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Geschäftsmodellinnovation – Theorie und Praxis der
erfolgreichen Realisierung von strategischen Innovationen
in Großunternehmen
DISSERTATION
der Universität St. Gallen
Hochschule für Wirtschafts-,
Rechts- und Sozialwissenschaften
sowie Internationale Beziehungen (HSG)
zur Erlangung der Würde eines
Doktors der Wirtschaftswissenschaften
vorgelegt von
Andreas �emeth
aus
Österreich
Genehmigt auf Antrag der Herren
Prof. Dr. Walter A. Ackermann
und
Prof. Dr. Günter Müller-Stewens
Dissertation Nr. 3921
Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und
Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG), gestattet hiermit die
Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen
Anschauungen Stellung zu nehmen.
St. Gallen, den 16. Mai 2011
Der Rektor:
Prof. Dr. Thomas Bieger
VORWORT
Zweifellos war die jahrelange, zermürbende Arbeit an der nun vorliegenden Dissertation
die schwerste Prüfung meines Lebens. Umso erleichterter, zufriedener und glücklicher bin
ich darüber, meine Doktorarbeit nach diesen entbehrlichen Jahren nun vollendet und in
finaler Fassung vor mir zu haben, denn obgleich sich dieses Forschungsprojekt vom
anfänglichen Interesse an den Strategien und Methoden einer wertorientierten
Unternehmensführung bis hin zur vertieften Beschäftigung mit der
Geschäftsmodellinnovation als neue, bisher wenig genutzte Strategie zur Steigerung des
Unternehmenswerts und zu nachhaltig profitablem Wachstum als ein langwieriger
Prozess und oftmals steiniger, von vielen Hindernissen gesäumter, verschlungener Pfad
erwiesen hat, so habe ich dabei viel gelernt, neue Erfahrungen gemacht und Erkenntnisse
gewonnen, die mich nun mit großer Zuversicht vorwärtsblicken lassen.
All jenen, die mich auf dieser langen Reise unterstützt und angefeuert haben, mich
moralisch unterstützt und fachlich gefördert und gefordert haben, bin ich zu tiefem Dank
verpflichtet. Sie waren mir eine wichtige Stütze und haben – jeder auf seine Weise –
meine eigene Motivation gestärkt und mich zum Ziel geführt.
An erster Stelle gilt mein Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Walter Ackermann am
Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen – einerseits für die
akademische Gestaltungsfreiheit bei der Ausarbeitung dieses Themas und andererseits für
die spannenden Gespräche und freundschaftlichen Ratschläge. Besonderen Dank möchte
ich auch Herrn Prof. Dr. Günter Müller-Stewens am Institut für Betriebswirtschaft für die
Übernahme des Korreferats, seine Zeit, den intensiven fachlichen Diskurs und die
entscheidenden Orientierungshilfen im Prozess der Konkretisierung dieses
Forschungsvorhabens aussprechen. Bei Prof. Dr. Christoph Lechner und Prof. Dr. Torsten
Schmid möchte ich mich für die wertvollen methodischen Anregungen hinsichtlich der
Erforschung strategischer Prozesse in Großunternehmen bedanken. Weiters danke ich
meinen Kollegen am Institut für Versicherungswirtschaft für die anregenden Gespräche,
den freundschaftlichen Austausch, unterschiedliche Hilfestellungen und die insgesamt
interessante Zeit in St. Gallen.
Ebenfalls danken möchte ich Prof. Dr. Raphael Amit, dem Robert B. Goergen Professor
of Entrepreneurial Management an der Wharton School der University of Pennsylvania,
und Prof. Dr. Christopher Zott, dem Rudolf and Valeria Maag Fellow in Entrepreneurship
am INSEAD, die mir durch ihre fachlichen Hinweise während der gemeinsamen
Projektarbeit den Einstieg in die Geschäftsmodellthematik erleichtert und mein
Verständnis von Geschäftsmodellen maßgeblich mit beeinflusst haben.
Daran anschließend danke ich den vielen Interviewpartnern des Projektpartners
ASSEKURANZ für ihre wertvolle Zeit und detailreichen Einblicke in die verschiedenen
Praxisprojekte. Zu besonders herzlichem Dank bin ich Herrn Erich Tamm verpflichtet,
der mein Forschungsprojekt nicht nur von Anfang an wohlwollend unterstützt, sondern
der mir durch seine Praxiskontakte in einzigartiger Weise den Zugang zum
Forschungsfeld eröffnet und so die empirische Untersuchung erst möglich gemacht hat.
Für die finanzielle Förderung meines Forschungsvorhabens und des Aufenthalts an der
Universität St. Gallen bedanke ich mich bei der Eidgenössischen Stipendienkommission
für ausländische Studierende und der österreichischen Studienbeihilfebehörde.
Mein größter Dank gehört meiner Familie und meinen Freunden in Wien, Linz, München,
St. Gallen und Zürich, die mich auf dem Weg begleitet haben, mir in diesen Jahren mit
liebevoller Geduld und vorbehaltloser Unterstützung zur Seite gestanden sind, mir Mut
zugesprochen haben und mir geholfen haben, diese Jahre zu meistern. Ihnen gehört mein
ganzer Dank. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.
Wien, im Mai 2011 Andreas Nemeth
ZUSAMME�FASSU�G
Die Kompetenz, strategische Innovation erfolgreich zu realisieren, ist für Unternehmen
heute mehr denn je von existenzieller Bedeutung. Vor diesem Hintergrund zielt die
vorliegende Arbeit darauf ab, etwas mehr Licht in das aus Sicht der empirischen
Managementforschung noch recht dunkle Forschungsfeld der Geschäftsmodellinnovation
zu bringen.
Zu diesem Zweck baut das im Rahmen dieser Arbeit entwickelte und beschriebene
Prozessmodell zur erfolgreichen Realisierung strategischer Innovation auf der aktuellen
Literatur im Feld der Organisationsforschung und des strategischen Managements auf, die
das Unternehmen als ein System aus Ressourcen, Fähigkeiten und Aktivitäten versteht,
welches, einer bestimmten inneren Logik folgend, auf Wettbewerbsvorteile,
Kundennutzen und Unternehmenserfolg abzielt. Das Geschäftsmodell eines
Unternehmens beschreibt dabei die zentrale Logik, wie eine Organisation Ressourcen und
Fähigkeiten kombiniert, um kontinuierlich die grundlegenden Aufgaben und Aktivitäten
der Organisation zu erfüllen und zu steuern.
Wenngleich veränderte Rahmenbedingungen und der dynamisierte Wettbewerb nicht
jedes Unternehmen gleich hart treffen, muss jedes Unternehmen wachsam sein, denn um
langfristig erfolgreich im Wettbewerb bestehen zu können, muss die Kombination der
Ressourcen und Fähigkeiten stets an den Bedingungen des Markts ausgerichtet werden
und es müssen sowohl eine entsprechende interne Konsistenz als auch ein externer Fit des
Geschäftsmodells gegeben sein.
Um diesen Fit laufend zu überprüfen und zu verbessern, sind sogenannte Metafähigkeiten
notwendig, die den Prozess der Modifikation und Konfiguration der Ressourcen,
Fähigkeiten und Aktivitäten leiten und somit den Bauplan für das neue Geschäftsmodell
liefern. Die Fähigkeit der Geschäftsmodellinnovation wird dabei als eine dynamische, da
erlernbare Metafähigkeit einer Organisation angenommen, die den Prozess der
Kombination und Integration von Ressourcen und Fähigkeiten steuert.
So wurden im Rahmen dieser Arbeit das Phänomen und die Fähigkeit zur erfolgreichen
Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation auf der Mikroebene einzelner
Innovationsprojekte untersucht, um die Forschung hinsichtlich der Mikropraxis der
Geschäftsmodellinnovation voranzutreiben. Durch die Identifikation erfolgsrelevanter
Praktiken werden der Praxis konkrete Hilfestellungen und Gestaltungsempfehlungen zur
erfolgreichen Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen angeboten.
Inhaltsübersicht I
I�HALTSÜBERSICHT
TEIL I: EI�FÜHRU�G I� DIE THEMATIK ..............................................................1
1 Einleitung............................................................................................................1
2 Problemstellung..................................................................................................2
3 Forschungsfrage ...............................................................................................14
4 Zielsetzung ........................................................................................................15
5 Aufbau der Arbeit ............................................................................................17
TEIL II: THEORETISCHE VORÜBERLEGU�GE� ...............................................21
6 Grundlagen strategischer Managementforschung ........................................21
7 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes......................................................63
8 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation ...............................................109
9 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation...........................................117
TEIL III: EMPIRISCHE U�TERSUCHU�G...........................................................125
10 Konzeption der empirischen Untersuchung.................................................125
11 Forschungsdesign ...........................................................................................138
12 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation .................................................157
13 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz..................................................183
14 Fallstudie 2: Direktversicherung...................................................................199
15 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft.............................216
TEIL IV: ERKE��T�ISSE ZUR GESCHÄFTSMODELLI��OVATIO�..........237
16 Wege zur Geschäftsmodellinnovation ..........................................................237
17 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation .......................................................239
18 Phasen des Innovationsprozesses ..................................................................243
19 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse .....................................................270
II Inhaltsübersicht
TEIL V: SCHLUSSBETRACHTU�G U�D AUSBLICK ........................................294
20 Implikationen für die Praxis..........................................................................295
21 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung......................................................298
A�HA�G.......................................................................................................................302
22 Fragenkatalog .................................................................................................302
23 Interviewpartner ............................................................................................305
LITERATURVERZEICH�IS .....................................................................................307
Inhaltsverzeichnis III
I�HALTSVERZEICH�IS
TEIL I: EI�FÜHRU�G I� DIE THEMATIK ..............................................................1
1 Einleitung............................................................................................................1
2 Problemstellung..................................................................................................2
3 Forschungsfrage ...............................................................................................14
4 Zielsetzung ........................................................................................................15
5 Aufbau der Arbeit ............................................................................................17
TEIL II: THEORETISCHE VORÜBERLEGU�GE� ...............................................21
6 Grundlagen strategischer Managementforschung ........................................21 6.1 Traditionelle Perspektiven der strategischen Erfolgsforschung ...................23
6.1.1 Branchenorientierte Perspektive........................................................24 6.1.2 Firmenorientierte Perspektive ...........................................................28 6.1.3 Transaktionsorientierte Perspektive ..................................................33
6.2 Kritische Betrachtung der traditionellen Theorieansätze .............................36 6.2.1 Auswirkungen eines sich wandelnden wirtschaftlichen Umfelds......39 6.2.2 Auswirkungen des dynamisierten Wettbewerbs................................43
6.3 Neue Erklärungsansätze und Analyseeinheiten ...........................................45 6.3.1 Prozessorientierte Perspektive...........................................................45 6.3.2 Ansatz dynamischer Fähigkeiten.......................................................48 6.3.3 Netzwerkorientierte Perspektive .......................................................57 6.3.4 Das Geschäftsmodell als neue Analyseeinheit ..................................60
7 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes......................................................63 7.1 Perspektivische Betrachtung........................................................................72
7.1.1 Sicht des Informationsmanagements.................................................73 7.1.2 Sicht der Entrepreneurship ................................................................74 7.1.3 Sicht des Marketings .........................................................................75 7.1.4 Sicht des strategischen Managements ...............................................76
7.2 Systematisierung von Geschäftsmodellen ...................................................77 7.3 Überlegungen zum Modellbegriff................................................................79
7.3.1 Erkenntnisse der allgemeinen Modelltheorie ....................................80 7.3.2 Implikationen für Geschäftsmodelle .................................................84
7.4 Überlegungen zum Geschäftsbegriff ...........................................................89 7.4.1 Geschäft als entgeltlicher Austausch unter Wirtschaftssubjekten .....89
IV Inhaltsverzeichnis
7.4.2 Geschäft als wertschöpfende Tätigkeit von Unternehmen.................92 7.5 Das Geschäftsmodell – ein systemischer Ansatz .........................................97
7.5.1 Nutzenversprechen (Value Proposition)............................................99 7.5.2 Architektur der Wertschöpfung .......................................................100 7.5.3 Ertragsmodell ..................................................................................105
8 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation................................................109 8.1 Innovation..................................................................................................110 8.2 Geschäftsmodell und Innovation................................................................113 8.3 Strategische Innovation..............................................................................116
9 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation ...........................................117 9.1 Theoretische Kategorien und Dimensionen ...............................................120 9.2 Relevante Beziehungen..............................................................................122 9.3 Zentrale Wirkungszusammenhänge ...........................................................122
TEIL III: EMPIRISCHE U�TERSUCHU�G...........................................................125
10 Konzeption der empirischen Untersuchung.................................................125 10.1 Wissenschaftstheoretische Positionierung ............................................125 10.2 Methodologie........................................................................................129 10.3 Forschungsansatz vergleichender Fallstudienforschung.......................131
10.3.1 Art der Forschungsfrage ..................................................................133 10.3.2 Ausmaß an Kontrolle über das Untersuchungsobjekt......................134 10.3.3 Fokussierung auf zeitnahe Ereignisse..............................................134
10.4 Gütekriterien empirischer Forschung ...................................................135 10.4.1 Konstruktvalidität............................................................................136 10.4.2 Interne Validität...............................................................................137 10.4.3 Generalisierbarkeit ..........................................................................137 10.4.4 Reliabilität .......................................................................................138
11 Forschungsdesign ...........................................................................................138 11.1 Initiierung .............................................................................................140 11.2 Auswahl der Fallstudien .......................................................................141 11.3 Entwurf der Forschungswerkzeuge.......................................................145 11.4 Datenerhebung im Feld.........................................................................146 11.5 Datenanalyse.........................................................................................148 11.6 Hypothesengenerierung ........................................................................154 11.7 Abgleich mit der Literatur ....................................................................154 11.8 Abschluss der Forschung......................................................................155
Inhaltsverzeichnis V
12 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation .................................................157 12.1 Die Branche – der Markt für private Kraftfahrzeugversicherungen .....158
12.1.1 Auswirkungen der Deregulierung ...................................................158 12.1.2 Wettbewerbsintensität und neue Branchenstruktur .........................161 12.1.3 Wertverschiebungen auf dem deutschen Automobilmarkt..............164
12.2 Das Unternehmen – der strategische Kontext der ASSEKURANZ......169 12.2.1 Vom nationalen Versicherungskonzern …......................................170 12.2.2 … zum integrierten Finanzdienstleister...........................................173 12.2.3 Die neue Realität im Versicherungsgeschäft...................................174 12.2.4 Die Suche nach Wachstum und neuen Geschäftsmodellen .............177
13 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz..................................................183 13.1 Projektorganisation...............................................................................185 13.2 Strategiefindung und Geschäftsidee .....................................................185 13.3 Konkretisierung des Geschäftsmodells.................................................189 13.4 Entscheidung ........................................................................................193 13.5 Realisierung..........................................................................................195 13.6 Erfolgsbeurteilung................................................................................196
14 Fallstudie 2: Direktversicherung...................................................................199 14.1 Projektorganisation...............................................................................199 14.2 Strategiefindung und Geschäftsidee .....................................................200 14.3 Entscheidung ........................................................................................203 14.4 Konkretisierung des Geschäftsmodells.................................................205 14.5 Realisierung..........................................................................................209 14.6 Erfolgsbeurteilung................................................................................213
15 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft.............................216 15.1 Projektorganisation...............................................................................217 15.2 Strategiefindung und Geschäftsidee .....................................................221 15.3 Konkretisierung des Geschäftsmodells.................................................227 15.4 Entscheidung ........................................................................................231 15.5 Realisierung..........................................................................................232 15.6 Erfolgsbeurteilung................................................................................235
TEIL IV: ERKE��T�ISSE ZUR GESCHÄFTSMODELLI��OVATIO�..........237
16 Wege zur Geschäftsmodellinnovation ..........................................................237
17 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation .......................................................239 17.1 Auf der Ebene der Branche ..................................................................239
VI Inhaltsverzeichnis
17.2 Auf der Ebene des Gesamtunternehmens .............................................239 17.3 Auf der Ebene von Geschäftsfeldern ....................................................241
18 Phasen des Innovationsprozesses ..................................................................243 18.1 Initiierung .............................................................................................245 18.2 Definition des Geschäfts.......................................................................247 18.3 Konfiguration des Aktivitätensystems..................................................256 18.4 Innovation als fortlaufender Managementprozess ................................259 18.5 Nutzen- und Effizienzmaximierung......................................................264
19 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse......................................................270 19.1 Aneignung von Fähigkeiten..................................................................270 19.2 Projektorganisation...............................................................................274 19.3 Analyse des Unternehmensumfelds......................................................278 19.4 Herstellen von Konsistenz ....................................................................283 19.5 Führungsverhalten des Managementteams ...........................................287
TEIL V: SCHLUSSBETRACHTU�G U�D AUSBLICK ........................................294
20 Implikationen für die Praxis..........................................................................295
21 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung......................................................298
A�HA�G.......................................................................................................................302
22 Fragenkatalog .................................................................................................302
23 Interviewpartner ............................................................................................305
LITERATURVERZEICH�IS .....................................................................................307
Abbildungsverzeichnis VII
ABBILDU�GSVERZEICH�IS
Abbildung 1: EBIT- und Umsatzwachstum Europas 500 größter Unternehmen ................3 Abbildung 2: Produkt-Markt-Matrix klassischer Wachstumsstrategien ...........................10 Abbildung 3: Relevanz der Geschäftsmodellinnovation...................................................10 Abbildung 4: Erweiterung des Structure-Conduct-Performance-Paradigmas...................25 Abbildung 5: Fünf-Kräfte-Modell nach Porter .................................................................26 Abbildung 6: Modell des ressourcenorientierten Ansatzes ...............................................31 Abbildung 7: Determinanten der Unterschiede im Erfolg von Unternehmen ...................37 Abbildung 8: Wandel der relevanten Analyseeinheiten....................................................42 Abbildung 9: Gegenüberstellung unterschiedlicher Koordinationsformen .......................57 Abbildung 10: Anzahl der Nennungen des Begriffs „Geschäftsmodell“ ..........................64 Abbildung 11: Ebenen der Modellbildung........................................................................82 Abbildung 12: Geschäftsmodell als Modell entgeltlicher Austauschbeziehungen............90 Abbildung 13: Symbolische Darstellung des Umfangs eines Geschäftsmodells ..............95 Abbildung 14: Ebenen eines Geschäftsmodells ................................................................98 Abbildung 15: Das Geschäftsmodell als Mediator zwischen Märkten .............................99 Abbildung 16: Determinanten für den Erfolgs einzelner Geschäftsfelder ......................104 Abbildung 17: Wertkette und Wertsystem nach Porter...................................................105 Abbildung 18: Determinanten des Unternehmenserfolgs ...............................................107 Abbildung 19: Erfolgsfaktoren des Geschäftsmodells ....................................................108 Abbildung 20: RCOV Framework nach Demil und Lecocq (2010)................................109 Abbildung 21: Die größten Hürden auf dem Weg zur Innovation ..................................112 Abbildung 22: Ansatzpunkte für eine Geschäftsmodellinnovation.................................115 Abbildung 23: Dimensionen strategischen Wandels.......................................................121 Abbildung 24: Bezugsrahmen für die empirische Untersuchung....................................123 Abbildung 25: Die Struktur wissenschaftlicher Erkenntnis (gesetzgebende Ansicht) ....127 Abbildung 26: Zusammenspiel von Forschungsfrage, Daten und Methode ...................133 Abbildung 27: Prozess der Theoriebildung mit Fallstudien............................................139 Abbildung 28: Interaktives Modell der Datenanalyse.....................................................149 Abbildung 29: Abstraktionsebenen der Datenanalyse ....................................................152 Abbildung 30: Codierungsverfahren im Rahmen der Grounded-Theory-Analyse..........156 Abbildung 31: Konsolidierungsphasen deregulierter Finanzdienstleistungsmärkte........160 Abbildung 32: Technisches Ergebnis auf dem deutschen Kraftversicherungsmarkt ......162 Abbildung 33: Veränderung des Wettbewerbsumfelds in den nächsten fünf Jahren ......163 Abbildung 34: Gewinnpotenzial im europäischen Automobilsektor im Jahr 2000.........165 Abbildung 35: Vertriebskanalmix auf dem deutschen Kfz-Versicherungsmarkt............166 Abbildung 36: Das Kaufverhalten auf dem europäischen Kfz-Versicherungsmarkt ......167 Abbildung 37: Kontaktkanäle zum Abschluss einer privaten Kfz-Versicherung............168
VIII Abbildungsverzeichnis
Abbildung 38: Struktur des Versicherungsmarkts für private Pkws im Jahr 2005..........169 Abbildung 39: Geschäfts-, Regional- und Vertriebsmix .................................................170 Abbildung 40: Durchschnittliche Vertragslaufzeit im Jahr 2001 ....................................173 Abbildung 41: Marktanteil im Kfz-Geschäft im Zeitraum 1960 bis 2005 ......................176 Abbildung 42: Kundensegmentierung des deutschen Kfz-Versicherungsmarkts............181 Abbildung 43: Kontaktkanäle von Fahrzeuginteressenten ..............................................190 Abbildung 44: Beschreibung des Geschäftsmodells Gebrauchtwagen-Marktplatz.........193 Abbildung 45: Erfolgsbeurteilung des Gebrauchtwagen-Marktplatzes...........................198 Abbildung 46: Beschreibung des Geschäftsmodells Direktversicherung........................209 Abbildung 47: Direktversicherer nach Anzahl der versicherten Kraftfahrzeuge.............215 Abbildung 48: Erfolgsbeurteilung der Direktversicherung .............................................216 Abbildung 49: Geschäftsmodell der Kooperation mit Automobilherstellern..................220 Abbildung 50: Marktanteilsprognose für den Neuwagenhandel in Deutschland ............222 Abbildung 51: Marktanteilsprognose für Reparatur und Service in Deutschland ...........222 Abbildung 52: Geschäftsmodell der direkten Kooperation mit Autohändlern ................230 Abbildung 53: Erfolgsbeurteilung der Kooperation mit der Automobilwirtschaft..........236 Abbildung 54: Prozessmodell zur Strukturierung einer Geschäftsmodellinnovation......244 Abbildung 55: Produkt-Markt-Strategien .......................................................................247 Abbildung 56: Bezugsrahmen zur Abgrenzung von Geschäftsdefinitionen....................250 Abbildung 57: Gestaltungsebenen des Geschäfts............................................................255 Abbildung 58: Wertkette der Kooperation mit der Automobilwirtschaft........................259 Abbildung 59: Das Geschäftsmodell als Optimierungsrahmen.......................................265 Abbildung 60: Wertkurve von Billigfluglinien ...............................................................268 Abbildung 61: Das Unternehmen-Umwelt-Verhältnis....................................................281
Tabellenverzeichnis IX
TABELLE�VERZEICH�IS
Tabelle 1: Charakteristika des Ansatzes der Industrieökonomie.......................................27 Tabelle 2: Charakteristika des Ansatzes der ressourcenorientierten Perspektive..............32 Tabelle 3: Charakteristika des Ansatzes der neuen Institutionenökonomie ......................35 Tabelle 4: Charakteristika der prozessorientierten Perspektive ........................................47 Tabelle 5: Charakteristika des Ansatzes dynamischer Fähigkeiten...................................56 Tabelle 6: Charakteristika der netzwerkorientierten Perspektive......................................59 Tabelle 7: Ausgewählte Geschäftsmodelldefinitionen......................................................67 Tabelle 8: Ausgewählte konstituierende Elemente eines Geschäftsmodells .....................69 Tabelle 9: Ausgewählte Geschäftsmodellliteratur ............................................................72 Tabelle 10: Ausgewählte Definitionen zum Aspekt der Gewinnerzielung .....................106 Tabelle 11: Grundannahmen des Neopositivismus und Postpositivismus ......................129 Tabelle 12: Neue Aufbauorganisation des Bereichs .......................................................233 Tabelle 13: Abgrenzung von Geschäftsmodell und Produkt-Markt-Strategie ................253 Tabelle 14: Aneignen von Fähigkeiten ...........................................................................273 Tabelle 15: Projektorganisation ......................................................................................276 Tabelle 16: Analyse des Unternehmensumfelds .............................................................282 Tabelle 17: Herstellen von Konsistenz ...........................................................................286 Tabelle 18: Führungsverhalten .......................................................................................292
X Abkürzungsverzeichnis
ABKÜRZU�GSVERZEICH�IS
Aufl. Auflage
Bd. Band
CAGR Compound Annual Growth Rate
CCM Causal-Chain Model
CbV Capability-based View
CEO Chief Executive Officer
d. h. das heißt
EBIT Earnings before Interest and Tax
et al. und andere
etc. et cetera
f. und folgende Seite
ff. und fortfolgende Seiten
Hrsg. Herausgeber
INSEAD Institut Européen d’Administration des Affaires
IO Industrieökonomie
i. S. im Sinne
IT Informationstechnologie
IVW Institut für Versicherungswirtschaft
KbV Knowledge-based View
MbV Market-based View
Nr. Nummer
o. V. ohne Verfasserangabe
RbV Resource-based View
resp. respektive
ROA Return on Assets
ROE Return on Equity
S. Seite
SBU Strategic Business Unit
SCP Structure Conduct Performance Paradigma
SGF strategisches Geschäftsfeld
TCE Transaktionskostenökonomie
vgl. vergleiche
Vol. Volume
z. B. zum Beispiel
Einleitung 1
TEIL I: EI�FÜHRU�G I� DIE THEMATIK
1 Einleitung
Wachstum wird im westlichen Wirtschaftssystem als zentrale Voraussetzung für
langfristigen Unternehmenserfolg angesehen. Kaum ein Unternehmen kann es sich
längerfristig leisten, auf Wachstum zu verzichten, denn die kontinuierliche Steigerung des
Unternehmenswerts verlangt nach nachhaltigen Zuwächsen in puncto Umsatz und Ertrag.1
Das alleinige Streben nach Gewinnmaximierung stellt keine dauerhafte, sondern allenfalls
eine kurzfristige Strategie zur Wertsteigerung von Unternehmen dar. Obwohl Effizienz
weiterhin ein bestimmendes Thema bleibt, rückt Wachstum immer mehr in den
Mittelpunkt des Managements.2 Um langfristig erfolgreich zu sein, muss auch die
Wachstumsperspektive stimmen, denn neben dem operativen Gewinn bestimmt
vornehmlich die zukünftige Wachstumsrate, wie lange und nachhaltig ein Unternehmen in
der Lage sein wird, für seine relevanten Anspruchsgruppen Wert zu schaffen.3 Da auf
Dauer nur Wachstum fortwährende Wertsteigerung garantiert, bedingt die wertorientierte
Unternehmensführung dementsprechend im Umkehrschluss immer auch eine
wachstumsorientierte Unternehmensführung.4
Stagniert ein Unternehmen und bringt es den Wachstumsmotor nicht mehr in Gang, so
läuft es Gefahr, Kunden, wichtige Mitarbeiter, den Zugang zu den Märkten für Fremd-
und Eigenkapital sowie insgesamt an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Wie empirische
Studien5 belegen, sehen sich Unternehmen, die nicht mehr wachsen, früher oder später
gezwungen, ihre wirtschaftliche Tätigkeit ob des mangelnden Erfolgs einzustellen.6
1 Zwar kann, selbst bei völligem Verzicht auf Umsatzwachstum, das Wachstum der Ergebnisgröße Gewinn
und damit der Unternehmenswert noch eine Zeit lang durch die Reduktion der Unternehmenskosten
dargestellt werden. Die Senkung der Unternehmenskosten stellt aber keine nachhaltige, sondern
allenfalls eine kurzfristige Strategie zur Erhöhung des Unternehmenswertes dar, da die Kostenbasis
bei wiederholter Optimierung immer kleiner wird und nicht beliebig bis gegen Null gesenkt werden
kann. 2 Laut einer Umfrage des Magazins WirtschaftsWoche bei den 30 DAX-Unternehmen und den 300 größten
deutschen Unternehmen sahen 65 Prozent der deutschen Top-Manager für 2005 wieder mehr
Spielraum für profitables Wachstum. Viele Unternehmen haben 2004 mit einem Strategiewechsel,
von Restrukturierungs- auf Wachstumskurs, begonnen. 3 vgl. Rappaport, A. (1981) 4 vgl. Coenenberg, A. und Salfeld, R. (2003), S. 102ff. 5 vgl. Smit, S., et al. (2005) 6 vgl. Lechner, C. (2006a), S. 24.
2 Problemstellung
Gelingt es dem Unternehmen hingegen, zu wachsen, hat es die Chance, durch
Skaleneffekte in Bezug auf Geschäftsvolumen und -umfang an Wettbewerbsfähigkeit und
somit Kunden zu gewinnen, motivierte und leistungsfähige Mitarbeiter anzuziehen und
aufgrund konstanter oder gar stetig steigender Cashflows zu vorteilhaften Konditionen
Kapital zu erhalten, wodurch insgesamt der Bestand des Unternehmens langfristig
abgesichert wird.
Wachstum birgt aber auch Gefahren in sich. Es bringt Unternehmen dazu, Risiken
einzugehen, die sie an den Rand des Untergangs oder überhaupt aus dem Markt führen.7
Mit zunehmender Geschwindigkeit und Entfernung vom angestammten Geschäft wie
durch die Expansion in unbekannte Regionen, Märkte und Geschäftsfelder steigen die
Unsicherheit und das Risiko, durch unkontrolliertes Wachstum das Unternehmen als
Ganzes aufs Spiel zu setzen.
Daher kommt es besonders auf die Qualität des Wachstums an. Nicht unreflektiertes
Volumenwachstum, sondern nachhaltig profitables Wachstum8 wird angestrebt, um
beiderseits Gewinn und Umsatz konstant und fortwährend zu erhöhen, denn nur ein
gleichmäßiges, ausgewogenes und profitables Wachstum führt zu langfristigen, weil
nachhaltigen Wertsteigerungen, wie aktuelle empirische Untersuchungen9 belegen.
Einseitiges Wachstum in einer der Dimensionen Gewinn und Umsatz zeigt in puncto
Wertgenerierung weitaus weniger Wirkung. Wachstum schafft daher nicht per se Wert,
sondern nur dann, wenn es sich um nachhaltig profitables Wachstum handelt.10
2 Problemstellung
Doch bei Weitem nicht alle Unternehmen können die Vision eines nachhaltig profitablen
Wachstums erfolgreich umsetzen. Von den 500 größten Unternehmen Europas konnten
im Zeitraum von 1997 bis 2001 nur 36 Prozent profitables Wachstum erzielen.11 Dagegen
sind 30 Prozent unprofitabel gewachsen, da ihre Umsätze zwar gestiegen sind, der
operative Gewinn, gemessen am EBIT der Unternehmen, jedoch gefallen ist. Die
7 Die Beispiele Enron, Worldcom, Tyco, Conseco oder Swissair zeigen, wie falsche oder gescheiterte
Wachstumsstrategien schnell das ursprüngliche Kerngeschäft in Gefahr bringen oder zum Untergang
des gesamten Unternehmens führen. 8 vgl. Seurat, R. (1999), S. 53. 9 vgl. Raisch, S., et al. (2007) 10 vgl. Gomez, P., et al. (2007), S. 20. 11 vgl. Mercer (2004)
Problemstellung 3
restlichen 34 Prozent sind überhaupt nicht gewachsen.12
Doch warum schaffen es manche Unternehmen, profitabel zu wachsen, während der
Großteil dieses Ziel verfehlt? Wie lassen sich die Erfolgsunterschiede zwischen
Unternehmen ein und derselben Branche erklären? Warum sind einzelne Firmen über
einen längeren Zeitraum hinweg in der Lage, überdurchschnittliche Ergebnisse in Bezug
auf Wachstum und Gewinn des Unternehmens zu erzielen, während andere
unterdurchschnittlich abschneiden oder mit der Zeit überhaupt dazu gezwungen sind, ihre
wirtschaftliche Tätigkeit aufgrund mangelnden Erfolgs einzustellen?
Abbildung 1: EBIT- und Umsatzwachstum Europas 500 größter Unternehmen13
Um die zentrale Fragestellung nach den ausschlaggebenden Faktoren unternehmerischen
Erfolgs zu klären, wurden im Forschungsfeld des strategischen Managements im Lauf der
letzten Jahrzehnte verschiedene Erklärungsansätze entwickelt. Je nach theoretischer
Sichtweise und zugrunde liegender spezifischer Annahmen werden in der Literatur
unterschiedliche Faktoren angeboten, die nach der jeweiligen Logik als bedeutsam
erscheinen.14
Um nur einige der wichtigsten Sichtweisen15 überblicksartig zu beleuchten, wird abhängig
12 vgl. Abbildung 1 13 vgl. Mercer (2004), S. 2. 14 vgl. Lechner, C. und Müller-Stewens, G. (2003), S. 144. 15 Die hier nur kurz angezeigten alternativen Theorien zur Erklärung der Unterschiede im Erfolg von
Unternehmen wie der Ansatz der Industrieökonomie, der Institutionenökonomie, der Ressourcen-
4 Problemstellung
von der jeweiligen Perspektive überdurchschnittlicher Unternehmenserfolg in der
Industrieökonomie auf eine geschützte Marktposition16, im ressourcenorientierten
Ansatz17 auf die Ausstattung mit einzigartigen Ressourcen18, im fähigkeitsorientierten
Ansatz auf die Anwendung besonderer Fähigkeiten19 und in der neuen
Institutionenökonomie auf die Minimierung von Transaktionskosten20 zurückgeführt.21
Jeder dieser theoretischen Perspektiven liegt die Idee zugrunde, dass nachhaltig
profitables Wachstum das Produkt relativer Wettbewerbsvorteile ist.22 Um
überdurchschnittlich erfolgreich zu sein, muss ein Unternehmen gegenüber seinen
Mitbewerbern einen Wettbewerbsvorteil aufbauen und verteidigen.
orieniertenen Theorie sowie prozessorientierte Ansätze Strategischen Managements, etc. werden in
Kapitel X eingehend vorgestellt. 16 vgl. Bain, J. S. (1968), Porter, M. E. (1981) 17 vgl. Penrose, E. (1959), Wernerfeld, B. (1984), Barney, J. B. (1991), Grant, R. M. (1991), Peteraf, M. A.
(1993), Barney, J. B. (1996) 18 Eine Ressource wird als einzigartig oder auch idiosynkrat, bezeichnet, wenn sie über besondere,
spezifische Merkmale oder Eigenschaften verfügt, die sie selten, schwer nachahmbar und
substituierbar machen, gleichzeitig die Grundlage für einen Vorteil im Wettbewerb mit anderen
Unternehmen bietet. 19 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), Eisenhardt, K. M. und Martin, J. (2000), Zollo, M. und Winter, S. G.
(2002) 20 vgl. Coase, R. H. (1937), Williamson, O. E. (1975), Williamson, O. E. (1986), Williamson, O. E. und
Masten, S. (1995) 21 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005) die darauf hinweisen, dass sich “in den letzten Jahren
wieder verstärkt ökonomische Ansätze in den Vordergrund geschoben haben, und dies aus mehreren
Gründen. Einer der wichtigsten liegt sicher darin, dass der Analysefokus ökonomischer Ansätze
nicht mehr nur auf die Branchen- sondern auch auf die Unternehmensebene gerichtet ist und dort ihr
Instrumentarium an Modellen und Methoden wirkungsvoll einsetzen kann. Charakteristisch für diese
mikroökonomischen Ansätze ist ihr Versuch, auf Grundlage relativ einfacher Modelle und
Annahmen (wie der des eigennützigen, opportunistischen Handelns der Akteure) Erklärungen
abzugeben, die dann als Gestaltungsempfehlungen für ein wirkungsvolles Management nutzbar sind.
Ein weiterer Vorteil ist ihre breite empirische Fundierung, die eine intersubjektive Überprüfbarkeit
erlaubt sowie – im Sinne eines positivistischen Wissenschaftsverständnisses – die kumulative
Anhäufung der Erkenntnisse.“ 22 Viele empirische Untersuchungen stellen bei der Betrachtung des wirtschaftlichen Erfolgs von
Unternehmen lediglich auf den Gewinn, als Meß- und Erfolgsgröße bzw. abhängige Variable zur
Messung des Grads an Erfolg, ab. Wie bereits gezeigt wurde, kann ein Unternehmen nur dann
beständig bzw. nachhaltig Gewinne und Wertsteigerung erzielen, wenn es auch profitabel wächst.
Erst in den letzten Jahren gewinnt neben der statischen Betrachtung der Unternehmensgewinne die
dynamische Dimension Wachstum als Meßgröße an Bedeutung. Denn Wachstum ist genauso wie
Gewinn auf Anbieter- und Kundenvorteile zurückzuführen, wobei es als komparativer
Wettbewerbsvorteil in Faktormärkten gegenüber Lieferanten und der Kundenvorteil als relativer
Nutzen- und Kostenvorteil in Absatzmärkten gegenüber anderen Mitbewerbern zu verstehen ist. vgl.
dazu Porter, M. E. (1985)
Problemstellung 5
“When two or more firms compete within the same market, one firm possesses a
competitive advantage over its rivals when it earns (or has the potential to earn)
a persistently higher rate of profit.”23
Folglich ist es notwendig, nach den Ursachen, Bedingungen und Strategien zu forschen,
die zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen führen, um zu verstehen, warum einzelne
Unternehmen überdurchschnittlich erfolgreich sind. Diese Suche bildet seit jeher den
Mittelpunkt des Forschungs- und Erkenntnisinteresses der Strategie- und
Managementforschung.
“Competitive advantage grows fundamentally from the value a firm is able to
create ... Value is what buyers are willing to pay, and superior value stems from
offering lower prices than competitors for equivalent benefits or providing
unique benefits that more than offset higher prices.”24
In der Literatur bezeichnet ein Wettbewerbsvorteil den Vorsprung, den ein Marktakteur
im ökonomischen Wettbewerb gegenüber seinen Mitbewerbern besitzt. Durch die Brille
traditioneller Ansätze betrachtet sind es entweder generische Wettbewerbsstrategien, die
einem Anbieter auf dem Markt Kosten-Nutzen-Vorteile verschaffen, oder die
unternehmensspezifischen Kompetenzen und Attribute eines Unternehmens, die es der
Organisation erlauben, in puncto Umsatz und Ertrag überdurchschnittliche Ergebnisse zu
erzielen.
Doch wie werden diese generischen Wettbewerbsstrategien operativ wirksam? Oder
warum schaffen es kleine, dynamisch agierende Unternehmen, sich gegen viel größere
Mitbewerber durchzusetzen, die über weitaus mehr Ressourcen und Marktmacht
verfügen? Sind sie ein klares Indiz dafür, dass nicht allein die Ausstattung mit Ressourcen
bzw. ein historisch hoher Marktanteil über den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg
entscheiden? Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Branche ist schon lange kein
Erfolgsgarant mehr, denn in jeder Branche gibt es einzelne Unternehmen, die
erfolgreicher sind als andere.
Ein exemplarisches Beispiel liefert die europäische Luftfahrtindustrie. Obwohl die
Branche jährlich im Schnitt um 5 % wächst, ist die Rentabilität der Unternehmen
durchwegs gering und ein Gutteil der Unternehmen steckt Jahr für Jahr operativ in den
23 vgl. Grant, R. M. (2002), S. 227. 24 vgl. Porter, M. E. (1985), S. 3.
6 Problemstellung
roten Zahlen.25 Doch es gibt auch hier Ausnahmen von der Regel. Im Gegensatz zu den
meisten anderen europäischen Mitbewerbern konnte die irische Fluglinie Ryanair trotz
des harten Wettbewerbs in der Luftfahrtbranche und belastender Faktoren wie stark
gestiegener Kosten für Treibstoff Umsatz und Profit in den schwierigen Jahren 2001 bis
2006 kontinuierlich steigern.
Ryanair, 1985 als kleine irische Regionalfluglinie gegründet, ist mit aktuell über 42
Millionen transportierten Passagieren die führende Low-Fare-Airline Europas.26 Durch
aggressive Preisgestaltung, eine schlanke Kostenstruktur und Einnahmen aus
komplementären Dienstleistungen wie der Vermittlung von Hotels und Leihautos kann
das Unternehmen ein dichtes Kurzstreckennetz und direkte Verbindungen zwischen
europäischen Großstädten zu außerordentlich günstigen Preisen anbieten.
Das Unternehmen setzt dabei auf seine klare Positionierung als Billiganbieter in
Verbindung mit einer möglichst kosteneffizienten Organisation. Ryanair verzichtet auf
teures Bordservice, serviert Bordverpflegung und Getränke nur gegen Bezahlung, meidet
die teuren internationalen Großflughäfen und operiert stattdessen lieber von kleinen
Nebenflugplätzen aus, um die Kosten niedrig und die Tickets billig zu halten.
Ryanair ist es gelungen, ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu finden, dass es erlaubt, die
strategische Positionierung als Low-Fare-Airline operativ in das Erwirtschaften von
Gewinn umzusetzen und gleichzeitig nachhaltig zu wachsen. Das Geschäftsmodell
definiert dabei, welche Produkte und Dienstleistungen welchen Kunden angeboten
werden, und wie das Unternehmen seine Ressourcen gezielt in Aktivitäten und ein auf
dem Markt nachgefragtes Leistungsangebot umsetzt, das nicht nur Kundennutzen schafft,
sondern darüber hinaus dem Unternehmen erlaubt, Gewinne zu erzielen.
Ein weiteres oft zitiertes Beispiel eines erfolgreichen und profitabel wachsenden
Unternehmens ist Dell, ein Hersteller von Computerhardware. Obwohl die Firma in einer
überaus dynamischen Branche agiert, ist Dell, 1984 von Michael Dell gegründet, heute
auf dem Markt für Personal Computer mit 31 % Marktanteil in den USA Marktführer und
mit 17 % Marktanteil27 knapp hinter Hewlett-Packard die Nummer zwei weltweit.
Ebenso wie bei Ryanair beruht der Erfolg der Firma auf einem einfachen Konzept: Dell
hat sich als Direktanbieter von leistungsfähigen PC-Systemen für den privaten
Massenmarkt positioniert und verkauft über das Telefon und Internet direkt an 25 vgl. AEA (2007) 26 Stand 03/2007, Angaben laut Geschäftsbericht 2007 der Ryanair Plc. (2007). 27 Historische Marktanteile für PC-Systeme, vgl. IDC Worldwide Quarterly PC Tracker (2006)
Problemstellung 7
Endkunden. Der Konsument kann sein PC-System nach seinen individuellen Bedürfnissen
zusammenstellen und bekommt es direkt nach Haus geliefert. Durch den direkten Verkauf
von PC-Systemen an Endkunden hat Dell alle notwendigen Informationen, um den
eigenen Lagerbestand besser als seine Mitbewerber zu managen. Komponenten werden
erst nach Eingang einer Bestellung bezogen – genau dann, wenn sie in der Assemblierung
benötigt werden.
Dieses Konzept erlaubt es Dell, aufgrund geringer Lagerhaltungskosten und durch
Umgehung des Einzelhandels dem Kunden sein maßgeschneidertes PC-System schnell,
effizient und zu konkurrenzfähigen Preisen anzubieten. Bei der Entwicklung seines
leistungsfähigen Geschäftsmodells identifizierte Dell zuerst die wertschöpfenden
Aktivitäten und Geschäftsprozesse, an denen sich Dell aktiv beteiligen wollte. Für alle
übrigen Aktivitäten und Prozesse, die Dell nicht selbst durchführen wollte, wurden
Partner gesucht.
Die Fallbeispiele Ryanair und Dell seien stellvertretend für viele weitere Unternehmen
wie Toyota, IKEA, Apple etc. genannt, die gezeigt haben, dass sich insbesondere durch
die Verbindung von strategischer Innovation und agilem Unternehmertum neue
Geschäftsideen in Form innovativer Geschäftsmodelle realisieren lassen, welche die
Chance auf nachhaltig profitables Wachstum eröffnen.
Die vorgestellten Fallbeispiele sind gleichzeitig Ausdruck einer veränderten
Wirtschaftsordnung. in der neue Gesetze und Spielregeln des Wettbewerbs herrschen.
Innovationskompetenz wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil; d. h., die
Gestaltung und Realisierung innovativer Geschäftsmodelle treten an die Stelle der
traditionellen Produktentwicklung28, denn infolge der rasanten und unvorhersehbaren
Veränderung im Geschäftsumfeld definiert sich Unternehmenserfolg heute immer
weniger über Produkte, Marktanteile oder unternehmensinterne
Wertschöpfungsprozesse.29 Die nachhaltige Veränderung des Geschäftsumfelds hat die
Struktur vieler traditioneller Branchen dauerhaft verändert und neue Regeln des
Wettbewerbs definiert.30
Als neue Werttreiber gelten heute die Einbindung des Unternehmens in Netzwerke, die
Gestaltung der Transaktionsbeziehungen innerhalb und außerhalb traditioneller
Unternehmensgrenzen, die Fähigkeit der Internalisierung von Ressourcen, das Erlernen
neuer Fähigkeiten und die Nutzung von Netzwerkexternalitäten zur Gestaltung 28 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 79. 29 vgl. Bieger, T. und Belz, C. (2004), S. 386. 30 vgl. Voelpel, S. C., et al. (2004)
8 Problemstellung
innovativer Leistungsangebote. Eigentliche Kundenanforderungen sowie die Kooperation
von unterschiedlichen Anbietern entlang der Wertschöpfungskette rücken in den
Vordergrund.31 Beispiele in Branchen wie der Luftfahrtindustrie, der Telekommunikation
oder Computerindustrie zeigen, wie grundlegend sich die traditionellen Spielregeln in der
Wirtschaft verändern. Aber auch in der Finanz- und Versicherungswirtschaft sind neben
der Steigerung der Effizienz und Produktivität mehr als je zuvor neue Ideen und
innovative Geschäftsmodelle gefragt.32
Es genügt nicht mehr, die Branche oder das Unternehmen zu analysieren, um zu
verstehen, wie Wert geschaffen wird. Stattdessen rücken die Art und Weise, wie das reale
Geschäft erbracht und organisiert wird, in den Mittelpunkt des Interesses. Das Thema der
Konfiguration bzw. Architektur der Wertschöpfung tritt in den Vordergrund. Für diese
neue Analyseeinheit hat sich in Theorie und Praxis der Begriff „Geschäftsmodell“
eingebürgert.33
Unternehmer sind immer mehr damit beschäftigt, direkt auf Veränderungen des Umfelds
zu reagieren, um neue unternehmerische Chancen wahrzunehmen und neue
Geschäftsmöglichkeiten zu entdecken sowie an die zur Umsetzung dieser Gelegenheiten
benötigten Ressourcen und Fähigkeiten zu gelangen.34 Das Tempo der Veränderungen
legt nahe, dass Organisationen ihre Geschäftsmodelle laufend überprüfen, anpassen oder
transformieren müssen, um in ihrem Geschäftsumfeld bestehen zu können.
Auf immer dynamischeren Märkten werden austauschbare generische Strategien wie die
Auswahl attraktiver Produkt-Markt-Kombinationen zunehmend obsolet, gehen sie doch
von relativ stabilen, abgrenzbaren Wettbewerbsstrukturen aus.35
Dazu ist in den Unternehmen auch ein Umdenken erforderlich. Traditionelle Ansätze des
strategischen Managements stoßen in dieser neuen Welt an ihre Grenzen. Unternehmen
sind gefordert, mechanisches Denken und die dominante Logik ihrer Industrie zu
überwinden36 und sich systemisch auf die Suche nach neuen, ganzheitlich
wertschaffenden Ansätzen oder Konfigurationen zu begeben. Anstatt der schrittweisen
Anpassung oder beständigen Optimierung ist manchmal einer schöpferischen Zerstörung
und diskontinuierlichen Erneuerung der Vorzug zu geben, denn im heutigen, sich rasant
31 vgl. Lehmann, A. P. (2000), S. 22. 32 vgl. Ackermann, W. und Lang, D. (2004) 33 vgl. Bieger, T. und Belz, C. (2004), S. 387. 34 vgl. Lechner, C. und Müller-Stewens, G. (2003), S. 118. 35 vgl. Maas, P. (2000) 36 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1995)
Problemstellung 9
verändernden Marktumfeld können nachhaltige Wettbewerbsvorteile oft nur durch die
Innovation des eigenen Geschäftsmodells erlangt werden.37
In Übereinstimmung mit Schumpeter versteht sich Innovation dabei als der Motor eines
permanenten wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses, der von „kreativer Zerstörung“
geprägt ist.38 Im Verlauf dieses Prozesses können bestehende Unternehmen, ja ganze
Branchen, untergehen; d. h., es werden bestehende Strukturen immer wieder zerstört und
durch neue ersetzt. Die Hauptaufgabe des Unternehmers sieht Schumpeter darin, die
Produktionsstruktur ständig zu reformieren und zu revolutionieren. Dank Innovationen
und unternehmerischer Kreativität entstehen immer wieder neue und wachsende
Unternehmen sowie manchmal auch ganz neue Wachstumsbranchen, denn jede sterbende
Branche war irgendwann einmal selbst eine Wachstumsbranche.
Schon für Schumpeter gab es bei der Durchführung von Innovationen mehrere
Ansatzpunkte. Auf das heutige Wirtschaftsumfeld umgelegt reichen diese von der
Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen über die Einführung neuer
Produktionsmethoden, die Erschließung neuer Märkte und Ressourcen bis hin zur
Gestaltung innovativer Geschäftsmodelle, um so auch auf reifen, hart umkämpften
Märkten die Voraussetzungen für nachhaltig profitables Wachstum zu schaffen. Als
Innovation ist damit jede Neuerung und Veränderung zu bezeichnen, die durch agiles
unternehmerisches Denken und Handeln das Unternehmen bzw. das bisherige
Geschäftsmodell weiterentwickelt und ihm möglichst nachhaltige Wettbewerbsvorteile
gegenüber anderen Markt- und Wertschöpfungsteilnehmern verschafft.
Neben den klassischen Wachstumsstrategien39 wie der stärkeren Durchdringung
bestehender Märkte, der Einführung neuer Produkte, der Expansion in neue Märkte oder
der Diversifikation in gänzlich neue Geschäftsfelder stellt daher auch die
Geschäftsmodellinnovation eine eigenständige strategische Option und eine neue
Strategie zu nachhaltig profitablem Wachstum dar. Diese Sichtweise beruht auf der
impliziten Annahme, dass durch koordiniertes und zielorientiertes strategisches Handeln
entscheidender Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen genommen
werden kann.40
37 vgl. Voelpel, S. C., et al. (2004), Voelpel, S. C., et al. (2005) 38 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 39 vgl. Ansoff, I. (1957) 40 vgl. Rumelt, R. P., et al. (1991)
10 Problemstellung
Diversifikations-
Strategie
Markt-
Entwicklungs-
Strategie
Produkt-
Entwicklungs-
Strategie
Markt-
Durchdringungs-
Strategie
Diversifikations-
Strategie
Markt-
Entwicklungs-
Strategie
Produkt-
Entwicklungs-
Strategie
Markt-
Durchdringungs-
Strategie
bestehende Produkte neue
bestehende
Märkte
neue
Abbildung 2: Produkt-Markt-Matrix klassischer Wachstumsstrategien41
Dass die Geschäftsmodellinnovation einen wesentlichen Beitrag zu mehr Wachstum
leisten kann, deckt sich mit den Ergebnissen der im Jahr 2004 von Fontin & Company mit
216 Führungskräften mittlerer und großer deutscher Unternehmen durchgeführten
Umfrage zum Thema Geschäftsmodellmanagement. Die Studie kommt zu dem Ergebnis,
dass sich laut 68 Prozent der Befragten der Anstoß zur Beschäftigung mit dem eigenen
Geschäftsmodell im Zusammenhang mit Wachstumsprogrammen ergab.
Which of the following will be the greater source of competitive advantagebetween now and 2010?(% repondents)
New products andservices 46
New business models(i.e. how your business is run) 54
Abbildung 3: Relevanz der Geschäftsmodellinnovation42
Da organisches Wachstum auf reifen Märkten nur bedingt möglich ist, gewinnt die
Geschäftsmodellinnovation neben den Produkt-, Prozess- und Serviceinnovationen als
41 vgl. Ansoff, I. (1957), S. 114. 42 vgl. EIU (2005), S. 22.
Problemstellung 11
bislang kaum wahrgenommenes Gestaltungs- und Optimierungsfeld immer mehr an
Bedeutung.43 Wenngleich Initiativen zur Entwicklung neuer Produkte und
Dienstleistungen bzw. zur Optimierung der internen Prozesslandschaft heute noch
dominieren, wird der Differenzierung durch die grundlegende Erneuerung der
Geschäftsmodelle ein immer größerer Stellenwert beigemessen.44 So hat sich die Priorität
bereits zugunsten von Geschäftsmodellinnovationen verschoben, denn 54 Prozent der im
Zeitraum zwischen November 2004 und Januar 2005 von der Economist Intelligence Unit
(EIU) weltweit befragten Führungskräfte45 glauben, eher durch
Geschäftsmodellinnovation als durch neue Produkte oder Dienstleistungen nachhaltige
Wettbewerbsvorteile erzielen zu können.46
Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen von IBMs Global CEO Survey
200647, in der 65 Prozent der befragten CEOs und Führungskräfte überzeugt sind, in den
kommenden Jahren wesentliche Veränderungen an ihrem Geschäftsmodell vornehmen zu
müssen. Gerade erfolgreiche Unternehmen messen dem Thema bereits heute einen
höheren Stellenwert bei und nutzen es als neuen Weg, sich von der Konkurrenz
abzuheben. Unternehmen, die sich eigenen Angaben zufolge bereits aktiver mit der
eigenen Geschäftslogik befassen, sehen dies nicht nur als Chance, sondern sogar als
zwingende Notwendigkeit an, um im Wettbewerb zu bestehen. So befürchten laut der
IBM-Studie 40 Prozent dieser Unternehmen, dass Veränderungen im Geschäftsmodell
eines Wettbewerbers die Wettbewerbsdynamik der gesamten Branche umstürzen könnten.
Ein CEO beschrieb dies in düsteren Worten:
„Da 70 Prozent unseres Geschäfts auf einer Dienstleistung basieren, die es in
dieser Form bald nicht mehr geben wird, müssen wir unser Unternehmen
entsprechend anpassen, um zu überleben.“48
Diese Ergebnisse bestätigen frühere Arbeiten aus dem Bereich des strategischen
Managements, die bereits seit Längerem auf die kontinuierliche Veränderung des
Wettbewerbsumfelds49 und die zunehmend diskontinuierliche Natur des Wandels50
43 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2005), S. 10. 44 vgl. IBM (2006), S. 5.. 45 N=4018 Interviews mit Führungskräften aus mehr als 20 verschiedenen Branchen und 23 Ländern. 46 vgl. EIU (2005), S. 9, Kagermann, H. und Österle, H. (2006) 47 N=765 Interviews mit Führungskräften aus 20 verschiedenen Branchen und 11 Regionen. 48 vgl. IBM (2006), S. 12. 49 vgl. Bettis, R. A. und Hitt, M. A. (1995), Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1998), Hitt, M. A., et al.
(2001) 50 vgl. Hamel, G. (1996), Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000), Christensen, C. M. (2001),
Christensen, C. M., et al. (2002)
12 Problemstellung
hinweisen. Um in diesem zunehmend dynamischeren Wettbewerbsumfeld, ‟a business
reality that is in flight”51, zu überleben, sind innovative Geschäftsmodelle und agiles
Unternehmertum gefragt. Als Antwort auf sich verändernde Marktverhältnisse sind alle
Marktteilnehmer gefordert, ihre Geschäftsstrategien und strategische Ausrichtung zu
überprüfen und auch ihre Geschäftsmodelle entsprechend anzupassen.
Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass sich bisher nur sehr wenige
Unternehmen aktiv mit dem eigenen Geschäftsmodell beschäftigen. Müller-Stewens und
Fontin (2003) zufolge hat „jedes Unternehmen [...] ein Geschäftsmodell, aber gerade in
der ,Old Economy‘ wird das nur selten explizit wahrgenommen und aktiv bearbeitet.“52
Dies stellt auch das Forschungsfeld des strategischen Managements, welches die
systematische Auseinandersetzung mit den Grundlagen für den langfristigen Erfolg von
Unternehmen zum Gegenstand hat53, vor neue Herausforderungen.54
Die eingangs zitierten Studien zeigen die Relevanz und Chance der Beschäftigung mit
dem eigenen Geschäftsmodell. Gleichzeitig mahnen sie aber auch dazu, die
Geschäftsmodellinnovation im Unternehmen als einen kontinuierlich fortlaufenden
Prozess zu implementieren.55 Die damit verbundenen Chancen zu nutzen, stellt eine der
wesentlichsten Herausforderungen für das strategische Management in den nächsten
Jahren dar, denn der langfristige Erfolg von Unternehmen hängt in zunehmendem Maß
davon ab, neue, innovative Geschäftsmodelle zu finden, die in einem Umfeld
zunehmenden Wettbewerbs und sich verändernder Kundenbedürfnisse nachhaltig
profitables Wachstum und somit das Überleben des Unternehmens sicherstellen.
Die weiteren Überlegungen bauen daher auf der Annahme auf, dass unternehmerischer
Erfolg heute nicht mehr allein durch eine geschützte Marktposition oder eine besondere
Ressourcenausstattung zu erklären ist, sondern vielmehr davon abhängt, ob die
Organisation die Kompetenz zur Geschäftsmodellinnovation besitzt und in der Lage ist,
innovative Geschäftsmodelle zu realisieren.
Somit wird mit der Diskussion und Erforschung der organisationalen Kompetenz zur
erfolgreichen Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation eine überaus aktuelle und
praxisnahe Fragestellung aufgegriffen, die sowohl aus Sicht der Wissenschaft wie auch
51 vgl. Chakravarthy, B., et al. (2003a), S. 233. 52 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003), S. 4. 53 vgl. Rüegg-Stürm, J. (2000), S. 10. 54 vgl. Prahalad, C. K. und Haaker, T. (1994), Prahalad, C. K. (1999), Hitt, M. A. und Ireland, R. D. (2000) 55 vgl. Mitchell, D. W. und Coles, C. B. (2004)
Problemstellung 13
der Praxis von gleichermaßen großem Interesse ist.
Von den wenigen Arbeiten, die sich bisher mit der Innovation von Geschäftsmodellen
befasst haben, widmete sich die Mehrzahl technologisch induzierter Veränderungen von
Geschäftsmodellen. Wenn sie es tun, dann beleuchten sie das Thema auf einer abstrakten
Ebene, ohne empirisch überprüfbare Hypothesen anzubieten. Die Beiträge sind
vorwiegend im Zusammenhang mit der Entwicklung internetbasierter E-Business-
Modelle in der Ära der New Economy bis 200156 zu sehen. Erst in den letzten Jahren ist
ein Bedeutungswandel wahrnehmbar und es verschieben sich Forschungsinteresse und -
schwerpunkt zunehmend aus dem Bereich des Informations- und E-Business-
Managements in das Feld strategischer Managementforschung, wobei das
Geschäftsmodell nunmehr vorwiegend als Gestaltungsrahmen für strategische
Innovationen genutzt wird.
Jedoch mangelt es hier bisher an “further insights [...] into the dynamics of business
model emergence and evolution” 57.
Bis auf die Aufforderung, sich aktiver mit dem eigenen Geschäftsmodell zu befassen,
wird der Praxis vonseiten der Wissenschaft bisher nicht viel an Handwerkszeug für die
zweifellos facettenreiche und schwierige Arbeit am Geschäftsmodell in die Hand
gegeben.
“9umerous articles and books have been published referring to the importance
of creating new business models; only few, however, provide tools on how to
actually reinvent business models.”58
Obwohl die Notwendigkeit der fortlaufenden Überprüfung und Adaption des bestehenden
Geschäftsmodells und der Entwicklung neuer, innovativer Geschäftsmodelle in Literatur
und Praxis gut dokumentiert ist, stellt der Mangel an Definitionen, Anleitungen und
Empfehlungen hinsichtlich erfolgreicher Vorgehensweisen und Methodologien zur
Gestaltung und Realisierung innovativer Geschäftsmodelle ein weitgehend unbearbeitetes
Forschungsfeld dar. Die vorliegende Arbeit versucht, diese Forschungslücke zu schließen.
“When innovative business models are considered, research to date is yet to
satisfy the need for methods that can structure a firm’s change endeavour either
56 vgl. Tapscott, D., et al. (1998), Linder, J. und Cantrell, S. (2000), Petrovic, O., et al. (2001) 57 vgl. Morris, M., et al. (2005), S. 734. 58 vgl. Voelpel, S. C., et al. (2005)
14 Forschungsfrage
towards adopting a new business model or extending a current one to include
new dimensions.”59
Was fehlt, sind praxisnahe Erkenntnisse zur erfolgreichen Modellierung und Realisierung
innovativer Geschäftsmodelle; d. h. ein Ansatz, der erklärt, wie eine erfolgreiche
Vorgehensweise zur Modellierung neuer Geschäftsideen und deren Realisierung in Form
innovativer Geschäftsmodelle zu gestalten ist bzw. welche erfolgsrelevanten Aspekte und
Faktoren zu beachten sind.
“We need a conceptual toolkit that enables entrepreneurial managers to design
their future business model, as well as to help managers analyze and improve
their current designs to make them fit for the future.”60
3 Forschungsfrage
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht daher die Forschungsfrage, wie Großunternehmen im
Rahmen der Wachstumsstrategie auf Ebene von Geschäftseinheiten durch die
organisationale Kompetenz der Geschäftsmodellinnovation einen positiven Beitrag zur
Realisierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und somit zu einem profitablen Wachstum
leisten können.
Die Betrachtung setzt auf der Ebene einer einzelnen Geschäftseinheit eines großen,
diversifizierten Unternehmens an, um zu ergründen, welche Prozesse und organisationale
Routinen hier wirksam werden und welche moderierenden Einflussfaktoren zu beachten
sind, um die erfolgreiche Realisierung innovativer Geschäftsmodelle zu erleichtern und
somit einen Beitrag zur Schaffung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und in weiterer
Folge zu überdurchschnittlichem Wachstum und Unternehmenserfolg zu leisten. Damit
greift die Arbeit eine im Bereich der strategischen Erfolgsforschung lange diskutierte
Fragestellung erneut auf und führt das Geschäftsmodell als neue Analyseeinheit
strategischen Erfolgs ein.
Das Forschungsinteresse richtet sich dabei auf die organisationale Kompetenz der
Geschäftsmodellinnovation. Genauer gesagt stehen die Prozesse und organisationalen
Routinen zur erfolgreichen Gestaltung und Realisierung innovativer Geschäftsmodelle im
Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Es wird versucht, erfolgreiche Vorgehensweisen
und Methodologien (Best Practices) für die Gestaltung und Realisierung von
59 vgl. Pateli, A. G. und Giaglis, G. M. (2004), S. 310. 60 vgl. Zott, C. und Amit, R. (2010)
Zielsetzung 15
Geschäftsmodellinnovationen zu identifizieren.
Konkret wird im weiteren Gang der Arbeit folgenden Detailfragen nachgegangen und der
Versuch unternommen, darauf Antworten zu finden:
� Wie werden in großen, diversifizierten Unternehmen auf der Ebene von
Geschäftsbereichen innovative Geschäftsmodelle modelliert und realisiert?
� Welche Prozesse und organisationalen Routinen bilden die Grundlage der
organisationalen Kompetenz zu erfolgreichen Realisierung von
Geschäftsmodellinnovationen?
� Welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus für die Praxis, d. h. für die
Gestaltung und Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen, ableiten?
4 Zielsetzung
Aufbauend auf den bisherigen Überlegungen soll mit der Diskussion von
Geschäftsmodellen eine aktuelle und praxisnahe Fragestellung aufgegriffen werden, die
aus Sicht der Wissenschaft wie auch der Praxis von gleichermaßen großem Interesse
erscheint. Insbesondere soll das Phänomen in der Praxis erforscht und so ein Beitrag zur
Theoriebildung in diesem Bereich geleistet werden. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll
die skizzierte Forschungslücke, welche das Forschungsfeld hinsichtlich der theoretischen
und praktischen Fragestellungen in Bezug auf die organisationale Kompetenz der
Modellierung und Realisierung von innovativen Geschäftsmodellen, d. h. den Prozess der
Geschäftsmodellinnovation, aufweist, dadurch geschlossen werden. Schlussendlich soll
dadurch versucht werden, die Grundlagen für eine praxisnahe Theorie der
Geschäftsmodellinnovation zu erarbeiten.
Dazu ist es einerseits notwendig, das identifizierte Phänomen systematisch hinsichtlich
seiner begrifflichen und theoretischen Grundlagen zu durchleuchten bzw. gegenüber
ähnlichen Konzepten abzugrenzen, um so zu einem klaren Begriffsverständnis
beizutragen. Andererseits soll vor allem der Frage nach den erfolgsrelevanten
organisationalen Routinen und Prozessen der Geschäftsmodellinnovation nachgegangen
werden.
Dazu wird auch der breitere organisationale Kontext der Geschäftsmodellinnovation
untersucht werden. Dies schließt die Betrachtung des sozialen Interaktionsverhaltens der
handelnden Akteure genauso wie die Mechanismen der Entscheidungsfindung und der
Aktivierung unternehmerischen Denkens und Handelns mit ein. Die Suche konzentriert
sich auf die Identifikation relevanter Einflussfaktoren im Prozess der Realisierung neuer
16 Zielsetzung
Geschäftsideen, mit dem Ziel, möglichst nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erlangen.
Das Phänomen wird sowohl aus dem Blickwinkel strategischer Managementforschung
theoretisch beleuchtet als auch im realen Anwendungszusammenhang eines großen,
diversifizierten Unternehmens empirisch erforscht.
Die empirische Untersuchung beleuchtet mehrere Fälle von
Geschäftsmodellinnovationen, die im Geschäftsbereich der privaten
Kraftfahrzeugversicherung eines großen, breit diversifizierten
Versicherungsunternehmens in Deutschland in den Jahren 2002 bis 2007 realisiert
wurden. Dadurch sollen neue Erkenntnisse hinsichtlich der Gestaltungs- und
Entscheidungsoptionen im Prozess der Geschäftsmodellinnovation gewonnen und zu
einem besseren Verständnis der zur erfolgreichen Formulierung und Realisierung
innovativer Geschäftsideen in großen, diversifizierten Unternehmen benötigten
Fähigkeiten und organisationalen Routinen beitragen.
Die im Rahmen der explorativen Untersuchung in zahlreichen Interviews mit Praktikern
gewonnenen Erkenntnisse und die eingehende Analyse dieser empirischen Daten im
Prozess der explorativen Fallstudienforschung bilden die Grundlage zur Generierung von
Hypothesen und zur empirisch abgesicherten Theoriebildung61, um den Grundstein für
eine Praxistheorie des Managements von Geschäftsmodellinnovationen zu legen.
Auf Grundlage der daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen der Praxis unter Einbeziehung
relevanter Theorien konkrete Handlungsempfehlungen angeboten werden, die den Prozess
der Formulierung und der Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen unterstützen.
Für die Praxis sollen diese Erkenntnisse einerseits Orientierung und andererseits eine
konkrete Hilfestellung bieten, wenn sich Manager bereits im Vorfeld von Wachstums-
und Geschäftsmodellinitiativen Wissen und Know-how hinsichtlich einer erfolgreichen
Beschäftigung mit dem eigenen Geschäftsmodell aneignen wollen, denn unabhängig
davon, ob sich Innovation im Weg kleiner Entwicklungsschritte oder durch die radikale
Neukonzeption bestehender Geschäftsmodelle vollzieht, ist es wichtig, ein solches
Vorhaben entsprechend zu strukturieren und die richtigen Hebel zu betätigen.
61 Zur Methodologie einer Bereichs- und Daten-bezogenen Theoriebildung nach dem von Glaser, B. und
Strauss, A. L. (1967) und Strauss, A. L. und Corbin, J. (1990) beschriebenen Grounded-Theory-
Ansatz vgl. Kapitel 10.2.
Aufbau der Arbeit 17
5 Aufbau der Arbeit
Um die ausgeführte Zielsetzung und Forschungsfrage dieser Arbeit zu unterstützen,
unterteilt sich diese in vier Teile, die wie folgt aufgebaut sind.
Während Teil I ganz im Zeichen des langsamen Herantastens an das Thema stand, soll
nun ein Überblick über den weiteren Verlauf der Arbeit gegeben werden. Ausgehend von
der eingangs skizzierten Notwendigkeit der laufenden Überprüfung der strategischen
Erfolgspotenziale von Unternehmen und der damit verbundenen wachsenden Bedeutung
des Arbeitsgebiets Geschäftsmodell, d. h. der Neuausrichtung bestehender und
Entwicklung neuer, innovativer Geschäftskonzepte, wurden die damit verbundenen
Chancen, aber auch Herausforderungen aufgezeigt bzw. Problemfelder herausgearbeitet.
Dem sich daraus ergebenden Forschungsbedarf hinsichtlich Fragen der
Geschäftsmodellinnovation, d. h. der organisationalen Kompetenz zur Gestaltung und
Realisierung innovativer Geschäftsmodelle, ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Im
Zentrum des Erkenntnisinteresses steht dabei die Frage, welche Prozesse und Routinen
Unternehmen auf Ebene einzelner Geschäftsbereiche benötigen, um
Geschäftsmodellinnovationen erfolgreich zu realisieren.
Darauf aufbauend beschäftigt sich Teil II mit den theoretischen Vorüberlegungen der
Arbeit. Einerseits wird in Kapitel 6.1 ein Einblick in die bisherigen Erkenntnisse und
Erklärungsmodelle der strategischen Erfolgsforschung gegeben, die seit Anfang an den
Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses im Forschungsfeld des strategischen Managements
bildeten. In Kapitel 6.2 werden diese traditionellen Perspektiven vor dem Hintergrund
eines neuen, veränderten wirtschaftlichen Umfelds und dynamisierter
Wettbewerbsbedingungen kritisch beleuchtet. Aufbauend auf diese Kritik wendet sich
Kapitel 6.3 neuen Erklärungsansätzen bzw. zukunftweisenden Perspektiven und
Analyseeinheiten im Feld der strategischen Managementforschung zu.
Abschnitt 7 steht daher ganz im Zeichen der Beschäftigung mit dem Geschäftsmodell, das
als neue, holistische Analyseeinheit bzw. vereinfachte Darstellung unternehmerischen
Handelns, des arbeitsteiligen Prozesses der Wertschöpfung und des Mechanismus der
Wertgenierung von Unternehmen verstanden wird. Da die Begriffe „Geschäftsmodell“,
„Strategie“ und „Innovation“ in der Literatur bisher nur sehr unscharf formuliert bzw. der
Zusammenhang zwischen den beiden Konzepten wenig beleuchtet wurde, widmet sich
der nachfolgende Abschnitt 8 der Frage, was unter diesen Begriffen konkret zu verstehen
ist. Ausgehend von der bestehenden Literatur wird versucht, die Konturen der
Geschäftsmodellinnovation enger abzustecken und den Bezug zu den bestehenden
18 Aufbau der Arbeit
Perspektiven und Konzepten im Feld des strategischen Managements herzustellen, um so
schrittweise die Bausteine eines Bezugsrahmens für Geschäftsmodellinnovationen zu
erarbeiten.
Neben der Definition der relevanten Begriffe wird in diesem Teil die bestehende Literatur
systematisch aufgearbeitet und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die vorliegende Arbeit
analysiert, um so den Erkenntnisbereich der Geschäftsmodellinnovation zu erschließen.
Im letzten Abschnitt 9 wird schließlich der vorläufige Bezugsrahmen für das
Forschungsvorhaben skizziert und die wesentlichen Kategorien, Beziehungen und
möglichen Wirkungszusammenhänge zwischen den einzelnen Dimensionen, an denen
sich die empirische Untersuchung orientiert, offengelegt.
Basierend auf den theoretischen Vorüberlegungen der vorherigen beiden Abschnitte ist
Teil III der empirischen Untersuchung der eingangs skizzierten Fragestellung gewidmet.
Nach der einleitenden Klärung der wissenschaftstheoretischen Perspektive der Arbeit in
Kapitel 10.1, wird in Kapitel 10.2 die gewählte Methodologie der Grounded Theory und
in Kapitel 10.3 das Forschungskonzept der vergleichenden Fallstudienforschung
vorgestellt, welche den methodischen Rahmen für die empirische Untersuchung bilden.
Kapitel 10.4 dient der kritischen Reflexion der gewählten Forschungsmethode und
erläutert die getroffenen Maßnahmen zur Qualitätssicherung. In Abschnitt 11 werden das
konkrete Forschungsdesign sowie der chronologische Ablauf der empirischen Arbeit
nachvollziehbar gemacht, es wird die Auswahl bestimmter Fallstudien aus der
Grundgesamtheit begründet und der Gang der Datenerhebung und -analyse dokumentiert.
Der verbleibende Teil dieses Kapitels ist der materiellen empirischen Erforschung und der
Darstellung ausgewählter Fallstudien gewidmet. Die empirische Untersuchung gilt drei
strategischen Innovationsprojekten des Geschäftsbereichs der privaten
Kraftfahrzeugversicherung in einem großen deutschen Versicherungskonzern. Zuerst wird
jedoch die spezifische Situation des Unternehmens, d. h. der externe wie interne
Unternehmenskontext, beleuchtet. In Kapitel 12.1 wird zunächst das Forschungsfeld
näher beleuchtet. So wird das spezifische Branchenumfeld dargelegt, um einen Bezug
zum äußeren Kontext der Ereignisse herzustellen. Um ein möglichst vollständiges Bild
der Untersuchungsumgebung zu geben, werden wesentliche historische
Entwicklungspfade und aktuelle Trends in der deutschen Kraftfahrzeugversicherung
nachgezeichnet.
Daran anschließend wird das Unternehmen vorgestellt, um den inneren organisationalen
Kontext der Untersuchung zu vermitteln. Kapitel 12.2 ist der Vorstellung des spezifischen
Aufbau der Arbeit 19
Unternehmenskontexts der ASSEKURANZ gewidmet, um den Rahmen der einzelnen
Fallstudien zu vermitteln, denn erst durch die Kenntnisse der Hintergründe ist es möglich,
die nachfolgenden Ereignisse und Handlungen einzuordnen und zu verstehen.
Den Hauptteil dieses Teils der Arbeit bilden jedoch die Abschnitte 13 – 15, d. h. die
eingehende Beschreibung und Analyse der drei Fallstudien: Gebrauchtwagenmarkt,
Direktversicherung, Herstellerkooperation. Dabei werden die in der betrieblichen Realität
gewonnenen Erfahrungen bei der Gestaltung und Realisierung von
Geschäftsmodellinnovationen illustrativ dargestellt. Der Aufbau der Fallstudien folgt
dabei einer gleichbleibenden Grundstruktur. Fall für Fall wird die Genese einer neuen
Geschäftsidee bzw. Strategie und deren Realisierung in Form eines neuen
Geschäftsmodells Schritt für Schritt nachgezeichnet.
In Teil IV der Arbeit werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung nochmals
zusammengefasst und im Hinblick auf das Erkenntnisziel dieser Arbeit beleuchtet. Auf
Basis der empirischen Daten aus den einzelnen Fallstudien wird der Versuch
unternommen, hinsichtlich der eingangs formulierten Fragestellung Antworten zu geben.
Durch die übergreifende Analyse der einzelnen Fallstudien und die Interpretation der
Daten werden Hypothesen hinsichtlich der organisationalen Kompetenz der
Geschäftsmodellinnovation bzw. der erfolgreichen Bewältigung des Innovationsprozesses
generiert. Abschnitt 17 diskutiert die verschiedenen Ebenen, auf denen
Geschäftsmodellinnovation stattfinden kann, und arbeitet die besonderen Charakteristika
von Geschäftskonzepten auf Ebene des Gesamtunternehmens, von Geschäftsfeldern und
einzelnen Geschäftseinheiten aus. In Abschnitt 18 wird der Prozess der
Geschäftsmodellinnovation untersucht und die Vorgehensweise von der Genese einer
Geschäftsidee bis zu deren Realisierung in Form eines neuen Geschäftsmodells näher
beleuchtet.
Abschnitt 19 erläutert, welche organisationalen Kompetenzen diesen Prozess unterstützen.
Indem die einzelnen Fälle zuerst paarweise und dann übergreifend verglichen wurden,
konnten für die einzelnen Phasen des Innovationsprozesses erfolgreiche Praktiken und
Routinen identifiziert werden, die einen positiven Beitrag zum Gelingen des gesamten
Vorhabens leisten. Dies dient einerseits dazu, um Gemeinsamkeiten zwischen den
spezifischen Einzelfällen zu identifizieren, andererseits aber auch dazu, um Erkenntnisse,
welche aus erfolgreichen Veränderungsprojekten gezogen werden, mit den Ergebnissen
weniger erfolgreicher Projekte zu vergleichen. Die im Zuge dieser vergleichenden
Beurteilung der einzelnen Fallstudien gewonnenen Thesen hinsichtlich der relevanten
Praktiken und Erfolgsfaktoren im Prozess der Realisierung von
Geschäftsmodellinnovationen werden in den Kapiteln 19.1 bis 19.5 zusammengefasst und
20 Aufbau der Arbeit
jeweils im Licht der vorhandenen Literatur bzw. des bisherigen, anerkannten Stands der
Forschung beleuchtet.
Die Schlussbetrachtung in Teil V der Arbeit widmet sich dem zusammenfassenden
Rückblick und der Beurteilung der schlussendlichen Forschungsergebnisse. Die Arbeit
schließt mit einem Ausblick auf Möglichkeiten der weiterführenden, zukünftigen
Forschung im Bereich der organisationalen Kompetenz der Geschäftsmodellinnovation
ab.
Grundlagen strategischer Managementforschung 21
TEIL II: THEORETISCHE VORÜBERLEGU�GE�
Die in der Einleitung getroffene Annahme, dass die Entwicklung innovativer
Geschäftsmodelle eine zunehmend bedeutsame organisationale Kompetenz zur
Realisierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile ist und eine bisher nur wenig bekannte
Strategie zur Umsetzung der Vision eines nachhaltig profitablen Wachstums darstellt,
bedarf einer weiteren Konkretisierung. Dazu sind einige theoretische Vorüberlegungen
notwendig, um die getroffenen Annahmen konzeptionell zu untermauern und den
Bezugsrahmen der angenommenen organisationalen Kompetenz der
Geschäftsmodellinnovation herzustellen und die Bausteine des angestrebten theoretischen
Erklärungsansatzes zu definieren.
Einerseits gilt es, zu belegen, warum es vor dem Hintergrund eines zunehmenden
wirtschaftlichen Wandels eines dynamischen Ansatzes zur Erklärung nachhaltiger
Wettbewerbsvorteile bedarf, weshalb die bestehenden, traditionellen Perspektiven der
strategischen Erfolgsforschung und die daraus abgeleiteten generischen Strategien
aufgrund eines veränderten und immer dynamischeren Wettbewerbsumfelds nicht mehr
ausreichend geeignet sind, um die Grundlagen wirtschaftlichen Erfolgs zu erklären.
Zweitens muss dargelegt werden, was unter dem Begriff „Geschäftsmodell“ zu verstehen
ist. Mit dem Geschäftsmodell wird eine neue alternative Analyseeinheit vorgeschlagen,
die eine ganzheitliche Betrachtung der übergreifenden wertschöpfenden Tätigkeit von
Unternehmen und deren Positionierung auf dem Markt erlaubt. Ausgehend von den
traditionellen theoretischen Ansätzen im Feld des strategischen Managements und der
Modelltheorie wird die Brücke zur Definition und Begründung des
Geschäftsmodellkonstrukts geschlagen bzw. wird der Frage nachgegangen, welche
Aspekte eines Geschäfts als relevant erachtet werden und im Geschäftsmodell
Berücksichtigung finden.
Drittens ist zu klären, was unter einer Geschäftsmodellinnovation zu verstehen ist. Es gilt,
die zentrale Annahme dieser Arbeit, es handle sich dabei um die dynamische
organisationale Kompetenz zur Realisierung strategischer Innovationen, zu begründen,
bevor darauf aufbauend ein Modell der Geschäftsmodellinnovation entwickelt wird und
die organisationalen Prozesse und Routinen, die als Bausteine dieser Fähigkeit anzusehen
sind, empirisch erforscht werden.
6 Grundlagen strategischer Managementforschung
Wie bereits in der Einleitung ausgeführt wurde, hat die Disziplin des strategischen
22 Grundlagen strategischer Managementforschung
Managements die systematische Auseinandersetzung mit den Grundlagen des
langfristigen wirtschaftlichen Erfolgs von Unternehmen zum Gegenstand.62 Im
Teilbereich der strategischen Erfolgsforschung steht die Suche nach den maßgeblichen
Einflussfaktoren langfristigen Unternehmenserfolgs im Mittelpunkt.
Zur Erklärung des unterschiedlichen wirtschaftlichen Abschneidens von Unternehmen
werden in der Literatur verschiedene theoretische Erklärungsansätze angeboten.63
Traditionell wird der Erfolg von Unternehmen auf branchen- und firmenspezifische
Merkmale zurückgeführt.64 Je nachdem welche impliziten Annahmen der jeweiligen
Sichtweise zugrunde liegen, werden die Ursachen für Erfolg und Misserfolg
unterschiedlich beschrieben und grundlegend auf verschiedene Art und Weise begründet.
Um die dieser Untersuchung zugrunde liegende Perspektive und die damit verbundene
theoretische Positionierung klar von anderen Sichtweisen abzugrenzen und insbesondere
die Gemeinsamkeiten wie auch die Gegensätze der unterschiedlichen Sichtweisen
darzulegen, ist der nächste Abschnitt der kurzen Besprechung des aktuellen Stands der
strategischen Erfolgsforschung gewidmet. Dabei werden die impliziten Annahmen
normativer und deskriptiver Theorien der Wettbewerbsfähigkeit erforscht, die
wettbewerbsrelevanten Umstände aufgezeigt und es wird ergründet, wie relative
Wettbewerbsvorteile zustande kommen.
Obwohl in den letzten Jahren die Theoriebildung hinsichtlich der Grundlage von
Wettbewerbsvorteilen in unterschiedliche Richtungen vorangetrieben wurde, stellen die
Ergebnisse oftmals lediglich wenig strukturierte Modelle und eine paradigmatische
Grundposition dar. Um einen Überblick über die wesentlichen Entwicklungsströme und
den aktuellen Stand zu geben, werden sich die Ausführungen auf die Darstellung und
Diskussion von drei traditionellen Sichtweisen konzentrieren und in weiterer Folge die
Entwicklung hin zu neuen, noch im Entstehen begriffenen Paradigmen der
Strategieforschung nachzeichnen.
Da die Darstellung aller möglichen Sichtweisen und verfügbaren Theorieansätze der
strategischen Erfolgsforschung den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem sprengen würde,
muss sich die Darstellung aus pragmatischen Gründen auf die für diese Forschungsarbeit
relevanten Perspektiven und wegweisenden Theorien beschränken. Daher werden nur die
im Hinblick auf den weiteren Gang der Arbeit und die Definition der Analyseeinheit
Geschäftsmodell notwendigen beziehungsweise für den Bezugsrahmen der 62 vgl. Rüegg-Stürm, J. (2000), S. 10. 63 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 144. 64 vgl. Hoskisson, R. E., et al. (1999), S. 418.
Grundlagen strategischer Managementforschung 23
Geschäftsmodellinnovation zweckdienlichen theoretischen Ansätze beleuchtet.
Besonderes Augenmerk gilt dabei den theoretischen Grundlagen der in dieser Arbeit
eingenommenen integrativen Sichtweise, um so zu einem besseren Verständnis der
theoretischen Konstrukte und untersuchten Zusammenhänge beizutragen.
Die theoretischen Vorüberlegungen beginnen mit der Darstellung ausgewählter
traditioneller Sichtweisen und ihrer Theorieansätze. Daran anschließend wird der Frage
nachgegangen, ob die dabei zugrunde gelegten Analyseeinheiten vor dem Hintergrund
sich wandelnder Branchen- und Unternehmensgrenzen und einer zunehmenden Dynamik
des wirtschaftlichen Umfelds heute noch zeitgemäß sind und nicht neue alternative
Ansätze und neue Analyseeinheiten wie das Geschäftsmodell nötig bzw. besser geeignet
wären, um vor dem Hintergrund des heutigen Wettbewerbsgeschehens die letztendlich
entscheidenden Faktoren für den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen zu
konzeptionalisieren und zu erklären.
6.1 Traditionelle Perspektiven der strategischen Erfolgsforschung
Mit den nun folgenden Ausführungen wird der Versuch unternommen, einen Überblick
über ausgewählte, teilweise rivalisierende Perspektiven in der strategischen
Erfolgsforschung zu geben.
Um diesem Zweck zu dienen, liegt das Hauptaugenmerk primär auf drei traditionellen
Literaturströmungen: der Industrieökonomie und dem darauf aufbauenden Market-based
View (MbV), dem Resource-based View (RbV) einschließlich der Erweiterungen um den
Capabilities-based View (CbV) und der Transaktionskostentheorie (TCE) als Teilbereich
der neuen Institutionenökonomie.
Der Aufbau des Kapitels orientiert sich an der zugrunde liegenden Analyseeinheit bzw.
Betrachtungsebene dieser unterschiedlichen paradigmatischen Grundpositionen. In Folge
werden nun die branchen-, ressourcen- und transaktionsorientierte Perspektive im Feld
des strategischen Managements eingehend beleuchtet.
Obwohl sich jeder dieser Ansätze im Kern mit der Frage beschäftigt, was den Unterschied
im Erfolg von Unternehmen ausmacht und wie Unternehmen nachhaltige
Wettbewerbsvorteile schaffen, so soll nun verdeutlicht werden, auf welch verschiedene
Art und Weise dies geschieht.
24 Grundlagen strategischer Managementforschung
6.1.1 Branchenorientierte Perspektive
Wie die Disziplin der Betriebswirtschaft im Allgemeinen wurde auch die Forschung im
Feld des strategischen Managements von Anfang an von früheren Entwicklungen und
Theorien aus dem Feld der Volkswirtschaft beeinflusst. So bauen die ersten Überlegungen
hinsichtlich des Erfolgs von Unternehmen auf den Erkenntnissen der Industrieökonomie
(IO)65, einem Teilgebiet der Nationalökonomie, auf.
Zentrales Element dieser Denkschule ist das von Bain (1956) entwickelte Marktstruktur-
Marktverhalten-Marktergebnis-Paradigma (SCP)66, nach dem die in einer Branche
herrschenden Umweltbedingungen (Struktur) und die strategischen Entscheidungen der
Marktteilnehmer (Verhalten) über die Effizienz der Allokationsentscheidungen und damit
den Erfolg (Performance) entscheiden. Durch die Brille der strategischen
Erfolgsforschung betrachtet wird der Unternehmenserfolg folglich durch die Struktur
einer Branche (Konzentrationsgrad, Kostenstruktur, Produktdifferenzierung,
Eintrittsbarrieren etc.) und das strategische Verhalten des Unternehmens (Preispolitik,
Angebotsdifferenzierung etc.) determiniert.
Die Industrieökonomie (IO) beruht dabei auf vier Grundannahmen:67
� Überdurchschnittlicher Erfolg ist das Ergebnis besserer Anpassung an die
Umweltbedingungen einer Branche oder eines Marktsegments.
� Alle Unternehmen in einer Branche verfügen über dieselbe
Ressourcenausstattung und verfolgen die gleichen Strategien.
� Die benötigten Ressourcen sind unendlich verfügbar.
� Die handelnden Akteure entscheiden rein rational und im Interesse des
Unternehmens.
Das SCP-Paradigma68 bildet die theoretische Grundlage für die Wettbewerbspolitik,
indem es eine kausale Verbindung zwischen der Marktstruktur, dem Verhalten von
Firmen und ihrem wirtschaftlichen Erfolg herstellt.
65 vgl. Bain, J. S. (1968) 66 Die Abkürzung SCP leitet sich von der, in der englischsprachigen Literatur geläufigen Bezeichnung,
Structure-Conduct-Performance-(SCP)-Paradigma ab, vgl. Mason, E. (1949), Bain, J. S. (1956) 67 vgl. Hitt, M. A., et al. (2009), S. 13. 68 vgl. Bain, J. S. (1956)
Grundlagen strategischer Managementforschung 25
Charakteristika und Struktur
eines Marktes
Structure Conduct
Verhalten der Marktteilnehmer
Performance
Renten durchqualitative und
quantitative Bedarfsdeckung
Bain (1956)
Porter (1980)Auswahl
attraktiver Branchen
Positionierung innerhalb der
Branche
Renten aus der richtigen
Positionierung
Abbildung 4: Erweiterung des Structure-Conduct-Performance-Paradigmas69
Eine Renaissance erlebten diese Überlegungen der Industrieökonomie (IO) durch die
Arbeiten von Porter in den 1980er-Jahren, der die Branchenstrukturanalyse70 zur
dominanten Sichtweise im Feld des strategischen Managements machte. Sein Ansatz, der
sich auf das SCP stützt, betont die Bedeutung der strategischen Handlungsoptionen eines
Unternehmens hinsichtlich der Erlangung und Sicherung einer zu verteidigenden Markt-
und Wettbewerbsposition.
“[T]he key aspect of the firm’s environment is the industry or industries in
which it competes.”71
Porter, der die Sichtweise der Industrieökonomie auf einzelne Unternehmen überträgt, gilt
als einer der bedeutendsten Vertreter eines branchenorientierten Theorieansatzes (Market-
based View, kurz MbV) im strategischen Management. Die zentrale Analyseeinheit bildet
dabei weiterhin die Branche.
Das Fünf-Kräfte-Modell nach Porter geht davon aus, dass Markteintrittsbarrieren
gegenüber neuen Anbietern, die Verhandlungsmacht der Lieferanten und Kunden, die
Substituierbarkeit des Leistungsangebots und die Wettbewerbsintensität zu den
Mitbewerbern über die Attraktivität einer Branche und deren inhärentes Ertragspotenzial
entscheiden.
69 vgl. Ibid, Porter, M. E. (1980a) 70 vgl. Porter, M. E. (1980a) 71 vgl. Porter, M. E. (1985)
26 Grundlagen strategischer Managementforschung
Abbildung 5: Fünf-Kräfte-Modell nach Porter72
So hilft das Fünf-Kräfte-Modell dabei, systematisch über die in einer Branche
herrschenden Wettbewerbskräfte nachzudenken und die Attraktivität wie auch die
kritischen Erfolgsfaktoren in der Auseinandersetzung mit Mitbewerbern zu bestimmen.
“The approach can be used to help the firm find a position in an industry from
which it can best defend itself against competitive forces or influence them in its
favor.”73
Letztlich wird der Erfolg von Unternehmen aber nicht allein durch Faktoren auf der
Ebene gesamter Branchen (Industry-Level Factors) wie den relativen Marktanteil, die
Eintrittsbarrieren in den Markt und die relative Kostenposition determiniert, sondern
darüber hinaus durch das Verhalten des Unternehmens bestimmt, denn die
Branchenstruktur beeinflusst die Spielregeln des Wettbewerbs und bedingt so die Wahl
der Wettbewerbsstrategie.
Drei generische Strategietypen stehen dabei zur Auswahl:
1. Differenzierung von anderen Anbietern
2. Erlangung der Kostenführerschaft
3. Fokussierung auf ein Nischensegment
72 vgl. Porter, M. E. (1980b), S. 31. 73 vgl. Porter, M. E. (1980a), S. 4.
Grundlagen strategischer Managementforschung 27
1985 erweiterte Porter sein Konzept um den Wertkettenansatz. Dieses Modell versteht er
als Werkzeug, um die Aktivitäten und Funktionen von Unternehmen sowie die zugrunde
liegenden Kostenfaktoren und Differenzierungsvorteile zu beschreiben und zu gestalten.
Die sorgfältige Gruppierung und Kontrolle der Aktivitäten ermöglichen es Unternehmen,
unter Ausnützung von Skaleneffekten oder der Entwicklung innovativer
Wertschöpfungsformen Kosten- und Differenzierungsvorteile zu schaffen, die die
Grundlage für Vorteile im Wettbewerb bilden.
Wie jede der unterschiedlichen Sichtweisen der strategischen Erfolgsforschung beruht
auch dieser Ansatz auf einer Reihe theoretischer Annahmen, die nachstehend tabellarisch
aufgelistet sind und so den Vergleich der verschiedenen Ansätze erleichtern sollen.
