde-ten zu Beginn der Frühen Neu-zeit wichtige Zentren des kultu-rellen Austauschs. Ein DFG-Pro-jekt untersucht, wie sich in denBildthemen und BildkonzeptenDürers, Cranachs oder HansBaldung Griens der Einfluss derkulturellen Wechselbeziehungenmit den Niederlanden und Italienzeigt.

Abb. 1: Bernhard Strigel Die Familie Kaiser Maximilians I. um 1515 Kunsthistorisches Museum, Wien

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Bewahrung und Präsentation von Kunstwerkenhaben die methodische Erweiterung des Wissen-schaftsfachs Kunstgeschichte aufgegriffen und mitgroßen Ausstellungen reagiert, wie 1999 in Venedigmit Il Rinascimento a Venezia e la pittura del Nord atempi di Bellini, Dürer, Tiziano und 2000 in Brüggeunter dem Titel Jan van Eyck und seine Zeit: flämischeMeister und der Süden.

Anknüpfend an diese aktuellen kultur- undkunsthistorischen Fragestellungen untersucht dasvon der DFG geförderte Forschungsprojekt unter demTitel Kulturtransfer und Transkulturation als ästheti-scher und politisch-religiöser Diskurs in höfischenBildkonzepten des späten Mittelalters und der frühenNeuzeit im Alten Reich die Bedeutung deutscherFürstenhöfe für künstlerische Transferprozesse imnördlichen Europa am Übergang vom Spätmittelalterzur Frühen Neuzeit (ca. 1470-1550). Das Projekt istzugleich Bestandteil eines übergreifenden, an denUniversitäten von Mainz, Göttingen und Greifswaldangesiedelten Gesamtvorhabens zum Thema Pro-zesse des Kulturtransfers an deutschen Fürstenhöfendes späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Überdiesen Projektverbund hinausgehend ist dasForschungsprojekt gleichzeitig eingebunden in dieForschungsarbeit des Historisch-Kulturwissenschaft-lichen Forschungszentrums Mainz-Trier, dessenLeitthema „Wissensräume“ durch das Projekt aufvielfältige Weise thematisiert wird. Denn sowohl dieForschungsgegenstände (Malerei und Graphik spät-mittelalterlich-frühneuzeitlicher deutscher Fürsten-höfe, die als Medien der Reflexion von geschichtli-chem wie kulturellem Wissen fungierten) als auchder historische Kontext zur Zeit der Herausbildungvon international und interkulturell ausgerichteten

und konfessionell divergierenden Fürstenhöfen imAlten Reich, bezeichnen und beschreiben die Kon-turen von zentralen Wissensräumen der höfischenGesellschaft des 15. und 16. Jahrhunderts (Abb. 2).

Wie die Ergebnisse der jüngeren Residenz-forschung zeigen, ist der jeweilige Fürstenhof als einhochkomplexes personales und familiär geprägtesGebilde zu verstehen, dessen internationale Ver-netzung sowie Verortung in einer vielschichtigbegründeten ethisch-religiösen und historischenTradition die meisten Höfe zu bedeutenden Zentrenkultureller Austausch- und Verständigungsprozesseim Alten Reich werden ließen. Im Zentrum derUntersuchung stehen demnach die Wechselbezie-hungen zwischen den kulturellen Normen höfischerRepräsentation und den hierfür eingesetztenBildmedien der Tafelmalerei und der Druckgraphiksowie ihre Veränderung im Prozess des Kulturtrans-fers. Somit werden nicht vorrangig die kulturellenWechselbeziehungen zwischen den höfischen Insti-tutionen eines Territoriums, sondern die Höfe in ihrerübergeordneten Funktion als Katalysatoren undMultiplikatoren für kulturelle Transferprozesse unddie den künstlerischen Medien hierbei zugewiesenenFormen und Funktionen analysiert.

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dieRezeption und Transformation italienischer und nie-derländischer Bildkonzepte in den höfischen Bild-konzepten des Alten Reichs und die Bedeutung derIntegration fremder Bildmuster in vorhandene eigeneästhetische Traditionen für die verschiedenen Auf-gaben und Formen höfischer Repräsentation.Zentrale Themen der Untersuchung sind zum einendie bildkünstlerische Umsetzung der historiographi-schen, eine eigenständige „nordische Antike“ propa-gierenden Konzepte der deutschen Fürstenhöfe undzum anderen die Auswirkungen der Reformation undder von ihr geprägten Fürstenhöfe auf Rezeption undTransformation der italienischen oder niederländi-schen Bildkonzepte des 15. und 16. Jahrhunderts. Mitdiesen Themen verbunden sind Fragen nach demStatus der Künstler an deutschen Höfen und derHerausbildung von Künstlerkonkurrenzen als Be-standteil von Hofkonkurrenzen im Alten Reich.

Der gewählte Forschungsansatz geht somitweit über die bisherigen Versuche einer überwiegendstil-, motiv- oder künstlergeschichtlich argumentie-renden vergleichenden Analyse hinaus, da diePhänomene einer stilistischen bzw. formengeschicht-lichen Rezeption stets auf ihren Zusammenhang mitder Funktion und Konzeption der Bildwerke innerhalbihres höfischen Umfeldes hin befragt werden. Zu denFormen und Aufgabenstellungen höfischer Bild-medien im Alten Reich gehörten im angesprochenZeitraum das vielfältig kontextualisierte Porträt,das Andachts- bzw. Altarbild in regentenethischerwie dynastisch-memorialer Perspektive, Bildzyklen zu

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Abb. 2:Fürstliche Residenzen und zentraleOrte im Reich um 1500

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Themen der damals aktuellen normativenRegentenethik, Bilder im Konflikt um dieneuen, protestantischen Landesfürsten-tümer sowie mythologische Bildserien.Diese Bildgenres wurden an den deutschenFürstenhöfen in den Jahrzehnten um 1500durch Künstler wie Albrecht Altdorfer,Bartel Beham, Lucas Cranach, AlbrechtDürer, Hans Baldung, gen. Grien oder Bern-hard Strigel auf ein mit Italien oder denNiederlanden konkurrenzfähiges Niveaugehoben, ohne dabei jedoch auf eigene, mitder kulturgeschichtlichen Differenz begrün-dete Akzente zu verzichten.

Beim höfischen Porträt zeigt sich diesin der Entwicklung einer besonderen, aufgenealogische Merkmale ausgerichtetenTypisierung, womit der Vorrang genealogi-schen Denkens im Alten Reich für die Ab-wandlung des aus der italienischen bzw.niederländischen Malerei rezipierten ästhe-tischen Konzeptes verantwortlich zeichnet(Abb. 1).

In der religiösen Malerei verzichtetendie deutschen Künstler auf die direkteÜbernahme antikisierender Figurentypen,wie sie durch italienische Bildkonzepte ver-mittelt wurden. Stattdessen tradierten siedie figuralen Kategorien der älteren nord-europäischen Malerei und suchten sie mitdem vor allem in Italien entwickelten Stan-dard einer ästhetischen Illusionserzeugungzu verbinden (Abb. 3). Insbesondere an-hand der mythologischen, historisch argu-mentierenden Bilder lässt sich das intensiveWechselverhältnis zwischen höfischer Ma-lerei oder Graphik und dem von deutschenHumanisten entworfenen Geschichtsbildeiner eigenständigen „germanischen“Antike, welche an den Fürstenhöfen entwi-ckelt oder übernommen wurde, aufzeigen.Hier wird das Forschungsprojekt die in der jüngerenliteratur- und kunstwissenschaftlichen Forschungnachgewiesenen Konzepte eines deutschen Gegen-entwurfs zur italienischen Renaissance um eine prä-zise bildwissenschaftliche und rezeptionsästhetischePerspektive erweitern. Anschauliches Beispiel dafürbildet die Serie von siebzehn Quellnymphenbildernaus der Cranach-Werkstatt (Abb. 4). Sie spiegeltbildkünstlerisch die christlich-humanistischen Ge-schichtsinteressen der sächsischen Kurfürsten gegen-über der Vergangenheit und Anciennität der eigenenDynastie und der von ihr beherrschten Länder wider.Darüber hinaus formulieren diese Gemälde mit visu-ell-künstlerischen Mitteln politische Ansprüche undkonfessionell ausgerichtete Reformprogramme, diesich aus der bildlich dargestellten Historie einer ger-manischen, „nordischen Antike“ bzw. „Vorzeit“ ab-

leiten und legitimieren ließen. Der sächsische Hof-maler Cranach setzte dieses Konzept der „nordi-schen“ Vorzeit vielschichtig um. In ästhetischer Hin-sicht offenbaren dies die deutlichen Abweichungenvon dem in Italien propagierten antiken Figurenideal,die Landschaftsgestaltung durch mitteldeutschanmutende Flora und Fauna anstelle einer mediterra-nen Arkadienlandschaft, die Verbindung unterschied-licher historischer Zeitebenen in Vorder- und Hinter-grund und der fehlende Bezug zwischen der Figurund dem umgebenden Landschaftsraum. Darüberhinaus wird auch das Bildthema „eingedeutscht“(Bonnet), indem die Mythen sächsischer Territorial-geschichte und die eigenen kulturellen Sitten undGebräuche, wie die vor Ort kontinuierlich praktizierteWeissagung, als den antiken Überlieferungen gleich-wertiges Thema dargestellt werden.

Abb. 3: Lucas Cranach d. Ä.Die Heilige Sippe sog. Torgauer Altar, 1509 Städel, Frankfurt

Abb.4:Lucas Cranach d. Ä. Liegende Quellnymphe, 1518 Museum der Bildenden Künste,Leipzig

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Neben den bildkünstlerisch umgesetzten histo-riographischen Konzepten sind die Auswirkungen derReformation und die Einwirkungen der von ihr ge-prägten Fürstenhöfe auf die Rezeption und Transfor-mation der italienischen oder niederländischenBildkonzepte des 15. und 16. Jahrhunderts Teil derUntersuchung. Die im protestantischen Bereich neueAufgabenstellung des religiösen Bildes, das nun dezi-diert der evangelischen Lehre zu dienen hatte, erfor-derte eine erneute Auseinandersetzung mit den illu-sionserzeugenden Standards der „katholischen“ Re-naissancemalerei Italiens, die zunächst als ästheti-sches Leitbild für einen sowohl historisch als auchkonfessionell divergierenden Kulturentwurf geltenmusste. Für die spezifische künstlerisch-medialeRepräsentation der protestantischen Fürstenhöfe imAlten Reich lassen sich auf diese Weise wichtige Er-kenntnisse gewinnen und in eine vergleichende Per-spektive zu den katholisch gebliebenen Höfen desAlten Reichs und der angrenzenden Territorien undReiche stellen.

Der Vergleich zwischen der Kunstproduktionder protestantischen und der katholischen Höfe kannzugleich die Wandlungsfähigkeit von Künstlern bzw.Werkstattbetrieben wie der Cranach-Werkstatt bele-gen und durch die Beachtung der funktionalen As-

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Abb.5:Albrecht DürerSelbstbildnis, 1500Bayrische Staatsgemäldesammlungen,Alte Pinakothek, München

pekte das Oszillieren dieser Künstler zwischen katho-lischer und protestantischer Auftraggebersphäregenauer bestimmen helfen. Letztlich gilt es, Statusund Selbstverständnis der in den Diensten deutscherFürstenhöfe stehenden Maler als „Hofkünstler“ zubeleuchten und einer systematischen Klärung näher-zubringen. Die von Humanisten wie Pirckheimer oderPeutinger verschiedentlich vorgenommenen Bezeich-nungen von Malern wie Dürer oder Cranach als„deutscher“ Apelles und die damit einhergehendenVergleiche mit dem berühmtesten Hofmaler der grie-chischen Antike sind ungeachtet der topischenStilisierung auch als Teil der Abgrenzungsversuchedeutscher Humanisten gegenüber ihren italienischenKollegen zu betrachten (Abb. 5). Welche Auswir-kungen diese Abgrenzungsversuche für den Statusund das Prestige der deutschen Hofkünstler hattenund inwieweit deutsche Künstler dadurch an derKonkurrenz deutscher Fürstenhöfe sowohl unterei-nander als auch mit ausländischen Höfen beteiligtwaren, ist bislang nur rudimentär in den Blick derForschung geraten.

Für das Verständnis der in diesem Rahmen ent-standenen Bildwerke als Medien des Kulturtransfersist daher zum einen die kulturelle Selbsteinschätzungder deutschen Höfe gegenüber ihren italienischen,burgundisch-niederländischen und französischenNachbarn von Bedeutung. Zum anderen aber sind diezwischen den verschiedenen deutschen Höfengepflegten Konkurrenzen zu beachten. Die nicht nurauf politisch-militärischem, sondern auch auf kultu-rellem Terrain miteinander konkurrierenden Fürsten-höfe vermochten sich durch die gezielte Förderungeiner an italienischen oder französischen Normenausgerichteten Malerei oder gar durch die Beschäf-tigung ausländischer Künstler wirksame Mittel derkulturellen Abgrenzung zu verschaffen, genauso wiedie bewusste Außerachtlassung fremder künstleri-scher bzw. ästhetischer Standards als Mittel der Un-terscheidung eingesetzt werden konnte. Aufschluss-reich wird hier beispielsweise der Vergleich zwischender Kunstproduktion des mächtigen kursächsischenund derjenigen des eher nachgeordneten kurbran-denburgischen Hofs sein, wie auch eine Gegenüber-stellung des Wiener Kaiserhofes mit dem sächsischenKurfürstenhof zu aussagekräftigen Ergebnissen füh-ren wird.

Bedauerlicherweise sind die zu untersuchen-den Bildwerke fast alle ihrem ursprünglichen histori-schen Kontext entrissen. Ursprünglich waren sieBestandteile fürstlicher Sammlungen, gehörten zumInventar der fürstlichen Wohn- und Repräsentations-räume oder wurden, insbesondere die Druckgrafik,als öffentlich wirksame „Propaganda“-Medien kon-zipiert bzw. dienten als Entwurfsvorlagen für Künstlerund ihre Werkstätten. Immerhin lässt sich einGroßteil der Objekte über bildimmanente Merkmale

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geben von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter), (im Druck, erscheint 2007).

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Abb. 4: Schade, Werner, Malerfamilie Cranach, Dresden: Verlag der Kunst, 1974, Tafel 10.

Abb. 5: Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei, München 2002, S. 109, Abb. 68.

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Literatur

■ Summary The research project is funded by the DFG (GermanResearch Foundation) and examines the culturalnorms of courtly representation under the specifichistorical and cultural conditions of the Germanempire at the transition from the later Middle Agesto early modern times. By mainly using recentlydeveloped art historical methods which consider thebeholders` share and the precise examination ofpictorial strategies, the transfer and transformationof artistic concepts from the Netherlands and Italyto German pictorial and graphic works are ofcentral concern. Furthermore the project exploresthe meaning and importance of assigning andimplementing foreign pictorial terms to alreadyexisting visual and aesthetic traditions in its func-tional context of German courts and their represen-tation in the decades around 1500.

(Ikonographie, Wappen, Inschriften) oder auch dankder teilweise guten Überlieferungslage für einzelneHöfe durch Inventartexte, Rechnungsbücher oderNachlassverzeichnisse wieder seinem ursprünglichenKontext zuordnen. Denn nur unter Beachtung diesesursprünglichen räumlichen wie funktionalen Kontex-tes und mit Hilfe unterschiedlicher Quellen- bzw.Textgattungen (hierzu gehören auch Fürstenspiegel,humanistische Geschichtswerke, Objektbeschrei-bungen, Künstlerpanegyriken, Kunsttraktate sowieInschriften bzw. Epigramme auf den Bildern selbst)lassen sich die höfische Malerei und Graphik der ZeitLucas Cranachs und Albrecht Dürers als anspruchs-volle Medien eines spätmittelalterlich-frühneu-zeitlichen Kulturtransfers erschließen und die pro-grammatischen Leitbilder und Aufgabenstellungender höfischen Bildwerke im Alten Reich differenzier-ter als bisher analysieren.

Abbildungsnachweis

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■ Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Matthias MüllerInstitut für Kunstgeschichte mit ArbeitsbereichChristliche Archäologie und ByzantinischeKunstgeschichteJohannes Gutenberg-Universität MainzBinger Straße 2655122 MainzTel. +49 (0) 6131 39-32258, 39-30178 Fax +49 (0) 6131 39-30136E-Mail: [email protected]://www.uni-mainz.de/FB/Philologie-III/kunstgesch/http://www.kulturtransfer-an-deutschen-fuerstenhoefen.de

Univ.-Prof. Dr.Matthias Müller

Matthias Müller, Jahrgang1963, hat Kunstgeschichte,Christliche Archäologie, By-zantinische Kunstgeschich-te und Neuere deutscheLiteratur in Marburg, Berlinund Hamburg studiert.

Nach der Promotion arbeitete er zunächst beimBildarchiv Foto Marburg und am LandesmuseumKoblenz, um 1995 als Wissenschaftlicher Assistent andie Universität Greifswald zu gehen. Dort habilitierteer sich und vertrat von 2002 bis 2006 den Lehrstuhlfür Kunstgeschichte. Zum Sommersemester 2006übernahm er an der Universität Mainz den Lehrstuhlfür Kunstgeschichte mit einem Schwerpunkt imMittelalter. In seiner Lehr- und Forschungstätigkeitbefasst er sich besonders mit Themen der politischenIkonographie, der Erinnerungskultur, der Residenz-forschung und mit Prozessen des Kulturtransfers undder Transkulturation. Als Mitglied der Leitungs-kommission „Hof und Residenz im spätmittelalterli-chen deutschen Reich (1200-1600)“ der Akademieder Wissenschaften zu Göttingen, stellv. Vorstands-vorsitzender des Rudolstädter Arbeitskreises zurResidenzkultur, Sprecher des Mittelalter-Zentrumsder Universität Greifswald (bis 2006) und Mitglieddes Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungs-zentrums Mainz-Trier setzt er sich intensiv für deninterdisziplinären wissenschaftlichen Dialog undForschungsaustausch ein.

Ruth Hansmann, M.A.

Ruth Hansmann wurde1978 in Berlin geboren. Siestudierte an den Univer-sitäten Greifswald, Berlinund Frankfurt/M. Kunst-geschichte und Kunstpäda-gogik. 2006 verfasste sie

ihre Magisterarbeit mit dem Titel „Sacratis lapidibustamquam reliquiis – Materialbehandlung als Verbild-lichung von Memoria in der mittelalterlichenSakralarchitektur“. Seit August 2006 ist sie als wis-senschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunst-geschichte der Johannes Gutenberg-UniversitätMainz angestellt und erarbeitet im Rahmen des DFG-geförderten Projekts „Kulturtransfer und Transkul-turation als ästhetisch und politisch-religiöserDiskurs in den höfischen Bildkonzepten des Spät-mittelalters und der frühen Neuzeit im Alten Reich“ihre Dissertation. Neben Schwerpunkten in der mit-telalterlichen Sakralarchitektur, dem Kulturtransferund den höfischen Bildkonzepten liegt ihr Interesseauch in der musealen Kunstvermittlung.

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Von Andreas Lehnardt

Eine deutsche Geniza – Hebräische und aramäischeEinbandfragmente in Mainz und Trier

Als Material zur Verstärkung vonBuchdeckeln blieben alte jüdi-sche Handschriften jahrhunderte-lang verborgen und haben soVerfolgungen und Kriege über-dauert. Ihre Entdeckung liefertwertvolle Quellen für dieGeschichte, Religion und Kulturvon Juden – nicht nur in Europa.

Die Entdeckung von neuen Texten, also von unbe-kannten Wissensräumen, ist für jede an literarischenZeugnissen orientierte Wissenschaft wie die Judaistikvon großer Bedeutung. Im Rahmen eines vomHistorisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszen-trum durchgeführten Projekts können in hebräischenund aramäischen Einbandfragmenten solche neuenRäume eröffnet und für das Verständnis der literari-schen Kultur von Juden an Rhein und Mosel am Aus-gang des Mittelalters erschlossen werden.

Die jüdische Schreibkultur gehört zu den ältes-ten der Welt, und viele damit verbundene Besonder-heiten werden bis heute tradiert und beobachtet. Soist es z. B. bis in die Gegenwart üblich, Texte der Bibelfür den gottesdienstlichen Gebrauch auf besonderen,den jüdischen Reinheitsvorstellungen entsprechen-den Pergamentrollen niederzuschreiben. Die Bewah-rung von Manuskripten gehört auch daher schon seitder Antike zu den besonderen Anliegen jüdischerKultur. Gebrauchte, zerlesene hebräische Texte wer-den daher oft in einer sogenannten Geniza, in einemAbstellraum in oder an einer Synagoge, abgelegt, umsie so vor weiterer Profanierung zu schützen. Dieberühmteste Geniza fand sich im 19. Jahrhundert inAltkairo in Ägypten, wo ca. 200.000 zum Teil unbe-kannte jüdische Schriften entdeckt wurden. DieseFunde beschäftigen die Erforschung des Judentumsbis heute.

Um eine Geniza etwas anderer Art geht es indem am Seminar für Judaistik angesiedelten, vomHKFZ Mainz-Trier geförderten Projekt, das sich umdie in Archiven und Bibliotheken verstreuten hebräi-schen Textfragmente bemüht. Dieses Projekt gehtzurück auf die Gründung einer Forschergruppe vonisraelischen und deutschen Wissenschaftlern imSommer 2004, die unter dem Titel „Genizat Ger-mania“ die Suche nach und Bestandaufnahme vonhebräischen Texten organisiert.

Die Benutzung von Pergament als Einband-bzw. Makulaturmaterial war aufgrund des Mangelsan geeigneten Materialien bis in das 16. Jahrhundertweit verbreitet. Dass neben lateinischen und deut-schen auch hebräische Handschriften als Einband-material verwendet wurden, ist erst einmal überra-schend, gelten doch hebräische Texte traditionell alshohes Gut, das es unbedingt zu bewahren gilt. DerVerkauf solcher Manuskripte wurde vermieden, auchwenn er nicht in allen Fällen ausdrücklich verbotengewesen zu sein scheint.1 Wie es zu der bemerkens-

wert häufigen Verwendung jüdischer Manuskripteunterschiedlicher Größe und Qualität als Bindemate-rial gekommen ist, lässt sich oftmals allerdings nurnoch erahnen. Weder geben die Einbände noch diegelegentlich erhaltenen Provenienzvermerke auf denManuskripten, noch die Inhalte der Schriften selbstzuverlässige Hinweise auf die Geschehnisse, die hin-ter den Funden liegen. Die relativ große Zahl von he-bräischen Fragmenten in den Bibliotheken und Archi-ven in Deutschland, insbesondere in den beachtli-chen Altbeständen der Stadtbibliotheken Trier undMainz, belegt jedoch, dass dievon Buchbindern geübte Praxis,auch hebräische Texte als Binde-und Makulaturmaterial zu ver-wenden, weit und lange Zeit ver-breitet war.

Aus heutiger Perspektiveliegt zur Erklärung dieses Phäno-mens zunächst der Gedanke anRaub und Enteignung von Hand-schriften nahe, und tatsächlichgibt es hierfür zahlreiche Belege.Insbesondere in großen Städten,in denen es zu Vertreibungenkam, sind große Mengen vonjüdischen Handschriften geraubtund an Buchbinder verkauft wor-den. So hören wir in der jiddi-schen Chronik Megillas Vintz überden Frankfurter Fettmilch-Pogromin den Jahren 1612 bis 1616, dassManuskripte gestohlen wurdenund das Pergament für großeSummen verkauft wurde.2

Doch scheinen hebräische Handschriften seitdem 13. Jahrhundert auch auf anderem Wege in dieHände von nicht-jüdischen Buchbindern gelangt zusein. Noch nicht geklärt ist die Frage, ob die beacht-lichen Mengen von hebräischen Pergamenten inBuch- und Akteneinbänden erst infolge der Ein-führung des Buchdrucks den Weg in Binderwerk-stätten fanden. Als die Benutzung von handschriftli-chen Exemplaren religiöser Gebrauchsliteratur auchin jüdischen Kreisen außer Mode kam, scheinen vie-lerorts Manuskripte jedenfalls zunehmend vernach-lässigt und dann auch veräußert worden zu sein. DasPhänomen der hebräischen Einbandfragmente inDeutschland darf insofern auch nicht nur vor demHintergrund der politischen und rechtlichen Lage in

Abb. 1: Mainz, Bibliothek desGutenberg Museums: Bußgebet(Selicha) einem Elazar zugeschrieben,aus einem aschkenazischenManuskript des 14. Jh.

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Westeuropa betrachtet werden. Im Jemen ist z. B. dieVerwendung von hebräischen Handschriften alsBuchdeckelverstärker ebenso bekannt, wenn auchunter völlig anderen politischen und auch religiösenRahmenbedingungen.