Industrieökonomie
Intellektuelle Wurzeln Bain, Maison
Einschlägige Autoren Porter (1980a)
Sichtweise der Firma Firma als Produktionsfunktion, die ihr Verhalten der
Branchenstruktur anpasst
Analyseeinheit Branchenstruktur
Ökonomische Rente Monopolrente
Grundlagen der
Wettbewerbsvorteile
Vorteilhafte Position in einer geschützten Branche
(Marktmacht)
Annahmen Rationalität der handelnden Akteure, Dominanz der
Branchenstruktur
Tabelle 1: Charakteristika des Ansatzes der Industrieökonomie74
Unternehmen sind dann erfolgreich und können Monopolrenten erzielen, wenn es ihnen
gelingt, das freie Spiel der Marktkräfte zu behindern und die Wettbewerbsbedingungen zu
ihren Gunsten zu beeinflussen.75
74 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 527, Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 364. 75 vgl. Teece, D. J. (1984)
28 Grundlagen strategischer Managementforschung
Vor dem Hintergrund der veränderten Wettbewerbsbedingungen infolge der
weitgehenden Deregulierung ganzer Branchen in den 1980er-Jahren, wie zum Beispiel in
der Energie-, Telekommunikation-, Luftfahrt- und Finanzbranche, müssen die
Grundannahmen der IO-Perspektive zunehmend unrealistisch erscheinen und kritisch
hinterfragt werden. Außerdem fällt es immer schwerer, festzulegen, in welcher Branche
ein Unternehmen überhaupt tätig ist, da die Grenzen der Branchen zunehmend
verschwimmen. Weiters erscheint die Annahme, dass die Unternehmen einer Branche
über eine homogene Ressourcenausstattung verfügen, als nicht mehr zeitgemäß.
6.1.2 Firmenorientierte Perspektive
Im Gegensatz zur branchenorientierten Perspektive der Industrieökonomie sind für die
firmenorientierten Ansätze nicht externe Faktoren wie die Struktur der Branche oder die
Positionierung innerhalb der Branche ausschlaggebend, sondern interne,
firmenspezifische Faktoren entscheidend.
Der ressourcenorientierte Ansatz76 (Resource-based View, kurz RbV) bricht somit mit der
Annahme, dass die Unternehmen einer Branche über eine homogene
Ressourcenausstattung verfügen. Folglich bildet der RbV auch die Basis für
weiterführende firmenorientierte Sichtweisen wie den fähigkeiten-77 und den
wissensorientierten Ansatz78.
Der ressourcenorientierte Ansatz baut auf den früheren Überlegungen zur Theorie der
Firma von Penrose79 auf. Anstelle der Branche rückt hier die Betrachtung der Ressourcen
und Kompetenzen eines Unternehmens in den Vordergrund.80 Wie von Barney (1991)
beschrieben beruht der ressourcenorientierte Ansatz auf drei Grundannahmen:81
1. Nicht alle Unternehmen in einer Branchen (oder strategischen Gruppe) verfügen
über dieselbe Ausstattung mit strategischen Ressourcen. Ressourcen sind
heterogen verteilt.
2. Strategische Ressourcen sind nicht perfekt mobil und beliebig zwischen
Unternehmen transferierbar. Daher kann die heterogene Ressourcenausstattung 76 vgl. Selznick, P. (1957), Penrose, E. (1959), Wernerfeld, B. (1984), Dierickx, I. und Cool, K. (1989),
Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1990), Barney, J. B. (1991), Peteraf, M. A. (1993) 77 vgl. Nelson, R. R. und Winter, S. G. (1982), Dierickx, I. und Cool, K. (1989), Amit, R. und Schoemaker,
P. (1993), Teece, D. J., et al. (1997) 78 vgl. Nonaka, I. (1992), Grant, R. M. (1996) 79 vgl. Penrose, E. (1959) 80 vgl. Wernerfeld, B. (1984), Dierickx, I. und Cool, K. (1989), Barney, J. B. (1991), Peteraf, M. A. (1993) 81 vgl. Wernerfeld, B. (1984), Barney, J. B. (1991)
Grundlagen strategischer Managementforschung 29
auf längere Zeit anhalten.
3. Daher entscheidet die Ausstattung mit idiosynkratischen, schwer nachahmbaren
Ressourcen darüber, ob Unternehmen überdurchschnittlich erfolgreich sind.
Während sich die traditionelle Betrachtung von Ressourcen auf Kategorien wie Arbeit,
Kapital und Land beschränkt, fasst der ressourcenorientierte Ansatz den
Ressourcenbegriff weiter. Hier kann alles, das als Ressource bezeichnet wird, als Stärke
oder Schwäche einer Firma angesehen werden.82 Formal definiert Wernerfeld
Ressourcen83 als die zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebene Ausstattung einer Firma
mit Strategic Assets84.
Eine Ressource ist nach Wernerfeld “anything that could be termed a strength or
weakness of a given firm … (intangible and tangible) assets which are tied semi-
permanently to the firm” 85 und versteht sie wie Penrose (1959) als “those tangible and
intangible assets which are tied semi-permanently to the firm at a given point in time”.86
Zur weiteren Spezifizierung werden Ressourcen in der Literatur als finanzielle, physische,
humane, organisationale, technologische, materielle und immaterielle Ressourcen
klassifiziert.87
Beispiele dafür sind Markennamen, Know-how oder Technologien, Fähigkeiten und
Wissen der Mitarbeiter, Lieferantenbeziehungen, Maschinen, effektive Abläufe, Kapitel
etc. Die Ressourcentheorie der strategischen Managementforschung beschäftigt sich daher
nicht nur mit Tangible Assets, sondern auch mit Intangible Assets, zu denen die
Fähigkeiten und Kompetenzen eines Unternehmens zählen.
Fähigkeiten beziehen sich nach Amit und Schoemaker auf “a firm’s capacity to deploy
resources, usually in combination, using organisational processes, to effect desired
end”.88
82 vgl. Caves, R. E. (1980) 83 In der Literatur wird anstatt von Ressourcen vereinzelt die gleichbedeutende Bezeichung „strategic
assets“ verwendet. Vgl. hierzu Amit, R. und Schoemaker, P. (1993), Teece, D. J., et al. (1997) Damit
werden diejenigen Ressourcen bezeichnet, die aufgrund von Wertbeitrag, Seltenheit und
unvollkommener Imitier- und Substituierbarkeit die Basis für nachhaltige Wettbewerbsvorteile
bilden. 84 vgl. Wernerfeld, B. (1984), S. 172. 85 vgl. Ibid. 86 vgl. Funder, J. (2002), S. 3. 87 vgl. Grant, R. M. (1991), Mahoney, J. T. (1995) 88 vgl. Amit, R. und Schoemaker, P. (1993), S. 35.
30 Grundlagen strategischer Managementforschung
Obwohl der RbV eine bedeutende Entwicklung im Feld des strategischen Managements
darstellt89, offenbart er doch Schwächen in Bezug auf die Entwicklung und Anwendung
von Fähigkeiten. Im Gegensatz zu Karim und Mitchell (2000), die Ressourcen und
Fähigkeiten gleichsetzen, hält Funder (2002) es für notwendig, die beiden Konstrukte klar
voneinander abzugrenzen: Die Fähigkeiten eines Unternehmens können eine Ressource
sein, aber eine Ressource ist niemals eine Fähigkeit.90
Diese Auffassung deckt sich mit Penrose (1959) Feststellung, wonach “[…] resources
consist of a bundle of potential services and can for the most part be defined
independently of their use, while services cannot be so defined, the very strong word
service implying a function, an action […]”.91
Doch unter welchen Umständen trägt eine Ressource zu einer möglichst dauerhaften
Verbesserung der Wettbewerbsposition bei und bildet den Ausgangspunkt zur Erlangung
eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils? In der Literatur finden sich unterschiedliche
Erklärungen und Beschreibungen, welche Attribute eine Ressource haben muss, um
nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren. Barney (1991) fasst in seiner Typologie
vier Indikatoren zusammen: “advantage-value, rareness, imperfect imitability, and
substitutability”.92
Eine Ressource bietet einen Vorteil (Advantage-Value), wenn sie die Kosten der
Erstellung eines Produkts senkt oder einen höheren Absatzpreis rechtfertigt. 93 Eine für die
Ressourcentheorie entscheidende Eigenschaft ist Rareness; d. h., die Ressource muss
selten und nicht in beliebigem Umfang immer und überall verfügbar sein. Um einen auf
einer Ressource beruhenden Wettbewerbsvorteil auch nachhaltig, d. h. möglichst
dauerhaft, zu behalten, ist es notwendig, dass die Ressource schwer imitierbar und
substituierbar ist. Je schwerer es den Mitbewerbern fällt, die Ressource und ihren
Wertbeitrag zu imitieren bzw. zu substituieren, bzw. je höher die damit verbundenen
Kosten sind, umso länger wird der Wettbewerbsvorteil gegeben sein.
Wie hoch sich der Imitationsaufwand letztendlich darstellt, ist nach Barney (2001) eine
Funktion der ‟unique historical conditions, causal ambiguity, and the social complexity”
einer Ressource:
89 vgl. Godfrey, P. C. und Hill, C. W. (1995), Lowendahl, B. und Revang, O. (1998), Priem, R. L. und
Butler, J. E. (2001) 90 vgl. Makadok, R. (2001) 91 vgl. Penrose, E. (1959), S. 25. 92 vgl. Barney, J. B. (1991), S. 99f. 93 vgl. Barney, J. B. (1996)
Grundlagen strategischer Managementforschung 31
1. Das Konstrukt der Unique Historical Conditions bzw. der Historizität bedingt,
dass Ressourcen entstehungsbedingt aufgrund ihrer Spezifität nur schwer
nachahmbar sind. Anders ausgedrückt wird davon ausgegangen, dass die
Ausstattung mit einer Ressource von der spezifischen historischen Entwicklung
bestimmt ist, d. h. Pfadabhängigkeiten (Path Dependencies) gegeben sind.
2. Kausale Ambiguität (Causal Ambiguity) erschwert die Nachahmung aufgrund
der Ursache, dass Wettbewerbsvorteile bestimmten Ressourcen nicht eindeutig
zugeordnet werden können, also nicht klar ist, welche Ressource für den
Wettbewerbsvorteil ursächlich verantwortlich ist.
3. Soziale Komplexität (Social Complexity) erschwert die Imitation von
Ressourcen, wenn die strategische Ressource selbst ein Teil des sozialen
Kontexts ist oder eine komplexe soziale Beziehung, ein Kulturmerkmal oder
eine immaterielle Ressource darstellt und daher nicht beliebig in einem anderen
Kontext reproduzierbar ist.
Eine letzte Bedingung dafür, dass eine Ressource als Ausgangspunkt nachhaltiger
Wettbewerbsvorteile gewertet werden kann, ist, dass für sie kein Substitut vorhanden ist,
das es Mitbewerbern ermöglichen würde, dieselbe Strategie zu verfolgen und somit
dieselben Wettbewerbsvorteile zu nutzen.
Value
Rareness
Imperfect Imitability
- History Dependent- Causal Ambiguity- Social Complexity
Substitutability
Firm RessourceHeterogeneity
Firm RessourceImmobility
SustainedCompetitiveAdvantage
Abbildung 6: Modell des ressourcenorientierten Ansatzes94
Ausgehend von diesen Prämissen kann im Rahmen des in Abbildung 5 dargestellten
Modells überprüft werden, ob spezifische Ressourcen strategisch als Grundlage für
nachhaltige Wettbewerbsvorteile infrage kommen, indem folgende Frage beantwortet
wird: “Is that resource valuable, is it rare, is it imperfectly imitable, and are there
substitutes for that resource?”95 94 vgl. Barney, J. B. (1991), S. 112. 95 vgl. Ibid., S. 115.
32 Grundlagen strategischer Managementforschung
Weitere wichtige Aspekte der klassischen Ressourcentheorie sind die Art und Weise, wie
Ressourcen kombiniert und situativ eingesetzt werden. Liebermann und Montgomery
(1998) betrachten diese Kombinationstätigkeit als Kern aller Unternehmensfähigkeiten
und definieren die Fähigkeiten einer Organisation als ‟the organization’s collective
capacity for undertaking a specific typ of activity”.96
In Abhängigkeit davon, welche besonderen Ressourcen und Fähigkeiten dem
Unternehmen zum gegebenen Zeitpunkt zur Verfügung stehen, können bestimmte
Aktivitäten durchgeführt werden. Ob diese Aktivitäten unter den aktuellen Markt- und
Umweltgegebenheiten zum Erfolg des Unternehmens beitragen, ist daher vom jeweiligen
Kontext und Zeitpunkt abhängig und kann sich im Zeitablauf und durch Veränderungen
der Markt- und Umfeldbedingungen ändern.
Ressourcenorientierte Perspektive
Intellektuelle Wurzeln Coase, Penrose, Selznick, Christensen, Andrews
Einschlägige Autoren Chandler (1962); Rumelt (1984); Wernerfeld (1984)
Sichtweise der Firma Firma als einzigartige Ansammlung von Ressourcen
Analyseeinheit Ressource
Ökonomische Rente Monopol- und Ricardo-Rente
Grundlagen der
Wettbewerbsvorteile
Wertvolle, seltene, nicht imitierbare und nicht
substituierbare Ressourcen
Annahmen Rational, statisch
Tabelle 2: Charakteristika des Ansatzes der ressourcenorientierten Perspektive97
Hier offenbart sich eine wichtige Schwachstelle der traditionellen Ressourcentheorie,
nämlich die statische Betrachtung der Aktivitäten zu einem bestimmten Zeitpunkt. Wie
organisationale Fähigkeiten erworben und entwickelt werden oder wie sie dazu beitragen,
96vgl. Liebermann, M. B. und Montgomery, D. B. (1998) 97 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 527, Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 156.
Grundlagen strategischer Managementforschung 33
dass sich Unternehmen durch die Neugestaltung ihrer Aktivitäten an Markt- und
Umweltveränderungen anpassen, bleibt offen.98
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass Unternehmen nachhaltig
überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen können, wenn sie über wertvolle, seltene,
unnachahmliche und nicht substituierbare Ressourcen oder Fähigkeiten verfügen. Hier
werden also insbesondere die Charakteristika eines Unternehmens, d. h. die einer
Kostenführer- und Differenzierungsstrategie oder dem Wertkettenmodell zugrunde
liegenden Faktoren, sprich die Ressourcen und Fähigkeiten einer Firma, beleuchtet. Die
spezifische Kombination seltener Ressourcen und schwer imitierbarer Fähigkeiten bildet
somit die Basis für nachhaltige Wettbewerbsvorteile.99
Dennoch hat auch dieser Ansatz seine Limitationen. Ansatzpunkte der Kritiker sind der
Mangel an empirischen Studien, die relativ schwach ausgeprägte Prozessorientierung und
der Erklärungsnotstand in Hinsicht auf das Verhalten von Unternehmen in überaus
wettbewerbsintensiven Branchen.100 Daran schließt die Frage an, in welchem Verhältnis
das Unternehmen zu seinem Umfeld steht und in welcher Form es am
Austauschmechanismus der Märkte teilnimmt, um sich den Zugang zu strategischen
Ressourcen und Fähigkeiten zu sichern.
6.1.3 Transaktionsorientierte Perspektive
Eine Sonderstellung und einen Mittelweg zwischen der branchen- und firmenorientierten
Sicht stellt die Transaktionskostentheorie (TCE)101 dar.
Als Teilbereich der neuen Institutionenökonomie baut die Transaktionskostentheorie auf
den Überlegungen von Coase (1937) auf, der erstmals der grundlegenden Frage nachging,
warum Unternehmen überhaupt existieren bzw. wann und warum es unter bestimmten
Effizienzüberlegungen wirtschaftlich sinnvoller ist, Transaktionen, die die zentrale
Analyseeinheit dieses Ansatzes bilden, unter Nutzung der Märkte abzuwickeln oder
stattdessen in das hierarchische System der Firma zu internalisieren.
98 vgl. Diese Schwachstelle wird erst durch die Weiterentwicklung der klassischen Ressourcentheorie durch
Teece, D. J., et al. (1997) behoben, die den fähigkeitenorientierten Ansatz um eine dynamische
Komponente erweitern. Mehr dazu in Kapitel 6.3.2. 99 vgl. Bettis, R. A. (1998), S. 357. 100 vgl. Ibid., S. 359. 101 vgl. Coase, R. H. (1937), Williamson, O. E. (1975), Williamson, O. E. (1986), Williamson, O. E. und
Masten, S. (1995)
34 Grundlagen strategischer Managementforschung
Die klassische Form, um Transaktionen zu koordinieren, stellen Märkte dar, die neben der
Koordinationsfunktion auch die Funktionen der Preisbildung, Versorgung und Verteilung
übernehmen. Die Abwicklung von Transaktionen unter Nutzung des
Koordinationsmechanismus der Märkte ist aber mit Kosten für den Abschluss eines
Geschäfts, der Suche nach Gütern und Leistungen, der Einholung von Informationen über
potenzielle Transaktionspartner, der Anbahnung, Aushandlung der Preis- und
Transaktionsbedingungen und der nachgelagerten Abwicklung und Kontrolle der
Einhaltung vereinbarter Transaktionsbedingungen bis hin zur Berücksichtigung allfälliger
Änderungen verbunden. Da die Durchführung von Transaktionen über Märkte mit einer
Vielzahl spezifischer Transaktionskosten102 verbunden ist, erweisen sich unter
bestimmten Bedingungen andere Koordinationsmechanismen wie der Markt als
ökonomisch effizienter, um den Austausch und die Allokation von Gütern und Leistungen
zu gestalten.
Auf Grundlage des von Coase (1937) in seiner wegweisenden Arbeit “The Nature of the
Firm” vorgeschlagenen Zielkriteriums der Minimierung von Transaktionskosten ist es
immer dann sinnvoll, den Marktmechanismus zur Abwicklung von Transaktionen
insbesondere durch den Mechanismus der unternehmensinternen Weisung, d. h. die
Internalisierung bzw. Substitution von Markttransaktionen, durch eine innerbetriebliche
unternehmerische Koordination zu ersetzen, wenn die Kosten dafür geringer als die
Transaktionskosten auf dem Markt sind.
“The main reason why it is profitable to establish a firm would seem to be that
there is a cost of using the price mechanism. The most obvious cost of
‘organizing’ production through the price mechanism is that of discovering
what the relevant prices are. […] The costs of negotiation and concluding a
separate contract for each exchange transaction which takes place on a market
must also be taken into account.”103
Die in Bezug auf die Transaktionskosten optimale, weil günstigste Koordinationsform
wird sich nur dann durchsetzen, wenn alle Transaktionspartner über vollkommene
Informationen verfügen und sich die Akteure rational und nutzenmaximierend verhalten.
Solange dies nicht der Fall ist und lediglich ein Akteur bei der Gestaltung der
Transaktionsbeziehungen nur bedingt rational entscheidet, entsteht für seinen
Transaktionspartner die Gelegenheit, eine Quasirente abzuschöpfen.104 102 Für eine detaillierte Taxonomie der Transaktionskosten vgl. Williamson, O. E. (1975) 103 vgl. Coase, R. H. (1937), S. 38f. 104 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005)
Grundlagen strategischer Managementforschung 35
Überdurchschnittlicher wirtschaftlicher Erfolg ist auf Basis dieser Theorie eine Funktion
der effizienten und optimalen Gestaltung der Transaktionsbeziehungen und der richtigen
Wahl der Koordinationsform, wobei neben den Koordinationsformen Markt und
Unternehmen auch Mischformen wie strategische Allianzen, Kooperationen,
Entwicklungspartnerschaften oder Wertschöpfungsnetzwerke denkbar sind.
�eue Institutionenökonomie
Intellektuelle Wurzeln Coase, Williamson
Einschlägige Autoren Williamson (1975); Williamson (1986); Williamson und
Masten (1995)
Sichtweise der Firma Firma als transaktionskostenminimierende
Koordinationsform
Analyseeinheit Transaktionen
Ökonomische Rente Quasirente
Grundlagen der
Wettbewerbsvorteile
Effizienzvorteile durch optimale Gestaltung der
Vertragsbedingungen
Annahmen Beschränkte Rationalität, Opportunismus
Tabelle 3: Charakteristika des Ansatzes der neuen Institutionenökonomie105
In diesem Ansatz wird daher, im Gegensatz zur Industrieökonomie, die Annahme
vollkommen rational handelnder Akteure zugunsten der Annahme einer begrenzten
Rationalität (Bounded Rationality106) abgeschwächt. So kann erklärt werden, warum unter
bestimmten Bedingungen durch die asymmetrische Verteilung der Informationen und die
Such-, Anbahnungs-, Informations-, Verhandlungs-, Entscheidungs-, Vereinbarungs-,
Abwicklungs-, Absicherungs-, Durchsetzungs-, Kontroll-, Anpassungs- und
Beendigungskosten eine effiziente Koordination durch den Markt nicht mehr gegeben ist
und die Transaktion über den Mechanismus interner Weisung kostengünstiger
abgewickelt wird.
Weitere kritische, weil diese Entscheidung beeinflussende Faktoren sind neben den
105 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 527, Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 156. 106 vgl. Simons, H. (1959)
36 Grundlagen strategischer Managementforschung
bereits taxativ aufgeführten Transaktionskosten auch der Grad an Sicherheit und
Austauschhäufigkeit und die spezifischen Eigenschaften des Guts, das Gegenstand der
Transaktion ist.
Den Kern der Transaktionskostentheorie nach Williamson (1975) bilden die
Wahlmöglichkeiten zur effizienten Steuerung der Transaktion in Abhängigkeit vom
spezifischen wirtschaftlichen Umfeld und der Eigenschaften der Transaktionsbeziehung.
Wettbewerbsvorteile sind auf Basis dieser Theorie eine Funktion der Wahl des
bestmöglichen Koordinationsmechanismus und der effizienten Gestaltung der
Transaktionsbeziehungen.107
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass eine wirtschaftliche Betätigung
in Form von Unternehmen bzw. Hierarchien immer dann ökonomisch sinnvoll ist, wenn
die Kosten dafür niedriger sind als die mit einer Transaktion über den Markt verbundenen
Transaktionskosten, zu denen, wie bereits angeführt wurde, unter anderem Such- und
Informationskosten sowie Kosten für die detaillierte Vereinbarung der
Transaktionsbedingungen zählen.
6.2 Kritische Betrachtung der traditionellen Theorieansätze
Die Ausführungen des vorhergehenden Abschnitts haben gezeigt, dass unternehmerischer
Erfolg traditionell auf die Zugehörigkeit zu einer Branche, die eigene
Ressourcenausstattung oder die Gestaltung der Transaktionsbeziehungen zurückgeführt
wird. Außerdem wurde der Frage nachgegangen, wo die Grenzen zwischen innen und
außen, dem Unternehmen und seinem Marktumfeld, zu ziehen sind.
Aufbauend auf diesen Vorüberlegungen werden nun die zentralen Annahmen und
Analyseeinheiten dieser verschiedenen Perspektiven einer kritischen Überprüfung
unterzogen. Einige der in der Literatur häufig angeführten Kritikpunkte an den
traditionellen Ansätzen betreffen ihre starke Inhalts- und mangelnde Prozessorientierung.
Zu den traditionellen Analyseeinheiten im Feld des strategischen Managements gehören
die Branche und die Firma, die wiederum die Klammer über die einzelnen im Wettbewerb
stehenden strategischen Geschäftseinheiten des Gesamtunternehmens bilden.108
Branche, Geschäftseinheit und Unternehmen sind für Bettis109 daher die „üblichen 107 vgl. Lechner, C. und Müller-Stewens, G. (2003), S. 150. 108 vgl. Bettis, R. A. (1998), S. 357. 109 vgl. Ibid., S. 359.
Grundlagen strategischer Managementforschung 37
Verdächtigen“, wenn es gilt, eine Analyseeinheit zur Beleuchtung und Erklärung der
Ursachen für Erfolgs- und Leistungsunterschiede auszuwählen. Ihnen kommt bereits fast
der Status von Axiomen zu; d. h., die Analyseeinheit stellt einen nicht mehr zu
hinterfragenden Grundsatz dar und beeinflusst, welchen Forschungsfragen mit welchen
Forschungsmethoden nachgegangen wird.110
Die strategische Inhaltsforschung versucht, mithilfe großzahliger empirischer
Querschnittuntersuchungen den Einfluss von branchen- und ressourcenorientierten
Faktoren zu entflechten und klar darzustellen, welchen Anteil die einzelnen Faktoren bei
der Erklärung der Unterschiede im Unternehmenserfolg haben.
So kam Schmalensee (1985) zu dem Ergebnis, dass die Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Branche 20 % der Divergenzen im ROA (Return on Assets) erklärt, während
der Einfluss firmenspezifischer Faktoren gemessen am Marktanteil vernachlässigbar ist.
Trotzdem blieben bei dieser Studie 80 % der Ergebnisvarianz unerklärt. Rumelt (1991)
wiederum kam in seiner Studie zu ganz anderen Ergebnissen, indem er zeigte, dass 34 –
36 % der Unterschiede im ROA auf den Geschäftsbereich (Business Unit) zurückzuführen
sind, während Brancheneffekte nur 8 – 18 % erklären und überdies von Jahr zu Jahr stark
schwanken, also nur kurzfristige Erscheinungen sind.
INDUSTRY EFFECTS
FIRM-SPECIFIC EFFECTS
UNEXPLAINED VARIANCE
Schmalensee (1985) 19,6% 0,6% 80,4%Rumelt (1991) 4,0% 44,2% 44,8%McGahan and Porter (1997) 18,7% 31,7% 48,4%Hawawini et. al. (2003) 8,1% 35,8% 52,0%
PERCENTAGE OF VARIANCE IN FIRMS' RETURN ON ASSETS EXPLAINED BY:
Abbildung 7: Determinanten der Unterschiede im Erfolg von Unternehmen111
Weitere empirische Untersuchungen haben versucht, die Zuverlässigkeit von Rumelts
wegweisendem Forschungsergebnis zu überprüfen.112 Diese Studien kommen zu dem
110 vgl. Stähler, P. (2001), S. 32. 111 vgl. Grant, R. M. (2002), S. 103. auf Grundlage der zitierten Untersuchungen von: Schmalensee, R.
(1985), Rumelt, R. P. (1991), McGahan, A. M. und Porter, M. E. (1997), Hawawini, G., et al.
(2003) 112 vgl. Roquebert, J. A., et al. (1996), McGahan, A. M. und Porter, M. E. (1997), Bowman, E. H. und
Helfat, C. E. (2001)
38 Grundlagen strategischer Managementforschung
Ergebnis, dass Firmeneffekte gegenüber Branchenfaktoren dominieren113, jedoch
divergiert die Meinung darüber, wie groß der Unterschied in der Erklärungskraft wirklich
ist bzw. ob der Effekt der Marktfaktoren für einige Unternehmen höher ist als für
andere.114
Lässt man den paradigmatischen Streit zwischen Vertretern der branchen- und
ressourcenorientierten Sicht der Erfolgsforschung außer Betracht, dann wird klar, dass
zwar beide Ansätze Teile der Varianz im Unternehmenserfolg erklären – die eine mehr,
die andere weniger –, jedoch beide nicht imstande sind, den Großteil, d. h. signifikant
mehr als die Hälfte, zu erklären. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht beide Ansätze
Hand in Hand bessere Resultate und mehr Erkenntnisgewinn versprechen als jeder Ansatz
für sich allein genommen. Folglich stellt sich die Frage, ob nicht Versuche zur Integration
der rivalisierenden Denkrichtungen fortgesetzt werden sollten.
Konzeptionell betrachtet zwingt die geringe Erklärungskraft dazu, die zugrunde gelegten
Analyseeinheiten der strategischen Erfolgsforschung kritisch zu überprüfen. Sind die
traditionellen Erklärungsvariablen überhaupt dazu geeignet, die Unterschiede zwischen
Unternehmen zu erklären, oder wären andere Analyseeinheiten zur Untersuchung und
Erklärung der Unterschiede im Unternehmenserfolg besser geeignet?
Rein praktisch stellt sich daher auch die Frage, ob die traditionellen Analyseeinheiten der
strategischen Erfolgsforschung nicht in die Jahre gekommen sind und vor dem
Hintergrund sich stetig und immer schneller verändernder Umwelt- und
Wettbewerbsbedingungen überhaupt noch zeitgemäß und adäquat sind, um die relevanten
Faktoren einzufangen, die heute über den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen
entscheiden.
113 vgl. Mauri, A. J. und Michaels, M. P. (1998), McNamara, G., et al. (2005), Vilmos, F. M., et al. (2006) 114 In ihrer Untersuchung zeigen Hawawini, G., et al. (2003), dass Branchenfaktoren tendenziell einen
höheren Anteil an der Varianz des Unternehmenserfolges erklären und der Anteil der Varianz der
Ressourcen- bzw. firmenorientierten Faktoren abnimmt, wenn man statistische Ausreißer, d.h.
besonders erfolgreiche und besonders schlecht abschneidende Unternehmen, aus dem Sample
entfernt. Für über- und unterdurchschnittlich erfolgreiche Firmen scheinen gemäß dieser Studie
firmenorientierte Faktoren weit wichtiger zu sein, während bei durchschnittlich abschneidenden
Unternehmen der Einfluß Branchenfaktoren fast genauso groß ist. Sie kommen zum Schluss, dass
bisherige Untersuchungen den Effekt Branchenfaktoren bei durchschnittlich erfolgreichen
Unternehmen unterschätzen. Vgl. dazu auch Hawawini, G., et al. (2005) Dem widersprechen
McNamara, G., et al. (2005), die selbst bei der Ausblendung der Ausreißer zu einem anderen
Ergebnis kommen und in der Arbeit von Hawawini, G. et. al. (2003) Hawawini, G., et al. (2003)
methodische Mängel vermuten.
Grundlagen strategischer Managementforschung 39
Bettis attestiert, dass die traditionellen Analyseeinheiten “may be largely out of touch
with the evolution of modern competition in a technology-driven, global world that has
seen a huge and rapid level of change”.115
Als Reaktion auf die zunehmend diskontinuierliche Veränderungsdynamik und ein
insgesamt neues, weil verändertes Wettbewerbsumfeld116 wird in der Forschung
zunehmend die Frage diskutiert, ob die klassischen Analyseeinheiten des strategischen
Managements wie Branche, Geschäftseinheit und Unternehmen noch in der Lage sind, die
Faktoren und Mechanismen, die im heutigen dynamischen Wettbewerbsumfeld die
Grundlage für Wettbewerbsvorteile und wirtschaftlichen Erfolg bilden, einzufangen, zu
beleuchten und zu erklären.
6.2.1 Auswirkungen eines sich wandelnden wirtschaftlichen Umfelds
In den vergangenen Jahrzehnten seit der Entwicklung der frühen Theorieansätze der
Industrieökonomie, der Institutionenökonomie und der ressourcenorientierten Perspektive
wurde das Markt- und Wettbewerbsumfeld für Unternehmen einem zunehmenden und
tiefgehenden Wandel unterzogen. Zu den globalen Entwicklungen im Umfeld, die direkte
Auswirkungen auf die Unternehmen haben, zählen die verstärkte Deregulierung von
Branchen, neue rechtliche Rahmenbedingungen, der globale Wettbewerbsdruck infolge
der Globalisierung der Märkte und Unternehmen, steigende Kundenerwartungen und die
rasante Entwicklung neuer, diskontinuierlicher Technologien.
Ausgehend von der weltweiten Deregulierung der Luftfahrts-, Telekommunikations-,
Finanzdienstleistungs- und Energiemärkte haben sich die Wettbewerbsbedingungen in
fast allen Wirtschaftszweigen grundlegend verändert. Der erhöhte Wettbewerbsdruck und
die stetig steigenden Kundenerwartungen gehen mit einem tief greifenden Strukturwandel
einher. Durch Fusionen und Übernahmen, die Bildung strategischer Allianzen und
Kooperationen entstehen vertikale und horizontale Verknüpfungen der Wettbewerbs- und
Wertschöpfungsstrukturen von Märkten und Unternehmen. Das Aufbrechen traditioneller
Wertschöpfungsketten eröffnet auch Chancen für neuartige Anbieter, die sich auf einzelne
Stufen der Wertschöpfung konzentrieren. Dadurch verwischen frühere Branchengrenzen
und neue Märkte entstehen. Der Fortschritt im Bereich der Informations- und
Telekommunikationstechnologie liefert die Grundlage für diese neuen Formen der
Wertschöpfung und beschleunigt die Entwicklung.
115 vgl. Bettis, R. A. (1998), S. 359. 116 vgl. Bettis, R. A. und Hitt, M. A. (1995)
40 Grundlagen strategischer Managementforschung
Die Notwendigkeit, neue alternative Analyseeinheiten zu finden, ist daher keineswegs
eine rein theoretisch motivierte Problemstellung, sondern vielmehr durch die Praxis und
die Veränderungen im modernen Wirtschaftsleben bedingt. Die Reihe von
Veränderungen, die heute im Geschäftsumfeld stattfinden, zwingt Unternehmen, die
langfristig erfolgreich bleiben und auch in Zukunft im Wettbewerb bestehen möchten,
dazu, sich den neuen Umweltbedingungen anzupassen.
Unternehmen agieren heute in einem zunehmend dynamischen und herausfordernden
Geschäftsumfeld. Die Märkte sind globaler geworden, Technologie ist immer
unverzichtbarer und die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern sind in
ständigem Umbruch. Walters und Rainbird117 nennen eine Reihe von Veränderungen, die
für die künftige Ausrichtung von Unternehmen von zunehmender Bedeutung sind:
� Zunehmende Kundenorientierung, kundenspezifische Anpassung und
individuelle Massenfertigung
� Der Wertbegriff (Value) und seine Anwendung auf Kunden und Organisationen
� Die Betrachtung operativer Cashflows anstatt der Rentabilität
� Der Rückgang vertikal integrierter Organisationen und die Zunahme virtueller
Strukturen
� Hebelung des Anlagevermögens durch Kooperationen
� Die wachsende Bedeutung immateriellen Vermögens und die abnehmende
Bedeutung des Anlagevermögens
� Prozesse und Fähigkeiten werden zu Ressourcen und führen zu einer
durchgehenden Prozessbetrachtung vom Lieferanten bis zum Endkunden.
� Das Phänomen der Wertmigration118
Ein Kommentar von Lester fasst die Konsequenzen und Bedeutung dieser Veränderungen
zusammen:
“During periods of rapid change, investment in intangible assets – knowledge,
ideas, skills, organisational capabilities – take on special importance. The
results of these investments – ideas for new products and processes, knowledge
of new market possibilities, more competent employees, [and] nimbler
organisations – give the economy the flexibility to keep adapting and
reconfiguring itself to a new supply and demand conditions. They are the
lubricants of the economic machinery.”119 117 vgl. Walters, D. und Rainbird, M. (2007), S. 103. 118 vgl. Slywotzky, A. J. (1996) 119 vgl. Lester, R. (1998), S. 322.
Grundlagen strategischer Managementforschung 41
Ein weiteres zu beobachtendes Phänomen ist die zunehmende Vernetzung von
Unternehmen und Wirtschaftseinheiten durch die Bildung interorganisationaler,
längerfristiger und semipermanenter Austausch- und Interaktionsbeziehungen, die den
Charakter wirtschaftlicher Tätigkeit und das klassische Bild von Unternehmen dauerhaft
verändert hat. Dadurch wird es immer schwieriger, die Geschäftseinheit bzw. das
Unternehmen von seiner Umwelt abzugrenzen.
Voraussetzung für diese Entwicklung waren zum Teil die Fortschritte im Bereich der
Informationstechnologie, die viele neue Organisations- und Koordinationsformen erst
ermöglicht haben, indem sie die mit der Koordination und Kontrolle von Kosten, die mit
über den Markt abgewickelten Transaktionen verbunden sind, dramatisch reduziert haben.
Diese Entwicklungen legen nahe, dass die Grenzen der Firma heute nicht mehr allein eine
Funktion der traditionellen Transaktionskostentheorie sind. Als Ergänzung zum
bisherigen zentralen Abgrenzungs- und Zielkriterium zwischen Unternehmen und Markt,
der Minimierung der Transaktionskosten, werden in der Literatur stattdessen vermehrt
Kriterien der Wissens- und Lernökonomie angeboten.120
“Over time the unit of strategic analysis has moved from the single company to
a family of businesses and finally to what people call the ‘extended enterprise’,
which consists of a central firm supported by a constellation of suppliers.”121
Abgesehen von den sich verlierenden Unternehmensgrenzen verändern sich auch die
Spielregeln im Wettbewerb zwischen Unternehmen. Sie stehen nicht mehr allein im
Wettbewerb mit anderen Anbietern, sondern formen gemeinsam mit Lieferanten und
Partnern eine Gruppe oder einen Cluster von Unternehmen, die gemeinsam mit anderen
Gruppen von Unternehmen122 um Kunden, strategische Ressourcen und Fähigkeiten im
Wettbewerb stehen. Auf der Makroebene einer ganzen Branche formen diese einzelnen
Cluster oder Value Nets123 durch die Vernetzung einzelner Wirtschaftssubjekte in Form
von strategischen Allianzen, Kooperationen und Partnerschaften neue kooperative
120 vgl. Grant, R. M. (1996), Grant, R. M. und Spender, J. C. (1996) 121 vgl. Prahalad, C. K. und Ramaswamy, V. (2000), S. 81. 122 Diese neue Analyseeinheit des Wettbewerbs in Branchen, welches hier als Netzwerk kooperierender
Unternehmen beschrieben wird, ist nicht mit dem Konzept strategischer Gruppen vergleichbar, das
von Hunt, S. D. und Morgan, R. M. (1995) und Porter, M. E. (1980a) propagiert wird. Strategische
Gruppen werden nach dem Kriterium ähnlicher Strategien oder Geschäftsmodelle gebildet.
Stattdessen werden die Gruppen von Unternehmen im Sinn von Bettis, R. A. (1998) nicht aufgrund
ähnlicher Merkmale, sondern aufgrund komplementärer Eigenschaften, der semi-permanente,
kooperativen, kooperativen Bindung oder gemeinsam erstellter Leistung gebildet. 123 vgl. Brandenburger, A. M. und Nalebuff, B. J. (1997)
42 Grundlagen strategischer Managementforschung
Wirtschaftseinheiten oder Business Network Structures, die sich deutlich von der
traditionellen Wirtschaftseinheit Unternehmen unterscheiden.
Traditionelle
Analyseeinheiten
Alternative
Analyseeinheiten
Relevante Einheit des Wettbewerbs
Die Geschäftseinheit (Business Unit) als zentraler Bezugspunkt des Wettbewerbs und der Strategie innerhalb einer Branche
Das Netzwerk als eine dynamisch wechselnde Gruppe von Unternehmen, die gemeinsam mit anderen Gruppen von Unternehmen im Wettbewerb stehen
Relevante Einheit der Umweltbetrachtung
Die Branche als das Kollektiv der Geschäftseinheiten, die direkt und eng substituierbare Leistungen anbieten bzw. erbringen
Gruppe oder Cluster von Unternehmen mit ähnlichen Kompetenzen
Relevante Organisationseinheit
Das Unternehmen, das durch die Grenze zwischen der Organisation und dem Markt definiert wird. Die Grenzziehung erfolgt nach dem Kriterium der Minimierung der Kosten, die mit der Transaktion verbunden sind.
Unklare und wechselnde Grenzziehung zwischen Unternehmen und Markt. Die Definition der Grenze erfolgt nicht mehr nach dem Kriterium der minimalen Transaktionskosten, sondern auch nach den zunehmend wichtigeren Kriterien der Wissens- und Lernökonomie.
Abbildung 8: Wandel der relevanten Analyseeinheiten124
Heute stehen virtuelle Unternehmen bzw. Familien von Unternehmen im Wettbewerb mit
anderen virtuellen Unternehmen bzw. Familien. Auf der Makroebene der Branche findet
Wettbewerb nicht mehr allein zwischen einzelnen Unternehmen, sondern ebenso
zwischen den diversen übergeordneten virtuell-kooperativen Netzwerken und Value
Chains statt.
“In other words, ‘value chains’ are competing with ‘value chains’.”125
124 vgl. Bettis, R. A. (1998), S. 358-359. 125 vgl. Walters, D. und Rainbird, M. (2007), S. 4.
Grundlagen strategischer Managementforschung 43
Ist ein Unternehmen aus der Gruppe erfolgreich, ergeben sich daraus positive
Netzwerkeffekte für alle Mitglieder der Gruppe. Zwar arbeiten die Unternehmen des
Netzwerks zusammen, wenn es darum geht, gemeinsam Nutzen und Wert für den
Endkunden zu schaffen. Gleichzeitig steht jedes Unternehmen jedoch mit allen im
Netzwerk vertretenen Unternehmen im Wettbewerb, wenn es um die Verteilung der
geschaffenen Werte und Gewinnpotenziale geht.126
Darüber hinaus wird immer unklarer, wo die Grenzen des Markts bzw. der Branche, in
der das Unternehmen tätig ist, zu ziehen sind. So stellt sich für die Finanztochter eines
Automobilherstellers die Frage, ob sie in der Automobilwirtschaft, der Banken- oder
Versicherungsbranche oder eigentlich auf dem Markt für Mobilität oder Financial
Services tätig ist. Heute ergibt sich die Branchen- bzw. Marktzugehörigkeit nicht mehr
aus dem Angebot vergleichbarer, substituierbarer Produkte und Leistungen, sondern
ähnlichem Leistungsvermögen, d. h. vergleichbaren Ressourcen, Fähigkeiten und
Kompetenzen.127
6.2.2 Auswirkungen des dynamisierten Wettbewerbs
Das Aufbrechen bestehender Branchen- und Unternehmensgrenzen und der immer
diskontinuierlichere Charakter des Wandels zwingt Unternehmen dazu, rasch zu handeln
und sich den im Zustand stetigen Wandels begriffenen neuen Wettbewerbsbedingungen
kontinuierlich anzupassen.
Im Außenverhältnis muss die strategische Wettbewerbsposition gegenüber anderen
Marktteilnehmern fortlaufend überprüft werden, denn neue, diskontinuierliche
Technologien können blitzartig die Wertschöpfungslogik ganzer Branchen umstoßen.
Unternehmen, die mit solchen Umbrüchen konfrontiert sind, stehen vor der Wahl, die
neuen Spielregeln rasch zu erlernen, neue Geschäftsstrategien zu entwickeln und ihr
Angebots- und Leistungsspektrum an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen
oder an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.
Während sich strategische Überlegungen in Unternehmen lange Zeit auf den Aufbau und
die Sicherung von Wettbewerbsvorteilen auf Endproduktmärkten konzentrierten, rücken
parallel dazu die internen Strukturen, Prozesse und die Weiterentwicklung der
126 vgl. Bettis, R. A. (1998) 127 Während die bisherige Einheit der Umweltanalyse auf den Ansatz der Industrieökonomie und der
Branchenanalyse nach Porter, M. E. (1980a) zurückgeht, baut die neue, alternative
Betrachtungsweise primär auf der Sichtweise des RbV nach Wernerfeld, B. (1984) und der Idee
spezifischer Kernkompetenzen nach Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1990) auf.
44 Grundlagen strategischer Managementforschung
Kompetenzen eines Unternehmens mit in das Blickfeld des strategischen Managements.
Generische Geschäftsstrategien verlieren hingegen an Bedeutung, da nicht mehr
Qualitäts- oder Kostenführerschaft bzw. Nischenstrategien128 allein die strategische
Ausrichtung und den langfristigen Erfolg eines Unternehmens bestimmt.
In der Innensicht der Unternehmen ist das Management gefordert, die
Wertschöpfungsprozesse und -strukturen an die veränderte Umwelt und die neu
formulierte Geschäftsstrategie anzupassen bzw. Innovation im Sinne der Erneuerung der
Prozesse und Strukturen, eines effizienten Ressourceneinsatzes und des Erlernens neuer,
spezifischer Fähigkeiten zu fördern. Erst die Bündelung spezifischer Ressourcen und die
Nutzung eigener Fähigkeiten versetzen Unternehmen in die Lage, einzigartigen
Kundennutzen zu stiften und Wettbewerbsvorteile zu generieren. Dies kann im Zuge
evolutionärer inkrementeller Veränderungen erfolgen, indem bestehende Praktiken
verbessert, Fähigkeiten weiterentwickelt werden und die Effizienz der
Ressourcentransformation erhöht wird.
Inkrementelle Veränderung allein reicht aber bisweilen nicht aus, sondern immer öfter
müssen sich Unternehmen gänzlich von traditionellen Praktiken abwenden und nach
neuen Wegen der Wertschöpfung suchen, um auf innovative Art und Weise Wert zu
schaffen.129 Anstatt inkrementeller Verbesserungen, die nur zu kurzfristigen
Wettbewerbsvorteilen führen130, sind grundlegend neue Strategien, Geschäftsideen und
Geschäftsmodelle gefragt131, um nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erlangen, denn der
jähe und tief greifende Wandel stellt selbst die Grundlagen erfolgsverwöhnter
Unternehmen auf die Probe.132
Die Erneuerung der strategischen Ausrichtung bzw. der Wertschöpfungsprozesse und -
strukturen von Unternehmen stellt daher zweifelsohne eine überaus komplexe und
facettenreiche Aufgabe dar, die nach umsichtigen Entscheidungen und entschlossenem
Handeln verlangt. Um die Kohärenz und den Erfolg solcher Initiativen sicherzustellen,
bedarf es eines koordinierten Vorgehens sowie Instrumenten zur strukturierten
Entscheidungsfindung.
128 vgl. Porter, M. E. (1985), Porter, M. E. (1995) 129 vgl. Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000), Hamel, G. (2000), Albrinck, J., et al. (2001) 130 vgl. Voelpel, S. C., et al. (2005) 131 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999) 132 vgl. Hitt, M. A. und Ireland, R. D. (2000).
Grundlagen strategischer Managementforschung 45
6.3 �eue Erklärungsansätze und Analyseeinheiten
Die Notwendigkeit, neue alternative Analyseeinheiten zu finden, ist daher keineswegs
eine rein theoretisch motivierte Problemstellung, sondern vielmehr durch die Praxis und
die Veränderungen im modernen Wirtschaftsleben bedingt. Nachdem die Kritik an
traditionellen Sichtweisen zunimmt und ihre Erklärungskraft nach wie vor gering ist,
beschäftigt sich die Forschung intensiv mit der Suche nach neuen alternativen
Erklärungsansätzen.
6.3.1 Prozessorientierte Perspektive
Im Unterschied zur markt- und ressourcenorientierten Sicht, die als inhaltsbezogene
Ansätze133 gelten, wird bei prozessbezogenen Theorien im Feld des strategischen
Managements, wie zum Beispiel dem Ansatz dynamischer Fähigkeiten, nicht der Inhalt,
sondern der Prozess, durch den neue Inhalte im Zeitablauf entwickelt und realisiert
werden, in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt.
Bereits Mitte der 1970er-Jahre entstand aus der Kritik an den normativen Ex-ante-
Ansätzen der strategischen Inhaltsforschung die Strategieprozessforschung als neuer,
unabhängiger Forschungsstrang und neue Sichtweise im Feld des strategischen
Managements.134 Prozessforscher kritisieren sowohl die Industrieökonomie als auch den
ressourcenorientierten Ansatz für die Ausblendung der Dynamik und der Hindernisse im
Management von Strategien.135
Im Gegensatz zur Industrieökonomie und zum ressourcenorientierten Ansatz, die als
inhaltsorientierte Ansätze136 gelten, wird bei der prozessualen Perspektive im Feld des
strategischen Managements, wie zum Beispiel in der Evolutionstheorie, nicht der Inhalt,
sondern der Prozess, durch den strategische Inhalte im Zeitablauf entwickelt und realisiert
werden, in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt.
Dabei verlagert sich der Schwerpunkt vom Inhalt – wie zum Beispiel Branchenstruktur,
Größe, Diversifikationsgrad, Ressourcenausstattung etc. – zu der Fragestellung, welche
Faktoren darauf Einfluss haben, wie Unternehmen im Zeitablauf tatsächlich günstige
Wettbewerbspositionen erlangen.
133 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003) 134 vgl. Mintzberg, H. (1978), Quinn, R. E. (1978), Mintzberg, H. (1994) 135 vgl. Sanchez, R. und Heene, A. (1997) 136 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003)
46 Grundlagen strategischer Managementforschung
Anstatt des Inhalts einer Strategie, der Chancen und Gefahren einer bestimmten
Marktposition oder der Stärken und Schwächen eines Unternehmens interessieren hier die
dynamischen Aspekte der Erlangung von Wettbewerbsvorteilen, d. h. die Abfolge der
Ereignisse in der Formierung und Umsetzung von Strategieinhalten im organisationalen
Kontext, kurz der Prozess, wie sich Unternehmen durch die Realisierung von Strategien
möglichst nachhaltige Wettbewerbsvorteile aufbauen.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu statischen und inhaltsorientierten Konzepten
liegt im Zeitpunkt der Rentengenerierung. Vorteilhafte Wettbewerbspositionen auf
Märkten, die Gestalt der Austauschbeziehungen mit Transaktionspartnern sowie die
spezifischen Ressourcen und Fähigkeiten einer Firma werden nicht als konstant gegeben,
sondern als erlern- und erwerbbar angenommen. Dadurch verschiebt sich der Zeitpunkt
der Rentengenerierung vom bloßen Besitz zum Prozess des Erwerbs und
dementsprechend liegt die Grundlage von Wettbewerbsvorteilen nicht mehr im Besitz
solcher vorteilhafter Positionen, Konfigurationen oder Produktionsfaktoren, sondern in
der Befähigung und im Prozess der Aneignung von Ressourcen und Fähigkeiten bzw. der
Suche und Erschließung vorteilhafter Wettbewerbspositionen und
Transaktionsbeziehungen begründet.
Zu den Varianten dieser prozessualen Perspektive zählen die Denkschule der
Evolutionstheorie137, die organisationale Evolutionstheorie138 (Population-Ecology-
Ansatz), die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung139, der fähigkeitenorientierte
Ansatz (Capabilities-based View, kurz CbV) sowie der darauf aufbauende Ansatz
dynamischer Fähigkeiten140 (Dynamic Capabilities) und der wissensorientierte Ansatz
(Knowledge-based View, kurz KbV)141.
Durch die Brille prozessualer Ansätze betrachtet wird überdurchschnittlicher
Unternehmenserfolg auf die unterschiedlichen Entwicklungspfade von Unternehmen
zurückgeführt. In diesem Prozess stellen die Veränderungsfähigkeit, die Innovationskraft,
die Kreativität, die Lernbereitschaft sowie der Prozess der Aneignung und
Weiterentwicklung von materiellen wie immateriellen Ressourcen und Fähigkeiten
wichtige Erfolgsfaktoren dar.
Diese prozessualen Strategieansätze sind in ihrer Anwendung nicht nur auf diese
spezifischen Faktoren beschränkt, da sie eine Metasicht auf die erklärenden Variablen der
137 vgl. Nelson, R. R. und Winter, S. G. (1982) 138 vgl. Hannan, M. T. und Freeman, J. H. (1977) 139 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 140 vgl. Hawawini, G., et al. (2005) 141 vgl. Nonaka, I. (1992), Grant, R. M. (1996)
Grundlagen strategischer Managementforschung 47
Inhaltsforschung eröffnen. Daher sind diese systemischen Ansätze wie zum Beispiel der
Ansatz dynamischer Fähigkeiten142 auch mit anderen Ansätzen wie dem RbV kompatibel
bzw. bauen teilweise darauf auf.
Den Dreh- und Angelpunkt der prozessorientierten Ansätze bildet das Management der
kognitiven und kulturellen Nebenbedingungen der statischen Ausgestaltung und
Entwicklung eines Unternehmens.143 Im Gegensatz zu harten Faktoren werden dabei auch
weiche organisationale und kontextspezifische Einflüsse berücksichtigt und ihr Einfluss
auf die harten Faktoren und ihre Beziehung zur Inhaltsforschung ergründet.
Prozessorientierte Perspektive
Intellektuelle Wurzeln Chandler, Ansoff, Andrews
Einschlägige Autoren Mintzberg (1990); Chakravarthy und Doz (1992); Pettigrew
(1992a); Lechner und Müller-Stewens (1999)
Sichtweise der Firma
Firma als soziale Organisation, in der sich Individuen
aufgrund individueller und kollektiver Wahrnehmung auf
kollektives Handeln verständigen
Analyseeinheit Wahrnehmung, Entscheidungen, Initiativen
Ökonomische Rente Monopol, Quasirente und Schumpeter
Grundlagen der
Wettbewerbsvorteile
Wie Organisationen strategische Inhalte formulieren und
realisieren
Annahmen Beschränkte Rationalität
Tabelle 4: Charakteristika der prozessorientierten Perspektive144
Organisationen sind komplexe Gebilde mit einer Vielzahl von Akteuren, die ein gewisses
Maß an Eigendynamik aufweisen. Da es sich um vernetzte Strukturen handelt, die in
einem arbeitsteiligen Prozess interagieren und unterschiedlichen
Koordinationsmechanismen unterliegen, werden strategische Entscheidungen nicht von
einer Einheit autonom und nach rein rationalen Gesichtspunkten getroffen, sondern von
142 vgl. Teece, D. J., et al. (1997) 143 vgl. Whittington, R. (1996), Whittington, R., et al. (2002) 144 vgl. Lechner, C. (2006b)
48 Grundlagen strategischer Managementforschung
mehreren Organisationsteilen mit teilweise unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen
im Rahmen eines organisierten, geplanten oder emergenten Prozesses gemeinsam
erarbeitet.
Strategische Entscheidungen sind das Produkt individueller, aber zumeist kollektiver
Wahrnehmung und sozialer Interaktion von Individuen und Gruppen.145 Neben
intraorganisationalen Einflüssen kann dieser Prozess auch durch exogene Faktoren
moderiert werden.
So zeigte Mintzberg (1978), dass wahrgenommene kognitive Einflüsse wie zum Beispiel
eine wachsende Unsicherheit im Hinblick auf die zukünftigen Umwelt- und
Wettbewerbsbedingungen zu kürzeren Planungshorizonten, inkrementellen statt
revolutionären Veränderungsschritten und einer zaghaften Handlungsweise führen.146
Daran wird deutlich, dass die unabhängigen Variablen der Inhaltsforschung zu den
abhängigen Variablen der Prozessforschung werden.147 Die unabhängigen Variablen der
Prozessforschung wiederum sind nicht nur im Feld der Management- und
Organisationsforschung, sondern auch in verwandten Forschungsfeldern zu suchen.
Theorien aus dem Bereich der Psychologie und Soziologie sind hier von besonderer
Relevanz, da sie von ähnlichen Grundannahmen wie zum Beispiel bedingt rational
handelnden Akteuren148 (Bounded Rationality) ausgehen und weiche Faktoren wie
Normen und Werte explizit berücksichtigen.149
In letzter Zeit wurde auch wiederholt der Versuch unternommen, die traditionell
inhaltsorientierten Ansätze mit prozessualen Ansätzen zu integrieren und dadurch zu
einem umfassenderen Verständnis und zu einer Erklärung der Entstehung bzw. Evolution
nachhaltiger Wettbewerbsvorteile beizutragen.150 Ein Beispiel für die evolutionäre
Weiterentwicklung der ressourcenorientierten Sicht stellt die Entstehung des Ansatzes
dynamischer Fähigkeiten dar.
6.3.2 Ansatz dynamischer Fähigkeiten
Bereits Penrose (1959) hob die besondere Bedeutung spezieller Fähigkeiten im Prozess
145 vgl. Cyert, R. M. und March, J. G. (1963) 146 vgl. Mintzberg, H. (1978) 147 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 50. 148 vgl. Simons, H. (1959) 149 vgl. Chakravarthy, B. S. und Doz, Y. L. (1992) 150 vgl. Amit, R. und Schoemaker, P. (1993), Oliver, C. (1997)
Grundlagen strategischer Managementforschung 49
der Ressourcenkombination hervor: “A firm may achieve rents not because it has better
resources, but rather the firm’s distinctive competence involves making better use of its
resources.”151
Anfang der 1990er-Jahre griffen Prahalad und Hamel (1990) den Gedanken in ihrer
Arbeit über “The Core Competence of Organizations” erneut auf und legten so den
Grundstein für den fähigkeitenorientierten Ansatz, der auch als Kernkompetenzansatz des
strategischen Managements bezeichnet wird.
Der fähigkeitenorientierte Ansatz stellt somit eine gedankliche Fortführung des Resource-
based View (RbV) dar. Wie beim RbV beruhen langfristige Wettbewerbsvorteile auch
beim fähigkeitenorientierten Ansatz (Capabilities-based View, kurz CbV) auf der
Grundannahme, dass nicht alle Unternehmen einer Branche als homogen zu betrachten
sind.
Den nötigen Beitrag zur Dynamisierung der Ressourcentheorie liefern Teece, Pisano et al.
(1997) mit dem Ansatz dynamischer Fähigkeiten (Dynamic Capabilities). Diese
Forschungsströmung beschäftigt sich neben der Erforschung dynamischer Fähigkeiten
auch mit Fragen des organisationalen Wissens und organisationalen Lernens.152
Gleichzeitig ist dieser Ansatz als die Antwort auf ein zunehmend dynamisches
Marktumfeld zu verstehen, in dem sich Unternehmen zunehmend auf Innovation und
schnelles Anpassungsprozesse konzentrieren müssen153, denn der Ansatz dynamischer
Fähigkeiten154 befasst sich mit den organisationalen und strategischen Prozessen, durch
die Manager in einem dynamischen Umfeld die Ressourcen und Fähigkeiten des
Unternehmens zu neuen produktiven Leistungsangeboten kombinieren. Obwohl Effizienz
und Kontrolle weiterhin zentrale Themen bleiben, sind zusätzlich Eigenschaften wie
Flexibilität, Kreativität und Timing gefragt.
Teece, Pisano et. al. (1997) definieren dynamische Fähigkeiten als “the firm’s ability to
integrate, build, and reconfigure internal and external competences to address rapidly
changing environments”.155 Es handelt sich dabei also im Kern um die Beherrschung der
Prozesse zur Adaption bestehender Kompetenzen, d. h. der immateriellen Fähigkeiten
151 vgl. Penrose, E. (1959), S. 54. 152 vgl. Kogut, B. und Zander, U. (1992), Mahoney, J. T. (1995), von Krogh, G. und Roos, J. (1996) 153 vgl. Bartlett, C. A. und Ghoshal, S. (1993), Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1998) 154 vgl. Henderson, R. und Clark, G. (1990), Amit, R. und Schoemaker, P. (1993), Henderson, R. (1994),
Conner, K. R. und Prahalad, C. K. (1996), Teece, D. J., et al. (1997), Eisenhardt, K. M. und Martin,
J. (2000) 155 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 516.
50 Grundlagen strategischer Managementforschung
eines Unternehmens, die ihrerseits aus der Bündelung von zwei oder mehr
organisatorischen Handlungsroutinen bestehen.156
Die Entstehung und Veränderung von Wettbewerbsvorteilen sieht der Ansatz der
dynamischen Fähigkeiten im Gegensatz zur traditionellen Ressourcentheorie nicht in der
Kombination spezifischer idiosynkratischer Ressourcen begründet, sondern führt
Unterschiede in der Wettbewerbsposition vielmehr auf die historische Entwicklung (Path
Dependencies) und die Ressourcenausstattung eines Unternehmens im Zeitablauf
zurück.157
“The key role of strategic management in appropriately adapting, and re-
configuring internal and external organizational skills, resources, and
functional competences toward changing environment.”158
Allerdings begründet der fähigkeitenorientierte Ansatz relative Wettbewerbsvorteile nicht
durch die unterschiedliche Ausstattung mit Ressourcen, sondern durch die spezifischen
Fähigkeiten und das Wissen eines Unternehmens, die zu Effizienzunterschieden beim
Ressourceneinsatz führen. Renten werden demnach durch den koordinierten Einsatz der
Ressourcen des Unternehmens, also durch die Kombination oder Bündelung von
materiellen Aktiva, personenbezogenem Wissen, Fähigkeiten und organisatorischen
Routinen, geschaffen. Erst die eigene Fähigkeit, die vorhandenen Ressourcen zu
kombinieren und geschickt einzusetzen, erlaubt es, langfristige Wettbewerbsvorteile zu
begründen und Renten zu erzielen.159
Besondere Bedeutung kommt dabei der Ressource Wissen zu. Obwohl Wissen eine
Ressource darstellt, kann das Wissen darüber, wie etwas zu tun ist, davon getrennt als
Fähigkeit gesehen werden.160 Wissen ist dann als Fähigkeit zu betrachten, wenn es das
Know-how eines Unternehmens, d. h. die gängigen Praktiken161 in einem Unternehmen,
beschreibt. In diesem Sinne sind die Fähigkeiten eines Unternehmens ein Bündel an
bestehenden Praktiken und individuellen Fähigkeiten, die an verschiedenen Stellen im
Unternehmen vorhanden sind. Diesem Verständnis von Fähigkeiten folgend existiert das
Wissen in den Köpfen aller Mitarbeiter im Unternehmen.162 Es liegt in der Natur dieser
156 vgl. Cohen, M. D., et al. (1996) 157 vgl. Burmann, C. (2005) 158 vgl. Teece, D. J. und Pisano, G. (1994), S. 537. 159 vgl. Lechner, C. und Müller-Stewens, G. (2003), S. 361. 160 vgl. Kogut, B. und Zander, U. (1992), Loasby, B. J. (1998), Kogut, B. und Zander, U. (2003) 161 vgl. Kogut, B. und Zander, U. (1992) 162 vgl. Nonaka, I. (1992), Grant, R. M. (1996)
Grundlagen strategischer Managementforschung 51
Art von Wissen, dass es nicht einfach gekauft oder verkauft werden kann, sondern es ist
‟embedded in [the] organizing principles by which people cooperate within
organizations.”163 Daher ist das Wissen in der ganzen Organisation verteilt.164
Darüber hinaus hat diese Form von Wissen eine besondere Funktion. Organisationale
Fähigkeiten sind daher das spezifische Wissen, das als Know-how zur Realisierung der
Aktivitäten im Unternehmen benötigt wird bzw. diesen Aktivitäten innewohnt. In der
Lage zu sein, etwas zu realisieren, bedingt, dass man die verlässliche Fähigkeit besitzt,
gewollte Handlungen durchzuführen.165 Die Fähigkeit stellt somit die Brücke zwischen
der Intention und dem gewünschten Ergebnis dar.166 Jede Fähigkeit hat eine erkennbare
Funktion bzw. einen bestimmten Nutzen, zum Beispiel die Durchführung einer
bestimmten Aktivität, da durch die Fähigkeit ein gewünschtes Ergebnis erreicht werden
kann. Die Ermöglichung konkreter Resultate haben Teece, Pisano et al. (1997) und
Eisenhardt und Martin (2000) zu dem Schluss kommen lassen, dass Fähigkeiten als
Bündel organisationaler Prozesse und Routine zu verstehen sind. Organisationale
Fähigkeiten sind daher als hierarchisch organisiert und in Routinen und Subroutinen
zerlegbar zu verstehen.167
Folglich interessieren sich Teece, Pisano et al. (1997) nicht für die Inputfaktoren oder
Marktleistungen eines Unternehmens, sondern für die Prozesse und Fähigkeiten, die die
Aktivitäten des Unternehmens formen.
Hamel (2000) und Amit und Zott (2001) verstehen Ressourcen und Fähigkeiten als ‟rare
and valuable”168 und ‟enabler of exchange transactions”169, die die Grundlage für ‟every
competitive advantage”170 bilden.
Somit wird klar, dass die Ressourcen und Fähigkeiten bzw. deren Kombination für die
Leistungsfähigkeit und den Erfolg von Unternehmen verantwortlich sind.171
Die relativen Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens sind daher das Produkt des
situativen pfadabhängigen Prozesses (Distinctive Process) der Koordination und 163 vgl. Funder, J. (2002), S. 5. 164 vgl. Loasby, B. J. (1998) 165 vgl. Funder, J. (2002), S. 4. 166 vgl. Dosi, G., et al. (2000), S. 2. 167 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), Karim, S. und Mitchell, D. W. (2000) 168 vgl. Hamel, G. (2000), S. 76. 169 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), S. 29. 170 vgl. Hamel, G. (2000), S. 75. 171 vgl. Cohen, W. M. und Levinthal, D. A. (1990), Mahoney, J. T. und Pandian, J. R. (1992)
52 Grundlagen strategischer Managementforschung
Kombination der idiosynkratischen Ressourcen und Fähigkeiten eines Unternehmens.
Grundlage und Ansatzpunkt zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen sind die internen
technologischen, organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Prozesse des
Unternehmens.
Zur Beschreibung des Phänomens wurden über die Jahre immer neue Konzepte und
Bezeichnungen entwickelt. Von den ersten Bemühungen wie Selznick (1957) Distinctive
Competence bis hin zu aktuelleren und verfeinerten Begriffen der Organizational
Routines von Nelson und Winter (1982), der Absorptive Capacity von Cohen und
Levinthal (1990), dem Architectural Knowledge bei Henderson und Clark (1990), den
Combinative Capabilities nach Kogut und Zander (1992) und schlussendlichen den
Dynamic Capabilities von Teece, Pisano et al. (1997) existiert eine reichhaltige Literatur,
die Merkmale und Grenzen des Phänomens skizziert und die Unterschiede zwischen den
verschiedenen Konstrukten zu klären versucht.172
Den verschiedenen Konzepten liegt eine einfache Idee zugrunde: Im heutigen
dynamischen Marktumfeld müssen Unternehmen in der Lage sein, rasch auf die sich
ändernden Umweltbedingungen zu reagieren und ihre Innovationsfähigkeit zu erhöhen.
Dafür sind spezielle Fähigkeiten nötig. Um den Herausforderungen des Markts
gewachsen zu sein, müssen Organisationen und ihre Mitarbeiter in der Lage sein, schnell
zu lernen und neue strategische Assets173 aufzubauen. Weiters müssen neue strategische
Assets, zu denen zum Beispiel Wissen, Technologien und Kundenerfahrungen zählen, in
die bestehende Organisation integriert werden. Drittens müssen bestehende strategische
Assets rasch transformiert, rekonfiguriert und somit an die neuen Umweltbedingungen
angepasst werden.174
Von besonderer Bedeutung sind Routinen, die das (1) Erlernen neuer Fähigkeiten, (2) die
Koordination und Integration von Ressourcen und Fähigkeiten oder (3) die
Rekonfiguration und Transformation von Ressourcen ermöglichen bzw. unterstützen.
Eisenhardt und Martin (2000) verweisen auf folgende Beispiele, um Fähigkeiten wie das
Erlernen, die Integration und Rekonfiguration von Ressourcen zu verdeutlichen:
1. Erlangung neuer Fähigkeiten: Eine Möglichkeit, neue Fähigkeiten zu erlangen,
ist, diese zu erlernen. Lernen ist ein Prozess, der durch Wiederholen und
172 vgl. Dosi, G., et al. (2000), Eisenhardt, K. M. und Martin, J. (2000) 173 Unter dem Oberbegriff strategischer Assets werden sowohl strategische Ressourcen, wie wir sie aus dem
Ressourcen-bezogenen Ansatz kennen, als auch strategische Fähigkeiten subsummiert. 174 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), Eisenhardt, K. M. und Martin, J. (2000)
Grundlagen strategischer Managementforschung 53
Experimentieren dazu beiträgt, dass Aufgaben schneller und besser ausgeführt
werden. Genauso ermöglicht er, neue Marktchancen zu identifizieren. Lernen
weist im Unternehmenskontext einige besondere Merkmale wie eine
einheitlichen Sprache und koordinierte Prozeduren auf. Das gesammelte Wissen
einer Organisation ist in den internen Routinen bzw. in der inneren Logik der
Organisation gespeichert. Routinen sind Interaktionsmuster, die erfolgreiche
Heuristiken zur Lösung spezieller Probleme darstellen. Diese
Interaktionsmuster spiegeln sich im Gruppenverhalten der Mitarbeiter wider.
Das Verhalten einzelner Individuen kann dabei bestimmte Subroutinen
beinhalten. Für organisationales Lernen sind einzelne Interaktionsmuster wie
Zusammenarbeit und Kooperation besonders interessant, da sie zum Beispiel
dabei helfen, auf dysfunktionale Routinen und neue strategische
Herausforderungen zu reagieren. Lernfähigkeiten sind in manchen Branchen
wie der Technologie- und Pharmabranche besonders wichtig, wo
technologische Vorreiterschaft über den Erfolg von Unternehmen
entscheidet.175
Neben organisationalem Lernen stellt auch die Bildung bzw. der Aufbau neuer
strategischer Assets eine Möglichkeit zur Verbreiterung der Ressourcenbasis
dar. Beispiele dafür sind Routinen zur Netzwerkbildung oder M&A-
Fähigkeiten176, die helfen, neue Ressourcen ins Unternehmen zu bringen.177 Der
führende Netzwerkausstatter Cisco Systems hat zum Beispiel einen sehr
effektiven Akquisitionsprozess entwickelt, um sich neue Produkte und
Technologien anzueignen und so die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.178
Firmen aus der Biotechbranche setzen wiederum auf Prozesse zur
Allianzbildung, um sich externes Know-how anzueignen.179
2. Koordination und Integration: Die effektive und effiziente interne Koordination
oder Integration strategischer Assets stellt eine weitere wichtige
Herausforderung dar. So kann zum Beispiel die Qualität der Leistungen eines
Unternehmens durch die Verbesserung von Routinen zur Sammlung und
Verarbeitung von Informationen positiv beeinflusst werden.180 Um
Wettbewerbsvorteile zu erzielen, ist es immer öfter notwendig, interne und
175 vgl. Henderson, R. und Cockburn, I. (1994), Helfat, C. E. (1997) 176 vgl. Voss, I. (2008) 177 vgl. Gulati, R. (1999) 178 vgl. Paulson, E. (2002) 179 vgl. Powell, W. W., et al. (1996) 180 vgl. Garvin, D. A. (1988)
54 Grundlagen strategischer Managementforschung
externe Aktivitäten bzw. Technologien miteinander zu integrieren oder die im
Rahmen von strategischen Netzwerken wie Allianzen und Partnerschaften
erbrachte wertschöpfende Tätigkeit mit dem internen Wertschöpfungssystem zu
koordinieren. Dazu zählen Routinen zur Produktentwicklung, die es dem
Unternehmen erlauben, Ressourcen, Fähigkeiten und funktionales Wissen so zu
kombinieren und zu verknüpfen, dass daraus neue Produkte und
Dienstleistungen entstehen.181 Diese integrative Fähigkeit bildet zum Beispiel
bei Toyota einen zentralen Ansatzpunkt, um Wettbewerbsvorteile zu
schaffen.182
Die strategische Entscheidungsfindung ist eine weitere integrative Fähigkeit, bei
der Entscheidungsträger aus verschiedenen Unternehmensbereichen oder
Funktionen ihr Wissen bündeln, um Entscheidungen zu treffen und die
strategischen Manöver des Unternehmens zu gestalten.183
3. Transformation und Neukonfiguration: Auch die Anpassung an veränderte
Umweltbedingungen setzt Fähigkeiten voraus. Der vorhandene Bestand an
strategischen Assets muss neu konfiguriert werden, um die Neuausrichtung des
Unternehmens zu bewerkstelligen.184 Der Anpassungsprozess kann durch
bestimmte Formen der Organisation wie dezentrale Entscheidungsstrukturen
und strategische Allianzen unterstützt werden. Notwendige Voraussetzung dafür
sind Transferprozesse und Routinen zum Replizieren und Vermitteln von
Ressourcen. Dabei handelt es sich um Fähigkeiten zur Neukonfiguration der
Organisation.185 Sie dienen dazu, strategische Assets zu kopieren, zu
transferieren oder zu kombinieren. Routinen zur Ressourcenallokation werden
benötigt, um innerhalb des Unternehmens die Allokation seltener bzw.
wertvoller Ressourcen wie Kapital oder Produktionskapazitäten zu
koordinieren.186 Auch die Koordination der Zusammenarbeit zwischen
Unternehmen bedarf spezieller Routinen wie der Fähigkeit zur Koevolution von
Netzwerkpartnern.187
Verknüpfen (Patching) ist ein strategischer Prozess, der sich auf Routinen zur
181 vgl. Helfat, C. E. (1997) 182 vgl. Clark, K. B. und Fujimoto, T. (1991) 183 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989b) 184 vgl. Amit, R. und Schoemaker, P. (1993) 185 vgl. Hansen, M. T. (1999) 186 vgl. Burgelman, R. A. (1994) 187 vgl. Eisenhardt, K. M. und Galunic, D. C. (2000)
Grundlagen strategischer Managementforschung 55
Neuausrichtung eines Geschäfts bzw. die damit in Verbindung stehenden
Ressourcen bezieht und die bestmögliche Anpassung an sich verändernde
Marktchancen zum Ziel hat.188 Ein Beispiel für einen sehr erfolgreichen
Verknüpfungsprozess (Patching Process) liefert Dell, wo die Segmentierung der
operativen Geschäftsfelder laufend an neue Kundenbedürfnisse angepasst
wird.189
Schlussendlich können auch Ausstiegsroutinen zum rechtzeitigen Über-Bord-
Werfen bzw. Verlernen veralteter und obsoleter Ressourcen und zum
Aufbrechen verkrusteter Ressourcenkombinationen, die im Wettbewerb keinen
Vorteil mehr bringen, einen Beitrag zur nachhaltigen Sicherung von
Wettbewerbsvorteilen leisten.190
Wie diese Beispiele zeigen, handelt es sich bei dynamischen Fähigkeiten um spezifische
identifizierbare Routinen, die in vielen Fällen bereits in anderen Forschungsfeldern und
abseits der ressourcenbezogenen Unternehmensperspektive erforscht wurden. Sie beruhen
auf speziellen organisationalen Prozessen wie der Produktentwicklung, der Bildung
strategischer Allianzen, der Unternehmensplanung und der Entscheidungsfindung.
Dynamische Fähigkeiten sollen Unternehmen dabei unterstützen, rascher und besser als
die Mitbewerber auf dynamischen Märkten zu agieren bzw. bestehende und neue
strategische Assets in nutzen- und wertschaffender Weise in Strategien und
Organisationen zusammenzuführen.191 Weiters ist es ratsam, sich bereits frühzeitig auf
veränderte Umwelten einzustellen und die eigenen Fähigkeiten frühzeitig
weiterzuentwickeln, da die hier eingenommene Perspektive der Theorie dynamischer
Fähigkeiten die Entwicklung von Unternehmen als pfadabhängig ansieht.192
Die Ausgestaltung der dynamischen Fähigkeiten ist von der jeweils im Marktumfeld
herrschenden Dynamik abhängig. Weist das Marktumfeld eine geringere Dynamik auf, da
sich der natürliche und fortlaufende Wandel im Kontext stabiler Marktstrukturen und
Branchengrenzen vollzieht, sind dynamische Fähigkeiten mit dem traditionellen Konzept
organisationaler Routinen gleichzusetzen.193 In diesem Kontext sind Routinen
komplizierte und detaillierte analytische Prozesse, die in hohem Maß auf bestehendem
188 vgl. Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1997), Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1998) 189 vgl. Magretta, J. (1998) 190 vgl. Sull, D. N. (1999) 191 vgl. Eisenhardt, K. M. und Martin, J. (2000) 192 vgl. von Krogh, G. und Cusumano, M. A. (2001) 193 vgl. Nelson, R. R. und Winter, S. G. (1982)
56 Grundlagen strategischer Managementforschung
Wissen aufbauen und Schritt für Schritt abgearbeitet werden, um vorhersehbare Resultate
zu liefern.
Ansatz dynamischer Fähigkeiten
Intellektuelle Wurzeln Schumpeter, Nelson, Winter, Teece
Einschlägige Autoren
Nelson und Winter (1982); Dierickx und Cool (1989);
Prahalad und Hamel (1990); Porter (1991); Teece und
Pisano (1994); Teece, Pisano et al. (1997); Cool, Costa et
al. (2002)
Sichtweise der Firma Firma als Bündel von Fähigkeiten, die mit Ressourcen
arbeiten
Analyseeinheit Prozesse, Positionen, Entwicklungspfade
Ökonomische Rente Schumpeter
Grundlagen der
Wettbewerbsvorteile
Akkumulation, Koordination, Integration, Replikation und
Imitation von Fähigkeiten durch interne Prozesse
Annahmen Rational
Tabelle 5: Charakteristika des Ansatzes dynamischer Fähigkeiten194
Im Gegensatz dazu weisen dynamische Fähigkeiten in einem schnelllebigen, dynamischen
Umfeld andere charakterliche Merkmale auf. In einem solchen Kontext sind einfache
experimentelle Routinen gefragt, die davon leben, dass neues Wissen geschaffen und
erlernt wird. Charakteristisch sind unstete, iterative Prozesse und Arbeitsschritte, um sich
Stück für Stück den veränderten Umweltbedingungen anzupassen, wobei das
schlussendliche Ergebnis nicht vorhersehbar ist.
Aufgrund der in Tabelle 5 zusammengefassten Eigenschaften stellt der Ansatz
dynamischer Fähigkeiten einen wesentlichen Bestandteil des Bezugsrahmens dieses
Forschungsvorhabens dar. Indem er mehrere konzeptionelle Sichtweisen wie die
ressourcenorientierte mit der prozessorientierten Perspektive integriert, bildet er eine
solide Basis für die weiterführende Arbeit, die in den nächsten Kapiteln noch um einige
Elemente wie die netzwerkorientierte Perspektive zu ergänzen ist.
194 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 527, Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 364.
Grundlagen strategischer Managementforschung 57
6.3.3 �etzwerkorientierte Perspektive
Die netzwerkorientierte Perspektive stellt einen weiteren Entwicklungspfad der
strategischen Erfolgsforschung dar. Die strategische Netzwerkforschung195 befasst sich
mit der Frage nach neuartigen Koordinations- und Organisationsformen und erklärt,
warum zwischen Unternehmen verstärkt stabile interorganisationale Beziehungen
entstehen. Sie bietet Antworten auf den durch neue Technologien induzierten Wandel und
die in Auflösung begriffenen Grenzen der Firma.
Aufbauend auf den Grundüberlegungen der klassischen Transaktionsökonomie werden
hier Mischformen zwischen den klassischen Koordinationsmechanismen Markt und
Unternehmen untersucht. Dazu zählen verschiedene kooperative Organisationsformen wie
strategische Netzwerke und Wertschöpfungsnetzwerke196, die unterschiedliche feste
Bindungen zwischen Organisationen darstellen. Netzwerke sind der Versuch, die Vorteile
von Märkten (mehr Flexibilität, geringere administrative Kosten) und Hierarchien (höhere
Planbarkeit und geringere Transaktionskosten) zu kombinieren.
Markt einfache Hierarchie mehrstufige Hierarchie Netzwerke
Abbildung 9: Gegenüberstellung unterschiedlicher Koordinationsformen197
Netzwerke als Organisationsform ökonomischer Aktivitäten und Transaktionen
beschreiben die Kooperation zwischen relativ autonomen, in ein Geflecht von
Austauschbeziehungen eingebundenen Wirtschaftseinheiten, in aller Regel von
Unternehmen.198
Strategische Netzwerke stellen stabile unternehmensübergreifende Bindungen dar, die für
die teilnehmenden Unternehmen von strategischer Bedeutung sind.199 In der Theorie wird
195 vgl. Gulati, R., et al. (2000) 196 vgl. Blankart, C. und Knieps, G. (1992), Sydow, J. (1992), Gulati, R., et al. (2000) 197 Eigene Darstellung 198 vgl. Blankart, C. und Knieps, G. (1992), Sydow, J. (1992) 199 vgl. Sydow, J. (1992)
58 Grundlagen strategischer Managementforschung
zwischen verschiedenen ausgestalteten Formen von strategischen Netzwerken200 wie
strategischen Allianzen, Joint Ventures, langfristigen Kundenbeziehungen oder anderen
Verbindungen unterschieden. Diese Formen der Netzwerkorganisation, die ein
erhebliches Maß an strategischer Flexibilität aufweisen, stellen gleichsam das
Gegenmodell zu vertikal integrierten und horizontal diversifizierten Unternehmen dar.
„Anders als im Fall der vertikalen und horizontalen Integration wird bei der
9etzwerkorganisation angesichts zunehmend turbulenter
Wettbewerbsbedingungen auf eine hierarchische Kontrolle durch die
vollständige Eingliederung der ökonomischen Aktivitäten verzichtet, aber nicht
auf die hierarchischen Elemente in interorganisationalen Beziehungen.“201
Unternehmensnetzwerke stellen insoweit eine zwar diskrete, gleichwohl im Vergleich zu
Markt und Hierarchie eine hybride Organisationsform ökonomischer Aktivität dar.202
Neben strategischen Netzwerken findet sich in der Literatur auch der Verweis auf
Wertschöpfungsnetzwerke203, wobei sich die Netzwerkorganisation entlang der
betrieblichen Wertschöpfung orientiert. Durch den technologischen Fortschritt ergeben
sich neue Möglichkeiten der Geschäftskonfigurationen. Die Analyse der eigenen
wertschöpfenden Tätigkeit tritt in den Vordergrund. Durch die Dekonstruktion
traditioneller Wertketten und die Auslagerung von Tätigkeiten vernetzen sich die
Unternehmen.204
Der damit einhergehende Anstieg der Komplexität und die Vielzahl an Möglichkeiten
machten das Design und die Implementierung dieser neuen Formen der Wertschöpfung
jedoch zu einer überaus komplexen und schwierigen Entscheidung. Traditionelle
Analyseeinheiten wie Märkte und Unternehmen eigenen sich nicht mehr dazu, um diese
neuartigen Formen der Wertschöpfung zu untersuchen.
Dabei wird nicht nur der Grad der vertikalen Integration, d. h. der Tiefe ökonomischer
Aktivitäten, verkürzt, sondern auch durch (Ent-)Diversifizierung die horizontale Breite
der Aktivitäten aufgelöst,205 um sich so besser auf das eigene Kerngeschäft und die
200 vgl. Gulati, R., et al. (2000). 201 vgl. Sydow, J. (2001) 202 vgl. Williamson, O. E. (1991), Sydow, J. (1992) 203 vgl. Bach, N., et al. (2003) 204 Vgl. Krüger, W. (2006) 205 vgl. Hagel, J. und Singer, M. (2000)
Grundlagen strategischer Managementforschung 59
eigenen Kompetenzen zu fokussieren.206 An die Stelle traditioneller integrierter
Strukturen der unternehmerischen Wertschöpfung treten vertikal und horizontal
integrierte Modelle der Wertschöpfung. Ihrer spezifischen Konfiguration nach
unterscheidet Heuskel dabei verschiedene Typen von Wertschöpfungsmodellen wie
Layer-Players, Market-Makers, Orchestrators und Integrators.207
�etzwerkorientierte Perspektive
Intellektuelle Wurzeln Transaktionskostenökonomie, ressourcenorientierte
Perspektive
Einschlägige Autoren
Katz und Shapiro (1985); Badaracco (1991); Sydow (1992);
Doz und Hamel (1998); Gulati (1999); Gulati, Nohria et al.
(2000)
Sichtweise der Firma
Die Firma als Teil einer dynamisch wechselnden Gruppe
von Unternehmen, die gemeinsam mit anderen Gruppen im
Wettbewerb stehen, wobei die Grenzen zwischen
Unternehmen zunehmend verschwimmen
Analyseeinheit Netzwerk
Ökonomische Rente Quasirente und Schumpeter
Grundlagen der
Wettbewerbsvorteile
Stabile interorganisationale Beziehungen zwischen
Unternehmen
Annahmen Beschränkte Rationalität, Opportunismus
Tabelle 6: Charakteristika der netzwerkorientierten Perspektive208
Strategische Netzwerke zielen aber nicht nur darauf ab, den Umfang ökonomischer
Aktivitäten im Unternehmen zu redimensionieren und die Grenzen zwischen Organisation
und Umwelt209 durch längerfristige kooperative Bindungen zu verwischen210, sondern
helfen auch, durch Vernetzung Markt- und Branchengrenzen zu überwinden211 und im
206 vgl. Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1990) 207 vgl. Heuskel, D. (1999) 208 vgl. Sydow, J. (1992), Gulati, R., et al. (2000) 209 vgl. Badaracco, J. L. (1991), der in diesem Zusammenhang von der Verwischung der
Organisationsgrenzen („blurring of organizational boundries“) spricht. 210 vgl. Ibid. 211 vgl. Heuskel, D. (1999)
60 Grundlagen strategischer Managementforschung
Verbund anstatt durch Akquisition oder Fusion spezifische Ressourcen, Fähigkeiten und
Kernkompetenzen zu bündeln212, um gemeinsam mit Kunden213, Partnern und
Mitbewerbern im Netzwerk oder Clustern214 neue Märkte zu schaffen und zu erobern.215
Die Managementverantwortung zur Lenkung, Gestaltung und Entwicklung des
Netzwerkunternehmens endet folglich nicht an der Grenze zur Unternehmensumwelt,
sondern bezieht alle Interaktionsbeziehungen zu direkten wie indirekten Akteuren im
Umfeld und deren ökonomische Aktivitäten in die Betrachtung mit ein.216
Diese Darstellung zeigt, dass sich die Organisationsform des Netzwerks, insbesondere
von Unternehmensnetzwerken, kaum mit klassischen Vorstellungen von
Unternehmenskooperationen deckt. Im Unterschied zur klassischen Begriffsdeutung von
Kooperation und Allianz werden mit strategischen Netzwerken deutlich komplexere
Beziehungsgeflechte assoziiert, weshalb in der Literatur auch von Allianznetzwerken217,
strategischen Familien218, Allianzsystemen219 oder Netzwerkkooperationen gesprochen
wird.220
Allerdings bilden diese spezifischen Charakteristika die Grundlage für
Wettbewerbsvorteile. Durch die Festigung des Vertrauens und den Aufbau längerfristig
stabiler Beziehungen lassen sich hier durch die Nutzung von Synergie- und
Effizienzvorteilen, den Austausch wichtiger Ressourcen, Wissenstransfer, positive
Netzwerkeffekte und steigende Wechsel- bzw. Opportunitätskosten Wettbewerbsvorteile
erzielen.
6.3.4 Das Geschäftsmodell als neue Analyseeinheit
Doch auch diese neue Sichtweise und Analyseeinheit haben ihre Schwächen. Abseits der
Akzentuierung neuer Koordinationsmechanismen und Wertschöpfungsformen
vernachlässigen strategische Netzwerke die Veränderungen, die sich auf der Kundenseite
ergeben.221 Auch Prahalad und Ramasway plädieren für eine stärkere Integration der
Kundenperspektive in den Prozess der vernetzten Wertschöpfung, da
212 vgl. Dyer, J. H., et al. (2004) 213 vgl. Prahalad, C. K. und Ramaswamy, V. (2000) 214 vgl. Bettis, R. A. (1998) 215 vgl. Chakravorti, B. (2004) 216 vgl. Kanter, R. M. (1994), Sydow, J. (2001) 217 vgl. Backhaus, K. und Piltz, K. (1990) 218 vgl. Albach, H. (1992) 219 vgl. Lechner, C. (1999) 220 vgl. Sydow, J. (2001) 221 vgl. Stähler, P. (2001), S. 36.
Grundlagen strategischer Managementforschung 61
“customers are fundamentally changing the dynamics of the marketplace. [...] consumers
become a new source of competence for the corporation. The competence that customers
bring is a function of the knowledge and skills they possess, their willingness to learn and
experiment, and their ability to engage in an active dialogue.”222
Wie in Kapitel 6.2 gezeigt wurde, sind die traditionellen Analyseeinheiten wie Branche,
Geschäftseinheit und Unternehmen zu eng gefasst, um mit der dynamischen Veränderung
der Unternehmen und Märkte Schritt zu halten. Der technologische Fortschritt hat die
Grundlage für neue Organisationsformen zwischen Unternehmen, Partnern und Kunden
geschaffen.223 Der damit einhergehende sozioökonomische Wandel hat das
Nachfrageverhalten der Kunden dauerhaft verändert. Zwar können strategische
Netzwerke das Phänomen der zunehmenden Vernetzung zwischen Unternehmen, nicht
jedoch die ebenfalls im Wandel begriffene Kundenperspektive erschließen.224
Stattdessen gewinnt das Geschäftsmodell seit den 1990er-Jahren als neue Analyseeinheit
wirtschaftlichen Erfolgs an Bedeutung.225 Sowohl von Vertretern der Praxis wie auch in
einschlägigen Publikationen wird es beharrlich als neue alternative Analyseeinheit
angeboten, um zu erklären, warum einige Unternehmen einfach erfolgreicher sind als
andere. Sie führen den Erfolg von Unternehmen wie zum Beispiel Dell, Southwest, eBay
und Wal*Mart nicht nur auf die Branche, in der sie tätig sind, oder eine besondere
Ressourcenausstattung, sondern auf das Geschäftsmodell der Unternehmen zurück.
Hat die Praxis mit ihrem intuitiven Enthusiasmus für Geschäftsmodelle recht? Kann das
Geschäftsmodell einen Beitrag zur Erklärung des heterogenen Wachstums- und
Ertragsniveaus von Unternehmen leisten?
Angeregt durch die große Beliebtheit dieses Konzepts in der Praxis wurde auch das
Interesse der Wissenschaft dafür geweckt und erste Anläufe wurden unternommen, eine
fundierte Antwort auf die folgende Frage zu finden: Does Business Modelling really
matter? Erste empirische Untersuchungen belegen, dass das Geschäftsmodell tatsächlich
von Bedeutung ist. Lai, Weill und Malone (2006) konnten anhand der COMPUSTAT-
Daten der Jahre 1998 bis 2002 zeigen, dass der Faktor Geschäftsmodell sogar einen
größeren Beitrag zur Erklärung des Unternehmenserfolgs liefert als die Zugehörigkeit zu
einer bestimmten Branche. 222 vgl. Prahalad, C. K. und Ramaswamy, V. (2000), S. 80. 223 vgl. Normann, R. (2001) 224 vgl. Stähler, P. (2001) 225 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), Stähler, P. (2001)
62 Grundlagen strategischer Managementforschung
Eine weiterführende Studie von Amit und Zott (2004) kommt im Zuge der Untersuchung
eines Sample von 190 jungen, wachstumsorientierten Unternehmen zum Ergebnis, dass
Unterschiede im Design (Innovations- vs. Effizienzorientierung) eines Geschäftsmodells
Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg haben. Indem sie das Geschäftsmodell zur
zentralen Analyseeinheit ihrer Untersuchung machen, kommen sie zum Schluss, dass
gerade innovative (novelty-centered) Geschäftsmodelle von Interesse sind, da sie eine
höhere Erfolgsrate als effizienzorientierte Modelle aufweisen. Außerdem weisen
komplexe Designs abnehmende Skalenerträge auf; d. h. Geschäftsmodelle, die sich
gleichzeitig auf Innovation und Effizienz fokussieren, schneiden schlechter ab, wenn sich
das Unternehmen nur auf eine Dimension konzentriert. Schlussendlich sind die
empirischen Ergebnisse im Zeitablauf erstaunlich stabil und unterstützen die Hypothese,
dass die Geschäftsmodellinnovation einen positiven Einfluss auf den wirtschaftlichen
Erfolg von Unternehmen hat.226
Amit und Zott (2004) gehen jedoch noch weiter: Indem sie die aktive Gestaltung des
Geschäftsmodells zu einer unternehmerischen Aufgabe machen, laden Amit und Zott
(2004) zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem Geschäftsmodell ein. Damit
untermauern sie eine der Grundannahmen dieser Arbeit, nämlich die, dass die
Geschäftsmodellinnovation eine neue Möglichkeit zur Erlangung nachhaltiger
Wettbewerbsvorteile ist.
Diese ersten empirischen Studien belegen, dass das Geschäftsmodell nicht nur als
Analyseeinheit zur Beschreibung wertschöpfender Tätigkeit, sondern auch als neues
Erklärungsmodell wirtschaftlichen Unternehmenserfolgs von Relevanz ist. Gleichzeitig
erlaubt diese Betrachtungsweise, die Geschäftsmodellinnovation als wichtigen Teil des
unternehmerischen Managementprozesses und als Beitrag zur Wertgenerierung von
Unternehmen zu verstehen.
Für den Rest der Arbeit stellt das Geschäftsmodell daher die grundlegende Analyseeinheit
unternehmerischen Erfolgs dar. Warum Unternehmen besonders erfolgreich sind oder
trotz vorhandener Marktchancen, neuartiger Geschäftsideen und adäquater Ausstattung
mit Ressourcen und talentierter Mitarbeiter scheitern, wird folglich auf ihr
Geschäftsmodell zurückgeführt. 227
226 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2004), S. 27f. 227 vgl. Morris, M., et al. (2005), S. 726.
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 63
7 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Perioden großer wirtschaftlicher Umwälzungen werden in der Literatur häufig mit
technischen Innovationen und der Veränderung von Branchen und Märkten in
Verbindung gebracht.228
Die 1990er-Jahre sind eine solche Periode großer technologischer Innovationen und
kultureller Veränderungen – eine Ära ‟of eventful history”229, die eine neue
Wirtschaftsrealität und den Übergang von der industriellen zur postindustriellen Ära, zu
der „digitalen Ökonomie“ markiert.230 Der Ausdruck „Geschäftsmodell“ ist eines der
Modewörter dieser Epoche. Andere Schlagwörter dieser Ära sind „Start-up“, „Venture
Capital“, „E-Business“, „Innovation“, „Geschwindigkeit“ und „Veränderung“.
Eine erste Blütezeit erlebte die Geschäftsmodelldiskussion Ende der 1990er-Jahre vor
dem Hintergrund des rasanten Wachstums des Internets und der Zunahme des E-
Commerce.231 Doch während der Ausdruck in der Praxis bereits weitverbreitet war,
entwickelte sich das Interesse der Wissenschaft an Geschäftsmodellen, von einigen
wegweisenden Arbeiten im Bereich der E-Business-Forschung232 abgesehen, nur langsam
und zwiespältig.233
“Business model is rich with connotation for practitioners such as
entrepreneurs, technologists, lawyers, and venture capitalists, though it is often
contested by researchers.”234
Zwar hatten die Popularität und der inflationäre Gebrauch des Ausdrucks in der Praxis die
Aufmerksamkeit der Forschung auf das Phänomen gelenkt,235 doch befasste sich die
Forschung anfangs in erster Linie mit Fragen des E-Business und den Besonderheiten
elektronischer Märkte. Entsprechend ist die Literatur zu Internetgeschäftsmodellen236, die
228 vgl. Schumpeter, J. A. (1942), Utterback, J. M. (1996) 229 vgl. Sewell, W. H. J. (1996) 230 vgl. Feng, H., et al. (2001) 231 vgl. Ghaziani, A. und Ventresca, M. J. (2005) 232 vgl. Ehiraj, S., et al. (2000), Amit, R. und Zott, C. (2001), Applegate, L. M. (2001), Gordijn, J., et al.
(2001), Marx, K., et al. (2003) 233 vgl. Shafer, S. M., et al. (2005) 234 vgl. Feng, H., et al. (2001), Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002), Ghaziani, A. und Ventresca,
M. J. (2005) 235 vgl. Ghaziani, A. und Ventresca, M. J. (2005), S. 531. 236 vgl. Afuah, A. und Tucci, C. (2001)
64 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
auch als “e-business models”237, “business models on the web”238, “business models in
electronic commerce”239 oder “business models for electronic markets”240 bezeichnet
wurden, in diesen Jahren stark angewachsen.241 Unabhängig von den verwendeten
Bezeichnungen haben diese Beiträge das frühe Verständnis von Geschäftsmodellen
wesentlich geprägt und die Diskussion für einige Jahre dominiert.
0
200
400
600
800
1000
1200
1400
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
Abbildung 10: Anzahl der �ennungen des Begriffs „Geschäftsmodell“242
Dabei standen finanzielle Aspekte wie die Finanzierung und Bewertung von Start-ups im
Vordergrund.243 Geschäftsmodelle dienen dazu, in vereinfachter Form die Strategie und
den Businessplan eines Unternehmens darzustellen, um potenziellen Investoren die
Sinnhaftigkeit eines Engagements zu verdeutlichen.244 Diese Entwicklung war durchaus
kritisch zu sehen, da die Beschreibung einer innovativen Geschäftsidee und ein
optimistischer Businessplan vielfach ausreichten245, um Investoren zu gewinnen. Die
237 vgl. Gordijn, J., et al. (2001), Weill, P. und Vitale, M. R. (2001), Osterwalder, A. und Pigneur, Y. (2002) 238 vgl. Rappa, P. (1998) 239 vgl. Mahadevan, B. (2000) 240 vgl. Timmers, P. (1998) 241 vgl. Abbildung 10 242 Eigene Darstellung. Die Grafik wurde anhand der Anzahl der Nennungen des Begriffs
„Geschäftsmodell“ bzw. „Business Model“ in der wissenschaftlichen Datenbank „wiso-net“
erstellt. Ghaziani, A. und Ventresca, M. J. (2005) kommen für den Zeitraum 1990-2000 zu einem
ähnlichen Ergebnis. 243 vgl. Zu Knyphausen-Aufseß, D. und Dowling, M. (2001) 244 vgl. Afuah, A. (2004), S. 238. 245 Obwohl es sich bei Geschäftsmodell und Business-Plan um zwei grundlegend verschiedene Konzepte
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 65
Frage, wie mit dieser Geschäftsidee dann eigentliches Geld zu verdienen ist, wurde
hingegen teilweise ausgeblendet bzw. beruhte auf zu optimistischen Annahmen. Was
zählte, war die Chance, bei einem späteren Exit auf dem Kapitalmarkt Kasse zu machen.
Doch dem raschen Aufstieg folgte der tiefe Fall und das Interesse an Geschäftsmodellen
teilte das Schicksal seiner Proponenten246: der Internet-Start-ups. Vielfach wurde das
Scheitern von Internet-Start-ups sogar auf die mangelnde Eindeutigkeit ihres
Geschäftsmodells zurückgeführt und das Konzept für seine mangelnde konzeptionelle und
definitorische Klarheit kritisiert.247
“They rarely give a precise definition of what they exactly mean by using it.”248
Sowohl der unreflektierte Gebrauch des Worts „Geschäftsmodell“ als auch das Fehlen
eines klaren Begriffsverständnisses wurden kritisiert.249 Obwohl es sehr modern war, über
Geschäftsmodelle zu diskutieren, war vielen Praktikern unklar, was sich dahinter
eigentlich verbirgt und wie die Konzepte nutzenstiftend eingesetzt werden können.
“Few people can state clearly what a business model is.”250
Der missverständliche und inflationäre Gebrauch des Schlagworts drohte, die
Glaubwürdigkeit des Konzepts zu untergraben. Dabei würde nach Magretta (2002) gerade
die richtige Anwendung des Konzepts Manager zum rigorosen Nachdenken über ihr
eigenes Geschäft zwingen. Überdies wurde die empirische Anwendbarkeit des Konzepts
als unklar, oberflächlich und theoretisch schwach fundiert kritisiert.
“Most often, it seems to refer to a loose conception of how a company does
business and generates revenue. Yet simply having a business model is an
exceedingly low bar to set for building a company. Generating revenue is a far
cry from creating economic value, and no business model can be evaluated
independently of industry structure.”251
handelt, die allenfalls komplementär erachtet werden können, werden die Begriffe in der Praxis oft
verwechselt und fälschlicherweise gleichgesetzt. Alt, R. und Zimmermann, H. D. (2001). 246 Als Proponent wird in Österreich im weiteren Sinn ein Mensch oder ein Zustand bezeichnet, von dem
etwas ausgeht. 247 vgl. Porter, M. E. (2001), S. 73. 248 vgl. Shafer, S. M., et al. (2005) 249 vgl. Alt, R. und Zimmermann, H. D. (2001), Amit, R. und Zott, C. (2001), Morris, M., et al. (2005) 250 vgl. Magretta, J. (2002), Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2005) 251 vgl. Porter, M. E. (2001), S. 73.
66 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
In einem einflussreichen Artikel ging Porter (2001) so weit, das Geschäftsmodell
aufgrund seiner Unschärfe (Fuzziness) als “an invitation for faulty thinking and self-
delusion” zu definieren.252
Infolge des Scheiterns vieler Start-ups wuchs die Skepsis, ob das Geschäftsmodell ein
sinnvolles Instrument zur Beschreibung nachhaltigen Unternehmenserfolgs darstellte.
Ob dieser Kritik stellt sich die Frage: Ist das Geschäftsmodell ein geeignetes Werkzeug,
um rationale Investitionsentscheidungen zu unterstützen? Oder ist es nur ein Ritual, das
bestenfalls eine symbolische Funktion erfüllt, aber keine echte ökonomische Bedeutung
hat? Welchem Zweck dient ein Geschäftsmodell? Dient es überhaupt irgendeinem
Zweck?
Diese und ähnliche Fragen hinsichtlich des Nutzens, der Bedeutung und einer
vernünftigen Erklärung von Geschäftsmodellen wurden in der Managementliteratur
verstärkt gestellt.253
Obgleich das Interesse der Wissenschaft am Managementinstrument Geschäftsmodell
infolge des geplatzten Start-up-Hypes und seiner Nachwehen etwas abnahm, verlor es in
der Praxis keineswegs an Einfluss. Vielmehr nahm seine Bedeutung in der täglichen
Praxis, gerade in Technologieunternehmen, weiter zu,254 wo das Geschäftsmodell von
Managern, Investoren und Unternehmern als fixer Bestandteil wirtschaftlicher Betätigung
und als “intelligent collective devices in contexts of uncertainty” verstanden wird.255
Bedenkt man den Wert, den die Beschäftigung mit dem eigenen Geschäftsmodell für
Manager und Unternehmer bietet, verwundert es umso mehr, dass die akademische
Forschung, von einigen Ausnahmen abgesehen, diesem Thema lange Zeit wenig
Aufmerksamkeit gewidmet hat.
252 vgl. Ibid. 253 vgl. Magretta, J. (2002), Doganova, L. und Eyquem-Renault, M. (2009) 254 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002) 255 vgl. Doganova, L. und Eyquem-Renault, M. (2009)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 67
Autor(en) Definition
Timmers (1998) (1) An architecture for the product, service and information flows, including a
description of the various business actors and their roles; and (2) a description
of the potential benefits for the various business actors; and (3) a description
of the sources of revenues.
Rappa (1998) A business model is the method of doing business by which a company can
sustain itself – that is, generate revenue. The business model spells-out how a
company makes money by specifying where it is positioned in the value chain.
Amit und Zott (2001) A business model depicts the content, structure and governance of transactions
designed so as to create value through the exploitation of business
opportunities.
Lindner und Cantrell
(2001)
A business model, strictly speaking, is the organization’s core logic for
creating value.
Stähler (2001) Ein Geschäftsmodell ist eine modellhafte Beschreibung eines Geschäftes.
Weill und Vitale (2001) A [business model is the] description of the roles and relationships among a
firm’s consumers, customers, allies, and suppliers that identifies the major
flows of product, information, and money, and the major benefits to
participants.
Magretta (2002) Business models [...] are, at heart, stories – stories that explain how enterprises
work.
Bieger, Birkhoff et. al.
(2002)
Eine vereinfachte Beschreibung der Strategie eines gewinnorientierten
Unternehmens [...], die sich dazu eignet, potenziellen Investoren die
Sinnhaftigkeit ihres Engagements deutlich zu machen.
Bieger, Rüegg-Stürm et.
al. (2002)
Es ist die Darstellung der Art und Weise, wie ein Unternehmen, ein
Unternehmenssystem oder eine Branche am Markt Werte schafft.
Afuah (2004) A business model is the set of which activities a firm performs, how it
performs them, and when it performs them as it uses its resources to perform
activities, given its industry, to create superior customer value (low-cost or
differentiated products) and put itself in a position to appropriate the value.
Tabelle 7: Ausgewählte Geschäftsmodelldefinitionen
Obwohl die wissenschaftliche Literatur zum Thema Geschäftsmodell in den letzten Jahren
kontinuierlich gewachsen ist, kann auf diese Frage weiterhin keine eindeutige Antwort
gegeben werden. Stattdessen wurden im Zuge der Literaturanalyse von über 50
68 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
wissenschaftlichen Artikeln, die sich im Zeitraum von 1992 – 2005 mit diesem Konzept
beschäftigt haben, nicht weniger als 23 verschiedene Definitionen gefunden.256 Tabelle 7
bietet dazu eine kurze Synopse möglicher Definitionen an. Es mangelt also nicht an
unterschiedlichsten Auslegungen des Geschäftsmodellbegriffs, sondern an einer klaren,
theoretisch fundierten Definition.
Dieser offenkundigste Mangel an Klarheit hinsichtlich der Definition von
Geschäftsmodellen ist somit keineswegs der Praxis anzulasten, sondern spiegelt sich auch
in der wissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre wider.
Ein Grund dafür mag sein, dass Wissenschaft und Praxis den Fokus auf unterschiedliche
Aspekte des Geschäftsmodells richten.257 Zu den wesentlichsten Themen zählten dabei
die Konfiguration der Wertkette (value chain configuration)258, die Innovation259,
Erlösmodelle260, Ressourcen und Fähigkeiten261, Netzwerke262 und Transaktionskosten.263
“Each of these represents a local, subcultural interpretation of the global
category of business model.”264
Die Debatte um die „richtige” Definition von Geschäftsmodellen nahm in den 1990er-
Jahren drastisch zu. Dennoch hat sich bisher kein klares und unmissverständliches
Begriffsverständnis herausgebildet, denn die wissenschaftlichen Arbeiten zum
Themenkomplex sind sehr heterogen.265
256 vgl. Einen guten Überblick über die verschiedenen Definitionen und Auslegungen des Geschäftsmodell-
Begriffes finden sich auch bei Hayes, J. und Finnegan, P. (2005), Morris, M., et al. (2005), Shafer,
S. M., et al. (2005) 257 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002) 258 vgl. Timmers, P. (1998), Amit, R. und Zott, C. (2001) 259 vgl. Patel, J. (1999) 260 vgl. Emigh, J. (1999), Green, H. (1999) 261 vgl. Barney, J. B. (1991), Amit, R. und Schoemaker, P. (1993) 262 vgl. Evans, P. und Wurster, T. (1999), Mayo, M. C. und Brown, G. S. (1999) 263 vgl. Dyer, J. H. (1997) 264 vgl. Ghaziani, A. und Ventresca, M. J. (2005) 265 vgl. Tabelle 10
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 69
Autor(en) Konstituierende Elemente
Forge (1993) Core Business Process, Value Chain, Culture, Mental Models,
Corporate Structure, Management Style
Viscio und Pasternack (1996) Global Core, Business Units, Services, Governance, Linkages
Slywotzky (1997) Grundannahmen, Kundenauswahl, Geschäftsumfang, Differenzierung,
Gewinnerzielung, Einkauf, Herstellungsprozess, Kapitalintensität,
F&E-Produktentwicklung, Organisationsstruktur, Vermarktung
Hamel (2000) Core Strategy, Strategic Resources, Customer Interface, Value
Network
Linder und Cantrell (2000) Pricing Model, Revenue Model, Channel Model, Commerce Process
Model, Internet-enabled Commerce Relationship, Organizational
Form, Value Proposition
Mahadevan (2000) Value Stream, Revenue Stream, Logistical Stream
Afuah und Tucci (2001) Customer Value, Scope, Pricing, Revenue Source, Connected
Activities, Implementation, Capabilities, Sustainability
Alt und Zimmermann (2001) Mission, Structure, Process, Revenues, Legal Issues, Technology
Amit und Zott (2001) Transaction Content, Transaction Structure, Transaction Governance
Gordijn, Akkermans et al. (2001) Actor, Value Object, Value Offering, Value Interface, Value
Exchange, Market Segment
Weill und Vitale (2001) Consumers, Customers, Allies, Suppliers, Flow of Product,
Information and Money
Chesbrough und Rosenbloom
(2002)
Value Proposition, Market Segment, Value Chain, Cost Structure and
Profit Potential
Hedman und Kalling (2003) Customers, Competitors, Offering, Activities and Organisation,
Resources, Supply, Longitudinal Process Components
Müller-Stewens und Lechner
(2005)
Leistungsangebotsmodell, Erlösmodell, Leistungserstellungsmodell,
Vermarktungsmodell
Yip (2004) Value Proposition, Nature of Inputs, How to Transform Inputs, Nature
of Outputs, Vertical Scope, Horizontal Scope, Geographic Scope,
Nature of Customers, How to Organise
Morris, Schindehutte et al. (2005) Offering, Market Factors, Internal Capability Factors, Competitive
Strategy, Economic Factors, Investors Factors
Voelpel, Leipold et al. (2005) Customer Value Proposition, Value Network Configuration,
Sustainable Returns, Satisfaction of Relevant Stakeholders
Shafer, Smith et al. (2005) Strategic Choices, Create Value, Capture Value, Value Network
Tabelle 8: Ausgewählte konstituierende Elemente eines Geschäftsmodells
70 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Gleichzeitig behindern die Mehrdeutigkeit und die mangelnde Klarheit hinsichtlich der
theoretischen Grundlagen bzw. konstituierenden Elemente266 des Konstrukts die
wissenschaftliche Diskussion und die praktische Anwendbarkeit.267
Obwohl sich dieser Missstand bereits seit Anfang der wissenschaftlichen Diskussion wie
ein roter Faden durch die Literatur zieht, existiert bis heute, trotz mehrmaliger Versuche
einer Vereinheitlichung durch Integration und Synthese, keine allgemein anerkannte
Definition des Begriffs. Stattdessen schreibt sich das Rätsel kontinuierlich fort. Es scheint
fast so, als ob der Mangel an Einvernehmen über das Wesen und die Natur von
Geschäftsmodellen bereits ein fester Bestandteil der wissenschaftlichen Diskussion in
diesem jungen, aber umso vielversprechenderen Forschungsfeld ist.
So mag ein weiterer Grund gerade in der Heterogenität der bisherigen wissenschaftlichen
Arbeiten liegen. So kann die vorliegende Literatur sehr unterschiedlichen
Forschungsrichtungen wie dem strategischen Management, Informationsmanagement,
Marketing, E-Business oder Entrepreneurship zugeordnet werden. In Abhängigkeit von
der dabei gewählten Perspektive werden unterschiedliche Schwerpunkte und
Erkenntnisziele formuliert und verfolgt. Je nachdem durch welche Brille das Phänomen
Geschäftsmodell betrachtet wird, ergeben sich unterschiedliche Begriffsdeutungen und
werden spezifische Definitionen angeboten und Forschungsinteressen vorangetrieben.268
Selbst innerhalb einiger durchaus verwandter Disziplinen wie der Entrepreneurship- und
der Organisations- und Managementforschung gehen die Meinungen, was darunter zu
verstehen ist, weit auseinander.269 Zum Beispiel klassifizieren manche Autoren
Geschäftsmodelle anhand der von ihnen durchgeführten Transaktionen (z. B. Franchising,
Leasing etc.), andere wiederum anhand der durch sie angebotenen Leistungen oder
Erlösmodelle.
266 vgl. Tabelle 8 267 vgl. Alt, R. und Zimmermann, H. D. (2001), Amit, R. und Zott, C. (2001), Morris, M., et al. (2005) 268 vgl. Shafer, S. M., et al. (2005) 269 vgl. Zu Knyphausen-Aufseß, D. und Meinhardt, Y. (2002)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 71
Disziplin Autor(en) Quellen
Forge (1993) Futures Strategie/
Entrepreneurship Viscio und Pasternack (1996) Business&Strategy
Slywotzky (1997) Fachbuch
Evens und Wurster (1997) Fachbuch
Markides (1999) Sloan Management Review
Christensen und Overdorf (2000) Harvard Business Review
Hamel (2000) Fachbuch
Lindner und Cantrell (2000) Outlook
Prahalad und Ramaswamy (2000) Harvard Business Review
Amit und Zott (2001) Strategic Management Journal
Porter (2001) Harvard Business Review
zu Kyphauser-Aufseß und Meinhard
(2002)
Fachbuch
Bieger, Rüegg-Stürm und von Rohr
(2002)
Fachbuch
Chesbrough und Rosenbloom (2002) Industrial and Corporate Change
Füglistaller und Halter (2002) Fachbuch
Leist und Winter (2002) Fachbuch
Magretta (2002) Harvard Business Review
Rentmeister und Klein (2003) Zeitschrift für Betriebswirtschaft
Mitchell und Coles (2004) Journal of Business Strategy
Voelpel, Leibold und Tekie (2004) Journal of Change Management
Yip (2004) Business Strategy Review
Markides und Charitou (2004) Academy of Management Executives
Morris, Schindehutte und Allen
(2005)
Journal of Business Research
Voelpel, Leibold, Tekie und von
Krogh (2005)
European Management Journal
Shafer, Smith und Linder (2005) Business Horizons
Müller-Stewens und Lechner (2005) Fachbuch
Amit und Zott (2008) Strategic Management Journal
72 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Tapscott, Lowi und Ticoll (1998) Fachbuch
Timmers (1998) Electronic Markets
Internet/ E-
Business Rappa (1998) Internet
Tomczak, Schoegel und Birkhofer
(1999)
Conference Paper
Mahadevan (2000) California Management Review
Afuah und Tucci (2001) Fachbuch
Alt und Zimmermann (2001) Electronic Markets
Applegate (2001) Harvard Business Review
Essler und Whitaker (2001) Business Strategy Review
Petrovic, Kittel und Teksten (2001) Conference Paper
Stähler (2001) Dissertation
Weill und Vitale (2001) Fachbuch
Osterwalder und Pigneur (2002) Conference Paper
Deelmann, Loos und Scheer (2003) Fachbuch
Hayes und Finnegan (2003) European Journal of Operational Research
IT-Management Sowa und Zachman (1992) IBM Systems Journal
Otjacques und Oesterle (1996) Electronic Markets
Eriksson und Penker (2000) Fachbuch
Klueber (2000) Conference Paper
Gorgijn, Akkermans und van Vliet
(2001)
IEEE Intelligent Systems
Braun (2002) Fachbuch
Hedman und Kalling (2003) European Journal of Information Systems
Österle und Winter (2003) Fachbuch
Pateli und Giaglis (2005) Journal of Organisational Change Mgt.
Tabelle 9: Ausgewählte Geschäftsmodellliteratur
7.1 Perspektivische Betrachtung
Um die einzelnen Beiträge und Definitionen von Geschäftsmodellen verstehen zu können,
ist es notwendig, die Perspektive des Forschers, sein Fachgebiet und die Zielsetzung der
Arbeit zu berücksichtigen und in die Betrachtung mit einzubeziehen, denn die
Betrachtung von Geschäftsmodellen findet typischerweise von einer bestimmten
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 73
dogmatischen Perspektive aus statt und verschließt sich so einer multidisziplinären,
ganzheitlichen Darstellung.
Die starke Verwurzelung der Beiträge in ihrem jeweiligen Fachgebiet und das sich daraus
ergebende spezifische Forschungsinteresse sind für die perspektivischen Unterschiede in
der Diskussion verantwortlich, denn nur die verschiedenen Mosaiksteine, die sich aus der
perspektivischen Betrachtung der einzelnen Fachrichtungen Informationsmanagement,
Entrepreneurship, Marketing und strategisches Management ergeben, erlauben ein
ausdifferenziertes Gesamtbild. Umso wichtiger ist es, die verschiedenen Sichtweisen und
Pfade zu verstehen, um die Geschäftsmodelldiskussion ganzheitlich erfassen und die
eigene Arbeit einordnen zu können.
Da die Literatur inhaltlich ein sehr breites Feld abdeckt, baut die Diskussion auf einer
Vielzahl von Theorien, Sichtweisen und Annahmen auf. Um die facettenreiche Natur von
Geschäftsmodellen, die nach Amit und Zott (2001) sowohl Aspekte der “value creation
and appropriation” sowie des “design of transactions between a focal firm and external
stakeholders such as partners, vendors, and customers” beleuchten, in ihrer Gesamtheit
einzufangen, ist es notwendig, die Analyseeinheit Geschäftsmodell auf ein breites
theoretisches Fundament zu stellen. Zu den relevanten Theorien zählen der
Wertkettenansatz270 von Porter, Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen
Entwicklung271, die Transaktionskostentheorie272, die Theorie strategischer Netzwerke273
und der ressourcen- bzw. fähigkeitenorientierte Ansatz der Firma.274
Durch die nachstehende Darstellung der wissenschaftlichen Arbeiten aus den Bereichen
des Informationsmanagements, der Entrepreneurship, des Marketings und des
strategischen Managements wird versucht, einen Überblick darüber zu geben, was unter
dem Begriff „Geschäftsmodell“ verstanden wird. Dazu ist eine multiperspektivische und
multidisziplinäre Betrachtung der Literatur nötig.
7.1.1 Sicht des Informationsmanagements
Der gedankliche Ursprung der Geschäftsmodelldiskussion ist im Bereich des Business
Engineering, des Managements von Informationssystemen und im erweiterten Sinne der
270 vgl. Porter, M. E. (1980a) 271 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 272 vgl. Williamson, O. E. (1975) 273 vgl. Gulati, R., et al. (2000) 274 vgl. Wernerfeld, B. (1984), Barney, J. B. (1991), Peteraf, M. A. (1993)
74 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Organisationstheorie zu suchen.275 Im Mittelpunkt des Interesses steht die Modellierung
von Informationssystemen, die dazu dient, Entitäten, Geschäftsregeln und
Informationsflüsse im Unternehmen in abstrakter Form darzustellen.276 Das
Geschäftsmodell hilft dabei, die operativen Geschäftsprozesse zu beschreiben, in ein
abstraktes Modell zu überführen und im Informationssystem abzubilden, denn durch den
Einsatz von Informationstechnologie finden viele ökonomische Transaktionen heute
elektronisch statt.277
Im Gegensatz zu anderen Forschungsfeldern wie zum Beispiel dem strategischen
Management, das sich ebenfalls mit der Gestaltung wirtschaftlicher
Austauschbeziehungen zwischen Wirtschaftssubjekten befasst, wird hier lediglich auf die
operative elektronische Abwicklung von Transaktionen abgestellt. Zwar kann die
elektronische Durchführung der Transaktionen zu mehr Effizienz und damit indirekt auch
zu Nutzen für die am Austausch beteiligten Partner beitragen, stellt aber nicht das
Hauptziel dar. Stattdessen stehen die Optimierung der Informations- und Warenflüsse
sowie die Modellierung von Systemen der elektronischen Datenverarbeitung im
Vordergrund.
7.1.2 Sicht der Entrepreneurship
Im Bereich der Entrepreneurshipforschung hat die Beschäftigung mit Geschäftsmodellen
eine lange Tradition. Bereits vor dem Internethype kam es im Zusammenhang mit
Geschäftsplänen für Risikokapitalgeber oder anderen Kapitalgebern wie
Kreditunternehmen zur Anwendung, denn bei der Vergabe von Risikokapital wird von
Jungunternehmern verlangt, dass sie das eigene Geschäft in wenigen Worten skizzieren
und erklären können und wie sie damit Geld verdienen. Dies dient dazu, das Risiko für
Geldgeber vorab einschätzen zu können. Diese Geschäftskonzepte oder Businesspläne
werden gerne auch als Geschäftsmodelle bezeichnet, wobei es sich dabei um eine
vereinfachte und systematische Übersicht über die Geschäftstätigkeit von Unternehmen
handelt. Während dieser Zeit sind nur vereinzelte Publikationen auszumachen, denn das
wissenschaftliche Interesse daran hielt sich noch in Grenzen.
Das Hauptaugenmerk liegt aus Sicht der Entrepreneurship auf Fragen der Identifikation
und Nutzung von Geschäftschancen, der Realisierung neuer Geschäftsideen und der
Frage, wie Unternehmen damit Wert schaffen bzw. Geld verdienen.278
275 vgl. Schoegel, K. (2001) 276 vgl. Otjacques, B. und Österle, H. (1996), Österle, H. und Winter, R. (2003) 277 vgl. Sowa, J. F. und Zachman, J. A. (1992) 278 vgl. Amit, R., et al. (1993)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 75
7.1.3 Sicht des Marketings
Eine ebenfalls strategische, jedoch in höherem Maß marktorientierte Sicht nimmt die
Diskussion von Geschäftsmodellen im Bereich des Marketings ein. Die wesentliche Rolle
spielt hier der Kunde respektive die Generierung von Kundennutzen. Das
Geschäftsmodell wird als Rahmen zur umfassenden und innovativen Gestaltung des
Leistungs- und Kundensystems gesehen.279 Es dient der Darstellung, auf welche Art und
Weise ein Unternehmen, ein Unternehmenssystem oder ein Markt Wert generiert.280
Neben dem starken Kundenfokus sind Fragen wie diese relevant: Wie werden Erlöse
erzielt? Welches Wachstumskonzept wird verfolgt?
Timmers (1998) bezieht solche Fragen in seine Beschreibung von Geschäftsmodellen mit
ein. Für ihn sind Geschäftsmodelle
“(1) an architecture for the product, service and information flows, including a
description of the various business actors and their roles; and (2) a description of the
potential benefits for the various business actors; and (3) a description of the sources of
revenues.”281
Timmers orientiert sich zwar am Wertkettenansatz nach Porter bzw. dessen Erweiterung
zum Value System, ergänzt ihn jedoch um die Dimensionen Kundennutzen und
Erlösquellen. Gleichzeitig grenzt er das Geschäftsmodell klar von der
Wettbewerbsstrategie eines Unternehmens ab, denn für Timmers gibt das
Geschäftsmodell keinen Hinweis darauf, wie der Geschäftszweck eines Unternehmens
realisiert wird, wie es im Wettbewerb agiert und es Geld verdient. Er verweist hier auch
auf die Marketingstrategie der Firma, um die kommerzielle Sinnhaftigkeit einschätzen
und folgende Fragen beantworten zu können: Wie werden Wettbewerbsvorteile erreicht?
Wie ist die Positionierung? Was ist der Marketingmix? Welche Produkt-Markt-Strategie
wird verfolgt? Um diese Fragen zu beantworten, ist es sinnvoll, neben dem
Geschäftsmodell auch ein Marketingmodell oder Erlösmodell (Revenue Model)
festzulegen.282
279 vgl. Bieger, T. und Belz, C. (2004) 280 vgl. Bieger, T., et al. (2002) 281 vgl. Timmers, P. (1998), S. 4. 282 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), die ebenfalls klar zwischen dem Geschäftsmodell und der Strategie
unterscheiden.
76 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
7.1.4 Sicht des strategischen Managements
Das rasante Wachstum der E-Business-Geschäftsmodelle und die neuen technologischen
Möglichkeiten haben auch bei traditionellen Unternehmen das Interesse an der
Neuausrichtung bestehender und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle geweckt bzw.
sie teilweise dazu gezwungen. Einige der Ursachen wurden bereits im vorhergehenden
Abschnitt aufgezeigt.
Gleichzeitig schließt die Diskussion an traditionelle Inhalte im Feld des strategischen
Managements wie an die Wettbewerbsfähigkeit sowie das Erlangen von nachhaltigen
Wettbewerbsvorteilen auf Märkten und auf Ebene einzelner Unternehmen an. Relevante
Fragen betreffen dabei die Positionierung im Wettbewerb und die Organisation der
wertschöpfenden Aktivitäten von Unternehmen, denn um im zunehmend schärferen
Wettbewerb zu bestehen, gilt es, erfolgreiche Wettbewerbspositionen zu erlangen und die
Wertschöpfung im Unternehmen an die Wettbewerbsstrategie des Unternehmens
anzupassen.
Neben den Gefahren sich verändernder Märkte ergeben sich daraus auch neue Chancen.
Der rasante technologische Fortschritt eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten und
Organisationsformen. Die Analyse der eigenen wertschöpfenden Tätigkeit tritt in den
Vordergrund. Durch die Dekonstruktion traditioneller Wertketten und die Auslagerung
von Aktivitäten vernetzen sich die Unternehmen.283 An die Stelle der traditionellen
integrierten Strukturen der unternehmerischen Wertschöpfung treten vertikal und
horizontal integrierte Organisationsformen wie strategische Netzwerke284, strategische
Allianzen und virtuelle Unternehmen. Ihrer spezifischen Konfiguration nach unterscheidet
Heuskel (1999) dabei verschiedene Typen von Wertschöpfungsmodellen wie Layer-
Players, Market-Makers, Orchestrators und Integrators.
Doch der mit der zunehmenden Vernetzung einhergehende Anstieg der Komplexität, die
Vielzahl möglicher Konfigurationen und Designs bzw. deren Realisierung, stellen das
Management von Unternehmen vor eine überaus komplexe Aufgabe. Traditionelle
Analyseeinheiten285 wie Märkte und Unternehmen eigenen sich nicht mehr, um diese
neuartigen Formen der Wertschöpfung zu untersuchen. Stattdessen wird das
Geschäftsmodell als neue Brille zur Betrachtung dieser vernetzten Strukturen angeboten.
283 vgl. Blankart, C. und Knieps, G. (1992), Maas, P. (2000) 284 vgl. Sydow, J. (1992), Gulati, R., et al. (2000) 285 vgl. Webster, J. und Watson, R. T. (2002)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 77
7.2 Systematisierung von Geschäftsmodellen
Für den weiteren Gang dieser Arbeit wird diese funktional geprägte Betrachtungsweise
von Geschäftsmodellen verlassen und es wird versucht, stattdessen eine integrative,
ganzheitliche Sichtweise einzunehmen. Es geht nicht darum, die „richtige“ Diskussion zu
finden, sondern die einzelnen Perspektiven in ausgewogener Weise zu berücksichtigen
und zu integrieren.
Um die Arbeit dennoch zu verorten und einem bestimmten Forschungsfeld zuzuordnen,
wird das Phänomen im weiteren Verlauf der Arbeit vorwiegend aus der Perspektive des
strategischen Managements erforscht, gleichzeitig aber der Versuch unternommen, die als
komplementär zu betrachtenden Disziplinen des strategischen Managements und der
Entrepreneurship zu integrieren und das Geschäftsmodell als ein offenes,
multidisziplinäres Forschungsfeld zu sehen.286
Durch die Integration verschiedenster theoretischer Perspektiven287, sowohl der Varianz-
als auch der Prozessforschung288 nach, sollen die Interdependenzen dieser Sichtweisen
beleuchtet werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, was unter der Analyseeinheit
Geschäftsmodell zu verstehen ist und wie sich Unternehmen heute vernetzen,
Transaktions- und Austauschbeziehungen gestalten und für sich und andere Wert
schafft.289
Aufbauend auf der Annahme, dass es sich beim Geschäftsmodell um eine neue
Analyseeinheit handelt, die traditionelle Strategiekonzepte wie die marktorientierte
Perspektive (MbV)290 und die ressourcenorientierte Sichtweise der Firma (RbV)291
integriert und die simultane holistische Sicht nach innen (Wertschöpfungsstrategie) und
außen (Wettbewerbsstrategie) erlaubt292, wird nicht ein bestimmter Aspekt, sondern die
Verknüpfung aller Aspekte wie die Konfiguration der Wertkette (Value Chain
Configuration“)293, die Innovation294, Erlösmodelle295, Ressourcen und Fähigkeiten296,
286 vgl. Hitt, M. A. und Ireland, R. D. (2000) 287 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), Morris, M., et al. (2005) 288 vgl. Webster, J. und Watson, R. T. (2002) 289 vgl. Weill, P. und Vitale, M. R. (2001), Hedman, J. und Kalling, T. (2002) 290 vgl. Bain, J. S. (1962), Porter, M. E. (1981), Porter, M. E. (1985), Porter, M. E. (1987) 291 vgl. Penrose, E. (1959), Wernerfeld, B. (1984), Barney, J. B. (1991), Barney, J. B. (1992), Amit, R. und
Schoemaker, P. (1993), Barney, J. B. (1996) 292 vgl. Pettigrew, A., et al. (2002), S. 17. 293 vgl. Timmers, P. (1998), Amit, R. und Zott, C. (2001) 294 vgl. Patel, J. (1999) 295 vgl. Emigh, J. (1999), Green, H. (1999)
78 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Netzwerke297 und Transaktionskosten298 als relevant erachtet.
Im nachfolgenden Abschnitt wird dem Themenkomplex Geschäftsmodell breiter Raum
gewidmet und nach einer Definition bzw. genaueren Erklärung des Phänomens geforscht.
Wiederkehrende Themen, die im Rahmen der Literaturanalyse identifiziert und als
besonders relevant eingestuft wurden, betreffen (1) das Geschäftsmodell als modellhafte
Beschreibung eines Geschäfts299, (2) wie Unternehmen Geld verdienen300, (3) sich mit
Firmen vernetzen und ihre Transaktionsbeziehung gestalten301, (4) Ressourcen und
Fähigkeiten kombinieren, (5) die Architektur der wertschöpfenden Aktivitäten gestalten302
und (6) für Kunden Mehrwert schaffen.
Abseits der statischen Betrachtung und Beschreibung von Geschäftsmodellen sind gerade
auch dynamische Aspekte von Interesse: (1) wie Geschäftsmodelle entwickelt und
verändert werden, (2) welche Rolle dabei das Management spielt und (3) welche
Barrieren und Hindernisse zu beachten sind. Hier interessiert, wie Organisationen auf die
Veränderungen in ihrem Umfeld reagieren und sich entsprechend den neuen
Gegebenheiten organisieren. Eine solche Problemstellung ergab sich in der letzten
Dekade durch die Entwicklung und Diffusion neuer Technologien wie zum Beispiel des
Internets und dessen Anwendungsfeldern, wobei die Forschung auf diese
Herausforderung mit einer Vielzahl von Artikel zum Themenfeld E-Business-
Geschäftsmodelle reagiert hat.
Im Grunde handelt es sich dabei um Fragestellungen, wie sie Peter Drucker schon früher
gestellt hat:303
� What does the customer value?
� How do we make money?
Fragen wie diese sollte ein Geschäftsmodell Magretta (2002) zufolge erklären können.
Neben dem Inhalt stellen diese Fragen auch auf den Zweck von Geschäftsmodellen ab,
etwa wie ein Unternehmen für die relevanten Anspruchsgruppen, also gerade auch für
296 vgl. Barney, J. B. (1991), Amit, R. und Schoemaker, P. (1993) 297 vgl. Evans, P. und Wurster, T. (1999), Mayo, M. C. und Brown, G. S. (1999) 298 vgl. Dyer, J. H. (1997) 299 vgl. Weill, P. und Vitale, M. R. (2001) 300 vgl. Afuah, A. (2004) 301 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001) 302 vgl. Porter, M. E. (1980a), Heuskel, D. (1999) 303 vgl. Drucker, P. (1985)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 79
Kunden, Wert schafft und damit selbst Geld verdient.304
“What is the underlying economic logic that explains how we can deliver value
to customers at an appropriate price?”305
Andererseits wirft diese Betrachtungsweise wieder neue Fragen auf. Es scheint fast so, als
ob mehr neue Fragen entstehen, als beantwortet werden können: Durch welches Angebot
können die Bedürfnisse der Kunden befriedigt werden? Wie wird Geld verdient? Ist das
Geschäftsmodell das Modell dieser inneren Logik eines Geschäfts?
7.3 Überlegungen zum Modellbegriff
Für ein weiteres Herantasten an die Materie Geschäftsmodell bietet es sich an, den Begriff
„Geschäftsmodell“ als Zusammensetzung der Wörter „Geschäft“ und „Modell“ zu
denken306, denn um das Wesen von Geschäftsmodellen besser zu verstehen, ist es
notwendig, den Modell- und Geschäftsbegriff genauer zu durchleuchten.
Das deutsche Wort „Modell“ geht auf das griechische Wort „metron“ (Maßstab, Maß)
und das lateinische Wort „modus“ oder dessen Verkleinerungsform „modulus“ (Muster,
Vorlage) zurück. Seiner heutigen Bedeutung in der deutschen Sprache nach ist ein Modell
eine Abbildung307, ein Muster oder ein Vorbild308, das ein vereinfachtes Bild der
Wirklichkeit zeigt. In diesem Zusammenhang wird auch von einem Modellsystem
gesprochen, das ein Realsystem repräsentiert.309 Neben Modellen, die reale Gegenstände
vergrößern, verkleinern oder in natürlicher Größe wiedergeben, können Modelle auch rein
gedankliche Konstruktionen darstellen.
Unter diese allgemeine Erklärung des Modellbegriffs fallen daher nicht nur explizite,
sondern auch implizite Modelle. Implizite Modelle, auch mentale Modelle genannt, sind
gedankliche Konstruktionen von Individuen, die durch ihre subjektive
Wahrnehmungsleistung der Realität Bilder im Kopf erschaffen, die nur in der Sphäre ihrer
Gedanken existieren. Erst wenn diese gedanklichen Konstruktionen verbal, formal oder in
304 Amit und Zott (2001) steht zum Beispiel auf den gesamten, für alle Transaktionspartner und
Anspruchsgruppen geschaffenen Wert ab, der unter den verschiedenen Anspruchsgruppen verteilt
wird. 305 vgl. Magretta, J. (2002), S. 87. 306 vgl. Meinhardt, Y. (2002) 307 vgl. Klaus, G. (1963) 308 vgl. Kluge, F. (2002) 309 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 53.
80 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Form realer Objekte Dritten zugänglich gemacht werden, werden aus impliziten explizite
Modelle.310
Diese Betrachtung von Modellen fußt auf der konstruktivistischen Annahme, dass
Wahrnehmung ein Prozess der Wirklichkeitskonstruktion ist. Die Art und Weise, wie
Individuen die Realität wahrnehmen und interpretieren, werden durch ihre kognitive
Landkarte, d. h. ihre subjektiven Denkstrukturen, Erfahrungen und Erwartungen,
beeinflusst.311 Da die Interpretation der Wirklichkeit anhand der kognitiven Landkarte
eine gedankliche Konstruktionsleistung bzw. einen Prozess subjektiver und daher
individueller Wahrnehmung darstellt, ist es unwahrscheinlich, dass zwei Beobachter
unabhängig voneinander zum gleichen Betrachtungsgegenstand dasselbe Bild bzw.
Modell konstruieren. Stattdessen ist es vielmehr so, dass „sich ebenso viele, stets
subjektiv ,richtige‘ Interpretationen der Realität finden lassen, wie Akteure an der Suche
danach beteiligt sind“.312
Daraus folgt, dass die Abbildung der Realität in einem Modell in zweifacher Weise mit
Unschärfe behaftet ist: sowohl subjektiv durch die individuelle Wahrnehmungs- und
Interpretationsleistung als auch situativ, je nachdem welche Aspekte der gedanklichen
Konstruktion explizit gemacht und Dritten kommuniziert werden. Um anhand eines
expliziten Modells ein Realsystem zu begreifen, ist es daher unerlässlich, ebenfalls den
mit dem Modell verfolgten Sinn und Zweck, d. h. die Intention des Modellbauers, zu
verstehen.
7.3.1 Erkenntnisse der allgemeinen Modelltheorie
Im Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften liegt der Sinn und Zweck von
Modellen in erster Linie in der Vereinfachung komplexer Zusammenhänge, indem sie
eine Komplexitätsreduktion vornehmen, um die objektive Welt abzubilden. Modelle
sollen dabei helfen, mit Komplexität umzugehen und sie bewältigen zu können.
Vereinfacht ausgedrückt ist ein Geschäftsmodell daher ebenfalls ein Instrument zur
Komplexitätsbewältigung.
Die Komplexitätsreduktion wird mittels Abstraktion, d. h. einer Reduktion oder
Verallgemeinerung, vorgenommen. Das Modell zeichnet sich aber nicht nur durch
Abstraktion, sondern auch durch die bewusste Vernachlässigung bestimmter Merkmale
aus, um die für den Modellierer oder den Modellierungszweck wesentlichen
310 vgl. Zelewski, S. (2000) 311 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 570. 312 vgl. Schoegel, K. (2001), S. 19.
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 81
Modelleigenschaften hervorzuheben. Trotz solcher Vereinfachungen können Modelle im
Rahmen des jeweiligen Anwendungszusammenhangs sehr hilfreich sein, solange die
wesentlichen interessierenden Aspekte der Realität auch im Modell berücksichtigt sind.313
Sie sind immer Hilfskonstruktionen, die versuchen, die Wirklichkeit nach bestimmten
Abbildungsregeln wiederzugeben. Ein Modell wird daher zu einem bestimmten Zweck
für ein Original eingesetzt.
Diese Beschreibung verweist auf drei generische Modellmerkmale, wie sie auch von
Stachowiak (1973) in seinem Werk zur allgemeinen Modelltheorie aufgeführt wurden:
� Abbildungsmerkmal: „Modelle sind stets Modelle von etwas, nämlich
Abbildungen, Repräsentationen natürlicher oder künstlicher Originale [der
Wirklichkeit], die selbst wieder Modelle sein können.“
� Verkürzungsmerkmal: „Modelle erfassen im allgemeinen nicht alle Attribute
des durch sie repräsentierten Originals, sondern nur solche, die den jeweiligen
Modellerschaffern und/oder Modellbenutzern relevant erscheinen.“
� Pragmatisches Merkmal: „Modelle sind ihren Originalen nicht per se eindeutig
zugeordnet. Sie erfüllen ihre Ersetzungsfunktion a) für bestimmte – erkennende
und/oder handelnde, Modelle benutzende – Subjekte, b) innerhalb bestimmter
Zeitintervalle und c) unter Einschränkung auf bestimmte gedankliche oder
tatsächliche Operationen.“
Diese Merkmale finden sich auch in der Definition wissenschaftlicher Modelle als
„vereinfachte Darstellung der Funktion eines Gegenstands oder des Ablaufs eines
Sachverhalts, die eine Untersuchung oder Erforschung erleichtert oder erst möglich
macht“314, wieder. Diese Begriffsbestimmung verweist zugleich auf den Sinn eines
wissenschaftlichen Modells, der darin besteht, dass bestimmte in der Realität vorhandene
komplexe Strukturen auf das Wesentliche, ihre Funktion, reduziert und erst dadurch
verständlich und für den menschlichen Erkenntnisprozess nutzbar gemacht werden.
Je nachdem welche Funktion das Modell erfüllen soll, lassen sich daher unterschiedlich
ausgeprägte Arten von Modellen unterscheiden.
313 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 53f. 314 vgl. Dudenredaktion (2007)
82 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Zunehmende «Breite»(Umfang des abgebildeten Bereiches)
Zun
ehm
ende
«T
iefe
»(S
pezi
alis
ieru
ng, S
pezi
fitä
t)
Zunehmende«Schärfe»(Präzision)
Rahmenkonzepte«Frameworks»
Mentale Modellei.e.S.
Formale Modelle
Abbildung 11: Ebenen der Modellbildung315
Hinsichtlich ihres Anwendungszusammenhangs und Detailgrads weisen diese
verschiedenen Arten von Modellen einige Unterschiede auf316, weshalb Schwaninger
folgende konkretisierende Abstufung vorschlägt:
� Rahmenkonzepte sollen das Zurechtfinden in einem breiten Themengebiet
unterstützen. Ein Rahmenkonzept gibt Dimensionen und Kategorien vor,
anhand derer eine grobe Übersicht und eine erste Lokalisierung sowie allenfalls
die Strukturierung einer Problemstellung oder Herausforderung vorgenommen
werden können.
� Mentale Modelle sind subjektive gedankliche Konstruktionen, die nur in den
Köpfen von Individuen existieren. Mentale Modelle sind spezifischer und
präziser und bilden jeweils einen Gegenstand geringerer Breite ab. Anhand
eines solchen Modells lassen sich gedanklich auch Vermutungen über
spezifische Wirkungsfaktoren und Kausalzusammenhänge bestimmen und
erörtern. Durch die verbale oder formale Mitteilung der Gedanken bilden sie die
Grundlage für das gemeinsame Verstehen von Sachverhalten.
Diese beiden Arten von Modellen weisen einige interessante Gemeinsamkeiten auf, die
315 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 56. 316 vgl. Abbildung 11
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 83
sie in der Praxis zu wertvollen Werkzeugen machen.
„Mentale Modelle und Rahmenkonzepte sind konzeptionelle und heuristische
Hilfen. Konzeptionell deswegen, weil sie helfen, einen Gegenstand begrifflich zu
erfassen und zu strukturieren. Heuristisch bedeutet, dass sie die Findung einer
Lösung unterstützen können.“317
Entlang dieser beiden charakteristischen Merkmale lassen sich mentale Modelle und
Rahmenkonzepte von der dritten Modellart, den formalen Modellen, abgrenzen.
� Formale Modelle bringen die Realität bzw. einen bestimmten Sachverhalt
daraus in eine stringente, logische, meist auch mathematische Struktur, um sie
algorithmisch lösbar zu machen. Formale Modelle sind überaus spezifisch und
weisen einen hohen Grad an Präzision auf. Zudem ist meist eine Einschränkung
des Modellgeltungsbereichs nötig.
Im Gegensatz zu ersteren beiden Modellarten dienen formale Modelle nicht dazu,
Versuche zur Erfassung von Sachverhalten und Wirkungszusammenhängen zu
unterstützen, sondern zielen vor allem darauf ab, logische Strukturen auszubilden und
formale Aussagen über reale Wirkungszusammenhänge zu treffen. Wichtige
Anwendungsbereiche für formale Modelle finden sich daher zuallererst im Bereich der
Mathematik und der Naturwissenschaften.
Der jeweiligen Funktion nach schildert Stachowiak318, auf welche Weise Modelle
menschliche Erkenntnis unterstützen können: Demonstrationsmodelle dienen der
Veranschaulichung von Zusammenhängen, Experimentalmodelle der Generierung oder
Überprüfung von Hypothesen, theoretische Modelle der Vermittlung von Sachverhalten
und schließlich operative Modelle als Planungs- und Entscheidungshilfe.319
Schwaninger320 kennt dem Zweck und der Funktion nach sechs generische Modelltypen,
wobei er diese in zwei Modellkategorien untergliedert. Einerseits kann der Zweck eines
Modells in der Beschreibung komplexer Sachverhalte der Wirklichkeit liegen, um die
wesentlichen Aspekte des Modells zu erklären und besser verstehen zu können. Modelle
dienen hier als Hilfsmittel, um die Wirklichkeit zu analysieren und auf Basis des besseren
Verständnisses realer Zusammenhänge die Grundlage für gestalterische Entscheidungen
317 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 57. 318 vgl. Stachowiak, H. (1973) 319 vgl. Bailer-Jones, D. M. und Hartmann, S. (1999), S. 855f. 320 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 54f.
84 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
und Handlungen vorzubereiten. Dieser Kategorie sind folgende Modelltypen
zuzurechnen:
� Beschreibungsmodelle stellen dar, was ist. Sie machen den abgebildeten
Gegenstand überschaubar. Sie ordnen und strukturieren.
� Erklärungsmodelle versuchen, zu erklären, warum sich das Realsystem so und
nicht anders verhält. Sie sollen Wirkungszusammenhänge wie zum Beispiel
Kausalitäten, Wechselwirkungen und Abhängigkeiten erfassen und verstehen
helfen.
Das Ziel der zweiten Kategorie von Modellen ist es, die Gestaltung realer Systeme zu
unterstützen. Auf Grundlage der analytischen Vorüberlegungen können
Handlungsoptionen generiert und überprüft werden. So dient die nachstehende Gruppe
von Modelltypen der Ermittlung der besten Entscheidungsalternative.
� Gestaltungsmodelle321 sind Hilfsinstrumente für den Entwurf von
Gestaltungsoptionen und eine vergleichende Beurteilung derselben, vor allem
durch ein Abwägen ihrer Konsequenzen und Implikationen.
� Entscheidungsmodelle unterstützen den Entscheidungsprozess, indem sie
zwischen besser und schlechter geeigneten Variablen unterscheiden helfen.
� Veränderungsmodelle leisten einen wertvollen Beitrag zur Erprobung und
Verbesserung der Optionen und letztlich zu Vorgängen der Veränderung und
Transformation von Organisationen. Kostspielige Versuch-Irrtum-Prozesse
können dadurch vermieden werden.
� Simulationsmodelle ermöglichen die Überprüfung einer Entscheidung, noch
bevor sie in der Praxis umgesetzt wird. Eine beabsichtigte Entscheidung kann
durch ein kostengünstiges Experiment am Modell – im Kopf, in Rollenspielen
oder auf dem Computer – getestet werden.
7.3.2 Implikationen für Geschäftsmodelle
Diesen Überlegungen zum Modellbegriff folgend wird das Geschäftsmodell als ein
Werkzeug zur Komplexitätsreduktion und als konzeptionelle heuristische Hilfe zur
Geschäftsmodellierung verstanden. Aufgrund dieser Eigenschaften dient das
Geschäftsmodell dem Zweck und der Detaillierung nach sowohl als Rahmenkonzept wie
auch als mentales Modell der Realität. Im Wesentlichen stellt es die vereinfachte und
321 Die Begriffe „Gestaltungsmodell“ und „Konzept“ werden im Bezug auf Gestaltungsentwürfe für
Unternehmen respektive für deren Management synonym verwendet; vgl. Ulrich, H. (2001), S.
85ff.
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 85
verkürzte Abbildung der wesentlichen Aspekte dessen dar, was unter dem Begriff
„Geschäft“ zu verstehen ist. Es hilft, einerseits den Gegenstand „Geschäft“ strukturiert zu
beschreiben, zu erklären und zu erfassen und anderseits Entscheidungen und Lösungen
hinsichtlich der Gestaltung des Modellgegenstands zu unterstützen.
Gerade das Merkmal der Komplexitätsreduktion unterstreicht die reale Bedeutung und
Kraft des Geschäftsmodells als Konzept bzw. Gestaltungsmodell für die Praxis. Wie
bereits im einleitenden Kapitel aufgezeigt wurde, ist das heutige Wirtschaftsleben von
besonderer Dynamik und Komplexität gekennzeichnet. Nahezu in allen Bereiche der
Wirtschaft erleben wir fundamentale Umbrüche, zunehmende Vernetzung und
Beschleunigung und sind mit dem Phänomen eines globalen Wettbewerbs konfrontiert.
Umso wichtiger sind Werkzeuge und Orientierungshilfen, die es Unternehmen und ihren
Managern erlauben, sich in dieser Fülle an Komplexität zurechtzufinden, um in weiterer
Folge wirksam zu entscheiden und zu handeln.
Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass der Begriff „Geschäftsmodell“ in der Praxis
just in einer Zeit, die wir heute mit dem Begriff „New Economy“ bezeichnen, besonders
an Bedeutung gewonnen hat – einer Zeit, die von Dynamik und Komplexität geprägt war.
Dadurch haben sich nicht nur die Art und Weise, wie Geschäft betrieben wird, geändert,
sondern parallel dazu sind neue Organisationsformen entstanden, die sich durch eine
starke Vernetzung und ein hohes Maß an Flexibilität auszeichnen. Die klassischen
Internet-Start-ups wie eBay, Amazon und Yahoo! sind die besten Beispiele dafür, dass
sich deren Geschäftstätigkeit mit traditionellen Vorstellungen und Konzepten der
Betriebswirtschaft nur unvollständig beschreiben und erklären lässt. Um diese neuen
Organisationsformen und Geschäftskonzepte zu beschreiben und die sich täglich
ergebenden neuen Herausforderungen eines dynamisierten Wirtschaftslebens zu meistern,
bedarf es heute mehr denn je neuer Werkzeuge und Orientierungshilfen, um diese Firmen
zu lenken, zu gestalten und zu entwickeln, d. h. sie zu managen. Genau dazu können
Modelle im Allgemeinen und Geschäftsmodelle im Besonderen einen maßgeblichen
Beitrag leisten.
Im Sinne eines Rahmenkonzepts kann das Geschäftsmodell dazu dienen, den
interessierenden Sachverhalt, d. h. das Geschäft, anhand ausgewählter Dimensionen und
Kategorien zu strukturieren, um es so besser zugänglich und erklärbarer zu machen. Je
eingehender und vollständiger das Modell die Realität beschreibt, desto klarer sind
Wirkungsbeziehungen und Kausalitäten im Realsystem erkennbar. Die grundlegendste
Funktion eines Geschäftsmodells liegt daher in der geordneten und strukturierten
Abbildung und Beschreibung, um in weiterer gedanklicher Folge eine Hilfestellung zu
leisten, um die komplexen Strukturen der Wirklichkeit einem Betrachter subjektiv
86 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
wahrnehmbar und zugänglich zu machen.
In Erweiterung der zuvor beschriebenen Abbildungsfunktion weist Schwaninger daher
darauf hin, dass
„im Zusammenhang mit Modellen [...] oft nur von Analyse – dem Zergliedern
des zu untersuchenden Gegenstands in seine Teile, gesprochen wird. Einen
Sachverhalt zu verstehen erfordert jedoch primär die Synthese, - das
Verknüpfen und Zusammenfassen der Teile, etwa der Erkenntnisse, die
analytisch gewonnen wurden, zu einem Ganzen.“322
Auf dieser Feststellung aufbauend erfüllt das Geschäftsmodell neben der Funktion der
Vereinfachung, Strukturierung und Abbildung der interessierenden bzw. wesentlichen
Aspekte gleichzeitig auch die Funktion, die einzelnen Teile zu einem sinnvollen Ganzen
integrierbar zu machen, bzw. bietet die Möglichkeit, für Kohärenz zwischen den
Kernelementen des Modellsystems zu sorgen. Hier kommt die Bedeutung von
Geschäftsmodellen im Sinn mentaler Modelle als geistige Konstruktion zum Ausdruck,
die dabei hilft, komplexe Sachverhalte interpretierbar und analysierbar zu machen,
Wirkungszusammenhänge und Kausalitäten aufzuzeigen, zu erklären und das zugrunde
liegende Realsystem anhand des Modellsystems verstehen zu können. Der Wert des
Konzepts scheint nicht allein in der Identifikation einzelner Erfolgsfaktoren zu liegen.
Stattdessen ist es in erster Linie ein konzeptionelles Hilfsinstrument, das Managern dabei
hilft, die richtigen Fragen zu stellen und sich ganzheitlich mit dem eigenen Geschäft und
der Art und Weise, wie man damit Geld verdient, zu beschäftigen.323
Andererseits darf die Kehrseite der mentalen Abbildung von Geschäftsmodellen nicht
übersehen werden. Die subjektive Wahrnehmung der Realität und deren Interpretation
anhand der kognitiven Landkarte des Betrachters führen dazu, dass jeder Akteur im Kopf
sein individuell eigenes Bild eines Geschäftsmodell, d. h. der wesentlichen Aspekte
dessen, was sich hinter dem „Geschäftsbegriff“ verbirgt, konstruiert. Daher existiert für
einen bestimmten Anwendungszusammenhang nicht ein Geschäftsmodell, sondern viele
unterschiedliche Interpretationen oder geistige Bilder, die alle subjektiv und situativ
richtig sein können.
“Actually, the real models are in the minds of people, and what we usually call
‘business models’ some simplified symbolic abstraction expressed in some
322 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 59. 323 vgl. Magretta, J. (2002)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 87
medium. Bearing this in mind, much confusion and time-wasting disputes may
be avoided.”324
Auch Willars weist daher einerseits auf die Gefahr hin, dass mehrere Akteure hinsichtlich
ein und desselben realen Sachverhalts oder Betrachtungsgegenstands infolge individuell
geprägter subjektiver Wahrnehmung und Kontextabhängigkeit unterschiedliche
Repräsentationen der Wirklichkeit in Form divergierender Geschäftsmodelle konstruieren.
Andererseits eröffnen und erleichtern Modelle im Allgemeinen und Geschäftsmodelle im
Speziellen die Möglichkeit, durch verbale Kommunikation oder formale Darlegung die
vereinfachte Abbildung komplexer Realität und die Diskussion hinsichtlich der als
wesentlich erachteten Aspekte eines Realsystems zu erleichtern.
Da die Strukturierungsleistung ein Produkt der subjektiven und situativen Wahrnehmung
der Wirklichkeit durch ein Individuum und der ebenfalls subjektiven Entscheidung
hinsichtlich der wesentlichen interessierenden Aspekte des abzubildenden Sachverhalts
ist, kann es keine allgemeingültige Abbildungsregel für ein Geschäftsmodell geben,
sondern sehr viele unterschiedliche, subjektiv und situativ geprägte Interpretationen
dessen, was als wesentliche Elemente eines Geschäftsmodells wahrgenommen werden.325
Welche Dimensionen letztlich dazu geeignet sind, die wesentlichen Aspekte der
Geschäftstätigkeit zu beschreiben, ist daher eine theoretisch motivierte und fundierte oder
pragmatische Entscheidung. Im Umkehrschluss ist es daher unmöglich, generische
Dimensionen zur Abbildung und Komplexitätsbewältigung vorzugeben, sondern es liegt
in der Verantwortung des Modellbauers, eine zutreffende Darstellungsform zu finden. Je
nach Perspektive der eigenen Wissenschaftsdisziplin und Funktion des Geschäftsmodells
können unterschiedliche Aspekte zur Lösung eines Problems als besonders relevant
erachtet werden bzw. ergeben sich unterschiedliche Dimensionen und Kategorien, die zur
Strukturierung des Sachverhalts herangezogen werden.
Zusammenfassend bieten die Geschäftsmodelle, wenn sie richtig angewendet werden,
daher weniger die Gefahr von Missverständnissen als vielmehr die Chance, nicht nur das
individuelle kognitive Verständnis eines einzelnen Akteurs im Hinblick auf den
Gegenstand des „Geschäfts“ anderen zugänglich zu machen, sondern darüber hinaus dazu
beizutragen, durch aktive Kommunikation und Diskurs zu einer gemeinsamen Sprache
und einer einheitlichen, intersubjektiven Auffassung des Realsystems zu gelangen. Dieses
gemeinsame kognitive Verständnis, auch als gemeinsames mentales Modell326 bezeichnet, 324 vgl. Willars, H. (1999), S. 306. 325 vgl. Schoegel, K. (2001) 326 Zum Begriff der gemeinsamen mentalen Modelle, im engl. shared mental models, vgl. Schwaninger, M.
88 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
ist Ausdruck der kollektiven Vorstellung und Annahme hinsichtlich des Realsystems.
Dieses gemeinsame Vorverständnis bildet die Basis für einen kollektiven Prozess der
Entscheidungsfindung und des Handelns.
Im Sinne eines Gestaltungsmodells erfüllt es gleichzeitig auch die Funktion eines
Managementmodells, das dabei hilft, Handlungsoptionen zu generieren und den Prozess
der Entscheidungsfindung zu unterstützen.
In Anlehnung an Schwaninger (2004) weist ein Geschäftsmodell, als Gestaltungs- und
Managementmodell gedacht, eine Reihe von Vorzügen auf:
1. Ein solches Modell fungiert quasi als Landkarte zur Orientierung, die es erlaubt,
Einzelheiten zum Ganzen in Bezug zu setzen oder Details in ihrem Kontext zu
verstehen.
2. Es hilft, das Denken und das Vorgehen zu strukturieren, wodurch die
Handlungsfähigkeit erhöht wird.
3. In Führungsgremien und ganzen Unternehmungen fördern solche Modelle die
Bildung einer gemeinsamen Sprache und einer gemeinsamen Ausrichtung.
4. Zudem unterstützen sie die Bildung von Prioritäten, d. h. das Unterscheiden von
Wichtigem und weniger Wichtigem.
5. Durch die Bündelung von Aufmerksamkeit und Ressourceneinsatz wird neben
der Handlungsfähigkeit auch die Wirksamkeit von Aktionen verstärkt.
Analog zu anderen Managementmodellen wie zum Beispiel dem St. Galler Management-
Modell327 ist das Geschäftsmodellkonzept als ein mehrdimensionaler Ordnungsrahmen, d.
h. ein heuristisches Schema, zu begreifen, das dabei hilft, interessierende Sachverhalte
und das „Geschäft“ zu strukturieren, dadurch Komplexität zu reduzieren,
Wirkungszusammenhänge zu erkennen und das Realsystem so ganzheitlich zu erfassen
und zu verstehen, um in weiterer Folge wirksam entscheiden und handeln zu können.
Solange sich die wesentlichen Aspekte eines Geschäfts im Modell widerspiegeln, kann
anhand dieses Modells in gestalterischer Weise Einfluss auf die Realität genommen
werden.
Obwohl diese Begriffsdeutung von Modellen bereits einigen Einblick in das Wesen und
die Funktion von Geschäftsmodellen eröffnet hat, ist noch nicht hinlänglich geklärt,
welcher Gegenstand bzw. Sachverhalt hier eigentlich abgebildet wird. Über die
(2004), S. 56.
327 vgl. Ulrich, H. und Krieg, W. (1972), Ulrich, H. (2001), Rüegg-Stürm, J. (2002)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 89
pragmatische Feststellung hinaus, bei einem Geschäftsmodell handle es sich um die
wesentlichen Aspekte dessen, was unter dem Begriff „Geschäft“ zu verstehen ist, bedarf
es für einen weiteren Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Definition von
Geschäftsmodellen einer näheren Spezifikation dessen, was allgemein unter einem
Geschäft zu verstehen ist.
7.4 Überlegungen zum Geschäftsbegriff
Der Brockhaus Wirtschaft (2004) versteht unter Geschäft eine „auf Gewinn abzielende,
kaufmännische Beschäftigung oder Unternehmung“. Als weitere Synonyme werden
kaufmännische Transaktionen und der Abschluss einer mit Geld verbundenen Tätigkeit
genannt. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden unter dem Begriff sowohl der
entgeltliche Austausch von Gütern und Leistungen zwischen Geschäftspartnern als auch
die auf Gewinn abzielende Tätigkeit von Unternehmen subsumiert. Diese Dualität findet
sich auch in der wissenschaftlichen Literatur, in der unter dem Geschäftsbegriff im
weiteren Sinne der entgeltliche Austausch zwischen Wirtschaftssubjekten, d. h. das
Wirtschaften in einer Marktwirtschaft, und im engeren Sinne die kaufmännische, auf
Gewinn abzielende Tätigkeit von Wirtschaftseinheiten, d. h. in aller Regel von
Unternehmen, verstanden wird.
7.4.1 Geschäft als entgeltlicher Austausch unter Wirtschaftssubjekten
Auf Ebene der Gesamtwirtschaft hat ein Geschäft den entgeltlichen Austausch von Gütern
und Leistungen zwischen Wirtschaftssubjekten zum Gegenstand. Die Notwendigkeit zum
entgeltlichen Austausch ergibt sich in der Marktwirtschaft aufgrund der Knappheit der
meisten Güter und Ressourcen, die zur Deckung privaten und öffentlichen Bedarfs
benötigt werden.
Entgeltlicher Austausch in Form von Markttransaktionen hat daher nicht nur die
Übertragung von Verfügungsrechten an Gütern und Leistungen in Austauschbeziehungen
zwischen mindestens zwei Vertragspartnern zum Gegenstand, sondern erfüllt auch eine
Koordinationsfunktion für knappe Güter und Ressourcen, denn nach Auffassung der
Volkswirtschaft ist, um den theoretisch unbegrenzten Bedarf nach Gütern und Leistungen
unter dem Postulat ökonomischer Effizienz zu befriedigen, ein
Koordinationsmechanismus nötig, der wirtschaftliches, nutzenmaximierendes Handeln
regelt.
Wie bereits in Kapitel 6.1.3 zur Transaktionskostentheorie gezeigt wurde, sind der
90 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Transaktionskostentheorie328 zufolge mehrere Mechanismen beziehungsweise
Koordinations- (bzw. Governance-)Formen denkbar, um Angebot und Nachfrage nach
Gütern und Ressourcen in Einklang zu bringen.
Folglich kann ein Geschäft, als entgeltliche Transaktion gedacht, in verschiedenen
Koordinationsformen wie Märkten, Hierarchien und Netzwerken329 stattfinden. Dieser
Betrachtungsweise folgend beschränkt sich Geschäft im weiteren Sinne nicht allein auf
die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen, sondern beschreibt den entgeltlichen
Austausch von Gütern und Leistungen zwischen Wirtschaftssubjekten auf Märkten, in
Unternehmen und in Netzwerken. Im weiteren Sinne dient das Geschäftsmodell dazu,
unterschiedliche Formen der Koordination auf der Ebene von gesamten Märkten oder
Branchen zu beschreiben und die Rolle der beteiligten Transaktionspartner näher zu
spezifizieren.
Gleichzeitig bildet es die unternehmensübergreifenden Austauschbeziehungen zwischen
Wirtschaftssubjekten, in erster Linie von Unternehmen, ab und beschreibt, wie sich
Unternehmen einerseits mit den Faktor- und Absatzmärkten und andererseits bi- und
multilateral vernetzen.
Markt für Ressourcen und
Fähigkeiten
Markt für Güter
und Leistungen
Geschäftsmodell
Koordinationsform
� Markt
� Hierarchie
� Netzwerk
Abbildung 12: Geschäftsmodell als Modell entgeltlicher Austauschbeziehungen330
328 vgl. Coase, R. H. (1937), Williamson, O. E. (1975), Williamson, O. E. (1986), Williamson, O. E. und
Masten, S. (1995) 329 vgl. Abbildung 12 330 Eigene Darstellung
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 91
Diesem weiteren Begriffsverständnis von Geschäft folgend ist das Geschäftsmodell ein
Hilfsinstrument, um den Inhalt und die Struktur der entgeltlichen Austausch- bzw.
Vertragsbeziehungen zwischen Transaktionspartnern abzubilden sowie den dabei
gewählten Koordinationsmechanismus zu beschreiben. Weiters gibt der Inhalt von
Transaktionen einerseits Aufschluss darüber, welche Güter und Leistungen Gegenstand
der Transaktionen sind, und andererseits zwischen welchen Märkten (Absatz- oder
Faktormarkt) bzw. in welchen Branchen (Handel, Industrie, Dienstleistung etc.) der
entgeltliche Austausch stattfindet.
Diese Vorstellung von Geschäftsmodellen weist Übereinstimmungen mit der Definition
von Amit und Zott (2001) auf, die Folgendes konstatieren: “a business model depicts the
design of transaction content, structure and governance so as to create value through the
exploitation of business opportunities.” 331 Geschäft wird hier als entgeltliche Austausch-
bzw. Transaktionsbeziehung verstanden, die darauf abzielt, einen Bedarf zu decken und
dadurch Mehrwert zu schaffen.
Es ist abzulesen, welche Aspekte in der Beschreibung eines Geschäfts als wesentlich
erachtet werden. Im vorliegenden Fall sind dies der Inhalt (Content), die Struktur
(Structure) und die Koordination (Governance) von Transaktionen.
Der Inhalt von Transaktionen “refers to the goods or information that are being
exchanged, and to the resources and capabilities that are required to enable the change”.
Die Struktur beschreibt “the parties that participate in the exchange, and to the ways in
which these parties are linked”.
Koordination (Governance) wiederum “refers to the ways in which information,
resources, financial and physical flows are controlled by the relevant parties and what the
incentives for the various participants are”.332
Weniger eindeutig geht hervor, welchen sinnstiftenden Zweck diese Betätigung verfolgt.
Obgleich feststeht, dass es sich bei einem Geschäft um eine entgeltliche Transaktion
zwischen Wirtschaftssubjekten handelt, die gewissen ökonomischen Regeln unterliegt,
bleiben die Merkmale kaufmännischer Tätigkeit und des Strebens nach Gewinn
weitgehend unberücksichtigt. Somit blendet diese Sichtweise einige Merkmale vom
Geschäft aus und spiegelt das Wesen eines Geschäftsmodells nur teilweise wider.
331 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), S. 511. 332 vgl. Ibid.
92 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
7.4.2 Geschäft als wertschöpfende Tätigkeit von Unternehmen
Daher wenden sich die nachstehenden Überlegungen nun der zweiten, enger gefassten
Begriffsdeutung zu, die Geschäft als die kaufmännische, nach Gewinn strebende Tätigkeit
von Wirtschaftseinheiten, in erster Linie von Unternehmen, definiert. Da kaufmännische
Tätigkeit im weiteren Sinne als Synonym für entgeltliche Austauschbeziehungen
zwischen Vertragspartnern zu verstehen ist und somit auf der zuvor skizzierten
Beschreibung von Geschäft aufbaut, kommen zwei neue Aspekte hinzu. Rechtlich
gesehen weist das Attribut „kaufmännisch“ darauf hin, dass es sich dabei um eine
gewerbliche Beschäftigung, d. h. um die Tätigkeit eines Unternehmers bzw. eines
Unternehmens, handelt.
Nach der Auffassung der St. Galler Schule der Betriebswirtschaftslehre stellen
Unternehmen zweckorientierte wirtschaftliche, soziotechnische Systeme333 dar, deren
wertschöpfende Tätigkeit darauf abzielt, in aktiver Auseinandersetzung mit verschiedenen
Anspruchsgruppen des Unternehmens gesellschaftlichen Nutzen zu stiften.
Im Sinne der Zweckorientierung von Unternehmen zielt ihre wirtschaftliche Tätigkeit
einerseits darauf ab, Funktionen für das Umfeld zu übernehmen, wie etwa die
Koordination knapper Güter und Ressourcen. Andererseits nehmen sie, eingebettet in ihr
Umfeld, als soziotechnische Systeme zum Zweck ihrer spezifischen wertschöpfenden
Tätigkeit Aufgaben im arbeitsteiligen Prozess des Austauschs und der Transformation von
Ressourcen wahr, um dadurch für ihre verschiedenen Anspruchsgruppen Nutzen und
Wert zu stiften.334
Die Funktion des Unternehmens besteht daher einerseits in der Teilnahme am
Austauschsystem der Märkte, auf denen das Unternehmen auf der Beschaffungsseite
entgeltliche Austauschbeziehungen eingeht, um Ressourcen und Fähigkeiten zu erwerben.
Die innerbetriebliche Tätigkeit umfasst wertschöpfende Aktivitäten unter Einsatz dieser
Ressourcen und Fähigkeiten, um sie in Güter und Leistungen zu transformieren, die
Gegenstand der Tauschbeziehungen auf Absatzmärkten sind und letztendlich der
nutzenstiftenden Deckung fremden Bedarfs dienen.335
Schlussendlich ist ein Unternehmen auch ein wirtschaftliches System und so müssen unter
333 vgl. Ulrich, P. und Fluri, E. (1995) 334 vgl. Stähler, P. (2001), Bieger, T. und Belz, C. (2004) 335 Die Analyse dieser wertschöpfenden Tätigkeit eines Unternehmens steht auch bei Porters Zott, C. und
Amit, R. (2010) Wertketten-Analyse und der ökonomische Umsetzung auf Ebene des
Unternehmens im Vordergrund.
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 93
den Bedingungen der Marktwirtschaft die Erlöse der abgesetzten Güter und Leistungen
die langfristigen Aufwendungen für die verbrauchten Ressourcen und Kosten der
wertschöpfenden Aktivitäten zumindest decken. Da unternehmerische Tätigkeit durch das
Treffen von Entscheidungen unter Unsicherheit zusätzlich mit gewissen dem Geschäft
immanenten Risiken verbunden ist, erwartet sich der Unternehmer bzw. Eigentümer
darüber hinaus auch die Abgeltung des unternehmerischen Risikos in Form eines
ökonomischen Gewinns (bzw. einer Rente) für die Durchführung kaufmännischer
Tätigkeit bzw. für die Bereitstellung von Kapital.
Wertschöpfung kann dabei als Synonym für den Mechanismus der Umsatz- und
Gewinnerzielung verstanden werden, denn Porter definiert die Wertschöpfung als “the
amount buyers are willing to pay for what a firm provides them. Value is measured by
total revenue ... A firm is profitable if the value it commands exceeds the costs involved in
creating the product”.336
Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftssubjekten wie z. B. privaten Haushalten, die
ebenfalls am Austauschsystem der Märkte teilnehmen, bildet für Unternehmen das
Streben nach Gewinn ein zentrales Element ihrer Geschäftstätigkeit. Da Private bzw.
Endverbraucher in erster Linie ihren eigenen Bedarf an Gütern und Leistungen decken
wollen, dient ihre Teilnahme am Austauschprozess in erster Linie der Bedarfsdeckung
und Nutzenmaximierung. Zwar spricht man auch beim entgeltlichen Austausch zwischen
privaten Endverbrauchern von einem Geschäft, die Eigenschaft des Strebens nach Gewinn
steht hier allerdings, wie in Kapitel 7.4.1 skizziert wurde, in aller Regel nicht im
Vordergrund.
Grundsätzlich kann daher festgehalten werden, dass für ein Geschäft im engeren Sinn vor
allem die Kombination Ressourcen und Fähigkeiten zu Aktivitäten und das
Gewinnstreben charakteristisch sind. Beide Aspekte sind nur im Zusammenhang mit der
wirtschaftlichen Tätigkeit von Wirtschaftseinheiten anzutreffen und in erster Linie im
Kontext von Unternehmen zu sehen. Geschäft als wirtschaftliche Tätigkeit von
Unternehmen manifestiert sich einerseits in entgeltlichen Austauschbeziehungen mit
Geschäftspartnern und andererseits in seiner nutzenstiftenden Funktion zur Deckung
fremden Bedarfs, d. h. in erster Linie für Kunden. Ein weiteres Element der
Geschäftstätigkeit von Unternehmen stellt die Koordination der Aktivität und der
Bereitstellung von Gütern und Leistungen dar.
Da es sich bei Unternehmen auch um soziotechnische Systeme handelt, sind die
336 vgl. Porter, M. E. (1985)
94 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
wertschöpfenden Aktivitäten nicht nur im Kontext der vorhandenen Ressourcen bzw. der
spezifischen Fähigkeiten, sondern auch der sozialen und kulturellen Charakteristika des
Unternehmens zu sehen. Trotz identer Ressourcenausstattung und
Wertschöpfungsarchitektur können Unternehmen dennoch unterschiedliche Produkte und
Leistungen erbringen, da sie aufgrund ihrer spezifischen Unternehmenskultur und
Fähigkeiten das Aktivitätensystem anders konfigurieren und Tätigkeiten auf eigene Art
und Weise ausführen.
Auf diesem verfeinerten Begriffsverständnis von Geschäft aufbauend können nun
Schlüsse hinsichtlich des Gegenstands von Geschäftsmodellen gezogen werden. Wie
bereits gezeigt wurde, handelt es sich bei Geschäftsmodellen im Sinne von Modellen um
die vereinfachte und verkürzte Abbildung der wesentlichen Aspekte dessen, was unter
dem Begriff „Geschäft“ zu verstehen ist. Diese Feststellung lässt sich nun um die
Charakteristika von Geschäft im engeren Sinn als die wirtschaftliche, nach Gewinn
strebende Tätigkeit von Unternehmen erweitern.
Im engeren Sinne handelt es sich bei einem Geschäftsmodell um die vereinfachte und
verkürzte Abbildung der wesentlichen Aspekte der wertschöpfenden Tätigkeit von
Unternehmen, die beschreibt, wie Unternehmen mittels der von ihnen gewählten
Aktivitäten, selbst oder mit Partnern, unter Einsatz von Ressourcen und Fähigkeiten Güter
und Leistungen erstellen und durch die Teilnahme am Tauschsystem der Märkte in
nutzenstiftender Weise Kundenbedarf decken, Gewinn erzielen und gesellschaftlichen
Nutzen für wichtige Anspruchsgruppen schaffen.
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 95
Markt für Ressourcen und
Fähigkeiten
Unternehmen A
Markt für Güter
und Leistungen
Geschäftsmodell von A
Abbildung 13: Symbolische Darstellung des Umfangs eines Geschäftsmodells337
Folglich stellt das Geschäftsmodell den Plan oder Entwurf dar, wie ein Unternehmen
Aktivitäten und Transaktionsbeziehungen gestaltet, um Faktor- und Absatzmärkte
miteinander zu verbinden.
Obwohl das Unternehmen im Mittelpunkt dieses Beziehungsnetzes steht, beschreibt das
Geschäftsmodell den gesamten interorganisationalen, vernetzten Prozess der
Wertschöpfung. An die Stelle des Unternehmens als zentralen Angelpunkt
wirtschaftlicher Tätigkeit tritt in dieser Betrachtung das Geschäftsmodell als neue,
unternehmensübergreifende Analyseeinheit für den interorganisationalen, vernetzten
Prozess der Wertschöpfung auf Märkten, in Hierarchien und in Netzwerken.
Die Beschäftigung mit Geschäftsmodellen verlangt daher nach der ganzheitlichen
Betrachtung der Wertschöpfung eines Unternehmens. Sie geht über die Darstellung der
innerbetrieblichen Aktivitäten hinaus und bezieht die unternehmensübergreifenden
Transaktionsbeziehungen mit ein.
Um nicht durch eine eigenständige Interpretation zum Pluralismus der Definitionen
beizutragen, wird in dieser Arbeit, auf Basis des in Kapitel 7.3 entwickelten
Begriffsverständnisses, der Definition von Stähler gefolgt, der das Geschäftsmodell als
„modellhafte Beschreibung eines Geschäftes“338 definiert, welche in Verfolgung eines
bestimmten Zwecks (Beschreibung, Gestaltung, Entscheidung) die wesentlichen Aspekte
337 Eigene Darstellung 338 vgl. Stähler, P. (2001), S. 41.
96 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
der Tätigkeit von Unternehmen vereinfacht wiedergibt.
Wie bereits in Kapitel 7.4.2 ausgeführt wurde, lässt sich Geschäft im hier verwendeten
engeren Sinn als die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen verstehen, wofür drei
Merkmale charakteristisch sind:
1. Ein Aspekt ist der gesamte interorganisationale Prozess der Wertschöpfung, der
auf einer spezifischen Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten beruht. Im
Rahmen wertschöpfender Aktivitäten werden Ressourcen und Fähigkeiten in
Güter und Leistungen transformiert, die Gegenstand von Austauschbeziehungen
auf Faktor- und Gütermärkten sind.
2. Einen zweiten Aspekt stellt die Zweckorientierung dieser wertschöpfenden
Tätigkeit dar. So zielt das Angebot und Leistungsvermögen des Unternehmens
einerseits darauf ab, fremden Bedarf zu decken, und andererseits
gesellschaftlichen Nutzen für Kunden, Partner sowie alle relevanten
Anspruchsgruppen zu stiften.
3. Eine dritte Besonderheit stellt das unternehmerische Streben nach Gewinn dar.
Diese drei grundlegenden Eigenschaften bilden die drei wesentlichen Aspekte, die im
Geschäftsmodell berücksichtigt werden sollten.339
Sie finden sich auch in der Definition von Stähler wieder, der konstatiert: „Ein
Geschäftsmodell besteht aus drei Hauptkomponenten: Value Proposition, Architektur der
Wertschöpfung und dem Ertragsmodell“.340
Zusammenfassend lassen sich die ausgewählten Elemente eines Geschäftsmodells wie
folgt beschreiben:
� Ein Geschäftsmodell beschreibt, welchen Nutzen Kunden oder andere Partner
des Unternehmens aus den Transaktionsbeziehungen mit diesem Unternehmen
ziehen. Diesen Teil eines Geschäftsmodells bezeichnet Stähler als die Value
Proposition. Es gibt Antwort auf die Frage, welchen Nutzen bzw. Wert das
Unternehmen stiftet.
� Wertschöpfung beschreibt den Prozess des Schaffens von Mehrwert für
Kunden, Partner oder andere wichtige Anspruchsgruppen. Die Architektur der
Wertschöpfung gibt Aufschluss über die Gestalt des arbeitsteiligen Prozesses,
der Güter- und Leistungserstellung und der dazu nötigen Fähigkeiten,
339 vgl. Magretta, J. (2002) 340 vgl. Stähler, P. (2001), S. 41.
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 97
Ressourcen und Austauschbeziehungen. Es ist eine Blaupause der faktor- und
absatzmärkteverbindenden Transaktions- und Austauschbeziehungen, seiner
Akteure und deren Rolle im Prozess der Wertschöpfung.
� Neben dem Was und dem Wie beschreibt das Geschäftsmodell auch, welche
Einnahmen das Unternehmen aus welchen Quellen generiert. Die zukünftigen
Einnahmen entscheiden über den Wert des Geschäftsmodells und damit über
seine Nachhaltigkeit. Es beantwortet die Frage: Wodurch wird Geld verdient?
Dieser Teil des Geschäftsmodells heißt Ertragsmodell.
7.5 Das Geschäftsmodell – ein systemischer Ansatz
Auf Grundlage der im vorhergehenden Kapitel erfolgten Literaturbetrachtung dient dieser
Abschnitt dazu, die theoretischen und praktischen Vorüberlegungen der Abschnitte 6 und
7 zusammenzuführen und die in Kapitel 7.2 entwickelte Definition zu konkretisieren.
Insbesondere soll der in Anlehnung an Hedman und Kalling (2003) entwickelte
integrative Bezugsrahmen vorgestellt werden, der die folgenden kausal verknüpften
Elemente umfasst: Kunden, Wettbewerber, Angebot, Aktivitäten, Ressourcen und Markt
für Vorleistungen und Inputfaktoren. Ein weiteres Element dieses Bezugsrahmens bildet
die longitudinale prozessuale Perspektive, um die dynamische Entwicklung eines
Geschäftsmodells im Zeitablauf abbilden zu können. Dadurch finden auch die kognitiven
und kulturellen Aspekte des Managementprozesses der Entwicklung und Anpassung von
Geschäftsmodellen Berücksichtigung.
98 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Market / Industry
(1) Customers (2) Competition
(3) Offering
(4) Activities and Organisation
(5) Resources
(6) Suppliers
Human Physical Organisational
Factor Markets Production Inputs
THE FIRM
Physical Component Price / Cost Service Component
Longitudinal dimension,e.g. constraints on actors,cognitive and sociallimitations (7)
(7) Scope of Management
Market level,e.g. five forces
Market level,e.g. five forces,capital and labour
Offering level;e.g. genericstrategies
Activity andorganisationallevel; e.g.value chain
Resource level,e.g. RBV
Abbildung 14: Ebenen eines Geschäftsmodells341
Aufbauend auf Chesbrough und Rosenbloom (2002), die annehmen, “the business model
mediates between the technical inputs and economic outputs”342, oder, wie Hedman und
Kalling (2003) es definieren, “the way an organisation organises its inputs, converts
these into valuable outputs, and gets customers“343, wird hier ein systemischer Ansatz
verfolgt, nach dem das Geschäftsmodell ein offenes System organisierter Komplexität
darstellt, welches im dynamischen Austausch mit seiner Umwelt steht.344
341 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 50. 342 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002) 343 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 52. 344 Zur allgemeinen Systemtheorie, vgl. von Bertalanffy, L. (1948)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 99
TechnicalInputs:
e.g.feasibility,
performance
EconomicOutputs:
e.g.value,Price,profit
Business Model:
� market� value proposition� cost and profit� value network� competitive
strategy
Measured in technical domain Measured in economic domain
Abbildung 15: Das Geschäftsmodell als Mediator zwischen Märkten345
Dementsprechend beschreibt das Geschäftsmodell die Struktur des Aktvitätensystems “by
defining the set of activities from raw materials through to the final consumer […]) with
value being added throughout the various activities”346. Es befasst sich mit der zugrunde
liegenden Logik, wie Unternehmen zu angemessenen Kosten einen Mehrwert für ihre
Kunden generieren.347
7.5.1 �utzenversprechen (Value Proposition)
Eine wesentliche Besonderheit dieses Bezugsrahmens ist die explizite Einbeziehung der
Kundenperspektive, wie sie in der Literatur gefordert wird348, denn es liegt die Annahme
zugrunde, dass Unternehmen nur dann im Wettbewerb bestehen können, wenn sie für ihre
Kunden ein attraktives Angebot bereitstellen. Um ein bestimmtes Kundensegment
bedienen zu können und sich im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern behaupten zu
können, ist es nötig, dass das eigene Leistungsangebot ein günstiges Preis-Leistungs-
Verhältnis aufweist. Einerseits muss das Leistungsangebot an den Bedürfnissen der
Kunden und des Markts ausgerichtet werden, andererseits muss danach getrachtet werden,
die bezogenen Inputfaktoren auf effektive und effiziente Weise in ein attraktives
Leistungsangebot zu transformieren.
“Any improvement in value chain activities must be materialised by an offering
that increases customer-perceived quality and/or reduces costs. All the factors
and their causal inter-relations need to be understood for any specific business 345 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002), S. 536. 346 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2009), Zott, C. und Amit, R. (2010) 347 vgl. Chesbrough, H. zitiert aus Zott, C. und Amit, R. (2010) 348 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 53.
100 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
model.”349
Das Management ist gefordert, Umfeldveränderungen zu registrieren, hinsichtlich
möglicher Implikationen für das gesamte Geschäftsmodell zu evaluieren und
entsprechend zu reagieren, denn um langfristig erfolgreich zu sein, muss das eigene
Angebot in Relation zu Mitbewerbern von potenziellen Kunden als vorteilhaft empfunden
werden; d. h., das Preis-Leistungs-Verhältnis muss stimmen.
Um dies zu bewerkstelligen, ist es einerseits unerlässlich, den Bedarf der Kunden
hinsichtlich Preis und Qualität des Angebots zu kennen, und andererseits eine effektive
und effiziente Organisationsstruktur zu finden, um die geforderte Marktleistung zu
erbringen.
7.5.2 Architektur der Wertschöpfung
Im Zentrum des Bezugsrahmens stehen die wertschöpfenden Aktivitäten eines
Unternehmens. Die Konfiguration der Wertschöpfungsorganisation eines Unternehmens
beschreibt, wie durch die Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten bestimmte
Aktivitäten durchgeführt und Inputfaktoren in Produkte und Dienstleistungen
transformiert werden, die als Marktleistungen angeboten und an Endkunden abgesetzt
werden. Das Aktivitätensystem ist die Konfiguration der einzelnen Aktivitäten und
erklärt, wie das Unternehmen Wettbewerbsvorteile behauptet und sich am Markt
positioniert.350
Dazu bedarf es sowohl der entsprechenden physischen, organisationalen und
Humanressourcen, die mit Partnern geteilt, selbst erlernt oder von Lieferanten über die
Faktormärkte erworben werden müssen, denn Ressourcen und Fähigkeiten bilden die
Grundlage für die einzelnen Aktivitäten. Die Aktivitäten wiederum, obwohl intern
bedingt, sind extern am Markt orientiert. Das Geschäftsmodell bildet somit die Klammer
bzw. den Bauplan, wie die Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens in produktive
Aktivitäten und marktfähige Produkte und Leistungen transformiert werden. Ein weiterer
wesentlicher Aspekt des Geschäftsmodells ist, dass es nicht nur den internen Bauplan der
Aktivitäten abbildet, sondern über die Grenzen des Unternehmens hinaus, was die
Beziehungen und Austauschverhältnisse zu Lieferanten und Partnern einbezieht, die am
interorganisationalen Prozess der Ressourcentransformation beteiligt sind.
Zwischen den einzelnen Elementen des Geschäftsmodells bestehen starke
349 vgl. Porter, M. E. (1996b) 350 vgl. Ibid.
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 101
Wechselwirkungen und Abhängigkeiten. In diesem Sinne zählt das Ganze mehr als die
Summe der Teile, weil sich ein Wettbewerbsvorteil aus dem System der Aktivitäten
ergibt, denn gerade die innere Logik und die Interaktion zwischen den einzelnen
Aktivitäten eines Unternehmens sind für die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen
entscheidend.351
Wichtig ist, dass das Geschäftsmodell die entscheidenden Ressourcen und Fähigkeiten
beschreibt, die es der Organisation ermöglichen, bestimmte Aktivitäten durchzuführen,
die letztendlich den Erfolg ausmachen. Winter und Szulanski (2001) gehen dabei von der
Existenz einer inneren strategischen Logik aus, die die Aktivitäten eines Unternehmens
koordiniert. Das Geschäftsmodell beschreibt diese innere Logik, die der Konfiguration der
Ressourcen und Fähigkeiten zugrunde liegt, die es dem Unternehmen erlauben, bestimmte
Aktivitäten durchzuführen.
Dabei wird der Zusammenhang zwischen dem Geschäftsmodell und den Aktivitäten eines
Unternehmens erkennbar: Nur die Ressourcen und Fähigkeiten, die Teil der inneren Logik
und somit die Bausteine der Kernaktivitäten darstellen, sollten im Geschäftsmodell
Berücksichtigung finden, denn Ehiraj, Guler et al. (2000) argumentieren, dass die
Analyseeinheit Geschäftsmodell nur dann sinnvoll ist, wenn es die Konfiguration der
Kernaktivitäten352 beinhaltet, die das Unternehmen in die Lage versetzen, eine besondere
Marktleistung zu erbringen und Wettbewerbsvorteile zu erlangen.353
Ähnlich argumentieren Eisenhardt und Sull (2001), die in dynamischen Branchen neben
der Positionierung und der Ressourcenbasis den Unternehmenserfolg auch auf die
Kernprozesse des Unternehmens zurückführen, denn reine Wettbewerbs- und
Ressourcenstrategien sind nach Meinung von Eisenhardt und Sull (2001) zu starr, um
flexibel und schnell auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren. Stattdessen
sollte das Management vor dem Hintergrund eines dynamischen Marktumfelds
tendenziell auf dynamische Fähigkeiten, flexible Prozesse und einfache Regeln354 (simple
rules) vertrauen.