Die gehäufte Verwendung von hebräischenPergamenten als Bindematerial vom 15. Jahrhundertan könnte insofern auch mit dem Medienwechselvon handgeschriebenen Pergamenten hin zu mit be-weglichen Lettern gesetzten Druckwerken auf Papier

HKFZ – JUDAISTIK

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zusammenhängen. Die Einführung des Buchdruckshat jedenfalls, zwar nicht ohne Widerstände, auch diejüdische Wissenskultur nachhaltig verändert. DerGebrauch handgeschriebener Texte blieb so unterJuden stets besonders wichtig, doch nicht jede Hand-schrift – Tora-Rollen ausgenommen – behielt auf-grund des technischen Fortschritts den gleichenStatus wie zuvor.

Dass es in deutschen Archiven und Biblio-theken zahlreiche hebräische und aramäische Hand-schriftenfragmente mit Bibeltexten, Talmud- undMidrasch-Fragmenten sowie liturgischen Stückenund halakhischen Werken gibt, ist seit langem be-kannt. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts sind wert-volle Fragmente gelegentlich publiziert worden. InItalien, Spanien und Österreich sind dann in den ver-gangenen Jahrzehnten durch gezielte Suche zahlrei-che unbekannte hebräische Werke aus dem Mittel-alter in Einbänden gefunden worden, und die Er-schließung dieser verborgenen jüdischen Bibliothek –im Grunde die einer großen europäischen Geniza –gehört daher mittlerweile zu den wichtigen Feldernder wissenschaftlichen Beschäftigung mit demJudentum.3 Besonders die sogenannte ItalienischeGeniza hat in den vergangenen Jahrzehnten einebeachtliche Anzahl von aufsehenerregenden Fundenhervorgebracht, deren Aufarbeitung noch andauert.4

Die meisten Einbandfragmente in der Stadt-bibliothek Mainz fanden sich in Bänden, die im Zugeder Säkularisierung aus den Klosterbibliotheken derStadt in diese Sammlung gekommen sind – daruntersolche aus dem Karthäuserkloster, dem Jesuiten-kolleg und dem Karmeliterkloster. Zu den herausra-

Abb. 2: Mainz, Jüdische Bibliothekim FB 01: Piyyut-Dichtung vonEleazar ha-Kallir (6. Jh. n. d. Z.) fürdas Musaf-Gebet des Neujahrsfestes(Rosh ha-Shana). Ausgabe D. Gold-schmidt, Machsor Rosch ha-ShanaBd. I, S. 237; Übersetzung in:Heidenheim / Bamberger, MachsorRosh ha-Shana, Bd. 1, S. 125ff.

Abb. 3: Mainz, Stadtbibliothek:Babylonischer Talmud, TraktatTa’anit (Fasten), folio 24b; einashkenazisches Manuskript aus dem14. Jh. mit Varianten zum traditio-nellen Druck.

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Die digitalisierte Erfassung der Fragmente wirddabei nicht nur die hebräische Paläographie auf einesolidere Basis stellen, sondern auch die Zusammen-führung von zerschnittenen, verstreut erhaltenenManuskripten seltener Texte ermöglichen. Die für dieJudaistik wichtige Rekonstruktion der immer nochfragmentarischen Literaturgeschichte des westeuro-päischen, aschkenasischen Judentums am Ausgangdes Mittelalters kann hierdurch wichtige Impulseerhalten.9

Einige wichtige Funde wurden Anfang Juni2007 bei einer vom Seminar für Judaistik durchge-führten internationalen Tagung unter dem Titel„Genizat Germania – Hebrew and Aramaic BindingFragments in German Archives and Libraries“ vorge-stellt.10-

genden Funden aus der Stadtbibliothek Mainz, diedank der Hinweise von Frau Annelen Ottermann,M.A. gemacht werden konnten, gehören Fragmentemit Texten aus dem Babylonischen Talmud, Gebets-texte mit mittelalterlichen Dichtungen (Piyyutim) zuden Hohen Feiertagen und Stücke eines spätantikenMidrasch, d.h. eines erzählenden Bibelkommentars,genannt Midrasch Tanhuma (Buber). Weitere wichti-ge Funde von Einbandfragmenten konnten dankfreundlicher Hinweise von Herrn Dr. Kurt Hans Staubin Inkunabeln des Gutenberg-Museums gemachtwerden. Diese Fragmente werden in einem in Vorbe-reitung befindlichen Inkunabelnkatalog beschrieben.

Ein besonders bemerkenswertes Einbandfrag-ment aus Mainz ist in der alten Jüdischen Gemeinde-bibliothek im Seminar für Judaistik an der JohannesGutenberg-Universität Mainz erhalten.5 Der Text ent-hält das Gebet eines berühmten Dichters, RabbiElazar ha-Kallir (frühes 7. Jahrhundert n. d. Z.), auseinem Gebetbuch für das Neujahrsfest. Doch vielwichtiger ist, dass das Fragment zum Einbinden einesjüdischen Buches verwendet wurde. Umgekehrt fin-det sich in dieser bislang nicht richtig erschlossenenBibliothek auch der alte Einband eines jüdischenGebetbuches für die Hohen Feiertage (Machsor), derin eine lateinische Missale-Handschrift unbekannterProvenienz eingebunden ist.

Die Anzahl der in Trier gefundenen Fragmenteübersteigt die Menge der in Mainz gemachten Fundeum ein Vielfaches. Eine einfache Erklärung für diesenBefund gibt es nicht, doch dürfte ein Grund dafürdarin zu suchen sein, dass ein Großteil der bishergefundenen Trierer Fragmente aus einer einzigen Bib-liothek stammt, nämlich aus der des Augustiner-chorherrenklosters Eberhardsklausen (Kreis Bern-kastel-Wittlich), d.h. aus einer abgeschlossenenSammlung mit eigener Vorgeschichte.6 Die Er-schließung dieser Bibliothek und die Katalogisierungder in ihren Bänden erhaltenen hebräischen Frag-mente ist Gegenstand eines eigenen Unternehmens.7

Das für Buchwissenschaftler, Historiker undTheologen gleichermaßen interessante Projekt, indessen Verlauf noch mancher neue Text zu Tagegefördert werden dürfte8, kann nicht ohne die engeZusammenarbeit von Spezialisten aus verschiedenenGebieten durchgeführt werden. Zum einen sind guteKenntnisse des Hebräischen in seinen verschiedenenSprachstufen erforderlich, zum anderen kann eineangemessene Berücksichtigung der Provenienzennur mit Hilfe von kirchengeschichtlichem Spezial-wissen durchgeführt werden. Insbesondere die syste-matische Berücksichtigung der Herkunftsvermerke inHandschriften und Frühdrucken wird es in Zukunftermöglichen, den Werdegang einer hebräischenHandschrift besser zu rekonstruieren, sie genauer zudatieren und auch zu lokalisieren, um somit zusätzli-che verborgene Wissensräume zu erschließen.

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■ Summary Up to now Hebrew and Aramaic binding fragments inGerman archives and libraries have scarcely beenexamined. The central object of the described projectis to present and to evaluate manuscript fragmentsnewly discovered in the binding of books andarchival files in archives and libraries in Mainz andTrier. The first project to systematically search forthese fragments in Germany is part of the Center forHistorical-Cultural Studies (HKFZ) Mainz-Trier. TheHebrew term „Geniza“ describes a storeroom in oldsynagogues where discarded religious texts werehidden away in order to protect them from destruc-tion or profanation. The purpose of secondary use ofHebrew manuscripts in bindings was different but, infact, many fragments have been preserved that willchange the way we perceive the literary culture ofthe Jews in medieval Europe.

Abb. 4: Trier, Stadtbibliothek: SeferTeruma des Rabbenu Baruch ausWorms (gest. 1211), Hilkhot Tefillin,Warschau 1897, S. 110, § 207 (überdas Anlegen der Phylakterien).

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■ Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Andreas LehnardtEvangelisch-Theologische Fakultät Seminar für JudaistikJohannes Gutenberg-Universität MainzSaarstr. 2155099 MainzTel. +49 (0) 6131 39-20312Fax +49 (0) 6131 39-26700E-Mail: [email protected]://www.ev.theologie.uni-mainz.de/419.php

Literatur

1) Vgl. dazu Josef Juspa Hahn Nordlingen, Josef Ometz kolel dinim u-minhagim le-khol yemot ha-shana u-frotot minhage

Frankfurt al nahar Main we-inyane musar u-middot, Frankfurt am Main 1928, Nachdruck Jerusalem 1965, 275.

2) Vgl. Rivka Ulmer, Turmoil, Trauma and Triumph. The Fettmilch Uprising in Frankfurt am Main (1612-1616) According to Megillas

Vintz. A Critical Edition of the Yiddish and Hebrew Text Including an English Translation, Judentum und Umwelt 72,

Frankfurt am Main u. a. 2001, 128 (§ 33).

3) Vgl. Simha Emanuel, The European Genizah and its Contribution to Jewish Studies, Henoch 19 (1997), 313-340.

4) Vgl. Abraham David / Josef Tabory (Hg.), The Italian Genizah. A Collection of Essays, Jerusalem 1998 (hebräisch / englisch).

5) Vgl. Verf., Magenza hebt seinen Schatz. Die gerettete Jüdische Bibliothek in der Johannes Gutenberg-Universität wird

erschlossen und restauriert, in: Kalonymos 9 (2006), 3-5.

6) Vgl. Michael Embach, Unbekannte Frühdrucke aus der Bibliothek der Augustiner-Chorherren Eberhardsklausen, in: 500 Jahre

Wallfahrtskirche Klausen, hg. von M. Persch, M. Embach, P. Dohms, Mainz 2003, 351-381. Für Hinweise zu den

Beständen dieser Bibliothek danke ich auch Dr. Reiner Nolden, Dr. Gunther Franz und Herrn Marco Brösch.

7) Vgl. Verf., Hebräische und aramäische Einbandfragmente in Mainz und Trier – Zwischenbericht eines Forschungsprojekts,

Rekonstruktion und Erschließung mittelalterlicher Bibliotheken – Neue Formen der Handschriftenpräsentation.

Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften, Band 1, herausgegeben von Michael Embach und Andrea Rapp,

Berlin: Akademie Verlag 2007, 41-58.

8) Siehe zuletzt Elisabeth Hollender / Verf., Ein unbekannter hebräischer Esther-Kommentar aus einem Einbandfragment, in:

Frankfurter Judaistische Beiträge 33 (2006), 35-67, Dies. / Verf., Hebraica, in: K. Wiedemann / B. Wischhöfer,

Einbandfragmente in kirchlichen Archiven aus Kurhessen-Waldeck, Kassel 2007, 19-21; 170-180; Verf., „Siddur Rashi“

und die Halakha-Kompendien aus der Schule Rashis, in: H. Liss / D. Krochmalnik (Hg.), Rashi-Gedenkband,

Heidelberg 2007.

9) Vgl. dazu Simha Emanuel, Fragments of the Tablets. Lost Books of the Tosaphists, Jerusalem 2006 (hebräisch).

10) Näheres dazu unter: http://www.genizatgermania.uni-mainz.de/.

Univ.-Prof. Dr. phil.Andreas Lehnardt

Andreas Lehnardt, geboren1965 in Duisburg, ist seit 2004Professor für Judaistik am Fach-bereich 01, Evangelisch-Theo-logische Fakultät an der Johan-nes Gutenberg-Universität inMainz. Er studierte evangeli-

sche Theologie und Judaistik in Münster, München, Bonn,Köln, Berlin und Jerusalem. Nach der Promotion an derFreien Universität Berlin bei Prof. Dr. Peter Schäfer war erwissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter amInstitut für Antikes Judentum an der Universität Tübin-gen. Dort arbeitete er unter anderem in den von derDeutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projek-ten „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“und „Übersetzung des Talmud Yerushalmi“. Er veröffent-lichte mehrere Übersetzungs- und Kommentarbände zumJerusalemer Talmud, eine Bibliographie zu den jüdischenSchriften aus hellenistisch-römischer Zeit und Aufsätzezur rabbinischen Literatur, zum mittelalterlichen jüdi-schen Brauchtum, zum jüdischen Gebet und zur osteuro-päischen Haskala. Am Historisch-Kulturwissenschaft-lichen Forschungszentrum Mainz-Trier führt er in derAbteilung V: Medien und Methoden der Rekonstruktionvon Wissensräumen ein Projekt zur Erschließung der heb-räischen und aramäischen Einbandfragmente in Mainzund Trier durch.

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Das aus dem östlichen Teil des Römischen Imperiumshervorgegangene Byzantinische Reich war bis zurEroberung seiner Hauptstadt Konstantinopel durchdie Osmanen im Jahr 1453 neben dem Reich derPerser und später dem Machtbereich des arabischenKalifats die bedeutendste Macht im östlichenMittelmeergebiet und kulturelles Vorbild für großeTeile Europas. Die Arbeitsgruppe IV des HKFZ vereintProjekte, die sich aus jeweils verschiedenen Per-spektiven mit diesem spezifischen Herrschaftsraumder Spätantike und des Mittelalters beschäftigen.Anhand einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen –von der schriftlichen Überlieferung über archäologi-sche Funde bis hin zu den Resultaten naturwissen-schaftlicher Analysen – werden Aspekte der byzanti-nischen Kultur erforscht. Dabei stehen unterschied-lich strukturierte Wissensräume im Vordergrund: DieEinzelprojekte der Byzantinischen Archäologie Mainzhaben das spezielle Wissen um Ressourcen,Herstellungsprozesse und -techniken in den verschie-denen Handwerkszweigen sowie die Handelswegezum Thema. Entscheidend für das Krim-Projekt isteinerseits die exponiert periphere Lage des behan-

Eine der wichtigsten Mächte imMittelmeerraum und kulturellesVorbild für Europa: Forschungenzum Byzantinischen Reich erle-ben einen Aufschwung.

Von Jörg Drauschke, Michael Herdick und Klaus-Peter Todt

Wissensraum und Herrschaftsraum Byzanz

Abb. 1: Karte des ByzantinischenReiches von 324 bis 1453

(M. Berger, ArchäologischeStaatssammlung München)

delten Raumes und – insbesondere für den Bereichder Umweltgeschichte – die Erfassung und Nutzungder Umwelt durch die dort siedelnden Menschen.Schließlich wird im Projekt zu Venedig und Kreta eineAußenperspektive untersucht, nämlich die Samm-lung und Auswertung des Wissens über die von derbyzantinischen Orthodoxie geprägten Gebiete imBereich und im Umfeld der venezianischen Kolonien.

Die Byzantinische Archäologie Mainz

Die Byzantinische Archäologie Mainz ist ein vomLand Rheinland-Pfalz gefördertes Kooperations-projekt des Römisch-Germanischen Zentralmuseums(RGZM) und der Johannes Gutenberg-Universität. Eshat sich zum Ziel gesetzt, eine Byzantinische Archä-ologie im Wege einer institutionalisierten, interdis-ziplinären Zusammenarbeit zu etablieren. Beteiligtsind die Byzantinistik, die Christliche Archäologie undByzantinische Kunstgeschichte sowie die Provinzial-römische und die Frühmittelalterliche Archäologie,die durch Prof. Dr. Günter Prinzing, Prof. Dr. UrsPeschlow, Prof. Dr. Jürgen Oldenstein und Univ.-Doz.Dr. Falko Daim vertreten werden.

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Die Erforschung der materiellen Hinter-lassenschaften des Byzantinischen Reiches hat in denletzten Jahrzehnten einen enormen Aufschwung er-fahren. Sah man noch vor rund 60 Jahren in derSpätantike und dem frühen Byzantinischen Reich le-diglich eine Epoche des Niedergangs und maß ihrenÜberresten kaum Bedeutung bei, so treten heute dieeigenständigen kulturellen Errungenschaften undvielfältigen Innovationen stärker denn je hervor. Mitseiner Ausstrahlungskraft und Vorbildfunktion fürEuropa, die besonders an den Repräsentations-formen der Herrschenden abzulesen sind, kann diebyzantinische Kultur gar nicht hoch genug einge-schätzt werden (Abb. 1).

Die Kenntnis der Transformationsprozesse seitder Spätantike hatte bislang nicht zur Einrichtungeines Forschungsprogramms geführt, das dieInteressen der einzelnen Fachrichtungen, die sich umdie Erforschung der byzantinischen Kultur bemühen,vereint und so ein komplexes Studium des Byzan-tinischen Reiches ermöglicht. Das Kooperations-projekt der Byzantinischen Archäologie Mainz willnun dieses Vorhaben verwirklichen und damit neueForschungswege eröffnen. Dabei versteht sich dieKooperation nicht zuletzt als Kommunikations-plattform für alle Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler, die thematisch im vielfältigen Bereich derByzantinischen Archäologie tätig sind. In regelmäßi-gen Abständen geplante Workshops und Tagungensollen den Ausbau eines Netzwerkes zwischen deneinzelnen Forschern und Disziplinen vorantreiben.

Zentraler Bestandteil der Byzantinischen Ar-chäologie Mainz ist die Durchführung gemeinsamerProjekte. Das erste Forschungsthema bezieht sich auf„Handwerk, Werkstätten und Handel im Byzan-tinischen Reich“. Gegenstand der Untersuchung sindProduktion und Produktionsbedingungen ausge-wählter handwerklicher Gewerbe sowie der Waren-transport. Thematisiert werden außerdem die sichanschließende Verteilung und Funktion der Warensowohl in profanen als auch sakralen Kontexten. Dergeografische Rahmen spannt sich dabei vom Balkanüber Kleinasien bis in den Vorderen Orient.

So untersucht Daniel Keller in seinem Projekt„Die Verwendung von Glas in der byzantinischenKirche“ anhand von archäologischen Funden undderen Einbindung in größere Fundzusammenhängesowie historischen und bildlichen Quellen die Nut-zungsmöglichkeiten von Glas in sakralen Gebäuden.In den byzantinischen Provinzen des Nahen Ostenswaren nicht nur die Fenster der Kirchen, sondernauch eine Vielzahl an Lampen sowie bisweilen garliturgische Gefäße aus Glas gefertigt. Neben einerkontextuellen Auswertung von Funden, Texten undBildern werden auch sozio-ökonomische Aspekte undderen Bedeutung für die byzantinische Kirchebetrachtet.

Das als Magisterarbeit aufgenommene Projekt„Monolithische Piscinen der Spätantike in den by-zantinischen Kerngebieten“ von Sebastian Wattasetzt sich mit einer gesonderten Gruppe innerhalbdes liturgischen Mobiliars der spätantiken Epocheauseinander: den aus einem Stück gearbeiteten spät-antiken Taufbecken. Dabei handelt es sich in derMehrzahl um in Konstantinopler Werkstätten zentralhergestellte und exportierte Stücke. Neben derTypologisierung der untersuchten Denkmäler anhandvon Form- und Gestaltungsmerkmalen wird eineUntersuchung im Hinblick auf Funktionsweise undNutzungsaspekte unternommen. Fragen zum Her-stellungsmaterial und zum Stiftungswesen spielenebenso eine Rolle wie die zeitliche Entwicklung undeine allgemeine Einordnung der monolithischenPiscinen in die frühbyzantinische Taufpraxis.

Ebenfalls im Rahmen einer Magisterarbeitwidmet sich Hans Georg Nagel dem Thema „Pro-zessionskreuze früh- und mittelbyzantinischer Zeit“.Hierbei wird es zunächst darum gehen, das umfang-reiche und vielfältige Material in einer Zusammen-schau stilistisch und ikonografisch (inklusive derInschriften) vorzustellen. Die Herkunft der Objekteumfasst einen weiten geografischen Rahmen vonÄgypten über Syrien, den Nahen Osten, den Kau-kasus und Kleinasien bis zum Balkan. Auf der Basisdes Katalogs erfolgt die weitere Auswertung imHinblick auf die stilistische Entwicklung der Objektezwischen dem 6. und 12. Jahrhundert und die ver-mutliche Herkunft einzelner Exemplare bzw. ganzerGruppen.

Susanne Greiff und Jörg Drauschke betreuendas Projekt zur „Analyse der Glasfunde aus CaricinGrad/Iustiniana Prima (Serbien)“. Bei dem in Süd-serbien gelegenen Fundplatz von Caricin Grad han-delt es sich höchstwahrscheinlich um die vonJustinian I. (527–565) gegründete frühbyzantinischeStadt Iustiniana Prima, die bereits am Beginn des7. Jahrhunderts wieder unterging. In Kooperation mitdem Archäologischen Institut Belgrad, das dort seiteinigen Jahren zusammen mit der École Française deRome Ausgrabungen durchführt, werden über 350Glasproben mithilfe der Röntgenfluoreszenz-Analytikuntersucht. Die Resultate geben Auskunft über diechemische Zusammensetzung der Gläser und lassenauf Art und Umfang der lokalen Glasverarbeitungsowie auf die Rohglasquellen schließen. Damit lassensich innerhalb des Glasmacherhandwerks der frühby-zantinischen Zeit unterschiedliche Kenntnisse derGlasproduktion beschreiben, Abhängigkeiten einzel-ner Fertigungszentren erkennen und nicht zuletzt dieWege nachvollziehen, auf denen das Rohglas imMittelmeerraum verhandelt worden ist.

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Migration, Integration, Transformation –Die „Höhlenstädte“ im Südwesten der Krim.Archäologische Untersuchungen am Randedes byzantinischen Reiches

Die Geschichte der Krim prägen Bevölke-rungsgruppen, die vielfach als Teile größerer Mi-grationsbewegungen in der Südukraine auf dieHalbinsel gelangten. Sie gerieten dort an den Küstenin das kulturelle Gravitationsfeld griechischerStadtgründungen. Grabausstattungen aus den Ne-kropolen und dem weiteren Umland der Städte bele-gen die Existenz einer Hybridkultur, die barbarischeund mediterrane Elemente miteinander verband. Diekulturelle Anziehungskraft der Stadtstaaten war eineder Ursachen, die zur relativen Stabilität ihrerExistenz mit beitrug. Keiner dieser Stadtstaatenstrebte je die Herrschaft über die gesamte Halbinselan. Gleiches galt später für das römische und dasnachfolgende frühbyzantinische Reich. Die Eckpfeilerseiner Präsenz blieben Chersonesos im Südwestenund Bosporos an der Ostspitze. Zwischen ihnen lagenweitere byzantinische Stützpunkte an der Südküsteder Krim. Ihr politischer und militärischer Stellenwertfür das Byzantinische Imperium und konkurrierendewie nachfolgende Regionalmächte erschließt sicherst, wenn man die Halbinsel nicht zuerst als geogra-fisches Anhängsel an der Südküste Osteuropasbetrachtet, sondern als die Landmasse, von derenKüsten aus die Seeherrschaft im Schwarzmeerraumbehauptet werden kann. Im Frühmittelalter warendiese Machtverhältnisse bedroht, als die Sassanidenim Klientelkönigtum Lazika an der Ostküste desMeeres Fuß zu fassen drohten. Justinian I. führteeinen 20 Jahre währenden Krieg und nahm nachfol-gende Tributzahlungen in Kauf, um das zu verhin-dern.

Wer die Verhältnisse im Schwarzmeerraumbestimmen konnte, kontrollierte den Verkehr zwi-schen dem Mittelmeerraum sowie Osteuropa unddem Kaukasusgebiet. Das System der Flüsse, die vomNorden her ins Schwarze Meer entwässern und wel-che die Lebensadern für den Austausch von Warenund Gedanken bildeten, dokumentiert das eindring-lich.

In welchen Kontext war jedoch die so bedeu-tende Präsenz der Byzantiner auf der Krim eingebet-tet? Östlich von Chersonesos nimmt das als Bergkrimbekannte Gebirge seinen Anfang. In der Völkerwan-derungszeit siedelte hier eine Bevölkerung mit ost-germanisch-„alanischen“ Kulturmerkmalen. In derzweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts wurdenBefestigungen auf einer Reihe von Höhensiedlungenin dieser Zone errichtet, die sich an den Prinzipienbyzantinischer Militärarchitektur orientierten. Pa-rallel dazu lässt sich auf den zugehörigenGräberfeldern ein deutliches Ansteigen des byzanti-nischen Kultureinflusses bei den Beigaben nachwei-

sen. Landschafts- und siedlungsarchäologischeUntersuchungen versprechen daher besondere Er-kenntnisse zur Anatomie einer Grenzregion im nörd-lichen Schwarzmeerraum. Im Mittelpunkt der von derLeibniz-Gemeinschaft geförderten Forschungen ste-hen die befestigten Höhensiedlungen von Mangup(Abb. 2) und Eski Kermen, die etwa 20 KilometerLuftlinie von Chersonesos entfernt liegen. Partner aufukrainischer Seite sind Aleksandr Ajbabin von derUkrainischen Akademie der Wissenschaften undAleksandr Gercen von der Universität Simferopol.

Aus archäologisch-geografischer Perspektiveist danach zu fragen, wie Byzanz und die Krim einer-seits und Chersonesos und die Höhensiedlungen inseinem Vorland andererseits als Zentrale und Peri-pherie aufeinander bezogen waren. Um den kultur-geschichtlichen Charakter von Eski Kermen undMangup besser verstehen zu können, muss auch dasUmland mit Blick auf die Siedlungsstrukturen undvorhandene natürliche Ressourcen und ihre Nutzunghin analysiert werden. Einer Klärung der Sakral-topografie kommt dabei in zweifacher Hinsicht einebesondere Rolle zu.