Zusammengefasst erlaubt das Geschäftsmodell, die verschiedenen Ansatzpunkte wie die
Realisierung der Wettbewerbsstrategie355, die zu einem überlegenen Leistungsangebot
351 vgl. Venkatraman, N. und Henderson, J. C. (1998) 352 vgl. Ehiraj, S., et al. (2000), S. 18. 353 vgl. Funder, J. (2002) 354 vgl. Eisenhardt, K. M. und Sull, D. N. (2001) 355 vgl. Porter, M. E. (1980a), Porter, M. E. (1985)
102 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
führt, mit der Ressourcenbasis der Firma356 und den Aktivitäten des
Wertschöpfungssystems357 zu verknüpfen und durch die Abstimmung der einzelnen
Werttreiber einen stimmigen, kohärenten und in sich greifenden Bauplan des Geschäfts zu
entwerfen.
Entscheidend ist nicht nur der Inhalt, sondern auch der Prozess, der dorthin führt: die
Analyse des Markts, die Ausgestaltung und Implementierung des Aktivitätensystems,
kurzum wie eine neue Geschäftsidee realisiert und eine Marktchance wahrgenommen
wird, d. h. das Geschäftsmodell operativ wirksam wird.
Im Mittelpunkt der Prozessperspektive stehen die kognitiven und kulturellen Widerstände
und Barrieren, die es bei der Neuausrichtung des Geschäfts zu überwinden gilt.
“The focal point of the process perspective is the management of cognitive and
cultural constraints on strategic development and firm evolution.”358
Hier kommt eine weitere Stärke dieses systemischen Ansatzes zum Ausdruck: Der
Bezugsrahmen vermag nicht nur, die strategischen Perspektiven des MbV, RbV und TCE
zu integrieren, sondern beinhaltet auch eine longitudinale Perspektive. Obwohl die
Forderung nach integrativen Ansätzen bereits länger gestellt wird und in der Literatur gut
dokumentiert ist359, gab es bisher nur wenige integrative Ansätze, denn das
Geschäftsmodell ist nur ein Beschreibungs- oder Erklärungsmodell. Es eignet sich nicht
nur dazu, ein bestehendes Geschäft zu beschreiben, sondern kann im Sinne eines
Gestaltungsmodells bzw. Veränderungsmodells auch dazu eingesetzt werden, ein
bestehendes Geschäft neu auszurichten und zu verändern.
Sowohl exogene wie endogene Faktoren können diesen Adaptionsprozess in Gang setzen.
Verliert das eigene Leistungsangebot durch neue Marktteilnehmer mit vorteilhafteren
Preis-Leistungs-Merkmalen an Wettbewerbsfähigkeit, kann die Effizienz des bestehenden
Geschäftsmodells durch die Anpassungen der eigenen wertschöpfenden Aktivitäten bzw.
eine neue Kombination bestehender Ressourcen und Fähigkeiten erhöht werden. Einen
weiteren Ansatzpunkt bietet das Aktivitätensystem. Neue Ressourcenkombinationen
können zu vorteilhaften Leistungsangeboten führen, d. h. den wahrgenommenen Nutzen,
356 vgl. Barney, J. B. (1991) 357 vgl. Porter, M. E. (1985) 358 vgl. Whittington, R. (2000) 359 vgl. Porter, M. E. (1991), Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1994), Chakravarthy, B., et al. (2003a),
Mahoney, J. T. und Sanchez, R. (2004), Poole, M. S. und Van de Ven, A. H. (2004), Lechner, C.
(2006b)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 103
das Preis-Leistungs-Verhältnis des eigenen Angebots bzw. die Marktposition verbessern.
Ein dritter Ansatzpunkt ist die bessere Abstimmung der einzelnen Teilsysteme, um die
innere Logik und Ertragskraft bzw. Rentabilität des Geschäftsmodells positiv zu
beeinflussen.
Ähnliche konzeptionelle Modelle finden sich im Feld der Entrepreneurshipforschung wie
zum Beispiel bei Normann.360 Auch dieser systemische Ansatz verknüpft die einzelnen
Teilsysteme Markt und Angebot mit den spezifischen Kompetenzen der Firma und
betrachtet sie als voneinander abhängig.
Ausgehend von einer Geschäftsidee unterscheidet Normann in seinem Modell drei
verschiedene Teilkomponenten:361
1. Das externe Umfeld, dessen Bedarf und was es wertschätzt
2. Das Angebot des Unternehmens
3. Interne Faktoren wie die Organisationsstruktur, Ressourcen, Wissen und
Fähigkeiten, Systeme und Werte
Ein weiterer integrativer Ansatz zur Erklärung von Wettbewerbsvorteilen findet sich bei
Porter (1991). Porters Verständnis einer Organisation als System von Aktivitäten ähnelt
der dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition eines Geschäftsmodells. Obwohl Porter
das Modell als Causal-Chain Model (CCM) und nicht als Geschäftsmodell bezeichnet,
beinhaltet es auch Eigenschaften und Funktionen, die auch für das Geschäftsmodell von
Bedeutung sind. Wenngleich Porters Modell nicht alle inhaltlichen Aspekte eines
Geschäfts wie zum Beispiel den Ertragsmechanismus klärt, so bietet dieser durchgängige
Ansatz die Metaperspektive auf seine früheren Arbeiten. Es zeigt die logischen
Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Teilmodellen: wie das Fünf-Kräfte-Modell
zur Analyse der Branchenstruktur, generische Wettbewerbsstrategien und das
Wertkettenmodell zur systematischen Analyse der strategisch relevanten Aktivitäten eines
Unternehmens verknüpft werden können.
Im CCM führt Porter die Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens nicht nur auf die Wahl
einer Kostenführerschafts- oder Differenzierungsstrategie, sondern auf das
Aktivitätensystem zurück. Aktivitäten bzw. das Wertschöpfungssystem des
Unternehmens ermöglichen erst die Realisierung von Kostenführerschafts- und
360 vgl. Normann, R. (1977), Normann, R. und Ramirez, R. (1994) 361 vgl. Normann, R. (2001)
104 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Differenzierungsstrategien, die nach Porter letztlich über den Erfolg des Unternehmens
entscheiden, indem sie es dem Unternehmen erlauben, vorteilhafte strategische Positionen
in Branchen bzw. auf Märkten einzunehmen, und unter Ausnützung von
Wettbewerbsvorteilen den Geschäftserfolg bedingen. Dabei unterscheidet Porter zwischen
primären und sekundären Aktivitäten. Erstere, zu denen Leistungserstellung, Logistik,
Marketing und Vertrieb zählen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie direkten Einfluss auf
die Wertschöpfung des Unternehmens haben. Sekundäre unterstützende Aktivitäten wie
das Finanz- und Rechnungswesen oder das Personalwesen haben lediglich indirekten
Einfluss auf die Wertschöpfung.362
Abbildung 16: Determinanten für den Erfolgs einzelner Geschäftsfelder363
362 vgl. Abbildung 17 363 vgl. Porter, M. E. (1991), S. 100.
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 105
Neben der inhaltlichen Dimension wurde auch die longitudinale Dimension des
Prozessansatzes364 im Modell berücksichtigt, da die strategischen Inhalte, ausgehend vom
Anfangszustand (initial conditions), im Zeitablauf durch die gestalterischen Eingriffe des
Managements (managerial choices) entstehen und das Aktivitätensystem entlang
sogenannter Werttreiber (drivers) optimiert wird.
Abbildung 17: Wertkette und Wertsystem nach Porter365
Porter reagierte damit auf die Kritik vonseiten der Prozessforschung und Vertretern des
RbV, indem er die verschiedenen Sichtweisen als komplementäre Konzepte würdigt und
in logisch-kausaler Weise miteinander verkettet, denn das CCM beinhaltet Aspekte des
MbV und des RbV mit einer prozessorientierten Sichtweise und “highlights the
complementary nature of the [three] view-points – a complementarity based on
causality”.366
7.5.3 Ertragsmodell
Allerdings bleibt bei diesen Ansätzen ein zentraler Aspekt, nämlich die Frage, wie das
Unternehmen Geld verdient, ausgespart. Nach McGrath und McMillan (2000) muss das
365 Darstellung der Wertkette (value chain) S. 35 und Wertsystem (value system) S. 37 aus Porter, M. E.
(1985) 366 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 51.
106 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Geschäftsmodell vor allem beschreiben, “how a business is designed to make profits”367.
Nach Afuah und Tucci (2001) handelt sich dabei um ein wiederkehrendes Thema, das in
vielen Definitionen Berücksichtigung gefunden hat.368
Autor(en) Definition
Thompson und Strickland (2003), S. 3 A company’s business model deals with the revenue-cost-profit
economies of its strategy – the actual and projected revenue
streams generated by the company’s product offerings and
competitive approaches, the associated cost structure and profit
margins, and the resulting earnings stream and return on
investment.
Grant (2002), S. 307 Configurations of strategy relating to the sources of revenue
and profits
Ehiraj, Guler et al. (2000), S. 2 A unique configuration of elements comprising the
organization’s goals, strategies, processes, technologies, and
structure, conceived to create value for customers and thus
compete successfully in a particular market
Ethridge, Kale et al. (2002), S. 6 A template or prototype comprising the core set of
organizational processes and patterns of behavior that forms the
basis for continuing viability of the organization
Saloner, Shepard et al. (2001), S. 279 A viable business model is a strategy that has reasonable
probability of succeeding if well executed.
Afuah und Tucci (2001) A firm’s business model is how it plans to make money long
term.
Eisenmann (2002) It is a hypothesis about how a company will make money over
the long term: what the company will sell, and to whom; how
the company will collect revenue; what technologies it will
employ, when it will rely on partners, and, following from the
last two points, how its ‘costs’ will scale with growth.
Tabelle 10: Ausgewählte Definitionen zum Aspekt der Gewinnerzielung369
Um zu erklären, wie ein Unternehmen Geld verdient, ist auch die Frage, welche Faktoren
für den Erfolg eines Unternehmens verantwortlich sind, wieder von Relevanz. Sie wurde
in den Kapiteln 6.1.1 bis 6.3.3 bereits ausführlich beleuchtet und die verschiedenen
Werttreiber, d. h. die Faktoren, die die Grundlage nachhaltiger Wettbewerbsvorteile 367 vgl. McGrath, R. G. und MacMillan, I. (2000) 368 vgl. Tabelle 10 369 vgl. Afuah, A. (2004)
Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 107
bilden und somit für den langfristigen Unternehmenserfolg verantwortlich sind, wurden
aufgezeigt.
Einerseits sind Branchenfaktoren wie die Branchenstruktur, die herrschenden
Wettbewerbskräfte, makroökonomische Einflüsse und die Vernetzung mit anderen
Marktteilnehmern wie Partnern und Lieferanten relevant. Andererseits wird die
Rentabilität auf firmenspezifische Faktoren zurückgeführt. Drei Faktoren sind dabei von
besonderer Bedeutung: der Zugang zu materiellen und die Entwicklung immaterieller und
organisationaler Ressourcen, die zu Aktivitäten kombiniert werden, um die vorhandenen
Ressourcen in Marktleistungen zu transformieren und eine entsprechende Positionierung
zu realisieren.
“Both product market strategy and structure, as embodied by the business
model, can enhance the firm’s competitive advantage as well as jointly, and
therefore complement each other.”370
Profitability
I�DUSTRY FACTORSCompetitive forcesCooperative forcesMacro environment
FIRM-SPECIFIC FACTORS
Resources Activities Positions
Abbildung 18: Determinanten des Unternehmenserfolgs371
Da für den Unternehmenserfolg daher sowohl Aspekte der Branchenstruktur als auch
firmenspezifische Faktoren entscheidend sind und das Geschäftsmodell letztlich nur eine
strukturgleiche Abbildung des Geschäfts eines Unternehmens darstellt, sind dieselben
Faktoren bzw. Determinanten des wirtschaftlichen Erfolgs von Unternehmen im
Geschäftsmodell zu berücksichtigen.
370 vgl. Zott, C. und Amit, R. (2007) 371 vgl. Eigene Darstellung in Anlehung an Afuah, A. (2004), S. 10.
108 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes
Folglich ist auch das Geschäftsmodell eine Funktion der Marktposition, Aktivitäten und
Ressourcen eines Unternehmens, wobei Branchenfaktoren eine moderierende Rolle
spielen. Diese Faktoren finden sich, um die Kategorien Umsatz und Kosten ergänzt, in
Abbildung 19 wieder. Der Grund dafür ist einfach. Unabhängig davon, ob die
Unternehmung die Kostenführerschaft anstrebt oder eine Differenzierungsstrategie
verfolgt, ist die Durchführung der unternehmerischen Aktivitäten mit Kosten verbunden.
Da sich der Gewinn durch die Subtraktion der Kosten von den Erträgen errechnet, ist die
Kostenstruktur nicht nur ein wichtiger Bestand dieser Gewinnkalkulation, sondern auch
des Geschäftsmodells.
I�DUSTRY FACTORSCompetitive forcesCooperative forcesMacro environment
BUSI�ESS MODEL OF THE FIRM
Profitability
Resources Activities Offering
Costs
Revenues
Abbildung 19: Erfolgsfaktoren des Geschäftsmodells372
Ähnlich argumentieren Osterwalder und Pigneur (2002), die den Gewinn eines
Geschäftsmodells schlicht als die Subtraktion der Kosten von den Erträgen definieren,
wobei die Kostenstruktur primär durch das Aktivitätensystem des Unternehmens
determiniert ist.
Auch der Bezugsrahmen von Demil und Lecocq (2010) unterstreicht den systemischen
Charakter des Geschäftsmodells und zeigt die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen
Komponenten des Geschäftsmodells, den Ressourcen und Fähigkeiten, der internen und
externen Organisation (dem Aktivitätensystem bzw. der Wertschöpfungsorganisation) und
der Value Proposition (dem Nutzenversprechen bzw. Angebot für Kunden) einerseits und
der Ertrags- und Kostenstruktur bzw. Marge auf der anderen Seite auf.
Theoretisch sollten sich Veränderungen des Geschäftsmodells daher positiv oder negativ
auf den Erfolg eines Unternehmens, der in diesem Modell als Marge ausgedrückt ist,
372 vgl. Eigene Darstellung
Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation 109
auswirken. Grundsätzlich wird ein Unternehmen gerade dann versuchen, das
Geschäftsmodell zu verändern, wenn der Erfolg bzw. die Marge gering bzw. rückläufig
ist.373 Aktuelle Beiträge gehen aber so weit, die Veränderungsarbeit als kontinuierlich
fortlaufenden Prozess zu verstehen.374
Resources &Competences
Value PropositionsInternal and External
Organization
Volume & Structureof Costs
Volume & Structureof Revenues
Margin
Abbildung 20: RCOV Framework nach Demil und Lecocq (2010)
Die kontinuierliche Anpassung der konstituierenden Elemente eines Geschäftsmodells
“may leave firms in a permanent state of disequilibrium”375. Trotzdem sind Dynamik und
Veränderung notwendige Übel, denn eine schlechte Performance und Margenverfall sind
Anzeichen für Inkonsistenz zwischen den konstituierenden Elementen eines
Geschäftsmodells. Ein solcher Missfit verlangt nach Veränderung bzw. nach einer
Geschäftsmodellinnovation.
8 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation
Im vorangegangenen Abschnitt wurde das Wesen von Geschäftsmodellen beleuchtet und
eine Definition gefunden. Nun, da der Inhalt und Zweck von Geschäftsmodellen geklärt
sind, beschäftigt sich der folgende Abschnitt mit der Frage, in welcher Beziehung die
Begriffe „Geschäftsmodell“ und „Innovation“ zueinander stehen und was unter dem
373 vgl. Cyert, R. M. und March, J. G. (1963) 374 vgl. Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1997), Mitchell, D. W. und Coles, C. B. (2004) 375 vgl. Demil, B. und Lecocq, X. (2010)
110 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation
gemeinsamen Begriff der „Geschäftsmodellinnovation“ zu verstehen ist bzw. wie und
warum es dazu kommt.
8.1 Innovation
Innovation heißt wörtlich „Neuerung“ oder „Erneuerung“. Das Wort ist von den
lateinischen Begriffen „novus“ und „innovatio“ – „etwas neu Geschaffenes“ – abgeleitet.
Vater dieser Wortschöpfung ist der Volkswirt Josef Schumpeter, der den Begriff erstmals
1939 in seinem in den USA erschienen Werk ‟Business Cycles” in die Wirtschaftstheorie
eingeführt und populär gemacht hat. Im Deutschen wird der Begriff heute im Sinne von
neuen Ideen und Erfindungen sowie deren wirtschaftlicher Umsetzung verwendet. Somit
sind Innovationen die Einführung von qualitativen Neuerungen mit der Absicht, die
wirtschaftliche Lage eines Unternehmens zu verbessern und Wettbewerbsvorteile zu
schaffen, denn innovative Unternehmen sind profitabler, wachsen schneller, schaffen
mehr Jobs und sind produktiver als ihre Wettbewerber, gerade auch auf reifen Märkten.376
Der Begriff „Innovation“ ist auch in der wissenschaftlichen Literatur gut definiert.
Freeman (1982) differenziert zwischen Innovation und Erfindung (Invention), da
Erfindungen lediglich die Idee oder das Modell sind. Erfindungen umfassen neue Ideen
einschließlich der Konzeptentwicklung und der Erstellung eines Prototyps in der Phase
vor der eigentlichen Markteinführung. Innovationen hingegen ergeben sich erst aus der
konkreten Umsetzung bzw. wirtschaftlichen Verwertung einer neuen Idee oder Erfindung.
“An important distinction is normally made between invention and innovation.
Invention is the first occurrence of an idea for a new product or process, while
innovation is the first attempt to carry it out into practice.”377
In ähnlicher Weise argumentierte Schumpeter378, für den Innovation nicht nur die reine
Erfindung, sondern insbesondere auch deren Durchsetzung in Form einer technischen
oder organisatorischen Neuerung ist. Zumeist liegt der Zweck einer Innovation in der
Lösung eines konkreten Problems. Die letztendliche Zielsetzung ist es, durch Innovation
kurzfristige Monopolstellungen zu verschaffen, die Pionierrenten bieten. Nach
Drucker (1985) bildet Innovation das Kernelement unternehmerischen Handelns. Für ihn
ist Innovation ‟the specific instrument of entrepreneurship. It is the act that endows
resources with a new capacity to create wealth”.379
376 vgl. Capon, N., et al. (1992), Christensen, C. M. und Raynor, M. E. (2003) 377 vgl. Fragenberg, J. (2004), S. 4. 378 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 379 vgl. Drucker, P. (1985), S. 30.
Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation 111
Im Verlauf der bisherigen Diskussion wurde Innovation immer wieder in Verbindung mit
Begriffen wie „neu“, „Veränderung“ oder „Verbesserung“ gebracht. Aber wie neuartig ist
„neu“ bzw. wie viel Neuigkeit ist notwendig, um von einer Innovation sprechen zu
können? Wie substanziell muss eine Veränderung oder Verbesserung sein, damit sie sich
für diese Kategorie qualifiziert?
Einen hilfreichen Ansatz zur Klärung dieser Fragen stellt das ‟Oslo Manual” der OECD
dar, das zu Beginn der 1990er-Jahre entwickelt wurde, um Untersuchungen, die sich mit
Innovation befassen, zu standardisieren.380 Das Handbuch unterscheidet zwischen
folgenden vier Kategorien:
1. New to the world
2. New to the industry in the country of the operating market of the firm
3. New only to the firm
4. Non-Innovations
Ähnlich argumentiert Schumpeter, für den “[…] to produce other things, or the same
things by different method, means to combine these materials and forces differently […]
Development is then defined by the carrying out of new combinations […]”.381 Es handelt
sich somit um neue Kombinationen, die nicht ursächlich neue Ressourcen, neues Know-
how bzw. neue Fähigkeiten voraussetzen. Um von Innovation zu sprechen, reicht es für
Schumpeter aus, wenn bestehende Ressourcen und Fähigkeiten in neuer Weise kombiniert
bzw. verknüpft werden. Selbst unter veränderten Umweltbedingungen kann schon die
neue Kombination bestehender Ressourcen und Fähigkeiten eine Innovation bedeuten.382
“Knowing how to manage the combinations of existing capabilities is novelty
enough.”383
Die vorliegende Arbeit erhebt keinesfalls den Anspruch, bahnbrechende Innovationen zu
untersuchen. Vielmehr liegt der Fokus auf Innovationen, die in einer Branche bzw. auf
einem Markt oder für das untersuchte Unternehmen neuartig und noch nicht da gewesen
sind.
380 vgl. OECD (2005) 381 vgl. Schumpeter, J. A. (1912), S. 65f. 382 vgl. Loasby, B. J. (1998) 383 vgl. Funder, J. (2002), S. 9.
112 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation
Ein weiteres wichtiges Merkmal stellt der Modus dar, wobei Weick und Quinn (1999)
zwischen episodischen und kontinuierlichen Veränderungen unterscheiden.
Gleichbedeutend zu diesen beiden Modi wird in der Literatur auch von inkrementellen
versus radikalen384 bzw. auf bestehenden Ressourcen und Pfaden aufbauenden versus
zerstörenden Innovationen385 (Disruptive Innovation) gesprochen.
40% 30% 20% 10% %
extern verursachtePersonalprobleme
unzulänglicheTechnologien
unsicherewirtschaftliche Lage
staatliche/gesetzlicheEinschränkungen
% 10% 20% 30% 40%
Inflexible IT-Infrastruktur
unausgereifteProzesse
Personalprobleme
Begrenztes Budgetfür Investitionen
UnzuträglicheUnternehmenskultur
extern intern
Abbildung 21: Die größten Hürden auf dem Weg zur Innovation386
Die Realisierung von Innovationen ist aber alles andere als ein einfaches Unterfangen. So
kommt die von IBM (2006) durchgeführte Studie zu dem Ergebnis, dass die meisten
Hemmnisse für Innovationen im Unternehmen selbst zu finden sind.387
Hier ist der Manager bzw. Unternehmer als Innovator gefragt, der Schumpeter zufolge auf
der Suche nach neuen Aktionsfeldern den Prozess der schöpferischen Zerstörung
vorantreibt – einerseits indem die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden und
andererseits, was noch viel schwieriger ist, indem eine entsprechend
innovationsfreundliche Unternehmenskultur herrscht.
Was das Objekt bzw. die möglichen Ansatzpunkte betrifft kann sich Innovation sowohl
auf die Erneuerung von Produkten, Prozessen oder Dienstleistungen beziehen. Klassische
384 vgl. Tushman, M. L. und Romanelli, E. (1985), Romanelli, E. und Tushman, M. L. (1994) 385 vgl. Meyer, A. D., et al. (1993), Meyer, A. D., et al. (1993) 386 vgl. IBM (2006), N=765 Interviews mit Führungskräften aus 20 verschiedenen Branchen und 11
Regionen. 387 vgl. Abbildung 21
Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation 113
Ansatzpunkte waren bisher Produkt- oder Prozessinnovationen eines Unternehmens.388
� Durch Produktinnovationen versuchen Unternehmen, den Nutzen ihres
Angebots zu erhöhen und durch Nachfrageeffekte Wachstum zu generieren.
� Prozessinnovationen hingegen zielen auf die Steigerung der Effizienz im
Unternehmen ab und dienen so der Produktivitätssteigerung und der Reduktion
von Kosten.
Ansatzpunkte für Innovationen finden sich in allen Funktionsbereichen des Unternehmens
(z. B. Produktion, Marketing, Vertrieb etc.) und darüber hinaus. So kann die neuartige
Verknüpfung von Geschäftspartnern oder die Neuordnung des Aktivitätensystems eine
Innovation darstellen. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur von
Geschäftsmodell- oder auch strategischen Innovationen gesprochen. Diese setzen
entweder auf der Ebene einzelner Unternehmen oder Geschäftseinheiten oder auch auf der
Ebene der Wertschöpfungsstruktur ganzer Branchen an.
8.2 Geschäftsmodell und Innovation
Die Geschäftsmodellperspektive eröffnet einen neuen Blickwinkel auf den Prozess
unternehmerischer Wertgenerierung und bildet einen möglichen neuen Ansatzpunkt für
Innovationen.
Durch McKinsey befragte CEOs gaben an, dass “innovation in products, services, and
business models is the single factor contributing the most to the accelerating pace of
change in the global business environment, outranking other factors related to
information and the Internet, talent, trade barriers, greater access to cheaper labour and
capital.”389
Die Geschäftsmodellinnovation hat die wirtschaftliche Umsetzung neuer Geschäftsideen
in Form neuer Geschäftsmodelle sowie die bewusste Erneuerung eines bestehenden
Geschäftsmodells zum Gegenstand. Bekannte Beispiele für Geschäftsmodellinnovationen
finden sich bei Unternehmen wie IKEA oder Dell, die beide die Grundstrukturen und die
Wettbewerbsregeln ihrer Branche verändert haben – IKEA tat dies, indem das
schwedische Möbelhaus einen Teil der Wertschöpfung zum Kunden ausgelagert hat
(Transport und Montage), und Dell, indem das Unternehmen auf Zwischenhändler
verzichtet und ein Build-to-Order-Verfahren in der Produktion eingeführt hat.
388 vgl. Utterback, J. M. (1996) 389 vgl. McKinsey (2006)
114 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation
Dieser Ansatz sieht den Manager oder Unternehmer als kreativen Gestalter, Architekten
und Innovator des Geschäftssystems – nicht der Produkte und Prozesse, sondern des
Angebots bzw. Leistungsvermögens eines Unternehmens, seiner ökonomischen
Austauschbeziehungen und der Logik, wie es dadurch Nutzen schafft und Gewinne
erzielt.390 Diese Sichtweise vervollständigt damit die Vorstellung des Managers und
Unternehmers als Innovator, nicht nur von Produkten und Prozessen, sondern des ganzen
Geschäftsmodells.
Obwohl Geschäftsmodellinnovationen im strategischen Sinne noch selten sind, können sie
die Wettbewerbsregeln innerhalb einer Branche substanziell verändern bzw. schaffen
sogar ganz neue Branchen. Ein Beispiel dafür ist der iPod von Apple, der in Kombination
mit dem iTunes-Musikstore die gesamte Musikbranche revolutioniert hat.
Gerade in den letzten Jahren läuft die Geschäftsmodellinnovation der klassischen
Produkt- und Prozessinnovation den Rang ab. Einer Studie von IBM zufolge ist die
Geschäftsmodellinnovation bereits heute wichtiger als die traditionellen Innovations-
formen.391
Geschäftsmodellinnovationen setzen im Gegensatz zu Produkt- oder Prozessinnovationen
direkt am Geschäftsmodell eines Unternehmens an. Hier kann zwischen drei Typen von
Geschäftsmodellinnovationen unterschieden werden:
1. Wertinnovation
2. Architektonische Innovation
3. Ertragsmodellinnovation
Diese Unterscheidung geht auf die drei Hauptelemente eines Geschäftsmodells zurück:
die Value Proposition, d. h. das Nutzenversprechen, die Architektur der Wertschöpfung
und das Ertragsmodell.392 Ansatzpunkte zur Geschäftsmodellinnovation ergeben sich
daher entlang der in Kapitel 7.5 beschriebenen Dimensionen eines Geschäftsmodells.
Auf Ebene der Produkt-Markt-Kombination bzw. der Angebotsdefinition sind
gestalterische Eingriffe und Veränderungen möglich, die in der Literatur als
Wertinnovationen bezeichnet werden. Daneben bieten die Konfiguration der
390 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001) 391 vgl. IBM (2006) 392 vgl. Stähler, P. (2001)
Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation 115
wertschöpfenden Aktivitäten, d. h. die Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten zu
spezifischen Kompetenzen, sowie die Vernetzung mit anderen Akteuren Ansatzpunkte für
sogenannte architektonische Innovationen. Last, but not least kann die Neugestaltung der
Kosten- und Erlösstruktur eine Ertragsmodellinnovation darstellen, die zu einer neuen
Geschäfts- und Ertragslogik führt.
Geschäftsmodell-Innovation
Nutzen- und Wert-Innovationen
(„Value Innovations“)
Architektonische-Innovationen
(„Konfiguration desWertschöpfungssystems“)
Wachstums-/Ertrags-Innovationen
• Art und Mixder Ertragsquellen
• Art und Mixder Wachstumsfelder
• Wie verdiene ich damitGeld?
• Welchen Nutzen fürwelche Kunden mit welchen Angeboten
• Nutzen für Partner
• Wie und für wen schaffeich �utzen und Wert?
• interne Aktivitäten vs. externe Partner• Struktur der Transaktionsbeziehungen• Koordination der Transaktionen• Organisation benötigter Ressourcen
und Fähigkeiten
• Wie strukturieren und organisieren ich dieLeistungserstellung und -erbringung?
Abbildung 22: Ansatzpunkte für eine Geschäftsmodellinnovation393
Die vorliegende Arbeit baut auf der Hypothese auf, dass es sich bei
Geschäftsmodellinnovationen um eine organisationale Kompetenz bzw. Fähigkeiten des
Unternehmens handelt, die erlernbar ist bzw. sind. Wie auch bei Collis (1994) wird im
weiteren Verlauf der Untersuchung von der Existenz sogenannter Metafähigkeiten
ausgegangen, die den Prozess der Kombination von Ressourcen, Fähigkeiten und
Aktivitäten leiten und somit den Bauplan für das Geschäftsmodell liefern. Gleichzeitig
wird Geschäftsmodellinnovation als eine solche dynamische, da erlernbare Metafähigkeit
einer Organisation verstanden, die für die Innovationsfähigkeit des Unternehmens von
entscheidender Bedeutung ist.
Da organisationale Kompetenzen die DNA der Organisation darstellen, die beschreibt,
wie neue Geschäftsmodelle entwickelt, realisiert und angepasst werden, stellt sie
gleichsam eine Heuristik zur Realisierung innovativer Geschäftsideen dar, die ausgelesen
werden, im situativen Kontext des Unternehmens erforscht werden und anhand von
393 Eigene Darstellung
116 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation
Prozessen und organisationalen Routinen beschreibbar bzw. replizierbar sind.
8.3 Strategische Innovation
Eine Geschäftsmodellinnovation ist immer auch eine strategische Innovation (Strategic
Innovation), da beide Innovationsformen die grundlegende Struktur eines Geschäfts
verändern. Während ein Geschäftsmodell an sich keine Strategie ist, stellt dessen
bewusste Veränderung, um sich von Wettbewerbern zu differenzieren, eine Strategie dar.
Gleichzeitig geht es sowohl bei der Geschäftsmodellinnovation als auch bei der
strategischer Innovation um die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen durch eine
Differenzierung gegenüber Mitbewerbern.
Die Literatur zum Phänomen der strategischen Innovation ist das Ergebnis einer
Strömung innerhalb der Strategieforschung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Konzepte
Strategie und Innovation zu integrieren. Hinter dem Schlagwort „strategische
Innovation‟394 verbirgt sich die Forderung nach der “fundamental reconceptualization of
the business model and the reshaping of existing markets (by breaking the rules and
changing the nature of competition) to achieve dramatic value improvements for
customers and high growth rates”.395
Hamel verbindet die Konstrukte wiederum unter dem Namen Strategieinnovation396
(Strategy Innovation ) miteinander und meint damit ‟the capacity to reconceive the
existing industry model in ways that create new value for customers, wrong-foot
competitors, and produce new wealth for all stakeholders”.397
Gleichzeitig wird von Hamel (1996) und anderen Autoren wie Christensen (2001) und
Kim und Mauborgne (1999) die Bedeutung innovativer Strategiearbeit hervorgehoben. In
Bezug auf den angebotenen Nutzen oder Wert von strategischen Innovationen für den
Kunden wird in der Literatur auch von einer Wertinnovation398 (Value Innovation)
gesprochen.
Kim und Mauborgne definieren Wertinnovation als “a concept that makes the
394 vgl. Martinsons, M. G. (1993), Krinsky, R. J. und Jenkins, A. C. (1997), Markides, C. (1997), Geroski,
P. (1998), Markides, C. (1998), Yates, L. und Skarzynski, P. (1999) 395 vgl. Schlegelmilch, B., et al. (2003), S. 118. 396 vgl. Hamel, G. (1996), Hamel, G. (1998b), Hamel, G. (1998a), Hamel, G. (2000) 397 vgl. Hamel, G. (1998b), S. 8. 398 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1997), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999), Seurat, R. (1999),
Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2005)
Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation 117
competition irrelevant by offering fundamentally new and superior buyer value in existing
markets and by enabling a quantum leap in buyer value to create new markets”.399
Unabhängig von den verschiedenen Bezeichnungen sind diese Ansätze Ausdruck einer
stärkeren Verknüpfung von Strategie- und Innovationsarbeit und trotz der
unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen herrscht zwischen den Autoren in wichtigen
Punkten Übereinstimmung.
Zentrale Inhalte sind neben der Beschäftigung und der Erneuerung der eigenen
Wertschöpfung in Form neuer Geschäftsmodelle das grundlegende Hinterfragen mentaler
Modelle400 und impliziter Regeln401, die Favorisierung eines auf Wachstum ausgerichteten
kreativen Prozesses der Strategieformulierung402, die Neudefinition bestehender
Unternehmens- und Branchengrenzen403 und die Schaffung von Kundennutzen als Basis
für die Gewinnerzielung aus der eigenen Wertschöpfung.404
9 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die Auseinandersetzung mit der
Geschäftsmodellinnovation. Im Gegensatz zur Praxis, wo der Begriff seit Längerem in
aller Munde ist und sich als Schlagwort großer Beliebtheit erfreut, zeigt die Wissenschaft
erst seit relativ kurzer Zeit Interesse an dieser Materie.
Folglich stellt das Konzept für die wissenschaftliche Forschung relativ unerforschtes
Neuland dar, da die Thematik erst seit etwas mehr als zehn Jahren Gegenstand
wissenschaftlicher Auseinandersetzungen ist und das Interesse an der Materie seit der
Jahrtausendwende, als die Diskussion vor dem Hintergrund der „New Economy“ ihren
Höhepunkt erreichte, wieder deutlich abgeebbt ist.
Neben den präskriptiven Beiträgen der Beratungspraxis und den in der wissenschaftlichen
Literatur in vielen Facetten diskutierten konzeptionellen Fragen nach dem Wesen von
399 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999), S. 43. 400 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003), Schlegelmilch, B., et al. (2003) 401 vgl. Hamel, G. (1996), Geroski, P. (1998), Hamel, G. (1998a), Markides, C. (1998), Kim, C. W. und
Mauborgne, R. (1999) 402 vgl. Martinsons, M. G. (1993), Hamel, G. (1996), Krinsky, R. J. und Jenkins, A. C. (1997), Hamel, G.
(1998b), Hamel, G. (1999), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999) 403 vgl. Hamel, G. (1996), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999), Amit, R. und Zott, C. (2001), Kraatz, M.
S. und Zajac, E. J. (2001) 404 vgl. Martinsons, M. G. (1993), Krinsky, R. J. und Jenkins, A. C. (1997), Seurat, R. (1999), Müller-
Stewens, G. und Fontin, M. (2003)
118 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation
Geschäftsmodellen wird in dieser Arbeit in Erweiterung der theoretischen Betrachtung
auch eine empirische Perspektive eingenommen, die in der Forschung bisher, von
wenigen Ausnahmen405 abgesehen, kaum Berücksichtigung gefunden hat. Dadurch sollen
empirisch fundierte theoretische Erkenntnisse rund um das Problem der
Geschäftsmodellinnovation gewonnen werden.
Um ein theoretisches Problem zu identifizieren und abzugrenzen, benötigt der Forscher
eine theoretische Brille bzw. Perspektive, durch die er die Realität betrachten und
sprachlich wie gedanklich erfassen kann. „Sie kommt in Annahmen, Fragen und
Interpretationsmustern zum Ausdruck, deren Gesamtheit als heuristischer Bezugsrahmen
bezeichnet wird.“406
Kirsch definiert den Bezugsrahmen sinngemäß als
„lediglich eine Vorstufe der Modellentwicklung. Er enthält eine Reihe
theoretischer Begriffe, von denen angenommen wird, dass sie einmal
Bestandteil von Modellen bzw. Theorien werden könnten. Darüber hinaus
umfasst ein theoretischer Bezugsrahmen einige, freilich sehr allgemeine
Gesetzeshypothesen, die jedoch meist nur tendenzielle Zusammenhänge
andeuten.“407
Der Bezugsrahmen ist als „strukturiertes Vorverständnis bzw. als Strukturierung des
bereits vorhandenen Wissens“408 zu verstehen und stellt somit „ein Ordnungsschema für
erkenntnisbezogene und handlungsbezogene Vorstellungen der Realität“409 dar.
Gleichsam dient er als vorläufiges Erklärungsmodell, das den weiteren Forschungsprozess
steuert, und als unmittelbare Orientierungshilfe zur Lösung praktischer Probleme.410 405 vgl. Timmers (1998) dessen Ergebnisse auf detaillierten Fallstudien beruhen, die im Rahmen des von der
europäischen Union finanzierten IT-Forschungsprogramms ESPRIT erstellt wurden. Linder und
Cantrell (2001) führten 70 Interviews mit CEOs, Amit und Zott (2001) überprüften ihre
Hypothesen anhand eines Samples von 59 Startup-Unternehmen, die im Zeitraum zwischen 2000
und 2001 ihr IPO hatten, wobei die Erkenntnisse anhand einiger kurzer Fallbeispiele illustriert
werden. Weill und Vitale (2001) untersuchten 50 Online-Initiativen und entwickelten daraus
Empfehlungen wie bestehende Unternehmen beim Aufbau von Online-Angeboten vorgehen sollten.
Chesbrough und Rosenbaums (2002) Aussagen zur Kommerzialisierung von technologischen
Innovationen stützen sich auf eine empirische Untersuchung von 35 Spin-offs des Xerox PARC.
Auch hier wurden 6 Unternehmen anhand von Fallstudien näher beschrieben. 406 vgl. Kubicek, H. (1977), S. 16. 407 vgl. Kirsch, W. (1971), S. 241. 408 vgl. Rössl, D. (1990), S. 99. 409 vgl. Grochla, E. (1980), S. 65. 410 vgl. Kubicek, H. (1977)
Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation 119
Sinngemäß lassen sich nach Rössl411 folgende unterschiedliche Zwecke eines
Bezugsrahmens zusammenfassen:
� Er ermöglicht es, das vage Vorverständnis des Forschers zu explizieren und
intersubjektiv nachvollziehbar zu machen.
� Er kann als auf Hypothesen basierender formaler Integrationsrahmen genutzt
werden, um verbindungslose Hypothesen und Ergebnisse aus einem konkreten
Forschungskontext zu integrieren.
� Er kann als Orientierungshilfe für die gezielte Gewinnung, Verfeinerung und
Entwicklung von Erfahrungswissen dienen, um ein Problem besser zu
verstehen, indem dieses Wissen zur Aufarbeitung einer differenzierten
Perspektive angewendet wird.412
Auf Grundlage dieses Verständnisses muss der Bezugsrahmen dieser Arbeit folgenden
Anforderungen gerecht werden:
1. Der Bezugsrahmen soll das Vorverständnis des Forschers offenbaren und die
beabsichtigte Vorgehensweise bzw. Lösungsansätze offenlegen.
2. Er soll eine Synthese der persönlichen Kenntnisse des Forschers und des
aktuellen Stands der Forschung anhand relevanter Literatur zum Phänomen
Geschäftsmodellinnovation bilden.
3. Er soll die Grundlage für eine konkrete, zielgerichtete Vorgehensweise bieten,
um der nachfolgenden empirischen Studie Struktur und Perspektive zu geben.
Der Bezugsrahmen beschreibt, entweder grafisch oder narrativ, das Herzstück des zu
untersuchenden Phänomens, d. h. die Faktoren, Konstrukte oder Variablen und die
mutmaßlichen Beziehungen zwischen diesen. Egal ob der Bezugsrahmen rudimentär oder
detailliert ausgearbeitet ist, so soll er vor allem dazu beitragen, die wesentliche
Fragestellung der Untersuchung leicht erfassbar zu machen, d. h. klar zu beschreiben,
welche Informationen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen, gesammelt und
analysiert werden bzw. welche Aspekte für die Untersuchung ausgeblendet werden.413
Kubicek (1977) schlägt einen dreistufigen Prozess zur Entwicklung des Bezugsrahmens
vor: (1) theoretische Kategorien und Dimensionen identifizieren, (2) relevante
Beziehungen zwischen diesen Elementen aufzeigen (3) und die zentralen
Wirkungszusammenhänge erläutern. Im nun folgenden Abschnitt wird dieses Schema auf 411 vgl. Rössl, D. (1990) 412 vgl. Kubicek, H. (1977) 413 vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994), S. 18.
120 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation
die vorliegende Arbeit angewendet, um den Bezugsrahmen414 zu entwickeln.
9.1 Theoretische Kategorien und Dimensionen
Das zentrale Forschungsinteresse dieser Arbeit gilt dem Phänomen der
Geschäftsmodellinnovation, d. h. der organisationalen Kompetenz bzw. Fähigkeit,
innovative Geschäftsideen zu realisieren. Ziel ist die ganzheitliche Betrachtung des
internen Innovations- und Entscheidungsprozesses von der Entstehung einer
Geschäftsidee, Formulierung einer Strategie bis zur Realisierung in Form eines operativ
wirksamen Geschäftsmodells.
Berücksichtigt man die spezifischen Eigenschaften von organisationalen Fähigkeiten, d.
h., dass sie aus Prozessen und Routinen bestehen, die auf erlernten Handlungsweisen und
kollektivem Wissen beruhen, ergeben sich Konsequenzen für die Erforschbarkeit des
Phänomens. Zwei unterschiedliche Vorgehensweisen und Fragestellungen kommen dazu
infrage: Wird eine soziologische Perspektive eingenommen, interessiert insbesondere, wie
Wissen von Individuen sozialisiert wird, also wie es entsteht und sich im Unternehmen
verteilt. Wird hingegen ein psychologischer Blickwinkel eingenommen, der von der
Bedeutung einzelner wichtiger Akteure (zum Beispiel dem mittleren Management)
ausgeht, sind der Prozess der Entscheidungsfindung und der Informationsverarbeitung
sowie der Umgang mit bestehendem Wissen besonders interessant.
Um das Phänomen ganzheitlich erfassen zu können, ist es notwendig, beide Sichtweisen
zu berücksichtigen. Daher folgt die hier gewählte Vorgehensweise der Empfehlung von
Pettigrew (1987), einen möglichst breiten Forschungsansatz zu wählen, der nicht nur den
Prozess individueller Handlungen und Entscheidungen, sondern auch den äußeren und
inneren organisationalen Kontext einbezieht.415
“Theoretical sound and practically useful research on strategic change should
involve the continuous interplay among ideas about the context, the process and
the content of change, together with skill in regulating the relations among the
three.”416
Um die Geschäftsmodellinnovation ganzheitlich zu verstehen, wird somit im Rahmen der
empirischen Untersuchung folgenden drei Aspekten Raum gegeben: Inhalt, Prozess und
Kontext, d. h. dem Wesen und der Gestalt neuer Geschäftsmodelle (Inhalt), der Abfolge 414 vgl. Abbildung 24 415 vgl. Pettigrew, A. (1987) 416 vgl. Pettigrew, A. (1985)
Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation 121
der Ereignisse, Entscheidungen und Aktivitäten (Prozess) im Unternehmen sowie den
dabei moderierenden Umwelteinflüssen (Kontext).
Abbildung 23: Dimensionen strategischen Wandels417
Der Unternehmenskontext (Kontext) wird von Pettigrew dabei in die zwei Aspekte des
internen und externen Kontexts unterteilt. Der innere Kontext betrifft die administrative
Struktur, die Unternehmenskultur und den politischen Kontext des Unternehmens. Der
äußere Kontext beschreibt das wirtschaftliche, politische und soziale Umfeld, in dem das
Unternehmen tätig ist. Die Kategorie Inhalt bezieht sich auf den Gegenstand des Wandels;
d. h., im Mittelpunkt steht das, was sich ändert. Wie bereits zuvor definiert wurde,
beschreibt der Prozess die Abfolge der Ereignisse und Aktivitäten, wie sich ein Phänomen
im Zeitablauf verändert.
In Anlehnung an die Ausführungen von Pettigrew wurden in den Bezugsrahmen die
Analysefelder „interner/externer Kontext“, „Innovationsprozess“ und „Geschäftserfolg“
als grundlegende Kategorien aufgenommen.
Für die Kategorie Geschäftserfolg wurden in Übereinstimmung mit der einschlägigen
Literatur418 die folgenden vorläufigen Dimensionen definiert: gesellschaftlicher Nutzen,
der die Akzeptanz, den Kundennutzen und somit den Markterfolg widerspiegelt, sowie
Rentabilität und Wachstum, um die Zielgröße nachhaltig profitablen Wachstums zu
operationalisieren. Die Kategorie Kontext, die das interne und externe
Unternehmensumfeld charakterisiert, ist daher zwischen den Dimensionen intern und
extern zu unterscheiden. Die Kategorie Innovationsprozess deckt sowohl die inhaltliche
417 vgl. Pettigrew, A. (1987), S. 5. 418 vgl. Murphy, G. B., et al. (1996), Rüegg-Stürm, J. (2000)
Prozess
Kontext
Inhalt
externer
interner
122 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation
wie auch die prozessuale Dimension des Forschungsvorhabens ab, bildet den eigentlichen
Gegenstand des Forschungsinteresses und soll im Rahmen der empirischen Untersuchung
explorativ erforscht werden.
9.2 Relevante Beziehungen
Der Prozess der Geschäftsmodellinnovation wird dabei als Bindeglied zwischen der
Formulierung und Realisierung einer Geschäftsidee oder Geschäftsstrategie auf der Ebene
einer Geschäftseinheit verstanden. Ziel ist es, die Geschäftsidee bzw. Strategie in ein
kohärentes System der operativen Wertschöpfungsstrukturen und Geschäftsprozesse zu
überzuführen.
Dem Prozess der Geschäftsmodellinnovation liegen mehrere Beziehungen zugrunde, die
besonders auf der Ebene einzelner Dimensionen genauer untersucht werden sollen.
Einerseits liegt dem Bezugsrahmen die Annahme zugrunde, dass ein direkter
Zusammenhang zwischen der Strategie, dem Geschäftsmodell eines Unternehmens und
seinem Geschäftserfolg besteht.419 Andererseits ist der Innovationsprozess von der
Entwicklung einer Geschäftsidee bzw. Strategie bis zur Realisierung in Form eines
passenden Geschäftsmodells bestimmten Einflüssen des internen und externen
Unternehmenskontexts ausgesetzt; d. h., der Innovationsprozess findet im speziellen
Kontext einer im Wettbewerb stehenden Organisation statt, die ihrerseits bestimmten
moderierenden Umwelteinflüssen ausgesetzt ist.
9.3 Zentrale Wirkungszusammenhänge
Doch die Geschäftsstrategie wird nicht nur durch den zugrunde liegenden Markt bzw. die
in der Branche herrschenden Wettbewerbsbedingungen, sondern genauso durch die dem
Management zur Verfügung stehenden Ressourcen geformt. Dies schließt die Kreativität
des Managements und seine Fähigkeit, innovative Geschäftsideen zu formulieren und
neuartige Geschäftsmodelle zu realisieren, genauso mit ein wie die internen Strukturen,
Systeme und die Kultur eines Unternehmens, die diesen Prozess moderieren. Das
Geschäftsmodell wiederum bietet sich als ideale holistische Analyseeinheit zur
Überprüfung der Wirkungszusammenhänge zwischen der externen Positionierung bzw.
Geschäftsstrategie und der konkreten Ausgestaltung der operativen, wertschöpfenden
Aktivitäten im Unternehmen an. Diese Integration der externen und internen Perspektive
bildet den Rahmen für das strategische Denken im Allgemeinen und somit auch für die
Suche nach innovativen Geschäftsmodellen im Speziellen.
419 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2004), Amit, R. und Zott, C. (2008)
Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation 123
Folglich muss davon ausgegangen werden, dass der interne und externe Kontext einen
erheblichen Einfluss auf den Inhalt und Prozess der Geschäftsmodellinnovation ausüben.
Im Sinne eines kontingenztheoretischen bzw. situativen Fits (bzw. Missfits) beruht diese
Untersuchungsanordnung auf der Hypothese, dass sich unterschiedliche
Verhaltensweisen, die Routinen im Prozess der Geschäftsmodellinnovation und die
dazugehörigen Konfigurationen des Geschäftsmodells positiv (bzw. negativ) auf den
Geschäftserfolg auswirken. Die Kategorie Geschäftserfolg ist dabei die abhängige
Variable, welche den Erfolg des Geschäftsmodells auf dem Markt widerspiegelt. Folglich
wird in dieser Arbeit eine dynamische Perspektive eingenommen, um die
Innovationsfähigkeit und die Auswirkungen des Innovationsprozesses auf den
Geschäftserfolg forschungsmethodisch erfassen und beurteilen zu können. Gemessen
werden unterschiedliche Routinen und Vorgehensweisen im Prozess der
Geschäftsmodellinnovation sowie die zuvor skizzierten Erfolgsgrößen.
Geschäftserfolg
- gesellschaftlicher Nutzen - Rentabilität- Wachstum
interner Kontext
Innovationsprozess
Interne Einflussfaktoren:z. B.:- Unternehmenskultur- administrative Strukturen- politischer Kontext
externer Kontext
GeschäftsmodellStrategie /
Geschäftsidee
Externe Einflussfaktoren:z. B.:- wirtschaftliches Umfeld- politisches Umfeld- soziales Umfeld
Abbildung 24: Bezugsrahmen für die empirische Untersuchung420
Indem der vorliegende Bezugsrahmen auf dem Vorverständnis und den Thesen des
Forschers sowie der aktuellen Forschung aufbaut, bildet er einen vorläufigen
420 Eigene Darstellung
124 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation
gedanklichen Rahmen zur narrativen und grafischen Ausführung der Forschungsfrage
dieser Arbeit. Gleichzeitig stellt er eine grob strukturierte Grundlage und
Orientierungshilfe für die nachfolgende empirische Untersuchung bereit.
Konzeption der empirischen Untersuchung 125
TEIL III: EMPIRISCHE U�TERSUCHU�G
10 Konzeption der empirischen Untersuchung
Dieser Abschnitt ist der detaillierten Darstellung der weiteren Vorgehensweise gewidmet.
Ohne, in eine vertiefte wissenschaftstheoretische Diskussion oder Kritik an den heute
vorherrschenden wissenschaftstheoretischen Positionen und Erkenntnistheorien zu
verfallen, soll darauf jedoch insofern eingegangen werden, als die Festlegung der
methodologischen Grundannahmen Auskunft über das zugrunde liegende
Wissenschaftsverständnis erlaubt. So ergeben sich daraus (1) Implikationen für den
Prozess der Erkenntnisgewinnung, (2) Konsequenzen für die angewendete Methodologie,
(3) Erfordernisse hinsichtlich der Wahl der empirischen Forschungsmethode und (4) der
obligatorischen Qualitätskriterien, anhand derer die Ergebnisse dieser Arbeit zu messen
sind.421 Ausgehend von dem skizzierten Forschungsziel und den Forschungsfragen wird
in Folge der eingeschlagene Weg vorgestellt und die axiomatischen Prämissen
hinsichtlich des Wesens wissenschaftlicher Erkenntnis und die hierzu angemessenen
Methoden wissenschaftlicher Forschung werden begründet.
10.1 Wissenschaftstheoretische Positionierung
Wissenschaftliche Erkenntnisse erheben einen besonderen Geltungsanspruch, die diese
Form von Wissen von anderen Formen des Wissens unterscheidet, denn was unter
wissenschaftlichem Wissen zu verstehen ist, „beruht auf bestimmten Annahmen und
Voraussetzungen, die ihrerseits eine besonders grundlegende Art und Weise von Wissen
darstellen“.422 Wissenschaftlich zu arbeiten, heißt, nach dem Warum zu fragen und sich
nicht mit Erzählungen bzw. Mythen zufriedenzugeben, sondern systematisch und
methodisch weiterzufragen.423
Nach Kant ist Wissenschaft „eine jede Lehre, wenn sie ein System, d. i. ein nach
Prinzipien geordnetes Ganzes der Erkenntnis sein soll“.424 Erstens strebt sie nach
begründeten Aussagen, also Erkenntnis. Zweitens stellt Kants Definition fest, dass es sich
dabei nicht um einzelne begründete Aussagen handelt, sondern diese als Resultat eines
methodischen Verfahrens ein System bilden. Drittens hat dieses System eine
argumentative Struktur; d. h., es ist ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes.
421 vgl. Schülein, J. A. und Reitze, S. (2002) 422 vgl. Rüegg-Stürm, J., et al. (2004), S. 172. 423 vgl. Poser, H. (2001), S. 11. 424 vgl. Kant, zitiert aus Schmidt, R. (1976), S. 21.
126 Konzeption der empirischen Untersuchung
Wissenschaftliche Erkenntnis zielt daher auf begründete Aussagesysteme, d. h. Theorien,
ab. Die Aufgabe der Forschung ist es, Theorien zu entwerfen, die geeignet sind,
beobachtbare Zustände und Ereignisse dadurch zu erklären, dass sie auf die Gültigkeit
von allgemeinen Hypothesen und allgemeinen Theorien zurückgeführt werden.
Traditionell baut der Prozess der Entwicklung und Reifung von Theorien auf deduktive
Verfahren zur Überprüfung von Hypothesen auf, wobei gerade die Überprüfung laut
Popper (1973) durch eine streng kontrollierbare Beobachtung der Realität und durch die
Elimination von Hypothesen durch Falsifikation erfolgt. Den Kern dieser deduktiven
Vorgehensweise bilden das ständige Aufstellen neuer Hypothesen und deren Falsifikation
durch empirische Forschungsmethoden425, wobei traditionell quantitativen Methoden
gegenüber qualitativen Methoden der Vorzug gegeben wird.
Gleichzeitig baut dieser Forschungsansatz auf traditionellen positivistisch gefärbten
ontologischen und epistemologischen Grundannahmen hinsichtlich der Natur der Welt
auf; d. h., es gilt die durch die naturwissenschaftliche Forschung geprägte Annahme einer
objektiv gegebenen Realität, in der Störeinflüsse kontrollierbar sind.
Vor dem Hintergrund eines immer schnelleren sozialen Wandels und der sich daraus
ergebenden neuen sozialen Welten wird diese positivistisch-deduktive Vorgehensweise
zunehmend infrage gestellt.426
Da im Kontext der Sozialwissenschaften für die empirische Forschung eine objektive,
vom erkennenden Subjekt unabhängige Realität weniger realistisch erscheint, stellt die
postpositivistische Sichtweise, die im Gegensatz zum Positivismus von einer Realität
ausgeht, die erst durch die kognitive Leistung des Subjekts geschaffen, genauer gesagt
konstruiert wird, eine bedeutende Alternative dar.
425 vgl. Ulrich, P. und Hill, W. (1976) 426 vgl. Denzin, N. K. und Lincoln, Y. S. (2000), S. 9.
Konzeption der empirischen Untersuchung 127
Theorie Erklärende Theorie
Daten Empirische Empirische Empirische(Ebene 2) Generalisierung 1 Generalisierung 2 Generalisierung 3
Daten einzelne einzelne einzelne(Ebene 3) Fakten Fakten Fakten
Ded
uk
tive Üb
erprü
fun
g
Ind
uk
tive Th
eorie-Bild
un
g
Abbildung 25: Die Struktur wissenschaftlicher Erkenntnis (gesetzgebende Ansicht)427
Postpositivistische Forscher entdecken nicht die verborgenen Strukturen einer objektiv
gegebenen Welt, sondern sie selbst konstruieren diese Realität. Wissen wird in einem
Prozess aktiven Erlebens konstruiert. Alternativ zum deduktiv-quantitativen empirischen
Überprüfen von Hypothesen setzt der Postpositivismus bevorzugt auf induktiv-qualitative
Methoden zur explorativen Erforschung neuartiger Phänomene und kritischen Reflexion
historisch gewachsener Regelmäßigkeiten und Wirkungszusammenhänge sozialer
Realität428, um dadurch neue Hypothesen und Theorien zu generieren oder bestehende
Theorien abseits der traditionellen deduktiven Verfahren durch neue Erkenntnis zu
bereichern.
427 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 18. 428 vgl. Rüegg-Stürm, J., et al. (2004), S. 192ff.
128 Konzeption der empirischen Untersuchung
�eopositivismus Postpositivismus
Ontologie Naiver Realismus – Suche nach den Naturgesetzen hinter einer objektiv gegebenen Realität, die durch quasigesetzliche Beziehungen und Prozesse gekennzeichnet ist; das Sein existiert in Form von Dingen; nomologisches Weltbild
Relativismus – spezifischer, lokaler Kontext der humanen Realität als Produkt des menschlichen Denkens; diskursiv konstruierte soziale Realität; Sprache ist nicht einfach Träger objektiv gegebenen Bedeutungsinhalts, sondern selbst ein generativer Prozess der Konstitution von Wirklichkeit; reflexiv- autopoetisches Weltbild
Epistemologie Dualismus Subjekt/Objekt; Subjekt ist Beobachter, der erkennen und erklären kann, wie sich die Dinge und die abstrakte Realität darstellen; interessierende Phänomene sind von Störeinflüssen abschirmbar, d. h. weitgehend vom Kontext ablösbar, was kontextfreie Untersuchungen zulässt; kann auch subjektiv, d. h. potenziell fehlerhaft, wahrgenommen werden; theoriegestützte deduktive Ableitung oder explorativ-empirische Gewinnung von testbaren Hypothesen; Falsifikation von Hypothesen; auf dieser Grundlage Entdeckung der allgemeingültigen Erklärung von gesetzmäßigen Wirkungszusammenhängen
Erkenntnis wird im Interaktionsprozess zwischen Subjekten dialektisch erzeugt; Forscher ist Teil der Situation und will die Welt verstehen/interpretieren; Bedeutung und Sinn von Aussagen sind in hohem Maß kontextabhängig; Anleitung zur Explikation möglichst authentischer Erfahrungen, Ableitung möglichst vieler Hypothesen zum Kontext der gemachten Äußerungen, Entwicklung eines stimmigen Sinnzusammenhangs, der es erlaubt, die gemachten Beobachtungen nachzuvollziehen und die daraus ermittelten Wirkungszusammenhänge angemessen zu verstehen.
Methodologie Vorwiegend statistische und interpretativ-analytische Verfahren; Verifikation von Hypothesen durch quantitative Methoden (z. B. Experimente), teilweise auch durch qualitative Methoden, speziell bei explorativem Vorgehen; Fragebogen, Interviews, Dokumentenanalyse, stark standardisierte Interviews; der Sinn der Daten steckt in den Daten, d .h., Sprache wird als unproblematischer Träger objektiv gegebener Bedeutungsgehalte betrachtet
Interpretativ-hermeneutische Verfahren; offene Kommunikationsformen sowie Dokumentenanalyse; der Sinn der Daten erwächst sozusagen im Dialog mit diesen Daten anhand des jeweils vorhandenen, in Entwicklung befindlichen Vorverständnisses über den Kontext dieser Daten; Interpretieren des Gegebenen wird mittels qualitativer Methoden abgesichert; minimal strukturierte dialogische Verfahren (Interviews, Beobachtungen, Gruppendiskussionen)
Konzeption der empirischen Untersuchung 129
Qualitätskriterien Methodische Strenge (Rigor) Objektivität (Intersubjektivität) Zuverlässigkeit (Reliabilität) Interne Gültigkeit (Validität) und externe Generalisierbarkeit (Repräsentativität) Triangulation der Ergebnisse
(Praxis-)Relevanz Plausibilität Systematische Explikation und Reflexion des Forschungskontexts und Kontexts der Beforschten Triangulation der Ergebnisse Nützlichkeit für das menschliche Leben
Tabelle 11: Grundannahmen des �eopositivismus und Postpositivismus429
10.2 Methodologie
In den Sozialwissenschaften hat die theoriebildende Forschung insbesondere durch die
Entwicklung des Grounded-Theory-Ansatzes an Anerkennung gewonnen. Die Grounded
Theory ist eine explizite Forschungsstrategie zur Generierung neuer Theorien.430 Der
Ansatz wurde von Glaser und Strauss (1967) als Reaktion auf den ihrer Ansicht nach
übertriebenen Stellenwert theorieverifizierender Forschung entwickelt.
“Some three decades ago, it was felt that we had plenty of theories but few
confirmations of them – a position made very feasible by the greatly increased
sophistication of quantitative method. As this shift in emphasis took hold, the
discovery of new theories became slighted and, at some universities, virtually
neglected.”431
In den letzten vier Jahrzehnten ist die Grounded Theory zu einem der am weitesten
verbreiteten Verfahren der qualitativ-interpretativen Sozialforschung gereift. Spätestens
seit 1978 gibt es zwei Ausprägungen dieses Verfahrens: eine pragmatische, von Anselm
Strauss inspirierte Variante, die er gemeinsam mit Juliet Corbin in ihren praktischen
Dimensionen näher ausgearbeitet hat, sowie die empirische, am ursprünglichen Konzept
aus dem Jahr 1967432 festhaltende Variante von Barney Glaser. Die weiteren
Ausführungen beziehen sich auf die von Strauss vorgeschlagene Deutung, da sie für diese
Arbeit als die zweckdienlichere, weil wissenschafts- und methodentheoretisch
ausdrucksvollere erscheint.
429 Eigene Darstellung in Anlehnung an Guba, E. G. und Lincoln, Y. S. (1994), S. 109, Rüegg-Stürm, J., et
al. (2004), S. 212f. 430 vgl. Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1990), Strauss, A. L. und Corbin,
J. (1994), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1998) 431 vgl. Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967), S. 10. 432 vgl. Ibid.
130 Konzeption der empirischen Untersuchung
Da eine direkte Übersetzung von Grounded Theory nicht einfach möglich ist, wird der
Begriff gerne als eine „in empirischen Daten begründete Theorie“433 oder
„gegenstandsbezogene Theorie“434 umschrieben. Im Kern handelt es sich dabei um eine
spezifische Methode zur systematisch-experimentellen Entdeckung von
Wirklichkeitszusammenhängen, die einer klaren, wissenschaftstheoretisch orientierten
Falsifikationslogik unterliegt. Es handelt sich dabei um einen Forschungsstil zur
Erarbeitung von in empirischen Daten begründeten Theorien. Als Ergebnis dieses
induktiv angelegten Forschungsprozesses soll „eine konzeptuell dichte Theorie (..), die
sehr viele Aspekte der untersuchten Phänomene erklärt“435, entstehen.
Glaser und Strauss kritisieren, dass die Verifikation bestehender Theorien die Forschung
davon abhält, neue Problemfelder zu erkunden, und den notwendigerweise explorativen
Charakter von Forschung vermissen lässt.
Wenn ein Forschungsbereich über viele unüberprüfte Theorien verfügt, dann sollte der
Schwerpunkt auf die theorieprüfende Forschung gelegt werden. Demgegenüber sollte in
Forschungsfeldern, die neu bzw. relativ unterentwickelt sind und in denen es an
geeigneten Theorien zur Erklärung von beobachtbaren Phänomenen fehlt, größeres
Augenmerk auf die Generierung neuer Theorien gelegt werden.
Angesichts der im vorigen Abschnitt formulierten Forschungsziele, der Neuartigkeit des
Phänomens Geschäftsmodell und der komplexen sozialen Interaktionen im Prozess der
Geschäftsmodellinnovation, versucht diese Dissertation nicht, Hypothesen und Theorien
zu testen, sondern setzt stattdessen auf die induktiv- explorative Methodologie der
Grounded Theory, da Brown und Eisenhardt436 zufolge diese Methodologie vor allem
dann besonders geeignet ist, wenn das zu untersuchende Phänomen kaum erforscht ist:
“We chose grounded theory building because of our interest in looking at a
rarely explored phenomenon for which extant theory did not appear to be
useful. In such situations, a grounded theory-building approach is more likely to
generate novel and accurate insights into the phenomenon under study than
reliance on either past research or office-bound thought experiments.”437
Meine Forschung zielt auf die Generierung testbarer Hypothesen hinsichtlich der
433 vgl. Strübing, J. (2004) 434 vgl. Hopf, C. und Weingarten, E. (1979) 435 vgl. Strauss, A. (1991), S. 25. 436 vgl. Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1997) 437 vgl. Ibid., S. 2.
Konzeption der empirischen Untersuchung 131
erfolgreichen Gestaltung des Prozesses der Geschäftsmodellinnovation ab und soll zu
einer bereichsbezogenen (mid-range) Theorie438 des Managements von
Geschäftsmodellen führen. Damit beabsichtige ich, den Grundstein für weiterführende
quantitative Untersuchungen zu legen, die meine theoretischen Ergebnisse auf eine
breitere Basis stellen und weiter absichern sollen.
Ich sehe die Methodologie der Grounded Theory als geeignet an, da sie zwischen den
Extrempunkten einer rein objektiven positivistisch-quantitativen Forschung auf der einen
Seite und einer rein subjektiven postpositivistisch-qualitativen Forschung auf der anderen
Seite eine vermittelnde Perspektive einnimmt.439 Die Grounded Theory richtet sich gegen
die traditionelle positivistische Annahme einer objektiv gegebenen Realität, die
vollständig analysiert, erfasst und verstanden werden kann.440 Diesem nomologischen
Weltbild eines naiven Realismus setzt die Grounded Theory die postpositivistische
Perspektive einer spezifischen kontextabhängigen Realität entgegen, die niemals
vollständig objektiv erfasst, sondern bestenfalls approximiert werden kann.441
Trotzdem erlaubt diese Methodologie laut Eisenhardt ‟the development of testable
hypotheses and theory which is generalizable across settings”442; d. h., sie erlaubt durch
das tiefe Verständnis der gesammelten Daten und des spezifischen Kontexts zumindest
bereichsweise, generalisierbare Ergebnisse zu liefern, die den strengen positivistischen
Qualitätskriterien hinsichtlich der Gültigkeit empirischer Erkenntnis Rechnung tragen und
durch die Generierung von Hypothesen die Grundlage für weiterführende quantitative
Arbeiten liefern.
10.3 Forschungsansatz vergleichender Fallstudienforschung
Im nächsten Schritt werden die Bedingungen der wissenschaftlich korrekten Bearbeitung
der eingangs formulierten Fragestellung ergründet, denn in der empirischen Forschung
stellt die Wahl des richtigen Forschungsansatzes und der damit verbundenen Methoden
einen kritischen Erfolgsfaktor dar. Nachdem mit der Grounded Theory eine geeignete
Methodologie identifiziert wurde, wird nun der gewählte Forschungsansatz konkretisiert. 438 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996) 439 vgl. Tabelle 11
So definieren Strauss und Corbin Strauss, A. L. und Corbin, J. (1998), S. 3. ihre Methodologie als “a way of
thinking about and studying social reality”. Ihren Forschungsansatz beschreiben sie als die
Methoden der Datenerhebung und Analyse, d.h. als “a set of procedures and techniques for
gathering and analyzing data”. 440 vgl. Guba, E. G. und Lincoln, Y. S. (1994), S. 105. 441 vgl. House, E. R. (1990) 442 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), S. 546.
132 Konzeption der empirischen Untersuchung
In dieser Arbeit setze ich auf die qualitative Forschungsmethode443 longitudinaler444
vergleichender Fallstudienforschung445, wobei ich dem von Eisenhardt beschriebenen
Ansatz zur Theoriebildung446 folge.
Im Bereich des strategischen Managements hat die Fallstudienforschung eine lange
Tradition, die bis zu den Anfängen dieser Disziplin zurückreicht, da im Rahmen von
Fallstudien komplexe soziale Interaktionen und vor allem auch Entscheidungen in ihrem
spezifischen Kontext untersucht werden können.
“The essence of a case study, the central tendency among all types of case
study, is that it tries to illuminate a decision or set of decisions: why they were
taken, how they were implemented, and with what results.”447
In der Forschung werden Fallstudien vor allem dann eingesetzt, wenn sich die
Fragestellung der Arbeit auf das Wie und Warum bezieht, es sich dabei um aktuelle
Phänomene handelt und der Untersuchende wenig Kontrolle über die Ergebnisse hat.
Weiters eignet sich diese Methode ausgesprochen gut zur Untersuchung aktueller
Gegebenheiten und Phänomene in ihrem realen Lebenszusammenhang. Besonders
nützlich sind Fallstudien dann, wenn die Grenzen zwischen dem Phänomen und seinem
Kontext nicht klar ersichtlich sind, d. h. das Phänomen nur im konkreten
Anwendungszusammenhang verständlich und erklärbar ist. Dieses Verständlichmachen
komplexer sozialer Phänomene ist somit eine der großen Stärken der Fallstudienmethode.
“A case study is an empirical inquiry that investigates a contemporary
phenomenon within a real-life context, especially when the boundaries between
the phenomenon and the context are not clearly evident.”448
Ich habe diesen Forschungsansatz gewählt, da er sich in Bezug auf die von Yin genannten
drei Kriterien hinsichtlich (1) der Art der gestellten Forschungsfrage, (2) des Ausmaßes
an Kontrolle des Forschers über das Untersuchungsobjekt und (3) des Grads der
443 Zum Begriff und Verständnis der qualitativen Forschung vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994),
Lee, T. W. (1999), Denzin, N. K. und Lincoln, Y. S. (2000) 444 Zum Ansatz der longitudinalen Fallstudienforschung vgl. Leonard-Barton, D. (1990), Pettigrew, A.
(1990) 445 vgl. Stake, R. E. (1995), Yin, R. K. (2003) 446 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Eisenhardt, K. M. (1991), Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 447 vgl. Schramm, W. (1971) 448 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 13.
Konzeption der empirischen Untersuchung 133
Fokussierung auf zeitnahe im Gegensatz zu historischen Ereignissen449 zur Erforschung
der im Rahmen dieser Arbeit gestellten Forschungsfrage als in gleichen Maßen geeignet
erweist.
10.3.1 Art der Forschungsfrage
Wie bereits angedeutet wurde, sollte der gewählte Forschungsansatz gut zur
Forschungsfrage passen, da eine gute Koppelung zwischen Forschungsfrage und
Forschungsmethode einen wesentlichen Beitrag zur konzeptionellen Klarheit leistet.
Verschiedene Forschungsfragen verlangen nach unterschiedlichen Forschungsansätzen
und -methoden. Die Art und Weise, wie die Forschungsfrage formuliert ist, hat
Implikationen dafür, wie die Forschung angelegt werden muss, um die Fragestellung
letztendlich zu beantworten.
Abbildung 26: Zusammenspiel von Forschungsfrage, Daten und Methode
Bei der Formulierung der Forschungsfrage muss auf die richtige Wortwahl Bedacht
genommen werden, da die Bedeutung bestimmter Worte ihrerseits methodologische
Ansätze implizieren könnte. Folglich suggerieren Worte wie „Variablen“, „Faktoren“ und
„Determinanten“ oder „Korrelation von“ einen quantitativen Forschungsansatz, während
„entdecken“, „zu verstehen versuchen“ und „einen Prozess erforschen“ einen qualitativen
Ansatz implizieren. So werden die letzten drei Formulierungen ganz explizit mit der
Methodologie der Grounded Theory bzw. mit der Fallstudienmethode in Verbindung
gebracht.450
Weiters eignet sich Yin (2003) zufolge die Fallstudienforschung besonders zur
Untersuchung von Forschungsfragen, die nach dem Wie oder Warum fragen. Bezogen auf
die im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchende Forschungsfrage, wie der Prozess der
Geschäftsmodellinnovation im Kontext großer Unternehmen erfolgreich zu beschreiten
ist, liegt genau eine solche Frage vor. In Abhängigkeit vom Forschungsziel wird
grundsätzlich zwischen den drei Kategorien explanativer, deskriptiver und explorativer
Fallstudien unterschieden.
449 vgl. Ibid., S. 5ff. 450 vgl. Creswell, J. W. (1994), S. 71.
Ist die Forschungsfrage
empirisch erforschbar?
Mit welchen Daten ist die Frage zu
beantworten?
Welche Methode
liefert die benötigten Daten?
134 Konzeption der empirischen Untersuchung
Während deskriptive Fallstudien primär beschreibender Natur sind und sich explanative
Fallstudien zum Testen von Hypothesen anbieten, zielen explorative Fallstudien auf die
Generierung von Hypothesen ab. Eine klare Abgrenzung ist jedoch nicht immer möglich,
da sich die verschiedenen Formen auch teilweise überschneiden oder parallel zur
Anwendung kommen.
In Übereinstimmung mit der gewählten Methodologie der Grounded Theory und dem
theoriebildenden Fallstudienansatz nach Eisenhardt (1989a) und Eisenhardt und Gräbner
(2007) setze ich auf explorative Fallstudien.
10.3.2 Ausmaß an Kontrolle über das Untersuchungsobjekt
Auch wenn qualitative Forschungsergebnisse bisweilen als fehlerhaft und schlecht
generalisierbar eingestuft werden, birgt ein qualitativer Forschungsansatz wie die
Fallstudienmethode auch viele Vorteile. Fallstudienforschung eignet sich besonders dazu,
soziokulturelle Systeme, Ereignisse und Aktivitäten ganzheitlich zu verstehen.451
Um Entscheidungen, Prozesse und Praktiken nachvollziehen zu können, setzt dies
Kenntnisse der spezifischen Situation eines Unternehmens voraus. Die
Entstehungsgeschichte eines neuen Geschäftsmodells rekonstruieren, verstehen und
erklären zu können, warum Entscheidungen so und nicht anders getroffen wurden, setzt
voraus, die spezifische Geschichte, den Unternehmenskontext und die Akteure zu kennen.
Dazu ist es notwendig, die komplexe soziale Interaktion sowie die Handlungen und
Entscheidungen im jeweiligen Unternehmenskontext zu erfassen und zu analysieren.
Daher erfordert die Untersuchung von Prozessen neben historischen Sekundärdaten auch
die persönliche Befragung von Menschen, die in den komplexen sozialen Kontext eines
Unternehmens eingebettet sind. Obwohl es kaum möglich ist, die Interviewpartner von
kontextspezifischen (Stör-)Einflüssen abzuschirmen, und die Kontrolle über das
Untersuchungsobjekt daher relativ gering erscheint, liefern solche Interviews detaillierte
und tiefgehende Befunde und Ergebnisse der realen Begebenheiten.
10.3.3 Fokussierung auf zeitnahe Ereignisse
Weiters eignen sich qualitative Forschungsmethoden im Allgemeinen und die
Fallstudienmethode im Besonderen speziell dann, wenn der Forscher in ein junges, noch
unbearbeitetes Forschungsfeld einsteigt.452 Im Hinblick auf den Grad der
Gegenwartsbezogenheit wird mit der Diskussion des Phänomens der
451 vgl. Stake, R. E. (1995), Yin, R. K. (2003) 452 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Yin, R. K. (2003)
Konzeption der empirischen Untersuchung 135
Geschäftsmodellinnovation eine aktuelle, wenig erforschte Fragestellung aufgegriffen, die
folglich nicht als historisch, sondern aktuell einzustufen ist.
Das Erkenntnisobjekt stellt im Kontext des strategischen Managements ein neues,
theoretisch schwach fundiertes Konstrukt dar und mit der Frage nach der Fähigkeit der
Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen eröffnet sich eine bisher wenig beachtete
Perspektive auf die praktische Arbeit des Managements auf der Ebene einzelner
Geschäftsbereiche. Schon der grundlegenden Begriffsdeutung nach ist Innovation nicht
statisch, sondern vollzieht sich im Zeitablauf. Somit ist es zu wenig, das Phänomen nur im
Zeitpunkt zu beobachten, sondern die Betrachtung muss über einen bestimmten Zeitraum
erfolgen. Laut Pettigrew (1990); (1992b) wäre es ideal, Veränderung in Echtzeit zu
studieren: ‟to catch reality that is in flight”. Da dies nicht immer möglich ist, versuche
ich, aktuelle mit historischen Ereignissen und Aktivitäten zu verknüpfen, und wende ein
longitudinales, nach Maßgabe der Daten auch retrospektives Fallstudiendesign an. Laut
van de Ven und Poole453 eignet sich eine solche Vorgehensweise besonders gut, um
Prozesse zu untersuchen.
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass sich der longitudinale
Fallstudienansatz zur Theoriebildung454 sehr gut dazu eignet, komplexe soziale
Phänomene wie z. B. Entscheidungen und Prozesse im Rahmen unternehmerischen
Wandels zeitnahe und in ihrem unmittelbaren realen Unternehmenskontext zu erfassen,
um zu erklären, wie und warum sich diese Phänomene im Zeitablauf entwickeln.
10.4 Gütekriterien empirischer Forschung
Um die Qualität der Erkenntnisgewinnung im Wege qualitativer empirischer Forschung
zu bewerten, müssen die verschiedenen Aspekte des Untersuchungsverlaufs und der
angewendeten Methoden kritisch hinterfragt und mit alternativen Strategien verglichen
werden. Für die Beurteilung der Güte der mittels Fallstudien gebildeten Theorie sind
Fragen zum Gang der empirischen Untersuchung von entscheidender Bedeutung. Wurde
eine streng analytische Vorgangsweise eingehalten? Unterstützen die Fakten die Theorie?
Können abweichende Interpretationen ausgeschlossen werden? Sind die Ergebnisse
allgemeingültig oder ist ihre Gültigkeit auf einen bestimmten Anwendungszusammenhang
begrenzt?
Neben der kritischen Reflexion tragen bereits die ausführliche Beschreibung und
453 vgl. Van de Ven, A. H. und Poole, M. S. (1990), Van de Ven, A. H. (1992) 454 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Pettigrew, A. (1990)
136 Konzeption der empirischen Untersuchung
sorgfältige Dokumentation des Forschungsprojekts zur Güte der Arbeit bei, da dadurch
der Gang der Untersuchung wiederholbar und das Ergebnis nachvollziehbar ist.
Um die Qualität empirischer Forschung zu bestimmen, werden traditionell vier Tests
hinsichtlich der hier kurz zusammengefassten vier Gütekriterien (1) Konstruktvalidität,
(2) interne Validität, (3) Generalisierbarkeit und (4) Reliabilität angestellt.455 Da die
Fallstudienforschung nur eine Durchführungsart empirischer Forschung darstellt, sind
diese vier Gütekriterien auch auf das vorliegende Forschungsdesign anwendbar.
Besondere Aufmerksamkeit wurde den verschiedenen Taktiken zur Verbesserung und
Erhöhung der Gültigkeit und Qualität der empirischen Ergebnisse gewidmet.
10.4.1 Konstruktvalidität
Konstruktvalidität bezieht sich auf die Qualität der Operationalisierung und Messung der
zu untersuchenden Konstrukte. Grundsätzlich ist damit die Frage verbunden, wie gut die
gewählte Herangehensweise die korrekte Erfassung der Realität ermöglicht.456 Bevor mit
der eigentlichen Datenerhebung begonnen wird, ist es notwendig, die untersuchten
Konstrukte zu konkretisieren und messbar zu machen. Im nächsten Schritt der
Datenerhebung besteht die Herausforderung darin, die Realität unverzerrt zu erfassen. Um
die Validität der empirischen Ergebnisse sicherzustellen und für die saubere, unverzerrte
Messung relevanter Variablen zu sorgen, werden drei spezifische Taktiken angewendet.457
Eine Möglichkeit besteht darin, mehrere Datenquellen zu kombinieren, um ein
spezifisches Phänomen auf unterschiedliche Weise zu messen. Wenn die
unterschiedlichen Quellen zu konvergierenden Resultaten führen, steigt dadurch die
Validität der Ergebnisse.458 Die transparente und intersubjektiv nachprüfbare Darstellung
der gesamten Beweiskette, die von der anfänglichen Fragestellung über die
Operationalisierung der Konstrukte und die Messung der Daten über die Herleitung von
Hypothesen bis zum Endergebnis führt, stellt nach Yin (2003) ein weiteres Mittel zur
Verbesserung der Konstruktvalidität dar.
Diese beiden hier vorgestellten formalen Taktiken wurden im Verlauf der Datenerhebung
zur Qualitätssicherung eingesetzt. Zur Plausibilisierung und Absicherung der Konstrukte
wurden die vorläufigen Ergebnisse mit Experten bzw. mit einzelnen Interviewpartnern
diskutiert. Dieser dreistufige Prozess soll sicherstellen, dass die Resultate nicht durch
455 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 33-39. 456 vgl. Denzin, N. K. und Lincoln, Y. S. (2000) 457 vgl. Yin, R. K. (2003) 458 vgl. Leonard-Barton, D. (1990)
Konzeption der empirischen Untersuchung 137
eigene, subjektive Eindrücke und Empfindungen im Verlauf der Datenerhebung und -
analyse verzerrt wurden.
10.4.2 Interne Validität
Wenn der Forscher nicht direkt beobachten kann und zu Folgerungen gezwungen ist459
beziehungsweise sich auf Interviewpartner und sekundäre Datenquellen wie Dokumente
verlassen muss, stellt sich immer die Frage nach der internen Validität der Ergebnisse.
Interne Validität ist vor allem dann wichtig, wenn kausale Zusammenhänge zwischen
Variablen von Bedeutung sind, wie dies bei explanativen Fallstudien der Fall ist. Dabei
versucht der Beobachter, herauszufinden, ob das Ereignis x zum Ereignis y führt.
Gleichzeitig muss aber auch ausgeschlossen werden, dass ein intervenierendes Ereignis z
zum Ereignis y führt. Wie diese Beschreibung bereits offenbart, ist dieser Test vor allem
bei experimenteller und quasiexperimenteller Forschung von großer Bedeutung.
Im Gegensatz zu den experimentellen Anordnungen der Varianzforschung versucht dieser
Forschungsansatz jedoch nicht, die Wirkungszusammenhänge zwischen bekannten
Variablen zu testen, sondern in einem explorativen Prozess erfolgreiche Praktiken der
Geschäftsmodellinnovation zu identifizieren und daraus Hypothesen zu bilden bzw. eine
Methodologie zu entwickeln, die eine erfolgreiche Innovationsarbeit ermöglicht. Dieser
explorative Ansatz hat zum Ziel, relevante Dimensionen und Beziehungsmuster aus den
Daten herauszulesen. Dazu dienen Verfahren, wie sie in Abschnitt 11.5 „Datenanalyse“
vorgestellt werden.
Eine hilfreiche Taktik zur Erhöhung der internen Validität stellt für diese Arbeit der
Prozess der Hypothesengenerierung nach Glaser und Strauss (1967) dar. Um den
Prozessverlauf von Geschäftsmodellinnovationen im Zeitablauf zu erfassen, wird die
Chronologie der Ereignisse festgehalten. Eine vereinfachte, dafür aufschlussreichere
Vorgehensweise ist es, in Analogie zum quantitativen Verfahren der Zeitreihenanalyse
(Time-Series Analysis) die Abfolge der Ereignisse in Ablaufdiagrammen zu erfassen und
zu analysieren.
10.4.3 Generalisierbarkeit
Generalisierbarkeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die Forschungsergebnisse
über den direkten Kontext von Fallstudien hinaus verallgemeinert werden können.
Traditionell ist das Problem der externen Validität von Fallstudien einer der wesentlichen 459 vgl. Yin, R. K. (2003)
138 Forschungsdesign
Kritikpunkte an diesem Forschungsansatz. Da Fallstudien im Gegensatz zu klassischen
quantitativen Studien nicht auf statistischer, sondern analytischer Generalisierbarkeit
beruhen, ist es nicht angebracht, Fallstudien als Analogie zu Stichproben aus einer
Grundgesamtheit zu betrachten.460 Die analytische Generalisierbarkeit zielt darauf ab,
spezifische Resultate zu einer Theorie zu verallgemeinern. Indem mehrere Fallstudien
durchgeführt werden, kommt eine sogenannte Replikationslogik zur Anwendung.461
Allerdings sollte die Theorie in einem größeren Kontext nochmals getestet werden,
wodurch die Generalisierbarkeit der Ergebnisse erhöht wird.
Auf das Problem der Generalisierbarkeit wird in Kapitel 11.2 bei der Auswahl der
Fallstudien nochmals explizit hingewiesen und der Geltungsbereich auf
Geschäftsmodellinnovationen in Großunternehmen der deutschsprachigen
Versicherungsbranche eingegrenzt.
10.4.4 Reliabilität
Die Reliabilität zu verbessern, bedeutet, Fehler und die Verzerrung der Resultate zu
minimieren.462 Im Vordergrund steht, den Nachweis zu erbringen, dass unabhängig von
der Person des Forschers die wiederholte Durchführung des dokumentierten Vorgehens
zum selben Ergebnis wie die ursprüngliche Untersuchung führt. Die Voraussetzung dafür
ist, den genauen Gang der Forschung dokumentarisch festzuhalten. Nützliche Werkzeuge
dazu sind das Fallstudienprotokoll oder die Fallstudiendatenbank.
Durch die Anwendung der empfohlenen Taktiken und Verfahren zur Qualitätssicherung
im ganzen Verlauf der Arbeit wird versucht, Resultate zu erzielen, die ein hohes Maß an
Validität, Generalisierbarkeit und Verlässlichkeit aufweisen.
11 Forschungsdesign
Aufbauend auf der Methodologie der Grounded Theory und dem Forschungsansatz der
longitudinalen, retrospektiven Fallstudienmethode werden nun die empirische
Vorgehensweise und der Gang der Untersuchung detailliert offengelegt. Vornehmlich
betrifft dies die Auswahl der Fallstudien, die detaillierte Beschreibung der im Rahmen
dieser Arbeit gewählten Werkzeuge der Datenerhebung und die analytische Auswertung
der Daten. Grundsätzlich stellt das Forschungsdesign die logische Abfolge der Aktivitäten
dar. Sie umfasst alle Arbeitsschritte von der Konkretisierung der zugrunde liegenden
460 vgl. Ibid. 461 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 462 vgl. Yin, R. K. (2003)
Forschungsdesign 139
Forschungsfrage bis zur Erhebung der empirischen Daten im Feld, bis der Forscher zu
konkreten Ergebnissen gelangt, die die Grundlage für weitere Untersuchungen bilden.
Yin (2003) bezeichnet das Forschungsdesign als “a logical plan for getting from here to
there, where here may be defined as the initial set of questions to be answered, and there
is some set of conclusions (answers) about these questions.”463
Abbildung 27: Prozess der Theoriebildung mit Fallstudien464
Um von den Daten, die im Rahmen von Fallstudien gesammelt werden, zu abgesicherten
Hypothesen und einer Theorie der dynamischen Fähigkeit der Geschäftsmodellinnovation
zu gelangen, wurde ein integriertes Forschungsdesign gewählt, das die qualitative
Methode465 der Fallstudienforschung466 mit dem datenbasierten Ansatz der Grounded
Theory467 und dem mehrstufigen Prozess der Theoriebildung mit Fallstudien (Abbildung
13) nach Eisenhardt (1989a) verbindet.
463 vgl. Yin Ibid., S. 20.. 464 Eigene Darstellung des Prozesses der Fallstudienforschung nach Eisenhardt, K. M. (1989a) 465 vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994) 466 vgl. Stake, R. E. (1995), Yin, R. K. (2003) 467 vgl. Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1990), Strauss, A. L. und Corbin,
J. (1994), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996), Orton, J. D. (1997), Strauss, A. L. und Corbin, J.
(1998)
Auswahl der
Fallstudien Entwurf der Forschungswerkzeuge
Datenerhebung
im Feld Initiierung
Datenanalyse
Generierung von
Hypothesen Abgleich mit
der Literatur
Abschluss der
Forschung
1
2 3
4
5
6 7
8
140 Forschungsdesign
Besonders der iterative achtstufige Prozess der Theoriebildung mittels Fallstudien bietet
einen Fahrplan und nützliche Hinweise zur Strukturierung des weiteren Vorgehens, wobei
zwischen den verschiedenen Arbeitsschritten immer wieder vor- und zurückgesprungen
wird. Um eine detaillierte Wegbeschreibung über den Verlauf der empirischen Arbeit zu
geben, werden schlaglichtartig die einzelnen Schritte dargelegt, um die wesentlichen
Aktivitäten und die gewählte Vorgehensweise anschaulich zu dokumentieren.
11.1 Initiierung
Wie bei jedem Forschungsdesign bildete die Forschungsfrage den Ausgangspunkt der
Untersuchung. Während die Ausrichtung des Forschungsvorhabens, die Problemstellung
aus Sicht von Theorie und Praxis und das interessierende Phänomen im ersten Abschnitt
bereits grob beschrieben wurden, war es vor Beginn der eigentlichen empirischen
Untersuchung notwendig, die anfänglich grob formulierte Forschungsfrage zu
konkretisieren. Im Verlauf der Arbeit an diesem Dissertationsprojekt hat sich die
Forschungsfrage mehrmals geändert und es wurden die Breite und Tiefe der
Untersuchung nur langsam mit Fortdauer des Forschungsprojekts Zug um Zug weiter
eingeschränkt und es wurde die Fragestellung fokussiert.
Die Spezifizierung der Forschungsfrage kann deduktiv auf Basis der vorhandenen
Literatur erfolgen, indem frühere Erkenntnisse und Theorien hinsichtlich der zugrunde
liegenden Konstrukte einbezogen werden. Eine solche Herangehensweise ist bei
explanativen, hypothesentestenden Fallstudien unumgänglich. Im Gegensatz zur
theoriegelenkten Konkretisierung setzt der Grounded-Theory-Ansatz nach Glaser und
Strauss (1967) auf die möglichst freie explorative Untersuchung interessanter Phänomene,
um mit der Zeit in einem iterativen Prozess rein induktiv aus den Daten eine genauere
Spezifikation der Konstrukte vorzunehmen. In der vorliegenden Arbeit wurde eine
Kombination aus beiden Strategien gewählt.
Obwohl grundsätzlich ein explorativ-induktiver Forschungsansatz gewählt wurde, ist es
fast unmöglich, ohne Vorverständnis und Theorie an die Fragestellung heranzugehen.468
Wie bereits einleitend argumentiert wurde, stellt die Klärung der zugrunde liegenden
Konstrukte Geschäftsmodell und Innovation ein vorrangiges Ziel der Arbeit dar. Da allein
für Geschäftsmodelle bereits verschiedenste Definitionen existieren, erschien es wenig
zielführend gewesen, selbst ein neues Begriffsverständnis zu entwickeln und die
bestehende Literatur gänzlich außer Acht zu lassen. Stattdessen war das Hauptaugenmerk
468 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), S. 536..
Forschungsdesign 141
auf die kritische Reflexion der bestehenden Literatur gerichtet, um den aktuellen Stand
der Forschung darzustellen und so einen geeigneten Einstiegspunkt für die vorliegende
Arbeit zu finden. Durch diesen konzeptionellen Bezugsrahmen, der in Abschnitt 9 bereits
vorgestellt wurde, wurde versucht, zum besseren Verständnis der Fragestellung und des
eigentlichen Gegenstands der Arbeit beizutragen und einige interessante Konstrukte
aufzuzeigen, die für den weiteren Verlauf der Arbeit relevant erscheinen.
Die im Rahmen dieser Dissertation untersuchte Forschungsfrage, wie Unternehmen den
Prozess der Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen, d. h. die Innovation und
Erneuerung der Geschäftsmodelle im Kontext eines sich wandelnden
Wettbewerbsumfelds erfolgreich managen, wurde enger gefasst, indem nähere Angaben
zum Geschäftsmodellkonstrukt und zum zugrunde liegenden Prozess strategischer
Innovation und Erneuerung gemacht wurden. Insbesondere die Annahme, dass der
Prozess der Innovation von Geschäftsmodellen eine organisationale Kompetenz darstellt,
soll der Untersuchung ein theoretisches Fundament geben. Dieser Bezugsrahmen gibt der
Arbeit Orientierung und hilft dabei, die weitergehende Untersuchung zielgerichtet auf das
zugrunde liegende Forschungsinteresse, die erfolgskritischen Faktoren und wesentlichen
Wirkungszusammenhänge im Prozess der Realisierung von
Geschäftsmodellinnovationen, auszurichten. Gleichzeitig wurde aber vermieden, sich auf
etwaige in der bestehenden Literatur spezifizierte Variablen oder Kausalitäten
festzulegen, um möglichst unbefangen, jedoch für das Wesentliche sensibilisiert in die
empirische Untersuchung zu gehen und aktiv nach Ursachen und Wirkungen zu forschen.
11.2 Auswahl der Fallstudien
Die wichtigen nächsten Schritte in der Fallstudienforschung stellen die Eingrenzung des
Forschungsfelds und die Auswahl geeigneter Fälle dar. Während die quantitative
Forschung auf statistische Verfahren und die zufällige Auswahl von Stichproben setzt,
erfolgt die Auswahl der Fälle im Rahmen der Fallstudienforschung nach theoretischen
Auswahlkriterien; d. h., es werden nur solche Fälle gewählt, die der Theoriebildung
dienen.469 Somit kann die Auswahl der Fallstudienkandidaten vergleichsweise
opportunistisch erfolgen, solange dadurch das Ziel der Theoriebildung unterstützt wird.
Wie bereits angeführt wurde, verfügt jedes Unternehmen über ein Geschäftsmodell, doch
nicht jedes Unternehmen beschäftigt sich damit.470 Für diese Untersuchung sind jedoch
nur solche Unternehmen relevant, die bereits erste Erfahrungen mit Initiativen zur
469 vgl. Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967) 470 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003)
142 Forschungsdesign
Geschäftsmodellinnovation oder der Realisierung innovativer Geschäftsmodelle
gesammelt haben, da nur aus solchen Fällen Thesen hinsichtlich der erfolgreichen
Gestaltung eines solchen Prozesses gewonnen werden können. Ausgehend von der
interessierenden Fragestellung kann daher die Grundgesamtheit auf jene Unternehmen
eingeengt werden, die sich bereits über einen gewissen Zeitraum intensiver mit dem
eigenen Geschäftsmodell auseinandersetzen.
Wie aktuelle quantitative Studien von IBM Business Consulting (2006) und Economist
Intelligence Unit (2005) belegen, wird der Geschäftsmodellinnovation in manchen
Branchen eine höhere Bedeutung beigemessen als in anderen. Während insgesamt 54 %
der von EIU Befragten der Geschäftsmodellinnovation besondere Bedeutung beimessen,
sind es in produzierenden Branchen nur 44 %, in der Finanzdienstleistungsbranche dafür
aber sogar 60 % der Befragten. Um das Forschungsfeld weiter einzuschränken, habe ich
mich folglich für Fallstudien aus der Finanzdienstleistungsbranche entschieden, da in
diesem Bereich das Interesse für Geschäftsmodelle laut Studien überdurchschnittlich hoch
ist.
Aktuelle wissenschaftliche Publikationen zur Veränderung von Geschäftsmodellen in der
Biotechnologie-471, der Luftfahrt-472 und Tourismusbranche473 liefern weitere Indizien
dafür, dass die Geschäftsmodelldiskussion in dynamischen bzw. von starkem
Wettbewerbsdruck gekennzeichneten Branchen intensiver geführt wird als in anderen.
Folglich macht die Einschränkung des Forschungsfelds auf eine bestimmte Branche Sinn,
da in bestimmten Branchen aufgrund der höheren Wettbewerbsintensität auch die
Relevanz von Geschäftsmodellinnovationen schlicht und ergreifend größer ist.
Gleichzeitig steigt in diesen Branchen die Wahrscheinlichkeit,
Geschäftsmodellinnovationen beobachten zu können.
Zwar reduziert sich dadurch auch der Geltungsbereich der resultierenden Theorie auf eine
gewisse Branche, doch ich glaube, gerade mit einer solch bereichsbezogenen Theorie für
diese Branche einen nützlichen und praxisrelevanten Beitrag leisten zu können.
Gleichzeitig wurde so die Grundgesamtheit möglicher Fallstudienkandidaten auf eine
kleine, dafür aber vielversprechende Gruppe reduziert.
Durch die Festlegung auf die deutschsprachige Versicherungsbranche wurde hinsichtlich
der Grundgesamtheit möglicher Fälle eine Eingrenzung vorgenommen. Letztendlich
erfolgte die enge Abgrenzung in Zusammenarbeit mit dem Leiter des Geschäftsbereichs 471 vgl. Meinhardt, Y. (2002), Meinhardt, Y. und Schweizer, L. (2002), Broglie, C. (2004) 472 vgl. Markides, C. und Charitou, C. D. (2004), Yip, G. S. (2004), Bieger, T. (2005) 473 vgl. Bieger, T. und Jäger, S. (2001), Bieger, T. und Laesser, C. (2004)
Forschungsdesign 143
Kraft Privat der ASSEKURANZ, eines führenden deutschen Versicherungskonzerns,
indem das Forschungsinteresse auf wachstumsorientierte Geschäftsmodellinnovationen
im Bereich der privaten Kraftfahrzeugversicherung in Deutschland im Zeitraum von 2002
bis 2008 eingegrenzt wurde.474
Diese enge Abgrenzung des Forschungsfelds führt zu einer besseren Vergleichbarkeit der
Fallstudien und erleichtert es, sich gute Kenntnisse der Organisation und Branche
anzueignen, die für das Verstehen und Erklären komplexer strategischer Prozesse
erforderlich ist.475
Nach der Absteckung des Forschungsfelds erfolgte die Selektion einzelner Fälle nach
analytisch-theoretischen Erwägungen und der von Eisenhardt und Gräbner (2007)
beschriebenen Replikationslogik.
Um eine tief gehende, feinkörnige Untersuchung des Phänomens
Geschäftsmodellinnovation sicherzustellen, habe ich mich für eine kleine Anzahl an
Fallstudien entschieden, da ich mir dadurch aussagekräftigere und nützlichere Ergebnisse
als durch eine grobe, oberflächliche Betrachtung vieler Fallstudien erwarte.
In Übereinstimmung mit den zuvor zitierten empirischen Studien476 hat sich auch bei der
Fallauswahl gezeigt, dass die Geschäftsmodellinnovation in der Praxis bis dato eine wenig
genutzte Strategie und eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Entsprechende
Initiativen zu finden, war daher nicht einfach. Die Festlegung auf das Partnerunternehmen
ASSEKURANZ folgte daher auch pragmatischen Überlegungen, da dieses
Großunternehmen in den Jahren 2002 bis 2008 im Rahmen eines strategischen
Wachstumsprogramms mehrere Initiativen durchgeführt hat. Somit war es möglich,
mehrere prägnante Fälle in unmittelbarer zeitlicher Abfolge und im engen
organisatorischen Kontext eines Geschäftsbereichs zu beobachten.
474 Für die Auswahl der ASSEKURANZ sprachen auch rein pragmatische Gründe. Aufgrund sehr guter
persönlicher Kontakte zu leitenden Angestellten des Geschäftsbereichs Kraft Privat war ein
optimaler Zugang zum Forschungsfeld sichergestellt. Aufgrund dieser Kontakte war die
Unterstützung des Forschungsvorhabens seitens des Unternehmens gegeben, wodurch ein
vertrauensvoller, offener Zugang zu den Entscheidungsträgern und relevanten Daten möglich war.
So konnten für die Datenerhebung schnell auskunftsbereite, involvierte Personen identifiziert und
als Interviewpartner gewonnen und in den Räumlichkeiten des Unternehmens befragt werden. 475 vgl. Pettigrew, A. (1997) 476 vgl. EIU (2005), Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2005), IBM (2006)
144 Forschungsdesign
Im Gegensatz zu Samplingstrategien, die zur Betrachtung von Extremfällen oder
polarisierenden Fällen raten,477 stellen die drei Fälle außerordentliche, weil rare, jedoch
keine extremen, sondern typische Beobachtungen von Initiativen zur
Geschäftsmodellinnovation dar, da ein solches Sample zeigt, was normal oder
durchschnittlich ist.478 Indem charakteristische Fälle untersucht werden, ist die
Wahrscheinlichkeit höher, repräsentative Aussagen und durch den Vergleich der
einzelnen Fälle Erkenntnisse hinsichtlich einer idealtypischen Vorgehensweise bzw. Best
Practice zu erlangen.
Allerdings verlangen die vergleichende Gegenüberstellung und Beurteilung von
erfolgsrelevanten Fähigkeiten im Prozess der Geschäftsmodellinnovation nach einem
Vergleichsmaßstab. Eine Methode zur Identifikation erfolgsrelevanter Faktoren und
Praktiken stellt die Gegenüberstellung von erfolgreichen und weniger erfolgreichen Fällen
dar.
In Gesprächen mit den entscheidenden Akteuren wie dem Geschäftsbereichsleiter und
dem Projektleiter der übergreifenden strategischen Wachstumsinitiative sowie mit
Mitarbeitern aus dem Stab des Geschäftsbereichsleiters wurden in einem ersten Schritt
interessante Projekte identifiziert. Die Auswahl und Beurteilung der einzelnen Fälle
erfolgten dann gemeinsam mit dem Leiter des Geschäftsbereichs Kraft Privat, der auch als
Sponsor der Projekte fungierte. Um die Beurteilung nicht allein von der Bewertung einer
Person abhängig zu machen, wurde deren Einschätzung im Zuge der Interviews mit dem
zuständigen Projektleiter und weiteren Projektmitarbeitern sowohl qualitativ als auch
quantitativ unterfüttert.
Da die erfolgreiche Geschäftsmodellinnovation, wie eingangs beschrieben wurde, nicht
nur als Momentaufnahme, sondern als ein fortlaufender Prozess zu verstehen ist, muss für
die Beurteilung des Erfolgs einer solchen Initiative ein längerer Betrachtungszeitraum
gewählt werden. Nicht jede Initiative ist auf Anhieb erfolgreich und auch ein anfänglicher
Erfolg garantiert keine nachhaltige Entwicklung. Daher wurden die einzelnen Initiativen
über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet, um sicherzustellen, dass die getroffenen
Aussagen aussagekräftig und nicht bloß Momentaufnahmen sind.
So erstreckt sich der zeitliche Horizont der empirischen Beobachtung der Fallstudien auf
die Zeitspanne 2002 bis 2008, d. h. die Zeit nach Ende der New-Economy-Phase und der
speziell für die Versicherungswirtschaft schweren Zäsur des 11. September 2001. Die
477 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Yin, R. K. (2003), Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 478 vgl. Kuzel, A. J. (1992)
Forschungsdesign 145
zeitliche Komponente ist deswegen relevant, da sich mein Forschungsinteresse auch auf
die zeitliche Abfolge der Ereignisse, d. h. den Prozess der Gestaltung, Implementierung
und Anpassung der Geschäftsmodelle, richtet. Da die rein retrospektiv-historische
Betrachtung des Phänomens jedoch mit einer gewissen Unschärfe behaftet ist, war die
begleitende Beobachtung der sich entwickelnden Ereignisse ideal. Um die Fälle in ihrer
historischen Entwicklung darstellen zu können, wurde das longitudinale
Forschungsdesign auch um historisch-retrospektive Daten ergänzt. Bei der Auswahl der
Fallstudien wurde jedoch so weit wie möglich aktuellen Fällen, bei denen der Prozess der
Geschäftsmodellinnovation noch im Laufen war, der Vorzug gegeben. Wo dies nicht
möglich war, wurden zeitnahe Beobachtungen mit historischen Daten kombiniert und ein
retrospektiver Fallstudienansatz wurde gewählt.
11.3 Entwurf der Forschungswerkzeuge
Gerade weil für die Fallstudienforschung die ganzheitliche Betrachtung des
interessierenden Phänomens im Mittelpunkt steht, sollen bei der Datenerhebung mehrere
Methoden kombiniert werden.479 Bei dieser Methodentriangulation480 können qualitative
mit quantitativen Methoden kombiniert werden. Dies dient dazu, die Qualität der
erhobenen Daten zu verbessern. Während sich die Arbeit am Bezugsrahmen fast
ausschließlich auf die Methode der Dokumentenanalyse stützt, setzt die weitere
empirische Arbeit an den Fallstudien primär auf die direkte Befragung in Form von
Interviews, die wiederum durch Sekundärdaten wie Geschäftsberichte, Marktanalysen und
interne Firmenunterlagen ergänzt wurden. Durch die Kombination unterschiedlicher
Methoden wurde das Phänomen mehrmals gemessen und die Konstruktvalidität der
Untersuchung erhöht.481
Zur konsistenten Erhebung und besseren Vergleichbarkeit der verschiedenen Fälle
erfolgte die Datenerhebung unter Anwendung eines strukturierten Fragebogens, der im
Lauf der empirischen Untersuchung mehrmals – nach der ersten Pilotfallstudie noch
grundlegend, dann nur noch in Detailaspekten – parallel zum Erkenntnisfortschritt und
Auftreten neuer Fragen überarbeitet und angepasst wurde. Der Aufbau dieses
Fragebogens orientierte sich einerseits an der logischen Abfolge der Ereignisse, den
relevanten Akteuren, Problemstellungen und Entscheidungen, den konkreten Inhalten und
relevanten Aspekten eines Geschäftsmodells sowie andererseits am internen und externen
Kontext, um so ein möglichst ganzheitliches Bild des gesamten Prozesses der
Geschäftsmodellinnovation und möglicher Einflussfaktoren zu erfassen. 479 vgl. Lamnek, S. (1995), S. 5. 480 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 90f. 481 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), S. 538.
146 Forschungsdesign
Der Übergang zwischen der Phase der Entwicklung der Forschungswerkzeuge und der
Datensammlung kann als iteratives Vor und Zurück beschrieben werden, wobei die
Überlappung mit der Datenanalysephase durchaus beabsichtigt war. Entsprechend den
Grundsätzen flexibler und offener Theoriebildung sind der Interviewleitfaden und die
Befragungstechnik mit dem Fortschritt des Forschungsprozesses verfeinert worden.482
Falls notwendig wurde der Fragenkatalog um zusätzliche Fragen ergänzt, um dadurch auf
besondere Gegebenheiten besser eingehen zu können bzw. einzelne Aspekte vertiefter zu
untersuchen.
11.4 Datenerhebung im Feld
Die empirische Datenerhebung erfolgte in mehreren Etappen zwischen Mai 2005 und
Februar 2008. Die Pilotphase von Mai 2005 bis Juni 2006 ermöglichte es einerseits, sich
langsam an die Materie heranzutasten und andererseits die Methode zu verbessern.483 So
halfen die Erkenntnisse dieser frühen Phase der Datenerhebung dabei, die
Forschungswerkzeuge zu verbessern und die Datenerhebung im Feld durch wiederholte
Interviews zu trainieren.
Die zweite und eigentliche Phase der Datenerhebung erfolgte zwischen Juli 2007 und
März 2008. In diesem Zeitraum wurden teilstrukturierte, durch einen Fragenkatalog
geleitete Einzelinterviews geführt, die die zentrale Methode der Datenerhebung darstellen.
Bei der Durchführung von Fallstudien sind Interviews von entscheidender Bedeutung, da
sich diese kommunikative Erhebungsmethode für die Erfassung sozialer Realität, die dem
postpositivistisch-interpretativen Paradigma zufolge durch Kommunikation und
Interaktion entsteht, besonders gut eignet.484
Im Lauf des Forschungsprojektes wurden 24 Interviews mit Mitarbeitern der
ASSEKURANZ, Partnern und externen Beratern geführt.485 Die Zusammenstellung der
482 vgl. Ibid, Lamnek, S. (1995) 483 Zu Beginn wurde der Fragebogen getestet und Pilotinterviews durchgeführt. In dieser Phase war das
Verständnis des Phänomens noch schwach ausgeprägt und die Formulierung der Fragen wurde von
den Befragten als zu offen und zu unbestimmt empfunden. Darüber hinaus hatten die
Interviewpartner Schwierigkeiten das Thema inhaltlich zu erfassen und es war notwendig ein
gemeinsames Verständnis des Phänomens zu entwickeln bzw. die Begriffe Geschäftsmodell und
Geschäftsmodell-Innovation zu definieren. 484 vgl. Langley, A. (1999) 485 Eine Liste der einzelnen Gesprächspartner findet sich im Anhang ab Seite 305f.
Forschungsdesign 147
Gesprächspartner erfolgte iterativ486, kumulativ487 und im Gegensatz zu quantitativen
Studien nicht statistisch repräsentativ, sondern opportunistisch auf Grundlage eines
analytisch-theoretischen Samplings.488 Das vordergründige Ziel der Auswahl war es,
möglichst interessante, reichhaltige Daten zu erheben und ein umfangreiches Verständnis
des inneren und äußeren Kontexts zu gewinnen. Der Forderung nach einer
Mehrebenenbetrachtung strategischer Prozesse entsprechend489 wurden sowohl die
Sponsoren und Projektleiter als auch involvierte Mitarbeiter der einzelnen
Innovationsprojekte und Mitarbeiter aus Konzernstäben befragt490 und somit wurde das
interessierende Phänomen aus mehreren Perspektiven eingefangen.491
Den Schwerpunkt der Untersuchung bildete jedoch die Befragung der direkt involvierten
Personen. Zu jeder der drei Fallstudien wurden jeweils der Projektleiter und drei weitere
Projektteilnehmer interviewt. Wie sich im Lauf der empirischen Untersuchung zeigte,
konnte dadurch ein sehr gutes und differenziertes Verständnis der spezifischen
Eigenschaften des Falls entwickelt werden, sodass durch die Befragung von mindestens
vier Personen eine weitgehende inhaltliche Klärung der Ereignisse und somit auch eine
theoretische Sättigung erreicht wurden.
Die Interviews wurden von mir selbst durchgeführt und dauerten jeweils ein bis zwei
Stunden.492 20 Gespräche wurden vor Ort in den Räumlichkeiten der ASSEKURANZ
durchgeführt. Mit vier Personen wurden Telefoninterviews geführt. Abhängig von der
Zustimmung der Befragten wurden die Interviews auf Band aufgenommen und
vollständig wörtlich transkribiert.493 Die übrigen Befragungen wurden protokolliert.
Zusätzlich wurden wichtige Daten wie Zeitpunkt, Ort, Dauer, Position des
Gesprächspartners sowie weiterführende und ergänzende Hinweise, die sich im Interview
ergaben, in Notizen festgehalten. Insbesondere die Gespräche mit Dr. Hubert Roth, die
zur Plausibilisierung und Reflexion der Daten dienten, wurden in Form von Memos
dokumentiert.494 Ein zu diesem Zweck geführtes Interviewtagebuch erleichterte später die
486 vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994), S. 29. 487 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996), S. 150. 488 vgl. Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 489 vgl. Chakravarthy, B. und White, R. E. (2001) 490 vgl. McGrath, R. G. (2001), S. 121. 491 vgl. Bacharach, S. B., et al. (1996), S. 484. 492 Die Dauer der einzelnen Interviews ist im Anhang ab Seite 305f aufgelistet. 493 vgl. Lamnek, S. (1995), S. 77. 494 vgl. Strauss, A. (1991), S. 33. Memos und Feldnotizen sollen dabei helfen die Forschungsergebnisse und
die Vorgehensweise möglichst zeitnah zu dokumentieren, um sie später zu reflektieren und die
Notizen im Rahmen der Kodierung und Theoriebildung zu verarbeiten. Eisenhardt, K. M. (1989a)
empfiehlt möglichst breit und zeitnah zu dokumentieren, da die Relevanz der Daten sich erst später
148 Forschungsdesign
Analyse der Daten und Niederschrift der Ergebnisse, da die Daten über mehrere Monate
gesammelt wurden und Details so rasch in Vergessenheit geraten können.495
Im Sinne der Methodentriangulation stützte sich die Datenerhebung aber nicht nur auf die
Interviews, sondern zusätzlich zu den Gesprächsprotokollen wurden auch interne und
externe Unterlagen496 zur Dokumentenanalyse gesammelt. Diese Sekundärdaten dienten
einerseits der Ergänzung und andererseits der Validierung der im Rahmen der
Einzelinterviews gesammelten Daten. So trugen sie dazu dabei, ein möglichst
vollständiges Bild hinsichtlich der Abfolge, des Inhalts und des Kontexts der von den
Interviewpartnern beschriebenen Ereignisse und Entscheidungen zu entwickeln.
Im Lauf der empirischen Datenerhebung wurden die Zwischenergebnisse mehrmals mit
einem Mitarbeiter des Partnerunternehmens besprochen, der zeitweise als Projekt- bzw.
Programmleiter für die übergeordnete Wachstumsinitiative „Strategie 2010“
verantwortlich war und daher über spezifische Kenntnisse der einzelnen Fälle verfügte.
Diese wiederholten Besprechungen dienten der gegenseitigen Reflexion der gesammelten
Daten, halfen dabei, mögliche Fehlinterpretationen und Verständigungsprobleme zu
vermeiden, und erleichterten den Vergleich mit anderen Fällen.
Schließlich wurden die Ergebnisse auch mit Kooperationspartnern und externen Beratern
der ASSEKURANZ diskutiert. Dazu wurden vier Telefoninterviews durchgeführt, die
durchschnittlich eine Stunde dauerten und die Möglichkeit boten, ergänzende Daten zu
erheben und die Generalisierbarkeit der Aussagen zu verbessern.
Gegen Ende der Datenerhebung verfügte ich über eine überaus reichhaltige Sammlung an
Dokumenten und Interviewprotokollen, die für alle drei Fallstudien zusammengenommen
mehrere Ordner füllten und eine umfangreiche Datenbank für die Analyse und
Interpretation der Daten bildeten.
11.5 Datenanalyse
Im Gegensatz zu quantitativen Forschungsmethoden ist die qualitative Methode der
vergleichenden Fallstudienanalyse nicht so klar beschrieben und das Analyseverfahren
herausstellt.
495 vgl. Lamnek, S. (1995), S. 77. 496 Zu den internen Dokumenten zählten Präsentationen, Projektaufträge, Projektpläne, Organigramme,
Entscheidungsvorlagen, Kennzahlenberichte, Business Pläne und Marktforschungsunterlagen.
Externe Daten umfassten Branchenstudien, Vortragsunterlagen, Zeitungsartikel,
Presseaussendungen zu den Projekten.
Forschungsdesign 149
vergleichsweise rudimentär entwickelt.497 Trotzdem finden sich in der Literatur hilfreiche
Angaben und Hinweise, worauf bei der Analyse besonders zu achten ist. Die hier
angewendeten Analyseverfahren orientierten sich an den Empfehlungen der
vergleichenden Fallstudienforschung nach Eisenhardt (1989a) und Yin (2003), am
Verfahren der qualitativen Datenanalyse nach Miles und Huberman (1994) sowie am
Grounded-Theory-Ansatz von Strauss und Corbin (1998).
Während die Analyse der im vorhergehenden Arbeitsschritt gewonnenen qualitativen
Daten das Herzstück der Theoriebildung bildet, stellt dieser Arbeitsschritt gleichzeitig den
schwierigsten Teil der Fallstudienforschung dar. Auch diese Phase ist gegenüber den vor-
und nachgelagerten Arbeitsschritten schwer abgrenzbar. So wurde die Analyse bereits
teilweise parallel zur Datenerhebung durchgeführt.
Miles und Huberman (1994) gliedern die Datenanalyse in die folgenden drei simultanen
Arbeitsschritte: (1) Datenreduktion, (2) Darstellung der Daten und (3) Schlussfolgerung
sowie Überprüfung der Folgerungen.
Data collection
Data reduction
Data display
Conclusions:drawing & verifying
Abbildung 28: Interaktives Modell der Datenanalyse498
Diese Vorgehensweise steht im Einklang mit dem Forschungsansatz von Strauss und
Corbin (1990), die auf eine zeitliche Parallelität und wechselseitige funktionale
Abhängigkeit der Prozesse der Datenerhebung und -analyse sowie Theoriebildung
hinweisen.499 Sie verstehen die unstete Abfolge der Arbeitsschritte als kontinuierlichen
Wechsel von Handeln und Reflexion, denn der Forscher wird in Übereinstimmung mit
den Vorstellungen der interpretativen Sozialforschung nicht als neutraler Beobachter,
497 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), S. 539. 498 vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994), S. 12. 499 vgl. Strauss, A. (1991), S. 44f.
150 Forschungsdesign
sondern als Interpret der Daten gesehen. Indem der Forscher selbst Subjekt des
Forschungsprozesses ist, entscheidet er über den weiteren Verlauf der theoretischen
Argumentation.500
Obwohl Strauss und Corbin (1990) auf die Formulierung eines rigiden Regelwerks für das
analytische Vorgehen verzichten und auf die Fähigkeit des Forschers vertrauen, eine
angemessene und den individuellen Arbeitsrhythmus folgende Vorgehensweise zu
entwickeln, ist dieses pragmatisch und liberal wirkende Methodenverständnis allerdings
nicht im Sinne von ‟anything goes” zu interpretieren. Strauss betont: „Unsere Leitlinien,
nach denen eine Theorie entwickelt werden kann, sind jedoch nicht nur eine Aufzählung
von Vorschlägen. Sie sind mehr als das, weil aus ihnen hervorgeht, dass bestimmte
Operationen ausgeführt werden müssen“501, zu denen (1) das Codieren, (2) das ständige
Vergleichen und (3) das zusammenfassende Schreiben von analytischen Memos zählen.
Den ersten Analyseschritt bildete die Codierung, wobei diese Aufgabe, wie die gesamte
qualitative Datenanalyse, durch die Softwarepakete MaxQDA und Atlas.ti unterstützt
wurde. Im ersten Schritt wurden die Daten beschrieben, indem einzelne Textpassagen
markiert und kodiert, d. h. mit einer sprechenden Bezeichnung versehen wurden. Dieser
als offene Codierung bezeichnete Arbeitsschritt wird von Strauss und Corbin
folgendermaßen beschrieben:
“Open coding is the part of analysis that pertains specifically to the naming and
categorizing of phenomena through close examination of date […]. During
open coding the data are broken down into discrete parts, closely examined,
compared for similarities and differences, and questions are asked about the
phenomena as reflected in the data. While various questions are asked, the key
question is […] ‘What is this piece of data an example of?’”502
Diese erste Auseinandersetzung diente in erster Linie dazu, um ein Gefühl für die Daten
zu bekommen503, und so war die Beschäftigung mit den Daten noch wenig theoretisch,
sondern es wurden vor allem Vivo-Codes504 verwendet. Dieser als First-Order Coding
500 vgl. Strübing, J. (2004), S. 16. 501 vgl. Strauss, A. (1991), S. 33. 502 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1990), S. 62. 503 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 200. 504 Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967) verwenden den Begriff „in vivo“ für lebendige, selbstsprechende
Codes deren Bezeichnung sich direkt aus markanten Worten im Text ergibt. Diese Codes dienen in
der frühen Phase der Datenanalyse der Beschreibung und groben Kategorisierung. Da ihr
theoretischer Gehalt noch schwach ist eignen sie sich nur bedingt für Rückschlüsse. Dafür bilden
Forschungsdesign 151
bezeichnete Analyseschritt hatte zum Ziel, die Daten zu strukturieren und abstrakte
Beschreibungen der Daten für die weiterführende Interpretation zu finden.
Im Zuge der iterativen Codierung der transkribierten Interviewprotokolle verdichteten
sich mit der Zeit die theoretischen Konstrukte. Durch die Bündelung einzelner Passagen
mit vergleichbaren inhaltlichen Aussagen bildeten sich mit der Zeit analytisch-
theoretische Konzepte.505 Die einzelnen Codes bzw. Konzepte wurden im Verlauf der
Analyse immer wieder überarbeitet, indem neue, aussagekräftigere Bezeichnungen
gefunden und anhand von in den Daten gefundenen Mustern logische Gruppen gebildet
wurden.
Zwar unterstützt diese Herangehensweise die flexible und offene Theoriebildung, führt
aber auch zu einer rasch wachsenden Datenmenge, die erst gesichtet, verdichtet und
handhabbar gemacht werden muss. Um nicht von der Fülle an Daten erschlagen zu
werden, empfiehlt auch Yin (2003) den Einsatz spezieller Methoden zur Datenanalyse wie
zum Beispiel das Pattern Matching, das Explanation Building und die Time-Series
Analysis. Dadurch werden einerseits die strukturierte Auswertung und Analyse der Fälle
sichergestellt und andererseits wird jeder Fall als einzelne Einheit untersucht. Auch Miles
und Huberman (1994) empfehlen, bereits parallel zur Codierung eine Reduktion der
Daten vorzunehmen, indem Verfahren zur Mustererkennung und Gruppenbildung
angewendet werden.506
Diese induktive Vorgehensweise soll dabei helfen, Konzepte höherer Ordnung (Second
Order Concepts) zu bilden, indem einfache beschreibende Konzepte zu abstrakteren,
aussagekräftigeren Konzepten zusammengefasst werden, die bereits einen höheren
theoretischen Gehalt und Geltungsbereich aufweisen. Wie in Abbildung 29 dargestellt ist,
weist dieses induktive Abstraktionsverfahren eine deutliche Analogie zur Faktoranalyse
auf, wie wir sie aus der quantitativen Datenanalyse kennen, und trägt dazu dabei, eine
geschlossene Beweiskette von den Daten zu den Konzepten zu etablieren.507
sie in verdichteter Form die Basis für übergeordnete Konzepte.
505 Während qualitative Forschungsdesigns wie der Grounded Theory Ansatz Daten zu Konzepten
verdichten, findet sich auch in der Welt quantitativer Verfahren im Begriff eine Entsprechung,
wobei hier nicht von Konzepten sondern von Variablen gesprochen wird. Sie sind die kleinste
Einheit und somit die Bausteine der Theoriebildung. Werden Konzepte bzw. Variablen auf eine
höhere Ebene zusammengeführt, so wird von Konzepten höherer Ordnung bzw. Faktoren
gesprochen, die miteinander verknüpft, theoretische Modelle entwerfen. 506 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 198. 507 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 105f.
152 Forschungsdesign
Abbildung 29: Abstraktionsebenen der Datenanalyse508
Daneben wurde zu jeder Fallstudie eine grobe, dann immer genauere Fallbeschreibung
erstellt509, indem die theoretischen Konzepte und die wichtigsten Informationen aus den
Interviewprotokollen strukturiert abgebildet wurden. Insbesondere diente die
Zusammenfassung dazu, die Akteure, die konkrete Problemstellung, den inneren und
äußeren Kontext und den Inhalt der Geschäftsidee in Tabellen darzustellen und die
Abfolge der Ereignisse im Zeitablauf in Diagrammen festzuhalten. Diese Abbildungen
halfen dabei, sowohl den gesamten Projektverlauf als auch einzelne Tätigkeiten und
Inhalte zu beschreiben und ein ganzheitliches Bild der Geschehnisse zu entwerfen.
Gleichzeitig unterstützte diese Darstellungsform die Reflexion und Schlussfolgerung
hinsichtlich der erfolgsentscheidenden Faktoren im Prozess der
Geschäftsmodellinnovation.
Die Datenanalyse erfolgte anfangs innerhalb der einzelnen Fälle.510 Im nächsten Schritt
wurden die einzelnen Fälle dann einander vergleichend gegenübergestellt. Um die
einzelnen Fälle systematisch vergleichen zu können, wurden die vorläufigen theoretischen
Konzepte in Tabellen eingetragen. Für jedes Konzept wurde eine eigene Tabelle erstellt
und entsprechende Indikatoren wurden Fall für Fall eingetragen. So weit wie möglich
wurde dieser Prozess durch die Funktionen der Software Atlas.ti unterstützt.
508 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 203. 509 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 114., für den Fallbeschreibungen vor allem dazu geeignet sind, um die
relevanten Informationen eines Falls zusammenfassend darzustellen. 510 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a)
Qualitative Quantitative
second - order
concepts
first - order first - order
concept concept
indicators indicators Items Items
Variable Variable
Factor
more concrete
more specific
more abstract more general
Forschungsdesign 153
Die tabellarische Darstellung eignet sich nicht nur dazu, die Konzepte genauer zu
beschreiben, sondern soll auch zu einer besseren Absicherung der Konzepte beizutragen.
Analog zur quantitativen Messung von Konstrukten ist jeder Indikator als eine Messung
der abstrakten Konzepte zu verstehen. Je mehr Indikatoren für ein Konzept gefunden
wurden, desto repräsentativer und besser abgesichert ist es.
Gleichzeitig halfen diese Abbildungen dabei, die Konzepte fallübergreifend zu
analysieren und zu prüfen, ob es zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Fällen
in bestimmten Dimensionen auffällige Unterschiede in den Ausprägungen gibt. Aus dem
Vergleich ergaben sich wiederum verfeinerte Konzepte, die für den Prozess der
Geschäftsmodellinnovation als erfolgsrelevant eingestuft werden konnten.
In einem iterativen Prozess war es notwendig, ständig zwischen den Daten, der
Codierung, der Analyse und der Interpretation der Daten hin- und herzuwechseln, um mit
der Zeit zu feldnahen, aus den Daten hergeleiteten abstrakten Konstrukten zu gelangen.
Dieser Vorgang wurde so lange wiederholt, bis sich konzeptionell wertvolle, weil
reichhaltige und aussagekräftige Konzepte herausgebildet hatten.
Durch die konsequente Umsetzung des induktiven Verfahrens der offenen Codierung
gelang es mit der Zeit, aus den Daten abstrakte Konzepte abzuleiten, wobei die einzelnen
Textpassagen in Form beschreibender Codes, die als Belege einzelner Aussagen zu
verstehen sind, diese abstrakten Konzepte absichern. Um das Risiko voreiliger Schlüsse
und falscher Interpretationen zu minimieren, wurden diese frühen Ergebnisse jedoch
immer wieder hinterfragt und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln reflektiert.
Da die ersten Ergebnisse noch sehr umfangreich waren und teilweise redundante
Konzepte beinhalteten, dauerte es einige Zeit, bis sich stabile Konzepte herausbildeten,
indem die anfänglichen Konzepte zusammengeführt und graduell auf ein höheres
Abstraktionsniveau gehoben wurden. Bereits parallel zur offenen Codierung wurden aber
auch Eindrücke, Ideen und Erklärungen von Wirkungszusammenhängen und Mustern in
den Daten und zwischen den Konzepten in kurzen Notizen511 festgehalten und für den
nächsten Arbeitsschritt, d. h. die Hypothesenbildung, gespeichert.
511 Die Verfassung von Memos ist im Grounded Theory Ansatz der zweite Arbeitsschritt. Das Schreiben der
Memos geht Hand in Hand mit der Kodierung der Daten. Glaser’s Definition nach ist das Memo „
the theorizing write-up about codes and their relationships as they strike the analyst while coding
(…) it can be a sentence, a paragraph or a few pages (…) it exhausts the analyst’s momentary
ideation based on data with perhaps a little conceptual elaboration.” zitiert aus Miles, R. E. und
Huberman, A. M. (1994), S. 72.
154 Forschungsdesign
11.6 Hypothesengenerierung
Indem zuerst einzelne Fälle analysiert und in weiterer Folge fallübergreifende Vergleiche
angestellt wurden, kristallisierten sich erste Aussagen über die Wirkungsbeziehungen
zwischen den gefundenen Konzepten heraus. Dieses als theoretische oder axiale
Codierung bezeichnete Verfahren hat zum Ziel, die Verbindungen und
Wirkungszusammenhänge zwischen den im Zuge der offenen Codierung identifizierten
Konzepte zu finden, zu beschreiben und miteinander zu verknüpfen.
“If open coding breaks the data apart or ‘runs the data open’ (Glaser, 1978), in
order to expose their theoretical possibilities and categories, axial coding puts
categories back together again, but in conceptually different ways. Thus axial
coding is about interrelating the substantive categories which open coding has
developed.”512
Die in den Memos festgehaltenen Wirkungszusammenhänge und Hypothesen wurden
überprüft, indem sie zuerst vor dem Hintergrund eines Falls, dann übergreifend auf ihre
Gültigkeit im Kontext der anderen Fälle überprüft wurden.
Wiederum dienten Tabellen dazu, diese Hypothesen Fall für Fall zu überprüfen und zu
konkretisieren. Erst wenn die Hypothese durch keinen der anderen Fälle falsifiziert
werden konnte, wurde sie in den Speicher der kumulierten Erkenntnis übernommen.
So konnten Schritt für Schritt fallübergreifend mehrere Kategorien und Hypothesen
entwickelt und das Modellgebilde konnte weiter verfeinert bzw. konkretisiert werden.513
Gleichzeitig war es auf diese Weise möglich, die enge Bindung an einzelne Fälle zu
überwinden, den Geltungsbereich der Aussagen langsam zu erweitern und im Sinne der
von Yin (2003) beschriebenen Replikationslogik die Generalisierbarkeit der Resultate zu
verbessern.
11.7 Abgleich mit der Literatur
Um die gewonnenen empirischen Ergebnisse und neuen Hypothesen weiter abzusichern
bzw. abzugrenzen, wurden die vorläufigen Resultate mit der bestehenden Literatur
abgeglichen. Dazu wurden die vorliegenden Erkenntnisse vor dem Hintergrund
bestehender Theorien aus dem Bereich des strategischen Managements evaluiert und die
512 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 209f. 513 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a)
Forschungsdesign 155
auf Grundlage der empirischen Daten und Einzelfallstudien induktiv generierten
Hypothesen kritisch hinterfragt sowie auf ihren Geltungsbereich hin überprüft. Dies
geschah einerseits durch die direkte Gegenüberstellung mit bestehender Literatur,
andererseits durch die Diskussion der Ergebnisse mit Experten aus der Praxis. Dadurch
wurden die Ergebnisse sowohl in Bezug auf ihre theoretische Absicherung und Gültigkeit
und die Anknüpfungspunkte bzw. die Erweiterung bestehender Theorien betrachtet514 als
auch auf ihren Praxisbezug und Nutzen im Anwendungsbereich großer, breit
diversifizierter Unternehmen überprüft.
Dieser Vergleich mit früheren Arbeiten vertieft die Auseinandersetzung mit den eigenen
Erkenntnissen und hilft dabei, die Konsistenz und Validität der Ergebnisse zu verbessern.
Auftretende Widersprüche zu bestehender Literatur können bestehende Theorien
erweitern und ergänzen bzw. dazu beitragen, die eigenen Hypothesen besser abzusichern,
indem einzelne Konstrukte und Hypothesen verfeinert werden bzw. der Geltungsbereich
der Aussagen eingegrenzt oder spezifiziert wird. Dort, wo in der Literatur mit den eigenen
Resultaten übereinstimmende Angaben gefunden werden, führt dies ebenfalls zu einer
besseren Absicherung der eigenen Schlüsse.
In erster Linie wurden die hier gewonnenen Ergebnisse mit früheren Arbeiten zum
Themenbereich der Geschäftsmodellinnovation, insbesondere mit den Arbeiten von
Mitchell und Coles (2004) und Chesbrough (2007) sowie der Literatur zum Themenkreis
strategische Innovation515, abgeglichen.
11.8 Abschluss der Forschung
Den Abschluss der Datenanalyse und Theoriebildung stellte die Integration der
Forschungsergebnisse zu einer zentralen Kernkategorie dar. Diese als selektive Codierung
bezeichnete Phase dient dazu, die Forschungsergebnisse auf ein zentrales, abstraktes
Thema zu verdichten (Abbildung 30).516
“Selective coding is aimed at developing the abstract, condensed, integrated
and grounded picture of the data.”517
514 vgl. Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 515 Dazu sind unter anderem die Arbeiten von Christensen, C. M. (1997), Markides, C. (1997), Hamel, G.
(1998b), Markides, C. (1998), Hamel, G. (2000), Tushman, M. L. und Anderson, P. W. (2002),
Schlegelmilch, B., et al. (2003), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2005). 516 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996) 517 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 210.
156 Forschungsdesign
Im Verlauf der axialen Codierung kam ich zu dem Schluss, dass die einzelnen
erfolgsrelevanten Praktiken als Subprozesse und Subroutinen einer übergeordneten
organisationalen Kompetenz zu verstehen sind. So kristallisierte sich die dynamische
Fähigkeit der Geschäftsmodellinnovation als zentrales Themenfeld und wesentliches
Ergebnis der Arbeit heraus. Dieses Kernelement bildete den Schlussstein im Prozess der
vergleichenden, von den Daten abstrahierenden Theoriebildung. Gleichzeitig hilft dieses
Generalthema dabei, den Bogen über die drei Ebenen Prozess, Organisation und Kontext
zu spannen, indem es den roten Faden der Forschungsarbeit darstellt518 und die
Detailergebnisse zu einem gemeinsamen Verständnis erfolgreicher
Geschäftsmodellinnovation zusammenführt.
Abstractconcept
Abstractconcept
Corecategory
Specific indicators Specific indicators
Discoveringconnections
Axial coding
Selectivecoding
Opencoding
Open coding: discovering abstract concepts in the data; raising the conceptuallevel of the data.
Axial coding: discovering, in the data, connections between abstract concepts.Selective coding: selecting the core category by concentrating on the basic social
process evident in the data; raising the level of abstraction againto the core category; elaborating the core category.
Abbildung 30: Codierungsverfahren im Rahmen der Grounded-Theory-Analyse519
Nachdem nun die Kernaussage in den Daten gefunden war, konnten die einzelnen
Kategorien beschrieben und zum Kernelement der Arbeit in Beziehung gesetzt werden.
Die Niederschrift der Forschungsergebnisse gliedert sich in zwei Teile: So wurden die
Fallstudien einzeln niedergeschrieben, wobei sich der Aufbau der Berichte einerseits an
der Chronologie der Ereignisse und andererseits an den wesentlichen theoretischen
Kategorien orientierte, die in Tabellen festgehalten wurden. Zur Absicherung der
Ergebnisse wurden die Fallstudien von Managern des Partnerunternehmens
518 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996) 519 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 213.
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 157
ASSEKURANZ gegengelesen und die Ergebnisse mit ausgewählten Experten diskutiert.
Den zweiten Teil der Dokumentation bildet die Beschreibung der einzelnen Routinen, die
in ihrer Gesamtheit die dynamische Fähigkeit der Geschäftsmodellinnovation bilden.
Dazu werden alle wesentlichen Kategorien, Praktiken und Prozesse nochmals erörtert und
der bestehenden Literatur gegenübergestellt, was gleichzeitig den Schlusspunkt des
Forschungsprozesses darstellt.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für die Durchführung der empirischen
Untersuchung eine strenge methodische Vorgehensweise gewählt wurde, indem mit dem
Grounded-Theory-Ansatz und der vergleichenden Fallstudienforschung anerkannte
Methoden der qualitativen Sozialforschung zur Anwendung kamen. Gleichzeitig trugen
diese Methoden dazu bei, ein qualitativ hochwertiges Ergebnis sicherzustellen.
Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die in Kapitel 10.4 beschriebenen vier
Gütekriterien empirischer Forschung, nämlich (1) die Konstruktvalidität, (2) die interne
Validität, (3) die Generalisierbarkeit und (4) die Reliabilität gelegt, indem die in der
Literatur empfohlenen Taktiken zum Einsatz kamen und den entsprechenden
Empfehlungen zur Qualitätssicherung sorgfältig nachgekommen wurde.520
12 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
Die empirische Untersuchung gilt drei strategischen Innovationsprojekten des
Geschäftsbereichs der privaten Kraftfahrzeugversicherung in einem deutschen
Versicherungskonzern. Im nun folgenden Kapitel wird zuerst das Forschungsfeld näher
beleuchtet. So wird das spezifische Branchenumfeld dargelegt, um einen Bezug zum
äußeren Kontext der Ereignisse herzustellen. Daran anschließend wird das Unternehmen
vorgestellt, um den inneren organisationalen Kontext der Untersuchung zu vermitteln,
denn erst durch die Kenntnisse der Hintergründe wird es möglich, die Ereignisse und
Handlungen einzuordnen und zu verstehen.
Den Hauptteil dieses Abschnitts bilden die genaue Beschreibung und Analyse der drei
Fallstudien „Gebrauchtwagen-Marktplatz“, „Direktversicherung“ und „Kooperation mit
der Automobilwirtschaft“.
520 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 19.
158 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
12.1 Die Branche – der Markt für private Kraftfahrzeugversicherungen
Die Versicherungsbranche hat sich in der Vergangenheit vor allem durch Kontinuität und
Dauerhaftigkeit und weniger durch Innovation und Dynamik ausgezeichnet.521 Ein
weitgehend statischer Wettbewerb und die Regulierung des Versicherungsmarkts haben
über Jahrzehnte hinweg ineffiziente Marktstrukturen aufrechterhalten. In Bezug auf
Leistungsangebot, Verwaltungs- und Kostenstrukturen oder Außendienst- und
Entlohnungssystem gab es zwischen den Versicherungsunternehmen kaum Unterschiede.
In den letzten Jahren begann sich dieses Bild der Versicherungsmärkte indessen
grundlegend zu verändern. Die Gründe des Wandels lassen sich unter den Schlagwörtern
„Deregulierung“, „Druck der Kapitalmärkte“, „Kostendruck“, „qualitative und
quantitative Veränderungen im Nachfrageverhalten522 der Kunden“, „neue Anbieter und
Technologien“ subsumieren. Statt von Kontinuität und Stabilität ist die Branche nun von
Dynamik und diskontinuierlichem Wandel523 geprägt.
12.1.1 Auswirkungen der Deregulierung
Der tief greifende Strukturbruch vollzieht sich in vielen Bereichen der Branche. Den
Ausgangspunkt markiert in Deutschland das Jahr 1994, das die Deregulierung des
gesamten Versicherungsmarkts brachte und die geltenden Spielregeln dauerhaft verändert
hat.
Obwohl der freie Warenverkehr in der Europäischen Union schon seit Jahrzehnten524
Realität war, erfolgte die Deregulierung der Dienstleistungsmärkte525 erst in den späten
1980er- und frühen 1990er-Jahren. Nach der Luftfahrtindustrie, der Telekommunikation
und der Elektrizitätswirtschaft wurden auch die Finanz- und Versicherungsbranche
liberalisiert.
Seit der Deregulierung der europäischen Versicherungsmärkte im Juli 1994 hat sich das
Wettbewerbsumfeld für die rund 5.000 Versicherungsunternehmen und deren 400
521 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 68. 522 vgl. Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1994), Rumelt, R. P., et al. (1994), Bernet, B. (2001) 523 vgl. Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000), Bower, J. L. und Gilbert, C. (2002) 524 Der freie Warenverkehr ist seit 1947 durch das General Agreement on Traiffs and Trade (GATT)
geregelt. 525 Der freie Dienstleistungsverkehr ist seit 1994 durch das General Agreement on Trade in Services
(GATS) geregelt.
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 159
Millionen potenziellen Kunden in der Europäischen Union (EU) radikal gewandelt.
Erstens werden Preise und Bedingungen für Versicherungsschutz seither vornehmlich
durch das freie Spiel der Marktmächte bestimmt. Die staatliche Kontrolle und
Einflussnahme beschränken sich nunmehr auf die Überwachung der Solvenz und die
Marktkontrolle. Zweitens wurden für bestehende und neue Anbieter die Eintrittsbarrieren
in die einzelnen nationalen Märkte gelockert. Sowohl die Freigabe der Preisgestaltung als
auch die Öffnung der einzelnen Teilmärkte führten zu einem Wettbewerbsschock.526
Im Zuge einer ersten Welle nationaler und grenzüberschreitender Fusionen und
Übernahmen entstanden einige große, weltweit tätige Versicherungskonzerne. Diese
Unternehmen nutzen ihre überreichliche Kapitalausstattung, die sie in der Zeit regulierter
Versicherungsmärkte angesammelt haben, um international zu expandieren. So haben die
sieben führenden europäischen Versicherungsgruppen ihren Marktanteil zwischen 1990
und 2000 von vormals 16 % auf 32 % verdoppelt, während der Marktanteil der nationalen
Versicherer von 68 % auf 51 % zurückging.527
In Folge erreichte die Wettbewerbsintensität eine neue Dimension, da neue Anbieter den
vorherrschenden Verdrängungswettbewerb weiter verschärften. Auswirkungen davon
waren Prämienrückgänge und erhöhter Kostendruck, der wiederum die Industrialisierung
der Wertschöpfungsprozesse und Konsolidierung der Branche vorantrieb. Die steigende
Preissensitivität und Wechselbereitschaft wiederum sind Ausdruck eines veränderten
Kundenverhaltens. Zukünftige aufsichtsrechtliche Anforderungen schaffen neue
Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln.
Zwar besteht auf gesellschaftlicher Ebene großes Interesse an der Deregulierung, da die
Konsumenten durch ein breiteres Angebot und niedrigere Preise von der Konkurrenz
unter den Anbietern profitieren.528 Andererseits bringt diese Entwicklung nicht nur
Vorteile mit sich, denn die Steigerung der Effizienz geht mit einem Abbau der Sicherheit
und Stabilität für Kunden und Unternehmen bis hin zum Ausscheiden einiger
Marktteilnehmer einher. Vor allem die Allbranchenversicherer, die dominierende
Organisationsform in Zeiten regulierter Märkte, sind gezwungen, ihre Effizienz laufend
zu verbessern und an die neuen Marktbedingungen anzupassen.
Dieser Strukturwandel der Märkte lässt sich aus makroökonomischer Sicht als die
Konsolidierungsphase ineffizienter regulierter Märkte interpretieren.529 Als Folge der
526 vgl. Swiss_Re (1996) 527 vgl. Swiss_Re (2000) 528 vgl. Bieger, T. und Rüegg-Stürm, J. (2002), S. 17. 529 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 68.
160 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
Deregulierung und des intensivierten Wettbewerbs werden effizientere Marktstrukturen
erzwungen. Nach Ackermann (2001) vollzieht sich dieser Konsolidierungsprozess, der in
der gesamten Branche zu beobachten ist, in mehreren Phasen:530
1. Mehr Qualität und Kundenorientierung durch Service- und Prozessinnovationen
2. Erweiterte Leistungsangebote durch lineare Produktinnovationen
3. Optimierung der Fertigungstiefe durch architektonische Innovationen der
Wertschöpfungskette
4. Beginn eines neuen Marktzyklus durch eine Geschäftsmodellinnovation
stat
isch
erW
ettb
ewer
bdy
nam
isch
erW
ettb
ewer
bH
yper
-W
ettb
ewer
b
neuer Marktzyklus
traditionelleWertschöpfungsstrategien
Phase 1:Service- undProzess-Innovation
regulierte Märkte
Phase 2:LineareProduktinnovation
Phase 3:Optimierung derFertigungstiefe
Phase 4:Geschäftsmodell-Innovation
Wettbewerbsintensität
Ertrags- / Gewinnpotenziale Abbildung 31: Konsolidierungsphasen deregulierter Finanzdienstleistungsmärkte531
Bleibende Merkmale der neuen Realität in der Versicherungsbranche sind eine erhöhte
Wettbewerbsintensität, die Konzentration des Markts, eine deutliche Differenzierung der
Angebotsstrukturen bis hin zu grundlegend neuen Marktleistungen sowie neuen
Methoden der Risikobewertung und des Risikotransfers. Die Marktkräfte erzwangen eine
fundamentale Neuausrichtung der Wertschöpfungsmodelle: vom Verkäufer- hin zum
530 vgl. Abbildung 31 531 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 71.
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 161
Käufermarkt, von vertikal integrierten Versicherungskonzernen zu stark vernetzten
Wertschöpfungssystemen und von einer starren, klar abgegrenzten Versicherungsbranche
hin zu einer integrierten, dynamisierten Finanzdienstleistungsindustrie.
Daneben leidet die Assekuranzbranche besonders unter einer strukturellen
Ertragsschwäche und sucht nach zukunftsträchtigen Strategien und neuen Wegen, ihr
Geschäft zu organisieren. Von neuen Geschäftskonzepten erwartet man sich Antworten
auf die Frage: Wie kann trotz begrenzter Wachstumspotenziale auf den Kernmärkten,
scharfen Wettbewerbs um Marktanteile und des generell unsicheren Geschäftsumfelds in
Zukunft Wert geschaffen werden bzw. wo sind Potenziale für ein profitables Wachstum
gegeben?
Was auf die gesamte Versicherungswirtschaft zutrifft, gilt gerade auch für die private
Kraftfahrzeugversicherung. Sie ist nicht nur die größte Sachversicherungssparte, sondern
wies im Vergleich zu anderen Sparten bereits in der Vergangenheit eine besonders hohe
Dynamik und Wettbewerbsintensität auf.
12.1.2 Wettbewerbsintensität und neue Branchenstruktur
Als Folge der erhöhten Wettbewerbsintensität nach der Deregulierung des deutschen
Versicherungsmarkts setzte Mitte der 1990er-Jahre ein Preiswettbewerb ein, der direkte
Auswirkungen auf die Rentabilität der Sparte hatte.532 Diese Entwicklung führte im
Zeitraum 1995 – 2003 zu einem kumulierten versicherungstechnischen Verlust aller
Anbieter von ca. 3,9 Milliarden Euro.533 Trotz der im Jahr 2000 einsetzenden
Stabilisierung und leichten Erholung des Prämienniveaus dauerte es noch weitere drei
Jahre, bis der Markt im Jahr 2003 wieder positive versicherungstechnische Ergebnisse
vermeldete. Doch bereits im darauffolgenden Jahr begannen die Prämien bereits wieder,
zu sinken, und der Wettbewerb verschärfte sich abermals. Das Jahr 2004 markierte damit
den Beginn eines neuen Abschwungs im Preiszyklus, der sich bis ins Jahr 2010 fortgesetzt
hat.
532 vgl. Abbildung 32 533 vgl. Hartmann, K. (2006), S. 53., Berechnung erfolgte auf Grundlage der Jahresberichte 1994-2003 des
Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
162 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
-1.950-1.790
-1.180
-640
230
540
920
-2.000
-1.500
-1.000
-500
0
500
1.000
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001
Mio. Euro
Abbildung 32: Technisches Ergebnis auf dem deutschen Kraftversicherungsmarkt
534
In einem derartigen Marktumfeld ist es für Versicherungsunternehmen kaum möglich, die
angestrebten Renditen zu realisieren. Je intensiver der Wettbewerb, desto komplexer wird
es, im Massenmarkt profitabel zu wachsen. Das fehlende Wachstum und die geringe
Rentabilität sind jedoch ein Problem der gesamten deutschen Assekuranz, denn der Markt
gilt als gesättigt und bietet gerade in der Kfz-Versicherung nur geringes Potenzial für
nachhaltig profitables Wachstum.
Eine Studie des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen, die der
Identifikation aktueller Trends und Entwicklungen in der Kfz-Versicherung gewidmet ist,
zeigt sehr deutlich, dass auch in den nächsten Jahren mit einer zunehmenden
Dynamisierung des Wettbewerbs in der Sparte Kraftfahrzeugversicherung zu rechnen ist.
So erwartet der überwiegende Teil der befragten Experten umfangreiche Veränderungen
in den Formen der Marktbearbeitung. Erstens geht der Großteil der Marktbeobachter auch
für die nächsten Jahre von einer fortgesetzten Erosion des Prämienniveaus aus. Zweitens
zeichnet sich auf dem Markt ein weiterer Rückgang der Rentabilität bereits ab.535
534 vgl. Eigene Darstellung auf Grundlage der GDV Jahresberichte der Jahre 1995 bis 2001 535 vgl. Abbildung 33
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 163
26%
19%
19%
47%
42%
44%
12%
9%
33%
16%
28%
5%
2%
0% 25% 50% 75% 100%
Rentabilität des Kfz-
Geschäfts
Prämienvolumen im Kfz-
Versicherungsmarkt
Anzahl der Anbieter
abnehmend leicht abnehmend gleichbleibend leicht zunehmend zunehmend
Abbildung 33: Veränderung des Wettbewerbsumfelds in den nächsten fünf Jahren
536
Durch die anhaltend hohe Wettbewerbsintensität erzwingen die Marktkräfte effizientere
Marktstrukturen. So bleibt den Versicherungsunternehmen keine andere Wahl, als sich
einem kontinuierlichen Prozess der Strategieanpassung, Geschäftsprozessoptimierung,
Kosteneinsparung und Ertragssteigerung zu unterwerfen, um so den neuen Erfordernissen
des Markts gerecht zu werden. Doch trotz der in den letzten Jahren unternommenen
Anstrengungen zur kontinuierlichen Verbesserung, die den Kfz-Markt effizienter, die
Geschäftsprozesse schlanker und den Kundennutzen vermeintlich größer gemacht haben,
zeichnet sich kein Ende der wiederholten Kostensenkungsprogramme oder eine
Stabilisierung des Preisniveaus ab, denn der gnadenlose Wettbewerb lässt die
Gewinnspannen weiter schrumpfen und trotz Einsparungen gelingt es den meisten
Versicherungsunternehmen nicht, die Rentabilität des Kfz-Geschäfts nachhaltig zu
steigern.
Betrachtet man den Lebenszyklus des traditionellen Versicherungsmarkts, findet sich eine
mögliche Antwort. Die Branche weist Merkmale eines reifen bis rückläufigen Markts auf,
da die Basisinvestitionen lange zurückliegen, eine hohe Saturierung erreicht wurde, die
Marktmacht der Konsumenten steigt und die Marktrendite rückläufig ist.
In einer derartig gesättigten Branche, wie sie der Markt für Kfz-Versicherungen
zweifelsfrei darstellt, sind strategische Innovation und neue Geschäftsideen, die bewusst
von der bisherigen Marktlogik abweichen, wesentliche Voraussetzungen für Wachstum
536 vgl. Erdönmez, M., et al. (2006)
164 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
und Unternehmenserfolg.537 Wettbewerbsintensität und sinkende Rentabilität erfordern
die Entwicklung fokussierter Positionierungsansätze und effizienter
Wertschöpfungsstrukturen, um die Sparte wieder profitabel zu gestalten.538 Das
Management ist gefordert, neue Märkte zu schaffen539, diskontinuierliche Innovationen540
zu suchen und radikale neue Geschäftsmodelle zu realisieren.541
12.1.3 Wertverschiebungen auf dem deutschen Automobilmarkt
Infolge der Deregulierung und der neuen Branchenstruktur hat sich auf dem Markt für
Kfz-Versicherungen eine massive Wertverschiebung bzw. Value Migration542 von
traditionellen Formaten des Versicherungsvertriebs hin zu neuen Vertriebskonzepten und
Anbietern ereignet. Zu Wertverschiebungen kommt es dann, wenn das traditionelle
Geschäftsmodell aufgrund neuer wirtschaftlicher Umweltbedingungen zum
Auslaufmodell mutiert.
Das ist für Slywotzky (1996) dann der Fall, wenn neue Geschäftsmodelle, innovative
Geschäftspraktiken und Formen der Leistungserbringung für Kunden ein besseres Preis-
Nutzen-Verhältnis bieten. Letzten Endes spiegelt sich die Wertverschiebung in der
Branchenstruktur wider, da sie den Mechanismus der Gewinnverteilung und
Gewinnerzielung verändert und neue, profitable Marktsegmente entstehen, während
andere Segmente an Attraktivität verlieren.
Diese Wertverschiebung ist nicht allein auf den Markt für Kfz-Versicherungen
beschränkt, sondern findet im gesamten Automobilsektor statt. Nicht nur der
Versicherungsmarkt, sondern auch der Markt für private Pkws hat sich in den letzten
Jahrzehnten vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt gewandelt. Gleichzeitig hat der
Wettbewerb zwischen den Anbietern zugenommen.
537 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 69. 538 vgl. Erdönmez, M., et al. (2006) 539 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2005) 540 vgl. Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000) 541 vgl. Hamel, G. (2000) 542 vgl. Slywotzky, A. J. (1996)
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 165
Abbildung 34: Gewinnpotenzial im europäischen Automobilsektor im Jahr 2000
543
Der stattfindende Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft verlagert den
Schwerpunkt der Wertschöpfung weg von der Produktion der Fahrzeuge hin zu
nachgelagerten Dienstleistungen, die unmittelbar beim Kunden stattfinden. Weiters wird
der Kunde selbst in den Prozess der Wertschöpfung stärker einbezogen544, beispielsweise
bei der individuellen Fahrzeugkonfiguration.545 Die Wertverschiebung innerhalb des
Automobilsektors bzw. die Verlagerung der Gewinnpotenziale weg von der Herstellung
hin zu nachgelagerten Dienstleistungen ist Ausdruck und Folge dieser Entwicklung. Nur
noch ein geringer Teil des Gewinns wird mit der Produktion oder dem Verkauf von Neu-
und Gebrauchtwagen verdient. 75 % der Gewinne im deutschen Automobilsektor werden
mit nachgelagerten Dienstleistungen wie Leasing, Finanzierung und Versicherung oder
Reparatur und Service erzielt.546
Jürgen Schremp, der frühere CEO von DaimlerChrysler, sah diese Entwicklung bereits
2001 voraus und prognostizierte: “[W]ithin 10 years the price of a car will represent only
a quarter of the total value provided to a customer with the balance consumed in
maintenance, finance and other services.”547
543 vgl. Mercer (2004) auf Grundlage von VDA, Autobanken, Herstellern, ZDK, Stat. Bundesamt, GDV,
DAT, Datastream, Factiva, Autohaus, Kfz-Betrieb und Experteninterviews. 544 vgl. Prahalad, C. K. und Ramaswamy, V. (2000) 545 vgl. Schollenberger, R. (2002) 546 vgl. Abbildung 34 547 vgl. Walters, D. und Rainbird, M. (2007)
166 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
Wertverschiebungen erzwingen die Abkehr von veralteten Geschäftsmodellen zu neuen
Formen der Geschäftserbringung, die darauf abzielen, sowohl den Kundennutzen als auch
den Unternehmensgewinn zu maximieren.
Ähnlich wie Produkte und Branchen weisen auch Geschäftsmodelle einen Lebenszyklus
auf. Dieser reicht von der Geburt einer Geschäftsidee bis zu dem Punkt, ab dem sich das
Geschäftsmodell als ökonomisch überholt erweist. Obwohl sich die Märkte im Einklang
mit den Bedürfnissen und Erwartungen der Kunden im Zeitlauf verändern, tendieren
Unternehmen dazu, an ihrem Geschäftsmodell starr und unbeirrt festzuhalten. Stattdessen
wären Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gefordert, denn wer die geänderten
Bedürfnisse und neuen Erwartungen der Kunden erkennt und darauf mit neuartigen,
alternativen Formen der Geschäftserbringung reagiert, kann sich Wettbewerbsvorteile
sichern.
94%82%
71%65%
4%
5%6%
11%19% 23%
3%
5%6%
3%
1%2%
1992 1997 2002 2007
Direkt
Banken
Makler
Vertreter
Abbildung 35: Vertriebskanalmix auf dem deutschen Kfz-Versicherungsmarkt
548
Diese Entwicklung zeigt sich auch auf dem Markt für Kfz-Versicherungen. Parallel zur
Fortentwicklung der Kundenbedürfnisse haben sich über die Jahre neue Formen der
Leistungserbringung auf dem Markt etabliert. Waren Makler, Banken und Direktvertriebe
im Jahr 1992 lediglich auf 6 % Marktanteil gekommen, waren sie im Jahr 2007 bereits für
35 % des Kfz-Versicherungsgeschäfts verantwortlich. Die Triebfeder dieser markanten
548 Eigene Darstellung, Daten: GDV, McKinsey.
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 167
Verlagerung weg von der traditionellen Vertriebsform des Versicherungsvertreters hin zu
den neuen Anbieterformen sind wiederum die Wertverschiebung und der Wandel im
Kundenverhalten.
Zurückhaltend Loyal� uninteressiert� Service wenig relevant
Wechsler� hohe Preissensitivität� häufige Wechsel
Stabil� zufriedene Kunden� Beziehung ist wichtig� geringe Preissensitivität
Beratungsorientiert� suchen Beratung� schätzen Qualität
Preis Service
untätig
aktiv
36%
21%
27%
16%
Sensitivität
Einkaufsverhalten
xx% Durchschnittlich % aller Konsumenten gehören diesem Segment an.
Abbildung 36: Das Kaufverhalten auf dem europäischen Kfz-Versicherungsmarkt
549
Der schleichende Wandel im Kundenverhalten zeigt sich besonders in (1) einer deutlichen
Zunahme der Wechselbereitschaft bzw. rückläufigen Loyalität der Kunden gegenüber
ihrer Versicherung und ihrem bisherigen Versicherungsberater, (2) der Nutzung neuer
Kontakt- und Vertriebskanäle zum Abschluss einer Versicherung wie zum Beispiel per
Internet oder Telefon sowie (3) einer deutlichen Zunahme der Anzahl preissensitiver
Kunden. Während das Segment der „stabilen Kunden“, die nur eine geringe
Wechselbereitschaft und Preissensitivität aufweisen, im Jahr 2000 noch 41 % des Markts
repräsentierte, ist der Anteil dieses Kundensegments in vier Jahren auf nur noch 27 % im
Jahr 2004 gesunken. Insgesamt geht der Trend hin zu mündigen, aktiven Kunden, was in
der verstärkten Nutzung von Preisvergleichen und der Nutzung von Direktkanälen wie
Telefon und Internet, wo nicht die Qualität und Beratung, sondern der Preis im
Vordergrund stehen, zum Ausdruck kommt.
549 Eigene Darstellung in Anlehnung an Bishop, D., et al. (2006), S. 2
168 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
9%
87%7%
75%
6%
16%2004
2000
sonstige persönlich Telefon, Internet
Abbildung 37: Kontaktkanäle zum Abschluss einer privaten Kfz-Versicherung550
Wie gezeigt wurde, ist das geänderte Kundenverhalten nicht das Ergebnis, sondern der
eigentliche Grund für den fundamentalen Wandel der Versicherungsbranche. Die
geänderten Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden sind vor dem Hintergrund der
Deregulierung des Markts die stärkste Triebfeder der Veränderung, die zu einer neuen
Marktstruktur geführt hat.
Daraus ergeben sich signifikante Konsequenzen für das dominante Geschäftsmodell der
traditionellen Anbieter: den Vertrieb über Handelsvertreter bzw. Agenten, die
ausschließlich für ein Versicherungsunternehmen tätig sind. In den Zeiten des
Verkäufermarkts war es dieses flächendeckende Vertriebsnetz selbstständiger
Versicherungsvertreter, das den Zugang zum Endkunden sicherte und für etablierte
Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil darstellte. Da ein solches Vertriebsnetz von
neuen Anbietern nur sehr langsam aufgebaut werden konnte, stellte es gleichzeitig eine
veritable Markteintrittsbarriere dar. In Zeiten des Käufermarkts erweist sich dieses
Vertriebsformat jedoch als zunehmend verwundbar und nicht mehr zeitgemäß. Denn die
Versicherungsvertreter sehen sich heute einem ungleichen direkten Wettbewerb mit neuen
Vertriebsformaten ausgesetzt, die über kostenseitige Wettbewerbsvorteile verfügen.
Direktanbieter und Onlineversicherungen verfügen gegenüber klassischen
Vertreterorganisationen über deutliche Kostenvorteile und können mit aggressiven
Angeboten preissensible Kundensegmente erobern. Konkurrenz geht aber auch von den
Automobilherstellern und Importeuren aus, die über ein flächendeckendes Händlernetz
rund 6,2 Mio. Transaktionen mit privaten Pkws pro Jahr abwickeln und diesen Zugang
vermehrt dazu nutzen, um Kfz-Versicherungen abzusetzen, denn die gesamte Palette an
nachgelagerten Finanzdienstleistungen ist für die Automobilkonzerne ein deutlich
550 vgl. McKinsey (2006), S. 1.
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 169
profitableres Geschäft als die reine Fahrzeugproduktion.551
Jährliche Transaktionen
12,3 Mio. Versicherungsabschlüsseca. 30% des Kfz-Bestands
Gesamtmarkt
42 Mio. Halterprivater Pkw
1,6 Mio. Neuwagen
1,1 Mio. Jahreswagen
3,5 Mio. Gebrauchtwagenüber gewerblichen Kfz-Handel
3,1 Mio. GebrauchtwagenPrivat an Privat
ca. 3,0 Mio. Versicheurungs-wechsel
POS-Markt (Hersteller / Händler)6,2 Mio. Pkw, Marktanteil: 50 %
Privatmarkt für Gebrauchtwagen3,1 Mio. Pkw, Marktanteil: 25 %
Versicherungswechslerca. 3,0 Mio. Pkw, Marktanteil: 25 %
Vertrieblicher Zugang zu Marktsegmenten
6,2 Mio. Transaktionen laufen über dengew. Kfz-Handel, 6,1 Mio. finden privat statt.
Abbildung 38: Struktur des Versicherungsmarkts für private Pkws im Jahr 2005
552
Keiner der traditionellen Anbieter auf dem deutschen privaten Kfz-Versicherungsmarkt
kann sich diesem fundamentalen Wandel der Branchenstruktur entziehen. Auch nicht die
ASSEKURANZ, die als bedeutender Anbieter von Kfz-Versicherungen seit vielen Jahren
am Markt tätig ist und traditionell auf eine starke Vertriebsorganisation aus
selbstständigen Versicherungsagenturen setzt.
12.2 Das Unternehmen – der strategische Kontext der ASSEKURA�Z
Die ASSEKURANZ ist ein global agierender Finanzdienstleistungskonzern. Mit rund 75
Millionen Kunden und 150.000 Mitarbeitern in 70 Ländern zählt sie zu den größten
Anbietern weltweit. Im Geschäftsjahr 2009 erzielte der Konzern einen Gesamtumsatz von
rund 97,4 Milliarden Euro.553
551 vgl. Abbildung 34 und Abbildung 38 552 Eigene Darstellung in Anlehnung an Werlitz, R.-P. (2006), S. 32. 553 vgl. ASSEKURANZ Geschäftsbericht 2009, S. 8
170 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
Geschäftssegmente:Operativer Gewinn in %
Leben / Kranken
34%
AssetManagenent
17%Schaden / Unfall
49%
Regionen:Operativer Gewinn in %
Westeuropa42%
Deutschland36%
Nord- und Südamerika
13%
Asien-Pazifik
9%
Vertriebswege:Bruttoprämie in %
Banken14%
sonstige4%
Außendienst9%
Automobil-wirtschaft
2%
Direkt1%
Makler34%
Agenturen36%
Abbildung 39: Geschäfts-, Regional- und Vertriebsmix
554
Den Schwerpunkt der ASSEKURANZ bildet das Versicherungsgeschäft, wo sie auf eine
mehr als 100-jährige Geschichte und Erfahrung zurückblicken kann. Das traditionell
bedeutendste Geschäftssegment stellt mit 42,5 Mrd. Euro Bruttobeiträgen 2009 die
Schaden-/Unfallversicherung dar. Sie steuert nicht nur annähernd die Hälfte des
operativen Gewinns bei, sondern bildet auch den historischen Kern der ASSEKURANZ.
Im ebenfalls zum Versicherungsgeschäft zählenden Segment der Lebens- und
Krankenversicherung wurden 2009 Bruttoeinnahmen von 50,8 Mrd. Euro erzielt und rund
ein Drittel des Gewinns wurde erwirtschaftet. Das jüngste Geschäftssegment ist das Asset
Management, denn die ASSEKURANZ ist nicht nur ein Versicherungsunternehmen,
sondern gleichzeitig auch einer der größten Vermögensverwalter weltweit und verwaltet
für Kunden Kapitalanlagen im Wert von 926 Milliarden Euro.
12.2.1 Vom nationalen Versicherungskonzern …
Innerhalb der dezentralen Konzernstruktur sind die einzelnen Landesgesellschaften bzw.
operativen Einheiten als Profitcenter mit eigenem multifunktionalen Management
ausgestattet, welche über eine hohe strategische wie auch operative Autonomie verfügen
und für das operative Geschäft zuständig sind. Diese dezentrale Struktur ermöglicht
sowohl ein eigenständiges unternehmerisches Handeln des lokalen Managements sowie
die situative Anpassung an die besonderen Gegebenheiten der traditionell nationalen
Versicherungsmärkte.
Infolge der geografischen Expansion und der Internationalisierung des
Versicherungsgeschäfts wurden Mitte der 1980er-Jahre zentrale Konzernfunktionen und
eine multidivisionale Matrixorganisation geschaffen. Seither liegt die Konzernführung in
der Hand einer zentralen Managementholding, die für die Konzernstrategie sowie für die
Steuerung, Koordination und Unterstützung der Geschäftsfelder Schaden- und
554 vgl. Unternehmensunterlagen
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 171
Unfallversicherung, Lebens- und Krankenversicherung und seit 1999 auch für das
Geschäftsfeld Asset Management verantwortlich zeichnet. Mit Ausnahme des Asset
Management sind die Segmente wiederum in fünf regionale Zuständigkeitsbereiche
unterteilt. Seit 2006 firmiert die Holdinggesellschaft in der Rechtsform einer
Europäischen Aktiengesellschaft.
In Deutschland, auf dem Heimatmarkt der ASSEKURANZ, ist das Unternehmen seit über
100 Jahren im Versicherungsgeschäft tätig. Indem es sich auf das Schaden-und
Unfallversicherungsgeschäft konzentrierte, stieg das Unternehmen im späten 19. und
frühen 20. Jahrhundert zu einem der größten und bedeutendsten Anbieter für Feuer- und
Transportversicherungen auf. Einerseits wuchs das Unternehmen in den 1920er-Jahren
durch die Übernahme regionaler deutscher Versicherungsgesellschaften, andererseits
verbreiterte sich das Angebotsspektrum um neue Sparten wie die Lebensversicherung.
Die Grundlage für das rasche Wachstum bildete dabei die eigene Vertriebsmannschaft.
Durch den Aufbau einer schlagkräftigen, flächendeckenden Vertriebsorganisation aus
selbstständigen Handelsvertretern, die ausschließlich für die ASSEKURANZ tätig waren,
vermochte sich das Unternehmen einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil zu verschaffen
und die führende Position im Schaden- und Unfallversicherungsgeschäft abzusichern. In
den Anfangsjahren verfügte das Unternehmen über bis zu 80.000 nebenberufliche
Vertreter, und so war die ASSEKURANZ in jeder Stadt und jedem Dorf mit mindestens
einem Vermittler vor Ort. Dieser privilegierte Marktzugang erlaubte auch nach dem
Krieg, in der Ära des deutschen Wirtschaftswunders in den 1950er- und 1960er-Jahren,
den flächendeckenden Zugang zu breiten Kundenschichten. Die
Ausschließlichkeitsorganisation (AO) ist heute mit über 10.000 hauptberuflichen
Handelsvertretern nach wie vor der wichtigste Vertriebskanal. Im Jahr 2002 wurden rund
zwei Drittel aller Versicherungsverträge über diesen Vertriebskanal abgesetzt.
Neben dem Hauptgeschäftsfeld, der Schaden-/Unfallversicherung, stieg das Unternehmen
ab den 1920er-Jahren auch in andere Sparten wie das Geschäft mit Lebensversicherungen
oder die Versicherung von großen Industriebetrieben ein und hat sich auch in diesen
neuen Geschäftsfeldern eine hervorragende Marktposition und das Vertrauen der Kunden
in die eigene Marke erarbeitet.
Die dominante Wettbewerbsposition und überdurchschnittliche Rentabilität der
ASSEKURANZ in Deutschland können somit hauptsächlich auf folgende Faktoren
zurückgeführt werden:
� Vertriebskraft: Einen Wettbewerbsvorteil stellt die Vertriebsorganisation aus
172 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
Hauptvertretern dar, die selbstständige Vermittler und keine Angestellten
waren. Die Entlohnung erfolgte somit auf Erfolgsbasis durch Provisionen,
wodurch die Fixkosten niedrig gehalten und hohe Personalkosten vermieden
wurden. Gleichzeitig stellten die firmeneigenen Ausschließlichkeitsvertreter
eine hervorragende Eintrittsbarriere für neue Wettbewerber dar. Zusätzlich zur
eigenen Vertriebsorganisation entstanden über die Jahre auch
Vertriebskooperationen mit führenden Automobilherstellern und regionalen
Bankinstituten, die das Vertriebsnetz ergänzten.
� Starke Vertriebskultur: Als Ergänzung zur hauseigenen Vertriebsorganisation
kultivierte die ASSEKURANZ auch eine entsprechende Führungskultur. Um
höhere Führungspositionen zu erlangen, war es für Manager unumgänglich,
eine entsprechende Erfahrung im Vertrieb nachzuweisen. Dadurch hatten die
meisten leitenden Angestellten des deutschen Versicherungsgeschäfts das
Geschäft von der Pike auf gelernt und ein entsprechend solides Verständnis der
Abläufe und Erfordernisse des Tagesgeschäfts.
� Starke Marke: Der Markenname ASSEKURANZ war auf dem deutschen
Versicherungsmarkt überaus bekannt. Zusätzlich zur großen Bekanntheit genoss
die Marke auch einen ausgezeichneten Ruf, der sie gleichsam zum Synonym für
Beständigkeit und Qualität machte.
� Breite Kundenbasis: Durch ihre flächendeckende Präsenz in ganz Deutschland
hatte die ASSEKURANZ Zugang zu breiten Kundenschichten. Die
Kundendatei enthielt die entsprechenden Daten zum Risikoprofil und zu der
individuellen Schadenserwartung jedes einzelnen Kunden. Im Gegensatz zu
vielen Mitbewerbern verfügte die ASSEKURANZ daher über wertvolle
Informationen über ihre Kunden, die einerseits durch eine differenzierte,
risikoadäquate Prämiengestaltung und andererseits durch eine vorteilhafte
Risikoselektion dazu führten, dass der Aufwand für Schäden und Leistungen im
Rahmen blieb.
� Große Kundentreue: Sowohl im Geschäftsfeld der Schaden- und
Unfallversicherung als auch in der Lebens- und Krankenversicherung genoss
die ASSEKURANZ ein hohes Maß an Kundentreue. Die Stornorate lag deutlich
unter dem Durchschnitt auf dem Markt, was die Unternehmensleitung auf die
Qualität der Leistungen und das Kundenvertrauen in die finanzielle Stabilität
des Unternehmens zurückführte. Ein weiteres Indiz für die Zufriedenheit der
Kunden stellt die hohe durchschnittliche Vertragslaufzeit dar. Obwohl die
Kunden ihre privaten Kfz-Polizzen jährlich zum Jahreswechsel kündigen
konnten, blieben die Verträge durchschnittlich neun Jahre lang aufrecht.555
555 siehe Abbildung 40
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 173
Jahre
910
19
15
13,5
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
private Kfz Rechtsschutz Eigenheim Hausrat Haftpflicht
Abbildung 40: Durchschnittliche Vertragslaufzeit im Jahr 2001556
Geschützt durch eine schlagkräftige Vertriebsorganisation, die große Markenbekanntheit
und eine hohe Kundenzufriedenheit hatte das Unternehmen lange Zeit kaum Konkurrenz
zu fürchten. Hohe Marktanteile auf dem Heimmarkt waren der Beweis für die
dominierende Stellung im deutschen Versicherungswesen.
12.2.2 … zum integrierten Finanzdienstleister
Die Schaden- und Unfallversicherung in Deutschland war mit einer kombinierten
Schaden-/Kostenquote von traditionell unter 100 % ein äußerst profitables Geschäft, das
aufgrund des geringen Wettbewerbs auf dem staatlich regulierten deutschen
Versicherungsmarkt außerordentlich hohe Gewinne erwirtschaftete. Viele Jahre lang
generierte dieser Geschäftsbereich einen Gutteil der Geldmittel, die zur Finanzierung
strategischer Entwicklungsprojekte wie zum Beispiel für die internationale Expansion des
Konzerns benötigt wurden.
Obwohl die ASSEKURANZ bereits in den frühen 1970er-Jahren erste Niederlassungen
im Ausland gegründet hatte, dauerte es noch bis zur Mitte der 1980er-Jahre, bis die
internationale Expansion an Fahrt gewann. 1984 erfolgte der Einstieg in Italien, 1986 die
Übernahme einer britischen Versicherungsgesellschaft und 1991 folgte die erste
Akquisition in den USA. Die Chancen, die sich durch den Fall des Eisernen Vorhangs und
die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 ergaben, wurden einerseits durch die Rückkehr
in die östlichen Bundesländer und andererseits auch durch die Expansion nach Osteuropa
genutzt. 1995 konnten sowohl die Position in Deutschland, insbesondere in der
556 Eigene Darstellung auf Grundlage einer öffentlich zugänglichen Unternehmenspräsentation. Daten
beziehen sich auf die durchschnittliche Vertragslaufzeit im Bestand in Deutschland im Jahre 2001.
174 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
Krankenversicherung, als auch die Präsenz auf anderen wichtigen europäischen Märkten
durch den Erwerb mehrerer Beteiligungen eines Mitbewerbers abermals gestärkt werden.
1997 erfolgte dann um 4,6 Mrd. Euro die bis dahin größte Akquisition. Die Übernahme
von 51 % einer Gesellschaft in Frankreich sicherte der ASSEKURANZ nicht nur eine
bedeutende Stellung auf dem französischen Markt, sondern auch weitere Beteiligungen
außerhalb Europas. 1999 markierte einen weiteren wichtigen Meilenstein der
Internationalisierung und Diversifikation des Konzerns, denn einerseits verlagerte sich der
Expansionsfokus auf den rasch wachsenden asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum,
andererseits wurde mit dem Schritt in die Vermögensverwaltung ein neues Geschäftsfeld
aufgebaut.
Seit der Aufnahme des Lebensversicherungsgeschäfts im Jahr 1922 ist die
ASSEKURANZ in der Vermögensverwaltung tätig, indem sie die Beiträge ihrer Kunden
umsichtig und langfristig anlegte. Im Zeichen der Globalisierung der Finanzmärkte
definierte sie die Vermögensverwaltung als neues Kerngeschäftsfeld und gründete 1998
das Geschäftsfeld Asset Management. Durch mehrere Übernahmen in den Jahren 2000
und 2001 stieg das Unternehmen in der Vermögensverwaltung zu einem der wichtigsten
Akteure weltweit auf. Die Transformation vom reinen Versicherungsunternehmen zum
integrierten Finanzdienstleistungskonzern fand 2001 durch den Einstieg ins Bankgeschäft
ihren abschließenden Höhepunkt. Heute gilt die Expansion ins Bankgeschäft als einer der
wenigen gescheiterten Expansionsschritte der ASSEKURANZ.
12.2.3 Die neue Realität im Versicherungsgeschäft
Die Jahrtausendwende markierte einen deutlichen Wendepunkt in der Entwicklung der
ASSEKURANZ. Nach Rekordjahren traf die auf das Ende des Internetbooms folgende
Krise das erfolgsgewohnte Unternehmen mit unvermittelter Härte. Infolge der
Terroranschläge vom 11. September 2001, des Zusammenbruchs der Finanzmärkte und
der darauffolgenden Wirtschaftskrise erlebte das Unternehmen 2001 ein sehr schwaches
Geschäftsjahr.557 In den neuen Geschäftsfeldern Asset Management und Bankgeschäft
waren hohe Verluste zu verkraften, doch auch im Geschäftsfeld der Schaden- und
557 Um einen Eindruck über das Ausmass und die Dramatik der damaligen Situation zu vermitteln sei James
Schiro, CEO Zurich Financial Services zitiert, der die Ereignisse mit der Methaper „perfect storm“
beschrieben hat. Die Meldung der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Aktiengesellschaft
für das Geschäftsjahr 2001 zum ersten Mal in ihrer 100-jährigen Firmengeschichte einen Verlust
auszuweisen, war für den Markt ein Schock. Die gesamte Branche wurden vom Platzen der
Spekulationsblase rund um die New Economy, die Ereignisse des 11. Septembers 2001 gebeutelt
und nicht zuletzt für die Ergebnissituation im Kerngeschäft Versicherung mit teilweise drastischen
Kursverlusten für die Versäumnisse im Risiko-Management und dem Rückgang der operativen
Ergebnisse abgestraft.
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 175
Unfallversicherung war die Situation alles andere als einfach, denn die
Schadenszahlungen infolge der Terroranschläge auf das World Trade Center und der
Rückgang der Erträge aus Kapitalanlagen belasteten das Ergebnis.
2002 wuchs sich die Entwicklung schließlich zu einer schweren Branchen- und
Unternehmenskrise aus. Aufgrund der Baisse auf dem Kapitalmarkt, der internationalen
Rezession und Naturkatastrophen in Europa musste die ASSEKURANZ, so wie viele
andere Versicherungsunternehmen, in mehreren Geschäftsfeldern hohe Verluste
vermelden. Hinzu kam, dass zwei große Tochtergesellschaften und die 2001 erworbene
Bank restrukturiert werden mussten und sich die Kapitalbasis des Konzerns bedrohlich
verringert hatte. Das erste Mal seit 1945 schrieb der Konzern rote Zahlen und musste im
März 2003 einen Jahresverlust von 1,2 Mrd. Euro vermelden.
Der Vorstand der ASSEKURANZ reagierte entschlossen, indem er eine Initiative startete,
um die Kapitalbasis des Unternehmens zu sichern, die operative Ertragskraft zu steigern
und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und so auf den Pfad nachhaltig-profitablen
Wachstums zurückzukehren.
Analog zur Situation des Konzerns war auch die Lage auf dem Heimmarkt Deutschland
angespannt. Die Hochwasserkatastrophe im Sommer 2002 sorgte für außerordentliche
Belastungen und das schwache Kapitalanlageergebnis konnte die Verluste im
versicherungstechnischen Ergebnis nicht mehr ausgleichen. Insgesamt war es nicht mehr
so einfach möglich, nach bisherigem Muster wie gewohnt hohe Gewinne zu erzielen.
Besonders die Entwicklung im Geschäftsbereich der Kfz-Versicherung gab seit einiger
Zeit Anlass zur Sorge, denn in den Jahren seit der Deregulierung des deutschen
Versicherungsmarkts hatte sich die Wettbewerbsintensität deutlich erhöht. Dieser
Entwicklung konnte sich auch die ASSEKURANZ nicht entziehen. In Folge waren das
Prämienniveau und der Gewinn im Kfz-Geschäft, in der dem Volumen nach
bedeutendsten Versicherungssparte nach der Lebensversicherung, deutlich eingebrochen.
Außerdem stand die ASSEKURANZ im deutschen Kfz-Privatkundengeschäft vor dem
Problem, Jahr für Jahr Kunden zu verlieren.
Betrachtet man die Situation im Kfz-Versicherungsgeschäft, gaben folgende
Entwicklungen Grund zur Sorge:
� Steigende Stornoraten: Die jährlich durchgeführte Analyse der
Stornoentwicklung im Kfz-Geschäft ergab eine von Jahr zu Jahr sinkende
Kundenloyalität, während die Wechselbereitschaft der Kunden stetig stieg.
Besonders bei Fahrzeugwechseln, d. h., wenn der Versicherungskunde sein
176 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
Fahrzeug durch einen Neuwagen oder ein gebrauchtes Fahrzeug ersetzte,
wanderten überdurchschnittlich viele Kunden zur Konkurrenz ab.
� Strategische Defizite: Die ASSEKURANZ war mit ihrer eigenen
Vertriebsorganisation im Qualitätssegment gut aufgestellt, doch diese
Kundengruppe schrumpfte. Hingegen hatte man das besonders schnell
wachsende Kundensegment, in dem es in erster Linie um den Preis ging,
anderen Anbietern überlassen. Dieses neue Segment wurde vor allem von
Direktanbietern bedient, die gegenüber der ASSEKURANZ über deutliche
Kostenvorteile verfügten.
� Sinkende Marktanteile: Beide Entwicklungen manifestierten sich in
schleichenden Marktanteilsverlusten. Zwar wurde der Abrieb nach der
Deregulierung durch den Zukauf einer kleineren Versicherungsgesellschaft
vorübergehend ausgeglichen, doch schon fünf Jahre später war der gesamte
zugekaufte Marktanteil bereits wieder verloren gegangen.
� Schwache Rentabilität: Bedingt durch den scharfen Preiswettbewerb war die
Rentabilität der Sparte weiterhin sehr schwach. Besonders in den ersten Jahren
des liberalisierten Markts von 1995 bis 1998 war die durchschnittliche
Jahresprämie für die Kfz-Haftpflichtversicherung eines privaten Pkw um 21 %
gesunken. Zwar konnte infolge der branchenweit hohen Verluste das
Prämienniveau durch notwendige Anhebungen der Beiträge wieder gesteigert
werden, lag 2002 aber noch immer unter dem Niveau von 1995.
15%
20%
25%
30%
35%
1960 1970 1980 1990 2005
Abbildung 41: Marktanteil im Kfz-Geschäft im Zeitraum 1960 bis 2005558
Die Notwendigkeit zur strategischen Neuausrichtung der Vertriebswege ergab sich daher
558 vgl. Hartmann, K. (2006)
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 177
in erster Linie durch die Verschiebungen innerhalb der Kundengruppen bzw.
Marktsegmente. Während der Bedarf an und die Suche nach Beratung insgesamt
zurückgingen, war daneben ein neues preissensitives Kundensegment entstanden. So stieg
der Anteil der Kunden, die sich vor allem auf Grundlage des Preises für eine
Versicherung entschieden, kontinuierlich an.
„Der eigentliche Auslöser war die Deregulierung im Jahre 1994, doch es
dauerte noch einige Jahre, bis die 9euausrichtung tatsächlich angegangen
wurde.“559
Das Segment qualitäts- und beratungsaffiner Kunden hatte sich von zuvor 50 % über die
Jahre halbiert. Der Marktanteil der ASSEKURANZ blieb in dieser profitablen, weil
qualitativ hochwertigen und an guter Beratung wie Betreuung interessierten
Kundengruppe zwar gleich, da sich das Segment in Relation zum Gesamtmarkt halbierte,
doch der Marktanteil der Allianz war kontinuierlich von über 30 % auf nur noch 18 %
gefallen und die Vertriebsschiene Ausschließlichkeitsorganisation stagnierte.560
12.2.4 Die Suche nach Wachstum und neuen Geschäftsmodellen
Betrachtete man die Marktanteilsentwicklung der letzten Jahre, war klar: Um wieder
erfolgreich auf dem Markt für Kfz-Versicherungen aufgestellt zu sein, musste man etwas
tun. Die geänderten Wettbewerbsverhältnisse auf dem deutschen Versicherungsmarkt und
der über das Jahr 2000 hinaus anhaltend hohe Bestandsabrieb machten die
Neuausrichtung des Kfz-Versicherungsgeschäfts schließlich unausweichlich.561 Oberstes
Ziel war es, die Trendumkehr zu schaffen und auf den Pfad profitablen Wachstums
zurückzukehren.
Der erste Anlauf dazu wurde im Jahr 2001 unternommen. Die ASSEKURANZ wollte ihr
Profil als Qualitätsanbieter schärfen und dem Kunden zusätzlichen Service bieten. Dem
bisherigen Wertversprechen „Service und Qualität“ folgend suchte man nach einer
Lösung, damit die zunehmend wechselbereiten Kunden dem Unternehmen treu blieben
und nicht beim nächsten Fahrzeugwechsel zu anderen Anbietern abwanderten. Das
Ergebnis dieser Suche war ein neues Geschäftsmodell, ein Marktplatz für
Gebrauchtwagenkäufer, der im Sommer 2002 in Betrieb ging.562
559 Interviewpartner SK3 560 vgl. Abbildung 41 561 vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 12.1 562 vgl. Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
178 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
Der nächste Schritt zur Neuausrichtung des Kfz-Versicherungsgeschäfts wurde 2003
unternommen, denn den verantwortlichen Managern wurde immer klarer, dass die
Geschäftsstrategie der ASSEKURANZ nicht mehr mit den Gegebenheiten auf dem Markt
in Einklang stand und der Geschäftsbereich Kfz Privat in Deutschland eine neue Strategie
brauchte.
„Das Produkt-, Preis-, Service-Angebot der ASSEKURA9Z passte nicht mehr
zu den am Markt nachgefragten Kombinationen und durch den einseitigen
Vertriebskanal-Mix fehlte der Zugang zu den Kundensegmenten, wo Wachstum
passierte.“563
Ein junger Mitarbeiter der Kfz-Abteilung, Herr Martin Meier, der sich intensiv mit der
Wettbewerbssituation auf dem deutschen Kfz-Versicherungsmarkt beschäftigt hatte,
führte die negative Entwicklung im deutschen Kfz-Versicherungsgeschäft auf einen
falschen Vertriebskanalmix der ASSEKURANZ zurück. Der traditionell dominante
Hauptvertriebsweg über die eigene Handelsvertreterorganisation stagnierte, während der
Zugang zum schnell wachsenden Kundensegment preissensibler Kunden weitgehend
fehlte. Um mit dem Markt zu wachsen, war es notwendig, in den wachsenden Segmenten
dabei zu sein.
Die Arbeit an der neuen Strategie begann im November 2003. Zuerst musste Herr Martin
Meier im Haus die nötigen Unterstützer für sein Vorhaben finden. Bei seinem Chef Herrn
Hans Huber fand er Gehör, Offenheit und die Bereitschaft, das Thema mit dem Vorstand
Herrn Jürgen Jung zu diskutieren. Beide sicherten ihre Unterstützung zu und übernahmen
als Sponsoren die Schirmherrschaft der Initiative.