Um Kulturtransformationen erkennen zu kön-nen, sind Vergleiche notwendig, weshalb wirSiedlungsveränderungen bis zum Beginn der frühenNeuzeit dokumentieren. Besondere Aufmerksamkeitgilt aber der Etablierungsphase der byzantinischenBefestigungen im ostgermanisch-„alanischen“Kulturumfeld. Der Untersuchung wirtschaftlicher undsozialer Prozesse, etwa im Hinblick auf das Verhältniszwischen den Bewohnern der Bergsiedlungen unddes Umlandes, kommt dabei eine besondereBedeutung zu.

Schließlich und endlich wird nach der wechsel-seitigen Beeinflussung von Byzantinern und den so-genannten Barbaren gefragt. Ziel ist es, ein genaue-res Bild der Grenzgesellschaft in der Südwestkrim zuzeichnen. Neben den archäologischen und umwelt-

Abb. 2: Blick auf die befestigteHöhensiedlung des Mangup

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geschichtlichen Forschungen wird dabei der Analyseder schriftlichen Quellen zur Krim ein breiter Raumeingeräumt.

Der Eski Kermen lag auf einem 1 Kilometerlangen und etwa 200 Meter breiten Felsplateau.Besondere Bedeutung bei der Datierung derBefestigung kommt dem Fund einer Fibel aus derBaugrube der Mauer zu, die sich in die Zeit um 600datieren lässt. Die lange Besiedlungsdauer desPlatzes, die bis ins 14. Jahrhundert andauerte,erschwert die Rekonstruktion der Baugeschichte inzentralen Bereichen. Exemplarisch lässt sich das ander Südspitze des Eski Kermen zeigen. Hier zog sicheine in den Fels gehauene Straße zum Haupteingangder Festung empor (Abb. 3). Die umliegenden Felsenweisen eine Vielzahl von Räumen auf, von deneneinige als Kapelle bzw. als Kirche (Abb. 4) anzuspre-chen sind, wieder andere dienten der Vorratshaltung.

Die Baugeschichte der künstlich geschaffenenRäume im Fels, von denen es auf dem Eski Kermenrund 400 gibt, lässt sich häufig nicht genauer datie-ren. Durch die sorgfältige Untersuchung der Bear-beitungsspuren können verschiedene Phasen unter-schieden werden.

Bei der typologischen Analyse der Höhlen ist esnotwendig, nicht nur auf Raumtypen, sondern auchauf Ausstattungselemente einzugehen, die Hinweiseauf die Funktionen der Räumlichkeiten geben. DurchVergleiche mit den Höhlensiedlungen im Umland,aber auch in entfernter liegenden Regionen imMittelmeerraum, soll die Bedeutung der Höhlen-räume für die Siedlungs- und Wohnkultur eine präzi-sere Definition erfahren. Die künstlichen Räume imFels, die heute das Aussehen des Eski Kermen ent-scheidend prägen, dürfen allerdings nicht davonablenken, dass sie nur eine Ebene der ursprünglichenBebauung repräsentieren. Spuren an der Felsenober-fläche sowie Bilder aus dem frühen 20. Jahrhunderterinnern an die verloren gegangene Architektur, dieehemals ein eindrucksvolles und repräsentatives Bildvermittelt haben dürfte.

Nur wenige Kilometer entfernt vom EskiKermen liegt die Höhensiedlung des Mangup, diesich in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts dauerhaftetablieren konnte. Nach den Beigaben in den zuge-hörigen Gräberfeldern zu schließen, besaßen dieBewohner den gleichen kulturellen Hintergrund wieihre Nachbarn auf dem Eski Kermen. Besondersangreifbare Abschnitte schützte man auch hier durchmächtige Befestigungsmauern nach byzantinischemVorbild. Die Besiedlung auf dem Mangup war nochlanglebiger als am Eski Kermen: Im Spätmittelalteretablierte sich das Fürstentum Theodoro. Nach des-sen Eroberung durch die Osmanen 1475 existiertehier eine türkische Festung.

Erste Begehungen im Umland der beidenHöhensiedlungen haben bereits deutliche Hinweisedafür erbracht, dass sie Mittelpunkte einer reichenSiedlungslandschaft waren und keineswegs Zu-fluchtsorte in einem umkämpften Niemandsland zwi-schen Byzanz und seinen Nachbarn auf der Krim.

Zentrales Analysekriterium bei diesem For-schungsprojekt ist der Raum: Auf der Metaebeneinteressiert die kulturgeschichtliche Einbindung derKrim in das Schwarzmeergebiet, unterhalb dieserEbene stehen die räumlichen Beziehungen zwischender byzantinischen Metropole Chersonesos undihrem Vorfeld im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.Die wissenschaftliche Betrachtung fokussiert schließ-lich auf die Höhensiedlungen Mangup und EskiKermen mit ihrem Umland. Die unterste Betrach-tungsebene beschäftigt sich schließlich mit denHöhlenräumen in den Siedlungen, die ihnen die wer-bewirksame Bezeichnung „Höhlenstädte“ eingetra-

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Abb. 3: Der südliche Zu-gang der Höhensiedlungvon Eski Kermen

Abb. 4: Wandmalereien in einerHöhlenkirche am Eski Kermen

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gen haben. Die dazu notwendigen theoretischen Re-flexionen ermöglichen die Einbindung in das HKFZund die Diskurse mit Vertretern benachbarterDisziplinen, die sich mit ähnlichen raumbezogenenFragestellungen beschäftigen.

Venedig und Kreta als Räume des Wissensüber Byzanz und die orthodoxe Christenheitim 14. und 15. Jahrhundert

Die Nachricht von der osmanischen EroberungKonstantinopels am 29. Mai 1453 gelangte im Juni1453 über Candia (heute Herakleion), die Hauptstadtdes venezianischen Kreta, nach Venedig. Noch im sel-ben Monat informierte der venezianische Senat PapstNikolaus V., Kaiser Friedrich III. und die übrigenHerrscher Europas über das Ereignis. Der Vorgang istsignifikant für die Bedeutung Venedigs und Kretas alsUmschlagplatz für Nachrichten aus der Ägäis undaus der Levante.

Das im Zeitraum 1324 bis 1453 überwiegendvon Kooperation geprägte Verhältnis zwischenByzanz und Venedig hat auch in der Literatur derEpoche ein breites Echo gefunden. Es handelt sichhierbei um von venezianischen und griechischenAutoren verfasste Chroniken und Geschichtswerke,Schriften über die Planung und Durchführung vonKreuzzügen, Briefe und Traktate sowie theologischeStreitschriften, abgefasst in Latein, venezianischemItalienisch und Griechisch. Während sich in den z. T.noch unedierten Werken der venezianischen Chronis-ten und Geschichtsschreiber sowie in der vom Huma-nismus der Frührenaissance geprägten Literatur derEpoche (Briefe, Dichtungen, Traktate) eine Fülle vonnoch nicht systematisch gesammelten und ausge-werteten Informationen über Byzanz und die ortho-doxe Christenheit in Südosteuropa finden lassen,handelt es sich bei den Texten in griechischer Sprachemeist um theologische Streitschriften, in denen sichzunächst die Auseinandersetzung zwischen lateini-scher und griechischer Kirche in den von Venedigbeherrschten Gebieten widerspiegelt, die vor 1204zum Byzantinischen Reich gehört hatten. DasForschungsprojekt untersucht, wie, von wem und woauf Kreta und in Venedig im 14. und 15. JahrhundertWissen über das byzantinische Kaiserreich und dieorthodoxe Christenheit in Südosteuropa, im ägäi-schen Raum, in Kleinasien und im Nahen Ostengesammelt, verarbeitet und für konkrete politischeund kirchliche Zwecke genutzt wurde – z. B. um dastürkische Vordringen in der Ägäis und in Südost-europa abzuwehren oder die Einheit zwischen derrömisch-katholischen und der griechisch-orthodoxenKirche wiederherzustellen. Wie wurde die veneziani-sche Herrschaft über eine überwiegend griechisch-orthodoxe Bevölkerung in Gebieten, die zuvor zumByzantinischen Reich gehört hatten (Euboia/ Negro-ponte, Kreta, Koron und Modon auf der Peloponnes,

Ionische Inseln), zum einen von den venezianischenChronisten, Geschichtsschreibern und Humanisten,zum anderen von den meist klerikalen Wortführernder unterworfenen Griechen dargestellt, bewertetund gegebenenfalls legitimiert? Letztlich hat das aufKreta und in Venedig gesammelte Wissen dieVorstellungen, die das übrige Abendland von Byzanzund der orthodoxen Christenheit besaß, nachhaltiggeprägt.

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■ Summary The AG IV of the HKFZ includes various projectscovering the specific area of knowledge dominatedby the Byzantine Empire in Late Antiquity and theMiddle Ages. “Byzantinische Archäologie Mainz”was started as a joint research project by theUniversity of Mainz and the Römisch-GermanischesZentralmuseum. The first academic research pro-gramme deals with handicraft, workshops and tradein the Byzantine Empire. A further project within theAG IV analyses the processes of cultural exchange onthe border of the Byzantine Empire on the Crimea,also with regard to the results of environmentalarchaeology. In Late Antiquity and the earlyByzantine period, the mountains to the east of theancient city of Cherson were inhabited by an easternGermanic and Alanic population. The internationalresearch project conducted by the RGZM focuses onthe two hill settlements of Mangup and Eski Kermenlocated in this region. The third project deals with theknowledge about the Byzantine Empire and ortho-dox Christendom in Southeastern Europe, the Aegeanregion, Asia Minor and the Near East collected inVenice and Crete during the 14th and 15th centuries.

Dr. Jörg Drauschke

Jörg Drauschke hat dasStudium der Ur- und Früh-geschichte, Mittelalterli-chen Geschichte und Geo-logie an der Georg-August-Universität Göttingen undder Albert-Ludwigs-Uni-

versität Freiburg absolviert und 2005 in Freiburg überein Thema zu Handel und Austausch zwischen demöstlichen Mittelmeerraum und dem FränkischenReich der Merowingerzeit promoviert. Direkt im An-schluss war er beim Landesamt für DenkmalpflegeBaden-Württemberg tätig und beschäftigte sich mitThemen der Landesarchäologie. Seit 2006 ist er amRömisch-Germanischen Zentralmuseum wissen-schaftlicher Koordinator der Byzantinischen Archäo-logie Mainz und betreut das Projekt zum frühbyzan-tinischen Glas aus Caricin Grad.

■ Kontakt

Dr. Jörg DrauschkeRömisch-Germanisches ZentralmuseumForschungsinstitut für Vor- und FrühgeschichteErnst-Ludwig-Platz 255116 MainzTel. +49 (0) 6131 9124-263Fax +49 (0) 6131 9124-199E-Mail: [email protected]://www.byzanz-archaeologie.de

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HKFZ – BYZANZ

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Michael Herdick M.A.

Michael Herdick studierteVor- und Frühgeschichte,Klassische Archäologie undGeologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Frei-burg und an der Philipps-Universität Marburg sowie

Kulturmanagement an der Fernuniversität Hagen.Nach dem Studium arbeitete er zunächst beimTheiss-Verlag in Stuttgart, danach war er am Hausder Bayerischen Geschichte in Augsburg tätig. Seit2006 ist er beim Römisch-Germanischen Zentral-museum in Mainz als wissenschaftlicher Projekt-koordinator für das Krim-Projekt zuständig. SeineArbeitsschwerpunkte liegen in der Wirtschafts-geschichte, Elitenforschung, Historischen Fachinfor-matik und dem Wissenschaftsmanagement. Im Zugedes Krim-Projektes beschäftigt er sich mit Studien zurTheorie des Raumes.

PD Dr. Klaus-Peter Todt

Klaus-Peter Todt studiertean der Johannes Guten-berg-Universität Mainz By-zantinistik, EvangelischeTheologie und Philosophieund schloss 1983 mit einerMagisterarbeit über Bar-

tholomaios von Edessa ab. Im Anschluss daran war erbis zu seiner Promotion über „Kaiser Johannes VI.Kantakuzenos und der Islam“ im Jahr 1989 als wis-senschaftlicher Mitarbeiter, danach bis 1995 als wis-senschaftlicher Assistent am Arbeitsbereich V (Byzan-tinistik) des Historischen Seminars der UniversitätMainz tätig. 1999 erfolgte die Habilitation mit einerArbeit zum Thema „Region und griechisch-orthodo-xes Patriarchat von Antiocheia in mittelbyzantini-scher Zeit (969-1204)“ für das Fach Byzantinistik.Seit 1999 arbeitet er u. a. an dem Band Syria für dievon der Österreichischen Akademie der Wissenschaf-ten herausgegebene Reihe Tabula Imperii Byzantini.Sein Schwerpunkt im Forschungsprojekt ist die RolleVenedigs und Kretas.

An den Forschungsarbeiten der ByzantinischenArchäologie Mainz sind zudem folgendeWissenschaftler beteiligt:

Dr. rer. nat. Susanne GreiffSusanne Greiff hat in Aachen und Mainz Mineralogiestudiert und 1994 zum Thema „Rubingneis ausMysore“ promoviert. Als wissenschaftliche Mit-arbeiterin am Römisch-Germanischen Zentralmu-seum ist sie für das analytische Labor und die mate-rialwissenschaftliche Ausbildung des Restaurierungs-nachwuchses zuständig. Im Rahmen der Byzantini-schen Archäologie beschäftigt sie sich mit frühbyzan-tinischem Glas aus Caricin Grad.

Dr. Daniel KellerDaniel Keller hat in Basel Klassische Archäologie, Ur-und Frühgeschichte und Alte Geschichte studiert und2003 mit einer Arbeit über die Glasfunde aus Petra(Jordanien) promoviert. Danach hat er als ArchäologeGlasfunde aus Grabungen bei Petra, in Ägypten,Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf-gearbeitet. Seit 2006 befasst er sich in Mainz mit derVerwendung von Glas in der byzantinischen Kirche.

Hans Georg NagelHans Georg Nagel studierte in Göttingen, Heidelbergund Moskau Christliche Archäologie und Byzan-tinische Kunstgeschichte, Slavische Philologie(Russisch, Bulgarisch) und Alte Geschichte. Seit Ja-nuar 2007 arbeitet er in der Byzantinischen Archä-ologie Mainz an dem Projekt zu den Prozessions-kreuzen früh- und mittelbyzantinischer Zeit – wobeies sich gleichzeitig um seine Magisterarbeit handelt.

Sebastian Watta M.A.Sebastian Watta studierte die Fächer ChristlicheArchäologie und Byzantinischen Kunstgeschichte,Kunstgeschichte und evangelische Theologie inMainz. 2006 nahm er ein Stipendium im Rahmen derByzantinischen Archäologie auf und widmete sicheinem Projekt zu monolithischen Taufbecken derSpätantike in den byzantinischen Kerngebieten. DasThema wurde Anfang 2007 erfolgreich als Magis-terarbeit abgeschlossen.

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HKFZ – BYZANZ

35FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

An den Forschungsarbeiten zu den „Höhlen-städten“ der Krim sind folgende Archäo-logen und Historiker beteiligt:

Dr. Stefan AlbrechtStefan Albrecht hat Osteuropäische Geschichte,Mittlere und Neuere Geschichte, Byzantinistik, Ge-schichte, Neogräzistik und Jura in Mainz und Wienstudiert und 2001 in Mainz über die Geschichte derGroßmährenforschung in den Tschechischen Ländernund in der Slowakei promoviert. Seit 2002 ist erMitglied der Historischen Kommission für dieBöhmischen Länder und seit 2006 wissenschaftlicherMitarbeiter am Römisch-Germanischen Zentral-museum. Im Rahmen des Krim-Projekts bearbeitet erdie Schriftquellen zur Krim von 300 bis 1204.

Maja Aufschnaiter M.A.Maja von Aufschnaiter studierte Klassische Archä-ologie und Ur- und Frühgeschichte in Wien undHeidelberg. Zwischen 2004 und 2006 dokumentierte

sie die Kanalisationsanlagen in Tiryns (Griechenland)und beendete 2007 eine Doktorarbeit über Kanali-sations- und Sanitäranlagen der ägäischen Bronze-zeit. Seit 2006 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterinam Römisch-Germanischen Zentralmuseum undbefasst sich im Zuge des Krim-Projektes mit derDokumentation der Höhlen und Einarbeitungen aufden Plateaus des Eski Kermen und Mangup.

Dr. Rainer SchregRainer Schreg hat in Tübingen Vor- und Früh-geschichte, Klassische Archäologie und Urgeschichtestudiert und 2001 mit dem Thema „ArchäologischeStudien zur Genese des mittelalterlichen Dorfes inSüdwestdeutschland“ promoviert. In der Folgezeitwar er als Mittelalterarchäologe an der UniversitätTübingen tätig. Seit 2006 ist er wissenschaftlicherMitarbeiter am Römisch-Germanischen Zentral-museum und arbeitet an Themen der Umwelt-archäologie in Süd- und Westdeutschland sowie imBergland der Krim.

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In den Industrieländern wird die Bevölkerung älterund jünger zugleich: älter, weil das durchschnittlicheLebensalter zunimmt, und jünger, weil die Älterengesünder und aktiver bleiben und viele sich in ihremneuen Lebensabschnitt herausfordernde Ziele setzen.Das Potenzial von Wissen, Fähigkeiten, Interessenund Motiven der Älteren, seit Mitte der 1980er-Jahrein der Wissenschaft erforscht, ist in Deutschland mitBeginn dieses Jahrhunderts von Politik und Wirt-schaft entdeckt worden. Etwas zögerlich hat auch dieWerbewirtschaft die Bedeutung der Älteren alsumwerbenswerte Konsumenten erkannt. Immerhingaben laut der Süddeutschen Zeitung die Haushalteder Überfünfzigjährigen im Jahr 2005 17,5 MilliardenEuro pro Monat für Konsumgüter aus. AnfänglicheBezeichnungen der älteren Konsumenten alsSenioren, Silver Surfer oder Best Agers wurden vonden Bezeichneten mehrheitlich nicht angenommen,sodass die Zielgruppe heute assoziativ unverfängli-cher mit „50 plus“ bezeichnet wird.

Für Werbeagenturen stellt sich die Frage, wel-che Werbung die Zielgruppe 50 plus am bestenanspricht. Wie alt sollen die Models in der Anzeigen-werbung sein: eher jünger, wie überwiegend prakti-ziert, oder eher dem Alter der Umworbenen entspre-chend? In der Forschung lassen sich hierzu dreiHypothesen unterscheiden. Die erste Hypothese lau-tet, dass allgemein jüngere Menschen als attraktiverempfunden werden als ältere und dass dieserUnterschied bei Frauen größer ist als bei Männern.Begründet wird diese Hypothese evolutionsbiolo-gisch: Für die Erhaltung der Art sind junge Menschennotwendig und daher ist es sinnvoll und funktional,jüngere Menschen – insbesondere jüngere Frauen –attraktiv zu finden. Würde man ältere Menschenattraktiv finden, wäre dies für das Ziel der Arterhal-tung kontraproduktiv. Die zweite Hypothese beziehtsich auf die Attraktivität von Frauen und besagt, dassFrauen in jedem Alter attraktiv sein können. DieseHypothese wird vor allem von der Marke Dove vertre-ten und mit den Ergebnissen einiger Studien begrün-det, denen zufolge drei Viertel der Befragten derMeinung sind, dass in der Werbung Frauen jedenAlters als Models auftreten sollten. Die meistenKonsumentinnen würden sich durch die gegenwärtigüberwiegend sehr jungen und sehr schlanken weibli-chen Models nicht repräsentiert fühlen. Die dritteHypothese formuliert eine Übereinstimmung zwi-schen Model und beworbenem Produkt. Nach dieser„Match-up“-Hypothese eignen sich junge Models inder Werbung für Produkte, die mit Attraktivität, und

ältere für Produkte, die mit Kompetenz assoziiertwerden.

Diese drei Hypothesen haben wir mit Hilfezweier empirischer Studien geprüft. Die Stichprobeder insgesamt 160 Versuchsteilnehmer setzte sichaus jeweils 40 jüngeren Frauen und Männern im Altervon 20 bis 35 Jahren und 40 älteren Frauen undMännern im Alter von 50 bis 76 Jahren zusammen.Bearbeitet wurden zwei Aufgaben, wobei die erstedarin bestand, aus 16 bzw. 12 Anzeigen für fiktiveMarken diejenigen auszuwählen, die als am stärks-ten bzw. als am wenigsten ansprechend empfundenwurden. In der ersten Studie stammten die Markenaus den Produktkategorien Mode, Kopfschmerz-tabletten und Versicherungen und in der zweiten ausden Kategorien Kopfschmerztabletten, Reisen undKaffee. Die vorgelegten Anzeigen zeigten jeweils einPortraitfoto der Models (gleich häufig jüngere undältere) sowie ein Markenlogo (z. B. Modelabel) oderdie Abbildung des Produktes (z. B. Packung Kopf-schmerztabletten). Bei der Auswahl der Modelswurde darauf geachtet, dass für jedes ausgewähltejüngere Model ein ungefähr gleich attraktives älteresModel ausgesucht wurde. In der ersten Studie wur-den Fotos der Models vorgelegt, und die Versuchs-personen sollten angeben, von welchem der Modelssie sich in der Werbung für Mode, Kopfschmerz-tabletten und Versicherungen am stärksten ange-sprochen fühlten; in der zweiten Studie wurdenAnzeigen fiktiver Marken für Kopfschmerztabletten,Reisen und Kaffee vorgegeben.

In der zweiten Aufgabe mussten die Teil-nehmer eine Kategorisierungsaufgabe am Laptopbearbeiten. Mit Hilfe dieser als Impliziter Asso-ziationstest (IAT) bezeichneten Aufgabe solltenAssoziationen zu Alter bzw. Jugend indirekt erfasstwerden. Indirekt werden solche Assoziationen mitHilfe von Reaktionszeiten gemessen. Bei diesem Testist die kritische Reaktionszeit die Zeit zwischen demgleichzeitigen Einblenden eines Begriffs und einerAnzeige auf dem Monitor eines Laptops und demDrücken einer zuvor bezeichneten Taste. Hierbei sinddie Begriffe entweder konnotativ angenehm, wiez. B. „hübsch“ und „Gesundheit“ oder konnotativunangenehm, wie z. B. „reizlos“ und „Krankheit“,und die Anzeigen bilden entweder ein junges oderein älteres Model ab. Wirkt ein Altersstereotyp, asso-ziiert man Alter stärker mit Vorstellungen vonUnattraktivität als mit Attraktivität und man wirdschneller mit einem Tastendruck reagieren, wenn auf

Jugendlichkeit und Attraktivität –damit scheint der Erfolg einer

Werbeanzeige oft garantiert. Dochist so auch die neu entdeckte

Verbrauchergruppe der älterenKonsumenten zu erreichen?

PSYCHOLOGIE

Von Axel Mattenklott, Ursula Hentschel und Nina Blum

Werbung für ältere Konsumenten:Wie spricht man die Zielgruppe „50 plus“ am besten an?

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dem Monitor ein älteres Model gemeinsam miteinem konnotativ unangenehmen Begriff eingeblen-det wird als mit einem konnotativ angenehmen.Hierbei wirkt das Altersstereotyp nicht mit bewussterAufmerksamkeit. Würde man dagegen direkt nachdem Eindruck über ältere Models fragen, wäre einsolcher Eindruck von Überlegungen beeinflusst, sichals frei von Vorurteilen darzustellen. Die Wirkung desAltersstereotyps wäre hierdurch gemindert. Anzu-merken ist, dass Unattraktivität nur einen Teil desAltersstereotyps ausmacht. Es beinhaltet auch positi-ve Vorstellungen, wie etwa Erfahrung und Kom-petenz.

Der interessierende kritische Wert ist die (stan-dardisierte) Differenz der 160 Reaktionszeiten imkongruenten („alt + unattraktiv/unangenehm“ bzw.„jung + attraktiv/angenehm“) und inkongruenten(„alt + attraktiv/angenehm bzw. „jung + unattrak-tiv/unangenehm“) Durchgang. Positive Reaktions-zeiten indizieren die nicht bewusste Wirkung einesAltersstereotyps. Begriffe wie etwa „reizlos“ oder„Krankheit“ werden leichter assoziiert als „hübsch“oder „Gesundheit“, wenn man mit „Alter“ konfron-tiert wird. Daher erfolgt der Druck auf die Tasteschneller, wenn ein älteres Model der Kategorie „alt+ unattraktiv/unangenehm“ als der Kategorie „alt +attraktiv/angenehm“ zugeordnet werden soll. Ana-log wirkt ein Jugendstereotyp, wenn die Zuordnungjunger Models zur Kategorie „jung + attraktiv/ange-nehm“ schneller erfolgt als zur Kategorie „jung +unattraktiv/unangenehm“.

Die Ergebnisse der ersten Aufgabe (von wel-chem Model fühlt man sich am stärksten angespro-chen?) zeigen, dass im Fall der Anzeigen für Modeund Reisen am häufigsten ein junges Model gewähltwurde. Bei der Werbung für Reisen fanden 55 der 80Befragten ein junges Model als am stärksten anspre-chend, und 46 dieser 55 Präferenzen fielen auf einejunge Frau. Die Präferenz für ein junges Model warbei den jüngeren Versuchsteilnehmern stärker ausge-prägt (34 von 40) als bei den älteren (21 von 40). BeiAnzeigen für Damenmode gab es eine deutlichePräferenz für ein junges Model (69 von 80), die beiälteren und jüngeren Versuchsteilnehmern gleichgroß ausgeprägt war. Bei Anzeigen für Herrenmodewar der Vorzug eines jungen Models schwächer aus-geprägt (49 von 80; siehe Abb. 1).

Während jüngere Versuchsteilnehmer zueinem jungen Model tendierten, war die Präferenz

bei älteren Versuchsteilnehmern etwa gleich häufigauf ein junges und älteres Model verteilt. Mode undReisen sind mit Attraktivität und angenehmenGefühlen assoziiert und mit solchen Assoziationenwird auch Jugendlichkeit verbunden. Diese Tendenzwar bei Damenmode stärker ausgeprägt als beiHerrenmode, denn ältere männliche Models wurdenals ansprechender empfunden als ältere weiblicheModels.

Bei der Werbung für Kaffee, Versicherungenund Kopfschmerztabletten wurde von jüngeren undälteren Versuchsteilnehmern am häufigsten ein älte-res Model gewählt. Im Fall der Kaffeemarke war esein älteres männliches Model (45 von 80). DieWerbung für Kaffee betont Genuss und Entspannungstärker als Belebung. Genuss und Entspannung istanscheinend stärker mit einer gewissen Lebens-

PSYCHOLOGIE

37FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

Abb. 1: Die am häufigsten präferiertenModels in Anzeigen für Mode

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erfahrung assoziiert, Belebung dagegen eher mitJugendlichkeit und anderen belebenden Getränken,etwa mit Cola. Bei der Werbung für Versicherungenfiel die Präferenz deutlich auf ein älteres männlichesModel (68 von 80), was die Bedeutung der Kompe-tenz bei der Werbung für diese Art von Dienstleis-tungen hervorhebt. Bei den Anzeigen für Kopf-schmerztabletten war die Präferenz für ein älteresModel in den beiden Studien nicht ganz einheitlich.In der ersten Studie fiel sie auf ein weibliches (50 von80) und in der zweiten Studie auf ein männlichesModel (38 von 80; siehe Abb. 2).

Die Ergebnisse der zweiten Aufgabe zeigen dieWirksamkeit des Altersstereotyps. Bei den Anzeigenfür Mode und für Kopfschmerztabletten waren dieDifferenzen der Reaktionszeiten positiv, das heißt,junge Models wurden stärker mit Attraktivität undältere mit Unattraktivität assoziiert. Diese Unter-schiede waren bei jüngeren Versuchsteilnehmernstärker ausgeprägt als bei älteren. Im Fall der An-zeigen für Mode zeigten sich Unterschiede in denReaktionszeiten für Versuchsteilnehmer, die explizitein jüngeres bzw. ein älteres Model als am stärkstenansprechend gewählt hatten. Wurde explizit ein älte-res Model gewählt, ging damit zwar ein Alters-stereotyp einher, dieses war aber signifikant geringerausgeprägt als bei der Gruppe, die explizit ein jungesModel gewählt hatte. Diese Unterschiede der Reak-tionszeiten waren bei Anzeigen für Damenmode grö-ßer als bei Anzeigen für Herrenmode, was die stärke-re Ausprägung des weiblichen Altersstereotypswiderspiegelt. Bei den Anzeigen für Kopfschmerz-tabletten wirkte das Altersstereotyp unabhängigdavon, ob man sich explizit am stärksten von einemälteren oder jüngeren Model angesprochen fühlte.

Aus den beiden Studien lässt sich resümieren,dass es bei der Werbung mit Models darauf an-kommt, wie gut das Stereotyp von jungen bzw. älte-ren Menschen zu dem Image der Produktkategoriepasst (man versteht hierunter sämtliche Assoziatio-nen zu der Produktkategorie, z.B. zu Mode). BeiProdukten, die mit Schönheit, Jugendlichkeit undangenehmer Aufregung assoziiert werden, wird einjunges Model als ansprechender empfunden. DieseTendenz ist bei jüngeren Konsumenten stärker ausge-prägt als bei älteren. Bei Produkten, die mitKompetenz und Lebenserfahrung assoziiert werden,wirkt ein älteres Model ansprechender. DieseTendenz ist für ältere wie für jüngere Konsumentengleich stark. Die Ergebnisse zeigen weiter dieWirkung des Altersstereotyps, das sich bei einerexpliziten Befragung nicht zeigen ließe. Es war unab-hängig von der Produktkategorie und der Wahl einesjungen oder älteren Models wirksam.

PSYCHOLOGIE

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Abb. 2:Die drei am häufigsten präferierten Models in

Anzeigen für Kopfschmerz-tabletten in der zweiten

Studie

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PSYCHOLOGIE

39FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

■ Summary Two experimental studies investigated whether elderconsumers feel more persuaded by advertisementswith young and physically attractive models or byadvertisements with models whose age correspondsto that of the elder consumers. The first test measu-red the subjects’ preferences for the advertisementsdisplayed and the second test the associations evo-ked by the elder or, respectively, the younger models.Results from both studies corroborate a match-uphypothesis. Both, elder and younger consumers feltmore persuaded by younger models if the products,such as fashion and travel, are related to attractive-ness. They felt more persuaded by elder models if theproducts, such as headache tablets and insurancepolicies are related to competence. The results alsoshow a stereotype of age that was independent ofthe brand advertised.

Prof. Dr.Axel Mattenklott

Axel Mattenklott, Jahrgang1942, studierte Psychologieund Biologie an den Univer-sitäten Hamburg, Braun-schweig und Mainz. Er pro-

movierte über ein Thema zur subjektiven Repräsen-tation von schematisierten Gesichtern und habilitier-te mit einer Arbeit über Modelle der Urteils- undEntscheidungsbildung. Seit 1994 ist er Professor fürPsychologie. Er lehrt Organisations- und Wirtschafts-psychologie. Seine Forschungsschwerpunkte sindemotionale Werbung und Bindung an Marken. Er istgemeinsam mit Dr. Alexander Schimansky Heraus-geber des Bandes „Werbung. Konzepte und Stra-tegien für die Zukunft“, München, 2002.

Dipl.-Psych.Ursula Hentschel

Ursula Hentschel, Jahrgang1982, studierte Psychologiean der Johannes Guten-berg-Universität Mainz.Ihre Diplomarbeit schrieb

sie über „Ältere Models in der jugendlichenWerbebranche“. Seit dem Diplom 2007 arbeitet sieals Projektmitarbeiterin an der PädagogischenHochschule Heidelberg und organisiert Testungenvon Erstklässlern mit Migrationshintergrund zurEvaluation von Sprachförderungen an MannheimerGrundschulen.

Nina Blum

Nina Blum, Jahrgang 1977,absolvierte nach der Mitt-leren Reife zunächst eineberufliche Ausbildung zurIndustriekauffrau und er-langte nach zwei Jahren

Berufspraxis das Abitur am Hessenkolleg. Seit 2002arbeitet sie in einem Marktforschungsinstitut undseit 2004 studiert sie Psychologie an der JohannesGutenberg-Universität Mainz. Sie schreibt ihreDiplomarbeit über Attraktivität und Kompetenz vonModels in der Werbung.

■ Kontakt

Apl. Prof. Dr. Axel MattenklottPsychologisches InstitutJohannes Gutenberg-Universität MainzStaudingerweg 955128 MainzTel. +49 (0) 6131 39-22888Fax +49 (0) 6131 39-23243E-Mail: [email protected]://psycho.sowi.uni-mainz.de/abteil/aow/

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BETRIEBSWIRTSCHAFT

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Von Frank Huber, Frederik Meyer, Kai Vollhardt und Johannes Vogel

Ist Preis gleich Preis? – Ein interkulturellerVergleich zwischen Deutschland und China

Preise sind seit jeher als Gegenleistung für eine Waresowohl für den Anbieter als auch für den Nachfragervon besonderer Bedeutung. Gewinne können nurdann erzielt werden, wenn der monetäre Gegenwerteiner Leistung die Kosten zur Herstellung übersteigt.Für den Käufer ist der Preis als Signal wichtig, umsich für oder gegen ein Produkt zu entscheiden.Relevant sind hierbei aber nicht nur absolute Preise,sondern auch deren Veränderung. Die Ursachen fürPreiserhöhungen und Preissenkungen sind dabeivielfältig. Vor allem aber die Steigerung von Preisenbesitzt eine ganz besondere Brisanz. Obwohl Unter-nehmen mitunter darauf angewiesen sind, höherePreise für ein Produkt zu verlangen, beispielsweisezur Deckung gestiegener Kosten, stößt dies bei denNachfragern häufig auf Unverständnis. Solche Verän-derungen sind aus Sicht des Einzelnen mal nachvoll-ziehbar, mal verwerflich: Jede Person beurteilt sieunterschiedlich, auch abhängig von den Motiven desAnbieters. Eine Preiserhöhung zur Deckung gestiege-ner Kosten wird meist akzeptiert, das Motiv einer rei-nen Gewinnsteigerung provoziert die Nachfrager undführt mitunter zum Boykott einzelner Produkte oderganzer Unternehmen.

Relevanz erhält diese Thematik durch die zu-nehmende Bedeutung der Internationalisierung vonPreisstrategien im Zuge der Globalisierung. Vernach-lässigt wird dabei oft genug die Kultur als „[…] einökonomisch hoch brisanter Stoff“1. Vor dem Hinter-grund verschiedener Kulturen sind Unterschiede inder Bewertung von Preisen und deren Änderung zuerwarten. Dadurch offenbart sich die eventuelleNotwendigkeit eines länderspezifischen Preismana-gements. In diesem Zusammenhang besteht die Ziel-setzung der vorliegenden Studie in einer vergleichen-den Untersuchung der Preisfairness als Reaktion aufPreiserhöhungen in unterschiedlichen Kulturkreisenam Beispiel Deutschland und China.

Preise mal anders

Rein sachlich ist ein Preis nichts anderes als die Ge-genleistung eines Käufers für eine in Anspruch ge-nommene Leistung. Egal, ob es sich um Lebensmittel,den Urlaub oder die Verwaltung des eigenen Geldesdurch eine Bank handelt, stets muss der Kunde dieseLeistungen mit Geld bezahlen. Dass Preise nichtgleichbleibend sind, sondern sich auch ebensoschnell wie häufig ändern können, erleben dieKonsumenten alltäglich. Solche Preisänderungensind als „Preisaktionen“ häufig nur von kurzer Dauer.

Während Preissenkungen sehr geschätzt und fürsogenannte „Schnäppchenkäufe“ genutzt werden,sieht es bei einer Preiserhöhung ganz anders aus. Siewerden äußerst kritisch gesehen, wobei das starkdavon abhängt, wie nachvollziehbar und fair demVerbraucher eine solche Änderung erscheint. DasStreben nach höheren Gewinnen wird in dieserHinsicht ganz anders beurteilt als die notwendigeAbfederung ansteigender Kosten, wie z. B. für teure-re Rohstoffe oder aber für höhere Gehälter derBelegschaft.

Preise stellen aus Sicht der Verbraucher viel-fach ein eindeutiges Datum dar: 5 Euro sind 5 Euro -das stellt niemand in Frage. Das verhaltenswissen-schaftliche Preismanagement berücksichtigt inzwi-schen aber, dass Kunden objektive Preise in subjekti-ve Preise überführen. So ist es auch bei Preisände-rungen: Aus bisherigen Käufen eines Produkts (z. B.eines Sportschuhs) hat jeder Mensch einen individu-ellen „Referenzpreis“ gebildet. Das bedeutet, dassder eine bei der Frage nach einem „normalen“ Preisfür einen Sportschuh 50 Euro nennt, während eineandere Person mit 80 Euro antwortet. Auf dieseWeise beurteilt jeder Kunde den Preis und Prei-sänderungen anders. Je nachdem ist für den einenein Preis von 60 Euro dann „teuer“, für den anderenimmer noch „günstig“ – ein und derselbe Preis wirdvon unterschiedlichen Konsumenten als „fair“ bzw.„unfair“ wahrgenommen. Genauso ist es bei Preis-steigerungen: Eine Person sieht die Steigerung desPreises von 50 auf 60 Euro als fair an, eine anderePerson nicht. Dieses Urteil über die Fairness vonPreisen ist die Folge von Gesellschaftsnormen überfaires Verhalten. Jeder Mensch gesteht einem Ver-käufer einen „normalen“ Gewinn zu, verlangt abereinen ebenso „normalen“ Preis dafür.

Bei der Beurteilung der Preisfairness sind letzt-lich zwei Komponenten zu unterscheiden, eine öko-nomische und eine psycho-soziale. Die ökonomischeKomponente bezieht sich auf das vom Kunden wahr-genommene Preis-Leistungsverhältnis. Ist dabei derPreis im Verhältnis zur Leistung zu hoch, agiert derAnbieter aus Sicht des Nachfragers unfair. Die psy-cho-soziale Fairness spiegelt den Zusammenhangzwischen tatsächlichem und sozial akzeptablemProduktpreis wider. Verstößt dabei ein Anbietergegen soziale Normen, stuft der Kunde dies als unfairein. Nutzt ein Anbieter in einer Situation seine Machtaus, führt das beim Nachfrager zu einer Verletzungder akzeptierten Geschäftsgebaren. Somit erscheint

Wie kann ein Unternehmen seinePreise attraktiv gestalten und sie

gleichzeitig steigenden Kostenanpassen, um profitabel wirt-

schaften zu können? Eine Studieuntersucht die Frage am Beispiel

von Handys in China undDeutschland im Vergleich.

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BETRIEBSWIRTSCHAFT

41FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

Preisfairness dann vorzuliegen, wenn die Nachfragerdas Preis-Leistungsverhältnis als gerecht einstufenund der tatsächliche Preis nicht gegen den als sozialakzeptierten Preis verstößt.

Sogenannte Preisfairnessurteile spiegeln alsonicht nur den Egoismus eines Individuums wider,sondern erweitern es um ein soziales Gewissen. Diemeisten Menschen fühlen sich in der Lage einzu-schätzen, was ein Unternehmen für die Produktioneiner Leistung bezahlt. Unter Berücksichtigung desReferenzpreises beurteilt der Einzelne einen Preis alsmehr oder weniger fair. Gerade Preiserhöhungenwerden allgemein als unfair empfunden. Warum soll-te man auch mehr zahlen? Weil das Unternehmenmehr verdienen möchte? Oder vielleicht doch weildie Rohstoffe teurer geworden sind? Dann wäre derhöhere Preis ja irgendwie in Ordnung und damit auchfair: „Von mir aus können die auch mehr verdienen,wenn sie ihre Kosten senken, schließlich bin ich denaktuellen Preis ja gewohnt…“. Die Preisfairnessumfasst damit das subjektive Empfinden über dieAngemessenheit, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. 2

Was hat Vertrauen mit der Fairnessvon Preisen zu tun?

Die stetig zunehmende Unübersichtlichkeit des ge-sellschaftlichen Geschehens macht Vertrauen immerwichtiger. Die Informationsüberlastung der Konsu-menten und eine gleichzeitige Unterversorgung mitden eigentlich relevanten Informationen lassen denAufbau von Vertrauen notwendig erscheinen. Dieswürde die soziale Komplexität verringern, indem dieToleranz gegenüber Ungewissheit erhöht wird. Dabeisind zwei Dinge wesentlich für den Aufbau vonVertrauen: Ehrlichkeit und Kompetenz. Übertragenauf den Kauf eines Produktes heißt das, der Konsu-ment hofft darauf, dass sich seine Erwartungen andie Leistung des Produkts erfüllen, und erwartetgleichzeitig, dass sich der Anbieter nicht eigennützigverhält.

Die Zunahme der Komplexität ist gleichbedeu-tend mit einer Informationsasymmetrie zwischen denKunden und dem Anbieter, sodass Unsicherheit überdie Leistung des Produktes aufkommt. Die Lösung istder Vertrauensaufbau durch den Anbieter, um dassubjektiv empfundene Risiko des Nachfragers zumindern. Oftmals können Marken diese Funktionerfüllen, wobei die Aufdeckung fahrlässiger oderbetrügerischer Machenschaften in Unternehmenimmer häufiger zu Vertrauenskrisen führt. Ähnlich istes bei Markenfehlverhalten, wie gesellschaftlichumstrittenes Handeln oder mangelnde Erfüllung vonKundenwünschen, sodass eine Marke allein nichtgrundsätzlich als Vertrauensgarant gesehen werdenkann.

Die zunehmende Komplexität bei der Bewer-tung der Leistungen eines Anbieters führt dazu, dasssich Kunden auch in der Beurteilung des zu zahlen-den Preises unsicher sind. In der Folge sollte es fürein Unternehmen insbesondere dann möglich sein,höhere Preise durchzusetzen, wenn ein entsprechen-des Vertrauensverhältnis zwischen Anbieter undKunden besteht. Ist dies nicht der Fall, zeichnet sichdie Beziehung und alles mit ihr Einhergehende durchUngewissheit aus.

Preisfairness in Deutschland und Chinaim Vergleich

Eine Untersuchung des Lehrstuhls für Marketing I ander Johannes Gutenberg-Universität mit 400 Pro-banden in Deutschland und China ging der Wirkungvon Preissteigerungen auf die wahrgenommenePreisfairness unter Berücksichtigung des Vertrauenszum Anbieter nach. Die Studie wurde anhand vonMobilfunkgeräten durchgeführt, da chinesische unddeutsche Verbraucher in dieser Produktkategorie einvergleichbares Markenbewusstsein entwickelt ha-ben. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse in Deutsch-land und China wird damit sichergestellt – bei gleich-zeitig ausreichender Kauferfahrung der Befragten:100 Prozent aller teilnehmenden Chinesen und 91,4Prozent aller Deutschen gaben an, in ihrem Lebenschon mindestens zwei Handys für sich gekauft zuhaben.

Das im Rahmen der Studie durchgeführte Ex-periment zeigt, dass die wahrgenommene Preisfair-ness wie erwartet mit zunehmender Höhe desPreisanstiegs geringer wird. Gleichzeitig konnte fest-gestellt werden, dass Verbraucher Preiserhöhungenumso fairer einschätzen, je größer ihr Vertrauen zumAnbieter ist. Das gilt sowohl für den chinesischen alsauch für den deutschen Markt. Interessant ist darü-ber hinaus, dass je höher das Vertrauen zum Anbieterausgeprägt ist, desto weniger nimmt die wahrge-nommene Fairness bei einer Preiserhöhung ab. DieserEffekt ließ sich allerdings nur in der Volksrepubliknachweisen.

Wahrgenommene Preisfairness in Abhängigkeit vom Vertrauen

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BETRIEBSWIRTSCHAFT

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Die Erkenntnisse solcher Untersuchungen inder Marketingforschung sollten immer auch ökono-mische Relevanz besitzen. Insofern stellt sich dieFrage, ob die Preisfairness eine Auswirkung daraufhat, ob ein Konsument das Produkt noch einmal kau-fen würde. Zur Klärung dieser Frage diente auch hierein Experiment auf dem Handymarkt – mit eindeuti-gem Ergebnis: Eine erhöhte Preisfairness geht miteiner erhöhten Wiederkaufabsicht für das Produkteinher und zwar in China gleichermaßen wie inDeutschland. Der Anbieter kann folglich, bei sonstkonstanten Bedingungen, von einer hohen Wieder-kaufabsicht des Kunden ausgehen, wenn er Preis-fairness schafft und dies vom Kunden wahrgenom-men wird – auch bei einer vorangegangenen Preis-steigerung, wie diese Studie zeigt.

Implikationen für die Marketingpraxis

Aus den dargestellten Ergebnissen lassen sich praxis-bezogene Empfehlungen für das preispolitischeManagement ableiten. Einer als prinzipiell unfairwahrgenommenen Preissteigerung kann mittelsgezielter Marketingpolitik entgegengewirkt werden,wobei explizit auf kulturelle Besonderheiten einzuge-hen ist.

Vor allem der Aspekt des Vertrauens erscheintin China sehr vielversprechend. Der Stellenwert vonVertrauen in der Volksrepublik ist nicht verwunder-lich, er unterstreicht vielmehr die Besonderheiteneiner kollektivistischen Kultur. Grundsätzlich bringensich einander unbekannte Individuen zunächst keinVertrauen entgegen, insbesondere in China ent-wickeln nach Casimir et al. die Menschen kein „trustin anyone who is not a family member“. 3 Innerhalbeiner abgegrenzten Gruppierung bringen Chineseneinander ein hohes Vertrauen entgegen, zeigen abergegenüber Außenstehenden geringe Beachtung bzw.Misstrauen. In westlichen Kulturen hingegen sindMenschen meist mehreren Gruppen zugehörig. Einelosere Bindung zu den Gruppenmitgliedern bzw. eineoffenere und vertrauenswürdigere Einstellung ge-genüber Nichtmitgliedern ist somit zwangsläufig.Aus diesem Grund ist die Vertrautheit zum Anbieterin China der „kritische“ Faktor. Durch sie wird dieVermutung eines opportunistischen, rein profitorien-tierten Verhaltens verhindert, was vor allem beigeringen Preissteigerungen zur Erzielung von wahr-genommener Preisfairness führt. Zwar stellt derAufbau eines hohen Vertrauens zum Anbieter inChina somit für „Nicht-Mitglieder“ eine zusätzlicheHerausforderung dar, es sollte aber für das Marketingeine zu bewältigende Aufgabe sein. In China istdaher gezielt auf eine vertrauensbildende Kampagnezu setzen.

Wie die Untersuchung zeigt, gilt nicht nur imSportbereich „Fair geht vor“: Sowohl in China alsauch in Deutschland ist eine direkte Wirkung der

Preisfairness auf die Wiederkaufabsicht festzustellen.Dieser Zusammenhang ist insbesondere in Deutsch-land ausgeprägt. Die Preispolitik nimmt in derForschung wie in der Praxis einen hohen Stellenwertein, wenn es um die Fragen des Kundenbindungs-managements geht. Verdeutlicht wird das durch dievielfältigen zur Verfügung stehenden Instrumente,wie beispielsweise attraktive Rabatt- und Bonus-systeme. Die Ergebnisse der vorliegenden Unter-suchung verbessern den Erkenntnisstand zur wahrge-nommenen Preisfairness und begründen, warumauch eine Strategie der Preisfairness in das Kunden-bindungsmanagement zu integrieren ist.

■ Summary How can a company realize a customer-orientedpricing and – at the same time – adapt prices toincreasing costs to stay profitable? In order toanswer this question the chair of Marketing I at theJohannes Gutenberg-University Mainz conducted asurvey in China and Germany. It is crucial for theacceptance of prices, how fair consumers rate therise in prices and how much they trust the company.There is a particular impact of trust in China. Finally,the article provides implications for internationalprice management.

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BETRIEBSWIRTSCHAFT

43FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

Dr. Kai Vollhardt

Kai Vollhardt studierte Be-triebswirtschaftslehre mitden Wahlfächern Marketingund Finanzwirtschaft an derJohannes Gutenberg-Uni-versität. Seit 2004 ist er wis-senschaftlicher Mitarbeiter

am Lehrstuhl für Marketing I. In seiner Dissertationbeschäftigte er sich mit der optimalen Ausgestaltungdes Markenportfoliomanagements.

■ Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Frank HuberProfessur für Betriebswirtschaftslehre,insbes. Marketing IJohannes Gutenberg-Universität MainzJakob-Welder-Weg 955128 MainzTel. +49 (0) 6131 39-23037Fax +49 (0) 6131 39-23727E-Mail : [email protected]://www.marketing-mainz.de

1) Bosch, A./Reichenbach, T./Schmidt, G. (2003): Globalisierung und Kultur – Neue Herausforderungen an Unternehmen am

Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Böhn, D./Bosch, A./Haas, H.-D./Kühlmann, T./Schmidt, G.(Hrsg.): Deutsche Unter-

nehmen in China: Märkte, Partner, Strategien, Wiesbaden.

2) Diller, H. (2000): Preispolitik, 3. Auflage, Stuttgart.

3) Casimir, G./Waldman, D.A./Bartram, T./Yang, S. (2006): Trust and the Relationship Between Leadership and Follower

Performance: Opening the Black Box in Australia and China, in: Journal of Leadership & Organizational Studies,

Vol. 12, Nr. 3, S. 68-84.

Belz, C. (2000): Internationales Preismanagement: Strategie, Preisharmonisierung, Tools, Fallbeispiele, St. Gallen.

Campbell, M.C. (1999): Perceptions of Price Unfairness: Antecedents and Consequences, in Journal of Marketing Research,

Vol. 36, S. 187-199.

Dörtelmann, T. (1997): Marke und Markenführung: Eine institutionstheoretische Analyse, Bochum.

Herrmann, A./Wricke, M./Huber, F. (2000): Kundenzufriedenheit durch Preisfairness, in: Marketing – Zeitschrift für Forschung und

Praxis, 22 Jg., Nr. 2, S. 131-143.