„Die Sponsoren des Projektes ließen es einfach zu. Sie ließen uns einfach
machen. Diese Konstellation war entscheidend für den Erfolg. Sie standen
absolut hinter der Initiative und stärkten uns im weiteren Verlauf den
Rücken.“564
Herr Martin Meier wurde damit beauftragt, seine Gedanken in einem Ideenpapier für das
deutsche Kfz-Geschäft zusammenzufassen. Die entsprechende Vorstandsvorlage sollte
dann im Jänner 2004 im Vorstand diskutiert und entschieden werden.
Da sein Vorschlag einige kritische Punkte enthielt, war Herrn Martin Meier klar, dass die
563 Interviewpartner ST1 564 Interviewpartner ST1
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 179
Chancen für die Annahme nicht gut standen. Zum Beispiel war die Idee, einen
Direktkanal zu lancieren, bereits mehrfach diskutiert, jedoch aus Furcht, den eigenen
Vertrieb damit aufzubringen bzw. das eigene Geschäft zu kannibalisieren, mehrmals
verworfen worden.
So hatte bereits der Vorgänger von Herrn Jürgen Jung bald nach der Deregulierung den
Versuch unternommen, einen Direktkanal aufzubauen. Der Plan wurde jedoch aus
Rücksicht auf die eigene Vertreterorganisation rasch wieder zurückgenommen.
„Schauen Sie, wenn Sie 100 Jahre lang mit dem Modell der
Ausschließlichkeitsagenturen erfolgreich waren, dann fällt es schwer, sich zu
ändern. Da sind die Widerstände sehr groß.“565
Erwartungsgemäß wurde der kontroverse Vorschlag auch dieses Mal heiß diskutiert,
wobei sich schnell zwei Gruppen im Vorstand herausbildeten. Während einem Teil die
Notwendigkeit zur Veränderung bewusst war und er den Antrag unterstützte, begegnete
die andere Hälfte dem Konzeptpapier aus den wohlbekannten Gründen – Furcht vor der
Kannibalisierung bestehender Vertriebswege – mit Vorbehalten.
Um die Idee der Mehrkanalstrategie und die Notwendigkeit einer differenzierten
Marktbearbeitung nochmals zu verdeutlichen, wurde ein externer Ratgeber engagiert. Die
Wahl fiel auf Herrn Otto Ostermann, der auf dem Gebiet des Mehrkanalvertriebs als
anerkannter Experte galt. Seine Aufgabe war es, sowohl zu beraten als auch
Überzeugungsarbeit zu leisten.
Allen Beteiligten war schließlich klar, dass die traditionelle Außendienstorganisation zwar
für lange Zeit – wenn auch nicht ganz absehbar – ein erfolgreiches Modell und der
wichtigste Kanal bleiben, aber insgesamt an Bedeutung verlieren würde – nicht für das
Qualitätssegment, aber insgesamt relativ zu den neuen Kanälen, weil das
Qualitätssegment einfach nicht mehr wuchs.
Im Februar 2004 gab der Vorstand schlussendlich das Einverständnis zur Erarbeitung
einer neuen Strategie für den Geschäftsbereich Kfz Privat. Eine Arbeitsgruppe wurde ins
Leben gerufen, die sich unter dem Arbeitstitel „Kraft-Strategie 2010“ mit der
Formulierung einer Wachstumsstrategie für den Geschäftsbereich Kraft Privat befassen
sollte.
565 Interviewpartner SK3
180 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
„Der Projektauftrag an das neu formierte Team war, neue Ideen zu finden, wie
die ASSEKURA9Z auf das geänderte Marktumfeld reagieren konnte, und
Handlungsoptionen für die neue strategische Ausrichtung im Kraftgeschäft
aufzuzeigen.“566
Herr Martin Meier bildete ein Projektteam, das aus 14 Personen bestand und immer
wieder durch Fachleute aus anderen Abteilungen wie zum Beispiel durch Aktuare
unterstützt wurde. Etwa die Hälfte der Projektteilnehmer waren Mitarbeiter aus dem
Geschäftsbereich Kraftversicherung. Die restlichen Kapazitäten wurden für das Projekt
aus anderen Bereichen zugewiesen.
Auf externe Unternehmensberater verzichtete man dabei gänzlich, da die begründete
Sorge bestand, interne Daten und strategische Überlegungen könnten an Mitbewerber
weitergegeben werden. Lediglich bei der Marktforschung arbeitete man mit externen
Anbietern zusammen.
Im ersten Schritt wurde der deutsche Kraftversicherungsmarkt bis ins Detail
durchleuchtet, um strategische Optionen für die zukünftige Strategie der ASSEKURANZ
im Kfz-Geschäft mit Privatkunden zu entwickeln.
„Im Rückblick waren der wissenschaftliche Zugang, den wir im Projektteam
verfolgt haben, und die saubere Ausarbeitung der Mehrkanal-Mehrprodukt-
Strategie sicher zwei der wesentlichen Erfolgsfaktoren, die schließlich zur
Annahme des Strategieentwurfs führten.“567
Aktuelle Marktstudien zeigten je nach Versicherungssparte signifikante Unterschiede in
der Kanalnutzung.568 Wenngleich der traditionelle Agenturvertrieb weiterhin dominierte,
war die Akzeptanz alternativer Vertriebsformate in der Kfz-Sparte bereits relativ hoch
und stieg Jahr für Jahr weiter an. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurden folgende
Schlüsse gezogen, die für die Entwicklung der Mehrkanalaufstellung entscheidende
Erkenntnisse lieferten:
� Kunden nehmen die Unterschiede verschiedener Versicherungssparten wahr
und haben in den einzelnen Sparten einen differenzierten Beratungsbedarf.
� Kunden nutzen unterschiedliche Kanäle. Der Ein- und Ausstieg in die und aus
den betreffenden Produkten erfolgte weitgehend unabhängig voneinander. 566 Interviewpartner FA2 567 Interviewpartner FA2 568 vgl. Psyconomics (2003)
Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 181
� Die Erschließung des Marktpotenzials der Multikanalkunden erfordert die
Koordination der Vertriebe (zum Beispiel durch den Austausch von
Kundenkontakten).
� Die Bedienung von Multikanalkunden stellt die besondere Chance einer
Mehrkanalstrategie dar.
� Bei Kunden mit differenzierten Kanalpräferenzen bei verschiedenen Produkten
bietet eine Multikanalstrategie besondere Vorteile.
Im zweiten Schritt versuchte das Team, den Markt zu segmentieren, um Geschäftsfelder
bzw. homogene Zielgruppen zu definieren. Dazu wurde eine mehrdimensionale
Marktsicht entwickelt und mit Daten unterfüttert.569
Abnehmergruppe
Fahrzeuggeneration
Kundenbedürfnis
Abbildung 42: Kundensegmentierung des deutschen Kfz-Versicherungsmarkts570
Für die einzelnen Felder dieses Würfels wurden die Anzahl der potenziellen Kunden, das
Geschäftsvolumen und die erwartete Wachstumsrate erhoben. Ausgehend von dieser
Marktsegmentierung wurden mehrere Zielgruppen identifiziert und als potenzielle
Geschäftsfelder für das deutsche Kfz-Versicherungsgeschäft evaluiert. In diesem
iterativen Prozess der Definition und Evaluation interessanter Kundengruppen waren auch
Aktuare eingebunden, die die Rentabilität der einzelnen Segmente beurteilen konnten.
Einige Gruppen mussten aufgrund der mangelnden Wirtschaftlichkeit des
569 vgl. Abbildung 42 570 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 164.
182 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation
Kundensegments ausgeschlossen werden, da die angestrebte kombinierte Schaden-
Kosten-Quote in diesen Segmenten nicht erreichbar war.
Neben der Rentabilität war das Wachstumspotenzial der Kundengruppen die
entscheidende Zielgröße. Ziel war es, wachstumsstarke und gleichzeitig profitable
Kundengruppen zu identifizieren. Schlussendlich kristallisierten sich zwei Marktsegmente
heraus, die den Anforderungen entsprachen:
� Zielgruppe „Neuwagen/gute Gebrauchte“: Um dieses Segment zu bedienen,
sollte die Kooperation mit Automobilherstellern intensiviert werden, denn die
Autohäuser sind zum Zeitpunkt des Autokaufs für die Kunden eine der ersten
Anlaufstellen und wissen daher aus erster Hand über die Kundenwünsche
Bescheid.
� Zielgruppe „Best Price Shoppers“: Dieses Marktsegment war bisher fest in der
Hand der Direktversicherungen, die nach dem Kiosk-/Stationenmodell
operieren. Da diese Kundengruppe weiterhin hohes Wachstum versprach, sollte
der direkte Angriff auf die stationären Anbieter versucht und der Markt für die
ASSEKURANZ zurückerobert werden. Diese Zielgruppe sollte durch einen
eigenen Direktkanal erschlossen werden.
Die größten Wachstumspotenziale vermutete das Projektteam daher im Direktvertrieb und
Versicherungsvertrieb über Autohändler, die den Zugang zu diesen beiden Zielgruppen
öffnen sollten.
Die Widerstände gegen den vorliegenden Entwurf einer Mehrkanalstrategie waren nun
relativ gering. Sehr hilfreich war die eindeutige Definition der Zielsegmente, die sich gut
mit der neuen Geschäftsstrategie des Unternehmens auf dem Kfz-Versicherungsmarkt
ergänzte und somit ein schlüssiges Bild über die strategische Ausrichtung und die weitere
Entwicklung des Kfz-Versicherungsgeschäfts bot.
Indem den Zweiflern und Skeptikern im eigenen Haus nun eindeutige Mengengerüste und
Wachstumsprognosen entgegengehalten werden konnten, war die Idee, den deutschen
Kfz-Versicherungsmarkt mit einer Mehrkanalstrategie zu bearbeiten, belegbar und sehr
glaubwürdig. Die Transparenz und Klarheit der Strategie waren für Herrn Martin Meier
wichtige Erfolgsgeheimnisse des gesamten Vorhabens.
Schlussendlich wurde dem Vorstand folgende Empfehlung zur Entschlussfassung
unterbreitet:
Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 183
� Empfehlung einer Mehrkanalstrategie für das deutsche Kraftgeschäft mit den
drei gleichberechtigten Vertriebskanälen traditioneller Außendienst,
Kooperation mit der Automobilwirtschaft und Direktvertrieb.
� Die Aufgabe der Einproduktstrategie zugunsten einer Mehrproduktstrategie mit
maßgeschneiderten Produkten für die Kooperation mit der Automobilwirtschaft
und für ein eigenständiges Direktangebot
Die Annahme der Entscheidungsvorlage „Kraft-Strategie 2010“ erfolgte im Dezember
2004. Nachdem die Mehrkanalstrategie und die einzelnen Produktvarianten im Vorstand
beschlossen waren, ging es an die Realisierung der einzelnen Produkt-Preis-Service-
Varianten und es mussten neue, maßgeschneiderte Geschäftsmodelle für die
Direktversicherung571 und die Kooperation mit der Automobilwirtschaft572 gefunden
werden.
Um die Bedürfnisse der einzelnen Zielgruppen zu treffen, erging der Auftrag, eine
eigenständige Produkt-Preis-Service-Kombination zu entwickeln. Für den Angriff auf die
preissensiblen Kunden und als Konkurrenz zu den bestehenden Direktanbietern war die
Direktvariante gedacht. Rund um diese Angebotsvariante sollte ein entsprechendes
Geschäftsmodell gebaut werden. Daneben war für das Geschäftsfeld Automobilwirtschaft
eine eigenständige Angebotsvariante vorgesehen und auch hier stellte sich die Frage nach
dem passenden Geschäftsmodell.
13 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
Im Jahr 2000 waren die Auswirkungen der Deregulierung auf dem deutschen Kfz-
Versicherungsmarkt bereits deutlich spürbar. Die aktuellen Geschäftszahlen des
deutschen Kfz-Versicherungsgeschäfts boten Grund zur Sorge. Seit einigen Jahren verlor
die ASSEKURANZ kontinuierlich Kunden und auch die traditionell zu Jahresende
stattfindende Kfz-Abwerbungsrunde verlief dieses Jahr schwach.
Eine kürzlich durchgeführte Analyse des Stornoverhaltens zeigte, dass die
ASSEKURANZ gerade dann, wenn der Kunde sein Fahrzeug gegen einen Neuwagen
oder Gebrauchtwagen wechselte, besonders viele Kunden an die Konkurrenz verlor.
Von den jährlich neu zugelassenen Pkws entfiel mit circa 1,5 Mio. die Hälfte auf
Privatfahrzeuge, während die restlichen circa 1,5 Mio. Pkws als Firmenfahrzeuge
571 vgl. Fallstudie 2: Direktversicherung 572 vgl. Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
184 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
zugelassen wurden. Zusätzlich zu diesen 3 Mio. Fahrzeugen wechseln jährlich ca. 6,7
Mio. Gebrauchtwagen den Besitzer.573 Etwa die Hälfte der Gebrauchtwagen wird direkt
von Privaten an Private, die andere Hälfte der Fahrzeuge wird über professionelle Händler
verkauft.
Während die ASSEKURANZ durch ihre Kooperation mit großen Automobilkonzernen
über einen guten Zugang zum Neuwagengeschäft verfügte, war die Kontrolle über den
Gebrauchtwagenmarkt vergleichbar gering. Eine lückenlose und systematische
Bearbeitung des Markts war nicht immer möglich, da den selbstständigen Vertretern der
ASSEKURANZ oft die Information über die Intention ihrer Kunden fehlte. Die wenigsten
Vertreter wussten, welche ihrer Kunden sich konkrete Gedanken über die Anschaffung
eines Gebrauchtwagens machten oder ihr bestehendes Auto verkaufen wollten. In vielen
Fällen erfuhr der Vertreter erst viel zu spät von den Plänen des Kunden, der in der
Zwischenzeit bereits ein neues Auto gekauft und die Versicherung anderswo
abgeschlossen hatte. Dort, wo die Kundenbeziehung zwischen Vertreter und Kunden
schwach ausgeprägt war, erfuhr der Vertreter teilweise nur indirekt durch das
Kündigungsschreiben vom Fahrzeugwechsel des Kunden.
Wollte die ASSEKURANZ ihre Vertreter dabei unterstützen, die im Zuge des
Fahrzeugwechsels verlorenen Kunden als Versicherungsnehmer im Haus zu halten,
musste sie ihren Vertretern ein neues Instrument zur Verfügung stellen, um möglichst
zeitnahe über die Pläne des Kunden in Kenntnis gesetzt zu sein. Entweder würde der
Kunde selbst seinen ASSEKURANZ-Vertreter über seine Intention informieren oder es
musste ein anderer Weg gefunden werden, damit die Vertreter rechtzeitig über die
Intentionen der Kunden in Kenntnis gesetzt werden konnten.
Der Vertreter musste rechtzeitig Bescheid wissen, wenn der Kunde sich mit der konkreten
Absicht zum Kauf eines neuen Pkw trug. Solch eine Information war für die Vertreter der
ASSEKURANZ aus zweierlei Grund von großem Wert: Einerseits konnte der Kunde
frühzeitig auf die Fortführung der Kfz-Versicherung für das neue Fahrzeug angesprochen
werden, noch bevor ein möglicher Mitbewerber ein Angebot legen konnte. Andererseits
geht die Anschaffung eines neuen Fahrzeugs in vielen Familien mit anderen familiären
Veränderungen einher. Zum Beispiel benötigt eine Jungfamilie mit einem Kleinkind nicht
nur ein größeres Fahrzeug. Gleichzeitig ergeben sich durch ein Kind auch die
Verkaufschancen für andere Versicherungsprodukte wie zum Beispiel eine
Unfallversicherung für Mutter und Kind oder eine Krankenversicherung für das Kind etc.
573 vgl. GDV/KFA Statistik
Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 185
Auf Initiative von Herrn Robert Reich aus dem Geschäftsbereich Kfz Privat und mit der
Unterstützung des zuständigen Vorstands Ludwig Lechner wurde daraufhin eine kleine
Projektgruppe ins Leben gerufen, die damit beauftragt wurde, die Gründe der hohen
Stornoraten eingehend zu analysieren und neue Ideen zu entwickeln, wie dieser Trend und
damit der weitere Verlust an Bestandskunden gestoppt werden konnten.
13.1 Projektorganisation
Die Zusammenstellung des Teams übernahm der Sponsor Herr Robert Reich. Anfangs
bestand das Projektteam aus wenigen Personen. Als fachliche Projektleiterin wurde Frau
Beate Baum bestimmt. Bedauerlicherweise wirkte sie aber nur einige Monate aktiv am
Projekt mit, da sie im Frühjahr 2001 in Mutterschutz ging.
Da im Verlauf der ersten Projektsitzungen schnell klar wurde, dass allfällige
Lösungsansätze auch hinsichtlich ihrer technischen Umsetzbarkeit beurteilt werden
mussten, wurde in der Person von Herrn Karl Koch ein zweiter Projektleiter installiert,
der das benötigte technische Know-how einbringen konnte.
Neben den zwei Projektleitern wurde Herr Martin Meier als Vertreter einer der lokalen
Zweigniederlassungen der ASSEKURANZ in die Arbeitsgruppe berufen. Herr Martin
Meier sollte sowohl seine Fachkenntnisse als auch seine Erfahrung aus seiner früheren
Tätigkeit im Vertrieb einbringen. Meistens ging es dabei um Fragen zum
Versicherungsprodukt und typische Abläufe im Vertrieb und in der Verwaltung (Vertrag,
Schaden). Zur Unterstützung des kleinen Projektteams wurden externe Consultants eines
Beratungsunternehmens mit dem Schwerpunkt IT-Consulting engagiert.
Anfangs bestand das Projektteam lediglich aus vier Personen. Das gesamte Vorhaben
sollte vorläufig aus dem laufenden Budget bezahlt werden.
13.2 Strategiefindung und Geschäftsidee
Die zentrale Aufgabe des Projektteams bestand darin, kreative Ideen zu entwickeln, wie
man der Stornoentwicklung entgegenwirken konnte bzw. wie der starke Bestandsabrieb
infolge von Fahrzeugwechseln gestoppt werden konnte.
Im Mittelpunkt der Überlegungen stand die Frage, wie der ASSEKURANZ-Vertreter vor
Ort möglichst zeitnah über die Intentionen des Kunden in Kenntnis gesetzt werden
konnte. Die Phase der Ideengenerierung wurde durch drei externe Berater, Herrn Walter
Westerwald und zwei Kollegen, unterstützt. Diese sollten vor allem Kreativität, eine
186 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
externe Perspektive und ihre in früheren Projekten gesammelte Erfahrung bei der
Entwicklung neuer Geschäftsmodelle einbringen.
Die weitere Vorgehensweise wurde einerseits durch Methoden des Projektmanagements
und andererseits durch Werkzeuge aus der Six-Sigma-Toolbox der Consultants
strukturiert.
In einer ersten Brainstormingrunde konnte eine Vielzahl neuer Ideen generiert werden, die
im nächsten Schritt auf ihre konkrete Umsetzbarkeit hin untersucht wurden. Die kreativen
Ideen reichten von Promotionaktionen in Autokinos bis zum Versand von Wechselkarten
an die Halter älterer Kraftfahrzeuge. Viele Optionen mussten bereits schnell wieder
verworfen werden, weil sie entweder als technisch nicht umsetzbar erachtet wurden oder
an versicherungstechnischen Problemen wie etwa einer zu schlechten Risikoselektion
scheiterten.
Nach der Generierung und Evaluation der verschiedenen Ideen kristallisierten sich
schließlich Handlungsoptionen heraus, die in Absprache mit dem Sponsor weiter verfolgt
werden sollten. Besonders die Idee, einen Gebrauchtwagen-Marktplatz zu gründen, um so
direkten Zugang zum Markt für gebrauchte Pkws zu erschließen, stieß beim Sponsor auf
reges Interesse.
Ende 2000 war im Konzern die Bereitschaft für Internetgeschäftsmodelle noch sehr groß.
Der andauernde Internetboom und konzernweite Internetinitiativen schafften die idealen
Rahmenbedingungen und einen freundlichen Kontext für solche Projekte. Einerseits war
die Idee intern gut zu verkaufen. Andererseits wurde Internetgeschäftsmodellen noch viel
Potenzial zugebilligt und man hoffte, dadurch zusätzliches Wachstum für das
Kerngeschäft Kfz-Versicherung zu generieren.
Schlussendlich entschied sich die Geschäftsleitung Anfang 2001 dazu, die Geschäftsidee
„Marktplatz für Gebrauchtwagen“ voranzutreiben.
Von Anfang an waren die Strategie und die innere Logik des neuen Geschäftsmodells
klar. Die ASSEKURANZ wollte die Stärke ihrer Marke und ihre Kompetenz in der
Kraftversicherung dazu nutzen, zum Betreiber des führenden Internetmarktplatzes für
Neu- und Gebrauchtwagen in Deutschland aufzusteigen. Zum damaligen Zeitpunkt gab es
noch keinen dominanten Anbieter auf diesem Markt, sondern nur einige sehr kleine Start-
ups, die sich den Markt teilten. Die ASSEKURANZ ging davon aus, durch ihre
Marktstellung und Bekanntheit die anderen Anbieter schnell zu überflügeln und zum
dominanten Anbieter aufzusteigen.
Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 187
Die ursprüngliche Geschäftsidee sah vor, dass die ASSEKURANZ durch die Gründung
eines Gebrauchtwagen-Marktplatzes im Internet gezielt in den Gebrauchtwagenmarkt
einsteigen sollte, um sich so den direkten Zugang zu diesem Marktsegment zu sichern
bzw. aus erster Hand über die Intentionen der Kunden Kenntnis zu erlangen. Neben der
Absicherung bestehender Kunden erhoffte man sich darüber hinaus Impulse für das
Neugeschäft, da der ASSEKURANZ über den Marktplatz auch der Zugang zu
Fremdkunden und neuem Wachstum eröffnet wurde.
Darüber hinaus zielte das Projektteam darauf ab, die umfangreichen und weit gefächerten
Dienstleistungen rund um das Thema Mobilität zu bündeln und den Kunden bei seinem
Vorhaben, der Anschaffung eines Automobils, zu begleiten. Entsprechend den
verschiedenen Stationen im Beschaffungsprozess sollte versucht werden, jeweils
zielgerichtet die notwendige Information und Dienstleistung bereitzustellen und den
Kunden auf diese Weise bei der konkreten Entscheidungsfindung zu unterstützen. Der
Leitgedanke dahinter, nämlich durch zusätzliche Dienstleistungen und spezielle
Kooperationspartner einen Mehrwert für den Kunden zu schaffen und ihn dadurch stärker
an die ASSEKURANZ zu binden, war nicht neu.
Durch ein spezielles, auf die Bedürfnisse der Zielgruppe Autokäufer und -verkäufer
zugeschnittenes Leistungspaket bestehend aus einem Internetmarktplatz und
redaktionellen Beiträgen zum Thema Neu- und Gebrauchtwagenkauf sollte über die
Kernleistung Kfz-Versicherung hinaus die ASSEKURANZ als kompetenter Partner und
Lösungsanbieter rund um das Thema Mobilität positioniert werden.
Da sich die meisten Kunden bereits vor dem eigentlichen Autokauf eine Zeit lang mit dem
Gedanken tragen und umfassend informieren wollen, sollte durch ein interessantes und
umfassendes Informationsangebot über Neuwagen und neue Modelle der Kunde bereits
vor dem Autokauf auf das Internetportal der ASSEKURANZ gelockt werden. Der Vorteil
für den Kunden lag im Informationsangebot und der Möglichkeit, sich einen guten
Überblick über den Markt für Neu- und Gebrauchtwagen zu verschaffen. Sollte der
Kunde bereits konkreten Bedarf an einem Fahrzeug haben, konnte er auf dem Marktplatz
unter Tausenden Angeboten nach dem gewünschten Fahrzeug suchen und den
betreffenden Händler oder privaten Abgeber kontaktieren.
Gegenüber Kfz-Herstellern hatten die Versicherungsvertreter traditionell den Nachteil
gehabt, dass sie den Kunden nicht direkt am Point of Sale (POS) auf das Thema
Versicherung ansprechen konnten und daher gegenüber den Händlern aufgrund deren
Informationsvorsprungs die Nachsicht hatten. Durch den Internetmarktplatz sollte dieser
Nachteil wettgemacht werden.
188 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
Die ASSEKURANZ würde noch vor dem Händler darüber Kenntnis erlangen, welches
Fahrzeug der Kunde eigentlich sucht. Sie würde über die Wünsche des Kunden sogar
besser Bescheid wissen als der Autohandel selbst. Weiters sollte der Internetmarktplatz
allen Kunden und Internetnutzern, die beabsichtigten, ihr eigenes Fahrzeug zu verkaufen,
gratis offenstehen. Zusätzlich zum großen Angebot an Gebrauchtwagen wurde auch ein
vielfältiges Spektrum geldwerter Verbraucherinformationen rund um das Thema Auto
geboten, wie beispielsweise Checklisten, Tipps zum Gebrauchtwagenkauf, Urteile zum
Verkehrsrecht oder Erkenntnisse aus der Sicherheitsforschung. Hinzu kamen
verschiedene Serviceleistungen wie Fahrzeugbewertung, Routenplaner,
Musterkaufverträge und Versicherungsrechner. „Damit wollen wir einmal mehr die
Kompetenz der ASSEKURA9Z als Autoversicherer und Dienstleister unter Beweis
stellen“, begründete der zuständige Ressortvorstand die Initiative.
Diese ergänzenden Dienstleitungen wie das in Kooperation mit einem unabhängigen
Anbieter automobiler Marktdaten angebotene Schätzservice sollten dem Kunden einen
zusätzlichen Nutzen schaffen. Ziel war es, dem Kunden nicht nur beim Verkauf, sondern
entlang des gesamten Verkaufsprozesses, etwa auch bei der Wertermittlung des
Fahrzeugs, zu helfen.
Doch auch für die Vertreter der ASSEKURANZ sollte ein Mehrwert generiert werden.
Daher war von Anfang an eine starke Einbindung des Hauptvertriebswegs der
Ausschließlichkeitsorganisation angedacht. Neben einem Mehr an Information über die
Wünsche und den konkreten Bedarf der Kunden war es vor allem notwendig, die Kunden
in die Agenturen zu lotsen.
Die Vernetzung mit den lokalen Vertretern bot darüber hinaus auch einen Nutzen für den
Internetmarktplatz. Da DSL-Anschlüsse in privaten Haushalten noch nicht sehr verbreitet
waren, musste auch eine Lösung für Kunden gefunden werden, die zu Haus selbst über
keinen Zugang zum Internet verfügten. Die Lösung war die Einbindung der vielen
Agenturstandorte. Dort konnten Kunden ohne Internetanschluss die Leistungen des
Internetmarktplatzes in Anspruch nehmen, indem sie ihr Inserat über den lokalen
Agenturstandort abgaben oder dort nach einem neuen Fahrzeug suchten. Gleichzeitig
konnte auf diese Weise die Kundenfrequenz in den Agenturen gesteigert werden und der
Gebrauchtwagen-Marktplatz dazu beitragen, mehr Kunden in die Agenturen zu bringen,
um für die Vertreter zusätzliches Versicherungsgeschäft auszulösen und so einen
Mehrwert für die hauseigenen Vertreter zu schaffen.
Der Leitgedanke, zusätzlichen Nutzen für Kunden und Vertreter zu generieren, war somit
ein zentrales Element der Geschäftsidee und lag der ursprünglichen Konzeption des
Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 189
Gebrauchtwagen-Marktplatzes zugrunde. Zusammengefasst kommt diese Logik in
folgenden Zielsetzungen zum Ausdruck:
� Die Marke und Kundenbasis sollten dazu genutzt werden, zu einem der
führenden Marktplatzbetreiber für Gebrauchtwagen zu werden.
� Das Markenimage sollte um das Attribut „umfassender Problemlöser“ erweitert
werden.
� Zusätzlicher Nutzen für die Kunden und die eigenen Versicherungsvertreter
sollte geschaffen werden.
Weiters muss darauf hingewiesen werden, dass im Jahr 2000 und Anfang 2001 vor dem
Hintergrund des andauernden Internetbooms und der konzernweiten Internetinitiative
solche Projekte intern noch sehr gut ankamen und aktiv gefördert wurden. Außerdem
passte dieser Ansatz vortrefflich in die Marketing- und Zielgruppenstrategie der
ASSEKURANZ. Man stieß daher im Haus auf wohlwollende Unterstützung, denn das
Unternehmen wollte sich in seinem Marktauftritt insgesamt stärker auf bestimmte
Zielgruppen konzentrieren, die Bedürfnisse dieser Kunden besser verstehen und
gemeinsam mit Partnern für den Kunden nicht nur ein breit gefächertes Angebot, sondern
eine umfassende Problemlösung zusammenstellen. Darüber hinaus war das Angebot des
Gebrauchtwagen-Marktplatzes als ein weiterer Absatzkanal zur Ansprache, Gewinnung
und Absicherung von Versicherungskunden zu verstehen.
13.3 Konkretisierung des Geschäftsmodells
Da das Auto für den Kunden nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern ein wesentlicher
Teil des sozialen Lebens ist, assoziiert der Kunde mit dem Begriff „Auto“ nicht nur ein
Fahrzeug, sondern auch Freiheit, Unabhängigkeit, Urlaub und Spaß. Schlussendlich ist für
viele Kunden ein Leben ohne Auto auch gar nicht mehr vorstellbar.574
Um den Kunden im Prozess der Anschaffung eines langlebigen Wirtschaftsguts wie eines
Kraftfahrzeugs begleiten zu können, war es notwendig, seinen konkreten Bedarf zu
kennen, um so dem Kunden ein passendes Angebot bzw. eine Lösung für sein Problem
anbieten zu können. Dazu waren einige Fragen wie zum Beispiel die folgenden zu klären:
� Warum soll das Auto angeschafft werden (z. B. Geburt eines Kinds, Unfall,
Erbschaft)?
� Welche Funktion soll es erfüllen (z. B. Mobilität, Freizeitvergnügen, Prestige)?
574 vgl. Hartmann, K. (2006), Schollenberger, R. (2002)
190 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
� Soll es ein Neu- oder Gebrauchtwagen sein?
� Wie wird die Anschaffung finanziert (Barzahlung, Leasing, Finanzierung)?
Unabhängig davon, ob für den Kunden beim Autokauf rationale oder emotionale Faktoren
den Ausschlag geben, ist es notwendig, eine Fülle an Informationen zu sammeln und zu
verarbeiten. Neben harten Faktoren wie Alter, Preis und Leistung des Fahrzeugs spielen
auch weiche Faktoren wie Prestige, Design, Form und Farbe oder auch das Image der
Marke eine Rolle. Somit stellt der Autokauf für den Kunden einen überaus komplexen
Auswahl- und Entscheidungsprozess dar. Da sich viele Kunden dabei selbst überfordert
fühlen, haben sie Bedarf an Unterstützung, Serviceangeboten und Informationsanbietern,
die zum Beispiel den Informationsbedarf abdecken helfen.
Neben dem direkten Besuch eines Händlers und den klassischen Medien wie Zeitschriften
oder TV-Beiträgen gewann das Internet als Informationsmedium hier zunehmend an
Bedeutung.
51%
14% 12% 9% 5% 5% 4%0%
20%
40%
60%
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Abbildung 43: Kontaktkanäle von Fahrzeuginteressenten575
So wird im Internet von Automobilherstellern, Gebrauchtwagenbörsen, Automobilklubs,
Medien und Finanzdienstleistungsunternehmen ein breites Spektrum an Informations- und
Serviceleistungen angeboten.
575 Eigene Darstellung in Anlehnung an Autoscout24 & EurotaxSchwacke Consumer Report, Frankfurt,
2001
Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 191
Die Geschäftsidee des Gebrauchtwagen-Marktplatzes beruhte darauf, dieses umfassende
und weit gefächerte Angebot zum Thema Mobilität zu bündeln, um den Kunden bei
seinem Vorhaben, der Anschaffung eines Automobils, zu begleiten und alle
Informationen aus einer Hand anzubieten. Ziel war es, eine Symbiose von Online- und
Offlineinhalten bereitzustellen, um die Kunden in ihrem Entscheidungsprozess zu
unterstützen.
Entsprechend den verschiedenen Stationen im Beschaffungsprozess versuchte das
Projektteam, jeweils zielgerichtet die notwendige Information und Dienstleistung
bereitzustellen und den Kunden auf diese Weise bei der konkreten Entscheidungsfindung
zu unterstützen.
Zur Deckung des Kundenbedarfs in der Phase der unstrukturierten Meinungsbildung
sollten Inhalte wie Markt- und Trendberichte einen Überblick über die generelle
Entwicklung zum Thema Mobilität vermitteln. Für die Phase der gezielten
Informationsgewinnung waren Fahr- und Testberichte, eine Suchfunktion zur Sichtung
des reichhaltigen Angebots des Gebrauchtwagen-Marktplatzes und ein Rechner zur
Ermittlung der allgemeinen Betriebskosten wie Leasing- und Versicherungsprämien
sowie der Kosten der Kfz-Steuer gedacht. Sobald sich der Kunde zum Ankauf eines
Fahrzeugs entschlossen hatte, sollte er mit Checklisten für Käufer und Verkäufer,
Musterkaufverträgen, Tipps zum Zulassungsverfahren und konkreten Leasing- und
Versicherungsangeboten unterstützt werden.
Genauso wichtig wie die Identifikation des Kundenbedarfs ist es, den Markt und die
Interessen der Wettbewerber genauer zu betrachten und miteinander in Einklang zu
bringen. Daher versuchte das Projektteam bereits während der Konzeption des
Leitungsangebots, auch den Markt für Gebrauchtwagenbörsen und die einzelnen
Wettbewerber besser zu verstehen. Ziel war es, mögliche Partnerunternehmen zu suchen
bzw. zu bewerten.
Es gab auch konkrete Überlegungen, einen der bestehenden Anbieter zu übernehmen. Um
rasch auf dem Markt Fuß zu fassen, wurde als Alternative zur Gründung einer eigenen
Gesellschaft die Akquisition eines bestehenden Anbieters diskutiert. Die
Anbieterlandschaft war damals noch stark fragmentiert. Von den circa zehn relativ
kleinen Anbietern verfügte keiner über größere Bekanntheit oder Marktmacht.
Dazu fand ein regelrechter Beautycontest der einzelnen Anbieter statt. Während man zu
Beginn vor allem an der Zusammenarbeit mit einem Unternehmen interessiert war, das
auch technische Prüfstellen für Kraftfahrzeuge betrieb, entschloss man sich im weiteren
192 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
Verlauf, mehrere Unternehmen zu konkreten Gesprächen einzuladen. Schlussendlich
wurde von einer Übernahme Abstand genommen und man entschied sich stattdessen für
die Kooperation mit dem Betreiber eines Autoportals im Internet, da dieser auch mehrere
Onlinemarktplätze besaß, die heute von mehr als 37.000 Kfz-Händlern für den Zu- und
Verkauf von Fahrzeugen untereinander sowie für den Vertrieb an den privaten Autokäufer
genutzt werden.
Im Zuge der Vertragsverhandlungen, die in der zweiten Jahreshälfte 2001 stattfanden,
wurde das ursprüngliche Geschäftsmodell nochmals überarbeitet und in einigen Punkten
abgeändert, wobei die Geschäftsleitung des Partnerunternehmens ihre Erfahrungen aus
der Entwicklung des eigenen Geschäftsmodells mit einbrachte. Das überarbeitete Konzept
sah vor, dass der Gebrauchtwagen-Marktplatz zwar unter der Marke ASSEKURANZ
firmieren, aber nicht selbst betrieben werden sollte. Die Entwicklung und technische
Betreuung der Plattform wurden an den Kooperationspartner übergeben, der als
Application Service Provider auftrat. Die ASSEKURANZ wollte sich darauf
konzentrieren, das Portal redaktionell zu betreuen, den Abgleich der Adressdaten
durchzuführen und die Informationsweitergabe an die hauseigenen Vertreter
sicherzustellen.
Gleichzeitig bedeutete die Entscheidung, den Internetmarktplatz nicht selbst zu betreiben,
aber auch eine Änderung der Zielsetzung. Man wollte selbst nicht mehr zu einem der
führenden Betreiber aufsteigen, sondern sich auf die Funktion des Datenlieferanten
beschränken. Im Zentrum des Geschäftsmodells stand nur noch das Sammeln von
Inseraten, um Informationen für die eigene Außendienstorganisation zu sammeln. Damit
blieb man der ursprünglichen Geschäftsidee, der direkten Generierung von Wissen über
die Pläne des Kunden am POS, treu, reduzierte jedoch den Geschäftsumfang auf den
Weiterverkauf dieser Information an die hauseigenen Versicherungsvertreter, um so die
Kundenbindung und Wiederversicherungsquote zu steigern.
Alle Gebrauchtwagenverkäufer, die sich in dem Portal registrierten und dort ein Fahrzeug
zum Verkauf anboten, wurden mit den hausinternen Bestandsdaten verglichen. Bot ein
bestehender Versicherungskunde sein Auto zum Verkauf an, wurde sein Vertreter
innerhalb kürzester Zeit darüber per E-Mail informiert.
Der Auftrag an den Vertreter lautete, umgehend mit dem Kunden in Kontakt zu treten, um
den Kunden auf den geplanten Verkauf anzusprechen bzw. mehr über die aktuelle
Situation, Pläne und Wünsche des Kunden zu erfragen, um so das Folgegeschäft
anzubahnen.
Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 193
„Was der Vertreter will, sind wenige hochqualitative Kundenadressen, um
zeitnah über die Pläne des Kunden im Bild zu sein und darauf reagieren zu
können.“576
Kurzzeitig stand zur Diskussion, selbst als Versicherungsvermittler aufzutreten, d. h.
direkt und ohne Einbindung der Vertreter Kfz-Versicherungen an die Nutzer des
Gebrauchtwagen-Marktplatzes zu vermitteln. Da diese Idee aber im Widerspruch zur
geplanten Einbindung der eigenen Vertriebsorganisation stand und der Gebrauchtwagen-
Marktplatz in direkte Konkurrenz zum eigenen Außendienst getreten wäre, der über
großen Einfluss verfügte und das gesamte Projekt hätte torpedieren können, wurde diese
Idee rasch wieder verworfen. Somit blieb der Verkauf der generierten Adressdaten über
die Käufer und Verkäufer von Gebrauchtwagen die einzige Einnahmequelle.
Point of Sale
Gebrauchtwagen-Marktplatz
Versicherungs-Vertreter
Vermittlungvon Kunden
Plattform-Partner
Kunde
ServicevertragEntgelt für Inserat
Kostenlose InserateSuchanfrageInformation
KooperationsvertragBetrieb der Plattform
Versicherungs-vertrag
Versicherungs-Unternehmen
LeistungsvertragVermittlungsvereinbarung
AgenturvertragProvision
AutohändlerAngebot an Gebrauchtwagen
Vermittlung von Käufern
Abbildung 44: Beschreibung des Geschäftsmodells Gebrauchtwagen-Marktplatz
13.4 Entscheidung
Wenige Monate vor dem Start des Gebrauchtwagen-Marktplatzes kam es in der
ASSEKURANZ zu einigen personellen Veränderungen in der Geschäftsleitung. Diese
Veränderungen in der Organisation und Führung hatten direkte Auswirkung auf den
576 Interviewpartner FB2
194 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
weiteren Verlauf des Projekts. Mit dem Wechsel von Herrn Robert Reich, der die
treibende Kraft hinter dem Projekt gewesen war, und dem Vorstand Herrn Ludwig
Lechner, der dem neuen Geschäftsmodell wohlwollend gegenüberstand, wechselten nicht
nur die Sponsoren, sondern die Initiative verlor auch ihren Initiator und einen wichtigen
Fürsprecher. Das Projekt wurde zwar nicht ganz eingestellt, jedoch wurden bereits vor
dem Wechsel der Sponsoren im Herbst 2001 wichtige Budgetmittel entzogen.
Die neue Führung stand dem Projekt zurückhaltend bis kritisch gegenüber. Wie einer der
Geschäftsführer berichtete, rief ihn der neue Sponsor bald zu einem persönlichen
Gespräch zu sich. Er begann die Unterredung mit den Worten „Was Sie da machen. Die
Sache ist doch zum Scheitern verurteilt?!“577. Nach 30 Minuten leidenschaftlicher
Präsentation, in denen Herr Karl Koch das Geschäftsmodell des Gebrauchtwagen-
Marktplatzes nochmals im Detail vorstellte, stimmte Herr Jürgen Jung der Fortführung
jedoch zu.
In erster Linie fehlte es an der Bereitschaft der Sponsoren, die benötigten Mittel zum
Aufbau eines „führenden Anbieters“ zur Verfügung zu stellen. Um schnell eine
dominante Stellung erobern zu können, wäre ein großzügiges Werbebudget nötig
gewesen. Zwar hätte sich die ASSEKURANZ aufgrund der starken Marke relativ
leichtgetan, den Marktplatz zu etablieren, jedoch wurde nur ein minimales Werbebudget
genehmigt. Da das Budget auch in den folgenden Jahren sehr gering blieb, war es nicht
möglich, die Plattform einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und als erste
Anlaufstelle für Gebrauchtwagenkäufer zu positionieren.
Man brauchte zwei Anläufe, um vom Vorstand schließlich grünes Licht für das Projekt zu
bekommen, wobei zwei Umstände die Realisierung des Vorhabens erleichterten:
� Das Projekt war klein genug, um im Haus nicht als Bedrohung wahrgenommen
zu werden.
� Es wurde kein offizielles Investitionsbudget benötigt, sondern das Projekt
wurde aus den Mitteln des Geschäftsbereichs finanziert.
Aus Angst vor internen Widerständen und zu viel Aufmerksamkeit versuchte man, das
Projekt als kleines, unauffälliges „Guerillaprojekt“ weiter voranzutreiben. Offizielle
Projekte wurden sofort wahrgenommen und zogen die Aufmerksamkeit der gesamten
Organisation auf sich bzw. standen unter besonderer Beobachtung. Im Grunde wollte der
Sponsor das Projektteam und sein Vorhaben durch diese diskrete Vorgehensweise
577 Interviewpartner FB2
Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 195
schützen. So wollte das Team es tunlichst vermeiden, größere Aufmerksamkeit auf sich
zu ziehen oder gar von anderen Teilen der Organisation wie zum Beispiel dem eigenen
Vertrieb als Bedrohung wahrgenommen zu werden.
„Die Organisation hat scheinbar gelernt, dass mit offiziellen Projekten immer
auch bedeutende Absichten verfolgt wurden, die in weiterer Folge maßgebliche
Auswirkungen auf die Organisation hatten.“578
Um möglichen Vorbehalten in der Vertriebsorganisation vorzubeugen und die Ängste der
Hauptvertreter frühzeitig zu adressieren, suchte das Projektteam einerseits den direkten
Kontakt zu den Vertretern vor Ort. Mittels Interviews versuchte man, die Situation der
Agenturen sowie ihre Befindlichkeiten, Sorgen und Erwartungen an das Projekt zu
erheben. Zugleich wollte das Team in Einzelgesprächen für eine positive Wahrnehmung
des Projekts in der Vertretervereinigung sorgen.
13.5 Realisierung
Nachdem die Entscheidung zur Umsetzung gefallen war, wurde die Projektorganisation in
eine Linienorganisation übergeführt.
Der Aufbau und Betrieb des Gebrauchtwagen-Marktplatzes sollten in eine eigene
Tochtergesellschaft ausgegliedert werden. Einerseits sprachen rein formale Gründe dafür,
da es sich um kein versicherungstechnisches Geschäft handelte und es daher nicht
notwendigerweise als Teil der Versicherungsgesellschaft betrieben werden musste. Eine
eigenständige Gesellschaft brachte andererseits aber noch andere Vorteile: mehr
Flexibilität und Schnelligkeit bei internen Entscheidungen, einen größeren Spielraum bei
der Aufnahme von Personal, den Mietkosten sowie im Bürobetrieb und eine gewisse
Freiheit, Waren und Dienstleistungen extern zu beschaffen.
Die Gründung der GmbH erfolgte im März 2002. Zum selben Zeitpunkt wurde die
Kooperationsvereinbarung mit dem Plattformbetreiber geschlossen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der ursprüngliche Sponsor Herr Robert Reich die
Verantwortung für das Projekt bereits an seinen Nachfolger Herrn Hans Huber
übertragen. Herr Robert Reich, der Karriere gemachte hatte, blieb dem Projekt indirekt
erhalten, da er in den Aufsichtsrat der GmbH einzog.
578 Interviewpartner FB2
196 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
Da ein Großteil der Programmierung an den externen Partner ausgelagert war, schritt die
Umsetzung schnell voran. Das Umsetzungsteam konnte sich voll auf die Entwicklung der
notwendigen Schnittstellen konzentrieren, die für den Abgleich der Adressdaten mit der
Kundendatenbank benötigt wurden.
„Für das Data Warehouse mussten wir uns einiges überlegen, um die
Adressdaten möglichst zeitnah mit den internen Bestandsführungssystemen
abzugleichen. Am Anfang wurden die meisten privaten Pkws bereits nach vier
Tagen verkauft. Da mussten wir schnell sein, damit der Vertreter noch
rechtzeitig beim Kunden ist.“579
Knapp zwei Jahre nach Projektstart ging der Gebrauchtwagen-Marktplatz im Mai 2002 in
den Testbetrieb. Zwei Monate später wurde der offizielle Start des Echtbetriebs gefeiert.
Da der Betrieb der Plattform an den Application Service Provider ausgelagert wurde,
konnte die eigene Belegschaft klein gehalten werden. Heute besteht das Unternehmen aus
acht Personen. Neben den beiden Geschäftsführern werden nur sechs Mitarbeiter
beschäftigt. Eine Person kümmert sich um die Wartung und Pflege des Internetauftritts
und eine weitere um den Datenabgleich mit dem Bestandsführungssystem und der
Kundendatenbank. Um bei Fragen von Vertretern Antworten und Hilfestellungen zu
geben, arbeitet eine Person im Vertriebssupport. Das Rechnungswesen und die sonstige
allgemeine Administration werden von einer weiteren Person erledigt. In den letzten
Monaten wurde noch eine Stelle für hausinterne Werbung und PR geschaffen. Als
Ausdruck der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit wurden Büros an einem eigenen
Standort bezogen.
13.6 Erfolgsbeurteilung
Trotz aller Anstrengungen fällt die Erfolgsbeurteilung durchwachsen aus und wird in der
ASSEKURANZ sehr unterschiedlich wahrgenommen.
Seit Sommer 2002 werden nun Adressdaten von potenziellen Gebrauchtwagenkäufern
und -verkäufern mit dem eigenen Versicherungsbestand abgeglichen und daraus
erfolgreiche Geschäftsanbahnungen für den Vertrieb generiert.
Circa 40 % der Privatkunden, die ihr Fahrzeug über den Gebrauchtwagen-Marktplatz zum
Verkauf anbieten, sind auch Kunden der ASSEKURANZ, doch nicht alle haben eine Kfz-
579 Interviewpartner FB2
Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 197
Versicherung. Somit eröffneten sich für die Außendienstorganisation interessante Cross-
Selling-Möglichkeiten.
„In der Praxis zeigt es sich, dass wir Adressen von Kunden bekommen, die zwar
ihre Lebensversicherung oder Hausratversicherung bei der ASSEKURA9Z
haben ... wir den Pkw aber bisher nicht im Bestand hatten. Dort gibt es für den
Vertreter die tolle Gelegenheit zum weiteren Ausbau des Kunden.“580
Neben den bestehenden Kunden analysiert die ASSEKURANZ aber auch die Daten der
Fremdkunden, um zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen. In Summe werden
über 95 % der generierten Adressdaten per E-Mail an die rund 10.500 selbstständigen
Vertreter weitergegeben.
Wie sich zeigte, begann der Vertrieb nur sehr zögerlich damit, die Adressdaten zur
Stornovermeidung bzw. Anbahnung von Neugeschäft zu nutzen. Wie der Vergleich der
Wiederversicherungsquote mit und ohne Nutzung der generierten Kundendaten bewies,
wirkte sich die aktive Inanspruchnahme der Daten sehr positiv aus. Dort, wo E-Mails mit
Adressdaten an den Außendienst versendet wurden, konnte die Quote um circa 10
Prozentpunkte gesteigert werden.
Damit wurde aber bei Weitem nicht das volle Potenzial ausgeschöpft. In einem
Feldversuch mit den besten 200 Vertretern zeigte sich, dass die
Wiederversicherungsquote durch die aktive Nutzung der Adressdaten noch viel deutlicher
gesteigert werden konnte.
Daher hat das Team des Gebrauchtwagen-Marktplatzes in den letzten Jahren viel Zeit und
Anstrengungen darauf verwendet, die Nutzungsquote der zur Verfügung gestellten
Adressdaten weiter zu steigern, denn wie sich zeigte, hing der Erfolg des
Geschäftsmodells letztendlich von folgenden Erfolgsfaktoren ab:
1. Bekanntheitsgrad des Gebrauchtwagen-Marktplatzes bei Endkunden, d. h. den
potenziellen Gebrauchtwagenkäufern und -verkäufern
2. Bekanntheitsgrad und Akzeptanz der Geschäftsidee bei den Vertretern
3. Qualität der zur Verfügung gestellten Adressen
4. Nutzung der Adressdaten durch die Vertreter
Zurückblickend zog einer der Projektleiter folgendes Resümee: „Wir waren der Zeit
580 Interviewpartner FB2
198 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz
einfach voraus. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass wir mit unserer
Geschäftsidee recht hatten. Wir waren nur zu früh dran.“581 Die Organisation war für die
Veränderung noch nicht bereit.
Außerdem darf man nicht vergessen, dass sich das Umfeld für Internetgeschäftsmodelle in
den darauffolgenden Jahren stark eintrübte. Es war nicht mehr modern, solche Projekte zu
fördern. Folglich fanden sich im Haus auch keine neuen Unterstützer.
„Die Geschäftsführer […] haben unter diesen widrigen Rahmenbedingungen
noch das Bestmögliche herausgeholt.“582
Letztendlich litt das Projekt an fehlender Unterstützung und dem Wechsel des Sponsors
und des Initiators. Beide verließen Anfang 2002 das Ressort und übernahmen neue
Aufgaben im Konzern. Aus Sicht der Sponsoren hatte sich das Projekt gelohnt, obwohl
die Initiative nie richtig zum Fliegen kam, was sie darauf zurückführten, dass die dazu
nötigen Investitionen nicht getätigt wurden.
Kategorie Indikator
Überleben
(objektiv)
(1) Überleben im
Untersuchungszeitraum
Ja
Markterfolg
(subjektiv)
(2) Akzeptanz und
Kundennutzen
Zögerlich (Ø = 2)
„Wir waren der Zeit einfach
voraus.“ (FB1)
„Der Vertrieb nutzte die Daten
nur sehr zögerlich.“ (FB2)
(3) Wachstum Moderat (Ø = 3)
„Die Wiederversicherungsquote
konnte um 10 % gesteigert
werden.“ (FB2)
Geschäftserfolg
(subjektiv)
(4) Ertrag Ausgeglichen (Ø = 3)
„Die Organisation ist auf
Effizienz ausgelegt und durch die
Einnahmen trägt sich die GmbH
selbst.“ (FB4)
Abbildung 45: Erfolgsbeurteilung des Gebrauchtwagen-Marktplatzes
581 Interviewpartner FB1 582 Interviewpartner FB3
Fallstudie 2: Direktversicherung 199
14 Fallstudie 2: Direktversicherung
Wie sich im Rahmen des Strategieprojekts „Kraft-Strategie 2010“ zeigte, war auf dem
deutschen Versicherungsmarkt in den Jahren nach der Deregulierung ein neues
Marktsegment entstanden. Dabei handelte es sich um das Segment preissensibler Kunden,
die aktive Preisvergleiche anstellten, um auf dem Markt das günstigste Angebot zu
finden.583 Da diese Kunden über die traditionelle Außendienstorganisation nur schwer zu
erreichen waren bzw. aufgrund der vergleichsweise hohen Kosten dieses Vertriebswegs
nicht profitabel bedient werden konnten, musste ein neuer Weg gefunden werden, um am
überdurchschnittlichem Wachstum dieses Marktsegments zu partizipieren.
Während im Jahr 2000 der Markt bzw. die Nische für Internetanbieter, speziell für große
Unternehmen wie die ASSEKURANZ, noch zu klein und die zur Verfügung stehende
Technologie wenig ausgereift war, stellte sich die Situation Ende 2004 weitaus günstiger
dar. Der Bedarf an Onlineversicherungen war zunehmend gegeben und das Wachstum des
dazugehörigen Kundensegments hatte an Dynamik gewonnen. Auch aus taktischer Sicht
passte das Timing, denn es würde ohnedies einige Jahre dauern, den Markt genauer
kennenzulernen und für den großen Ansturm gerüstet zu sein.
Außerdem hatte die Wettbewerbsintensität auf dem Kfz-Versicherungsmarkt im Jahr
2004 abermals zugenommen. Mehrere Anbieter senkten die Prämien und waren mit sehr
attraktiven Angeboten in die jährliche Abwerbungsrunde gegangen. Gerade die
Direktversicherungen und neue Onlineanbieter traten auf dem Markt besonders aggressiv
in Erscheinung.
Vor diesem Hintergrund sollte im Rahmen der Multikanalaufstellung durch die
Entwicklung alternativer Geschäftsmodelle die drohende Gefahr eines zunehmenden
Bestandsabriebs abgewendet werden.
14.1 Projektorganisation
Nachdem der Auftrag zur Erarbeitung der Kraft-Strategie 2010 im Februar 2004 den
Vorstand passiert hatte, wurde ein Projektteam gebildet. Allen Beteiligten war klar, dass
es sich dabei um ein überaus wichtiges und vordringliches Projekt für die ASSEKURANZ
handelte, denn die Situation auf dem deutschen Kraftversicherungsmarkt stellte sich nicht
besonders vorteilhaft dar. Durch die starke Konkurrenz von Billiganbietern hatte die
583 Außerdem war zu diesem Zeitpunkt, vor dem Hintergrund der „Geiz-ist-geil“-Kampagne, die Thematik
Preis und preissensible Kunden ein sehr aktuelles und in der öffentlich diskutiertes Phänomen.
200 Fallstudie 2: Direktversicherung
ASSEKURANZ über die letzten Jahre kontinuierlich an Marktanteil nach Stücken
verloren, wenngleich die Beitragseinnahmen noch relativ stabil waren. Der
Hauptvertriebsweg der ASSEKURANZ verlor am Gesamtmarkt jedoch immer mehr an
Bedeutung. Außerdem passte das Paradigma der „Waffengleichheit“584 nicht mehr in die
Landschaft des deutschen Kfz-Versicherungsmarktes.
Unter der Leitung von Martin Meier wurde der deutsche Kraftversicherungsmarkt bis ins
Detail durchleuchtet, um strategische Optionen für die zukünftige Strategie der
ASSEKURANZ im Kfz-Versicherungsgeschäft mit Privatkunden zu entwickeln. Die
Sponsoren des Teilprojekts „Direktversicherung“ waren Herr Jürgen Jung und Herr Hans
Huber.
Die Zusammenstellung des Projektteams erfolgte in erster Linie nach Maßgabe der für
den weiteren Projektverlauf benötigten Kompetenzen und Fähigkeiten sowie der
Einstellung der Mitarbeiter.
„Ausschlaggebend für unseren Erfolg war sicher das geniale Team. Das waren
alles Brainies und Leute, die offen für 9eues waren. Wir wollten nur solche
Leute, die selbst unternehmerisch dachten. Andere haben wir gar nicht
genommen.“585
Auf die Hereinnahme externer Consultants wurde verzichtet, denn es bestand begründete
Sorge, interne Daten und strategische Überlegungen könnten an Mitbewerber
weitergegeben werden. Lediglich bei der Marktforschung arbeitete man mit externen
Anbietern zusammen.
14.2 Strategiefindung und Geschäftsidee
Gemeinsam mit TNS Infratest wurde eine Kundenbefragung durchgeführt, die zu
folgenden Beobachtungen führte: Rund 20 % der befragten Kunden hatten ihren Pkw bei
einem Direktanbieter versichert und ca. 3 % bei Onlineanbietern. Auf dem Gesamtmarkt
lag der Anteil mit 32 % respektive 5 % deutlich höher.
Fast zwei Millionen Deutsche haben schon einmal eine Versicherung online über das
Internet abgeschlossen. Dazu kamen noch einmal knapp acht Millionen, die sich den
Onlineabschluss einer Versicherung zumindest gut vorstellen konnten. Für den
584 Das gleiche Produkt, zum gleichen Preis für jeden Kanal und jede Zielgruppe. 585 Interviewpartner FA2
Fallstudie 2: Direktversicherung 201
Assekuranzsektor bedeutete dies, dass der Wettbewerb um den Kunden immer mehr auch
über den elektronischen Vertriebsweg ausgetragen wurde.586 Diese Untersuchung zeigte
nicht nur, welches Risiko, sondern auch welche Chance in dieser Entwicklung lag. Würde
die ASSEKURANZ auf die Verschiebung der Nachfrage nicht reagieren, lief sie Gefahr,
weiterhin Kunden an die neuen Anbieter zu verlieren. Durch eine aktive Bearbeitung
konnten hingegen wechselbereite Kunden von der Konkurrenz abgeworben werden. So
entstand die Geschäftsidee zur Gründung einer Direktversicherung.
Um durchzuspielen, wie sich bestimmte Entscheidungen auf die zukünftige
Marktanteilsentwicklung auswirken würden, wurde ein Decision-Support-Modell
(DSM)587 zur Simulation und quantitativen Analyse der strategischen Handlungsoptionen
entwickelt.
Die Datenbasis für diese Simulationen bildeten umfangreiche Erhebungen der
Ausgangssituation und Wettbewerbsverhältnisse auf dem deutschen Versicherungsmarkt.
Durch die Vernetzung der Daten mit den verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten
(Fortschreibung des Status quo, Tarifsenkung, Gründung eines Direktanbieters etc.)
lieferte das Modell umfangreiche Szenarien über die Auswirkung dieser Entscheidungen
auf die zukünftige Entwicklung der Versicherungsbestände und Marktanteile.
„Es stellte sich heraus, dass das interne Team eine fundierte und hervorragende
Analysequalität geliefert hat, die auch mit externer Unterstützung nicht hätte
besser sein können.“588
Die Ergebnisse dieser Simulationen bildeten die Grundlage zur Evaluierung der
möglichen strategischen Optionen. Ziel war es, Erfolg versprechende
Handlungsempfehlungen zu identifizieren und eine Entscheidungsvorlage für den
Vorstand zu erarbeiten. Die Simulation lieferte darüber hinaus auch die Zahlenbasis für
den Businessplan. So konnten die einzelnen strategischen Handlungsoptionen auch
quantifiziert werden.
586 vgl. TNS Infratest 2003 587 Entscheidungsunterstützungssysteme wie das DSM, das Anfang der 1970er-Jahre entwickelt wurde, sind
Tools zur operativen und strategischen Unterstützung des Managements mit Hilfe von EDV-
Anlagen. In Decision-Support-Systemen sind Modelle und Methoden hinterlegt, um den Ausgang
von Entscheidungen a priori durch Simulationen (u.a. Monte-Carlo-Simulationen) zu überprüfen. In
diesem Fall waren es Conjoint-Analysen mit nachgelagertem multinomialen Logitmodell zur
Szenarienanalyse. 588 Interviewpartner FA2
202 Fallstudie 2: Direktversicherung
„Eines unserer ersten Ziele war es, zu zeigen, wie sich der Direktversicherer
rechnet und mit welchem Returnzeitraum kalkuliert werden muss.“589
Um sich einen Überblick über die Anbieter zu verschaffen, analysierte das Projektteam
deren Geschäftsmodelle. Insgesamt waren elf Anbieter mit 18 verschiedenen Kfz-Tarifen
im Onlinedirektsegment tätig. Schnell stellte sich heraus, dass die Gesellschaften sehr
unterschiedlich auf dem Markt agierten und die Unternehmen sehr unterschiedliche
Strategien und Zugänge verfolgten.
Um einen strukturierten Vergleich der einzelnen Anbieter vorzunehmen, wurden
bestimmte Aspekte ihres Geschäftsmodells im Detail betrachtet. Die Gegenüberstellung
erfolgte in den folgenden Kategorien: Anzahl und Art der Vertriebskanäle, Produkt- und
Preisgestaltung, Markenstrategie und Funktion des Callcenters.
Während ein Teil im Vertrieb ausschließlich auf das Internet setzte, verfügten andere über
einen hybriden Vertriebsansatz, wobei der Vertriebskanal Internet um stationäre
Vertriebseinheiten in Ballungszentren oder die Nutzung von Callcentern für den
Telefonverkauf ergänzt wurden. Ein weiterer Aspekt, der gesondert untersucht wurde, war
die Produkt- und Preisgestaltung. Große Unterschiede traten auch in der Markenpolitik (z.
B. White Labelling von Asstel, einer Tochter der Gothaer Versicherung, für Tchibo oder
DA Direkt, einer Tochter der Zürich Versicherung, als White-Label-Partner für die C&A
Autoversicherung), in der Strategie gegenüber Preisvergleichsmaschinen im Internet und
Affiliate Marketing sowie in der Ausrichtung des Callcenters (outbound/inbound) zutage.
„In der Direktversicherung ist das Pricing eine der wichtigsten
Kernkompetenzen. Die HUK war im Pricing hier mit am intelligentesten und
fortschrittlichsten.“590
Auf Grundlage der Analyse des Internetdirektmarkts und unter Berücksichtigung der
Besonderheiten dieses Geschäftsfelds skizzierte das Projektteam den Rohentwurf eines
Geschäftsmodells für die Direktversicherung der ASSEKURANZ und entwickelte dazu
einen Businessplan. Man versuchte, sich bewusst von der Konkurrenz abzugrenzen bzw.
das Angebot zu differenzieren und eigene Stärken zu nutzen.
589 Interviewpartner FA2 590 Interviewpartner FA2
Fallstudie 2: Direktversicherung 203
14.3 Entscheidung
Die Entscheidungsvorlage, neben den bestehenden Vertriebswegen einen neuen Kanal
Direktversicherung auf dem Markt zu etablieren, beruhte auf einigen Kernthesen
hinsichtlich der aktuellen Situation 2004 und weiteren Entwicklung des deutschen Kfz-
Versicherungsmarkts.
� Das interne Wachstum des deutschen Kfz-Versicherungsmarkts ist nur noch
sehr gering. Ausgehend vom aktuellen Gesamtbestand von 42 Mio. privaten
Kraftfahrzeugen wird ein jährlicher Zuwachs von circa 1 % erwartet.591
� Demgegenüber entwickelt sich der Teilmarkt für Direktanbieter mit derzeit 15
% per anno weitaus dynamischer und hat mittlerweile ein Niveau von circa 6 %
des Gesamtmarkts erreicht, was einem Bestand von circa drei Mio. Fahrzeugen
entspricht.
� Bei einem angenommenen Wachstum von 15 % per anno wird der Direktmarkt
im Jahr 2012 bereits 15 % des Gesamtmarkts repräsentieren.
� Ohne die aktive Erschließung dieses Wachstumspotenzials auf dem Teilmarkt
der Direktversicherungen läuft die ASSEKURANZ Gefahr, nicht an dieser
dynamischen Entwicklung teilzuhaben. In Folge würde der Marktanteil
aufgrund der zunehmenden Abwanderung der Kunden aus den traditionellen
Kanälen weiter sinken.
Der Vorstand folgte der Empfehlung und gab Ende 2004 den Auftrag zur Gründung einer
Direktversicherung. Gleichzeitig wurde der Auftrag zur Umsetzung des Teilprojekts
„Direkt-Kanal“ erteilt.
„Das war ein fortlaufender [Prozess]. Wir haben unsere Ergebnisse im Herbst
2004 immer wieder im Vorstand präsentiert. Bis zum letzten Tag waren wir uns
nicht sicher, wie viel von den Vorschlägen der Kraft-Strategie 2010 am Ende in
die Umsetzung gelangen würde, da die Vorschläge einer hausinternen
Kulturrevolution gleichkamen.“592
Die Genehmigung der Direktversicherung war nicht selbstverständlich, da sich dagegen
bereits im Vorfeld massiver Widerstand unter den Vertretern der Außendienstorganisation
geregt hatte, die fürchteten, durch ein attraktives Direktangebot kannibalisiert zu werden.
591 Das jährliche Geschäftsvolumen resultiert aus ca. 3 Mio. Neuzulassungen, 5-6 Millionen
Fahrzeugwechsel pro Jahr und 4 Mio. Versicherungswechsel die traditionell gegen Jahresende
stattfinden. Damit werden ca. 30% der Bestandsverträge pro Jahr umgewälzt. 592 Interviewpartner FA2
204 Fallstudie 2: Direktversicherung
„Die ASSEKURA9Z war durch die Ereignisse am Markt reif für Veränderung.
Die Option ‚9ichtstun‘ hätte zwar eine gewisse Sicherheit über die weitere
Entwicklung der Bestände gebracht, aber eben auch die Gewissheit, dass die
Bestände sinken würden. Die Option der Kraft-Strategie war bei allen Risiken
für den Vorstand die bessere Alternative, weil in den vorgeschlagenen Punkten
auch große Chancen bestanden.“593
Gleichzeitig gab es vonseiten des Stammvertriebs begründete Sorge und rationale Gründe
dafür, dem Projekt ablehnend gegenüberzustehen, die da waren:
� Die Befürchtung der Kannibalisierung der Bestände der eigenen
Stammorganisation, dadurch eine interne Wertvernichtung und die Schwächung
der Gruppe
� Sorge hinsichtlich negativer Reaktionen und Auswirkungen des Internetkanals
auf die Leistungsbereitschaft und Loyalität der Außendienstorganisation
Trotzdem hat das Projekt im Vorstand breite Unterstützung gefunden, obgleich der
Vertriebsvorstand bei seiner ablehnenden Haltung blieb. Er meldete begründeten
Vorbehalt an und glaubte nicht an den Erfolg der Initiative. Letztlich wurde der Einstieg
in das Direktgeschäft auch als Chance gesehen, ein neues, interessantes Kundensegment
für die ASSEKURANZ zu erschließen. Mit einem eigenen Direktkanal wollte man den
bestehenden Direktanbietern Konkurrenz machen und aktiv am dynamischen Wachstum
dieses aufstrebenden Marktsegments partizipieren.
„So konnte man einmal einen Fuß in den Direktmarkt bekommen und
überprüfen, wie sich die Internetversicherung entwickelte. Für den Vorstand
war das ein überschaubares Investment und überschaubares Risiko.“594
Das Projektteam erachtete den Projektauftrag zur Umsetzung des Internetkanals als
logisch nachvollziehbare, weitgehend rational motivierte und begründete Entscheidung
des Vorstands. Auch im Rückblick war der Zeitpunkt dafür richtig gewählt: Ein früherer
Einstieg hätte die Diskussion mangels Sichtbarkeit des Potenzials erschwert, ein späterer
Einstieg hätte die Gefahr mit sich gebracht, dass der Wettbewerb sich bereits fast
uneinholbar etabliert hätte.
593 Interviewpartner FA2 594 Es war also ein Versuchsballon, den man einmal steigen lassen wollte. Erst die ersten Ergebnisse würden
darüber entscheiden, mit wie viel zusätzlichen Investments man das Projekt fortsetzen würde.
Fallstudie 2: Direktversicherung 205
„[Der] Entschluss ist in erster Linie als langfristig orientierte unternehmerische
Entscheidung des Vorstands zu sehen.“595
Nun sollte das im Rahmen des Vorprojekts „Kraft-Strategie 2010“ aufgezeigte
Wachstumspotenzial für Direktanbieter rasch erschlossen werden. Aufgrund der im
Vorprojekt erhobenen Mengengerüste wurde eine dynamisch steigende Zahl an
Versicherungsnehmern erwartet, die Bereitschaft zum Abschluss der Kraftversicherung
über das Internet zeigen.
14.4 Konkretisierung des Geschäftsmodells
Herr Martin Meier, der die Konzeption als Projektleiter maßgeblich mitgestaltet und die
Multikanalstrategie auf den Weg gebracht hatte, gab die Leitung des Projekts Ende 2004
ab. Das ursprüngliche Projektteam, das die Strategie und Geschäftsidee für den
Direktvertrieb entwickelt hatte, löste sich auf und eine neue Projektgruppe wurde
zusammengestellt. Nach einem kurzen Interregnum übernahm im April 2005 Herr
Friedrich Frei die Verantwortung für die Umsetzung des neuen Vertriebskanals, d. h. die
Konkretisierung und die Realisierung des neuen Geschäftsmodells.
Das Projektteam rund um den Projektleiter Herrn Friedrich Frei wurde beauftragt, bis zur
jährlichen Abwerbungsrunde im September 2005 eine Internetlösung für den
Onlineabschluss von Kfz-Versicherungen zu konkretisieren, zu bauen und zum Fliegen zu
bringen, d. h. den im Dezember 2004 beschlossenen Internetkanal zu implementieren.
Das Kernteam des Projekts bestand neben dem verantwortlichen Projektleiter Herrn
Friedrich Frei aus Herrn Peter Paulus, der bereits am Strategieprojekt „Kraft-Strategie
2010“ mitgearbeitet hatte. Aus einer früheren Tätigkeit in der Marketingberatung brachte
dieser auch besondere Kompetenzen und Erfahrungen in diesem Bereich mit. Weiters
konnte Herr Siegfried Stern für das Projekt gewonnen werden, der technisches Know-
how, gute Kontakte zur Konzern-IT und Erfahrungen in der Umsetzung von IT-Projekten
ins Team einbrachte. Herr Emil Ende verfügte über Erfahrungen im Finanzbereich, der
Unternehmensberatung und im Business Development.
Gleichzeitig hatten aber mehrere Kandidaten aus dem Vorprojekt „Kraft-Strategie 2010“
ihre Teilnahme an der operativen Umsetzung des Projekts abgesagt.
„Den meisten war das Risiko einfach zu groß, dass das Projekt doch noch
595 Interviewpartner FA5
206 Fallstudie 2: Direktversicherung
gestoppt wird oder selbst scheitern könnte, weil die Idee für das Haus damals
recht revolutionär war.“596
Auf die Einbindung externer Berater wurde auch diesmal verzichtet, da sich das Team
einerseits imstande sah, das Projekt mit internen Ressourcen umzusetzen, und andererseits
im Haus entsprechendes eigenes Know-how aufgebaut werden sollte. Da das
Umsetzungsteam relativ klein war, versuchte man, sich zu helfen, indem man auf
zusätzliche Ressourcen im Konzern zugriff. Dazu suchte das Team in allen Bereichen
nach internen Kooperationspartnern, um so auf die im Konzern vorhandenen
Kompetenzen und Ressourcen zuzugreifen und für das Projekt nutzbar zu machen.
Um diese kurzfristig zur Verfügung gestellt zu bekommen, musste die Unterstützung der
anderen Bereiche teilweise erst gewonnen werden. Hilfreich waren in diesem
Zusammenhang neben der ohnehin da und dort vorhandenen Begeisterung für die
Geschäftsidee die Unterstützung und der Rückhalt durch die jeweils zuständigen
Ressortvorstände.
Der Projektauftrag des Umsetzungsprojekts und die im Projekt „Kraft-Strategie 2010“
geleisteten Vorarbeiten waren noch vage und in vielen Aspekten unklar, boten dafür aber
den Vorteil eines größeren Gestaltungsspielraums.
Den teilweise noch geringen Detaillierungsgrad des im Rahmen des Vorprojekts
skizzierten Geschäftsmodells führt Herr Emil Ende teilweise auf den Umstand zurück,
dass die Teammitglieder lange Zeit nicht davon ausgehen konnten, dass die Geschäftsidee
Direktversicherung überhaupt die Zustimmung des Vorstands finden würde. Außerdem
sei zu beachten, dass sich bei einem derart umfassenden Projekt zwangsläufig viele
Detailfragen erst im Lauf der Feinspezifikation bzw. Umsetzung ergeben. So bestand für
das Team die Möglichkeit, die vorhandenen Lücken nach eigenem Ermessen und Bedarf
zu füllen.
Im Frühjahr 2005 begann das Team damit, das vorhandene Konzept für den „Direktkanal“
nochmals im Detail zu untersuchen und alle Aspekte hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit und
Realisierbarkeit zu durchleuchten. Die zentrale Frage war, wie die Direktversicherung
rasch implementiert und fristgerecht zur Abwerbungsrunde 2005 starten konnte.
Zu den Aspekten, die einer erneuten Analyse, Konkretisierung oder gänzlichen
Neudefinition unterzogen werden mussten, gehörten:
596 Interviewpartner FA2
Fallstudie 2: Direktversicherung 207
� Die Frage der Markenentscheidung
� Die USP, Farb- und Bildwelt
� Die Value Proposition: „gewohnte Qualität, direkt und günstig“
� Die IT-Architektur und Schnittstellen zu den Konzernsystemen
� Callcenter und Prozesse
� Produktangebot
� Rechtliche Aspekte und die Unternehmensform
� Die tatsächlichen Preispunkte
� Besonderheiten des Internetvertriebs und des Onlinemarketings
� Businessplan
Eine der vordringlichsten Fragen war, unter welcher Marke die neu zu gründende
Direktversicherung firmieren sollte. Gemeinsam mit einer Marktforschungsagentur
wurden verschiedene Namen evaluiert. Zur Auswahl standen mehrere Kunstnamen, durch
die sich der neue Anbieter klar von der Muttergesellschaft abgegrenzt hätte, oder ein
Name, der an die Marke ASSEKURANZ angelehnt war.
Die Entscheidung für ASSEKURANZ 24 fiel schlussendlich aufgrund der hohen
Bekanntheit der Marke ASSEKURANZ, die auch im Direktgeschäft Sicherheit und
Reputation ausstrahlten sollte. Der Zusatz „24“ wurde gewählt, da die Zahl 24 auf dem
deutschen Markt als Synonym für Online- bzw. Direktanbieter stand. Die ASSEKURANZ
24 war daher am Markt klar als der Direktanbieter der ASSEKURANZ erkennbar. Ein
kleiner Schwachpunkt war laut Herrn Peter Paulus, dass die neue Tochtergesellschaft
nicht nur die positiven Eigenschaften, sondern auch das „teure Image“ der Mutter geerbt
hat.
Die Zwischenergebnisse und unmittelbar anstehende Entscheidungsvorlagen wurden den
Sponsoren und dem Vorstand mit der Bitte um Entscheidung zeitnah kommuniziert. In
den Gremien fanden dann immer wieder intensive Verhandlungen statt.
Aufgrund des überaus ambitionierten Zeitplans wurden wo möglich rasche und
pragmatische Lösungen angestrebt, die ein schnelleres Vorankommen ermöglichten. In
einigen zentralen, aber umstrittenen Fragen wie der Markenentscheidung hielt das Team
aber unbeirrt am begründeten Standpunkt fest, da das Team davon überzeugt war, dass in
diesen kritischen Fragen ein Kompromiss bzw. ein Abrücken von dem durch Fakten
untermauerten Entscheidungsantrag den Erfolg des gesamten Projekts gefährdet hätte.
Das harte Ringen in einigen existenziellen Fragen war für Emil Ende ein normales und
208 Fallstudie 2: Direktversicherung
erwünschtes Phänomen im Prozess arbeitsteiliger Entscheidungsfindung.
Die Value Proposition wurde unter Berücksichtigung der Eigenschaften der Dachmarke
als „gut“ bzw. in Übereinstimmung mit dem anvisierten Preispunkt als „und günstig“,
definiert. Auch hier gab es deutliche Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen
Konzept, das auf eine andere Farb- und Bildsprache gesetzt hätte.
Die Produktpalette der ASSEKURANZ 24 wurde zum Start auf die Produkte Kraft-
Haftpflicht- und Kasko-Versicherung beschränkt. Um attraktive Konditionen und die
angestrebte Zielgröße einer kombinierten Schaden-Kosten-Quote von unter 100 %
miteinander in Einklang zu bringen, wurde das Angebot auf Versicherungsnehmer mit
einem Mindestalter von 23 Jahren eingegrenzt. Jüngere Fahrzeuglenker bergen für
Versicherungen ein höheres Risiko, da sie in den ersten Jahren als noch unerfahrene
Lenker einen vielfach höheren Schadenbedarf aufweisen als ältere Versicherungskunden.
Eine Einschränkung im Tarif betraf die Zahlweise. So konnte die Versicherungsprämie
nur im Weg des Lastschriftverfahrens bezahlt werden, denn aktuelle Untersuchungen
hatten ergeben, dass Kunden, die ihre Prämien abbuchen lassen, auch einen besseren
Schadenverlauf aufweisen. Gleiches gilt für Kunden, die jährlich oder halbjährlich zahlen,
im Gegensatz zu Kunden, die eine monatliche Zahlweise bevorzugen. Folglich wurde eine
monatliche Prämienzahlung ausgeschlossen. Auf Grundlage der restriktiven
Annahmepolitik und der erhofft guten Risikoselektion wurde trotz des niedrigen
Prämienniveaus ein Zielschadensatz von 70 % angepeilt.
Eine schlanke Organisation – das Callcenter für Vertrags- und Schadenerledigung wurde
in die Muttergesellschaft ausgelagert – sollte dazu beitragen, dass auch der Kostensatz
deutlich unter dem traditioneller Anbieter lag.
Um nicht in direkte Konkurrenz zu den bestehenden Vertriebswegen zu treten, wurde bei
der Tarifgestaltung auf den traditionell starken Agenturvertrieb Rücksicht genommen. Der
Tarif wurde regional auf die Marktverhältnisse und den Marktanteil des Agenturvertriebs
abgestimmt. In Regionen, wo die ASSEKURANZ über die Agenturen bereits über einen
hohen Marktanteil verfügte, wurden geringere Preisnachlässe gewährt als in Gegenden
mit geringem Marktanteil, wo man auf die Kosten der Konkurrenz wachsen konnte.
Ebenfalls aus Rücksicht auf die bestehenden Vertriebswege, insbesondere um die
Agenturen, die den neuen Direktanbieter kritisch beobachteten, nicht zu verärgern, wurde
auf eine offensive Bewerbung des Direktangebots verzichtet. Die Werbung beschränkte
sich auf reine Onlinewerbung im Internet.
Fallstudie 2: Direktversicherung 209
Stattdessen setzte man auf die Möglichkeiten des Internets, um das Angebot auf dem
Markt zu verbreiten. Jeweils ein gutes Drittel der Abschlüsse kommen durch die
Vermittlung von Preisvergleichsmaschinen im Internet, über Marketing in Suchmaschinen
oder indem Kunden direkt die Internetseite anwählen zustande. Ein kleinerer Teil der
Kunden schließt infolge von Onlinewerbung auf großen Portalseiten oder bei
Affiliatenetzen ab.
Internet-Versicherung
KundenserviceSchadenabwicklung
Servicevertrag
SuchmaschinenPortale
Online-Werbung
KundeEinlösung desLeistungsversprechens
Versicherungs-vertrag
Point of Sale
Information, PreisvergleichSuchkostenreduktion
Abbildung 46: Beschreibung des Geschäftsmodells Direktversicherung
Einen weiteren wesentlichen Unterschied zum traditionellen Geschäftsmodell stellen die
Vertriebskosten dar, die sich in erster Linie auf die Kosten der Kundengewinnung
reduzieren. Für Kunden, die direkt über die Internetseite eine Versicherung abschließen,
fällt im Gegensatz zum traditionellen Versicherungsvertrieb keine laufende
Provisionszahlung an. Dafür wird an die Werbe- und Kooperationspartner ein einmaliges
Erfolgshonorar (Cost per Order, kurz CPO) pro vermittelten Vertrag gezahlt.
14.5 Realisierung
Die Frage des organisatorischen Setups wurde zu Beginn des Umsetzungsprojekts vom
Team nochmals kritisch überprüft. Geprüft wurden die Vor- und Nachteile einer
vollständigen Integration bzw. Separation der neuen Geschäftseinheit. Auf Grundlage der
Analysen entschied sich das Team schließlich für den Mittelweg eines hybriden
Organisationsmodells.
Obwohl in der Konzeptionsphase über eine Greenfield-Lösung nachgedacht wurde,
210 Fallstudie 2: Direktversicherung
verfolgte das Projektteam einen etwas abgewandelten Ansatz.
„Unsere Strategie war es, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen.
Daher empfahl es sich, das Projekt im Hause der ASSEKURA9Z zu starten und
kurze Wege zu garantieren.“597
Eine eigene Tochtergesellschaft bildete den rechtlichen Mantel und fungierte als
Risikoträger für die neu zu gründende Direktschiene. Alle Mitarbeiter des neuen
Geschäftsbereichs blieben aber Angestellte der Muttergesellschaft.
Das Wertschöpfungssystem der Direktversicherung ist mit anderen Konzernfunktionen
hochgradig vernetzt und es werden nur solche Aktivitäten selbst erbracht, die aufgrund
des besonderen Charakters des Internetgeschäfts spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten
verlangen und im Konzern in dieser Qualität nicht anderenorts günstiger verfügbar sind,
erbracht oder erlernt werden können.
Die Schaden- und Vertragsbearbeitung wiederum wurden im Weg eines Servicevertrags
an die Stammorganisation „extern“ ausgelagert. Für andere Funktionen wie das Marketing
und den Vertrieb, wo es wenig Anknüpfungspunkte zur Muttergesellschaft gab und
spezifisches Know-how wie beispielsweise für Internetmarketing und den Direktvertrieb
notwendig war, da dieser einfach anders funktionierte, wurden eigenständige
Organisationseinheiten aufgebaut.
Während die Vergabe der Schaden- und Vertragsbearbeitung sowie der Betrieb des
Callcenters intern vergeben wurden und sich die deutschen Standorte dafür bewerben
konnten, war es gleichzeitig gestattet, die Programmierung des Internetportals mit
Ausschreibungsverzicht an externe Unternehmen zu vergeben, die schon zuvor mit der
ASSEKURANZ zusammengearbeitet hatten.
Die technische Umsetzung wurde extern an zwei kleine Unternehmen vergeben, mit
denen Herr Stern bereits früher zusammengearbeitet hatte. Angesichts des Zeitplans war
klar, dass ein kompletter Greenfield-Ansatz zu lange gedauert hätte. Folglich setzte das
Team eine hybride IT-Architektur auf. Diese bestand aus einem modernen
Internetfrontend, das auf Open-Source-Basis extern entwickelt und über Schnittstellen in
das bestehende Backend, das Hostsystem zur Vertrags- und Schadenverarbeitung,
eingebunden wurde. Für die Programmierung der diversen Schnittstellen zu externen
Partnern setzte man ebenfalls auf Open-Source-Software, da dadurch ein hohes Maß an
597 Interviewpartner FA5
Fallstudie 2: Direktversicherung 211
Offenheit und Interoperabilität mit den IT-Systemen der Partner sichergestellt werden
konnte.
Da der Erfolg des ganzen Vorhabens in hohem Maß an der raschen Entwicklung und
Vernetzung des IT-Systems hing, erwiesen sich Herrn Lichtenbergs frühere Kontakte zu
externen IT-Firmen und zur eigenen Konzern-IT als wertvoll. Er brachte es zuwege, im
Haus die Genehmigung für Schnittstellen zur Nutzung der hausinternen Bestands- und
Schadensysteme zu bekommen und das Internetfrontend extern entwickeln zu lassen.
„Hätten wir alles im Haus machen lassen, hätte das einfach zu lange gedauert.
Dann hätten wir nie im September 2005 starten können.“598
Dennoch gab es im Sommer 2005 Probleme mit der EDV-Plattform. Es war klar, dass die
laut Projektantrag geforderte Funktionalität nicht bis zum geplanten Marktstart im
September fertiggestellt werden konnte. Wollte man mit der vollen Funktionalität starten,
musste der Termin nach hinten verlegt werden. Sollte der Termin September gehalten
werden, müsste auf einen Teil der Funktionen zu Beginn verzichtet werden. Da das
Geschäft mit Kfz-Versicherungen im Herbst durch die Abwerbungsrunde traditionell
stark ist, wollte sich das Team keine Verzögerung beim Markteintritt leisten und
entschied sich dafür, mit eingeschränktem Funktionsumfang fristgerecht zu starten.
Aufgrund des großen Zeitdrucks musste immer wieder mit Sonderlösungen auf Basis von
Einzelfallentscheidungen gearbeitet werden und teilweise von der im Haus üblichen
Standardvorgehensweise abgewichen werden. Die Voraussetzung und Grundlage dafür
bildeten das Mandat und die politische Rückendeckung der Sponsoren und des
Konzernvorstands, der diese Ausnahmen jeweils billigte.
Die Projektkultur wurde als zielorientiert, engagiert, unternehmerisch und rational
handelnd beschrieben. Der Tatsache folgend, dass ein neuer Markt mit einem neuen
Vertriebskanal erschlossen werden sollte, war vor allem das vertriebliche Vorgehen
jedoch vielfach noch als explorativ zu charakterisieren. Man betrat hier in vielen
Bereichen Neuland und musste erst schrittweise lernen, wie der Direktvertrieb
funktionierte.
Die Idee der Internetversicherung begeisterte auch viele Kollegen in anderen Bereichen,
die willig und bereit waren, das Projekt nach besten Kräften zu unterstützen, was
angesichts des ambitionierten Zeitplans, der Notwendigkeit, pragmatische Lösungen zu
598 Interviewpartner FA5
212 Fallstudie 2: Direktversicherung
finden, und der knappen Personalressourcen im Umsetzungsteam für das weitere
Vorankommen sehr entscheidend war.
„Wir haben schon unsere Eigenständigkeit betont. Ja, wir haben uns schon so
wie das kleine gallische Dorf gefühlt. Eher noch als Speerspitze der
Veränderung.“599
Als eigenständiges Versicherungsunternehmen nahm die ASSEKURANZ 24 im Konzern
eine Sonderstellung ein. Einerseits wurde die Entwicklung vom Stammhaus unterstützt,
andererseits aber auch etwas argwöhnisch beobachtet. Es bestand laufend die Gefahr, das
Projekt könnte im eigenen Haus torpediert und durch die vielen Kritiker behindert
werden.
„Dazu brauchten wir Temperaturfühler im Haus, um die Stimmung beurteilen
zu können.“600
Die gute Vernetzung mit der Konzernholding – Herr Emil Ende hatte aus seiner früheren
Tätigkeit noch ausgezeichnete Kontakte dorthin – war für das Team dabei von großem
Nutzen.
In der Rekordzeit von zehn Monaten nach Auftragsvergabe und schneller, als es die
Kritiker erwartet hatten, konnte das Team der ASSEKURANZ 24 schließlich im
September 2005 den offiziellen Marktstart feiern. Zwar erfolgte der Start nur mit
eingeschränkter Funktionalität, dafür aber rechtzeitig zur Abwerbungssaison 2005.
Seit dem Start im September 2005 hat es laufend Anpassungen und Erweiterungen
gegeben. Der Schwerpunkt der Veränderungen hat sich mit der Zeit von radikalen, weil
großen Schritten zu kleinen, inkrementellen Anpassungen verschoben. Als Beispiele für
radikale Veränderungen nannte Emil Ende die forcierte und verbesserte Einbindung der
Außendienstorganisation und die Einbindung großer, neuer Kooperationspartner. Ein
Beispiel für eine inkrementelle Veränderung waren die tourlichen Anpassungen, zum
Beispiel anlässlich neuer Werbekampagnen.
Heute wird das Geschäft von 13 Mitarbeitern aus der Hauptverwaltung koordiniert.
Weitere Mitarbeiter sind im Callcenter für die Vertrag- und Schadenbearbeitung tätig.
Kurzfristig ist der Ausbau auf 22 Mitarbeiter in der Zentrale geplant.
599 Interviewpartner FA2 600 Interviewpartner FA2
Fallstudie 2: Direktversicherung 213
Laut Friedrich Frei zeigt der Vergleich zur Konkurrenz, welches ungenützte Potenzial in
der Zusammenarbeit mit den hauseigenen Agenturen noch liegt. Während diese noch
immer viele Kunden an die Konkurrenz verlieren, hätten sie durch das Angebot der
ASSEKURANZ 24 die Möglichkeit, diese Kunden im Haus zu behalten. Dieses Potenzial
möchte er gerne durch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Agenturen und die
Verschränkung der beiden Vertriebswege erreichen.
Die Koordination und Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Vertriebskanälen,
insbesondere mit der Ausschließlichkeitsorganisation, waren auch eines der zentralen
Elemente der 2004 beschlossenen Mehrkanalstrategie.
Durch die Aktivierung aller Vertriebskanäle zur Erschließung des Direktmarkts im
Rahmen einer offensiven Multikanalstrategie in Deutschland erscheint für die
Geschäftsleitung ein Marktanteil von 15 % erreichbar. Dies entspricht einem
Neugeschäftsvolumen von rund einer Mio. Kfz-Haftpflichtpolicen im Jahr 2012.
Neben der Verbreiterung der Vertriebskanäle besteht weiteres Wachstumspotenzial durch
den Zusatzverkauf von Insassenunfallversicherungen bzw. komplementären
Dienstleistungen wie dem Autoschutzbrief, Auslandsschutzbrief oder der Vermittlung von
Kunden zu Partnerwerkstätten, die sich auf die Behebung von Glasschäden spezialisiert
haben. Die Anbindung von komplementären Deckungen zur Grunddeckung der
Krafthaftpflicht ist in einigen Bereichen bereits sehr gut gelungen.
In einer zweiten Phase ist an die Erweiterung der Produktlandschaft um eine Verkehrs-
Rechtsschutzversicherung und ein Bündelprodukt aus Kfz-Versicherung und -
Finanzierung gedacht, denn bereits 60 % aller Gebrauchtwagenkäufe werden
fremdfinanziert. Die Provision pro Finanzierungsvertrag liegt zwischen 100 und 150
Euro. Weitere Ideen gehen in Richtung einer Krafthaftpflichtversicherung, die über
Selbstbedienungsgeräte abgeschlossen werden kann, und eines Zulassungsservice
gemeinsam mit einem Assistancepartner.
14.6 Erfolgsbeurteilung
Herrn Friedrich Frei war klar, dass die ASSEKURANZ 24 von Anfang an im Haus unter
starker Beobachtung stehen würde. Nach wie vor gab es einige interne Kritiker, die das
Experiment Direktvertrieb lieber heute als morgen wieder eingestellt hätten. Sollte die
ASSEKURANZ 24 in den ersten Monaten nur sehr wenig Geschäft machen, so wäre dies
Wasser auf den Mühlen der Kritiker gewesen, die den Bedarf und die Sinnhaftigkeit des
Vertriebskanals Internet infrage stellten. Sollte das Geschäft vom Start weg sehr gut
214 Fallstudie 2: Direktversicherung
florieren, bestand die Gefahr, dass sich andere Vertriebswege über die große Konkurrenz
im eigenen Haus beschweren könnten.
Im Rückblick betrachtet würde Herr Emil Ende ein größeres Projektteam
zusammenstellen. Finanzielle Ressourcen standen in ausreichendem Maß zur Verfügung.
Auch die Mittel zum weiteren Ausbau wurden gewährt. Aufgrund des raschen Wachstums
waren zusätzliche Budgetmittel erforderlich bzw. musste der ursprüngliche
Budgetentwurf überarbeitet werden.
Obwohl sich im Verlauf der ersten Monate immer wieder Situationen ergaben, in denen
das Projekt in großer Gefahr war, zu scheitern, hat es dennoch überlebt und sich
mittlerweile im Konzern als eigenständiger Vertriebsweg etabliert. Auch im Unternehmen
wurde die Abteilung mittlerweile zu einem Fachbereich aufgewertet.
Trotz der schwierigen hausinternen Rahmenbedingungen und der restriktiven Bewerbung
des Onlineangebots hat sich die ASSEKURANZ 24 auf dem deutschen Direktmarkt
erfolgreich positionieren können. Binnen eines Jahres wurden über 10.000 Kunden
gewonnen.
Die oftmals befürchtete Kannibalisierung des Stammvertriebs ist nicht eingetreten. Der
Anteil der Kunden, die bereits zuvor bei der ASSEKURANZ versichert waren, ist relativ
zum Marktanteil gemessen gering. Der überwiegende Teil der neu gewonnenen
Versicherungsnehmer sind Neukunden bzw. Fremdkunden, die von der Konkurrenz
abgeworben bzw. zurückgewonnen werden konnten. Wie eine Analyse des
Wechselverhaltens zeigte, konnte rund ein Viertel der Neukunden von anderen
Direktanbietern abgeworben werden.