Ho, T.-H./Weigelt, K. (2005): Trust Building Among Strangers, in: Management Science, Vol. 51, Nr. 4, S. 519-530.

Homburg, C./Krohmer, H. (2003): Marketingmanagement - Strategien-Instrumente-Umsetzung-Unternehmensführung, Wiesbaden.

Kahneman, D./Knetsch, J. L./Thaler, R. H. (1986): Fairness and the Assumptions of Economics, in: The Journal of Business,

Vol. 59, Nr. 4, S. 285-300.

Meffert, H./Bruhn, M. (2003): Dienstleistungsmarketing: Grundlagen – Konzepte – Methoden, 4. Auflage, Wiesbaden.

Literatur

Weiterführende Literatur

Univ.-Prof. Dr.Frank Huber

Frank Huber ist Inhaber desLehrstuhls für Marketing Iund Leiter des Center ofMarket-oriented Productand Production Manage-ment (CMPP) an der Johan-nes Gutenberg-Universität

in Mainz. Er promovierte 1998 an der UniversitätMannheim und wurde 2002 an der Universität St.Gallen habilitiert. Seine Forschungsschwerpunktesind Konsumentenverhalten, Marktforschung, Pro-dukt- und Markenmanagement sowie Innovations-netzwerke/Innovationsmanagement.

Frederik Meyer

Frederik Meyer studierteBetriebswirtschaftslehremit den Wahlfächern Mar-keting, Wirtschaftsinfor-matik und Produktions-wirtschaft an der JohannesGutenberg-Univers i tät

Mainz. Seit 2005 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiteram Lehrstuhl für Marketing I.

Johannes Vogel

Johannes Vogel studierteBetriebswirtschaftslehremit den Wahlfächern Mar-keting und Statistik undÖkonometrie an der Johan-nes Gutenberg-UniversitätMainz. Seit 2005 ist er wis-

senschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Marke-ting I.

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KULTURWISSENSCHAFT

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Von Susanne Klengel

Asymmetrien denken.Zur „Geschichte des Wissens“ in der interkulturellen Kulturwissenschaft

Die „Geschichte des Wissens“ bildet einen wichtigenForschungsbereich in der interkulturell ausgerichte-ten Kulturwissenschaft. Angesichts einer zunehmendinteragierenden Weltgesellschaft lautet ihr Ziel, eintieferes Verständnis für die unterschiedlichen Formender Wissenskonstitution, ihre Institutionen und intel-lektuellen Akteure in den verschiedenen nationalenund kulturellen Kontexten zu entwickeln und gleich-zeitig die eigenen intellektuellen Traditionen undinstitutionellen Mechanismen mit einem Blick vonaußen zu reflektieren. Diese Unterschiedlichkeitzeigt sich nicht nur bei den Forschungsinhalten, son-dern auch bei den Darstellungsformen und den aka-demischen Kommunikationsweisen, die wiederumden intellektuellen Austausch zwischen Angehörigenverschiedener Wissenskulturen und -gesellschaftenerheblich beeinflussen können.

Aus gutem Grund orientiert sich die interkultu-relle Forschung zur „Geschichte des Wissens“ nichtmehr an der spezifisch modernen Vorstellung einerstetig fortschreitenden und Erkenntnisse akkumulie-renden Entwicklungsgeschichte. Denn unausgespro-chen wird dabei meist ein bestimmtes (westliches)Modernisierungsmodell vorausgesetzt. Sie geht viel-mehr komparatistisch vor, indem sie die Wege derDenk- und Wissenstraditionen in den verschiedenenWissenskulturen erkundet und deren Differenz be-wusst nicht an einem gemeinsamen Modernisie-rungsmodell misst.

Dies ist besonders wichtig, wenn es um Wis-senskulturen in geographischen „Randlagen“ geht –in einer vermeintlichen „Peripherie“ also, der langeZeit unterstellt wurde, sie folge letztlich der Dynamikdes europäisch-westlichen Modells und hole einelediglich dephasierte Modernisierung nach. Dass dies

meist nicht zutrifft, dass die Idee eines einheitlichenModernisierungsmusters vielmehr einen Mythos bil-det, haben in jüngerer Zeit eine Vielzahl von Studienim Zuge des cultural turn gezeigt. Man begegnet indiesen Untersuchungen Begriffen wie „fragmentierteModerne“, „alternative modernity“ oder „moderni-dad periférica“, und zunehmend wird von Moderne-Konzepten oder Moderne-Diskursen und von Moder-nitäten im Plural gesprochen, um die unterschiedli-chen Rhythmen und kulturellen Mechanismen derweltweiten Modernisierungsprozesse zu beschrei-ben.

Der komparatistische Ansatz erlaubt eingenaueres Verständnis, warum und auf welche Weisesich so unterschiedliche Wissenstraditionen, wie z.B.die deutsche und die französische oder die angel-sächsische, herausgebildet haben und wie sie funk-tionieren. Komplexer noch ist allerdings die verglei-chende Fremd- und Selbstbeobachtung, wenn mansich Wissenskulturen wie etwa den lateinamerikani-schen zuwendet. Nachdem man sich aus den bereitsgenannten Gründen von einer einheitlichen Moder-nisierungs- und Entwicklungsvorstellung gelöst hat,bedarf es nämlich anderer Beschreibungs- und Ana-lysekriterien, die der asymmetrischen Zentrum-Peri-pherie-Konfiguration und den spezifischen kulturel-len Kontexten angemessen sind. Zu bedenken istdabei, dass sich in der Geschichte dieser Wissens-kulturen oftmals aufgrund von früheren kolonialenAbhängigkeitsverhältnissen die intellektuellen Orien-tierungs- und Referenzpunkte nicht nur innerhalb desjeweiligen nationalen und kulturellen Wissenssys-tems befinden, sondern auch außerhalb. Sei es imaffirmativen Sinne, wie im Falle des französischenPositivismus, der im Brasilien des ausgehenden 19.Jahrhunderts als Modernisierungsstrategie mit reli-giöser Gläubigkeit adaptiert wurde, sei es in Formeiner kritischen Auseinandersetzung mit der europäi-schen Tradition wie im Falle der jüngeren lateiname-rikanischen Romanliteratur, die sich durch einenhohen Grad an Metafiktionalität auszeichnet, umeinen subversiven Dialog mit Werken der europäi-schen Literaturtradition zu führen. Auf äußerst pro-duktive Weise wird da häufig parodiert, „wieder-holt“, umgedeutet und neu geschrieben. Der argenti-nische Schriftsteller Jorge Luis Borges gilt bis heuteals unangefochtener Meister solch subversiver litera-rischer Strategien.

Für die „Geschichte des Wissens“ ist aberbesonders wichtig, dass gerade im Bereich der

Die zunehmende Globalisierungder Welt bedeutet nicht die Auf-

hebung von asymmetrischenVerhältnissen. Doch sind asymme-trische Beziehungsstrukturen zwi-schen zentralen und vermeintlichperipheren Wissenskulturen nicht

so offensichtlich wie ungleicheökonomische Verhältnisse. Die

kulturwissenschaftliche Beschäf-tigung mit der „Geschichte des

Wissens“ möchte die Struktur undDynamik solcher Beziehungen

untersuchen und reflektieren. DerBeitrag veranschaulicht diese

Problematik am Beispiel des Me-dienphilosophen Vilém Flusser.

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Edith Flusser, Dirk Hennrich,Rüdiger Zill, Willi Bolle, Norval Baitello (v.l.n.r.)

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KULTURWISSENSCHAFT

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Theoriebildung, der Terminologie und der verwende-ten wissenschaftlichen Methoden die Autorität äuße-rer, vermeintlich universaler Modelle besonders vielzählt. Erst im Zuge der Postkolonialen Studien wurdeihre universelle Gültigkeit und Anwendbarkeit nach-haltig angezweifelt – symptomatischerweise zuerstim Bereich der Historiographie durch indische His-toriker zu Beginn der 1980er-Jahre. Dieser tiefeZweifel an der kulturellen Neutralität wissenschaftli-cher Darstellungsformen hat eine bis heute anhalten-de Debatte über das Problem der Repräsentation imBereich der kulturwissenschaftlichen Theoriebildungausgelöst.

Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass ge-rade interkulturelle Vernetzungen und transkulturelleProzesse in der Intellektuellengeschichte bzw. der„Geschichte des Wissens“ von großer Bedeutungsind. Schon seit längerem beschäftigt sich die For-schung daher intensiv mit Fragen des kulturellenTransfers und der Zirkulation von Ideen, Begriffenund Konzepten – eine Strömung, die sich im Zeitalterder Globalisierung sicherlich weiter verstärken wird.Die Transferforschung hat ältere Fragestellungennach der Rezeption oder gar nach dem „Einfluss“weitgehend abgelöst, weil diese eine zu einseitigeKommunikationsstruktur suggerieren, während daseigentliche Austauschhandeln zwischen den kulturel-len Akteuren nicht in den Blick gelangt. Mehr noch,die Aufmerksamkeit der Transferforschung richtetsich nicht nur auf wechselseitige Beziehungen zwi-schen zwei Kulturen, sondern zunehmend auch aufmehrpolige Konstellationen.

Dabei kommen auch asymmetrische Bezie-hungssysteme immer deutlicher in den Blick: Nichtnur das starke ökonomische und soziale Gefälle anden Wohlstandsgrenzen zwischen den USA und La-teinamerika oder zwischen der Europäischen Unionund Afrika ist damit gemeint, sondern auch dieAsymmetrie bei der wechselseitigen Wahrnehmungund bei den Geltungsansprüchen, gerade auf demGebiet der intellektuellen Produktion. Denn das inder „Peripherie“ (z.B. in Lateinamerika) produzierteWissen gelangt oft nur verspätet und fragmentartigin das internationale Forschungsgeschehen. Und oft-mals handelt es sich bei diesen Teilbeständen umdas, was sich ohnehin den internationalen Latein-amerika-Studien einfügt, also um Arbeiten zu spezi-fisch lateinamerikanischen Themen. Ein allgemeinesnicht-lokalisiertes Wissen aus der „Peripherie“ hin-gegen gelangt nur selten in die internationaleDiskussion, während umgekehrt Lateinamerika alsein Terrain erscheint, dessen kulturelle Vielfalt einerTheorie- und Begriffsbildung von außen bedarf. Wiebrisant diese Problematik ist, zeigt eine bis heuteanhaltende bewegte Debatte in beiden Amerikas, inder lateinamerikanische Kulturtheoretiker immeröfter Kritik an den als hegemonial empfundenen(Latin American) Cultural Studies nordamerikani-scher Prägung üben.

Zwar mutet diese interamerikanische Aus-einandersetzung aus hiesiger Perspektive etwasüberspitzt an, doch ist die kulturwissenschaftlichekomparatistische Forschung zur „Geschichte desWissens“ auch hierzulande, wo das Interesse für dietransatlantischen Verflechtungen und Bilderweltenweit zurückreicht, ein zentrales Anliegen. KonkreteFallbeispiele helfen, die historischen Dimensionensolch asymmetrischer Beziehungen präziser zubeschreiben und den theoretischen Diskurs durch dieAusleuchtung von Kontexten, möglicher Reibungs-flächen und Verwerfungen zu vergegenständlichen.

Vom Denken in der „Peripherie“.Zum Vilém Flusser-Colloquium in Germersheim

Ein interessantes Beispiel in der brasilianisch-euro-päischen und damit interkulturellen Intellektuellen-geschichte bieten die Lebensgeschichte und dasWerk des bekannten Medienphilosophen VilémFlusser (1920-1991). Der Fachbereich für Ange-wandte Sprach- und Kulturwissenschaft in Germers-heim (FASK) hat dem jüdischen Exilanten aus Prag,der nach seiner Vertreibung durch die Nazis in Bra-silien Asyl gefunden hatte und dort bis 1972 lebte, imvergangenen Jahr mit Unterstützung der DeutschenForschungsgemeinschaft und des Freundeskreisesdes FASK eine internationale Fachtagung gewidmet(12. - 14. Oktober 2006). Unter dem Titel A terceiramargem. Vilém Flusser und Brasilien. Kontexte –Migration – Übersetzungen wurde eine umfassendeAuseinandersetzung mit Flussers Brasilienjahren undseiner vielfältigen Einbindung in die dortigen kultu-rellen und intellektuellen Kontexte angestoßen, ander sich Referenten aus Brasilien, den USA, derSchweiz und Deutschland beteiligten.

Bericht von Gustavo BernardoKrause über das Flusser-Kolloquiumin der brasilianischen TageszeitungO Globo, 6. Januar 2007

Plakat des Flusser-Kolloquiums

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In der Flusserforschung war dieser Lebens-abschnitt bisher noch nicht hinreichend erforscht.Fehlende landes- und kulturkundliche Kenntnisse zuBrasilien, eine schwierige Materiallage und nicht zu-letzt auch Sprachbarrieren zwischen Deutsch undPortugiesisch waren die wesentlichen Hindernisse –denn über Flusser wurde meist innerhalb derdeutschsprachigen Medienwissenschaft diskutiert,während er in der Lusitanistik und Brasilianistik bisheute selten Thema war. Durch die GermersheimerTagung konnte nun der Dialog zwischen brasiliani-schen und deutschsprachigen Flusserforschern aus-gebaut werden. Die Referenten widmeten sichFlussers Frühwerk und den intellektuellen Rahmen-bedingungen seines autodidaktischen Werdegangs.Sie versuchten, die brasilianischen Anfänge seinessprachphilosophischen Denkens und seines später soausgeprägten Interesses an den „Technobildern“ zurekonstruieren. Auch Flussers brasilianischen Lek-türen, wie den Romanen von João Guimarães Rosa,wurde nachgespürt. Darüber hinaus ging es umFlussers vielfältige Aktivitäten als interkulturellerVermittler und „Übersetzer“ im transatlantischenRaum zwischen Brasilien und Europa.

Angemerkt sei an dieser Stelle, dass sichFlusser auch explizit mit Fragen der interlingualenÜbersetzung befasste: Der polyglotte Gelehrte über-setzte nämlich nicht nur seine eigenen Texte biswei-len mehrfach in verschiedene Sprachen, sondern ent-wickelte auch Ansätze für eine eigene Übersetzungs-theorie, die bei der Germersheimer Tagung besonde-re Beachtung fand.

Auch aus dem spezifischen Blickwinkel der„Geschichte des Wissens“ ist Flussers brasilianischeVita aufschlussreich. Er war sich seiner schillerndenSituation als Emigrant, Philosoph, Dozent, Publizistund interkultureller Vermittler immer bewusst. Nachden schwierigen Anfangsjahren im Exil, die inFlussers Autobiographie als eine Erfahrung existen-zieller „Bodenlosigkeit“ geschildert werden, ent-schied sich der europäische Immigrant für eine akti-ve Teilnahme am brasilianischen Geistesleben, undihm gelang in der Tat ein überaus beachtlicher Ein-stieg in die akademischen Institutionen seinesGastlandes.1 Dennoch erlebte (und erlitt) Flusser einegeradezu als schizophren zu bezeichnende Situation:Stets verfocht er in Brasilien entschieden die „Uni-versalität“ von Philosophie und Wissenschaft, dochwurde er häufig damit konfrontiert, dass es nicht dasGleiche ist, ob man in Paris, London, Berlin oder NewYork anhand von Wittgenstein und Heidegger überSprache philosophiert oder aber in São Paulo. Erbetätigte sich andererseits aber auch als Kultur-anthropologe und interkultureller Beobachter, be-zeichnete sich selbst bisweilen als Brasilianer underläuterte in Beiträgen für die Frankfurter AllgemeineZeitung deutschen Lesern die kulturelle Spezifik Bra-siliens und des brasilianischen Denkens. Schließlich

bezog er noch eine dritte Position als Migrant undHeimatloser zwischen allen Kulturen, die er in seinenspäteren Jahren in Europa weiter entfaltete.

In den Texten der brasilianischen Jahre spieltalso Flussers ambivalente Haltung zu den kulturellenOrten und Verortungen des Denkens eine wichtigeRolle. Sie zeigt auch, wie sehr sich Flusser derAsymmetrien in den Wahrnehmungsstrukturen zwi-schen Zentrum und Peripherie bewusst war. Als„Urwaldprofessor“ soll der Paulistaner Philosoph inEuropa einmal bezeichnet worden sein. Doch trotzsolch brüskierender Exotisierungen blieb er alsPhilosoph und Ethiker am europäisch-abendländi-schen Kanon orientiert. Er bezog sich sogar erstaun-lich wenig auf die brasilianische Wissenskultur, die ervermutlich gut kannte, jedoch selten zitierte. Flusserbetrieb also weder eine grundsätzliche Kritik an solcheurozentrischen Gesten, noch wählte er den Weg derspielerischen Subversion, wie sie seit dem 20.Jahrhundert in der lateinamerikanischen Auseinan-dersetzung mit der europäischen Tradition häufigvorkommt.

Der Tagung gelang jedoch der Nachweis, dassbestimmte Denkfiguren Flussers (wie zum Beispielder Metabolismus als Metapher und Verfahren) undstilistische Vorgehensweisen (sein philosophisch-essayistischer Stil, die von ihm gepflegten Gattun-gen, sein ikonisches Interesse) wesentlich auf einerkulturellen „Kontamination“ mit brasilianischenDenktraditionen beruhen. Solche Einsichten könnendazu beitragen, dass auch Flussers spätere medien-theoretische Arbeiten mit einem neuen Blick gelesenwerden, einem Blick, der sich einer genauerenKenntnis intellektueller Kontexte und der unter-schiedlichen Formen der Wissenskonstitution imtranskulturellen Raum verdankt.2

KULTURWISSENSCHAFT

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■ Summary This article presents the “History of Knowledge“ asan important area of interculturally oriented CulturalStudies. When comparing academic institutions,intellectual actors and their traditions of thought,particular attention should be afforded to the factthat there exist asymmetrical relationships betweendifferent academic cultures. The problematic questi-on of the constitution of knowledge within supposed“peripheral” academic cultures therefore formed oneof the central themes of the international conferenceon media philosopher Vilém Flusser which took placein 2006 in Germersheim. A Jewish emigrant, Flusserembarked on his academic career in Brazil, becomingan active member of the academic community thereand remaining in the country for more than 30 yearsbefore returning to Europe in 1972.

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KULTURWISSENSCHAFT

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Univ.-Prof. Dr. phil.Susanne Klengel

Susanne Klengel, geboren1960, hat Kommunika-tionswissenschaften, La-teinamerikanistik und Bra-silianistik an der FreienUniversität Berlin studiert.Nach Forschungsaufenthal-

ten in Paris und Mexiko im Zusammenhang mit derPromotion und der Habilitation (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2001) sowie Vertre-tungs- und Gastprofessuren an der Universität Erfurtund der FU Berlin nahm sie im Jahre 2004 den Rufauf den Lehrstuhl für Spanische und PortugiesischeKulturwissenschaft am Fachbereich für AngewandteSprach- und Kulturwissenschaft der UniversitätMainz in Germersheim an. Ihre Forschungsschwer-punkte liegen im Bereich der Literaturen und Kul-turen Lateinamerikas, der Kulturen in Grenzräumen,der Intellektuellengeschichte sowie der Bild/Text-Beziehungen in den iberoromanischen Literaturen.

■ Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Susanne KlengelInstitut für RomanistikFB Angewandte Sprach- und KulturwissenschaftJohannes Gutenberg-Universität MainzAn der Hochschule 275726 GermersheimTel. +49 (0) 7274 508-35250 (144)Fax +49 (0) 7274 508-35444E-Mail: [email protected]://www.fask.uni-mainz.de/inst/romanistik/romanistik.html

1) Vilém Flusser: Bodenlos. Eine philosophische Autobiographie. Düsseldorf/ Bensheim: Bollmann 1992.

2) Susanne Klengel / Holger Siever (Hg.): Das Dritte Ufer. Vilém Flusser und Brasilien. Kontexte – Migration – Übersetzungen.

Würzburg: Königshausen & Neumann (erscheint 2007).

Literatur

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In sechsjähriger Bauzeit hat der Mainzer Elektronen-beschleuniger, das „Mainzer Mikrotron“ (MAMI), fürrund 12,5 Millionen Euro eine neue, vierte Stufeerhalten: ein harmonisches doppelseitiges Mikrotron(HDSM). Am 19. Dezember 2006 konnte die neueAnlage erstmals in Betrieb gesetzt werden, dieEnergie des Teilchenstrahls wird damit von bisher855 auf 1.508 Megaelektronenvolt (MeV) nahezuverdoppelt. Nach nur zwei Wochen Testbetrieb konn-te Anfang 2007 bereits mit dem normalen Experi-mentierbetrieb rund um die Uhr begonnen werden.Dieser schnelle Erfolg bei der Inbetriebnahme dervierten Stufe war nur möglich, weil das Institut fürKernphysik über mehr als 40 Jahre Erfahrung in derEntwicklung und im Betrieb von Elektronenbeschleu-nigeranlagen verfügt. Die neue Konstruktion ist soangelegt, dass die bisher außerordentlich hochwerti-ge Strahlqualität erhalten bleibt. Damit können dieKernphysiker, die für ihre Forschungen aus aller Weltans Mainzer Mikrotron kommen, künftig noch tieferins Innere der Materie blicken. So können mit dervierten Beschleunigerstufe, MAMI C genannt, wei-tere Teilchen erzeugt und erforscht werden.

Bereits Mitte der 60er-Jahre haben die Kern-physiker in Mainz einen gepulsten Linearbeschleu-niger für 350 MeV Maximalenergie in Betrieb ge-nommen. Da zu dieser Zeit weltweit mehrere ähnli-che Anlagen entstanden, konnte der Beschleunigerdamals von einem Generalauftragnehmer quasi„schlüsselfertig“ gekauft werden. Schnell war jedochklar, dass man den wachsenden Anforderungen derExperimentatoren an die Strahlqualität (Energie-schärfe, maximaler Strahlstrom, zeitliche und räumli-che Stabilität des Strahls) nur gerecht werden kann,wenn man über entsprechendes eigenes Know-howverfügt. So wurde unter der Leitung von HelmutHerminghaus eine Beschleunigerphysik-Abteilunggegründet. In den 70er-Jahren zeigte sich, dass einweiterer Erkenntnisgewinn in der Kernphysik nurüber sogenannte Koinzidenzexperimente zu errei-chen ist. D.h. es müssen zwei oder mehr Reaktions-produkte, die beim Zusammenprall eines Elektronsmit einem Nukleon entstehen, gleichzeitig nachge-wiesen werden. Mit dem vorhandenen Linear-beschleuniger, der nur ganz kurze Elektronenpulseaussendet, war dies nicht möglich. Daher musste einneues Konzept gefunden werden, um einen kontinu-ierlichen Elektronenstrom bei gleichzeitig hoherEnergie zu erzeugen. Dabei gilt: je kleiner dieTeilchen, desto größer die notwendige Energie. Beieinem Nukleon mit einer Größe von ca. 10-15 Metersind daher Elektronenenergien von vielen HundertMegaelektronenvolt nötig. Die Beschleunigung derTeilchen, die am Ende der Beschleunigungsstreckeauf ein Zielobjekt geschossen werden, findet in elek-tromagnetischen Wechselfeldern statt. Dazu werdendie Elektronen zum richtigen Zeitpunkt in einen ge-eignet geformten Wellenleiter eingespeist, wo sie zuPaketen gebündelt auf den Wellenbergen einergeführten elektromagnetischen Welle reiten. DieElektronen bewegen sich mit dieser Welle mit, erfah-ren dabei ständig ein positives elektrisches Feld undnehmen kontinuierlich über die Länge der Beschleu-nigerstruktur Energie auf. Eine solche Strecke ist inder „alten“ Anlage MAMI B ca. 2 Meter lang, wirdbei einer Frequenz von 2,45 Gigahertz (GHz) – derklassischen Mikrowellenfrequenz – betrieben undmit einer Mikrowellenleistung von 25 Kilowattgespeist. Damit kann einer kontinuierlichen Kette vonElektronenpaketen, die im Abstand der Wellenlängeder Mikrowelle fliegen – das sind in unserem Fall12,2 Zentimeter –, eine Energie von ca. 1,9 MeV zu-geführt werden.

Ein Juwel in der Forschungsland-schaft: Der Mainzer Elektronen-

beschleuniger zieht Wissenschaft-ler aus der ganzen Welt an.

Abb. 1: Schematische Darstellungeines Rennbahn-Mikrotrons (oben)

sowie des harmonischen doppel-seitigen Mikrotrons

KERNPHYSIK

Von Andreas Jankowiak

Das harmonische doppelseitige Mikrotron – Die neue, vierte Beschleunigerstufe des Mainzer Mikrotrons

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KERNPHYSIK

49FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

malen Strahlstrom von 100 Mikroampere bedeutetdies eine Strahlleistung von 88.000 Watt in einemStrahl, dessen Durchmesser wenige zehntel Milli-meter beträgt. Dieser Strahl wird in Vakuumröhrendurch ein verzweigtes System von Strahlführungen,bestehend aus Dipolmagneten zur Ablenkung undQuadrupolmagneten zur Fokussierung, zu den vierExperimentierplätzen geführt (siehe Abb. 2).