„Der Kunde bleibt also bei uns oder kommt zurück. Gleichzeitig generieren wir
auch 9eugeschäft bei Kunden, die bisher nicht bei der ASSEKURA9Z waren.
Das zeigt: Wenn der Preis im Vergleich mit anderen Direktangeboten passt,
bevorzugt der Kunde den Qualitätsversicherer unter den
Direktversicherern.“601
Mit der Direktversicherung sollten gezielt die internetaffinen Kundensegmente, die mit
den klassischen Vertriebswegen und Produktangeboten schwer erreichbar sind, angeboten
werden. Die Versicherung sollte direkt online abgeschlossen werden, war aber auch beim
Vertreter zu haben. Der Kunde sollte seine Verträge in Eigenregie online verwalten,
601 Unternehmensunterlagen
Fallstudie 2: Direktversicherung 215
musste im Schadenfall aber nicht auf Qualität verzichten. Die Kostenvorteile durch den
Direktvertrieb sollten an den Kunden weitergegeben werden.
„Damit positionieren wir uns auch im Direktversicherungsbereich als
Premiumanbieter.“602
Direktversicherer 2005 2006
1 Unternehmen A 800.380 798.910
2 Unternehmen B 963.180 963.020
3 Unternehmen C 391.030 492.990
4 Unternehmen D 247.680 280.330
5 Unternehmen E 232.260 248.630
Direktversicherung gesamt 3.139.500 3.385.270
Markt (GDV-Mitglieder) 54.400.000 54.900.000
Marktanteil 5,8 % 6,2 %
Abbildung 47: Direktversicherer nach Anzahl der versicherten Kraftfahrzeuge603
Seit dem Start im September 2005 wurden bis Mai 2007 die avisierten Ziele erreicht.
Marktführer ist aktuell Unternehmen A, einer der Pioniere des Direktgeschäfts. Sie bietet
neben der Kfz-Versicherung auch die Sparten Unfall-, Haftpflicht- und
Hausratsversicherungen an. Auf das Kfz-Geschäft entfielen davon rund 800.000
Verträge.604
Auch die Entwicklung des Nettoergebnisses und der wichtigsten Kennzahlen ist
durchwegs erfreulich. Ziel ist es, auch weiterhin über dem Durchschnitt der
Direktanbieter zu wachsen, um bis ins Jahr 2012 einen Markanteil von 15 % im
Direktsegment zu erobern.
602 Interviewpartner FA1 603 vgl. wissenschaftlichen Datenbank „wiso-net“, Oktober 2007, Quelle: Unternehmensangaben, Autor-
Recherchen. 604 vgl. Abbildung 47
216 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Kategorie Indikator
Überleben
(objektiv)
(1) Überleben im
Untersuchungszeitraum
Ja
Markterfolg
(subjektiv)
(2) Akzeptanz und
Kundennutzen
Gut angenommen (Ø = 3)
„Der Kunde bleibt also bei
uns oder kommt zurück.“
(FA1)
(3) Wachstum Hohe Wachstumsraten (Ø = 4)
„Die Wachstumsraten liegen
bei über 20 % p. a.“ (FA3)
Geschäftserfolg
(subjektiv)
(4) Ertrag Anlaufkosten belasten (Ø = 3)
„Aufgrund des Wachstums
musste der ursprüngliche
Budgetentwurf überarbeitet
werden.“ (FA5)
Abbildung 48: Erfolgsbeurteilung der Direktversicherung
15 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Die Zusammenarbeit mit Automobilherstellern hat bei der ASSEKURANZ eine lange
Tradition. Lange bevor andere Versicherungen die Möglichkeit des Verkaufs von
Finanzdienstleistungen im Autohaus erkannten und als das Leasing von Fahrzeugen noch
von untergeordneter Bedeutung war, nutzte die ASSEKURANZ ihre guten Kontakte zu
den Automobilkonzernen, um abseits der klassischen Versicherungssparten wie der
Feuer-, Haftpflicht- und Transportversicherung auf dem rasch wachsenden Markt für Kfz-
Versicherungen zu expandieren. In den Nachkriegsjahren gründete man Joint Ventures
mit großen Automobilherstellern, um den Angestellten der Konzerne günstige
Versicherungen zu bieten und den Absatz von Kfz-Versicherungen über die
Vertragshändler der Automobilhersteller aufzubauen. Seither hat sich dieses
Geschäftsfeld kontinuierlich entwickelt.
Infolge der internationalen Expansion der ASSEKURANZ kamen in den 1980er- und
1990er-Jahren im Ausland Kooperationen mit Automobilherstellern bzw. -importeuren
hinzu und das erfolgreiche Modell der Kooperation mit der Automobilwirtschaft wurde
nach deutschem Vorbild auf weitere Länder übertragen. Im Jahr 2003 unterhielt die
ASSEKURANZ in Deutschland aber auch international Kooperationen mit einigen
namhaften Automobilkonzernen.
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 217
Trotz dieser Erfolge stand der Vertrieb über Autohändler stets im Schatten der eigenen
Außendienstorganisation und wurde im Konzern als Sondervertriebsweg angesehen.
„Die Kooperation mit Automobilherstellern war ehrlich gesagt innerhalb der
ASSEKURA9Z immer ein bisschen schräg aufgehängt […] ganz schön
erfolgreich [...] aber auch so ein Heikelthema.“
Unter anderem lag es an der geteilten Zuständigkeit. Die Verantwortung für die
Kooperation mit Automobilherstellern und -importeuren war dezentral angesiedelt.
Geleitet wurde dieser Geschäftsbereich von Herrn Gustaf Glück, der seit vielen Jahren die
treibende Kraft hinter der Kooperation mit den Automobilherstellern war. Auch der
Vertrieb und die operative Abwicklung des Geschäfts erfolgten dezentral.
Für die einheitliche Gestaltung und Tarifierung der Produkte war die Zentrale zuständig,
um für einen fairen Wettbewerbung und Waffengleichheit zwischen allen
Vertriebsformaten zu sorgen. Auch die Ergebnisverantwortung für das Geschäft mit den
Automobilherstellern lag in der Zentrale, doch dort hatte man sich des Themas
Kooperation mit der Automobilwirtschaft lange Zeit nicht spezifisch angenommen.
15.1 Projektorganisation
Das änderte sich 2003 im Zuge der strategischen Initiative „Kraft-Strategie 2010“. Herr
Hans Huber, der für das private Kraftversicherungsgeschäft verantwortlich zeichnete, gab
den Auftrag, sich grundlegende Gedanken über die Strategie und das Geschäftsmodell der
ASSEKURANZ auf dem deutschen Kfz-Versicherungsmarkt zu machen, indem er fragte:
„Was machen wir hier eigentlich in der Kraftversicherung? Machen wir das überhaupt
richtig?“605 Was folgte, war ein mehrmonatiges Strategieprojekt. „Im Rahmen dieses
Projektes ist man dann in die einzelnen Kanäle gegangen.“606
Da die Zusammenarbeit mit der Automobilwirtschaft einerseits als renovierungsbedürftig,
aber andererseits auch als sehr interessant und entwicklungsfähig galt, wurde die
Thematik der Kooperation mit der Automobilwirtschaft als strategisches Handlungsfeld in
den Projektauftrag „Kraft-Strategie 2010“ aufgenommen. Gleichzeitig standen
Vertragsverhandlungen mit einem großen Automobilhersteller an und die Partner
verlangten mehr Initiative, mehr Aktivität und Flexibilität, zum Beispiel bei der
Produktentwicklung.
605 Interviewpartner SK3 606 Interviewpartner FC1
218 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
„Irgendwo war es ein stagnierendes Geschäft, weil die Anzahl der
Automobilhersteller gleich geblieben ist und sich Anzeichen mehrten, dass die
Hersteller unzufrieden sind und auch über eigene Wege nachdenken.
Andererseits war es perspektivisch ein Wachstumsmarkt.“607
Um die Projektarbeit zu strukturieren, wurden einzelne Arbeitsgruppen eingerichtet, die
jede für sich ein Themenfeld aufarbeiten wollte. Schnell war klar, dass das Segment
„Versicherung über Autohäuser“ stark wachsen wird – egal ob man dabei war oder nicht.
Da die Autohändler den Großteil der Neuwagen und neuer Gebrauchtwagen verkauften,
waren sie eine absolut notwendige Ergänzung zu den anderen Vertriebswegen, um an
dieses Kundensegment heranzukommen. Ein Teilprojekt sollte sich daher intensiv den
Fragen im Geschäftsfeld Automobilwirtschaft widmen.
Anfänglich gestaltete sich die Projektarbeit aufgrund der unterschiedlichen
Interessenlagen zwischen der Zentrale und den dezentralen Einheiten aber recht schwierig
und konnte erst Ende des Jahres 2004 voll beginnen.
Ziel war es, die zukünftige Strategie für das Geschäftsfeld Automobilwirtschaft zu finden
und dazu ein passendes Geschäftsmodell zu entwerfen. Wie sollte man vorgehen, um von
der durch die langjährige Kooperation mit Autoherstellern ohnehin guten
Ausgangsposition ausgehend am Wachstum dieses Segmentes voll teilzunehmen? War
die Zusammenarbeit mit den Vertriebsdiensten noch der richtige Ansatz oder würde ein
anderes Geschäftsmodell in Zukunft besser geeignet sein?
Für die Rolle des Projektleiters wurde Herr Andreas Adler gewonnen, der aufgrund seiner
bisherigen Tätigkeit Erfahrung in der Durchführung von Strategieprojekten mitbrachte.
Seine erste Aufgabe bestand darin, die Kernfragen des Projekts zu identifizieren, um die
Arbeitsgruppe richtig aufzusetzen. Die folgenden drei Motive waren für die
Zusammenstellung des Projektteams ausschlaggebend:
� Es sollten alle Interessen vertreten sein; d. h., unterschiedliche Persönlichkeiten
sollten verschiedene Erfahrungen und Perspektiven einbringen.
� Die Projektmitarbeiter mussten die benötigten Fähigkeiten und das richtige
Handwerkszeug mitbringen.
� Besonderer Wert wurde auf Kreativität und Offenheit gelegt.
607 Interviewpartner ST2
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 219
Um für die gewünschte Vielfalt zu sorgen, holte er Experten der verschiedenen Standorte
und aus unterschiedlichen Abteilungen in die Projektgruppe. Vonseiten des
Kompetenzzentrums Automotive wurden Herr Norbert Norton und Herr Volker Voss in
die Projektgruppe entsendet. Beide waren für die Betreuung der Kooperationspartner in
der Automobilwirtschaft zuständig und wussten, wie diese funktionierten. Herr Tobias
Traun sollte sein Wissen und seine Erfahrungen in der Produktgestaltung einbringen.
Daneben wurden weitere Mitarbeiter mit besonderen Fähigkeiten wie zum Beispiel
Aktuare eingebunden, die Tarife kalkulieren und den Businessplan erstellen konnten.
Zusätzlich wurde ein Berater engagiert, mit dem Herr Andreas Adler bereits in früheren
Projekten gut zusammengearbeitet hatte, der eine kritische externe Perspektive einnehmen
und dem Projekt wo nötig Struktur geben sollte. Bald hatte der Projektleiter ein
hervorragendes Entwicklungsteam von gerade einmal zwölf Personen zusammen, das
überschaubar war und daher vernünftig arbeiten konnte.608
Zunächst versuchte das Projektteam, die wichtigsten Fragestellungen auszusortieren und
aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten bzw. bestehendes Wissen kritisch zu
hinterfragen. In erster Linie wollte das Teilprojekt „Automotive“ folgenden Kernfragen
nachgehen:
� Was sind die Anforderungen der Kunden?
� Was erwarten sich die Kooperationspartner?
� Was ist an der Kooperation mit der Automobilwirtschaft zu ändern?
Die bisherige Kooperation auf den Prüfstand zu stellen, war neu. Obwohl sich der
Automobilmarkt in den letzten Jahrzehnten markant von einem Verkäufer- zu einem
Käufermarkt gewandelt hatte, war das Grundkonzept der Kooperationen mit den
Automobilherstellern, d. h. das Geschäftsmodell „Kooperation mit der
Automobilwirtschaft“, seit vielen Jahren unverändert geblieben. Die im Lauf der Jahre
neu geschlossenen Kooperationen folgten stets demselben Muster.
Nach Zustandekommen der Kooperationsvereinbarung mit einem Automobilhersteller
oder Importeur gründet dieser eine Tochtergesellschaft, mit dem primären
Geschäftszweck der Vermittlung von Kfz-Versicherungen. Diese Konstruktion weist
Ähnlichkeiten mit Captivelösungen auf, wie sie in der Industrieversicherung üblich sind.
Eine Captive ist eine Gesellschaft, die ausschließlich für einen bestimmten Zweck
gegründet wird. Beispielsweise kann eine Captive zur Versicherung bzw.
Rückversicherung bestimmter Risiken eines Industrieunternehmens dienen. Im Fall der
608 Interviewpartner FC3
220 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Kooperation mit der Automobilwirtschaft war der wesentliche Geschäftsgegenstand der
eigens gegründeten Tochtergesellschaften die Versicherung der Neuwagenkäufer eines
bestimmten Automobilherstellers. Dabei fungiert die Captivegesellschaft selbst nicht als
Risikoträger, sondern vermittelt die Risiken an eine Versicherung oder Rückversicherung,
indem sie mit einem Versicherungsunternehmen einen Agenturvertrag abschließt und für
die Vermittlung von Versicherungsprodukten im Gegenzug dafür eine
Vermittlungsprovision erhält.
Versicherungs-unternehmen
Automobil-Hersteller
Captive-Gesellschaft(Intermediär)
AgenturvertragProvision
Autohändler
Sub-Agentur-VertragProvision
KundeVermittlung vonVersicherungen
Versicherungs-vertrag
Point of Sale
Abbildung 49: Geschäftsmodell der Kooperation mit Automobilherstellern609
Die Gestaltung der Versicherungsprodukte, -tarife und -bedingungswerke obliegt allein
der Versicherung. Der Kooperationspartner wiederum ist für die Koordination der
Vertriebsorganisation und die Vermittlung der Produkte an Endkunden zuständig. Dazu
greift die Captivegesellschaft auf das Vertriebsnetz des Automobilherstellers zurück,
wobei die Vertragshändler vor Ort als Subvermittler auftreten.
Als Tochterunternehmen des Automobilherstellers oder Importeurs fungiert die Captive
als Intermediär zwischen der Versicherung und den Vertragshändlern vor Ort, die
609 vgl. Eigene Darstellung in Anlehnung an Präsentationsunterlagen der ASSEKURANZ
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 221
ihrerseits einen Subagenturvertrag abschließen und für die Vermittlung von
Versicherungsprodukten Anspruch auf eine Vermittlungsprovision erwerben. Letztendlich
sind es die Autohändler vor Ort, die den Endkunden die Produkte des bevorzugten
Versicherungspartners anbieten. Allerdings treten sie nur als Vermittler auf, denn der
eigentliche Versicherungsvertrag wird zwischen dem Kunden und der Versicherung
geschlossen.
15.2 Strategiefindung und Geschäftsidee
Der Auftrag an das Projektteam lautete, zu überprüfen, ob dieses Geschäftsmodell fit für
die Zukunft war, und gegebenenfalls ein besseres Geschäftsmodell als das bisherige zu
finden. Man begann damit, die Bedürfnisse und Anforderungen der einzelnen Akteure auf
dem Automobilmarkt zu verstehen. Dazu führte das Team eine Kundenbefragung und
eine Stakeholderanalyse durch. Weiters versuchte man, das Umfeld und die Segmente des
deutschen Automobilmarkts zu analysieren. Auf Ebene des Gesamtmarkts für Kfz-
Versicherungen hatte man bereits eine ganze Menge an Zahlen gesammelt. Doch es stellte
sich die Frage, welcher Markt für dieses Projekt interessant war.
„Handel? Wovon reden wir denn eigentlich. Es gibt da ja x verschiedene
Formen, über die Autos gehandelt werden […] welche Trends ergeben sich
denn im Handel […] zum Beispiel das ganze Thema Megadealer […] Man
musste verstehen, wie laufen die Trends des Automobilverkaufs, um zu
verstehen, was bedeutet das für mein Geschäft.“610
Wie sich bald zeigte, genügte es nicht, den Markt für Kfz-Versicherungen zu betrachten,
sondern man musste den gesamten Automobilsektor in Deutschland analysieren. Hier
werden pro Jahr etwa drei Mio. Neuwagen verkauft und sechs Mio. Gebrauchtwagen
wechseln den Besitzer. Rund sechs Mio. Transaktionen finden über den Autohandel statt.
Doch um diesen Markt zu verstehen, musste man auch den Herstellermarkt und die
Strategie der einzelnen Automobilhersteller kennen. Weiters galt es, eine Reihe an Fragen
zu beantworten: Wie sieht die Marktstruktur aus? Wer sind die einzelnen Akteure?
Welche Durchführungsformen des Automobilverkaufs gibt es? Was erwarten die
Kunden? Welche Trends gibt es beim Automobilverkauf? Welche Trends zeichnen sich
bei der Autofinanzierung und im Leasing ab? Das Team musste lernen, wie die Zukunft
der Automobilhersteller und des Absatzes von Pkws aussieht, um die zukünftige
Geschäftsstrategie zu finden.
610 Interviewpartner FC3
222 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
So ergab die Analyse des Händlermarkts in Deutschland, dass das traditionelle
Geschäftsmodell der Autohäuser aufgrund aktueller Marktentwicklungen selbst in Gefahr
geraten war, denn der deutsche Autohandel war mit einer Umsatzrendite von lediglich 0,5
% kaum profitabel. Der Grund dafür liegt in den dichten Niederlassungsnetzen und der
niedrigen Produktivität im Autohandel. Mit im Schnitt 160 verkauften Neuwagen sind die
deutschen Autohändler zu klein. Folglich müssen sich viele Vertragshändler in größere
Dimensionen entwickeln bzw. werden zu reinen Servicestützpunkten umfunktioniert.
85%
15%
50-60%
~ 20%
> 20%
< 5%< 5%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
2000 2010
Internet
Supermarkt
Megadealer (Multi / Single Brand)
OEM direkt
traditionellerEinmarkenhandel
57%
19%
14%
10%
~50%
20%
10%
15%
5%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
2000 2010
Zulieferer
Fast-Fit-Ketten
freie Werkstätten
Do it yourself
traditionelleVertragswerkstätten,Megadealer
Abbildung 50: Marktanteilsprognose für den
�euwagenhandel in Deutschland611
Abbildung 51: Marktanteilsprognose für
Reparatur und Service in Deutschland612
Während die Zahl der Händlerstützpunkte laufend sinkt, wandelt sich gleichzeitig die Art
der Händler. Die Ursache dieses Wandels sind neue rechtliche Rahmenbedingungen wie
die Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) der Europäischen Union (EU), die
weitreichende Neuerungen für das Geschäft mit Neuwagen wie auch für die Bereiche
Reparatur und Service mit sich brachte.
Die GVO begünstigt die Entfaltung neuer Vertriebsformate wie Megadealer und
Autohändlerketten, die im Gegensatz zu den traditionellen, an einen Konzern gebundenen
Vertragshändlern Marken von mehreren Automobilherstellern anbieten. Es sind diese
herstellerunabhängigen Handelsunternehmen, mit denen die Automobilhersteller in
Zukunft verstärkt rechnen müssen. Daneben sind gänzlich neue Vertriebskanäle
entstanden. Vereinzelt werden Autos bereits als Aktionsware in Supermärkten angeboten.
Das Internet wird als Vertriebskanal, allerdings primär für Gebrauchtfahrzeuge, relevant
und dient als Informationsmedium beim Neuwagenkauf.
611 vgl. Mercer (2002) 612 vgl. Ibid.
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 223
Mit der teilweisen Abkehr vom Einmarkenhändler und der Konsolidierung der
Händlernetze verändert sich auch die Werkstättenlandschaft. Service und Verkauf werden
häufiger getrennt angeboten. Im Servicegeschäft (Werkstatt, Teile, Zubehör) erwächst den
traditionellen Vertragshändlern durch Werkstattketten und Kfz-Zulieferer neue
Konkurrenz. Unternehmen wie ATU oder Pit-Stop bieten günstige Serviceleistungen für
preissensible Kundensegmente an und auch die neuen Multimarkenhändler versuchen,
Reparatur- und Servicegeschäfte an sich zu ziehen. All das geht zulasten der traditionellen
Einmarkenhändler.
Dort, wo das Händlernetz ausgedünnt wird, geht auch der Neuwagenabsatz zurück. Daher
haben die Automobilhersteller großes Interesse daran, das Überleben ihrer Autohändler zu
sichern, denn der Verlust von gebundenen Vertragshändlern heißt, Kundennähe und
Marktmacht zu verlieren. Wollen die Automobilhersteller den Fortbestand der
flächendeckenden Vertriebsorganisation wahren, müssen sie die Effizienz der
Autohändler erhöhen und neue Ertragsquellen aufzeigen, denn profitabel wird es im
Automobilsektor dann, wenn die nachgelagerten Dienstleistungen rund um das Auto und
den Kunden beginnen.
Um die Rentabilität zu verbessern, sind die Automobilhersteller und ihre Händler
gefordert, den Kunden über den gesamten Produktlebenszyklus zu begleiten, denn das
gesamte Umsatzpotenzial über den Lebenszyklus eines Fahrzeugs beträgt in etwa das
Dreifache des Neuwagenpreises. Die Spanne der ertragreichen Geschäfte reicht vom
Leasing über Versicherungen, Zubehör und Service bis hin zum Flottenmanagement.
Diese Leistungen erwirtschaften zusammen – mit Umsatzrenditen zwischen 4 und 8 % –
mehr als die Hälfte der im Automobilsektor insgesamt erzielbaren Gewinne.
Die Zukunft des Automobilvertriebs liegt daher in der nachhaltigen Stärkung des
Absatzes, besonders des Verkaufs nachgelagerter Dienstleistungen. Gleichzeitig sind
umfangreiche Investitionen in Personal und IT-Infrastruktur notwendig, um effiziente,
durchgängige Kundenprozesse zu ermöglichen. In beiden Bereichen muss der
Automobilhersteller weitreichende Vorleistungen für den Automobilhandel erbringen,
denn die Kosten für Personalentwicklung und IT stellen für kleine Werkstätten
zunehmend unüberbrückbare technologische und finanzielle Barrieren dar.
Durch diese Marktanalyse erkannte das Projektteam, dass sich die Anforderungen der
Kooperationspartner über die Jahre verändert haben. Um integrierte Leistungspakete rund
um das Thema Mobilität anzubieten, erwarteten sich die Automobilhersteller vom
Versicherungspartner mehr Flexibilität und Mitsprache bei der Produktgestaltung. Um die
Komplexität dieser neuen integrierten Leistungskonzepte zu bewältigen, forderten die
224 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Kooperationspartner von ihren Versicherungspartnern einfache Produkte und schlanke,
vernetzte Prozesse.
Die Stakeholderanalyse zeigte, welchen Nutzen die einzelnen Akteure aus der
Kooperation ziehen konnten. Im Vorfeld der Vertragsverhandlungen mit einem großen
Partnerunternehmen waren die Ergebnisse von besonderem Wert. Wie sich zeigte, war die
Automobilwirtschaft in erster Linie am Absatz ihrer Kernleistung interessiert. Egal ob
Automobilhersteller, Importeure oder Autohändler – alle wollen den Fahrzeugabsatz
steigern. Auch die Erweiterung des klassischen Leistungsangebots um komplementäre
Finanzprodukte wie Finanzierung, Leasing und Versicherung zielt in erster Linie darauf
ab, den Fahrzeugabsatz zu fördern.
Beispiele für Aktionen zur Förderung des Fahrzeugabsatzes sind das 1%-Leasing oder die
1-Jahr-Gratiskasko, d. h. ein Paket aus Leasingfinanzierung und Versicherung, wobei dem
Kunden beim Kauf eines Neuwagens die Kaskoversicherung im ersten Jahr gratis
angeboten wird. Diese Strategie hatten die Automobilhersteller in den letzten Jahren
durch die Gründung eigener Leasing- und Finanzierungsgesellschaften konsequent
umgesetzt. Bei den meisten Automobilherstellern bildete das Versicherungs- und
Finanzgeschäft eine organisatorische Einheit bzw. war in einer Tochtergesellschaft
zusammengefasst.
Wie die Kundenbefragung bestätigte, fanden diese Bündelprodukte rund um das Thema
Mobilität beim Endkunden keine Gegenliebe, denn der Kunde will in erster Linie ein
Auto kaufen, einsteigen und losfahren. Finanzierung und Versicherung werden als
notwendiges Übel betrachtet. Die genaue Analyse des Kaufverhaltens zeigte, dass zum
Zeitpunkt des Autokaufs im Kopf des Kunden andere Prozesse ablaufen als bei reinen
Versicherungskunden. Für die Kaufentscheidung ist nicht nur der Preis ausschlaggebend,
sondern es spielen auch Aspekte wie das Image des Herstellers, der Preis des Fahrzeugs
und das Erlebnis des Autokaufs eine Rolle. Im Paket mit Finanzierung oder Leasing
gestaltet sich der Verkauf der Versicherung einfacher. Zum Beispiel erhält der Kunde eine
1,9%-Finanzierung nur im Paket inklusive Versicherung, wodurch der ansonsten häufig
stattfindende Preisverkauf unterdrückt wird.
„Kunden haben erzählt, dass sie gerade das totale Schnäppchen gemacht haben
[...] Es war dieselbe Prämie, für die Kunden aber eine andere Empfindung.“613
Schnell wurde aber auch klar, dass der Autoverkäufer kein Versicherungsexperte ist und
613 Interviewpartner FC3
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 225
der Verkauf in Autohäusern anders als über den Vertreter funktioniert. Ins Autohaus
kommt der Kunde, weil er ein Auto will. Und dann redet er auch noch gerne über die
Finanzierung, damit er sich das Auto auch leisten kann. Die Konfiguration des Autos
dauert dann schon mal zwei Stunden und am Schluss sollte der Verkäufer dann noch eine
Autoversicherung verkaufen. Aber auch wenn sich der Verkaufsprozess schwierig anhört,
liegt der Vorteil ganz klar beim Verkäufer, denn der Kunde will mit seinem Auto schnell
losfahren. Da kann man die Versicherung leichter noch dazuverkaufen.
Daneben fand das Projektteam in den Autohäusern weitere Unterschiede zur
herkömmlichen Denkweise im Versicherungsvertrieb. Konträr zu den klassischen
Außendienstorganisationen der Versicherungen, die von der Vermittlungsprovision leben,
stellen die Einnahmen aus der Vermittlung der Versicherungsprodukte für die
Automobilwirtschaft lediglich einen Zusatzverdienst dar. Autohändler konnten damit die
geringen Margen im Fahrzeugverkauf aufbessern, denn die Captivegesellschaften geben
einen Gutteil der erhaltenen Provisionen an die Autohändler im Rahmen der
Subagenturvereinbarungen weiter. Aus der Differenz müssen alle laufenden
Aufwendungen der Gesellschaft und die Kosten der Vertriebsorganisation bzw.
Verkaufsunterstützung für die Autohändler vor Ort beglichen werden.
Die Marktanalyse brachte wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Zukunft des
Versicherungsvertriebs im Autohaus. Um den Verkauf ihrer Produkte über die
Autohäuser zu intensivieren, musste die ASSEKURANZ den Herstellern klare
Nutzenargumente liefern, zum Beispiel indem sie half, die Anzahl der Vertragshändler zu
stabilisieren. Dazu war es notwendig, neue Ertragsquellen aufzuzeigen, denn gerade das
flächendeckende Vertriebsnetz und der einzigartige Zugang zum Endkunden machen die
Automobilhersteller zu attraktiven Kooperationspartnern. Im Gegensatz zur eigenen
Außendienstorganisation verfügt der Autohandel über einen ganz entscheidenden
Wettbewerbsvorteil: den direkten Kundenkontakt am Point of Sale (POS) des zu
versichernden Fahrzeugs.
Wie die Untersuchung der Wertschöpfungskette in der Automobilwirtschaft ergab, war
gerade das Servicegeschäft (Werkstatt, Teile, Zubehör) für die gebundenen
Vertragshändler aufgrund der höheren Margen in diesem Bereich der Wertschöpfung ein
zunehmend bedeutsamer Ertragsbaustein, doch das Geschäft war aufgrund neuer Anbieter
in Gefahr. Hier konnte die Versicherung helfen, indem sie Versicherungskunden zur
Reparatur unfallbedingter Schäden am Fahrzeug gezielt in die Werkstätten der
Vertragshändler steuerte und so eine wichtige Einnahmequelle der Vertragshändler
absicherte. Der sich daraus ergebende Mehrbedarf an Originalersatzteilen stellt wiederum
ein ertragreiches Geschäftsfeld für die Automobilhersteller und -importeure dar.
226 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Aufbauend auf dieser Erkenntnis entwickelte das Projektteam die Geschäftsidee, die
Versicherung als Bindungsinstrument einzusetzen, um die Käufer von Neu- und
Gebrauchtwagen über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs an die
Vertragswerkstätten der Automobilhersteller zu binden.
Eine weitere Erkenntnis aus der Projektarbeit war, dass die Autohändler wenig Erfahrung
im Verkauf von Versicherungsprodukten hatten. Die Verkaufszahlen der
Kooperationspartner offenbarten große Produktivitätsunterschiede. Detailanalysen
ergaben eine starke Wechselwirkung zwischen Geschäftsaufkommen und Maßnahmen der
Vertriebsunterstützung. Ein geringes Geschäftsvolumen konnte in hohem Maß auf eine
mangelnde Betreuung und Verkaufsunterstützung zurückgeführt werden. Das Projektteam
kam daher zu dem Ergebnis, dass das Vertriebsergebnis der Kooperationspartner nur
durch eine verbesserte Unterstützung und Betreuung der lokalen Autohäuser nachhaltig
gesteigert werden konnte; d. h., es musste die Produkt- und Verkaufskompetenz von
Versicherungsprodukten der lokalen Autoverkäufer verbessert werden. Folgende
Hypothese wurde aufgestellt: „Es ist nicht wichtig, wer den Vertrieb hat, sondern wer den
Vertriebssupport hat.“614
Den Kooperationspartnern fehlte es an spezifischem Know-how, der richtigen
Incentivierung und der Erfahrung im Verkauf von Versicherungen. Ein Grund dafür liegt
in der Organisation. Oft führt die Versicherung neben Finanzierung und Leasing ein
Schattendasein, weshalb das vorhandene Potenzial nur zum Teil ausgeschöpft wird.
Teilweise erfolgt die Vertriebsunterstützung für den Versicherungsverkauf durch
Außendienstmitarbeiter, die auf Leasing und Finanzierung spezialisiert sind. Aufgrund
des umfangreichen Leistungsspektrums ist die Kompetenz dieser Mitarbeiter in
Versicherungsfragen mitunter nur schwach ausgebildet.
„Die Versicherung ist bei diesen Banktöchtern teilweise das fünfte Rad am
Wagen.“615
Diese Beobachtungen und Analysen des Projektteams bildeten die Grundlage für ein
weiteres Element der Geschäftsstrategie im Marktsegment Automobilwirtschaft: die
verstärkte Nutzung der eigenen Erfahrung und Kompetenz im Verkauf von
Versicherungsdienstleistungen. Die ASSEKURANZ wollte den Kooperationspartnern
ihre langjährige Erfahrung und Kompetenz im Verkauf von Versicherungsprodukten, der
614 Interviewpartner SK3 615 Interviewpartner FC1
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 227
Verkaufsbetreuung und -unterstützung zugänglich machen, um gemeinsam das volle
Potenzial im Absatz von Versicherungsprodukten zu heben.
15.3 Konkretisierung des Geschäftsmodells
Die Ergebnisse aus der „Kraft-Strategie 2010“ und dem Teilprojekt „Automotive“
brachten einige wichtige Weichenstellungen für die Neugestaltung der Zusammenarbeit
mit den Automobilherstellern. Das gesamte Geschäftsfeld sollte auf Wachstum und
Effizienz getrimmt werden. Für das Geschäftsmodell Kooperation mit der
Automobilwirtschaft ergab sich daraus eine Reihe bedeutsamer Konsequenzen.
Folgende vier strategische Zielsetzungen für die zukünftige Zusammenarbeit mit der
Automobilwirtschaft kristallisierten sich heraus:
� Mehr Flexibilität in der Produkt- und Tarifgestaltung
� Verbesserte Effizienz und Schnelligkeit durch die Integration des Vertrags- und
Schadenprozesses in die Prozesse im Autohaus
� Weitergabe der Kompetenz im Verkauf von Versicherungsprodukten als Hebel
für mehr Wachstum
� Kontinuierliche Überprüfung der Entwicklungen auf dem Automobilmarkt, um
schneller neue Trends zu registrieren und Geschäftschancen zu nutzen
Gleichzeitig waren die Ergebnisse des Strategieprojekts eine wichtige Orientierungshilfe
für die weitere Arbeit der Projektgruppe, da sie Antworten auf die zentralen
Fragestellungen im Geschäft mit der Automobilwirtschaft gaben.
„[…] jetzt haben wir den Markt verstanden, und zwar in allen Facetten, jetzt
haben wir die Kunden verstanden, jetzt haben wir die Captives verstanden, jetzt
wissen wir […] was wir mal bauen müssen.“616
Umgelegt auf das neue Geschäftsmodell ergaben sich daraus die folgenden konkreten
Handlungsfelder:
� Neue Produkte bzw. Produktvarianten, die flexibel aus einem standardisierten
Baukasten konfigurierbar sind
� Überarbeitete, einfachere Geschäftsprozesse vom Kunden bis zum Backoffice
� Man muss ein Tool zur Verfügung stellen, das in die Softwarelandschaft der
616 Interviewpartner FC3
228 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Autohäuser hineinpasst und auf die Bedürfnisse im Autohaus zugeschnitten ist.
� Die Vertriebsunterstützung ist zu verbessern.
� Ein kontinuierlicher Managementprozess zur tourlichen Überprüfung von
Marktumfeld, Strategie und Geschäftsmodell ist zu implementieren.
Die Entscheidung, die Einproduktstrategie aufzugeben, ermöglichte es, der Forderung der
Kooperationspartner nach flexiblen, auf den jeweiligen Bedarf abgestimmten
Leistungsangeboten nachzukommen. Anstelle des starren Einheitstarifs war es fortan
möglich, aus Produktbausteinen für jeden Kooperationspartner individuelle Produkte zu
konfigurieren.
Ein weiteres Element der neuen Strategie bildete eine Abwicklungsplattform, das
Automotive Portal. Durch diese IT-Lösung konnten die Geschäftsprozesse Vertrag- und
Schadenbearbeitung mit den Abläufen und EDV-Systemen der Vertragshändler und
Werkstätten gekoppelt werden. Einerseits führte die technische Integration der einzelnen
Systeme zu einer deutlichen Senkung der Prozesskosten in der Vertrags- und
Schadenbearbeitung. Neben mehr Effizienz in der Abwicklung brachte die automatisierte
elektronische Anbindung der Händler an die Systeme des Versicherungsunternehmens
andererseits aber auch weitere wesentliche Vorteile. Neue Tarife und Aktionen konnten
um ein Vielfaches schneller ausgerollt werden.
„Etwas überspitzt ausgedrückt sind die Angebotsunterlagen für eine
Vertriebsaktion beim letzten Händler erst angekommen, wenn die Aktion schon
wieder vorbei war. Mit dem Automotive Portal können wir einen neuen Tarif
freischalten und Minuten später steht er flächendeckend allen Partnern zur
Verfügung. Damit ist uns ein Quantensprung in puncto Schnelligkeit und
Flexibilität gelungen.“617
Um das vermutete Potenzial des Autohandels beim Verkauf von Versicherungen voll
auszuschöpfen, sollte die Kompetenz der Partner im Verkauf von Versicherungsprodukten
verbessert werden. Dazu setzte das Projektteam auf eine verbesserte Unterstützung und
Betreuung der Verkäufer im Autohaus.
Die bisherige Aufgabenteilung zwischen dem Versicherer und den Vertriebspartnern sah
jedoch vor, dass die Verantwortung für die Vertriebsunterstützung und -betreuung bei den
Tochtergesellschaften der Automobilhersteller lag. Folglich hatte die ASSEKURANZ
darauf keinen direkten Einfluss. Wenngleich sie selbst durch die eigene
617 Interviewpartner FC1
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 229
Außendienstorganisation über umfangreiche Erfahrung im Verkauf von Versicherungen
verfügte, konnte sie dieses fundierte Wissen nicht direkt an die Verkäufer in den
Autohäusern weitergeben.
Indem die ASSEKURANZ nun ihre Kompetenz und Erfahrung im Vertrieb und Verkauf
von Versicherungsprodukten in die bestehenden Partnerschaften mit der
Automobilwirtschaft einbrachte, wollte sie die Kooperation für beide Seiten erfolgreicher
gestalten und langfristig absichern. Die Kooperationspartner konnten vom Know-how und
der langjährigen Erfahrung der ASSEKURANZ profitieren. Durch effektive
Vertriebsunterstützung konnten der Vertriebserfolg und die Rentabilität des
Händlernetzwerks verbessert und das vorhandene Potenzial der Vertragshändler
größtmöglich ausgeschöpft werden. Somit konnte durch den Austausch von Erfahrungen
und Fähigkeiten für beide Kooperationspartner eine Win-win-Situation geschaffen
werden.
Daneben wollte die ASSEKURANZ ihre spezielle Kompetenz auch dazu einsetzen, den
Kreis der Kooperationspartner über die Hersteller und Importeure auf das neue
Marktsegment der herstellerunabhängigen Autohändler und kleinen Autohändler vor Ort
auszudehnen. Dazu wurde neben dem bestehenden Modell der indirekten Kooperation
über die Automobilhersteller und -importeure auch das neue Geschäftsmodell der direkten
Kooperation mit Autohäusern entwickelt.
230 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Versicherungs-unternehmen
AgenturvertragProvision
KundeVermittlung vonVersicherungen
Versicherungs-vertrag
Point of Sale
Autohändler
Schulung & Betreuung zurVerkaufsunterstützung
Abbildung 52: Geschäftsmodell der direkten Kooperation mit Autohändlern
Um das Geschäftsmodell zu entwerfen, wurde der Prozess der Wertschöpfung untersucht
und dann eine passende Wertschöpfungskette aufgezeichnet.
„Das Geschäftsmodell hängt für mich immer von einem Kunden ab, der was
haben will, bis er es bekommen hat. Vom Kunden bis zum letzten
Schräubchen.“618
Diese neue Kooperationsform folgt nicht nur dem Trend zu Mehrmarkenhändlern und
herstellerungebundenen Autohändlern, sondern eröffnet auch den Zugang zu den
Händlernetzwerken von Autoproduzenten, die nicht mit der ASSEKURANZ, sondern mit
anderen Versicherungsunternehmen kooperieren.
„Es gibt immer einzelne Händler, die mit dem Angebot und der Betreuung
durch die zwischengeschaltete Captive nicht zufrieden sind. Im Rahmen der
direkten Kooperation bieten wir diesen Händlern nicht nur unsere
Versicherungsprodukte, sondern auch unsere Erfahrung im Verkauf von
Versicherungsprodukten und eine erstklassige Betreuung an.“619
618 Interviewpartner FC3 619 Interviewpartner FC1
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 231
Da in diesem Geschäftsmodell kein Kooperationspartner zwischengeschaltet ist, der die
Betreuung und Unterstützung der Händler übernimmt, erbringt die ASSEKURANZ diese
Tätigkeiten selbst. Im Gegensatz zum bisherigen Geschäftsmodell besteht hier eine
direkte Vertragsbeziehung zwischen der ASSEKURANZ als Versicherungsanbieter und
den Autohändlern vor Ort. Aufgrund der hier für die Betreuung und
Vertriebsunterstützung zusätzlich anfallenden Kosten ist die Provision im neuen
Geschäftsmodell, dem direkt betreuten Modell, geringer als im indirekten Modell über die
Tochtergesellschaften der Automobilhersteller.
Um die Betreuung und Unterstützung der Händler vor Ort sicherzustellen, wurde die
Abteilung von Herrn Volker Voss um Accountmanager erweitert, die neben den
Herstellern und Importeuren nun auch die lokalen Autohändler direkt betreuen sollten.
Für die Qualifizierung und Unterstützung der Händler wollte man ein
Schwesterunternehmen beauftragen, das über eine flächendeckende Organisation zur
Partnerbetreuung verfügte und langjährigen Kontakt zu lokalen Autohändlern pflegte.
15.4 Entscheidung
Im Juni 2005 legte das Projektteam dem Vorstand die Entscheidungsvorlage vor, die die
folgenden Empfehlungen beinhaltete:
� Neugestaltung der Kooperation mit den Automobilherstellern und -importeuren
� Umsetzung des neuen Geschäftsmodells, das auf die direkte Betreuung lokaler
Autohändler zugeschnitten war
Obwohl einige Grundsatzentscheidungen wie die Aufgabe der Einproduktstrategie bereits
im Rahmen des Vorprojekts „Kraft-Strategie 2010“ Ende 2004 gefallen waren, gab es
erneut heftige Diskussionen, aufgrund derer sich der Prozess weiter hinzog, denn die
anstehenden Neuerungen wurden von der Außendienstorganisation als Bedrohung
empfunden. Aktionen wie die Gratiskasko sowie oftmalige Missverständnisse und Fehler
in der Kommunikation hatten den Konflikt immer wieder angeheizt. Das Team versuchte
daher, sein Vorhaben begreiflich zu machen: „Warum tun wir das […] wir tun das nicht,
um irgendjemandem wehzutun, sondern weil der Markt sich verändert hat und weil sich
das Verhalten der Kunden verändert hat.“620
620 Interviewpartner FC3
232 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Als Königsargument wurde angeführt:
„[…] wenn wir nichts tun, weil uns diese Kuh zu heilig ist, dann macht es halt
die Pfefferminzia, aber das macht es auch nicht besser. Diese Erkenntnis
entwickelte sich relativ schnell aus den ganzen Untersuchungen heraus.“621
Da sich der Wandel in kleinen Schritten vollzieht, ist er für den einzelnen Vertreter im
Tagesgeschäft nicht ersichtlich. Dazu ist es notwendig, längere Zeiträume zu betrachten.
Noch vor zehn Jahren war für 98 % der Kunden der Vertreter in Versicherungsfragen die
erste Anlaufstelle. Heute ist die Zahl der Möglichkeiten für den Kunden viel größer. Eine
davon ist das Autohaus. Perspektivisch werden die Vertreter an den Neuwagen- und auch
an den Gebrauchtwagenmarkt nicht mehr herankommen. Wenn die Versicherung im
Paket mit dem Auto verkauft wird, sehen sie die Kunden nie wieder im Büro.
„Das heißt, lieber Vertreter, dein Problem, dass du diese Klientel gar nie mehr
sehen wirst, kannst du nur lösen, indem du ein Autohaus gründest, Punkt. Das
will die Automobilwirtschaft und das will der Kunde, Punkt.“622
Im Juni 2005 wurde die Strategie im Vorstand schließlich beschlossen und die Umsetzung
konnte beginnen. Dieser Entscheidung waren lange Diskussionen vorausgegangen, bis
man sich darauf verständigte, statt Waffengleichheit in Zukunft von Chancengleichheit zu
sprechen. Das eigentliche Feindbild zu diesem Zeitpunkt war aber die Direktversicherung,
die wenige Monate später starten sollte.
15.5 Realisierung
Mit dem Übergang zur Umsetzungsphase wechselte auch die Projektleitung. Das
bisherige Projektteam, das unter der Leitung von Herrn Andreas Adler gestanden hatte,
löste sich auf und ein neues Projektteam sollte folgende Ziele in die Tat umsetzen:
� Die technische Umsetzung und Hebung der vermuteten Effizienzpotenziale im
bestehenden Geschäftsmodell in Kooperation mit Automobilherstellern
� Die Schaffung einer Vertriebs- und Betreuungsmannschaft für das neue direkt
betreute Geschäftsmodell
� Die Reorganisation des Geschäftsbereichs und die Schaffung der
innerbetrieblichen Strukturen und Prozesse für die operative Steuerung
621 Interviewpartner FC3 622 Interviewpartner FC3
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 233
Zuerst mussten die notwendigen Strukturen geschaffen und parallel dazu musste mit der
Umsetzung der IT-Plattform und der Angebotssoftware begonnen werden. Anfang 2006
wurde die Projektstruktur in eine Linienstruktur übergeführt und die notwendigen
organisatorischen Strukturen wurden geschaffen.
Die für den operativen Betrieb und die zentrale Geschäftsabwicklung zuständigen
Abteilungen blieben dezentral. Die Abteilung D wurde aufgestockt, da sie neben dem
Keyaccountmanagement nun auch für die Betreuung bzw. aktive Vertriebsunterstützung
der Kooperationspartner zuständig war. Gleichzeitig war sie für die Umsetzung der neuen
strategischen Stoßrichtung, d. h. den Ausbau des direkt betreuten Händlerkanals,
verantwortlich.
Organigramm ab 2006
Abteilung A
� Policierung
� Bestands-
führung
Abteilung B
Schaden-
abwicklung
Abteilung C
� Produkt
� Strategie
� IT
Abteilung D
� Keyaccount-
management
� Regionale
Betreuung
Tabelle 12: �eue Aufbauorganisation des Bereichs623
Die Abteilung C ist für Strategie, Produktgestaltung und das IT-System zuständig. Sie
stellt auch die Schnittstelle zu anderen Konzernfunktionen dar. Eine der ersten Aufgaben
war die Koordination der technischen Umsetzung der IT-Plattform, die im Oktober 2006
in Betrieb ging. Diese Plattform dient als Basis
� für flexible Produkte,
� für die schnellere Umsetzung von Aktionen und
� zur Abdeckung von Basisprozessen in der Vertrag- und Schadenabwicklung
Die neue IT-Plattform sollte die Abwicklung revolutionieren. Zwar gab es bereits
Programme zur Angebotserstellung, doch jeder Händler hatte seine eigene Software. So
war die schnelle Verbreitung neuer Tarife unmöglich. Stattdessen sollte eine zentrale IT-
Plattform entstehen, die jeder Automobilhersteller in die Programme für seine
Autohändler integrieren konnte.
Auch der Verkaufsprozess von der Auswahl des Fahrzeugs über die Finanzierung bis zur
623 Eigene Darstellung laut Information von Interviewpartner FC1
234 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Versicherung wurde dadurch einfacher. Viele der zur Tarifierung nötigen Daten wurden
aus der Software der Autohändler direkt in das Angebot übernommen. Früher hatten die
Autohäuser einen Stapel von Formularen und wussten nicht, ob diese noch aktuell sind.
Zwar gab es weiterhin Papieranträge, aber der Anteil ging zurück, denn durch das Portal
ist jedes Autohaus mit der ASSEKURANZ elektronisch vernetzt und an die Vertrags- und
Schadenabteilung angebunden, wo die weitere Verarbeitung erfolgt.
Diese Form der Verarbeitung ist günstiger, senkt die Prozesskosten und führt zu einer
deutlichen Effizienzsteigerung. Da die Margen in der Kooperation mit der
Automobilwirtschaft sehr knapp bemessen sind, ist es notwendig, die Organisation auf
Effizienz zu trimmen, um profitabel zu wirtschaften.
Die Entwicklung der IT-Plattform erfolgte gemeinsam mit der Konzern-IT unter
Einhaltung aller Konzernstandards. Neben der vollen Integration in das bestehende
Bestandsführungssystem wurden spezielle Vertrag- und Schadenprozesse entworfen.
Doch dabei kam es zu Verzögerungen. Parallel zum Start der Implementierung Anfang
2006 fand in Deutschland eine große Umstrukturierung statt, wodurch IT-Ressourcen
knapp waren. Schon bei der Erstellung der Fachkonzepte und der Abstimmung mit der IT
gab es Probleme. Indem man den Funktionsumfang immer mehr zusammenstrich, konnte
das Team schließlich ganz gut in der Zeit bleiben und auch das Budget einhalten, musste
allerdings auf die gewünschte Funktionalität verzichten.
Auch die Umsetzung mit den Kooperationspartnern verlief schwieriger als erwartet. Eine
Zeit lang sah es sehr schlecht aus. Ein Problem waren die vielen Ansprechpartner, ein
anderes die Programmierung der Schnittstellen. Schließlich setzte man sich mit den
Partnern zusammen und versuchte, das Vorhaben besser zu strukturieren. Für die
Abstimmung und Koordination mit den Kooperationspartnern wurde ein Teilprojekt mit
eigenem Projektleiter gegründet. Dadurch konnte der Zeitplan annähernd eingehalten
werden. Während die Umsetzung mit einigen Partnern rasch und unkompliziert verlief,
gab es mit anderen mehr Abstimmungsbedarf. Um diesen Prozess zu unterstützen, wurde
eine Beratungsfirma verpflichtet, die über große Erfahrung in der Automobilwirtschaft,
sowohl mit Automobilherstellern als auch mit deren Vertriebsgesellschaften, verfügte und
dabei half, die Prozesse der Automobilhersteller zu verstehen.
Allerdings war die Umsetzungsarbeit mit der Fertigstellung der IT-Plattform nicht getan,
sondern ging weiter. Der Schwerpunkt verlagerte sich von großen strukturellen Würfen
hin zu kleinen kontinuierlichen Verbesserungen, zum Beispiel in der tagtäglichen
Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern. Im Gegensatz zur Realisierung der IT-
Infrastruktur waren das Redesign und die Verbesserung der operativen Abläufe zur
Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 235
Steigerung der Effizienz ein langwieriger Prozess, der bei den beteiligten Personen die
Bereitschaft zur Veränderung voraussetzte bzw. ihnen teilweise die Abkehr von lieb
gewonnenen Gewohnheiten abverlangte.
„Wir policieren jetzt elektronisch […] drucken es nicht mehr aus. Jetzt gibt es
natürlich viele Händler, die [die Anträge] noch ausdrucken und uns schicken,
und wir geben sie dann eben wieder ein.“624
15.6 Erfolgsbeurteilung
Rückblickend betrachtet wurde die Neuausrichtung vom Markt positiv aufgenommen. Die
ersten Reaktionen der Partner nach Bekanntgabe der Entscheidung waren durchwegs
positiv: „Toll, dass ihr euch unserer Bedürfnisse annimmt, haben alle gesagt.“625
In mancherlei Hinsicht kam die neue Strategie vielleicht zwei Jahre zu spät, da die
Umsetzung vor dem Hintergrund eines tief greifenden Konzernumbaus stattfand. Dadurch
fehlten die notwendigen IT-Ressourcen, um alle Pläne und Ankündigungen in die Tat
umzusetzen, was wiederum bei den Kooperationspartnern teilweise Ernüchterung
auslöste. So konnte die anfängliche Euphorie nur partiell genutzt werden bzw. ist der
Normalität gewichen.
Zusätzlich zur Ressourcenknappheit und der Verzögerung infolge der groß angelegten
Reorganisation des Versicherungsgeschäfts in Deutschland war die Umsetzung
schwieriger als gedacht und konnte nicht mit der geplanten Funktionalität realisiert
werden.
Demgegenüber hatte sich seitens der Vertreterschaft kaum interner Widerstand gebildet.
Zwar gibt es im Tagesgeschäft immer wieder kleinere Spannungen zwischen
Autohändlern und Vertretern, jedoch handelt es sich dabei um die sprichwörtlichen
Einzelfälle, die es auch früher schon gab.
Ein Projektteilnehmer beurteilte das Ergebnis wie folgt: „Ich würde sagen ,jetzt‘
erfolgreich, aber noch nicht erfolgreich genug. Es dauert, bis der Tanker wendet.“626
Einen Beleg dafür, dass die Entscheidung strategisch richtig war, liefern die
Vertriebsergebnisse. So setzen sich die beobachteten Trends weiter fort. Während die 624 Interviewpartner FC3 625 Interviewpartner FC1 626 Interviewpartner FC2
236 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Außendienstorganisation weiterhin leicht an Stück und Beitrag verliert, setzt sich die
positive Tendenz im Geschäftsfeld Automobilwirtschaft weiter fort; d. h., der
Vertriebsweg gewinnt gegen den Trend des Gesamtmarkts sowohl an Stück als auch
insgesamt an Bestand.
Kategorie Indikator
Überleben
(objektiv)
(1) Überleben im
Untersuchungszeitraum
Ja
Markterfolg
(subjektiv)
(2) Akzeptanz und
Kundennutzen
Sehr hohe Akzeptanz (Ø = 4)
„Toll, dass ihr euch unserer
Bedürfnisse annimmt […]“
(FC1)
(3) Wachstum Überdurchschnittliches
Wachstum (Ø = 5)
„Der Vertriebsweg gewinnt
gegen den Trend
überdurchschnittlich viel
Beitrag.“ (FC2)
Geschäftserfolg
(subjektiv)
(4) Ertrag Stabile Ergebnisse (Ø = 3)
„Die 9euausrichtung ist ein
Erfolg. Das volle Ausmaß wird
sich aber erst in den nächsten
Jahren einstellen.“ (FC2)
Abbildung 53: Erfolgsbeurteilung der Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Wege zur Geschäftsmodellinnovation 237
TEIL IV: ERKE��T�ISSE ZUR
GESCHÄFTSMODELLI��OVATIO�
Wie bereits in Kapitel 8.2 ausgeführt wurde, ist es für viele Unternehmen von
existenzieller Bedeutung, die Kompetenz Innovation erfolgreich zu realisieren.627 Dies
gilt insbesondere auch für Innovationen in Bezug auf die Strategie („strategische
Innovation“) bzw. das Geschäftsmodell („Geschäftsmodellinnovation“).628
Dennoch haben viele etablierte Großunternehmen nach wie vor Schwierigkeiten, solche
Innovationsprojekte erfolgreich zu meistern. Sie haben Schwierigkeiten, technologische
Innovationen629 zu nutzen, neue Märkte und Kundensegmente zu erschließen630, ihre
mentalen Modelle631 und Verhaltensweisen632 entsprechend anzupassen und aus ihren
Erfahrungen zu lernen.633
“What the literature prescribes and what most firms do are miles apart.”634
Die Fortdauer dieser Probleme deutet darauf hin, dass der Prozess der Theoriebildung hier
noch nicht beendet ist. Ziel dieses Abschnitts ist es, die Erkenntnisse hinsichtlich der
erfolgreichen Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen darzulegen und so einen
Beitrag zur Theoriebildung zu leisten.
16 Wege zur Geschäftsmodellinnovation
Aufbauend auf dem in Kapitel 8.1 entwickelten Verständnis strategischer Innovationen
wird Geschäftsmodellinnovation als einen verschiedene Aktivitäten umfassenden Prozess
von der Generierung bis zur Realisierung einer neuen Geschäftsidee verstanden. Die
Fokussierung auf die erfolgreichen Praktiken und Aktivitäten im Prozess der
Geschäftsmodellinnovation beschränkt zwar die Generalisierbarkeit der Erkenntnisse,
erlaubt es aber auch, die spezifischen Eigenschaften, Mechanismen, die zugrunde
liegenden Ereignisse und Akteure dieser Spielart von Innovation im Kontext von
627 vgl. Jelinek, M. und Schoonhoven, C. B. (1990), Zahra, S. A. und Covin, J. G. (1993), Hage, J. T. (1999) 628 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003), Chesbrough, H. (2007), Teece, D. J. (2010) 629 vgl. Romanelli, E. und Tushman, M. L. (1986), Tushman, M. L. und O'Reilly, C. (2002) Christensen, C.
M. (1997) 630 vgl. Christensen, C. M. und Bower, J. L. (1996), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2005) 631 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1986) 632 vgl. Hannan, M. T. und Freeman, J. H. (1984), Burgelman, R. A. (2002) 633 vgl. Van de Ven, A. H., et al. (1999) 634 vgl. Cooper, R. G. und Kleinschmidt, E. J. (1996)
238 Wege zur Geschäftsmodellinnovation
mehreren in enger zeitlicher Abfolge durchgeführten Projekte eines großen,
multidivisionalen Versicherungsunternehmens zu studieren.
Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, die sich auf Geschäftsmodellinnovation in Start-
ups635 und Technologieunternehmen konzentrieren636, gilt mein Interesse großen,
etablierten, komplexen und multidivisionalen Unternehmen, da ‟not all large, complex
organisations are successful with innovation […] in fact complex organisations have
difficulties with innovation”.637
Doch warum haben komplexe Unternehmen Schwierigkeiten,
Geschäftsmodellinnovationen zu realisieren? Welche Widerstände und Barrieren gilt es,
zu überwinden, und welche organisationalen Prozesse und Routinen helfen dabei, das Ziel
zu erreichen?
Es gilt, die zentrale Forschungsfrage dieser Arbeit zu beantworten, nämlich wie
Großunternehmen im Rahmen ihrer Wachstumsstrategie auf der Ebene von
Geschäftseinheiten durch die organisationale Kompetenz der Geschäftsmodellinnovation
einen positiven Beitrag zur Realisierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und somit zu
profitablem Wachstum leisten können.
Aus der vergleichenden Untersuchung der drei Fallstudien „Gebrauchtwagen-
Marktplatz“, „Direktversicherung“ und „Kooperation mit der Automobilwirtschaft“
können folgende Schlüsse gezogen werden:
� Es besteht ein wahrnehmbarer Unterschied in der Art, wie erfolgreiche und
weniger erfolgreiche Geschäftsmodellinnovationen gehandhabt wurden.
� Es ist ein Muster erkennbar, wie erfolgreiche Projekte strukturiert wurden und
welche Prozesse und Routinen als erfolgsrelevant einzustufen sind.
Die in den Daten gefundenen Muster, die zueinander in Wechselbeziehung stehen,
werden zu erfolgsrelevanten Prozessen und Routinen verdichtet und in den nachfolgenden
Kapiteln genauer definiert und herausgearbeitet.
Wie die empirische Untersuchung gezeigt hat, sind für eine erfolgreiche
Geschäftsmodellinnovation mehrere Aspekte vorab zu klären:
635 vgl. Doganova, L. und Eyquem-Renault, M. (2009) 636 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002) 637 vgl. Hage, J. T. (1999)
Ebenen der Geschäftsmodellinnovation 239
� Auf welcher Ebene die Geschäftsmodellinnovation stattfindet
� Die Wahl der Vorgehensweise, d. h. die Gestaltung des Innovationsprozesses,
der Aktivitäten und Entscheidungen von der Formulierung einer Geschäftsidee
bzw. Strategie bis zur Realisierung des passenden Geschäftsmodells
� Welche Aktivitäten in den einzelnen Phasen des Innovationsprozesses
notwendig sind
� Welche Routinen und Prozesse für die Durchführung der Aktivitäten
erfolgsrelevant sind
17 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation
In der Literatur wird bisweilen verabsäumt, genauer zwischen den verschiedenen Ebenen,
auf denen Geschäft stattfindet, d. h. der Ebene der Branche, des Gesamtunternehmens,
einzelner Geschäftsfelder bzw. Marktsegmente, zu differenzieren.638
17.1 Auf der Ebene der Branche
Auf der Ebene der Branche beschreibt das Geschäftsmodell die dominante Logik639 bzw.
die vorherrschende Struktur der Wertschöpfung. Für die Versicherungsbranche war dies
über lange Jahre das Modell des Allbranchenanbieters, der über seine
Vertriebsorganisation mit gebundenen Versicherungsagenten den Markt bediente. Die
Geschäftsmodellinnovation auf der Ebene der Branche setzt hier an, indem sie die
bisherige Logik der Geschäftserbringung infrage stellt und die gesamte Struktur der
Wertschöpfung neu ordnet. Ein Beispiel dafür ist Apples iPod, der in Verbindung mit dem
iTunes-Musikstore die Spielregeln in der Musikbranche neu definiert hat, oder der
Onlinebuchhändler Amazon, der den traditionellen Buchhandel revolutioniert hat.
Geschäftsmodellinnovation bedeutet hier, sich vom traditionellen Bauplan der
Geschäftserbringung abzuwenden und ein innovatives Geschäftsmodell zu entwerfen, das
gegenüber der herkömmlichen Wertschöpfungsstruktur ein vorteilhaftes Nutzenprofil
aufweist bzw. die Bedürfnisse der Kunden in einer besseren Weise befriedigen kann als
die traditionellen Geschäftsmodelle.
17.2 Auf der Ebene des Gesamtunternehmens
Auf der Ebene des Gesamtunternehmens geht es um die Frage der
Diversifikationsstrategie und der Zusammensetzung des Portfolios der
Geschäftseinheiten, d. h. in welchen Geschäftsfeldern und auf welchen Märkten das 638 vgl. Abell, D. F. (1980) 639 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1986)
240 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation
Unternehmen tätig ist. Das Geschäftsmodell eines Gesamtunternehmens muss
beschreiben, wie auf Ebene des Gesamtunternehmens, durch die Kombination der
einzelnen Geschäftssegmente Wert geschaffen wird und warum das Geschäftsmodell des
Unternehmens mehr als nur die Summe seiner Teile ist.
In den letzten Jahren tauchte in der Praxis bei großen, diversifizierten Unternehmen der
Begriff des „Corporate Business Model“ auf, der sich auf das Geschäftsmodell auf der
Ebene des Gesamtunternehmens bezieht. Das Corporate Business Model dient dabei zur
Konkretisierung der Unternehmensstrategie, d. h. der Corporate Strategy, die aufzeigt,
wie das Gesamtunternehmen durch die Konfiguration der Geschäftsfelder, die
Koordination des Aktivitätensystems und durch die Interaktion mit wichtigen
Anspruchsgruppen Wert schafft.640
„One Firm“ – das integrierte Geschäftsmodell der UBS
Ein Praxisbeispiel eines Corporate Business Model findet sich etwa bei der UBS, die den
One-Firm-Gedanken als Kernelement ihres globalen Geschäftsmodells gewählt hat.
Die UBS ist davon überzeugt, dass sie mit diesem integrierten Geschäftsmodell sowohl
für den Kunden als auch die Aktionäre einen Mehrwert erzielen kann, der größer ist als
die Summe sämtlicher Erfolgsbeiträge aus isoliert agierenden Einheiten.
Um durch das integrierte Geschäftsmodell der UBS Mehrwert zu schaffen, wird versucht,
die Grenzen der einzelnen Geschäftssegmente zu verwischen und durch die Bündelung
der Ressourcen und Fähigkeiten sowohl neue Geschäftschancen zu eröffnen, um so
zusätzliche Ertragsquellen zu erschließen, als auch durch die Zentralisierung von
Aktivitäten die Effizienz im Konzern zu erhöhen. Dieser Ansatz eines integrierten
Geschäftsmodells gibt dabei zugleich Aufschluss darüber, wie zusätzliches Wachstum bei
einer gleichzeitigen Verbesserung der operativen Exzellenz erreichbar ist, d. h. nachhaltig
profitables Wachstum erzielt werden kann.
Da sich bei der Umsetzung einer Strategie ein breites Spektrum möglicher, jedoch auch
divergierender und sich teilweise widersprechender Handlungs- und Gestaltungsoptionen
eröffnet, ist es notwendig, eine in sich konsistente und sich selbst verstärkende
Kombination zu finden, die es ermöglicht, insgesamt Mehrwert zu schaffen. Das
Geschäftsmodell beschreibt, welche Entscheidungen getroffen wurden und wie die
individuelle Konfiguration der Geschäftsfelder und des Aktivitätensystems ausgestattet
640 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 277.
Ebenen der Geschäftsmodellinnovation 241
ist, wie sie koordiniert werden und welche Synergien zwischen den einzelnen
Geschäftsfeldern bestehen. Gleichzeitig beschreibt es, wie die einzelnen Elemente
miteinander in Einklang gebracht wurden, welche Aspekte wesentlich sind und wie sie
ineinander greifen, welche Wechselwirkungen zwischen den Teilsystemen bestehen und
wie durch ihre spezielle Ausgestaltung ein Beitrag zum Erfolg des Gesamtunternehmens
geleistet wird.
Diese Betrachtungsweise baut auf dem aus der Corporate-Strategy-Diskussion bereits
länger bekannten Grundgedanken auf, dass durch die intelligente Verbindung und
Bündelung der Geschäftsfelder ein Mehrwert geschaffen werden kann, d. h., dass ein
integrierter Konzern mehr Wert (Added Value) schaffen kann als die Summe seiner Teile.
Sinngemäß muss das Konzerngeschäftsmodell beschreiben, worin der Mehrwert durch die
Bündelung einzelner Geschäftsfelder konkret liegt bzw. wie er geschaffen wird. Es
konkretisiert daher nicht die Strategie eines Geschäftsfelds, sondern die übergeordnete
Unternehmens- bzw. Konzernstrategie, d. h. die Corporate Strategy.
17.3 Auf der Ebene von Geschäftsfeldern
Daraus folgt, dass ein Gesamtunternehmen nicht nur über ein Geschäftsmodell verfügt,
sondern vielmehr aus einem Bündel bzw. Portfolio aus unterschiedlichen operativ tätigen
Geschäftsfeldern besteht, die jedes für sich betrachtet ebenfalls über ein oder mehrere
Geschäftsmodelle verfügen. Einen weiteren Anknüpfungspunkt für die
Geschäftsmodelldiskussion stellt daher die Ebene einzelner Geschäftsfelder dar.
Auf der Ebene einzelner Geschäftsfelder geht es darum, die jeweiligen Produkt-Markt-
Kombination641 zu beschreiben, d. h. welches Angebot diese Geschäftseinheit auf
welchen Märkten anbietet. Gleichzeitig dient es zur Konkretisierung der
Geschäftsstrategie. Hier geht es um die Definition des Leistungsangebots für einzelne
Märkte bzw. Marktsegmente und den Entwurf einer entsprechenden
Wertschöpfungsorganisation. In gleicher Weise wie auf der Ebene von Geschäftsfeldern
kann das Konzept auch auf einzelne Geschäftseinheiten, Produktlinien oder
Marksegmente angewendet werden. Hier geht die Betrachtung wiederum eine Ebene
tiefer und konzentriert sich auf eine einzige Produkt-Markt-Kombination bzw. Produkt-
Marktsegment-Kombination.642
641 vgl. Shapiro, B. (1977), S. 3. 642 vgl. Kotler, P. (1975), S. 185.
242 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation
Zumeist werden Segmentierungs- und Positionierungsentscheidungen in Bezug auf eine
der Ebenen getroffen, ohne einen integrativen oder ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen,
der sowohl die Perspektive einer Geschäftseinheit darstellt als auch die Verbindung zum
Gesamtunternehmen herstellt.643 In der Forschung wird einerseits nach dem richtigen
Geschäftsmix eines Gesamtunternehmens gesucht und andererseits der Frage
nachgegangen, in welchen Geschäftsfeldern es tätig sein will. Jeweils eigenständige
Forschungsstränge adressieren die Frage, wie ein Unternehmen auf den einzelnen Ebenen
sein Geschäft erfolgreich gestalten kann.
Ein möglicher Grund für die unterschiedlichen Sichtweisen von Geschäftsmodellen und
die mangelnde Klarheit mag darin begründet liegen, dass das eigene Geschäftsmodell in
hohem Maß von der individuellen Situation des Unternehmens (Anzahl der Produkte bzw.
Märkte) und der Organisationsstruktur (Abteilungen, Bereiche, Divisionen) abhängt.
Somit ist die Frage, auf welcher Ebene die Beschäftigung mit
Geschäftsmodellinnovationen sinnvoll und notwendig ist, für jedes Unternehmen
individuell zu beleuchten und zu entscheiden.
Zusammenfassend lässt sich jedoch festhalten, dass die Beschäftigung mit dem eigenen
Geschäftsmodell und somit der Prozess der Geschäftsmodellinnovation auf jeder Ebene
möglich und nützlich ist. Auf Grundlage des empirischen Befunds lässt sich das
Geschäftsmodell als Gestaltungs- und Optimierungsrahmen grundsätzlich auf allen
Ebenen eines Unternehmens anwenden, auf denen strategische Entscheidungen zu treffen
und diese in operatives Handeln umzusetzen sind, denn es kann dabei auf jeder Ebene
einen wirksamen Beitrag zur Formulierung, Konkretisierung und Realisierung
strategischer Innovationen leisten.
In Abhängigkeit davon, ob es sich bei einem Vorhaben zur Entwicklung oder
Überprüfung der Gesamtunternehmensstrategie (Corporate Strategy), eines Geschäftsfelds
oder der Strategie einer einzelnen Geschäftseinheit bzw. eines Geschäftsbereichs, d. h. der
Geschäftsstrategie (Business Strategy) handelt, können die Ansatzpunkte zur Gestaltung,
d. h. die Vorgehensweise der mit der Aufgabe betrauten Akteure und
Organisationseinheiten und die Inhalte bzw. die als wesentlich erachteten Aspekte, zwar
divergieren, in den grundlegenden Fragen der Geschäftsmodellinnovation folgt die
Vorgehensweise jedoch stets derselben Logik.
In der vorliegenden Arbeit war diese differenzierte Betrachtungsweise notwendig, da
innerhalb des Geschäftsfelds Schaden- und Unfallversicherung auf der Ebene des
643 vgl. Hofer, C. W. (1976)
Phasen des Innovationsprozesses 243
Geschäftsbereichs der privaten Kraftfahrzeugversicherung mehrere Geschäftsmodelle, die
auf spezifische Teilmärkte bzw. Kundensegmente abzielen, untersucht wurden.
Die Geschäftsmodelle dienen dabei als Entscheidungs- und Gestaltungsrahmen für die
operative Ausgestaltung der Geschäftstätigkeit auf der Ebene einer einzelnen
Geschäftseinheit, die ein oder mehrere Geschäftsfelder bedient. Diesem Verständnis nach
fungiert das Geschäftsmodell dabei als Hilfsinstrument, um die Strategie eines
Geschäftsfelds operativ wirksam werden zu lassen, d. h. in Ergänzung der
Geschäftsstrategie die strategische Positionierung eines Geschäftsfelds auf dem Markt in
ein kohärentes System aus operativen Strukturen und Prozessen überzuleiten, die
beschreiben, wie das intendierte Geschäft wirtschaftlich sinnvoll betrieben werden kann
und gesellschaftlichen Nutzen stiftet.
18 Phasen des Innovationsprozesses
Die strategische Innovation bzw. die Geschäftsmodellinnovation stellt eine neue Spielart
organisationaler Erneuerung dar. Sie steht in einem engen Zusammenhang mit Fragen, die
im Bereich der Organisationstheorie und Strategieforschung schon länger diskutiert
werden, denn die Veränderung bzw. Transformation von Unternehmen als Reaktion auf
die unterschiedlichsten Veränderungskräfte, die auf Unternehmen einwirken, stellt in
diesen Disziplinen seit jeher ein wichtiges Forschungsfeld dar.
Da die Veränderung von Unternehmen immer auch einen nachhaltigen Einfluss auf die
langfristige strategische Zukunftssicherung einer Unternehmung ausübt, wird dieses
Phänomen in der Literatur nicht nur als Organizational Change, sondern vielfach auch
unter dem Oberbegriff „strategischer Wandel“ (Strategic Change) behandelt.644
Strategische Erneuerung, egal welchen Typs und Inhalts, braucht ein Rahmenkonzept, das
wie eine Blaupause bzw. ein Architekturmodell die Problemfelder des Wandels
strukturiert und zueinander in Beziehung setzt.645 Dieses am General Management
Navigator (GMN) orientierte Prozessmodell unterteilt den Prozess der
Geschäftsmodellinnovation in vier Arbeitsschritten: Initiierung, Definition des Geschäfts,
Konfiguration des Aktivitätensystems und Innovation als fortlaufender Prozess plus dem
Optimierungsfeld Nutzen und Effizienz. Es handelt sich dabei um die abstrakte
Darstellung der einzelnen in den Fallstudien ermittelten Phasen im Prozess der
Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen.
644 vgl. Rüegg-Stürm, J., et al. (2004) 645 vgl. Krüger, W. (2006), S. 21.
244 Phasen des Innovationsprozesses
Abbildung 54: Prozessmodell zur Strukturierung einer Geschäftsmodellinnovation646
Die empirischen Erkenntnisse weisen darauf hin, dass diesem Prozess ein evolutionäres
bis teleologisches647 Prozessmodell648 zugrunde liegt. Infolge einer Opportunität oder der
Notwendigkeit, zum Beispiel eines veränderten Marktumfelds, wird ein gewünschter
zukünftiger Zustand angestrebt. In einer sich wiederholenden Abfolge werden Ziele
formuliert und implementiert, der Erfolg wird gemessen und auf Abweichungen wird
durch Modifikation reagiert, bis der angestrebte Zustand erreicht und die Vision
umgesetzt ist.
Obwohl das Management nicht den Anstoß zur Veränderung verordnet, spielt es dennoch
eine wichtige Rolle in der Initiierung, indem es einen konkreten Projektauftrag bzw. Ziele
definiert, Ressourcen bereitstellt und den Prozess koordiniert. Der angestrebte Zustand
wird durch soziale Konstruktion in die Tat umgesetzt. Der Übergang von einem Zustand
in den nächsten vollzieht sich bisweilen episodisch, aber vorwiegend als fortlaufender
Prozess inkrementeller Veränderungen durch Variation, Selektion und Retention.649
Variation findet kontinuierlich statt, doch es werden nicht alle Veränderungen
beibehalten, sondern ein Teil wird auch wieder verworfen. Die Selektion erfolgt im harten
Überlebenskampf um knappe Ressourcen. Erweist sich eine Variation dem bisherigen
646 Eigene Darstellung in Anlehnung an den General-Management-Navigator (GMN) von Müller-Stewens,
G. und Lechner, C. (2005) 647 von griech. teleos: Ziel, Zweck 648 vgl. Van de Ven, A. H. und Poole, M. S. (1990), Van de Ven, A. H. und Poole, M. S. (1995) 649 vgl. Nelson, R. R. und Winter, S. G. (1982)
Phasen des Innovationsprozesses 245
Zustand gegenüber als überlegen und können beharrende Kräfte überwunden werden,
wird die Variation beibehalten und der Prozess setzt sich fort.
Da in den untersuchten Innovationsprojekten sehr wohl ein rationales, zielorientiertes
Verhalten der Akteure und ein klares Vorgehensmodell erkennbar waren, stehen die
empirischen Ergebnisse zumindest teilweise im Widerspruch zu früheren Arbeiten. So
beschreiben Cheng und Van de Ven (1996) den Innovationsprozess von Organisationen
als chaotische, nicht lineare Abfolge von Ereignissen. Im Gegensatz dazu wurde in der
vorliegenden Arbeit ein Prozessmuster identifiziert, das als „zielorientiert, […]
rational“650 zu charakterisieren ist und von der Genese der Geschäftsidee bis zur
Realisierung des Geschäftsmodells einige Phasen durchläuft, die durch wiederkehrende
Aktivitäten und Praktiken gekennzeichnet sind.
Der Grund dafür mag im unterschiedlichen Branchenkontext liegen. Während die zitierte
Studie auf Beobachtungen von Biotechnologieunternehmen beruhte, stützen sich meine
Erkenntnisse auf Fallstudien in der Versicherungswirtschaft. Allerdings weisen auch
Arbeiten, die sich mit der Veränderung von Geschäftsmodellen in der
Biotechnologiebranche beschäftigen, auf einen episodischen Verlauf von
Innovationsprozessen hin.651
Das zuvor beschriebene evolutionär-teleologische Prozessmodell liefert daher gute
Anhaltspunkte zum Verlauf der von mir untersuchten Innovationsprozesse und kann der
Strukturierung der Vorgehensweise dienen. In den nachfolgenden Kapiteln werden die
einzelnen Arbeitsschritte näher beschrieben und zueinander in Beziehung gesetzt.
18.1 Initiierung
Der Innovationsprozess kann sowohl exogen wie auch endogen induziert sein. Mögliche
Gründe im Umfeld von Unternehmen können unter folgenden Schlagwörtern
zusammengefasst werden: Deregulierung von Branchen, Wettbewerbsdruck,
Globalisierung, steigende Kundenerwartungen und neue, diskontinuierliche
Technologien.
Wie im empirischen Teil dieser Arbeit beschrieben wurde, hat sich nach der
Deregulierung des Kfz-Versicherungsmarkts die Branchenstruktur deutlich verändert,
weil neue Anbieter in den Markt eingetreten sind und sich das Verhalten der Kunden
650 Interviewpartner FA5 651 vgl. Broglie, C. (2004)
246 Phasen des Innovationsprozesses
geändert hat. Die neue Realität in der Versicherungsbranche und die Zunahme des
Wettbewerbsdrucks haben die ASSEKURANZ dazu gezwungen, sich aktiv mit dem
eigenen Geschäftsmodell zu beschäftigen. Zugleich eröffnen sich dadurch auch neue
Chancen, zum Beispiel für neue Anbieter. Der Fortschritt im Bereich der
Informationstechnologie liefert die Grundlage für neue Formen der Wertschöpfung. Etwa
die Idee, eine Direktversicherung zu etablieren, wäre ohne die Möglichkeiten des
Internets und des neu entstandenen Marktsegments preissensitiver Kunden nicht
weiterverfolgt worden.
Darüber hinaus weisen Müller-Stewens und Lechner (2005) auch auf die Bedeutung des
Faktors Mensch hin. Durch Änderungen im Topmanagement, eine andere Ausbildung und
Wertehaltung nehmen Manager die Realität anders wahr, wodurch sich die Prioritäten
verschieben und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, steigt, denn schlussendlich sind es
die Menschen, die den Prozess initiieren und die notwendigen Überlegungen anstellen.
Besondere Bedeutung kommt dabei dem mittleren Management zu, denn die
Geschäftsmodellinnovation ist nicht nur als geplanter Top-down-Prozess denkbar.
Genauso wichtig ist die Initiative der operativ verantwortlichen Manager, die nahe am
Geschäft und Markt sind und somit neue Geschäftschancen als Erste wahrnehmen.
Doch um ein Innovationsprojekt auf den Weg zu bringen, sind einige Vorbereitungen zu
treffen. Folgende Punkte sind dabei von besonderer Bedeutung:
1. Die Unterstützung zumindest eines Mitglieds des Managementteams zu
gewinnen, der als Sponsor des Vorhabens fungiert
2. Geeignete Mitarbeiter zu finden, die das nötige Know-how und die richtige
Einstellung mitbringen
3. Die Vorgehensweise grob zu strukturieren und einen Projektauftrag zu
formulieren
4. Gemeinsam mit dem Sponsor Spielregeln festzulegen, um den Zugang zu
Ressourcen zu regeln und die Zuständigkeiten im Projekt zu klären
Im Grunde handelt es sich dabei um generische Vorbereitungsarbeiten, wie sie am Beginn
jedes Projekts stehen sollten und in der Projektmanagementliteratur beschrieben werden.
Dennoch sind einige Besonderheiten zu berücksichtigen. Da es sich hier um einen
strategischen Innovationsprozess handelt, sind entsprechende Vorkenntnisse bzw. eine
entsprechende Ausbildung zu Fragen des strategischen Managements unerlässlich, denn
entsprechende Grundkenntnisse erleichtern die Kommunikation zwischen den
Projektteilnehmern und unterstützen durch einschlägige Managementtools und Konzepte
den Prozess der Strategiefindung. Da die Geschäftsmodellinnovation ein überaus
Phasen des Innovationsprozesses 247
komplexes Vorhaben darstellt und sich ganzheitlich mit dem Geschäft eines
Unternehmens befasst, ist es ratsam, Mitarbeiter aus verschiedenen Funktionsbereichen
und mit durchaus konträren Ansichten für das Projektteam zu gewinnen.
Weitere Praktiken, die zur erfolgreichen Gestaltung eines Innovationsprozesses beitragen,
werden in Abschnitt 19 vorgestellt.
18.2 Definition des Geschäfts
Sobald das Innovationsprojekt aufgesetzt wurde, kann in der zweiten Phase mit der
genauen Analyse des Unternehmensumfelds begonnen werden, um aufbauend auf den
Erkenntnissen der Umfeldanalyse eine entsprechende Geschäftsdefinition festzulegen. Es
handelt sich dabei um die konkrete Beschreibung einer Geschäftsidee. Für Abell (1980)
ist die Definition des Geschäfts ‟the starting point for strategic planning”. Die Strategie
ist wiederum eine wesentliche Voraussetzung für den Entwurf des dazu passenden
Geschäftsmodells eines Unternehmens.
Produkte
Märkte Abbau der Produkte Gegenwärtige Produkte �eue Produkte
Abbau der Märkte
Rückzug: Stufenweiser Abbau der gegenwärtigen Produkte und der gegenwärtigen Märkte
Produktkonstante Marktverdichtung: Marktrückzug, Abbau der Abnehmerschichten und/oder Abbau der Distributionskanäle
Progressive Marktdurchdringung: Abbau der gegenwärtigen Märkte verbunden mit dem Angebot von neuen Produkten auf den verbleibenden Märkten
Gegenwärtige
Märkte
Marktkonstante Produktverdichtung: Abbau der Produktpalette, die auf den gegenwärtigen Märkten angeboten wird
Marktdurchdringung: Intensivierung der Marktbearbeitung, Relaunch, Imitation, Kosten- und Preissenkung, Unbundling
Produktentwicklung: Neue Produkte, neue Produktlinien, neue Dienstleistungen und/oder Problem- und Systemlösungen
�eue Märkte
Progressive Produktverdichtung: Abbau der gegenwärtigen Produktpaletten verbunden mit dem Angebot der verbleibenden Produkte auf neuen Märkten
Marktentwicklung: Marktausweitung, neue Abnehmerschichten, neue Distributionskanäle, neue Verwendungszwecke
Diversifikation: Neue Produkte für neue Märkte
Abbildung 55: Produkt-Markt-Strategien652
652 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 257.
248 Phasen des Innovationsprozesses
Um das Geschäft eines Unternehmens zu definieren, ist ein konzeptioneller Rahmen
nötig, um die Art und den Umfang eines Geschäfts zu beschreiben. Traditionell wird in
der Literatur ein zweidimensionaler Bezugsrahmen angeboten, um den Geschäftsumfang
eines Unternehmens entlang der Dimensionen Produkte und Märkte zu
konzeptionalisieren. Die Frage nach dem Umfang beantwortet aber noch nicht die Frage
nach der Art und dem Wesen eines Geschäfts. Stattdessen zeigt die auf Ansoff
zurückgehende Produkt-Markt-Matrix653 lediglich, auf welchen Märkten ein Unternehmen
mit welchen Produkten tätig ist, bzw. gibt Orientierung, welche Wachstumsstrategien
durch eine zukünftige Differenzierung und Diversifikation der Produkt-Markt-
Kombination möglich sind.
Unabhängig davon, welche strategischen Manöver654 tatsächlich realisiert werden, d. h.
bei der Einführung neuer Produkte, der Erschließung neuer Märkte, der Diversifikation
oder der Ausschöpfung bestehender Märkte, stellt sich, zumindest implizit, jedes Mal aufs
Neue die Frage nach der Art, dem Umfang und dem eigentlichen Gegenstand des
Geschäfts. Da nach jeder Modifikation mit einer potenziell neuen Geschäftsdefinition zu
rechnen ist, macht jegliche Veränderung der Produkt-Markt-Kombination die neuerliche
Überprüfung der Geschäftsdefinition erforderlich.
Obwohl Veränderungen bisweilen lediglich als inkrementell gesehen werden, können sie
das Wesen, den Charakter und damit auch die Definition des Geschäfts grundlegend und
dauerhaft verändern. Unterbleiben die notwendige Überprüfung und potenzielle
Neudefinition des Geschäfts, so ergibt sich der gefährliche Zustand einer zunehmenden
Diskrepanz zwischen der optimalen und tatsächlichen Geschäftsdefinition, die zu einer
Fehlausrichtung des Unternehmens führt.
„Das Produkt-Preis-Serviceangebot der ASSEKURA9Z passte nicht mehr zu
den am Markt nachgefragten Kombinationen und durch den einseitigen
Vertriebskanalmix fehlte der Zugang zu den Kundensegmenten, wo Wachstum
passierte.“655
Umso wichtiger ist es daher, das eigene Geschäft klar zu definieren und die Definition
laufend an die Veränderungen der Produkt-Markt-Strategie des Unternehmens
anzupassen. Neben der klassischen zweidimensionalen Systematisierung und
Beschreibung eines Geschäfts werden in der Marketingliteratur weitere Ansätze der
653 vgl. Ansoff, I. (1957) 654 vgl. Abbildung 55 655 Interviewpartner ST1
Phasen des Innovationsprozesses 249
Sinndeutungen656 des Geschäftsbegriffs entwickelt, die anhand des Beispiels der Swatch
AG verdeutlicht und einander gegenübergestellt werden:
� Unternehmen, die in einem Geschäft tätig sind, erfüllen für Kunden eine
bestimmte Funktion. Im Einklang mit der klassischen Marketinglehre kann das
Geschäft anhand der Funktion beschrieben werden, die ein Unternehmen für
Kunden übernimmt.657 Swatch zum Beispiel erfüllt den Kundenbedarf nach
günstigen Instrumenten zur Zeitmessung und den Bedarf nach ästhetischen
Designerstücken.
� Daneben wird Geschäft auch als bestimmte Kompetenz oder Fähigkeit
konzeptionalisiert. Diese Sichtweise, obwohl bereits deutlich früher entwickelt,
weist viele Anknüpfungspunkte mit aktuellen Überlegungen im Bereich des
fähigkeiten- und kernkompetenzorientierten Managements von Unternehmen
auf. Wird diese Sichtweise auf Swatch übertragen, so ist das Unternehmen im
Geschäft der kostengünstigen Herstellung qualitativ hochwertiger und
ansprechend gestalteter Lifestyleartikel tätig.
� Versteht man dasselbe Geschäft hingegen nicht als Fähigkeit, sondern als
Programm von Aktivitäten und bedienten Märkten, so ist Swatch im Geschäft
zur Herstellung von Uhren und Schmuck für den Weltmarkt engagiert. Wobei
hinzuzufügen ist, dass sich das Unternehmen in den letzten Jahren aus einigen
Produktkategorien wie Schnurlostelefonen, Pagern und Brillen zurückgezogen
und dadurch die Geschäftsdefinition fokussiert hat.
Diesen theoretischen Überlegungen folgend kann das Geschäft eines Unternehmens als
das Programm von Aktivitäten verstanden werden, die dazu nötig sind, um durch den
Einsatz von Fähigkeiten und Ressourcen für bestimmte Kundengruppen eine Funktion zu
erfüllen bzw. Leistung zu erbringen. Das Geschäftsmodell wiederum ist als die
strukturgleiche vereinfachte Abbildung dieses Geschäfts zu sehen. Um ein
Geschäftsmodell zu entwerfen, ist es daher unabdingbar, zuvor die Konzeption und
Definition des Geschäfts durchzuführen und zu konkretisieren.
Abell (1980) bzw. Abell und Hammond (1979) haben dazu einen Bezugsrahmen
vorgeschlagen, der sich an den Bedürfnissen der potenziellen Abnehmergruppen
orientiert, um eine in sich logisch-konsistente Kombination aus angebotenen Leistungen,
bedienten Markt- und Kundensegmenten und Absatzsystem zu finden und den weiteren
strategischen Innovationsprozess zu unterstützen.658 656 vgl. Abell, D. F. (1980), S. 11f. 657 vgl. Levitt, T. (1960), Kotler, P. (1975), Levitt, T. (2006) 658 vgl. Abbildung 56
250 Phasen des Innovationsprozesses
potenzielleAbnehmergruppen
alternativeTechnologien
Kundenbedürfnis und -funktion
Abbildung 56: Bezugsrahmen zur Abgrenzung von Geschäftsdefinitionen659
Zwischen folgenden drei Dimensionen ist hier zu unterscheiden:
� Kundenbedürfnis und -funktion (Was?)
� Potenzielle Kundengruppen (Wer?)
� Alternative Technologien (Wie?)
Selbst wenn das Unternehmen keine explizite Definition des Geschäfts vorgenommen hat,
ist sie dennoch implizit vorhanden. Anhand der bedienten Kundengruppen, der für diese
Kunden erbrachten Funktionen und der Art und Weise, wie Kundenbedürfnisse befriedigt
werden, lässt sich die Geschäftsdefinition rekonstruieren, denn genauso wie jedes
Unternehmen ein Geschäftsmodell hat, muss jedes Unternehmen ein Geschäft betreiben
und es lässt sich folglich eine Geschäftsdefinition herleiten.
Müller-Stewens und Fontin (2003) zufolge hat „jedes Unternehmen […] ein
Geschäftsmodell, aber gerade in der ,Old Economy‘ wird das nur selten explizit
wahrgenommen und aktiv bearbeitet“.660
Durch die Definition ihres Geschäfts wählt das Unternehmen implizit oder explizit eine
659 vgl. Abell, D. F. und Hammond, D. (1979), S. 392., Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 164. 660 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003), S. 4.
Phasen des Innovationsprozesses 251
strategische Erfolgsposition oder Nische aus und positioniert sich im weiteren Markt-
oder Branchenkontext. Die Geschäftsdefinition ist daher gleichsam als das Ergebnis der
strategischen Positionierung und als Fundament der Wettbewerbsstrategie zu verstehen.
Der Erfolg einer realisierten Geschäftsdefinition ist von einer Reihe situativer Faktoren
abhängig, die sich nach Abell (1980) in vier Kategorien zusammenfassen lassen:661
1. Dem Bedarf und Kaufverhalten der Kunden
2. Den Differenzierungsvorteilen im Marketing, in der Produktion, Forschung und
Entwicklung etc., die sich aus der Segmentierung des Markts ergeben
3. Der Kostenfunktion und Kostenstruktur
4. Den zur Verfügung stehenden Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens
Diese Liste exkludiert Faktoren wie zum Beispiel die wirtschaftliche Attraktivität der
bedienten Marktsegmente in Bezug auf Wachstum und Rentabilität bzw. die anhand des
Marktanteils gemessene Marktmacht. Weiters fehlt die Beurteilung des Fit zwischen der
identifizierten Geschäftschance auf dem Markt und den zur Realisierung dieser
Geschäftsidee zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kompetenzen, denn um mit der
gewählten Geschäftsdefinition im Wettbewerb langfristig erfolgreich zu bestehen, muss
sich das Unternehmen möglichst optimal an die Erfordernisse der gewählten
Marktposition oder Nische anpassen, d. h. für eine hohe Übereinstimmung662 (Fit)
zwischen den Bedingungen und Erfordernissen des externen Marktumfelds und den
internen Prozessen der Erstellung, Vermarktung und Verteilung der angebotenen
Leistungen zur Befriedigung der Kundenbedürfnisse sorgen. Daher hat dieser
Anpassungsprozess (Fitting Process) einen entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung
der Struktur und Organisation der internen Aktivitäten und wertschöpfenden Prozesse des
operativen Tagesgeschäfts.663
“Heterogeneous customer needs (or products) can lead to differences in
manufacturing, marketing, R&D, service, and distribution requirements.”664
In Übereinstimmung mit Abells (1980) Auffassung verstehe ich die Geschäftsdefinition
nicht nur als Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen im strategischen
Innovationsprozess, sondern auch als ein wesentliches Instrument zur konsistenten
Überleitung der Geschäfts- und Wettbewerbsstrategie in ein passendes Geschäftsmodell,
661 vgl. Abell, D. F. (1980), S. 21. 662 vgl. Aldrich, H. (1979) 663 vgl. Frazier, G. L. und Howell, D. R. (1983), S. 60. 664 vgl. Abell, D. F. (1980), S. 19.
252 Phasen des Innovationsprozesses
damit strategische Entscheidungen in Form operativer Geschäftsprozesse und -strukturen
im Tagesgeschäfts wirksam werden können.
Gleichzeitig muss die Geschäftsdefinition spezifisch sein, um als detaillierte Grundlage
für die Strategie zu dienen. Strategie verstehe ich dabei wie Mintzberger als Plan (plan),
auf welchen Märkten das Unternehmen mit welchen Produkten tätig sein will, wie es sich
auf diesen Märkten positioniert (position), wie es sein Umfeld wahrnimmt (perspective)
und die Wettbewerber ausmanövriert (ploy), als das Muster (pattern) oder Gebilde
durchwegs komplexer Entscheidungen – unabhängig davon, ob diese Entscheidungen ein
bewusstes und intendiertes strategisches Handeln beschreiben oder sich die realisierte
Strategie unbewusst und emergent daraus ergibt, solange sie für die Organisation von
besonderer Bedeutung sind.665
Strategie ist damit primär ein retrospektives Konstrukt666, um die realisierten Strukturen
zu beschreiben und die Genese der Strategie durch die Interaktionsmuster im Handeln der
Akteure zu erklären: ‟a pattern in a stream of decisions”.667 Im Detail gibt die
Geschäftsstrategie darüber Auskunft, wie sich ein Unternehmen auf dem Markt
positioniert, auf welchen Märkten und in welchen Geschäftsfeldern es tätig sein will und
welche Produkte und Dienstleistungen welchen Kunden angeboten werden sollen.