Seit 1990 wird der Mainzer Beschleuniger ca.6.500 Stunden im Jahr für Experimente genutzt. Indieser Zeit – die Betriebsleitung war Anfang der 90er-Jahre an Karl-Heinz Kaiser übergegangen – wurdekontinuierlich an der Verbesserung der Strahleigen-schaften gearbeitet. Aufgrund der hervorragendenStrahlqualität, so kann z.B. die Energie des Elektro-nenstrahls auf 0,001 Promille stabilisiert werden, undder hohen Verfügbarkeit hat sich MAMI als führendeAnlage in diesem Energiebereich etabliert und wirdim Rahmen der vier großen Experiment-Kolla-borationen des Instituts von Wissenschaftlern ausaller Welt genutzt.

1999 wurde der neue SFB 443 „Vielkörper-struktur stark wechselwirkender Systeme“ gegrün-det, für dessen Forschungsprogramm die Erhöhungder MAMI-Energie auf ca. 1.500 MeV notwendigwurde. Wesentliche Rahmenbedingungen für diesesVorhaben waren, dass aufgrund der hohenInvestitionskosten keine neuen Gebäude für denBeschleuniger gebaut werden, die Strahlqualität und

Um höhere Energien zu erzielen, könnte manmit vielen dieser Sektionen einen langen Linear-beschleuniger bauen. Für eine Energie von 855 MeVwären dazu auf einer Länge von etwa einem Kilo-meter 450 Sektionen und eine Mikrowellenleistungvon mehr als 11 Megawatt notwendig – eine sehrunökonomische und auch unelegante Lösung. Eswurde daher ein anderer Weg beschritten: Vor undhinter einem kurzen Linearbeschleuniger (Linac) wer-den zwei 180°-Umlenkmagnete aufgestellt (sieheAbb. 1). In den Magnetfeldern dieser Dipolmagnetewerden die Elektronen auf Kreisbahnen gezwungen,deren Radius mit der Energie schrittweise zunimmt.Werden das Magnetfeld und der Energiegewinn soeingestellt, dass sich von Umlauf zu Umlauf dieBahnlänge gerade um eine Wellenlänge erhöht, dannkönnen die Elektronen in mehreren Umläufen dengleichen Linac durchlaufen und dabei ein Mehrfachesan Energie gewinnen – bei fünf Umläufen zum Bei-spiel das Fünffache an Energie. Ein solcher Be-schleuniger nennt sich, wegen der charakteristischenForm der Elektronenbahnen, Rennbahn-Mikrotron(RTM). 1979 wurde ein erstes, noch recht kompaktesRTM mit zwei 1,3 Tonnen schweren Dipolen undeiner Grundfläche von rund 10 Quadratmetern inBetrieb gesetzt. Das Rennbahn-Mikrotron beschleu-nigte in 18 Umläufen auf 15 MeV Elektronenenergie.Es zeigte sich, dass aufgrund der exzellenten Strahl-qualität und Betriebsstabilität einer solchen Anlagedas richtige Konzept verfolgt wurde. In den nächsten10 Jahren wurden mit Mitteln der Hochschul-bauförderung und mit personeller Unterstützungdurch einen Sonderforschungsbereich zwei weitereRennbahn-Mikrotrone hinzugefügt. 1990 konnte mitMAMI B das letzte und größte dieser RTM in Betriebgesetzt werden. In zwei je 450 Tonnen schweren Di-polen mit einem Magnetfeld von 1,28 Tesla – einMagnetfeld 25.000 Mal stärker als das der Erde –werden die Elektronen in 90 Umläufen von 180 MeVauf bis zu 883 MeV beschleunigt. Bei einem maxi-

Abb. 2: Grundriss der Beschleuniger-anlage MAMI sowie der Experimen-tierhallen. Alle Hallen liegen in ca.10 bis 15 Meter Tiefe unter demInstitutsgelände.

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die Verfügbarkeit der Beschleunigeranlagen erhaltenbleiben und der Betrieb der bestehenden Anlagewährend der Bau- und Inbetriebnahmephase mög-lichst wenig beeinträchtigt wird. Vorstudien hattengezeigt, dass man diese Ziele am effizientesten er-reicht, wenn man die im Institut vorhandene Ex-pertise für Entwicklung und Bau von hochpräzisenElektromagneten und normalleitenden Linearbe-schleunigersektionen nutzt.

Als vierte Stufe kam ein weiteres Rennbahn-Mikrotron nicht in Frage: Bei festem Magnetfeld ska-liert das Gewicht eines solchen 180°-Dipols mit derdritten Potenz der zu erreichenden maximalenEnergie. Eine Erhöhung von 855 MeV auf 1.500MeV hätte Dipole eines Gewichts von mehr als 2.000Tonnen erfordert. Die Lösung wurde unter Ver-wendung eines Konzeptes gefunden, das Karl-HeinzKaiser bereits in den 70er-Jahren skizziert hatte, dasdamals aber als zu ambitioniert – man verfügte nochnicht über die notwendigen Simulationsprogrammezur Untersuchung der Magnetfelder und derStrahldynamik – in der Schublade bleiben musste:das doppelseitige Mikrotron (DSM). Jeder der 180°-Ablenkdipole wird dabei durch je zwei 90°-Dipoleersetzt. Da nun nur noch ein kleineres Kreissegmentdurch die Magnete abgedeckt werden muss, kann einGroßteil des Magnetgewichts gespart werden. Fürdas 1.500-MeV-DSM benötigt man vier Ablenkdipolezu je 250 Tonnen. Diese definieren zwei gemeinsameStrahlachsen, auf denen zwei Linearbeschleunigerinstalliert werden können (siehe Abb. 1). In 43 Um-läufen durch diese Anlage wird der Elektronenstahlvon 855 MeV auf 1.500 MeV beschleunigt (sieheAbb. 3). Im Detail gibt es im Wesentlichen zwei Be-sonderheiten zu beachten:

1. Auch im DSM muss die Bahnlänge vonUmlauf zu Umlauf um ein ganzzahliges Vielfachesder Wellenlänge anwachsen. Wegen der zwei Linacs

beträgt die minimal mögliche Bahnverlängerungjedoch zwei ganze Wellenlängen. Berechnet man dendazu notwendigen Energiegewinn pro Umlauf, erhältman einen Wert von ca. 40 MeV. Da mit nichtgepulsten, normalleitenden Linacstrukturen nur ca. 1MeV pro Meter realisierbar ist, hätte jeder Linac min-destens 20 Meter lang sein müssen. Dazu reichtejedoch der verfügbare Platz nicht aus. Da der not-wendige Energiegewinn aber proportional zur Wel-lenlänge des Hochfrequenzsystems ist, konnte dasProblem gelöst werden, indem mit der doppeltenMAMI-Frequenz von 4,90 GHz (halbe Wellenlänge)gearbeitet wurde. Als Konsequenz musste im Institutein weltweit bisher nie realisiertes Hochleistungs-Hochfrequenzsystem mit entsprechenden Linear-beschleunigerstrukturen für 4,90 GHz entwickeltwerden.

2. Der Ein- und Austritt des Elektronenstrahlsunter 45° in die Ablenkdipole führt im Randfeld desMagneten, in dem die Feldlinien nach außen ge-krümmt sind, zu einer vertikalen Defokussierung desElektronenstrahls, das heißt er wird aufgeweitet.Dieser Effekt kann durch im Magneten entgegenge-setzt gekrümmte Feldlinien kompensiert werden. Zuerreichen ist dies durch ein Gradientenfeld, bei deminnerhalb der Dipole das Magnetfeld senkrecht zurPolschuhkante abnimmt. Mit Hilfe von Simulations-rechnungen wurde dieser Gradient so angepasst,dass für alle Energien eine Parallel-zu-parallel-Abbildung erreicht wird und die Magnete somit wieeine feldfreie Driftstrecke wirken.

Der 2. Punkt führt allerdings zu einer weiterenKomplikation: Da nun das Feld in der Tiefe desMagneten abnimmt, benötigen die Elektronenpaketemit wachsender Energie einen stetig kleiner werden-den Energiegewinn von Umlauf zu Umlauf, um diekonstante Bahnlängenänderung von zwei Wellen-längen zu erreichen. Da jedoch der Beschleunigungs-prozess in einem solchen Rezirkulator selbststabili-sierend ist, passen sich die Elektronen von Umlauf zuUmlauf zeitlich so auf der Hochfrequenzwelle an,dass sich der notwendige Energiegewinn automa-tisch einstellt. Computersimulationen zeigten dann,dass der Beschleunigungsvorgang stabiler stattfindetund die Parameter des Elektronenstrahls, insbeson-dere dessen Energieschärfe, verbessert werden kön-nen, wenn einer der Linearbeschleuniger wieder mit2,45 GHz betrieben wird. Diese Erkenntnis führte zurRealisierung der vierten Stufe als harmonisches dop-pelseitiges Mikrotron (HDSM).

Im Jahr 2000 konnte mit der Beschaffung derKomponenten für das HDSM begonnen werden. Wiebereits bei der Realisierung von MAMI B wurden allewesentlichen Komponenten im Institut für Kernphy-sik entwickelt und dann von der Industrie in engerZusammenarbeit mit dem Institut hergestellt.Teilweise, wie z.B. bei den 4,90-GHz-Sektionen, wur-

KERNPHYSIK

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Abb. 3: Dargestellt sind die 43 Rückführungsbahnen zwischenzwei der großen 90°-Ablenkdipole

des HDSM. Der 855-MeV-Strahl läuftdurch die vorderste Bahn. Mit dem

Energiegewinn jedes Umlaufs tritt erdann in die nächste weiter außen lie-

gende Bahn ein, bis er 1.508 MeVerreicht hat und zu den Experimen-

tierplätzen geführt werden kann.

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den zuerst voll funktionsfähige Prototypen im Institutgebaut und erprobt, bevor die Serienfertigungbegann. Nur so konnte für die Firmen das Risiko beider Herstellung dieser Sonderanfertigungen be-schränkt und die Herstellung bezahlbar gemachtwerden. Die vier großen, 250 Tonnen schweren 90°-Magnete wurden bei SFAR Steel in Frankreich herge-stellt und dann Ende 2002 geliefert und installiert.Hierbei ist eine Präzision von weniger als einemzehntel Millimeter in der Justage notwendig. DasMagnetfeld jedes Magneten wurde individuell ver-messen. Es wurden flächige Korrekturspulen, zwei fürjeden Magneten, entworfen und gebaut, die es erlau-ben, die Magnetfelder mit einer relativen Genauig-keit in Bezug auf den idealen Feldgradienten von 0,1Promille zu korrigieren. Dieser Prozess, einschließlichdes finalen Einbaus der Korrekturspulen und der gro-ßen Vakuumkammern, konnte im März 2006 abge-schlossen werden. In anderen Bereichen gab es uner-wartet Verzögerungen: So benötigte der Herstellerder 4,90-GHz-Hochleistungs-Mikrowellenverstärker(sogenannte Klystrone) 10 Prototypen und mehr als20 Monate, bevor das erste Gerät ausgeliefert wer-den konnte, das vor Ort schon längst dringend fürweitere Tests von Prototyp-Komponenten benötigtworden wäre. Letztlich wurde die Anlage mit nuretwa einem Jahr Verzögerung Mitte Dezember 2006fertiggestellt. Innerhalb von einem Tag Strahlbetriebkonnte der 855-MeV-Elektronenstrahl durch die 43Umläufe gefädelt und auf 1.508 MeV beschleunigtwerden. Dies im wortwörtlichen Sinn, da mit Hilfekleiner Korrekturmagnete auf jeder Rückführungs-bahn der Strahl Umlauf für Umlauf durch die Mitteder Linearbeschleuniger gelenkt wird. Dabei stehtdem Strahl in den 43 Umläufen mit einer Wegstreckevon insgesamt 2.900 Meter nur ein Vakuumrohr mitca. 12 Millimeter Durchmesser zur Verfügung. Wennalles richtig eingestellt ist, geht von einer Milliongestarteten Elektronen nur eines auf dem Weg durchden Beschleuniger verloren. Ende Februar 2007 konn-te bereits die erste Experimentierstrahlzeit über 10Tage, 24 Stunden am Tag, bei 1.508 MeV durchge-führt werden. Die Ergebnisse wurden bereits zurVeröffentlichung eingereicht. Mit MAMI C steht nunden Kernphysikern eine weltweit einmalige Be-schleunigeranlage mit einer Energie von 1.508 MeVfür die Grundlagenforschung zur Verfügung. DenLehrbüchern der Beschleunigerphysik kann damit einneuer Beschleunigertyp, das harmonische doppelsei-tige Mikrotron, hinzugefügt werden.

Zu den bisherigen Höhepunkten der Forschungan MAMI gehören u.a. Präzisionsmessungen zurStruktur der Nukleonen und leichten Atomkerne,neue Aussagen über die Ladungsverteilung imNeutron, Messungen des Strangeness-Anteils imProton sowie die Polarisierbarkeit des aus einemQuark und einem Antiquark aufgebauten Pions. MitMAMI C können künftig weitere Teilchen erforschtwerden, vor allem die schweren Mesonen und

Hyperonen, die ein „strange quark“ enthalten.Davon erwarten Wissenschaftler neue Erkenntnisseüber die Struktur der Kernbausteine und der darinwirkenden fundamentalen starken Kräfte.

KERNPHYSIK

51FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

■ Summary On 19th December 2006 the worldwide firstHarmonic Double Sided Microtron (HDSM) came intooperation. As the new fourth stage of MAMI(MAinzer MIkrotron), it accelerates a continuousbeam of electrons from 855 MeV to 1508 MeV.After only two weeks of commissioning from end ofFebruary on it serves for routine “24 h a day” nucle-ar physics data taking runs. Here a brief history of theaccelerator development at the Institut fürKernphysik is given and the working principle of theHDSM is described.

Dr. Andreas Jankowiak

Andreas Jankowiak, gebo-ren 1967, studierte Physikan der Universität Dort-mund und fertigte seineDiplomarbeit sowie dieDoktorarbeit im Jahr 2000am dortigen Institut fürBeschleunigerphysik und

Synchrotronstrahlung, dem heutigen Zentrum fürSynchrotronstrahlung, an. In dieser Zeit wirkte er beiBau- und Inbetriebnahme des Elektronenspeicher-rings DELTA als Verantwortlicher für die Strahldiag-nose- und Hochfrequenzsysteme mit. 2000 wechsel-te er in die Beschleunigergruppe des Instituts fürKernphysik der Universität Mainz. Seit 2005 ist erProjektleiterleiter „Bau und Inbetriebnahme vonMAMI C“ des SFB 443 und Leiter der für Betrieb undWeiterentwicklung der Beschleunigeranlagen verant-wortlichen Arbeitsgruppe.

■ Kontakt

Dr. Andreas JankowiakInstitut für KernphysikJohannes Gutenberg-Universität MainzJohann-Joachim-Becher-Weg 4555128 MainzTel. +49 (0) 6131 39-26004Fax +49 (0) 6131 39-22964E-Mail : [email protected]://www.kph.uni-mainz.de/

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Welche Funktionen ein Wirkstoff im Körper ausübtund ob er es überhaupt tut, hängt vor allem von derverabreichten Menge ab. Ein viel zitierter Satz desParacelsus lautet: „All Ding’ sind Gift und nichts ohn’Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Giftist.“ Dieser toxikologische Grundsatz gilt in gleicherWeise auch für jeden therapeutisch angewandtenWirkstoff. Doch sind es nicht der Wirkstoff und seineDosis allein, welche für den therapeutischen Effekteines Arzneimittels stehen. Denn wen eine rasendeMigräne schon einmal am Lenkrad überwältigt hat,wo es kein Glas Wasser zum Schlucken der helfendenTablette gab, wer lange quälende Minuten auf dielindernde Wirkung seines Mittels warten musste, derhat erfahren: Der Nutzen eines Wirkstoffes hängtauch von seiner Zubereitung ab (Abb. 1).

Ein Arzneimittel zu produzieren, das schnell,einfach und sicher eingenommen werden kann, isteine komplexe Wissenschaft. Bestimmte moderneKopfschmerz- bzw. Migränetabletten beispielsweiselösen sich ohne Wasser innerhalb von kurzer Zeit aufder Zunge auf. Noch schnellere Linderung verspre-chen Nasensprays, die innerhalb von Minuten wir-ken, oder Lösungen des Wirkstoffes, die direkt vomPatienten mit einem Injektions-Pen in die Außenseitedes Oberschenkels injiziert werden können.

Hinter diesen vielfältigen Darreichungsformenstecken Forscher aus der Pharmazeutischen Techno-logie, deren Aufgabe darin besteht, einen Wirkstoffgezielt an seinen Wirkort zu befördern. Darüberhinaus muss die Dosis des Wirkstoffes für den jewei-

Manche Arzneimittel lassen sichnur schwer zu dem bestimmtenOrt transportieren, wo sie ihre

Wirkung entfalten sollen. Die Phar-mazeutische Technologie suchtnach Wegen, um die Barrieren

des Körpers zu überwinden.

PHARMAZIE

Von Peter Langguth

Ein neues Gewand für Arzneistoffe.Von einer einfachen Tablette zum Delivery-System

Abb. 1: Ein Arzneimittel ist mehr alsein Arzneistoff: Nach Überführung

des Wirkstoffs in eine geeigneteArzneiform, welche korrekte Dosier-

barkeit, Stabilität und Bioverfüg-barkeit des Wirkstoffes garantiert,

lässt sich das Arzneimittel durch denPatienten selbst oder durch das medi-

zinische Personal sicher anwenden.

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ligen Patienten angepasst werden (z.B. Kind versusErwachsener oder Schlanker versus Übergewichtiger)und eine befriedigende Haltbarkeit des Arzneimittels,üblicherweise drei Jahre, gewährleistet sein – unddies auch unter widrigen Lagerungsbedingungen z.B.auf Reisen. Schließlich stehen im „Aufgabenbuch“für eine Entwicklungssubstanz auch speziellereAnforderungen, z.B. dass der Wirkstoff nicht nur aneinem bestimmten Ort, sondern auch mit einer be-stimmten Freigabegeschwindigkeit, beispielsweiseretardiert, also verzögert, aus dem Vehikel freizuset-zen ist, damit die Häufigkeit seiner Anwendung redu-ziert werden kann.

Ein aktuelles Beispiel einer neuen Technologieist eine neue Formulierung des seit über achtzigJahren in der Medizin als essentielles Therapieprinzipverfügbaren Insulins, das bisher von Diabetikern biszu sechsmal täglich unter die Haut zu spritzen war.Lange Zeit hat man versucht, Insulin in Tablettenformzu verabreichen; das Eiweißmolekül überstandjedoch den Weg durch den Darm nicht, weil es vonden Verdauungsenzymen noch vor der eigentlichenResorption zerlegt wurde (Abb. 2). Nun kann es mit-hilfe eines Inhalators über die Lunge in denOrganismus gebracht werden.

Das Problem der systemischen Insulinzufuhrunter Umgehung einer Spritze lässt sich elegantlösen, indem der Wirkstoff zusammen mit einemZucker-Hilfsstoff in mikrometerkleine Partikel über-führt wird, die ihrerseits durch einen Inhalator in einAerosol überführt und dann eingeatmet werden kön-nen (Abb. 3).

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Die Partikel verteilen sich in den Alveolar-bereich der Lunge und lösen sich dort sekunden-schnell auf. Das gelöste Insulin gelangt dann perDiffusion durch das Epithel der Alveolarschleimhautin den Blutkreislauf.

Aufgrund der Aggressivität von Verdauungs-enzymen ist daher gut nachvollziehbar, dass nebenInsulin nahezu alle Wirkstoffe mit Eiweißstruktur(wie z.B. Calcitonin gegen Osteoporose oder Oxy-tocin zur Wehenstimulation) oder verschiedenemonoklonale Antikörper (z.B. gegen Krebserkran-kungen) nicht als Tablette sondern in Form von Injek-tions- oder Infusionslösungen oder – in bislang weni-gen Fällen – als Nasenspray angewendet werden.Die pulmonale Applikation, d.h. das direkte Ein-bringen von Arzneistoffen in die Lunge, ist bei derBehandlung von Erkrankungen der Atemwege (z.B.Asthma) seit Langem etabliert. Inwieweit sich aufdiesem Weg auch andere biotechnologisch herge-stellte Wirkstoffe (Biopharmazeutika) in den Körpereinschleusen lassen, die derzeit wegen ihrer Größenoch gespritzt werden müssen, wird die Zukunftzeigen.

Die größte Bedeutung haben aber nach wievor die Arzneiformen, die über den Mund (per os)angewendet werden. Zwei Drittel aller Medikamentenehmen im Patienten ihren Weg durch Mund undSpeiseröhre über den Magen und durch den Darm(Abb. 4).

Unter den oral einzunehmenden Arzneiformenhat die Tablette nach wie vor die größte Bedeutung,da (1) sie rasch und kostengünstig produzierbar ist,(2) sie unterschiedliche Arzneistoffdosen vom Mikro-gramm bis in den Grammbereich enthalten kann, (3)die Geschwindigkeit und der Ort der Freisetzung desWirkstoffes im Darm durch Überzüge gesteuert wer-den können und (4) die Stabilität der Wirkstoffe imAllgemeinen gewährleistet werden kann. EinenEindruck über die Vielseitigkeit handelsüblicherTabletten gibt Abbildung 5.

Lange noch bevor ein potenzieller Arzneistoffzu einer Darreichungsform wie z.B. zu einer Tabletteverarbeitet werden kann, ist durch biopharmazeuti-sche Untersuchungen zu klären, ob sich ein bestimm-ter Applikationsweg auch für einen betreffendenWirkstoff eignet. Für eine systemische Therapie mit-tels oraler Medikation ist neben einer ausreichendenStabilität im Gastrointestinaltrakt auch eine ausrei-chende Löslichkeit des Wirkstoffs und seiner Permea-bilität durch die Darmschleimhaut notwendig. Dieseist ein nur etwa 30 Mikrometer dünnes, einschichti-ges Epithel, welches das „Innere“ des Körpers(Blutkreislauf) vom „Äußeren“ (Darmlumen) trennt(Abb. 6).

PHARMAZIE

53FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

Abb. 2: Versuche, die Anwendungvon Insulin patientenfreundlicherunter Umgehung der Spritze zugestalten, haben eine mehr als80 Jahre alte Geschichte.

Abb. 3: Mikrometerkleine Partikelaus Trägermaterial und Wirkstoff, diemit Hilfe von Pulverinhalatoren ein-geatmet werden und den Wirkstoffin der Lunge freisetzen. Damit lassensich lokale Effekte erzielen (z.B. inder Asthmabehandlung). Der Wirk-stoff kann aber auch durch dieSchleimhaut der Alveolen auf-genommen werden und im Kreislaufzirkulieren (systemische Therapie).

Abb. 4: Tabletten im Körper. In Blau dargestellt sind die verschiedenenTablettenarten, in Grün die unterschiedlichen anatomischen Bereiche desGastrointestinaltraktes. Durch Modifizierung von Tabletteneigenschaftenlassen sich Ort und Geschwindigkeit der Wirkstofffreigabe steuern.

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und somit zwischen den Zellen hindurch auf dem„parazellulären“ Resorptionsweg die Barriere derDarmschleimhaut überwindet.

Dieser Transportweg zwischen den Zellen hin-durch ist allerdings nur wenig effizient, da die Flächeder Poren – gemessen an der Gesamtfläche derDarmschleimhaut – nur sehr begrenzt ist. Mit relativeinfachen In-vitro-Permeationsmodellen kann mansogar Vorhersagen zum Ausmaß der Resorption invivo im Menschen machen. Dies ist zum Beispiel ineinem frühen Entwicklungsstadium einer Wirksub-stanz notwendig, wenn Versuche am Menschen auf-grund unbekannter Toxizität noch nicht zulässig sind.

Durch Anwendung neuer Hilfsstoffe soll es ge-lingen, die Durchlässigkeit von Schleimhäuten gezieltund vorübergehend so zu modulieren, dass die Effi-zienz der Aufnahme von Arzneistoffen im Gastro-intestinaltrakt, aber auch an anderen Schleimhäutenverbessert werden kann und ein größerer Anteil derArzneistoffdosis resorbierbar und damit „bioverfüg-bar“ gemacht werden kann. Auch gelingt es in eini-gen Fällen durch drastische Verkleinerung der Arznei-stoffpartikel in einer Formulierung, die Aufnahme desWirkstoffs in die Darmschleimhaut zu verbessern.Derartige neue Systeme heißen Nanosuspensionen,sie sind bereits in einigen Ländern vereinzelt auf demMarkt (Abb. 8).

Von Interesse ist weiterhin die Tatsache, dassdie Darmschleimhaut zahlreiche Transportproteinebeherbergt, deren physiologische Aufgabe darinliegt, die Resorption von in der Nahrung enthaltenenNährstoffen (wie z.B. Glukose, kleine Peptide, Amino-säuren und wasserlösliche Vitamine) zu ermöglichen.Diese werden dann an den Blutkreislauf abgegeben.Viele der Nährstoffe würden aufgrund ihrer geringenFettlöslichkeit ansonsten mehr oder weniger unver-ändert den Magen-Darm-Trakt passieren. Treffenzwei Wirkstoffe oder ein Wirkstoff und ein Nahrungs-bestandteil gleichzeitig an einem für sie wichtigenCarrier aufeinander, so ist es möglich, dass die Auf-nahme einer Substanz durch eine zweite Substanzgehemmt wird. In diesem Fall spricht man von Wech-selwirkungen zwischen Nahrung und Arzneistoffenbzw. auch von Arzneimittelwechselwirkungen. InAbbildung 9 ist dies exemplarisch an der Wechsel-wirkung zwischen Bestandteilen von grünem undschwarzem Tee und dem Vitamin Folsäure bei Auf-nahme durch die Darmschleimhaut gezeigt.

In neueren technologischen Projekten versuchtman mithilfe von funktionalisierten Nanopartikelndie hohe Transportkapazität der Transportproteine zunutzen. Man koppelt arzneistoffhaltige Nanopartikelan eine gut transportierte Substanz, um so eineAufnahme von Partikeln in die Darmschleimhaut zuerzielen. Die Nanopartikel können mit unterschiedli-

Der Transport von Stoffen durch die Darm-schleimhaut lässt sich beispielsweise mithilfe vonZellkultursystemen untersuchen. Dabei kann manmehr über den Mechanismus des Wirkstofftransportsdurch das Epithel erfahren, beispielsweise auf wel-chem Weg ein Molekül durch ein Epithel wandertund durch welchen Mechanismus es in die Epithel-zellen aufgenommen und auf der gegenüberliegen-den Seite an das Blut abgegeben wird. Abbildung 7zeigt die Fluoreszenz eines fluoreszenzmarkiertenPentapeptids, das aufgrund seiner Größe, Ladungund mangels Vorkommen von spezifischen Transport-systemen nicht in die Darmzellen eindringen kann

PHARMAZIE

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Abb. 6: In das Darmlumen ragen die Darmzotten hin-ein und sorgen so für eine drastische Vergrößerungder Oberfläche. Die Darmschleimhaut ist eine einzelli-ge Membran, die Nährstoffe wie auch Arzneistoffeüberwinden müssen, um in den Blutkreislauf zugelangen.

Abb. 5: Eine Auswahl handelsüblicher Tabletten

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chen Wirkstoffen gefüllt sein und würden so unab-hängig von ihrer Stabilität oder ihren physiko-chemi-schen Eigenschaften zur Resorption gebracht wer-den.

Nach Abschluss eines Screenings der biophar-mazeutischen Eigenschaften eines Wirkstoffs imRahmen der sogenannten Präformulierungsunter-suchungen kann eine Arzneiform konzipiert werden,die den Wirkstoff und bestimmte Hilfsstoffe enthältund die beispielsweise für eine zielgerichtete Abgabedes Wirkstoffs in bestimmten Abschnitten desGastrointestinaltraktes (z.B. im Bereich des Dick-darms) sorgt. Die dickdarmspezifische Freisetzung istetwa für solche Arzneistoffe interessant, die nur lokalim Dickdarm und nicht systemisch wirken sollen.Beispielsweise trifft dies auf die antientzündlich wir-kende 5-Aminosalicylsäure zu, die in der Behandlungder Colitis ulcerosa, einer dickdarmspezifischenErkrankung, zur Anwendung kommt. Durch Überzie-hen fester Arzneiformen mit polymeren Hilfsstoffen,welche sich erst bei den höheren pH-Werten des dis-talen Ileums und des Kolons auflösen, gelingt es, denWirkstoff gezielt zum Ort der Entzündung zu beför-dern. Würde 5-Aminosalicylsäure dagegen in einersich schnell auflösenden Tablette verabreicht, sowürde der Wirkstoff noch vor Erreichen des Dick-darms durch die Darmschleimhaut aufgenommen,sich im Körperkreislauf verteilen und nur in geringerKonzentration an seinen Wirkort gelangen. DieFreisetzung eines Wirkstoffes im Dickdarm durch einüber eine Zeitsteuerung arbeitendes kolonspezifi-sches Delivery-System ist exemplarisch in Abbildung10 dargestellt.

Häufig sind moderne High-Tech-Arzneiformennoch Prototypen, die sich nur teilweise im Praxis-alltag bewährt haben. Andererseits wird es zukünftigauch noch viel mehr komplexe Arzneistoffe geben(wie z.B. biotechnologisch gewonnene Wirkstoffeoder Zytostatika), deren Vehikel bislang alles andereals optimal ist und die sich nur schwer in das Körper-innere oder an ihren spezifischen Wirkort transportie-ren lassen. Unter anderem integriert in Nanoteilchenund mit Zielerkennungssystemen ausgestattet, hofftman, sie trotzdem durch die Barrieren des Körpersbringen zu können. Die Voraussetzungen für derarti-ge Forschungsprojekte sind an der Universität Mainzgünstig, da in den verschiedenen Fachbereichen prin-zipiell das notwendige Know-how von der chemi-schen Synthese bis zur Herstellung und Testung vonam Menschen bzw. am Patienten anwendbarenPrototypen vorhanden ist.

PHARMAZIE

55FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

Abb. 8: Verteilung der Teilchengrößen nach Zerkleinerung mittels Hochdruckhomogenisation:Überführung einer Arzneistoffzubereitung in den Nanometer-Teilchengrößenbereich kanndie Aufnahme in die Darmschleimhaut und damit die Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs dras-tisch verbessern. Die Zubereitung kann entweder als Nanosuspension in flüssiger Form appli-ziert werden oder sie kann getrocknet und als Tablette verabreicht werden. Die Abbildungzeigt eine Rasterkraftfeld-mikroskopische Aufnahme einer Spironolakton-Nanosuspension.

Abb. 7: Visualisierung des parazellulären Transport-weges eines wasserlöslichen fluoreszierenden Peptid-Wirkstoffes (Metkephamid) zwischen Zellen hindurchdurch die Darmschleimhaut.

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Abb. 10: GammaszintigraphischeAufnahme der Freisetzung vonSamariumchlorid im Dickdarm

(gelb) eines Menschen. Die Arznei-form übersteht die gastrointestinalePassage bis zum Erreichen des Dick-darms intakt. Es sind weiterhin der

Magen (rot) und der Dünndarm(rosa) zu erkennen. Grün dargestellt

ist der Gallengang mit der Gallen-blase.

Abb. 9: Hemmung der Aufnahmevon Folsäure in die Darmschleim-

haut durch Bestandteile vonschwarzem und grünem Tee sowiedurch den krebshemmenden Wirk-

stoff Methotrexat (MTX). Die vierSubstanzen Epigallocatechin-3-gal-lat (EGCG), Epigallocatechin (EGC),

Epicatechin-3-gallat (ECG) undEpicatechin (EC) sind in unterschied-

lichen Anteilen in Schwarz- undGrüntee enthalten.

Concentration[mmol/L]

Folic

aci

d up

take

[%

of

cont

rol]

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PHARMAZIE

57FORSCHUNGSMAGAZIN 2 /2007

Univ.-Prof. Dr.Peter Langguth

Peter Langguth, Jahrgang1959, studierte Pharmaziean der Johann WolfgangGoethe-Universität in Frank-furt. Nach seiner Promotion

1985 war er von 1986 bis 1989 als DAAD-Stipendiatan der University of Florida in Gainesville, USA imBereich der Pharmakokinetik tätig. 1989 wechselte erzur Arbeitsgruppe von Prof. H.P. Merkle alsOberassistent in die Abteilung „Galenik“ amDepartement Pharmazie der EidgenössischenTechnischen Hochschule nach Zürich. Im Jahr 1995erhielt er von der ETH die Venia legendi für„Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie“.Anschließend ging er als Gruppenleiter in diePräklinische Forschung der Firma Astra Hässle ABnach Mölndal, Schweden. Er war dort verantwortlichfür die biopharmazeutische Charakterisierung undBioverfügbarkeits-Optimierung von Forschungs- undEntwicklungssubstanzen, ein Arbeitsgebiet, das ihnauch nach seinem Wechsel an die Hochschule weiterbeschäftigt. Ferner gilt sein wissenschaftliches Inte-resse dem Transport von Wirkstoffen durch biologi-sche Membranen, der Optimierung von biopharma-zeutischen Problemarzneistoffen, dem Targeting vonWirkstoffen und ausgewählten Arzneistoff-Carrier-systemen. Seit 1998 ist er Leiter der Abteilung „Phar-mazeutische Technologie und Biopharmazie“ an derUniversität Mainz.

■ Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Peter LangguthInstitut für PharmazieJohannes Gutenberg-Universität MainzStaudingerweg 555128 MainzTel. +49 (0) 6131 39-25746Fax +49 (0) 6131 39-25021E-Mail: [email protected]://www.pharmazie.uni-mainz.de/aklangguth.html

■ Summary The area of Pharmaceutical Technology traditionallyencompasses the preparation and characterization ofpharmaceutical dosage forms involving pharmaceu-tic and biopharmaceutic principles, product design,formulation, manufacture, and the clinical applica-tion of the various dosage forms in patient care. Ithas been recognized a while ago that the therapeu-tic effect of a particular drug not just depends on itsdose and affinity of the active molecule to specificpharmacological receptors but also on its concentra-tion-time-profile at the site of action. Thus noveldelivery systems aim at maximizing exposure of thetarget site to the drug while at the same time mini-mizing possible side effects at regions distinct fromthe target site (drug targeting). This is still largelybased on Paul Ehrlich´s “magic bullet” concept. Newtechnologies based on a host of delivery methods,for example various polymer technologies, are deve-loped to reduce the limitations of existing therapies.

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Die Suche nach den biologischen Wurzeln des Men-schen und die Erforschung seiner kulturellen Ent-wicklung ist das Gebiet der Anthropologie. Für dieanthropologische Arbeit sind neben den materiellenHinterlassenschaften der Menschen auch ihre sterb-lichen Überreste ein wichtiges biohistorisches Quel-lenmaterial, um Aussagen über die Vergangenheit zumachen. Ein wesentliches Ziel anthropologischer Un-tersuchungen an Skelettresten der jüngeren Mensch-heitsgeschichte, das heißt etwa seit dem Ende derletzten Eiszeit vor ca. 12.000 Jahren, ist die Rekon-struktion der Lebensbedingungen und Lebensver-hältnisse dieser Menschen, um umfassende Erkennt-nisse über die ehemalige Bevölkerung zu erhalten.Hierzu werden zahlreiche Individualdaten herange-zogen und miteinander verglichen.

Neben den biologischen Basisdaten wie Ge-schlecht, Individualalter und Körpergröße werdenweitere Merkmale erfasst wie Hinweise auf Akti-vitätsmuster (Tätigkeiten zu Lebzeiten), Stressfak-toren, wirtschaftliche Grundlagen (Subsistenz) undErnährung, Verwandtschaftsverhältnisse, Mobilitätund Migration, Krankheiten und Verletzungen,Spuren von Gewalt, Todesursachen, Schadstoffbe-lastungen, ferner anatomische Varianten, artifizielleVeränderungen und andere Besonderheiten. Umdiese Daten zu erheben, verfügt die Anthropologieüber ein breites Methodeninventar zur Bearbeitungder sterblichen Überreste. Teils handelt es sich dabeium schon lange etablierte Verfahren, überwiegendaus dem Bereich der Morphologie und Metrik, teilsrepräsentieren diese Verfahren innovative Anwen-dungen aus den Lebens- sowie Geowissenschaften.Moderne anthropologische Forschung baut heute aufdrei Säulen auf: Morphologie, Molekulargenetik undBiochemie. Was können diese archäometrischen Ver-fahren unter Berücksichtigung innovativer Methodenleisten? Wir wollen dies exemplarisch anhand einerkürzlich abgeschlossenen Untersuchung eines Be-stattungsplatzes aufzeigen.

Die Totenhütte von Benzingerode

Das Landesamt für Denkmalpflege und ArchäologieSachsen-Anhalt hat in den Jahren 2001 und 2002 inBenzingerode im nördlichen Harzvorland ein Grabder Bernburger Kultur aus der Zeit Ende des 4.Jahrtausends v. Chr. entdeckt und ausgegraben. DieErgebnisse der anthropologischen Auswertung ver-setzen uns in die Lage, einer Gemeinschaft näher zukommen, die durch ihren gemeinsamen Bestattungs-

ort in einem eigens errichteten Monument besondersenge Verbindungen aufweist. Kollektivgräber zeich-nen sich dadurch aus, dass die Toten auf relativbeengtem Raum über einen Zeitraum von mehrerenJahren oder auch Jahrzehnten beigesetzt wurden.Wiederholte Bestattungsvorgänge sind das typischeKennzeichen solcher Grabkammern, die sich in ver-schiedenen neolithischen Kulturen in ganz Europafinden.

Die biologische Rekonstruktion der ehemali-gen Bevölkerung erfolgt durch die Zusammen-führung der Informationen, die anhand einzelnerSkelette gewonnen wurden. Im besonderen Fall einesKollektivgrabes sind durch die lange Belegungszeitund den beengten Raum sehr oft Verlagerungen undVermischungen von Knochen zu verzeichnen. Die Ur-sachen dafür sind meist zufällige Einwirkungen wieder langsame Verfall der Bausubstanz, Tieraktivitätensowie Witterungseinflüsse. Zunächst müssen also diedurcheinander liegenden Skelettteile oder Skelett-elemente möglichst vollständig und korrekt zusam-mengeführt werden, damit Individualisierungendurchgeführt werden können. Im Fall der Totenhüttevon Benzingerode wurde während der Grabung je-dem Knochenstück oder jedem noch erkennbarenanatomischen Verband eine eigene Nummer zuge-wiesen, die in der Grabungsdokumentation genauverzeichnet worden ist. Somit konnte jeder Knochennach der Präparation wieder mit seiner Lage-information verknüpft werden. Durch diese langwie-rige, aber auf jeden Fall lohnende Vorgehensweisebei der archäologischen Dokumentation und Ber-gung wurden die meisten anthropologischen Aus-wertungen überhaupt erst ermöglicht. Eine möglichstumfassende Re-Individualisierung der Skelettelemen-te war bisher nur bei sehr wenigen Kollektivgräberndurchführbar. Somit kommt der mittlerweile sehr gutuntersuchten Bestattungsgemeinschaft von Ben-zingerode eine bedeutende Rolle im mitteldeutschenNeolithikum zu.

Physische (morphologische) Anthropologie

Die physische Anthropologie untersucht mit weitge-hend morphologischen und metrischen Methodenbiohistorische Quellen auf elementare biologischeEckdaten, die sie zu Aussagen über die Struktur undDynamik der zugrunde liegenden Bevölkerungzusammenfasst. Das Datenmaterial liefert darüberhinaus fundamentale sozialgeschichtliche Fakten, dieEinblick in die demographische Zusammensetzung,

Wo kommen wir her und wieverlief unsere biologische und

kulturelle Entwicklung? Mit ver-schiedenen Methoden versuchtdie Anthropologie diese Fragen

zu erforschen und neue Erkennt-nisse über den Menschen zu

gewinnen.

ANTHROPOLOGIE

Von Kurt W. Alt, Christian Meyer, Veit Dresely, Barbara Bramanti und Olaf Nehlich

Die Totenhütte von Benzingerode – Ein Blick in die Vergangenheit

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ANTHROPOLOGIE

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Abb. 1: Überblick über den dicht belegten Teil der Totenhütte

Abb. 2: Skelettreste von zwei Individuen, die überdie mütterliche Linie miteinander verwandt sind:Bei den farblich markierten Individuen 3 (beige)und 27 (ocker) im linken unteren Bildbereich han-delt es sich um die im Text erwähnten Männer –wahrscheinlich Brüder oder Cousins.

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die epidemiologischen Gegebenheiten, die ver-wandtschaftlichen Verhältnisse sowie die Lebens-weise und Lebensbedingungen früherer Gemein-schaften geben.

Die genaue Untersuchung der Verteilung vonAlter und Geschlecht der Toten spielt eine großeRolle, da diese demographischen Grunddaten eineBevölkerung kennzeichnen und Rückschlüsse auf dieLebensumstände zulassen. Weiterhin bilden sie dienotwendige Grundlage für alle anderen Untersu-chungen, die eine Gemeinschaft weiter charakterisie-ren können. Insgesamt konnten in Benzingerode dieSkelettreste von mindestens 46 Individuen voneinan-der abgegrenzt werden. Auffällig ist ein Ungleich-gewicht im Geschlechterverhältnis der Erwachsenen,da in Benzingerode ein deutlicher Überschuss anmännlichen Individuen festzustellen ist. In etwas ge-ringerem Umfang scheint dies für die BernburgerKultur jedoch die Regel zu sein, da an vielen anderenFundplätzen ebenfalls mehr Männer als Frauen vor-kommen. Bei der Altersverteilung fällt auf, dass wahr-scheinlich keine der Personen aus Benzingerode älterals 60 Jahre wurde und dass etwa die Hälfte derToten Kinder und Jugendliche sind. Da sich unter denSkelettresten auch Knochenfragmente von Neuge-borenen befinden, kann angenommen werden, dassauch die jüngsten Mitglieder der Gemeinschaft in derTotenhütte zur letzten Ruhe gebettet wurden.

Weitere Analysen betreffen die Belastung mitKrankheiten und Verletzungen. Beispielsweise konn-ten einige Knochenbrüche festgestellt werden. Beieiner Frau von etwa 40 bis 50 Jahren fand sich einBruch der linken Elle, der weitgehend abgeheilt war.Die Knochenoberfläche wies jedoch an beidenUnterarmknochen Spuren einer aktiven Entzündungauf. Man kann hier von einem typischen Unfall aus-gehen, bei dem die Frau gestürzt ist und versucht hat,sich mit dem betroffenen Arm auf dem Boden abzu-stützen. Auch in heutiger Zeit tritt diese Art derVerletzung bei älteren Frauen häufig auf. Zwei weite-re komplizierte Frakturen betreffen die Oberschenkelzweier Individuen. In einem Fall konnte das Bein spä-ter anscheinend wieder voll belastet werden, obwohlsich ein relativ starker Kallus rund um die Fraktur-stelle gebildet hatte. Im anderen Fall scheint es hin-gegen zu einer Verkümmerung des entsprechendenBeines gekommen zu sein, da der Knochen durchseine morphologische Grazilität auffällt. Wahrschein-lich musste die betreffende Person bis an ihr Lebens-ende mit Schmerzen in dem verletzten Bein leben,was auch zu einer starken Bewegungseinschränkunggeführt haben dürfte. Eine eigenständige Fort-bewegung dieses Menschen über längere Streckenwar sicher nur noch unter Verwendung von Gehhilfenmöglich, da das Bein offensichtlich nicht mehr vollbelastet wurde. Ein weiterer Knochenbruch, der ohnegrößere Komplikationen wieder abgeheilt ist, war aneinem Lendenwirbel zu erkennen.

Neben diesen auffälligen Befunden fandensich weitere krankhafte Veränderungen wie Ent-zündungen an der Innenfläche des Schädels sowieErkrankungen der Zähne und Kiefer. Die Karies-belastung der Bevölkerung liegt mit einer Frequenzvon knapp 24 Prozent im Durchschnitt zeitgleicherKollektivgräber der geographischen Region. Somithatte gut ein Viertel der Bevölkerung kariöse Zähne,jedoch erst ab einem frühadulten Lebensalter. Allebeurteilbaren Milchzähne und die Wechselgebissewaren dagegen frei von Karies. Andere Erkrankungenfanden sich nur in geringem Ausmaß. Auffallend ist,dass größere Belastungsschäden der Wirbelsäuleoder der übrigen Körpergelenke fehlen, was nur zumTeil mit der relativ geringen Lebenserwartung derMenschen dieser Zeit erklärt werden kann.

Molekulargenetik

Die molekulare Archäologie verfolgt Fragestellungen,die allein auf diesem Wege beantwortet werden kön-nen. Hier kommen vor allem aus der Forensik abge-leitete Verfahren der Verwandtschafts- und Ge-schlechtsdiagnose zum Einsatz. Diese liefern für dieBinnenanalyse von Gräberfeldern wertvolle Hinweiseauf familiäre Beziehungen und die innere Strukturder Gemeinschaft. DNA-Proben, das sind zumeistZähne, sind für die folgenden Untersuchungen mög-lichst schon in situ im Feld zu entnehmen.

Im DNA-Spurenlabor in Mainz bestehen dieersten Arbeitsschritte darin, eventuell anhaftendeFremd-DNA von den Zahnproben zu beseitigen.Darauf erfolgt die Isolation, Reinigung und Konzen-trierung der DNA. Zur Analyse bestimmter DNA-Ab-schnitte werden diese mittels Polymerase-Ketten-reaktion (PCR) vervielfältigt. Anschließend erfolgt dieSequenzierung der vervielfältigten DNA-Moleküle,um die Reihenfolge der DNA-Bausteine, also ihreSequenz, lesbar zu machen. Die gewonnenen Se-quenzen werden mit gängiger Software analysiertund miteinander verglichen.

Bei 18 von 21 genetisch untersuchten Skelet-ten aus Benzingerode wurde erhaltene alte Erb-substanz, sogenannte aDNA, nachgewiesen. DieseErfolgsquote deutet darauf hin, dass die örtlichenBedingungen für die Erhaltung alter DNA hervorra-gend sind – beispielsweise durch das Vorkommenvon Schwarzerde-Böden. Untersucht wurde mito-chondriale DNA (mtDNA), das heißt jene DNA-Se-quenzen, die lediglich von der Mutter an ihre Kinderweitergegeben werden. Damit kann die mütterliche(maternale) Verwandtschaftslinie einer Gemeinschaftuntersucht werden. Kern-DNA, die dabei helfen kann,über die väterliche (paternale) Verwandtschaftsliniegenetisch verbundene Individuen zu entziffern, warim vorliegenden Fall nicht in reproduzierbarer Formerhalten.

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Abb. 3: In Fehlstellung abgeheilteFraktur eines Oberschenkelkno-chens. Das Röntgenbild (rechts)zeigt die starke Kallusbildung.

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Als Ergebnis zeigt sich in mehreren Fällen, dassIndividuen, die in der Grabkammer direkt benachbartniedergelegt wurden und die auch in ihrer Körper-haltung deutlichen Bezug aufeinander nahmen,offensichtlich auch nah miteinander verwandtwaren. Als Beispiel können hier zwei Männer dienen,die in Hockerstellung in entgegengesetzter Ausrich-tung aufeinandergelegt worden sind und die eineidentische genetische Signatur aufweisen – eine Sig-natur, die ansonsten unter den untersuchten Indi-viduen nicht mehr auftaucht. Da über die analysiertemtDNA ausschließlich die Verwandtschaft über dieweibliche Linie erfasst wird, kann ausgeschlossenwerden, dass es sich um Vater und Sohn handelt.Berücksichtigt man das anthropologisch ermitteltebiologische Alter der beiden Männer von etwa 30 bis35 beziehungsweise 40 bis 50 Jahren, handelt es sicham wahrscheinlichsten um zwei Brüder oder Cousins,die in relativ kurzem Abstand hintereinander verstor-ben sind. Somit ist für die Totenhütte von Ben-zingerode eindeutig nachgewiesen, dass im Innerender Grabkammer Bestattungsmuster auftreten, derenExistenz bisher nur vermutet werden konnte. Ver-storbene wurden also nicht einfach willkürlich ineiner beliebigen Ecke abgelegt, sondern sie wurdenvielmehr auf der Basis von bekannten Verwandt-schaftsverhältnissen an bestimmten Stellen imKollektivgrab gruppiert.

Biochemie

In der Grundsubstanz des Knochens sind zahlreicheInformationen über die Lebensbedingungen und dieUmwelt, in der die Menschen lebten, gespeichert. Inden biomolekularen Archiven Knochen und Zähnesind zum Beispiel Spurenelemente und stabile Iso-tope, die der Stoffwechsel zu Lebzeiten verarbei-tet hat, auf Zeit oder auf Dauer gebunden.(Prä)Historische Individuen gelten daher als chemi-sche Merkmalsträger mit einem hohen Potenzial anverschlüsselten Informationen. Gegenstand derUntersuchung des Knochengewebes sind der minera-lische (70%) und der organische Anteil (30%). DieUntersuchung der Spurenelemente fokussiert auf denanorganischen (mineralischen) Anteil des Knochens(Hydroxylapatit), die Isotopenstudien konzentrierensich weitestgehend auf die organischen Anteile desKnochens (Kollagen).

Die Anthropologie nutzt die Bestimmung derIsotope vor allem, um Informationen über die Er-nährung zu erhalten. Dazu werden stabile Isotopevon Kohlenstoff und Stickstoff verwendet, die nichtdem radioaktiven Zerfall unterliegen. Die Analysenkönnen grundsätzlich an allen organischen Mole-külen erfolgen, die Stickstoff und/oder Kohlenstoffenthalten. Im Falle von Kohlenstoff sind die zu erwar-tenden Isotopenwerte bei ausschließlich terrestri-scher Pflanzen-Kost beziehungsweise bei marinerErnährung bekannt. Stickstoff-Isotopenverhältnisse

dagegen geben Auskunft darüber, ob die proteinhal-tige Nahrung von einer Pflanze oder einem Tierstammt. Stickstoffisotope zeigen die Stellung desKonsumenten in der Nahrungskette an, weil beimVerzehr beispielsweise vom Gras über die Kuh zumLöwen eine Anreicherung erfolgt. Mithilfe desStickstoffisotops 15N kann rekonstruiert werden, wel-che Nahrung ein Individuum konsumiert haben könn-te, aber etwa auch, ob ein Jungtier noch gestilltwurde. Die Werte des Stickstoffisotopenverhältnisseseines Individuums liegen um 3 bis 5 Promille höherals dessen durchschnittliche proteinhaltige Nahrung.Dieser Vorgang ist als sogenannter Trophiestufen-effekt bekannt.

Durch die Analyse der stabilen Isotope vonKohlenstoff und Stickstoff bekommen wir auch einenEinblick in die Ernährungsweise der bäuerlichenGemeinschaft von Benzingerode. Anhand von Kno-chenproben wurde festgestellt, dass die Menschenaus Benzingerode ihren Fleischbedarf hauptsächlichdurch Haustierhaltung gedeckt haben. In Frage kom-men hier in erster Linie Hausrinder, deren Überrestesich auch als Beigaben in der Totenhütte fanden undderen Isotopenwerte eine Verteilung zeigen, die sieals Hauptfleischlieferanten ausweist. Im Vergleich

Abb. 4: Isotopensignaturen von Kohlenstoff (12C/13C-Verhältnis) sowie Stickstoff (14N/15N-Verhältnis) zur Rekonstruktion der Ernährung und zur Differenzierung der Geschlechter. DerGesamtmittelwert für alle Individuen beträgt für das Kohlenstoffisotopenverhältnis -19,9 ±0,2 ‰ und für das Stickstoffisotopenverhältnis 9,4 ± 0,4 ‰. Die Streuung der Ergebnisse istsehr gering, für das stabile Kohlenstoffisotop reichen sie von -19,6 ‰ bis -20,3 ‰ und beimstabilen Stickstoffisotop von 8,6 ‰ bis 10,3 ‰. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf eine relativeinheitliche Ernährung aller hier untersuchten Individuen. Allerdings zeigen sich signifikanteUnterschiede bei den Kohlenstoffwerten zwischen den Geschlechtern. Diese deuten auf eineunterschiedliche Herkunft der Nahrungsanteile hin, wobei Frauen vermutlich durch ihreSammeltätigkeit am Rande des Harz mehr Waldbeeren zu sich genommen haben. DasStickstoffisotopenverhältnis zwischen den Geschlechtern ist knapp nicht signifikant, sodassdavon auszugehen ist, dass der Anteil an tierischen Proteinen innerhalb der Gruppe relativhomogen gewesen sein wird.

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mit den Frauen nahmen die Männer insgesamt etwasmehr tierische Produkte zu sich, während die Fraueneinen etwas höheren Anteil pflanzlicher Nahrung auswaldreichen Gebieten konsumierten. Dass Männerund Frauen sich unterschiedlich ernähren, scheintbereits in der Jungsteinzeit verbreitet gewesen zusein, wie zeitgleiche Ergebnisse von anderen Fund-plätzen bestätigen.

Benzingerode – Fenster in die Jungsteinzeit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Men-schen aus dem Kollektivgrab von Benzingerode eineGemeinschaft bildeten, deren Bestattungsrituale vonden verwandtschaftlichen Beziehungen ihrer Mitglie-der geprägt waren. Die Erkenntnisse zur Ernährungs-weise, zur demographischen Zusammensetzung derBevölkerung und zur Belastung der Menschen mitKrankheiten und Verletzungen passen gut in denRahmen, der von anderen anthropologisch unter-suchten Bernburger Bevölkerungsgruppen bereitsbekannt ist. Die Kombination aller Erkenntnisse zuden Menschen dieser Zeit, die anhand ihrer Skelett-reste gewonnen werden können, trägt entscheidenddazu bei, nicht nur die Lebensweise und die Lebens-bedingungen neolithischer Kulturen zu rekonstruie-ren, sondern auch die bevölkerungsbiologischenAspekte und die kulturellen Verhältnisse besser zuverstehen. Da sich in unmittelbarer Nähe zur Toten-

hütte von Benzingerode ein zweites, noch unausge-grabenes Kollektivgrab befindet, ergeben sich darausinteressante Fragestellungen im Hinblick auf einenzukünftigen direkten Vergleich beider Totengemein-schaften.

ANTHROPOLOGIE

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■ Summary The skeletal remains of our ancestors are considereda valuable source of biohistorical information. Animportant goal of anthropological investigations ofhuman bones is the biological reconstruction of theliving conditions in ancient times. Today, apart fromthe basic biological data (sex, individual age, bodyheight), activity patterns, stress factors, subsistence,diet, kinship relations, mobility and migration,diseases and injuries, indications of violence, causeof death and contaminant loads as well as theoccurrence of anatomical variants and artificialmodifications are also investigated. For this purposeanthropology has a broad method inventory, whichcomprises well established procedures of morpho-logy and metric and innovative applications from thelife sciences as well as geosciences. Modern anthro-pological research develops from three pillars:morphology, molecular genetics and biochemistry.Our paper demonstrates the scientific potential ofthese current archaeometrical methods in anthro-pological research.

Univ.-Prof. Dr. Kurt W. Alt

Kurt W. Alt studierte Zahn-medizin an der FU Berlinund hat 1983 dort promo-viert. Danach studierte erAnthropologie, Ethnologiesowie Ur- und Frühgeschich-te an der Universität Frei-burg, wo 1992 die Habili-

tation für das Fach Anthropologie erfolgte. Von 1992bis 1997 arbeitete Alt als forensischer Anthropologeim Institut für Rechtsmedizin der Universität Düssel-dorf. Von 1997 bis 1999 übernahm er die Leitung derArbeitsrichtung Biologische Anthropologie an derUniversität Freiburg. Seit 1999 hat Kurt W. Alt eineC3-Professur am Institut für Anthropologie der Uni-versität Mainz. Seine Forschungsschwerpunktefokussieren auf die Prähistorische und HistorischeAnthropologie inklusive ihrer modernen naturwis-senschaftlichen Methoden (Molekulargenetik, Bio-chemie).

■ Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Kurt W. AltInstitut für AnthropologieJohannes Gutenberg-Universität MainzColonel-Kleinmann-Weg 255099 MainzTel. +49 (0) 6131 39-22242Fax +49 (0) 6131 39-25132E-Mail: [email protected]://www.uni-mainz.de/FB/Biologie/Anthropologie/prof_alt.php

C. Meyer, J. Kranzbühler, S. Drings, B. Bramanti, O. Nehlich, M. P. Richards, K. W. Alt (im Druck). Die menschlichen Skelettfunde aus

der neolithischen Totenhütte von Benzingerode. Anthropologische Untersuchungen an den Bestattungen eines

Kollektivgrabs der Bernburger Kultur.

Literatur

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Christian Meyer M.A.

Christian Meyer, geboren1977 in Braunschweig, hatan den Universitäten Mainzund Zürich die Fächer An-thropologie, Vor- und Früh-geschichte, Ethnologie undPaläontologie studiert. 2004erfolgte der Magisterab-

schluss mit einer vergleichenden Arbeit über neolithi-sche Populationen in Südwestdeutschland am Ins-titut für Anthropologie der Universität Mainz. Dortpromoviert er zur Zeit über die paläopathologischenVeränderungen an den menschlichen Skeletten auseinem großen frühmittelalterlichen Gräberfeld.Neben der Paläopathologie gelten seine Interessenvorwiegend der bioarchäologischen Rekonstruktion(prä)historischer Wechselwirkungen zwischenMensch, Kultur und Umwelt.

Dr. Veit Dresely

Veit Dresely hat an der Eber-hard-Karls-Universität in Tü-bingen Vor- und Frühge-schichte, Anthropologie undGeologie studiert und 1993im Fach Vor- und Frühge-schichte über ein neolithi-

sches Thema promoviert. Seit 1993 ist er beim Lan-desamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt zunächst bis 2002 als Gebietsreferent, seit2002 als Referatsleiter für Großgrabungen tätig.

Dr. Barbara Bramanti

Barbara Bramanti ist in Flo-renz, Italien, geboren undhat dort Pharmazie studiertund in Anthropologie 1997promoviert. Seit zehn Jahrenarbeitet sie als Postdokto-randin und Wissenschaft-liche Mitarbeiterin in

Deutschland, zuerst an der Georg-August-Universitätin Göttingen und seit 2002 an der JohannesGutenberg-Universität Mainz, Institut für Anthro-pologie. Zurzeit ist sie DFG-Forschungsstipendiatinund arbeitet an ihrer Habilitation. Ihre Forschungs-schwerpunkte sind die genetischen Polymorphismen(prä-)historischer menschlicher Bevölkerungen. Inden letzten Jahren galt ihr Interesse verstärkt auchden genetischen und infektiösen menschlichenKrankheiten der Vergangenheit.

Olaf Nehlich M.A.

Olaf Nehlich hat nach Aus-bildungen zum Maschinen-schlosser und zum biolo-gisch-technischen Assisten-ten und Berufstätigkeit inbiotechnologischen Unter-nehmen an der Johannes

Gutenberg-Universität Mainz Anthropologie, Ethno-logie und Volkskunde studiert. Seine Magisterarbeithatte die Ernährungsrekonstruktion einer hessischenBevölkerung im dreißigjährigen Krieg zum Thema.Derzeit promoviert Olaf Nehlich am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzigüber die Analyse stabiler Schwefelisotope vonarchäologischem Material aus historischen und prä-historischen Zeitabschnitten. Sein Forschungsschwer-punkt ist die Analyse und Rekonstruktion historischersowie prähistorischer Populationen hinsichtlichErnährung und Wanderungsverhalten sowie sozialerUnterschiede.

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Gemäß der jährlich erscheinenden Werkstatistik desDeutschen Bühnenvereins für Deutschland, Öster-reich und die Schweiz gehört Christoph WillibaldGluck (1714 -1787) zu den Komponisten, derenWerke das sogenannte erweiterte Repertoire1 derdeutschsprachigen Musiktheater bilden. DieserBefund bezieht sich jedoch nur auf einen kleinenAusschnitt aus Glucks Gesamtwerk, nämlich nahezuausschließlich auf die beiden, auch einem breitenPublikum bekannten Opern Iphigenie in Aulis(Iphigénie en Aulide) und Orpheus und Eurydike(Orfeo ed Euridice), jene „Reformopern“, die in derMusikgeschichte bekanntlich den Abschluss dermaßgeblich von Gluck betriebenen Neuausrichtungder Gattung darstellen.

Das Opernschaffen Glucks umfasst jedochnicht weniger als 35 vollständig erhaltene Werke, diegrößtenteils bereits im Rahmen der von der Akade-mie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, her-ausgegebenen Historisch-Kritischen Gesamtausgabevorliegen. Ziel des Herausgebergremiums unter Vor-sitz von Christoph-Hellmut Mahling ist die wissen-schaftlich-kritische Edition sämtlicher Werke, diezugleich in Struktur und Darstellung die Möglichkeitihrer musikalisch-praktischen Aufführung eröffnet.

Mit der Erschließung des bislang weniger be-kannten Gluckschen Œuvres sowie der Quellen zuseinem Leben und Werk rückt in den letzten Jahrenzunehmend die frühe Schaffensperiode vor derOpernreform in den Mittelpunkt der musikwissen-schaftlichen Forschung. Sie umfasst biographiege-schichtlich die Zeit seines ersten Aufenthalts in Wienin den 1730er-Jahren, seine „Wanderjahre“ mitPietro Mingotti und Giovanni Battista Locatelli sowieschließlich seine Rückkehr an den Wiener Hof Endeder 1740er-Jahre.

Unter Glucks frühen Werken für Musiktheaterscheint La Semiramide riconosciuta. Dramma permusica in drei Akten von Pietro Metastasio einebesondere Bedeutung zuzukommen, denn Gluck hatentgegen der zeitüblichen Praxis bei der Kompositionnicht auf bereits vorliegende eigene Werke zurückge-griffen und erst mehr als zwanzig Jahre nachEntstehung der Semiramide riconosciuta ihre Musikals Vorlage für weitere Werke genutzt.

Mit der Wahl der metastasianischen Opern-dichtung setzte Gluck seine Anfang der 1740er-Jahrebegonnene Zusammenarbeit mit einem der bedeu-

tendsten Protagonisten der späteren Opernreformfort. Sie führte zu einer ganzen Reihe von Opereserie, darunter Artaserse, Ipermestra und Demetrio(Cleonice).

Der Motiv-Komplex um die ägyptische bzw.assyrische Königin Semiramide steht, obwohl die zuBeginn des 19. Jahrhunderts bereits vorliegenden150 Libretti unter dem Titel „Semiramide“ oder„Semiramide riconosciuta“ eine solche motivge-schichtliche Traditionsbildung nahelegen, geradenicht in einer kohärent darstellbaren Motivge-schichte; vielmehr ist er durch die Disparatheit seinergeographischen, historischen und kulturgeschicht-lichen Bezüge gekennzeichnet.2 Auch Metastasioselbst hatte das Sujet für eine Krönungsoper (Urauf-führung Prag 1743, Komponist unbekannt, evtl.Johann Adolf Hasse) bereits vor seiner Zusammen-arbeit mit Gluck aufgegriffen.

Glucks Semiramide riconosciuta wurde am 14.Mai 1748 in Wien uraufgeführt. Neben dem äußerenAnlass, der Wiedereröffnung des renovierten WienerBurgtheaters, kommt der Aufführung auch eine poli-tisch-legitimatorische Funktion zu: In der Geschichteder ägyptischen Semiramide, die, als König Ninus ver-kleidet, erfolgreich regiert und nach ihrer Entdeckungals Frau auch als Königin vom Volk anerkannt wird,waren die Parallelen zur Kaiserin Maria Theresia un-übersehbar3: „Populi, è vero. Semiramide io son; delfiglio in veze regnai fin` or, ma per giovarvi. Io tolsidel regno il freno ad una destra imbelle, non atta amoderalo.” (La Semiramide riconosciuta III, 13).

Mit insgesamt 27 Aufführungen im Sommer1748 kann La Semiramide riconosciuta als außeror-dentlich erfolgreich gelten. Diese Einschätzung teilteauch Metastasio, wenngleich er offensichtlich vonGlucks „erzvandalischer“ Musik, wie er brieflich mit-teilte, nicht allzuviel hielt: „ [...] Sappiate che la Semi-ramide va alle stelle, mercé l’eccellenza della compa-gnia e la magnificenza delle decorazioni, a dispettod’una musica arcivandalica insopportabile.“4

Dabei ist die musikalische Faktur der Oper imZeitbezug durchaus konventionell. Hervorzuheben istdie bereits im Libretto vorgesehene und von Gluck imGegensatz zu den zeitüblichen Zwischenakt-Bal-letten auskomponierte Tanzszene in der zweitenSzene des zweiten Aktes. Zwar entspricht der Orches-tersatz im Wesentlichen der ständigen Instrumen-talbesetzung des Wiener Burgtheaters, verlangt aber

Die Hochschule für Musik plantim Rahmen eines Kooperations-projekts mit dem StaatstheaterMainz für die Spielzeit 2008/09die Wiederaufführung der OperLa Semiramide riconosciuta vonChristoph Willibald Gluck. DasOpernprojekt ist Teil der Reihe„Gottes starke Töchter. GroßeFrauen auf der Opernbühne“.

MUSIK

Von Carolin Lauer und Kristina Pfarr

Christoph Willibald Gluck: La Semiramide riconosciuta –Wiederaufführung im Rahmen eines Kooperationsprojektszwischen der Hochschule für Musik und dem Staatstheater Mainz

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darüber hinausgehende Ergänzun-gen, unter anderem geteilte Stim-men, doppelte Bläser-Besetzungen,solistischen Einsatz sowie die zeit-üblich nicht näher spezifizierten„istromenti barbari“ (Pauken undweitere Schlaginstrumente).5

Die Hochschule für Musik plantim Rahmen von SINGING SUMMER, derInternationalen Sommerschule fürSänger und Instrumentalisten, dieWiederaufführung der Oper Glucks.

Das Vorhaben steht unter derkünstlerischen Gesamtleitung von Prof.Claudia Eder. Sie studierte Gesang undVioloncello in München, Frankfurt a.M. und Mailand.Stationen ihrer sängerischen Laufbahn waren u.a. dieOpernhäuser Wiesbaden, Düsseldorf und Wien; inter-nationale Opern- und Konzertverpflichtungen führtensie u.a. nach Madrid, London, Paris, Rom, in die USAund nach Japan, zu den Salzburger Festspielen, denWiener Festwochen und dem Schleswig-HolsteinFestival. Sie ist seit 1991 Leiterin der Meisterklassedes Internationalen Festivals für junge OpernsängerSchloss Rheinsberg und als Jurorin InternationalerWettbewerbe wie z.B. dem ARD Wettbewerb, demMeistersinger Wettbewerb, dem Maria Caniglia-Wettbewerb tätig. Seit 1988 hat sie gleichzeitig eineProfessur für Gesang an der Hochschule für Musikder Johannes Gutenberg-Universität Mainz inne.Prof. Claudia Eder ist Leiterin der Abteilung Gesangder Hochschule, die vier Gesangsstudiengänge –Diplom-Gesang, Diplom-Musiklehrer/in Gesang,Masterstudiengang Voice und Konzertexamen Ge-sang – anbietet. Sie ist darüber hinaus Prorektorinder Hochschule für Musik und Initiatorin und künst-lerische Gesamtleiterin der Internationalen Sommer-schule SINGING SUMMER. Prof. Eder initiierte dasProjekt La Semiramide riconosciuta und etablierte dieKooperationsbeziehungen zu den Partnern aus Kul-tur, Politik und Wirtschaft. Das Opernprojekt derSommerschule 2008 wird maßgeblich gefördert vonder Vera und Volker Doppelfeld-Stiftung, die bereitsin den letzten Jahren Projekte der Sommerschuleermöglicht hat. Wichtigster Kooperationspartner istdas Staatstheater Mainz, das die Oper in denSpielplan der Spielzeit 2008/09 übernehmen wird.Das Projekt ist Teil eines auf die Spielzeiten 2007/08bis 2009/10 angelegten Opernzyklus, in dessenthematischem Mittelpunkt „Gottes starke Töchter.Große Frauen auf der Opernbühne“ stehen. In derSpielzeit 2007/08 wird das szenische OratoriumLa Giuditta von Alessandro Scarlatti aufgeführt, fürden Abschluss der Reihe ist eine Auftragskompositiongeplant.

Die Hochschule für Musik setzt mit GlucksSemiramide riconosciuta die erfolgreichen, in Koope-

ration mit dem Staatstheater Mainz durchgeführtenOpernprojekte der vergangenen Jahre fort. Zu dengemeinsam realisierten Opernproduktionen gehörenIl Figlio delle selve (Ignaz Holzbauer, Aufführungen imStaatstheater Mainz), Il Burbero di buon cuore(Vicente Martín y Soler, Aufführungen im ThüringerLandestheater Rudolstadt, bei den LudwigsburgerSchlossfestspielen und im Staatstheater Mainz), Idilia(Mark Moebius, Aufführung in der FestungskircheEhrenbreitstein) und Kein Ort. Nirgends (AnnoSchreier, Aufführungen in der BrentanoscheuneOestrich-Winkel und im Staatstheater Mainz).

Das Opernprojekt Semiramide riconosciutastellt die Hochschule für Musik vor künstlerische,musikpädagogische und nicht zuletzt auch organisa-torische und administrative Herausforderungen, dieeinen längeren zeitlichen Vorlauf benötigen. Sowohlin der musikalischen Gestaltung als auch in der sze-nischen Arbeit betreten die Studierenden unter pro-fessionellen Rahmenbedingungen, für die das Staats-theater Mainz verantwortlich zeichnet, Neuland. Siewerden dabei von ausgewiesenen Expertinnen undExperten angeleitet und unterrichtet.

Voraussetzung für die Realisierung des Pro-jekts war eine enge Abstimmung der Hochschule fürMusik mit der Arbeitsstelle der Gluck-Gesamt-ausgabe der Akademie der Wissenschaften und derLiteratur, Mainz, und dem Bärenreiter-Verlag, in demdie Gesamtausgabe erscheint und der das Orches-termaterial eigens für die Opernproduktion erstellenwird.

Eine exzellente künstlerische Ausbildung, dieden souveränen, historisch informierten Umgang mitMusik sämtlicher Epochen von der Alten bis zurZeitgenössischen Musik umfasst, sowie ein engerBezug zur Praxis im Hinblick auf den erfolgreichenEinstieg in ein hochkompetitives Berufsfeld – diessind die Maßstäbe, an denen sich das Studium anMusikhochschulen im zunehmend international aus-gerichteten tertiären Bildungssektor heute messen

Titelblatt der Wiener Partiturabschrift (Wien, Österreichische National-bibliothek, Musiksammlung Mus Hs17793) (Gesamtausgabe, S. XXI)

MUSIK

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lassen muss. Mit der Wiederaufführung von GlucksSemiramide riconosciuta genau 260 Jahre nach ihrerUraufführung am Wiener Burgtheater wird sich dieInternationale Sommerschule SINGING SUMMER ander Hochschule für Musik auch über die Regionhinaus erneut als erstrangiger künstlerischer Akteurprofilieren und ihre Position auf dem Sektor der musi-kalischen Weiterbildung für exzellente Künstlerinnenund Künstler festigen.

■ Summary As part of an ongoing cooperation with the StateTheater in Mainz, the School of Music is planning aproduction of the opera La Semiramide riconosciutafrom Christoph Willibald Gluck (1714 -1787). Thisopera seria had its premiere in Vienna in 1748 and isone of Gluck’s earlier works, written before the 18thcentury Opera Reform during which Gluck workedintensively with the Italian poet and librettist PietroMetastasio. This artistic endeavor is part of a threeseason series entitled „Strong Daughters of God:Great Women on the Operatic Stage“ and is sponso-red by the Vera and Volker Doppelfeld Foundation.

Dr. Carolin Lauer

Carolin Lauer studierteEvangelische Theologie undDeutsche Philologie an derJohannes Gutenberg-Uni-versität Mainz. Sie ist seit2002 Geschäftsführerin der

Hochschule für Musik, seit 2004 gemeinsam mit Dr.Kristina Pfarr Geschäftsführerin der InternationalenSommerschule SINGING SUMMER.

Dr. Kristina Pfarr

Kristina Pfarr studiertePublizistik, Musikwissen-schaft und Buchwesen ander Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie istseit 2000 wissenschaftliche

Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik, seit 2004gemeinsam mit Dr. Carolin Lauer Geschäftsführerinder Internationalen Sommerschule SINGING SUMMER.

1) Jacobshagen, Arne: Musiktheater. In: Deutscher Musikrat, Musikinformationszentrum, http://www.miz.org/static/

themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/jacobshagen.pdf (03.04.2007), S. 9.

2) Vgl. hierzu Christoph Willibald Gluck. La Semiramide riconosciuta. Dramma per musica in drei Akten von Pietro Metastasio.

Hg. von Gerhard Croll und Thomas Hauschka. Kassel u.a. Bärenreiter 1994 (=Sämtliche Werke. Abteilung III.

Italienische Opere serie und Opernserenaden, Bd. 12), Vorwort, S. VI.

3) Ebd., S. VII.

4) Tutte le opere di Pietro Metastasio. Zit. nach: Christoph Willibald Gluck. La Semiramide riconosciuta. Dramma per musica in

drei Akten von Pietro Metastasio. Hg. von Gerhard Croll und Thomas Hauschka. Kassel u.a. Bärenreiter 1994

(=Sämtliche Werke. Abteilung III. Italienische Opere serie und Opernserenaden, Bd. 12), Vorwort, S. XII f.

5) Vgl. hierzu Christoph Willibald Gluck. La Semiramide riconosciuta. Dramma per musica in drei Akten von Pietro Metastasio.

Hg. von Gerhard Croll und Thomas Hauschka. Kassel u.a. Bärenreiter 1994 (=Sämtliche Werke. Abteilung III.

Italienische Opere serie und Opernserenaden, Bd. 12), Kritischer Bericht, S. 370 f.

Literatur

MUSIK

■ Kontakt

Dr. Carolin LauerDr. Kristina PfarrHochschule für Musik Johannes Gutenberg-Universität MainzBinger Str. 2655122 MainzTel. +49 (0) 6131 39-33538Fax +49 (0) 6131 39-30140E-Mail: [email protected], [email protected] http://www.musik.uni-mainz.de/

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Unsere Wirtschaft braucht verlässliche, bezahlbare und umweltschonende Energie,

um wachsen zu können. Weil herkömmliche Energien dazu künftig nicht mehr

ausreichen, sind wir auf neue Quellen aus Erde, Wasser und Luft angewiesen.

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oder www.lrp.de

„UNSERE WIRTSCHAFTBRAUCHT

NEUENEUE EENERGIENERGIE.“Die Branchenexperten der LRP

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