Obgleich der Strategiebegriff verschiedene Bedeutungen hat, kann jedoch mit Sicherheit
ausgeschlossen werden, dass es sich bei einer Strategie schon um ein Geschäftsmodell
handelt. Vielmehr handelt es sich bei einer Geschäftsstrategie (Business Strategy) und
einem Geschäftsmodell um zwei eigenständige, voneinander abzugrenzende Begriffe, die
gleichzeitig in einer starken Wechselbeziehung zueinander stehen, denn die
Geschäftsstrategie und die strategische Intention eines Unternehmens müssen sich im
eigenen Geschäftsmodell widerspiegeln.
Einen wesentlichen Entscheidungsinhalt der Strategie stellt der Geschäftsumfang, genauer
gesagt die Produkt-Markt-Kombination dar, wobei sich diese Überlegungen auf
unterschiedlichen Betrachtungsebenen668 wie auf ein einzelnes Geschäftsfeld oder auch
das Gesamtunternehmen beziehen können.669 Das Geschäftsmodell wiederum beschreibt
die konkrete Ausgestaltung der Aktivitäten und Koordinationsmechanismen zur
Erbringung der Leistung bzw. Bedienung der Zielmärkte.
665 vgl. Mintzberg, H. (1978), S. 945. 666 vgl. Schreyögg, G. (1984), S. 148. 667 vgl. Mintzberg, H. (1978), S. 935. 668 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 33ff. 669 vgl. Bourgeois, L. J. (1980), S. 30.
Phasen des Innovationsprozesses 253
Business Model Business Strategy
Definition
A structural template of how a
focal firm transacts with
customers, partners, and
vendors. It captures the pattern
of the firm’s boundary spanning
connections with factor and
product markets.
Pattern of managerial actions that
explains how a firm achieves and
maintains competitive advantage
through positioning in product
markets
Main questions
addressed
� How to connect with factor
and product markets
� Which parties to bring
together to exploit a business
opportunity, and how to link
them to the focal firm to
enable transactions (i.e.,
what exchange mechanisms
to adopt?)
� What information or goods
to exchange among the
parties, and what resources
and capabilities to deploy to
enable the exchanges?
� How to control the
transactions between the
parties, and what incentives
to adopt for the parties?
� What positioning to adopt
against rivals
� What kind of generic strategy to
adopt (i.e., cost leadership
and/or differentiation)?
� When to enter the market?
� What products to sell?
� What customers to serve?
� Which geographic markets to
address?
Unit of Analysis � Focal firm and its exchange
partners
� Firm
Focus � Externally oriented: focus on
firm’s exchanges with others
� Internally/externally oriented:
focus on firm’s activities and
actions in light of competition
Tabelle 13: Abgrenzung von Geschäftsmodell und Produkt-Markt-Strategie670
670 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2004)
254 Phasen des Innovationsprozesses
Stehen die Geschäftsstrategie und das Geschäftsmodell, d. h. die Produkt-Markt-
Kombination und Positionierung einerseits und die Ausgestaltung der operativen Prozesse
und Aktivitäten andererseits, nicht miteinander im Einklang, so hat dies negative
Auswirkungen auf den unternehmerischen Erfolg. Folglich sind die Geschäftsstrategie
und das Geschäftsmodell als die zwei Seiten derselben Medaille zu verstehen671, denn es
muss hinzugefügt werden, dass letztendlich weder die marktseitige Positionierung noch
die Ausgestaltung der Wertschöpfungsorganisation für sich allein genommen
erfolgsentscheidend ist, sondern die Fähigkeit des Unternehmens, seine Positionierung
und Wertschöpfung in Wert und Nutzen für den Kunden und die relevanten
Anspruchsgruppen umzusetzen. Die erfolgreiche Realisierung einer Strategie hängt damit
in einem hohen Maß von der Fähigkeit ab, die Positionierungs- und
Wertschöpfungsstrategie so umzusetzen, dass das Unternehmen damit Geld verdient und
für alle Stakeholder Nutzen stiftet.
Im Rahmen der empirischen Untersuchung zeigte sich, dass eine gute Verzahnung von
Geschäftsstrategie und Geschäftsmodell den Unternehmenserfolg nachhaltig positiv
beeinflussen kann. Durch die konsequente Umsetzung der strategischen Zielsetzungen in
Form eines passenden Geschäftsmodells können strategische Chancen genutzt und
Wettbewerbsvorteile begründet werden. Dieses Ergebnis bestätigt frühere Studien, welche
die Wechselwirkungen zwischen Geschäftsstrategie und Geschäftsmodell bereits genauer
untersucht haben.672
Wie in Kapitel 7.3.2 beschrieben wurde, stellt das Geschäftsmodell in Abhängigkeit von
der jeweiligen Funktion die strukturgleiche, jedoch vereinfachte Abbildung, Beschreibung
und Erklärung der wesentlichen Aspekte geschäftlicher Tätigkeit dar. Genauso kann es als
Hilfsinstrument dienen, um komplexe Sachverhalte zu durchleuchten und so konkrete
Entscheidungen und wirksames Handeln zu unterstützen.
Osterwalder und Pigneur verstehen “a business model as the conceptual and architectural
implementation of a business strategy and as the formation for the implementation of
business processes”.673 Es handelt sich dabei um die Realisierung einer Strategie, die in
Form des operativen Geschäftsmodells wirksam wird.
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass zwar die richtige Strategie entwickelt
wird, sie aber aufgrund einer mangelhaften Umsetzung im Tagesgeschäft nicht operativ
671 vgl. Tabelle 13. 672 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2004), Amit, R. und Zott, C. (2008) 673 vgl. Osterwalder, A. und Pigneur, Y. (2002)
Phasen des Innovationsprozesses 255
wirksam werden kann. Das Geschäftsmodell kann als das Bindeglied zwischen der
Strategie und dem Tagesgeschäft, d. h. den operativ wirksamen Prozessen und Strukturen
eines Unternehmens, verstanden werden.674 Für Petrovic et al. ist das Geschäftsmodell
jedoch nicht nur die Beschreibung eines komplexen sozialen Systems mit all seinen
Akteuren, Beziehungen und Prozessen, sondern erklärt auch die dahinter liegende Logik,
warum Geschäftsprozesse so gestaltet sind und welche Überlegungen dazu geführt haben.
‟The business model gives sense to the various business processes by
describing why certain processes are designed the way they are.”675
Geschäftsprozesse und -Strukturen
Geschäftsmodell
Strategie
NormativeEbene
KonzeptionelleEbene
OperativeEbene
Abbildung 57: Gestaltungsebenen des Geschäfts676
Als wertvolles Hilfsinstrument der Strategiearbeit leistet das Geschäftsmodell nicht nur
die Funktion, mögliche strategische Handlungsoptionen und deren Inhalte wie zum
Beispiel in Bezug auf die Länge und Tiefe der eigenen Wertschöpfungskette zu
beschreiben und die Abhängigkeiten zwischen den vielfältigen Optionen zu analysieren,
sondern hilft auch dabei, konkurrierende Gestaltungsoptionen zu evaluieren,
Entscheidungen vorzubereiten, auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen und die getroffenen
Annahmen zu fundieren, um letztlich die beste Handlungsalternative auszuwählen. Das
Geschäftsmodell ist eine Konkretisierung der Strategie. Es hilft dabei, die operative
Umsetzung der Strategie transparent zu beschreiben und leichter transportierbar bzw.
kommunizierbar zu machen.
674 vgl. Ackermann, W. und Lang, D. (2004) 675 vgl. Petrovic, O., et al. (2001) 676 Eigene Darstellung in Anlehung an Ibid., S. 2. und Osterwalder, A. und Pigneur, Y. (2002), S. 2.
256 Phasen des Innovationsprozesses
“While a business model does facilitate analysis, testing, and validation of a
firm’s strategic choices, it is not itself a strategy.”677
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Prozess der Formulierung einer
Geschäftsidee bzw. -strategie daher einerseits die Wahrnehmung der Umwelt, das
Sammeln von Marktdaten sowie die Analyse und Interpretation der Daten beinhaltet.
Schlussendlich geht es um das Muster, das sich hinter der getroffenen Entscheidung
verbirgt: auf welchen Märkten das Unternehmen tätig sein will, welche Produkte es
welchen Kunden anbietet, wie es sich auf diesen Märkten positioniert, wie es
Mitbewerber ausmanövriert. Das Geschäftsmodell wiederum ist die Beschreibung der
operativen Ausgestaltung und Umsetzung der Geschäftsidee bzw. -strategie. Es dient
dazu, die Handlungs- und Gestaltungsoptionen zu evaluieren, die sich in Abhängigkeit
von bzw. aus der zuvor formulierten oder parallel dazu getroffenen Strategiewahl
ergeben.
18.3 Konfiguration des Aktivitätensystems
Heute reicht es nicht mehr aus, eine Geschäftsidee oder -strategie zu haben, die
beschreibt, auf welchen Märkten das Unternehmen mit welchen Produkten tätig sein
möchte und wie es sich dort gegenüber den Mitbewerbern und Kunden positioniert.
Genauso wichtig ist es, vorhandene Ressourcen und Fähigkeiten auf solch eine Art und
Weise zu kombinieren, dass daraus eine effiziente Wertschöpfungsorganisation entsteht,
und Produkte und Dienstleistungen anzubieten, wie sie vom Kunden benötigt und erwartet
werden bzw. für ihn von größtmöglichem Nutzen sind. Kurzum: Es reicht nicht aus, eine
Strategie zu haben, sondern es ist genauso wichtig, diese in Form eines passenden
Geschäftsmodells zu realisieren und wirksam werden zu lassen.
Das Geschäftsmodell beschreibt die wesentlichen Aspekte des operativen Geschäfts eines
Unternehmens. Es gibt an, welche Art von Geschäft betrieben wird, welche Markt- und
Kundensegmente angesprochen werden sollen und worin die Leistung und der Nutzen für
die Kunden bestehen. Es beschreibt, welche Aktivitäten und Transaktionsbeziehungen
notwendig sind, um die gewünschte Leistung zu erstellen bzw. zu erbringen. Für das
Unternehmen ist es jedoch nicht zwingend notwendig, alle Aktivitäten intern selbst zu
erbringen, sondern es sollte sich auf die Aktivitäten fokussieren, die den größten
Wertbeitrag bringen, bzw. auf solche, in denen es dem Unternehmen möglich ist, durch
Alleinstellungsmerkmale nachhaltig wirksame Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen
Marktteilnehmern, d. h. Partnern und Mitbewerbern, aufzubauen. Welche Teile der
677 vgl. Shafer, S. M., et al. (2005), S. 203.
Phasen des Innovationsprozesses 257
Wertschöpfung dabei selbst erbracht und welche Teile an Wertschöpfungspartner wie
zum Beispiel Lieferanten, Kooperationspartner oder sogar Kunden übertragen werden, ist
Teil des Entscheidungsprozesses, der zum neuen Geschäftsmodell führt. Genauso muss
beschrieben werden, worin im Geschäft die Ertragsquellen liegen, wie das Unternehmen
im Tagesgeschäft Gewinn erzielt und wie der Mechanismus der Gewinnerzielung genau
funktioniert.
Eine neue Geschäftsidee oder -strategie ist daher immer auch mit der Realisierung eines
passenden Geschäftsmodells verbunden. Auf den Punkt gebracht ist eine neue
Geschäftsidee nichts anderes als eine grobe, unspezifizierte Definition eines Geschäfts,
die es weiter zu konkretisieren, zu plausibilisieren und in Form eines Geschäftsmodells zu
realisieren gilt.
Neben der Beschreibung der Inhalte dient das Geschäftsmodell in diesem Prozess nicht
nur als Gestaltungsrahmen zur vereinfachten Abbildung und Konkretisierung einer
Geschäftsidee oder Geschäftsstrategie, sondern gibt auch Orientierung, da es eine klare
Zweckorientierung aufweist. Bei richtiger Anwendung kann es nicht passieren, dass im
Verlauf der Strategiediskussion der Inhalte der Zweck unternehmerischer Tätigkeit, d. h.
die gesellschaftliche Nutzenstiftung, die Gewinnerzielung und die nachhaltige
Absicherung der Wettbewerbsposition, aus den Augen verloren wird.
Neben der Frage, wie unter der Nutzung von Geschäftschancen und der Verfolgung einer
bestimmten Geschäftsstrategie auf dem Markt für alle Anspruchsgruppen Wert geschaffen
wird, muss das Geschäftsmodell auch erklären, wie diese Zielsetzung erreicht werden soll.
Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die wertschöpfenden Aktivitäten des
Unternehmens ausgestaltet und Wettbewerbsvorteile geschaffen werden.
Um in der Praxis strategische Themen wie Kundenorientierung oder Kostenführerschaft
in die Tat umzusetzen, bedarf es eines ausgeklügelten Systems an Aktivitäten. Es ist das
Zusammenspiel der verschiedenen Aktivitäten, die eine Strategie zum Leben erweckt,
denn die Realisierung einer Strategie bedingt die Durchführung von Aktivitäten und das
Zusammenwirken der einzelnen Teilelemente, d. h. die Kombination der Aktivitäten.678
Sich von anderen Marktteilnehmern zu differenzieren, heißt, andere Aktivitäten zu setzen
oder einzelne Aktivitäten anders durchzuführen oder anders zu kombinieren.679
Die Neukonfiguration von Ressourcen und Fähigkeiten bzw. die Neuorganisation des
678 vgl. Porter, M. E. (1996a), Porter, M. E. (1996b), Porter, M. E. und Siggelkow, N. (2008) 679 vgl. Porter, M. E. (1996b), Porter, M. E. und Siggelkow, N. (2008)
258 Phasen des Innovationsprozesses
Aktivitätensystems hat aber auch soziale Implikationen. Wandlungsfähigkeit setzt
Veränderungsbereitschaft voraus. Menschen müssen erlernte Routinen und
Verhaltensweisen ändern und sich gegebenenfalls neues Wissen aneignen bzw. neue
Routinen lernen. Es geht nicht allein um das Management von Ressourcen, sondern auch
um das Management der Kultur und der mentalen Modelle der Menschen, zum Beispiel
indem Mitarbeiter von der Notwendigkeit der Veränderung überzeugt werden. Eine
besondere Rolle kommt der Kommunikation und dem Führungsverhalten der Manager zu,
denn nur so können Widerstände überwunden und die Neuausrichtung kann
bewerkstelligt werden.680
Das Geschäftsmodell bietet sich als Gestaltungsrahmen an, um die externe Positionierung
in ein kohärentes System operativ wirksamer Strukturen und Prozesse überzuführen. Die
Ressourcen und Fähigkeiten sind dabei die kleinsten Bausteine, auf denen das
Wertschöpfungssystem ruht. Durch die intelligente Kombination der Ressourcen und
Fähigkeiten werden Aktivitäten ermöglicht, die durch ein entsprechendes Angebot
größtmöglichen Kundennutzen, eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt,
langfristiges Wachstum und nachhaltige Rentabilität sicherstellen sollen.
Daran schließt die Frage an, welche Aktivitäten durch das Unternehmen selbst erbracht
werden und welche an externe Wertschöpfungspartner übertragen werden. Das
Geschäftsmodell beschreibt das gesamte interorganisationale Aktivitätensystem und wie
das Unternehmen die Transaktionsbeziehungen zu seinen Partnern gestaltet. Dabei geht es
um Fragen der Koordination und Verknüpfung der einzelnen Aktivitäten und
Wertschöpfungsschritte. Porters Modell zur Analyse der Wertkette kann dabei gute
Dienste leisten, indem es dem Unternehmen festzulegen hilft, welche Aktivitäten es selbst
durchführen wird und welche ausgegliedert werden.
680 vgl. Kapitel 19.5
Phasen des Innovationsprozesses 259
Finanz- und Rechnungswesen
Informationstechnologie
Personalmanagement
Vertrags- undSchadenservice
Produkt-Entwicklung
Vertriebs-steuerung
VertriebKey-AccountManagement
VertriebsdienstUnternehmen
RW
Informationstechnologie
Personal
RW
Personal
Vertragshändler
Abbildung 58: Wertkette der Kooperation mit der Automobilwirtschaft
Wie den Fallstudien zu entnehmen ist, hat keines der Unternehmen alle Aktivitäten selbst
erbracht, sondern auf ein Netzwerk von Wertschöpfungspartnern gesetzt.
Der „Gebrauchtwagen-Marktplatz“ hat einen Großteil der Informationstechnologie an das
Partnerunternehmen ausgelagert. Die Direktversicherung hat die gesamte Vertrags- und
Schadenbearbeitung wie auch die Informationstechnologie und Teile des
Rechnungswesens an eine andere Konzerngesellschaft ausgelagert. Für die
Onlinewerbung und die Kundenansprache hat sich das Unternehmen auf
Vergleichsportale und Onlinewerbenetze verlassen. Wesentliche Kernaktivitäten der
Direktversicherung waren die Produktentwicklung und das Marketing sowie die Wartung
des Internetauftritts. Zur Durchführung der Kooperation mit der Automobilwirtschaft
wurden nur die Vertrags- und Schadenbearbeitung, die Produktentwicklung und das
Keyaccountmanagement selbst durchgeführt. Die Aktivitäten Vertriebssteuerung und
Vertrieb wurden durch die Partnerunternehmen, d. h. die Versicherungsdienste und die
Vertagshändler der Automobilhersteller, durchgeführt.681
Besondere Bedeutung kommt der Informationstechnologie zu, die dafür sorgen muss, die
einzelnen Aktivitäten zu verbinden, damit der arbeitsteilige Prozess der Wertschöpfung
effizient und reibungslos funktionieren kann.
18.4 Innovation als fortlaufender Managementprozess
Die Geschäftsmodellinnovation im Sinne der Realisierung neuer Geschäftsideen in Form 681 vgl. Abbildung 58
260 Phasen des Innovationsprozesses
innovativer Geschäftsmodelle verlangt nach einem neuartigen Managementprozess, der
seiner Natur und seinem Inhalt nach durch ein hohes Maß an Flexibilität und Dynamik
gekennzeichnet ist.682
“The business model has to be managed and developed over time. This is how
the process perspective is included.”683
Dieser Prozess beinhaltet neben rationalen Entscheidungsmechanismen und der
Gestaltung der inhaltlichen Dimensionen eines Geschäftsmodells im Zeitablauf auch die
Einbeziehung sogenannter „weicher Faktoren“, wie beispielsweise die Überwindung
kultureller Vorbehalte und politischer Hemmnisse.
‟These [management] processes include the bridging of cognitive, cultural and
political obstacles, and are issues managers deal with on a regular basis, for all
components of the [business] model, and claims that we need all three
[perspectives: content, context and process] in order to understand the factors
of success and failure.”684
Von den Managern werden neben unternehmerischem Denken und Handeln auch
Kreativität und Offenheit verlangt, um die bisherige dominante Geschäfts- und
Branchenlogik zu überwinden685 und die Chancen, die sich aus der Unsicherheit und
Dynamik des Wettbewerbsumfelds ergeben, zu nutzen.686
“The central tasks of managers are in the discovery or creation of new business
opportunities, accumulation of distinct resources, and the successful
exploitation of the two.”687
Das Management liefert dann einen wertvollen Beitrag zum Unternehmenserfolg, wenn es
die Umwelt im Blick behält, sich ergebende Chancen nutzt und Gefahren abwendet.688
Wooldridge und Floyd (1990) sehen die Rolle des mittleren Managements darin, die
organisationale Fähigkeit des Unternehmens dazu einzusetzen, Geschäftschancen zu
682 vgl. Bresser, R. K., et al. (2000) 683 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 54. 684 vgl. Ibid. 685 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1986), Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1995) 686 vgl. McGrath, R. G. und MacMillan, I. (2000), S. 1, Shane, S. und Venkataraman, S. (2000), Stopford, J.
(2001) 687 vgl. Chakravarthy, B., et al. (2003b), S. 233. 688 vgl. Barney, J. B. (1991), Mahoney, J. T. (1995)
Phasen des Innovationsprozesses 261
identifizieren, entsprechende strategische Initiativen zur Realisierung dieser
Geschäftsmöglichkeiten zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass die organisationalen
Fähigkeiten dahin gehend weiterentwickelt werden, dass sich bietende Chancen auch
genutzt werden können.
Die Geschäftsmodellinnovation ist somit eine Antwort auf die seit einigen Jahren in der
wissenschaftlichen Literatur erhobene Forderung, wonach die Gestaltung der
strategischen Prozesse in Unternehmen einem unternehmerischen Ansatz folgen sollte689,
wodurch strategisches Management und Entrepreneurship zu einer Strategic
Entrepreneurship690 oder Corporate Entrepreneurship691 integriert werden würden.692
Ein verbindendes Element dieser Forschungsströmungen ist die Innovation. Im
Entrepreneurshipfeld, das in der Tradition von Schumpeter steht, zeichnet sich agiles
Unternehmertum vor allem durch das Vorantreiben von Innovationen aus.693 Innovation
wird als der entscheidende Faktor und Motor des unentwegten Strebens nach Wert- bzw.
Profitgenerierung angesehen.
Genauso wie die Geschäftsmodellinnovation steht dieses Entrepreneurial Strategizing für
den Prozess des kreativen Entdeckens und konsequenten Ausnutzens von bislang nicht
genutzten Geschäftsideen. Es steht auch für das Aneignen, Entwickeln und das
Neukonfigurieren der zur Erbringung der Wertschöpfung erforderlichen Ressourcen und
Fähigkeiten, d. h. durch die einzigartige Konfiguration der wertschöpfenden Aktivitäten
innovative Geschäftsmodelle zu entwerfen, die im Wettbewerb mit anderen Unternehmen
möglichst nachhaltige Vorteile bieten.
Hinter dem Modus des Entrepreneurial Strategizing steht ein spezifisches
unternehmerisches Denken, das die Chance bietet, in konstruktiver Weise Veränderungen
im Kontext des Unternehmens zu nutzen. Nach Schumpeter kann diese kreative
Zerstörung der bestehenden Regeln des Geschäfts einer neuen unternehmerischen Idee
zum Durchbruch verhelfen.694
689 vgl. McGrath, R. G. und MacMillan, I. (2000) 690 vgl. Hitt, M. A., et al. (2001) 691 vgl. Burgelman, R. A. (1983) 692 vgl. Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1994) 693 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 694 vgl. Ibid.
262 Phasen des Innovationsprozesses
Mit dem Entrepreneurial Strategizing ist auch eine spezifische Art der Prozessgestaltung
in einem sehr instabilen und unsicheren Umfeld verbunden.695 Nach bisherigem Stand der
Forschung folgen inkrementelle Innovationen wie zum Beispiel Produktinnovationen
einem klar definierten Projektplan, der eine lineare Abfolge von Design- und
Entscheidungsphasen darstellt.696 Im Gegensatz dazu sind Projekte, die einer neuen
Geschäftsidee zum Durchbruch verhelfen sollen, von einem hohen Maß an Unsicherheit
und kleinen Anpassungsschritten geprägt. Der Innovationsprozess ist nur grob
strukturiert, nicht linear, sondern iterativ, teilweise inkrementell, teilweise stochastisch
und durch die Initiative der mitwirkenden Personen geleitet.
Spiegelbildlich zur Dynamik des Umfelds müssen die Gestaltung, Implementierung und
Veränderung der Geschäftsstrategie und Organisation als kontinuierlicher Prozess
verstanden werden, der die Wandlungsfähigkeit sicherstellt und Innovationen vorantreibt.
“In these circumstances, stable end-states are illusory and the re-thinking of
strategy and form of organisation becomes more or less continuous.”697
Whittington, Pettigrew et al. veranlasst dies vor dem Hintergrund dieses neuen
Managementprozesses, die Nomen Organisation und Strategie über Bord zu werfen und
stattdessen in der aktiveren Sprache der Gerundien von Strategieren („Strategizing“) und
Organisieren („Organizing“) zu sprechen.698 Damit rücken neben den konkreten Inhalten
neu formulierter Geschäftsstrategien und Geschäftsmodelle auch der gesamte
Entstehungs- und Veränderungsprozess mit ins Blickfeld. Dazu gehören alle Aktivitäten,
Entscheidungen und Akteure, die auf den verschiedenen Ebenen der Organisation, in den
Prozess der Formulierung und Realisierung von Geschäftsstrategien und
Geschäftsmodellen eingebunden sind.
Schon Penrose (1959) betonte in diesem Zusammenhang die Rolle des mittleren
Managements, denn es ist die ‟[…] experience of management [that] will effect the
productive services that all resources are capable of rendering […]”.699 Obwohl im RbV
nicht explizit ausgesprochen sind es die Manager, denen die Auswahl und die
Kombination der Ressourcen und Fähigkeiten obliegen und die folglich für die
695 vgl. Leifer, R. und Rice, M. (1999) 696 vgl. dazu das Stage-Gate-Modell nach Cooper, R. G. (1990) wie auch Cooper, R. G. und Kleinschmidt,
E. J. (1996) 697 vgl. Pettigrew, A. M. und Fenton, E. M. (2000), S. 16, Pettigrew, A., et al. (2002) 698 vgl. Whittington, R., et al. (1999) 699 vgl. Penrose, E. (1959), S. 5.
Phasen des Innovationsprozesses 263
Wertgenierung im Unternehmen verantwortlich zeichnen.700 In der Form eines
prozessualen Strategieverständnisses hat diese Perspektive in den letzten 20 Jahren auch
Einzug in die wissenschaftliche Diskussion gehalten, wie die stetig wachsende Literatur
im Forschungszweig der Strategieprozessforschung701 dokumentiert. Im Gegensatz zur
traditionellen Sicht wird Strategiearbeit dabei nicht nur als formaler, intendierter Prozess
der Formulierung und Implementierung einer Strategie durch die Geschäftsleitung
begriffen, sondern als Prozess kollektiver Anstrengung vieler Akteure auf
unterschiedlichen Ebenen der Hierarchie.
“The shaping, implementing, and changing of strategies requires the
paradoxical blend of top-down and bottom-up efforts, planned and emergent
actions, autonomy and collectivism in both decision-making and action
taking.”702
Um sich an die rasch verändernden Gegebenheiten im Unternehmensumfeld anzupassen,
bedarf es schneller und radikaler Richtungsänderungen. Fundamentale Veränderungen des
Geschäftsmodells bedingen nicht nur Anpassungen im Angebot, d. h. von Produkten und
Dienstleistungen, sondern auch neue Wege im Ertragsmodell, den
Organisationsstrukturen und den Geschäftsprozessen, der Kultur und der mentalen
Modelle im Kopf der im Unternehmen tätigen Menschen.703
„Eine der Lehren aus dem Strategieprojekt ist gewesen: Man muss so etwas
regelmäßig machen. Jetzt schauen wir uns regelmäßig an, welche Trends den
Automarkt, die Autoindustrie und die Kfz-Versicherung prägen, und entwickeln
daraus Produktideen. Das wollen wir jetzt kontinuierlich weiterpflegen, damit
wir wissen, was auf uns zukommt. Wir machen dazu in der Abteilung
Workshops, wo wir versuchen, die einzelnen Trends, die in der
Automobilwirtschaft, im Markt und bei Kunden entstehen, zu identifizieren und
die Auswirkungen für unsere beiden Geschäftsmodelle zu bewerten. Da muss
man sich die Bewegungen fünf Jahre zurück und fünf Jahre voraus ansehen, um
die Bewegungen zu sehen. Im Alltag hat man dazu gar keine Zeit.“704
700 vgl. Wooldridge, B. und Floyd, S. W. (1990), Makadok, R. (2001) 701 vgl. Doz, Y. L. und Prahalad, C. K. (1987), Chakravarthy, B. S. und Doz, Y. L. (1992), Mintzberg, H.
und Lampel, J. (1999), Chakravarthy, B. und White, R. E. (2001), Chakravarthy, B., et al. (2003b) 702 vgl. Chakravarthy, B., et al. (2003a) 703 vgl. Forge, S. (1993) 704 vgl. Interviewpartner FB2
264 Phasen des Innovationsprozesses
Je nach der Umweltdynamik können sich diese Anpassungen einerseits kontinuierlich-
evolutionär, aber andererseits zeitweise auch sprunghaft und diskontinuierlich vollziehen,
denn wie die Untersuchung der Fallstudien gezeigt hat, weisen die verschiedenen Phasen
im Lebenszyklus eines Geschäftsmodells unterschiedliche Modi auf. Phasen sprunghafter
und diskontinuierlicher Veränderung wechseln sich mit Phasen inkrementeller,
evolutionärer Anpassungsschritte ab. In Übereinstimmung mit früheren Arbeiten ist mit
zunehmender Reife des Geschäftsmodells eine Verringerung der
Geschäftsmodellinnovationen zu registrieren.705
Jedoch lassen die Ergebnisse den Schluss zu, dass ein Zustand der Stabilität vermieden
werden sollte und die Anpassungsgeschwindigkeit zumindest die Veränderungsrate des
Unternehmensumfelds widerspiegeln sollte, da sonst die Gefahr der Versteinerung und
der Lähmung unternehmerischer Initiative droht. Außerdem muss davor gewarnt werden,
den Prozess der Geschäftsmodellinnovation mit zunehmender Reife des Geschäftsmodells
versanden zu lassen, da gerade gegen Ende des Lebenszyklus eines Geschäftsmodells
Gefahr durch neue Anbieter oder alternative Geschäftsdesigns droht.
Um diese Aussage zusätzlich zu unterstreichen, sei darauf hingewiesen, dass sich der
Lebenszyklus von Geschäftsmodellen zunehmend verkürzt. Geschäftsmodelle veralten im
heutigen dynamischen Umfeld viel schneller als in der Vergangenheit, als ein
Geschäftsmodell durchaus mehrere Jahrzehnte Bestand haben konnte.706 Aktuelle Studien
deuten darauf hin, dass ein Geschäftsmodell bereits nach zwei bis drei Jahren seine
Reifephase erreicht hat und sich der durchschnittliche Lebenszyklus auf fünf bis sieben
Jahre verkürzt hat.707 Daher sollte das Management fortlaufend, spätestens jedoch alle
drei Jahre überlegen, ob das aktuelle Geschäftsmodell zu modifizieren ist, denn die Arbeit
am Geschäftsmodell bzw. der Prozess der Geschäftsmodellinnovation ist nie
abgeschlossen. Nur durch ständige Innovation kann sich ein Unternehmen gegenüber
Mitbewerbern abheben und so überdurchschnittliches Wachstum und
überdurchschnittliche Ertragskraft sicherstellen.
18.5 �utzen- und Effizienzmaximierung
Nachhaltige Wettbewerbsvorteile können auf einer starken Wettbewerbsposition, einem
überlegenen Angebot für den Kunden oder der effizienteren Konfiguration und
Koordination der dazu nötigen Ressourcen und Fähigkeiten beruhen. Folglich bietet sich
das Geschäftsmodell als Ordnungs- und Gestaltungsrahmen zur ganzheitlichen 705 vgl. Meinhardt, Y. (2002), S. 354. 706 vgl. Slywotzky, A. J. (1997) 707 vgl. Mercer (2004)
Phasen des Innovationsprozesses 265
Optimierung dieser unterschiedlichen Werttreiber an, um so die konkurrierenden, jedoch
für den wirtschaftlichen Erfolg eines jeden Unternehmens entscheidenden Determinanten,
nämlich die wirtschaftliche Effizienz und die Nutzenstiftung für alle wichtigen
Stakeholder, in Einklang zu bringen und auf diese Weise nachhaltig profitables Wachstum
zu realisieren. Die empirischen Ergebnisse lassen hier den Schluss zu, dass es hinsichtlich
des Inhalts und der Gestaltung von Geschäftsmodellen zwei vordergründige
Optimierungskriterien gibt: Nutzen und Effizienz.708
Effizienz
NutzenDefinition des
Geschäfts(Produkt/Markt)
Konfiguration desAktivitätensystems
Ertragslogik
Erlöse
Kosten
nachhaltigprofitablesWachstum
Effizienz
NutzenDefinition des
Geschäfts(Produkt/Markt)
Konfiguration desAktivitätensystems
Ertragslogik
Erlöse
Kosten
nachhaltigprofitablesWachstum
Abbildung 59: Das Geschäftsmodell als Optimierungsrahmen709
Während Amit und Zott (2001) mit Novelty, Lock-in, Complementarity und Efficiency
vier Werttreiber für den Erfolg eines Geschäftsmodells ausgemacht haben, bin ich der
Meinung, dass Effektivität, Effizienz und Kohärenz des Geschäftsmodells für den
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg, ausgedrückt durch Nutzen, Rentabilität
und Wachstum des Geschäftsmodells, ausschlaggebend sind. Letztendlich entscheidet
sich der Erfolg und Misserfolg des Geschäftsmodells eines Unternehmens in diesen drei
Kriterien.
1. Die Effektivität entscheidet darüber, wie viel Nutzen bzw. Mehrwert für die
relevanten Anspruchsgruppen, in erster Linie natürlich die Kunden des
Unternehmens, aber auch Partner, Lieferanten und Eigentümer, geschaffenen
wird. Nutzen ergibt sich dabei durch eine möglichst gute Übereinstimmung
zwischen den externen Gegebenheiten des Markts, den Erwartungen sowie
Bedürfnissen der Kunden und den angebotenen Produkten und Leistungen. Die
Neuartigkeit, Einzigartigkeit und Effektivität der angebotenen Leistungen
708 vgl. Abbildung 59 709 Eigene Darstellung
266 Phasen des Innovationsprozesses
können die Effektivität und damit den generierten Nutzen des gesamten
Geschäftsmodells erhöhen.
2. Das Kriterium der Effizienz bezieht sich für mich vor allem auf die
Ausgestaltung der wertschöpfenden Strukturen und Prozesse. Je effizienter die
externen Erwartungen befriedigt werden können, desto weniger Nutzen bzw.
Mehrwert geht verloren. Entscheidend sind hierfür die Art und Weise, wie die
Wertschöpfungsorganisation konfiguriert und koordiniert wird, welche
Aktivitäten selbst oder gemeinsam mit Partnern erbracht werden. Es genügt also
nicht allein, das richtige Angebot bereitzuhalten, sondern genauso wichtig ist,
wie die Leistung erbracht wird, ob der Prozess der Wertschöpfung
wirtschaftlich ist und Gewinnerzielung erlaubt.
3. Für den Mechanismus der Gewinnerzielung ist die Kohärenz zwischen dem
nach dem Kriterium der Effizienz ausgestalteten Wertschöpfungssystem und
dem nach dem Kriterium der Nutzenmaximierung ausgestalteten
Leistungsangebot entscheidend. Die Kohärenz zwischen den Elementen
determiniert, wie viel Nutzen bzw. Wert sich das Unternehmen nach Abzug
aller Aufwendungen als ökonomischen Gewinn aneignen kann. Für Kohärenz
zu sorgen, heißt, einen guten und logischen Zusammenhalt zwischen den
einzelnen Elementen herzustellen bzw. die eigentliche innere Logik des
Geschäfts zu bestimmen, d. h. die richtige Abwägung zwischen
Nutzenmaximierung und Effizienzmaximierung zu treffen und ein nachhaltig
funktionierendes Geschäftsmodell zu konzipieren. Ein weiterer Aspekt ist die
zeitliche und externe Kohärenz, die darüber entscheidet, ob das
Geschäftsmodell längerfristig ertragreich ist.
Um den Erfolg eines Geschäftsmodells zu erklären, reicht es nicht aus, nur einen der
beiden Faktoren Nutzen oder Effizienz zu optimieren bzw. in Einklang zu bringen.
Vielmehr besteht zwischen beiden Konstrukten eine Beziehung und es müssen Nutzen
und Effizienz in möglichst optimaler Weise miteinander verknüpft werden. Es gilt, ein
möglichst optimales Maß an Konsistenz zu erzielen und vor allem auch zu erhalten. Die
Konfiguration aus nutzenstiftenden Elementen bei gleichzeitiger Berücksichtigung eines
Höchstmaßes an Effizienz im Prozess der Leistungserbringung bildet die Essenz, die
letztlich darüber entscheidet, ob die gewählte Geschäftslogik erfolgreich ist oder nicht.
Nach dem Primat ökonomisch sinnvollen Handelns sind zwei Varianten denkbar, wie
unter Verfolgung der Zielkriterien Nutzen und Effizienz eine möglichst optimale interne
Logik des Geschäfts bewerkstelligt werden kann. Entsprechend handelt es sich bei der
Phasen des Innovationsprozesses 267
Gestaltung eines Geschäftsmodells im Kern um ein Optimierungsproblem, wobei eine
wirtschaftlich sinnvolle Kombination aus dem marktseitig wirkenden Angebot für
bestimmte Markt- und Kundensegmente, der Ausgestaltung und Koordination der eigenen
und fremden Wertschöpfungsaktivitäten und der Erwartungen aller wichtigen
Anspruchsgruppen zu finden ist.
Einerseits kann von den Bedürfnissen und der Nutzenerwartung der Kunden, Partner,
Lieferanten und anderen wichtigen Anspruchsgruppen ausgehend nach der effektivsten
Form des Wertschöpfungssystems gesucht werden, indem definiert wird, welche
Ressourcen und Fähigkeiten im Unternehmen und im bestehenden Netzwerk aus Partnern
und Lieferanten vorhanden sind. Der Zugang zu allen fehlenden Produktionsfaktoren
muss unter Erweiterung des Wertschöpfungsnetzwerks im Rahmen neuer Partnerschaften
oder Lieferantenbeziehungen sichergestellt oder vom Unternehmen selbst geschaffen oder
erlernt werden. Darüber, welcher der beiden Wege zielführender ist und gegangen werden
soll, entscheidet das Zielkriterium der Effizienz. Im Sinne des ökonomischen Prinzips,
vereinfacht ausgedrückt, ist in diesem Fall nach dem Minimumprinzip vorzugehen, das
besagt, dass der angestrebte Nutzen mit möglichst geringen Mitteln, d. h. mit einem
möglichst geringen Einsatz von Ressourcen und Fähigkeiten unter Ausnützung einer
möglichst effizienten Architektur der Wertschöpfung, erzielt werden soll.
Andererseits ist auch die umgekehrte Vorgehensweise denkbar. Ausgehend von
bestehenden Kunden-, Lieferanten- und Partnerbeziehungen und der gegebenen
Ausstattung mit Ressourcen und Fähigkeiten kann nach Wegen gesucht werden, die zu
einer effizienteren Strukturierung führen. Dadurch werden Nutzen- und Wertpotenziale
freigesetzt, die nach Ermessen des Unternehmens unter den verschiedenen
Anspruchsgruppen (Kunden, Partnern, Lieferanten, Mitarbeitern) aufgeteilt oder für die
Eigentümer einbehalten werden. Diese Vorgehensweise lässt sich mit dem
Maximumprinzip beschreiben, welches besagt, dass aus einem bestehenden Input und mit
gegebenen Mitteln ein Maximum an Nutzen und Wert für die am Prozess der
Wertschöpfung beteiligten Akteure710 geschaffen werden soll. Es muss aber hinzugefügt
werden, dass ein vermeintlich besseres Leistungsangebot, das aber womöglich mit
zusätzlichen Kosten verbunden ist, für den Kunden nicht immer von größerem Nutzen
sein muss.711 Die Konzeption des Angebots sollte sich daher in erster Linie an den
Bedürfnissen der Kunden und nicht an Effizienzüberlegungen des Unternehmens
orientieren.
710 Zu denen, im Sinn der durchgehenden Wertschöpfungskette, auch die Kunden gezählt werden. 711 vgl. Christensen, C. M. (1997)
268 Phasen des Innovationsprozesses
Abbildung 60: Wertkurve von Billigfluglinien712
Um den Prozess der Nutzen- und Effizienzoptimierung dahin gehend zu unterstützen,
bietet sich die von den Professoren Kim und Mauborne am INSEAD in Fontainebleau
beschriebene Methodik der Wertkurve als strategisches Entwicklungswerkzeug an.713
„Diese gibt bildlich wieder, auf welche Art und Weise eine Firma oder die
ganze Branche ihr Angebot an die Käufer gestaltet. Sie zeigt die
Marktergebnisse eines Angebots in Relation zu Alternativangeboten und
bewertet die Differenz nach den jeweiligen Erfolgsfaktoren in der betreffenden
Branche bzw. Produktkategorie.“714
Es kann dabei helfen, ein innovatives, marktfähiges Angebot zu konzipieren, das für den
Kunden gegenüber alternativen Leistungskonzepten ein überlegenes Preis-Leistungs-
Verhältnis aufweist. Der Schlüssel zur Entwicklung einer neuen Wertkurve liegt
prinzipiell in der Beantwortung der nachfolgenden vier Fragestellungen:
1. Reduzieren: Welche Merkmalsausprägungen sollten deutlich unter die
Branchennorm gesenkt werden?
712 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2002), S. 7. 713 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1997) 714 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 404.
Phasen des Innovationsprozesses 269
2. Eliminieren: Welche der Merkmale sollten wegfallen, die in der Branche
bislang als unentbehrlich galten?
3. Anheben: Welche Merkmale sollten deutlich über den Branchenstandard
angehoben werden?
4. Kreieren: Welche Merkmale sollten neu entwickelt werden, die bislang in der
Branche noch nicht geboten wurden?
Auf Basis der empirischen Erkenntnisse sind in Bezug auf den tatsächlichen, real
gegebenen Verlauf der Geschäftsmodellierung einige Einschränkungen zu machen.
Wie bereits festgehalten wurde, würden die empirischen Ergebnisse der Annahme
vollkommen rationalen Handelns widersprechen. Vielmehr ist es zutreffend, ein bedingt
rationales (bounded rational715), opportunistisches Agieren zu unterstellen. Darüber
hinaus sind gar nicht alle Informationen, Ressourcen und Fähigkeiten zu jeder Zeit
vollständig vorhanden und mobil, die zum Erreichen eines optimalen Zustands nötig
wären. Das Ergebnis der Maximierung muss daher als in einem gewissen Maß
kontextabhängig betrachtet werden.
Wie anhand der Fallstudien gezeigt werden kann, wird in der Praxis das Geschäftsmodell
als heuristischer Gestaltungs- und Optimierungsrahmen eingesetzt, der dazu gedacht ist,
den Versuch zu unternehmen, sich in Richtung eines optimalen Zustands zu bewegen, der
aber nie dauerhaft erreicht werden kann.
Neben der Abhängigkeit von einem bestimmten räumlichen Kontext finden
Geschäftsmodellinnovationen nicht in einem statischen, sondern in einem dynamischen
Umfeld statt, in dem die Bedingungen und Strukturen des Wettbewerbs wie auch die
Verfügbarkeit und der Zugang zu Ressourcen und Fähigkeiten steten Veränderungen
unterliegen.
Da sich die internen und externen Inputfaktoren der Maximierungs- und
Optimierungsheuristik im Zeitablauf laufend verändern, kann auch das Ergebnis, d. h. das
Geschäftsmodell des Unternehmens, nicht als konstanter Gleichgewichtszustand
betrachtet werden, sondern bedarf einer ständigen Anpassung und Überarbeitung. Sobald
sich nur einer der zugrunde liegenden Faktoren wie zum Beispiel die Erwartungshaltung
der Kunden oder der Preis einer Ressource verändert, muss das gesamte System überprüft
und gegebenenfalls so schnell wie möglich angepasst, d. h. optimiert, werden, wenn die
daraus resultierende Veränderung ein gewisses Maß übersteigt.
715 vgl. zur Annahme bedingt rationaler Akteure vgl. Simons, H. (1959)
270 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
19 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
Durch die vergleichende Analyse der drei Fallstudien „Gebrauchtwagen-Marktplatz“,
„Direktversicherung“ und „Kooperation mit der Automobilwirtschaft“ konnten mehrere
Praktiken und Prozesse identifiziert werden, von denen anzunehmen ist, dass sie einen
positiven Beitrag zur erfolgreichen Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation leisten
können. Gleichzeitig werden diese erfolgskritischen Prozesse als die übergeordnete
organisationale Kompetenz zur Geschäftsmodellinnovation verstanden, die aus
verschiedenen hierarchisch organisierten Subprozessen und Subroutinen besteht.
Es wird aufgezeigt, welche Probleme sich in den einzelnen Phasen einer
Geschäftsmodellinnovation ergeben und durch welche Maßnahmen diese Hürden und
Widerstände erfolgreich genommen werden können. Die verschiedenen Fähigkeiten sind
eng miteinander verwoben und stehen zueinander in Wechselbeziehung. In den
nachfolgenden Kapiteln wird gezeigt, wie die einzelnen Faktoren zusammenhängen und
welche kumulativen Auswirkungen sie auf den Prozess der Geschäftsmodellinnovation
haben.
Ein zentrales Charakteristikum dieses Prozesses ist, dass es sich dabei um ein komplexes
Vorhaben handelt, das mit viel Unsicherheit behaftet und nur teilweise strukturiert ist.
Gleichzeitig stellt dieser Prozess das fehlende Glied zwischen der Makroebene des
strategischen Managements und der Mikroebene der praktischen Durchführung
strategischer Inhalte dar. Außerdem stellt der Prozess hohe Anforderungen an die
Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft von Unternehmen und ist nur schwierig zu
managen. Im Mittelpunkt stehen der Aufbau und die Weiterentwicklung eines Bündels
besonderer „immaterieller Assets“ und Kompetenzen (distinct competences).
19.1 Aneignung von Fähigkeiten
Für die erfolgreiche Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation muss eine Vielzahl
benötigter Ressourcen und Fähigkeiten in entsprechender Qualität und Quantität
vorhanden sein. Besondere Bedeutung kommt dabei den Humanressourcen, d. h. den am
Innovationsprozess mitwirkenden Menschen, zu. Qualität ist hier eine Funktion des
Wissens bzw. des Know-how (Fähigkeiten) und der persönlichen Einstellung der
Mitarbeiter im Unternehmen.
Wie in Kapitel 6.3.2 gezeigt wurde, ist Wissen nicht nur eine Ressource, sondern kann im
Sinne von Know-how auch eine organisationale Fähigkeit darstellen. Wissen stellt also
per se noch keinen Erfolgsgaranten dar. Erst durch die Anwendung des Wissens, etwa
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 271
indem neue Kombinationen von Ressourcen und Fähigkeiten gefunden und dadurch
bestehende Aktivitäten verbessert oder neue Aktivitäten ermöglicht werden, kann das
Wissen in Wettbewerbsvorteile verwandelt werden.
Wie sich gezeigt hat, setzt die erfolgreiche Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation
ein besonderes Wissen, genauer gesagt ein spezifisches Know-how oder organisationale
Fähigkeit, voraus, die Winter (2003) wie folgt definiert:
“An organizational capability is a high-level routine (or collection of routines)
that together with its implementing input flows, confers upon an organization’s
management a set of decision options for producing significant outputs of a
particular type.”716
Die organisationale Kompetenz zur erfolgreichen Geschäftsmodellinnovation stellt daher
das spezifische Know-how zur Durchführung der notwendigen Aktivitäten im
Innovationsprozess dar wie zum Beispiel die Definition des Geschäfts, die
Konkretisierung des Geschäftsmodells und die Konfiguration des
Wertschöpfungssystems. Das zu organisationalen Routinen verdichtete kollektive Wissen
einer Organisation gibt ihr die Fähigkeit, ihr kollektives Wissen bzw. die vorhandenen
organisationalen Routinen an sich dynamisch verändernde Rahmenbedingungen
anzupassen.
In der Lage zu sein, eine Geschäftsidee oder -strategie zu realisieren, bedingt, dass die
Organisation bzw. das Projektteam die verlässliche Fähigkeit besitzt, diese gewollten
Handlungen durchzuführen.717 Die Fähigkeit stellt somit die Brücke zwischen der
Intention und dem gewünschten Ergebnis dar.718
Wenn die Organisation diese Fähigkeiten noch nicht besitzt, kann sie die dazu nötigen
Prozesse und Aktivitäten erlernen. Eine fundierte Ausbildung zu Fragen des strategischen
Managements erscheint hier als besonders hilfreich. So fällt auf, dass zwei der
Projektleiter719 unmittelbar vor dem Projekt im Rahmen ihrer Führungsausbildung an
Fortbildungsprogrammen teilnahmen, die die Grundlagen eines strategischen
Managements lehrten. Ein weiterer Projektleiter wurde ausgewählt, weil er bereits zuvor
Strategieprojekte geleitet hatte und entsprechendes Know-how mitbrachte.720 Diese
716 vgl. Winter, S. G. (2003) 717 vgl. Funder, J. (2002), S. 4. 718 vgl. Dosi, G., et al. (2000), S. 2. 719 Interviewpartner ST1 und FB2 720 Interviewpartner FC3
272 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
Projektleiter konnten daher bereits auf ein gewisses Grundwissen zurückgreifen und
dieses Know-how im Lauf der Projekte weiterentwickeln.
Da organisationale Fähigkeiten aber nicht auf das Wissen einzelner Personen, sondern das
kumulative kollektive Wissen einer Organisation abstellen, ist die Ausbildung einzelner
Personen nur ein erster Schritt, um diese Kompetenz in der Organisation aufzubauen.
Entscheidender ist es, diese zur kontinuierlichen Geschäftsmodellinnovation notwendigen
Prozesse und Routinen im Unternehmen zu etablieren und zu verankern, sodass sie Teil
des organisationalen Wissensstands werden.
Dabei stellt jeder neue Versuch, eine Innovation zu realisieren eine weitere Lernschleife
dar.721 Erst durch die mehrmalige Wiederholung dieses Vorgangs und den Übergang zu
kontinuierlichem Lernen (double-loop learning) können die Routinen und Praktiken im
Prozess der Geschäftsmodellinnovation weiterentwickelt und verfestigt werden. Diese
von Masons (1996) als strategisches Lernen definierte Heuristik beschreibt “the process
by which an organization makes sense of its environment in ways that broaden the range
of objectives it can pursue or the range of resources and actions available to it for
processing these objectives”722, denn auch die Verbesserung bestehender Fähigkeiten
kann zu neuen und besseren Kombinationen der Ressourcen und Fähigkeiten eines
Unternehmens führen und eine überlegene Wettbewerbsposition ermöglichen.
Vor dem Hintergrund der Fallstudien bieten sich kontinuierliches Lernen und die
Investitionen in die Fortbildung der Mitarbeiter als besonders lohnende Strategien an.
Auch in der Literatur ist der Wert kontinuierlichen Lernens gut dokumentiert.723
These 1a: Die Organisation kann die dynamische Kompetenz zur
Geschäftsmodellinnovation erlernen, indem sie sich spezifisches Know-how
(Fähigkeiten) aneignet. Dazu ist es notwendig, in der Organisation den Prozess
kontinuierlichen Lernens zu implementieren.
Das Merkmal der Anschlussfähigkeit ist daher von besonderer Bedeutung. Wenn eine
hohe Anschlussfähigkeit zu bestehenden Fähigkeiten gegeben ist, wie dies zum Beispiel
bei der inkrementellen Weiterentwicklung bestehender Fähigkeiten der Fall ist, fällt das
Erlernen neuer Fähigkeiten relativ leicht. Im Gegensatz dazu erscheint das Erlernen neuer,
diskontinuierlicher Fähigkeiten sehr zeitintensiv und im schlimmsten Fall ein mit
Fehlschlägen und Rückschlägen gepflasterter Weg systematischen Ausprobierens zu 721 vgl. Senge, P. M. (1990) 722 vgl. Mason, R. M. (1996) 723 vgl. McGrath, R. G. (2001), Zollo, M. und Winter, S. G. (2002)
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 273
sein.724 So dauerte es einige Zeit, bis die Direktversicherung die nötige Kompetenz im
Onlinemarketing und Onlinevertrieb von Versicherungsprodukten aufgebaut hatte,
obwohl einige Teammitglieder über einschlägige Erfahrungen im Offlinevertrieb und
Marketing verfügten. Der Grund dafür lag in der relativ geringen Anschlussfähigkeit
dieses Wissens an den Onlinevertrieb.
Aneignen von Fähigkeiten Empirischer Befund
Gebrauchtwagen-Marktplatz Zur Unterstützung des kleinen Projektteams wurde
ein externer Berater engagiert. (FB1)
Anfangs war der Zugang zu IT-Ressourcen
schwierig. Man fand eine Lösung, indem die neue
Gesellschaft als Drittkunde deklariert wurde. (FB2)
Die IT-Entwicklung wurde weitgehend an externe
Partner ausgelagert. (FB1)
Direktversicherung Man betrat hier in vielen Bereichen Neuland und
musste erst schrittweise lernen, wie der
Direktvertrieb funktioniert. (FA5)
Es würde ohnedies einige Jahre dauern, den Markt
genauer kennenzulernen. (FA5)
Im Haus sollte entsprechendes eigenes Know-how
aufgebaut werden. (FB5)
Kooperation mit der
Automobilwirtschaft
Das Team musste lernen, wie die Zukunft der
Automobilhersteller und des Absatzes von Pkws
aussieht. (FC3)
Somit würde durch den Austausch von Erfahrungen
und Fähigkeiten für beide Kooperationspartner eine
Win-win-Situation geschaffen. (FC2)
Tabelle 14: Aneignen von Fähigkeiten
Während das Erlernen neuer Fähigkeiten einen schwierigen und langwierigen Prozess
darstellt, erscheint es viel einfacher, die benötigten Fähigkeiten in der notwendigen
724 vgl. Tushman, M. L. und Anderson, P. W. (2002)
274 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
Qualität durch Kooperation und Vernetzung zu erwerben. Beispiele dafür finden sich in
allen drei Fallstudien. Im Fall des Gebrauchtwagen-Marktplatzes sollten externe Berater
ihr Know-how einbringen, die Direktversicherung nutzte bestehende Fähigkeiten in
anderen Konzernbereichen wie zum Beispiel der Schadenabteilung. Für das Projekt
Kooperation mit der Automobilwirtschaft holte man sich externe Berater, die über
spezifisches Know-how in der Automobilwirtschaft und der Systemintegration verfügten.
Dieser empirische Befund deckt sich mit früheren Untersuchungen, die auf die Bedeutung
von Kooperationen und Allianzen zur Beschaffung kritischer Ressourcen und
Kompetenzen hinweisen.725
These 1b: Die Erlangung neuer Fähigkeiten ist daher als Integrations-,
Koordinations- und Lernprozess zu sehen, wobei die Genese neuer Fähigkeiten
als das Produkt der Verknüpfung und Anwendung bestehenden Wissens und
Know-how bzw. vorhandener Fähigkeiten zu verstehen ist.
Die Evolution der Fähigkeiten wird durch das aktuelle soziale Beziehungsgeflecht im
Unternehmen bestimmt. Dieser Prozess kann sowohl exogen wie auch endogen induziert
sein und geplant wie emergent sein. Daher ist es auch möglich, bereits antizipativ
entsprechende Bündel an Fähigkeiten zu erlernen, um sich auf mögliche zukünftige
Umweltverhältnisse einzustellen und präventiv die organisationale Kompetenz zur
Geschäftsmodellinnovation zu verbessern.726
Folglich werden durch gezielte Rekrutierung, ein aktives Human Resources Management
und Kooperationsverhalten der Erwerb und die Entwicklung neuer Fähigkeiten
unterstützt. Allerdings sollte darüber keinesfalls die Weiterentwicklung bestehender
Fähigkeiten vernachlässigt werden.727
19.2 Projektorganisation
Weiters konnten im Rahmen der empirischen Untersuchung zwei Praktiken erfolgreicher
Projektorganisation als wichtige Erfolgstreiber identifiziert werden, nämlich die Auswahl
der Projektmitarbeiter und die Zusammenstellung des Projektteams.
So hat die Analyse der Daten ergeben, dass die Qualität der Mitarbeiter einen der
kritischen Erfolgsfaktoren im Prozess darstellt. 725 vgl. Teece, D. J. (1992), Gulati, R. (1999) 726 vgl. Loasby, B. J. (1998) 727 vgl. Hamel, G. (1991)
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 275
„Ausschlaggebend für unseren Erfolg war sicher das geniale Team. Das waren
alles Brainies und Leute, die offen für 9eues waren. Wir wollten nur solche
Leute, die selbst unternehmerisch dachten. Andere haben wir gar nicht
genommen.“728
Hinsichtlich der gewünschten Einstellung der Mitarbeiter weisen die einzelnen
Fallstudien große Übereinstimmungen auf. Neben der bereits thematisierten
Lernbereitschaft waren folgende Eigenschaften besonders gefragt: Offenheit für neuen
Ideen, die Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen, kreatives unternehmerisches
Denken, freies Assoziieren und Neugier. Wie in Tabelle 15 dargestellt legte jeder
Projektleiter besonderen Wert auf die Offenheit, Kreativität und Einsatzbereitschaft der
Projektteilnehmer.729
These 2a: Die Chance, neue Geschäftsideen und Geschäftsmodelle zu
entwickeln und erfolgreich zu implementieren, steigt mit der Qualität der
Mitarbeiter, d. h. ihrem Wissen bzw. praktischen Know-how und ihrer
persönlichen Einstellung zu Innovationen.
Doch damit die Mitarbeiter ihr volles Leistungsvermögen entfalten können, müssen auch
die Rahmenbedingungen passen. Sowohl das Klima in der Projektgruppe als auch die
Spielräume, Freiheiten und Kompetenzen des Projektteams sind dabei von Relevanz. Wie
in Kapitel 19.5 noch gezeigt wird, kommt dem Management dabei eine entscheidende
Rolle zu.
Projektorganisation Empirischer Befund
Gebrauchtwagen-Marktplatz Offenheit, Kreativität und Innovation wurden nicht
nur zugelassen, sondern aktiv gefördert und
eingefordert. (FB2)
Es wurden unternehmerisch denkende Mitarbeiter
gesucht. (FB1)
Innovationsbereitschaft und Unternehmertum
waren wichtige Kriterien bei der Auswahl der
728 Interviewpartner FA2 729 vgl. Tabelle 15
276 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
Mitarbeiter. (FB2)
Direktversicherung Eigenständig arbeitende Mitarbeiter, die an Neuem
interessiert waren. (FA1)
Engagierte Leute, die an das Projekt glaubten.
(FA2)
Die Auswahl der Mitarbeiter erfolgte entsprechend
den benötigten Fähigkeiten. (FA5)
Kooperation mit der
Automobilwirtschaft
Auf Kreativität und Offenheit wurde Wert gelegt.
Engstirnige Leute konnte man da nicht brauchen.
(FC3)
Gutes Projektmanagement heißt, gute Mitarbeiter
auszuwählen. (FC2)
Wir haben die Leute ganz bewusst auch konträr
gestafft. (FC3)
Tabelle 15: Projektorganisation
Ebenfalls von großer Bedeutung sind die Art und Weise, wie die Zusammenstellung des
Projektteams erfolgt. Die detaillierte Betrachtung der einzelnen Fallstudien offenbart hier
wesentliche Unterschiede:
� Für den Gebrauchtwagen-Marktplatz wurde das Team bewusst klein gehalten
und auf Mitarbeiter aus dem Funktionsbereich Kraftfahrzeugversicherung
beschränkt. Um dennoch eine „externe“ Perspektive zu integrieren, wurde zur
Unterstützung des Innovationsprozesses eine Beratungsfirma beauftragt.
� Im Fall der Internetversicherung war es zeitweise schwierig, Mitarbeiter für das
Umsetzungsprojekt zu finden, da einige nicht an den Erfolg des Projekts
glaubten. Sie hatten Angst, durch das Projekt ihre Zukunft bzw. Karriere zu
verbauen. Auf externe Berater wurde bewusst verzichtet. Erst durch den
persönlichen Einsatz des Sponsors gelang es, Mitarbeiter zu gewinnen, die über
die richtige Einstellung, wichtiges Know-how und gute Kontakte verfügten.
� Im Projekt „Kooperation mit der Automobilwirtschaft“ erfolgte die Auswahl
der Mitarbeiter ganz gezielt durch den Projektleiter. Wo nötig wurden externe
Berater engagiert. Konträre Ansichten waren willkommen.
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 277
Exemplarisch wird hier die Vorgehensweise der gezielten Rekrutierung und
Zusammenstellung des Projektteams für das Teilprojekt „Kooperation mit der
Automobilwirtschaft“ beschrieben, da diese besonders zweckmäßig wirkt.
Einerseits wurde darauf geachtet, dass unterschiedliche Funktionsbereiche und
Sichtweisen im Projektteam repräsentiert waren, denn die verschiedenen funktionalen
Abteilungen eines Unternehmens stellen eigene „Denkwelten“ dar und bringen ihre
gewohnten Denk- und Arbeitsweisen in das Projekt mit ein.730 Die Aufgabe des
Projektmanagements ist es, diese verschiedenen Teilsysteme zu integrieren, damit sie in
einem multifunktionalen Projektteam zusammenarbeiten und gemeinsam Probleme
lösen.731
Darüber hinaus achtete der Projektleiter darauf, dass alle nötigen Fähigkeiten im Team
vorhanden waren. Mitarbeiter wurden nicht nur nach machtpolitischen, sondern auch rein
praktischen Kriterien, d. h. ihrem Know-how, rekrutiert. Um sich darüber hinaus für den
Fall abzusichern, dass im Lauf der Projektarbeit je nach Aufgabenstellung zusätzliche
Ressourcen aus anderen Bereichen kurzfristig abgerufen werden konnten, wurden mit
dem Sponsor entsprechende Spielregeln festgelegt und seine Unterstützung eingeholt.
Letztlich war die Zusammensetzung aber auch durchaus politisch motiviert, damit jede
Fraktion ihre Interessen im Projektteam vertreten sah, denn Projekte können schnell zum
Schauplatz politischer Fehden um Macht und Einfluss konkurrierender Abteilungen
werden.732 Deshalb wurden mit dem Sponsor bereits im Vorfeld Spielregeln für das
Projekt festgelegt, die den Zugang zu Ressourcen, den Entscheidungsprozess und die
Kompetenzverteilung zwischen Projektleitung und Lenkungsausschuss regelten. Indem
bereits im Vorfeld wichtige Weichenstellungen erfolgten und mögliche
Konfliktpotenziale von vornherein reduziert wurden, konnte das Projektrisiko insgesamt
verringert werden. Hier offenbart sich ein weiterer Aspekt, nämlich die Nutzung des
Beziehungsgeflechts einzelner Projektteilnehmer, um internen Konflikten vorzubeugen
und den Zugang zu wichtigen Ressourcen zu erleichtern.
These 2b: Durch die gezielte, opportunistische Zusammenstellung des
Projektteams können die Qualität der Umfeldanalyse und somit die Konsistenz
des Geschäftsmodells verbessert, der Zugang und die Aneignung von
Ressourcen können erleichtert und internen Konflikten kann vorgebeugt
werden, was insgesamt die Projektrisiken reduziert und die Chance auf eine 730 vgl. Dougherty, D. (1992), Dougherty, D. und Heller, T. (1994) 731 vgl. Clark, K. B. und Fujimoto, T. (1991), Dougherty, D. (1992) 732 vgl. Eisenhardt, K. M. und Bourgeois, L. J. (1988)
278 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
erfolgreiche Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation erhöht.
19.3 Analyse des Unternehmensumfelds
Der Prozess der Geschäftsmodellinnovation beginnt mit der sorgfältigen Analyse des
Marktumfelds und den dort herrschenden Wettbewerbsbedingungen, denn wie die
empirische Untersuchung gezeigt hat, setzt die erfolgreiche Anpassung an neue
Wettbewerbsbedingungen die Kenntnis und ein detailliertes Verständnis der
Ausgangssituation und der Einflusskräfte der Umwelt voraus. Daher stehen die
Umfeldanalyse und die Interpretation der externen Veränderungskräfte am Anfang des
Prozesses. Es geht darum, die Bedingungen und Veränderungen im Unternehmensumfeld
zu registrieren, sorgfältig zu interpretieren und so Chancen und Risiken zu identifizieren.
Die sich daraus ergebenden Anpassungen müssen sich schließlich in der neuen
Geschäftsmodellkonfiguration manifestieren, denn sein Geschäft definieren zu können,
setzt voraus, den Markt zu verstehen.
Um abschätzen zu können, wie eine Organisation ihr Umfeld wahrnimmt und zu einem
Verständnis des Markts kommt, sind vier Aspekte entscheidend:733
1. Der Prozess umfasst mehrere Subroutinen wie Datensammeln, -analysieren,
Wissenskonstruktion und Entscheidungsfindung.
2. Der Prozess wird von der dominanten Logik der Branche und den mentalen
Modellen im Unternehmen beeinflusst.
3. Es handelt sich dabei nicht um einen geplanten, sondern explorativen
Suchprozess.
4. Die Wissenskonstruktion erfolgt an verschiedenen Stellen in der Organisation.
Erstens muss berücksichtigt werden, dass die Art und Weise, wie ein Unternehmen sein
Umfeld bzw. den Markt analysiert, als Prozess zu verstehen sind, der wiederum mehrere
Subprozesse bzw. -routinen umfasst und es sich dabei nicht um einen einzelnen Akt
handelt, ‟instead it arises from a sequence of actions through time”.734
Um den Markt analysieren zu können, müssen zuerst Daten gesammelt werden. Wie in
den Fallstudien beschrieben wurden dazu zum Beispiel umfangreiche Marktstudien,
Kundenbefragungen, Interviews und Stakeholderanalysen durchgeführt, Daten und
Statistiken vom Kraftfahrzeugmeldeamt (KFA) und Verbandsdaten (GDV) abgerufen
733 vgl. Christensen, C. M. (1997), Christensen, C. M. und Raynor, M. E. (2003) 734 vgl. Gilbert, X. und Strebel, P. (1998), S. 79.
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 279
oder auf die Daten von Beratungsunternehmen zurückgegriffen. Im nächsten Schritt
wurden diese Daten gesichtet, analysiert und interpretiert, bevor konkrete Entscheidungen
hinsichtlich der Produkt-Markt-Strategie und Positionierung getroffen wurden.
Dieser Prozess ist einer ganzen Reihe potenzieller Störeinflüsse ausgesetzt und durch den
organisationalen Kontext beeinflusst. Weder handelt es sich bei dem Umfeld von
Unternehmen um eine objektiv erkennbare und messbare Realität noch ist die Annahme
zulässig, dass die mit der Aufgabe betreuten Akteure rein rational handeln, denn die Art
und Weise, wie Mitarbeiter und Manager im Unternehmen ihre Umwelt wahrnehmen und
welche Daten sie überhaupt als relevant ansehen, sind durch ihre individuelle und
kollektive Überzeugung (shared beliefs)735 und ihre mentalen Modelle geleitet,736 die von
Bettis und Prahalad (1986) als die dominante Logik eines Unternehmens oder auch einer
gesamten Branche bezeichnet werden. Im Grunde handelt es sich dabei um kognitive
Barrieren737, die die Wahrnehmung der Umwelt trüben und zum Festhalten an überholten
Geschäftsmodellen und Strategien führen.738
Die wiederkehrenden Konflikte zwischen den neuen Geschäftsmodellen und dem
Stammvertrieb der ASSEKURANZ sind Ausdruck solcher rivalisierenden Denkwelten,
da ein Teil der Organisation am traditionellen Geschäftsmodell
„Ausschließlichkeitsorganisation“ (AO) festhält und gleichzeitig an anderen Stellen im
Unternehmen an der Zukunft und an neuen Geschäftsmodellen gearbeitet wird.739 Dieses
Problem scheint gerade in großen, etablierten Unternehmen besonders ausgeprägt zu sein,
während Start-ups in dieser Hinsicht einen Vorteil haben.740 Henderson und Clark (1990)
sprechen in diesem Zusammenhang von der ‟burden of legacy”.
Um diese internen Widerstände zu überwinden, empfiehlt es sich, die Arbeit an neuen
Geschäftsmodellen sowohl räumlich als auch organisatorisch vom bestehenden Geschäft
zu trennen, um die neue Geschäftsidee in einem geschützten Rahmen zu entwickeln und
von störenden externen Einflüsse abzuschirmen. Besondere Bedeutung hat dabei das
Management der Schnittstelle zwischen der Stammorganisation und der neuen Einheit.741
Auch das Führungsverhalten des Managements spielt bei der Überwindung von
Widerständen und Barrieren eine entscheidende Rolle. Doch mehr dazu in Kapitel 19.5.
735 vgl. Schwaninger, M. (2004) 736 vgl. Whipp, R., et al. (1989) 737 vgl. Tripsas, M. und Gavetti, G. (2000) 738 vgl. Chesbrough, H. (2010) 739 vgl. Markides, C. (1998), Markides, C. und Charitou, C. D. (2004) 740 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1995) 741 vgl. Heller, T. (1999), Schmid, T. (2004)
280 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
Wie die Analyse der Daten ergeben hat, ist auch die Auswahl der Mitarbeiter wie in
Kapitel 19.2 beschrieben von unmittelbarer Bedeutung.
These 3a: Je offener für 9eues, kreativer, neugieriger und lernbereiter die am
Innovationsprozess mitwirkenden Personen sind, desto leichter fällt es, die
dominante Logik hinter sich zu lassen, Veränderungen im Umfeld zu
registrieren und sich neu ergebende Geschäftschancen zu nutzen.
Die Analyse der einzelnen Fallstudien hat verdeutlicht, dass es sich bei der
Umfeldanalyse nicht um einen formal strukturierten Prozess handelt, sondern um einen
Prozess sozialer Wahrnehmung und Wissenskonstruktion sowie kollektiven Lernens,
denn die Umweltanalyse ist nicht Aufgabe einer spezialisierten Funktionsabteilung,
sondern ein Prozess emergenter Wissensakkumulation, Analyse und kollektiver
Meinungsbildung, in den viele Funktionen und Akteure eingebunden sind. Dieser Befund
deckt sich mit den Ergebnissen von Pettigrew (1998), der zu dem Schluss kommt, dass
‟strategy creation tends to emerge from the way a company, at all levels, processes
information about its environment”.742
So beschäftigten sich verschiedene Funktionsbereiche im Unternehmen mit den für sie
relevanten Ausschnitten der Umwelt. Während sich der Vertrieb und das Marketing vor
allem für das Verhalten und die Bedürfnisse der Kunden interessieren, sind für den
Einkauf die Bedingungen auf dem Beschaffungsmarkt und für die Finanzabteilung ist die
Situation auf dem Kapitalmarkt relevant. Um zu einem ganzheitlichen Bild des Umfelds
zu gelangen, ist es daher notwendig, die Funktionsbereiche im Unternehmen zu vernetzen
und die verschiedenen Perspektiven zu integrieren. Wie bereits in Kapitel 19.2 gezeigt
wurde und in Kapitel 19.5 noch diskutiert werden wird, sind dabei verschiedene Praktiken
wie die gezielte Zusammenstellung des Projektteams oder die Mediatorfunktion des
Managements hilfreich, da dadurch die interne Vernetzung erhöht und eine kollektive
Wissenskonstruktion erleichtert wird.
Im Grunde handelt es bei der Umfeldanalyse um den von Weick (1995) beschriebenen
Prozess des ‟sensemaking of organisations”, wobei ‟people give meaning to
experience”.743
742 vgl. Whipp, R. (1991), S. 174. 743 vgl. Weick, K. E. (1995)
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 281
Abbildung 61: Das Unternehmen-Umwelt-Verhältnis744
Ziel dieses Prozesses der Wissenskonstruktion ist es, die nötigen Fakten zu sammeln, um
einen Entscheidungsprozess einzuleiten, der zu folgenden Fragen Antworten liefern muss:
� Welche Märkte sollen bedient werden?
� Welche Bedürfnisse haben die Kunden?
� Welche Produkte sollen angeboten werden?
� Wer sind die relevanten Wettbewerber?
� Wer sind mögliche Partner?
� Welche Wettbewerbsstrategie soll verfolgt werden?
� Wie soll sich das Unternehmen auf dem Markt positionieren?
Es handelt sich dabei um Fragen, die mit der Geschäftsdefinition745, der
Geschäftsstrategie und dem Geschäftsmodell eines Unternehmens in Verbindung gebracht
744 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 26. 745 vgl. Abell, D. F. (1980)
282 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
werden746, denn obwohl die Geschäftsstrategie und das Geschäftsmodell unterschiedliche
Konstrukte sind, so sollten beide auf die eben gestellten Fragen Antworten geben.747 Je
fundierter und umfassender die Geschäftsidee und die Geschäftsdefinition ausgearbeitet
sind, desto mehr reduziert sich dadurch die Unsicherheit und desto eher wird die
Geschäftsidee die Unterstützung des Managements und der Organisation gewinnen.
Analyse des
Unternehmensumfelds
Empirischer Befund
Gebrauchtwagen-Marktplatz Man versuchte, den Markt für
Gebrauchtwagenbörsen besser zu verstehen und
die einzelnen Akteure bzw. Wettbewerber zu
analysieren. (FB1)
Um die Bedürfnisse des Stammvertriebs zu
verstehen, wurden Interviews geführt. (FB2)
Direktversicherung Detaillierte Analysen im Vorfeld und während des
„Going-live“ (FA2)
Es würde ohnedies einige Jahre dauern, den Markt
genauer kennenzulernen. (FA5)
Kooperation mit der
Automobilwirtschaft
Die Qualität der Analysen. (FC3)
Das Team musste lernen, wie die Zukunft der
Automobilhersteller und des Absatzes von Pkws
aussieht. (FC3)
Tabelle 16: Analyse des Unternehmensumfelds
Die Qualität der Umfeldanalysen und die sorgfältige Darlegung der Fakten wurden von
mehreren Interviewpartnern748 als wesentlicher Faktor für die Annahme der Kraft-
Strategie 2010 und der Direktstrategie gewertet. So waren zum Beispiel die Widerstände
gegen die Mehrkanalstrategie für das deutsche Kfz-Versicherungsgeschäft relativ gering,
da der Entwurf auf einer umfangreichen Kundenbefragung, Markt- und
Stakeholderanalyse sowie den Berechnungen von Aktuaren beruhte. Sehr hilfreich war
die eindeutige Definition der Zielsegmente, die sich gut mit der neuen Strategie des
Unternehmens auf dem Kfz-Versicherungsmarkt ergänzte und somit ein schlüssiges Bild 746 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), Kapitel 3: Positionierung 747 vgl. Magretta, J. (2002) 748 Interviewpartner ST1, FA2, FC3, ST3
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 283
über die strategische Ausrichtung und die weitere Entwicklung des Kfz-
Versicherungsgeschäfts bot.
Den Skeptikern im Haus konnten genaue Mengengerüste und Wachstumsprognosen
entgegengehalten werden. Dadurch war die Idee belegbar und sehr glaubwürdig. Die
Transparenz und Klarheit der Strategie waren für den Projektleiter eines der
Erfolgsgeheimnisse des gesamten Vorhabens.749 Diese empirischen Erkenntnisse lassen
sich zu folgenden Thesen verdichten:
These 3b: Je besser die verschiedenen Perspektiven und Funktionsbereiche im
Unternehmen vernetzt werden und die unterschiedlichen Wahrnehmungen der
Umwelt zu einem gemeinsamen Verständnis integriert werden, desto höher ist
die Qualität der Umfeldanalyse.
These 3c: Je höher die Qualität der Umfeldanalyse und je klarer die daraus
abgeleitete Strategie formuliert ist, desto leichter lassen sich die Ergebnisse
kommunizieren und latente Widerstände abbauen.
Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass viele gute, weil überzeugend
ausgearbeitete Geschäftsideen schlussendlich abschlägig beurteilt werden.750 Somit sind
die Qualität der Analysen und der Inhalt der Konzepte nicht allein für den Erfolg der
Projekte verantwortlich, sondern lediglich Einflussfaktoren. Folglich ist der Erfolg eines
Projekts a priori nicht an einem Kriterium wie der Qualität der Analysen ablesbar,
sondern ist immer von mehreren Faktoren beeinflusst. Ein solides Konzept ist aber
sicherlich als ein wichtiger Erfolgsfaktor zu werten. Der Erfolg ist letztendlich auch von
anderen Faktoren wie der lückenlosen und exakten Umsetzung des Entwurfs abhängig.
19.4 Herstellen von Konsistenz
Wie bereits in Kapitel 7.5 thematisiert wurde, wirkt sich eine hohe Kohärenz zwischen
der Geschäftsstrategie und dem Geschäftsmodell sowie zwischen dessen einzelnen
Teilmodellen positiv auf den Geschäftserfolg aus. Es gilt daher, einen möglichst guten Fit
zwischen den Ebenen Strategie und Geschäftsmodell zu finden und für die konsistente
Realisierung des Geschäftsmodells zu sorgen.
749 Interviewpartner ST1 750 Interviewpartner ST2
284 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
These 4a: Je besser das Geschäftsmodell im Einklang mit seiner Umwelt, d. h.
den Bedürfnissen des Markts und den diversen Stakeholderinteressen steht und
laufend an die sich verändernde Umwelt angepasst wird, desto erfolgreicher
und nachhaltiger ist das Geschäftsmodell.
Zweifelsohne handelt es sich dabei um eine komplexe Aufgabe, die in einzelne
Subroutinen unterteilt werden kann. In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine Art
Qualitätskontrolle:
1. Erstens gilt es, zu überprüfen, ob die gewählte Geschäftsstrategie im Einklang
mit dem Wettbewerbsverhalten, der Branchenstruktur und den Bedürfnissen der
Kunden steht, d. h. frei von Widersprüchen ist.
2. Zweitens ist zu prüfen, ob sich die Geschäftsstrategie in der Geschäftsdefinition
widerspiegelt und somit korrekt übergeleitet wurde.
3. Drittens muss sichergestellt werden, dass die einzelnen Elemente des
Geschäftsmodells in einer sinnvollen Weise kombiniert wurden und eine innere
Logik erkennbar ist, die es dem Unternehmen erlaubt, nachhaltige
Wettbewerbsvorteile und Gewinne zu erzielen.
4. Viertens muss der Entwurf mit den gegebenen Mitteln realisierbar sein.
5. Entscheidend ist letztlich aber die Frage, inwiefern das realisierte
Geschäftsmodell dem ursprünglichen Bauplan entspricht und die innere Logik
des Modells in der Praxis funktioniert.
Der Prozess der operativen Umsetzung weist sowohl Charakteristika eines geplanten wie
auch emergenten Prozesses auf. Zwar werden einerseits im Vorhinein bestimmte Ziele
und Meilensteine formuliert und ein Projektplan wird erstellt, andererseits hat sich in allen
drei Fallstudien gezeigt, dass aufgrund verschiedener Gründe, die unter den Kategorien
Ressourcenknappheit und Zeitdruck zusammengefasst werden können, die tatsächlich
realisierten Geschäftsmodelle von der ursprünglichen Konzeption und Zielsetzung mehr
oder weniger abweichen. Wie in den Kapiteln 7.5 und 18.5 gezeigt wurde, können solche
Abweichungen vom ursprünglichen Bauplan sehr negative Auswirkungen auf die innere
Konsistenz und den Erfolg des Geschäftsmodells haben.
Aufgrund der Größe und Komplexität der Projekte ist es kaum möglich, im Vorhinein alle
Anforderungen und Risiken genau abzuschätzen.751 Gerade die Risiken werden
systematisch unterschätzt.752 Dies mag auch die Ursache dafür sein, dass viele Erfolg
751 vgl. Van de Ven, A. H., et al. (1999) 752 vgl. Kanter, R. M., et al. (1992)
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 285
versprechende strategische Neuerungen zwar angekündigt werden, aber aufgrund
unerwarteter Schwierigkeiten in der Umsetzung scheitern und niemals operativ wirksam
werden.753
Wie am Beispiel der „Kooperation mit der Automobilwirtschaft“ zu sehen ist, können
Probleme in der Umsetzungsphase durch ein effizientes Projektmanagement aber
durchaus gemeistert werden. Trotz widriger Bedingungen wie Ressourcenknappheit und
einer anfangs nur eingeschränkten Funktionalität ist es hier gelungen, ein erfolgreiches
Geschäftsmodell zu implementieren.
„Wer in der Umsetzungsphase ,weich‘ wird, hat schon verloren.“754
Die empirischen Ergebnisse geben Grund zur Annahme, dass es besser ist, auf
Funktionalität zu verzichten und das Umsetzungstempo wenn nötig an die
Ressourcenfungibilität anzupassen, als vor dem Hintergrund von Umsetzungsproblemen
Veränderungen am ursprünglichen Bauplan vorzunehmen, denn solche Anpassungen sind
mit viel Risiko verbunden, da dadurch die innere Konsistenz des Geschäftsmodells und
der langfristige Erfolg in Gefahr geraten.
These 4b: Je genauer der intendierte Bauplan bei der Realisierung des
Geschäftsmodells eingehalten wird, desto größer sind die Erfolgschancen.
Anpassungen während der Umsetzung sind nur dann zulässig, wenn sich
zwischenzeitig das Umfeld verändert und der Entwurf nochmals auf seine
Konsistenz hin überprüft wird.
Sind Adaptionen dennoch notwendig, muss das gesamte Geschäftsmodell nochmals
hinsichtlich der Konsistenz der einzelnen Elemente Value Proposition, Architektur der
Wertschöpfung und Ertragsmodell überprüft und gegebenenfalls solange adjustiert
werden, bis die innere Logik und die Markttauglichkeit (externer Fit) des Modells wieder
gegeben sind. Wenngleich die Orientierung am Möglichen die Umsetzung verzögern mag,
rechtfertigt dieser Umstand keineswegs das Risiko einer inkonsistenten Umsetzung.
Gleichzeitig deckt sich diese Vorgehensweise mit den Aussagen mehrerer
Projektteilnehmer, die eine pragmatische Vorgehensweise befürworten, solange in
essenziellen Fragen keine Kompromisse zu gelassen werden.755
753 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005) 754 Interviewpartner FC3 755 Interviewpartner FA5, FA1, FC3, FC2
286 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
„Es dauert, bis der Tanker wendet. Die 9euausrichtung ist ein Erfolg. Das volle
Ausmaß wird sich aber erst in den nächsten Jahren einstellen.“756
Die kumulative Wirkung vieler kleiner Schritte und inkrementeller Verbesserungen kann
in Summe zu besseren Ergebnissen führen als eine rasche, aber fehlgeleitete
Implementierung, obgleich der Erfolg einer solchen Strategie erst in Nachhinein und mit
der Zeit erkannt wird.
Herstellen von Konsistenz Empirischer Befund
Gebrauchtwagen-Marktplatz Aus Furcht vor internen Gegnern und um das
Projekt zu retten, wurden inhaltliche Anpassungen
und Abstriche gemacht. (ST1)
Die eingeschränkte Realisierung bedeutete eine
Verschlechterung der Qualität und führte zu
Inkonsistenz und internen Widersprüchen. (FB3)
Direktversicherung Aufgrund des überaus ambitionierten Zeitplans
wurden wo möglich rasche und pragmatische
Lösungen angestrebt, die ein schnelleres
Vorankommen ermöglichten. (FA1)
In einigen zentralen, aber umstrittenen Fragen hielt
das Team aber unbeirrt am begründeten
Standpunkt fest, da in diesen kritischen Fragen ein
Kompromiss den Erfolg des gesamten Projekts
gefährdet hätte. (FA5)
Kooperation mit der
Automobilwirtschaft
Qualität ist, dass man das dann auch genauso
konsequent, wie man das geboren hat, umsetzt.
Weil da machen wir oft ein paar Fehler. (FC4)
Adaptionen zuzulassen, ist einer der großen Fehler,
den wir immer wieder machten. Wir erkennen in
der Konzeptionsphase sehr viel, aber schade, dass
wir es nicht immer durchhalten. (FC3)
Tabelle 17: Herstellen von Konsistenz
756 Interviewpartner FC2
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 287
19.5 Führungsverhalten des Managementteams
Wenn ein Unternehmen eine neue Geschäftsidee realisiert oder ein neues Geschäftsfeld
aufbaut, führt dies für gewöhnlich zu Konflikten mit dem traditionellen Kerngeschäft.757
Interne Widerstände, Konkurrenz um knappe Ressourcen, Konflikte um die Ziele und
Eingriffe in das Geschäft durch Vertreter der Stammorganisation sind wahrscheinlich.758
Das bestehende Geschäftsmodell stellt eine Hürde für das neue dar.759 Um diese internen
Widerstände zu überwinden und ein neues Geschäftsmodell zum Erfolg zu führen, ist die
Unterstützung seitens des leitenden Managements von entscheidender Bedeutung. Die
empirischen Ergebnisse bestätigen hier frühere Arbeiten760, die die Bedeutung der
strategischen Führung und die Rolle der Geschäftsleitung als Strategic Investors
betonen.761
“Leading change involves linking action by people at all levels of the
business.”762
Der Manager fungiert gleichzeitig als Mediator und Koordinator zwischen den
Handlungen und Wahrnehmungen der einzelnen Akteure, als Mittler zwischen
verschiedenen Organisationsebenen und Funktionsbereichen. Da das Know-how
innerhalb eines Unternehmens auf viele Orte verteilt ist, kommt dem mittleren
Management die Rolle des Mittelsmanns zwischen den horizontalen und vertikalen
Informationsströmen zu. Da Wissen nicht einfach und ohne Kosten innerhalb des
Unternehmens übertragbar ist, ist die Absorptive Capacity“ des mittleren Managements,
d. h. die Fähigkeit, Wissen aufzunehmen und mit bestehendem Wissen zu kombinieren,
entscheidend. Manager beurteilen Probleme und wählen, integrieren und reichern
Information an, um zu verstehen und Lösungen zu entwickeln.
Für Floyd und Lane (2000) ist das mittlere Management geradezu prädestiniert dazu, die
Bedeutung einer Information für das Unternehmen zu evaluieren. Das Know-how, wie
Information auszuwählen, zu interpretieren und zu integrieren ist, um daraus nützliches
Wissen zu generieren, stellt selbst eine wertvolle organisationale Fähigkeit dar.763 Jedoch
757 vgl. Markides, C. und Charitou, C. D. (2004) 758 vgl. Maritan, C. A. (2001), Gilbert, C. und Bower, J. L. (2002) 759 vgl. Christensen, C. M. (1997), Christensen, C. M. und Raynor, M. E. (2003) 760 vgl. Schmid, T. (2004) 761 vgl. Day, D. L. (1994), Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000) 762 vgl. Pettigrew, A., et al. (1992) 763 vgl. Teece, D. J., et al. (1997)
288 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
ist dieses Talent stark vom organisationalen Kontext, der „dominanten Logik“764 im
Unternehmen und „mentalen Modellen“765, d. h. “[…] the set of concepts and
relationships through which an individual comprehends the world around him or her
[…]”766, abhängig.
Gerade das mittlere Management ist in der Position, zwischen der Makrostrategie und der
operativen Mikroebene, der kollektiven Unternehmenssicht und der Meinung der
Individuen, zu vermitteln und darüber zu entscheiden, was ist und was sein soll.767 Daher
obliegt es dem Management, eine Atmosphäre und Rahmenbedingungen zu schaffen, in
denen kreativer Austausch und Kommunikation zwischen Funktionsbereichen stattfinden
können bzw. sogar ermutigt werden. Hier kann das Management Akzente setzen, zum
Beispiel indem Innovationen explizit gefordert und honoriert werden. Besonders
interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Frage nach der richtigen
Anreizsetzung und wie Innovation dadurch gezielt gefördert werden kann. Ohne selbst
aktiv zu entscheiden, kann das Management so den Boden für Innovationen und die aktive
Beschäftigung mit dem eigenen Geschäftsmodell bereiten und zu einem
innovationsfreundlichen Klima beitragen.
„Die Sponsoren des Projektes ließen es einfach zu. Sie ließen uns einfach
machen. Diese Konstellation war entscheidend für den Erfolg. Sie standen
absolut hinter der Initiative und stärkten uns im weiteren Verlauf den
Rücken.“768
Da das Problem der richtigen Anreizsetzung im Kontext der Geschäftsmodellinnovation
noch nicht thematisiert wurde, stellt diese Frage einen interessanten Anknüpfungspunkt
zukünftiger Forschung dar. Beispiele für die gezielte Steuerung der Wahrnehmung
anderer Abteilungen finden sich in den Fallstudien zur „Kooperation mit der
Automobilwirtschaft“ und dem „Gebrauchtwagen-Marktplatz“. Das wichtigste Instrument
zur Mediation zwischen Funktionsbereichen und rivalisierenden Sichtweisen ist die
Kommunikation. Da zum Beispiel der Konflikt zwischen den Autohäusern und dem
Stammvertrieb durch falsche Kommunikation immer wieder angeheizt wurde, versuchte
das Team, sein Vorhaben dem eigenen Vertrieb begreiflich zu machen:
764 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1986)Ibid, Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1995), Von Krogh,
G. und Roos, J. (1996) 765 vgl. Kapitel 7.3.1 und Schwaninger, M. (2004) 766 vgl. Weick, K. E. und Quinn, R. E. (1999) 767 vgl. Nonaka, I. (1994), S. 32. 768 Interviewpartner ST1
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 289
„Warum tun wir das […] wir tun das nicht. um irgendjemandem wehzutun,
sondern weil der Markt sich verändert hat und weil sich das Verhalten der
Kunden verändert hat.“769
Das Team des „Gebrauchtwagen-Marktplatzes“ wiederum versuchte es, tunlichst zu
vermeiden, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder gar im Haus von anderen
Abteilungen wie zum Beispiel der eigenen Vertriebsorganisation als Bedrohung
wahrgenommen zu werden. Aus Angst vor internen Widerständen und zu viel
Aufmerksamkeit versuchte man, das Projekt als kleines, unauffälliges „Guerillaprojekt“
voranzutreiben. Um Vorbehalten in der Vertriebsorganisation vorzubeugen und die
Ängste der Hauptvertreter frühzeitig zu adressieren, suchte das Projektteam den direkten
Kontakt zu den Vertretern vor Ort, denn umso radikaler ein neue Geschäftsidee ist, d. h. je
grundlegender sie die bisherige Logik des Geschäfts verändert bzw. je geringer die
Anschlussfähigkeit an das traditionelle Geschäftsmodell ist, desto höher wird im
Unternehmen das damit verbundene Risiko eingeschätzt, denn jede Veränderung bringt
Chancen, aber auch Risiken mit sich.
Mit dem Versuch, das Kerngeschäft eines Unternehmens tief greifend zu verändern, geht
die Gefahr einher, die bestehende Organisation zu destabilisieren. Sollte sich das
Vorhaben als Fehlschlag erweisen, steht im schlimmsten Fall das gesamte Unternehmen
auf dem Spiel. Doch auch Veränderungen abseits des Kerngeschäfts, etwa die
Erschließung neuer Märkte oder Marktsegmente, bergen Risiken. Einerseits kann abseits
des Kerngeschäfts das Verständnis des Markts und der spezifischen Kundenbedürfnisse
fehlen. Andererseits kann es an spezifischen Ressourcen oder Fähigkeiten fehlen, die für
den Erfolg in diesem neuen Geschäftsfelds nötig wären.770
These 5a: Je höher das Risiko eingeschätzt wird bzw. geringer die
Anschlussfähigkeit ist, desto größer ist der Widerstand und umso
entscheidender ist es, sich einer möglichst breiten Unterstützung im
Managementteam zu versichern.
Risiken werden tendenziell leichter eingegangen, wenn die Verantwortung dafür im Kreis
des Managements geteilt wird, d. h. im Management Konsens und breite Zustimmung zur
Entscheidung herrscht oder sich das Management aufgrund anderer dringlicher Umstände
(zum Beispiel auf das Drängen der Aktionäre oder Analysten hin) dazu gezwungen sieht,
radikale Maßnahmen zu ergreifen.771 So stellte die Schaffung eines Marktplatzes für 769 Interviewpartner FC3 770 vgl. Leonard-Barton, D. (1990), Christensen, C. M. (1997) 771 vgl. Van de Ven, A. H. und Poole, M. S. (1995)
290 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
Gebrauchtwagen ursprünglich eine radikale Geschäftsidee dar. Ein völlig neues
Geschäftsfeld sollte eröffnet werden, das kaum Gemeinsamkeiten mit dem
Versicherungsgeschäft aufweist. Die Idee wurde vom zuständigen Leiter des Kfz-
Versicherungsgeschäfts initiiert und vom Vorstand mitgetragen. Als beide in neue
Positionen wechselten, verlor das Projekt seine wichtigsten Fürsprecher und hatte in Folge
Probleme beim Zugang zu wichtigen Ressourcen und Budgetmitteln.772 Es wurde von der
Organisation als zu radikal und nicht notwendig erachtet.
These 5b: Inkrementelle, schrittweise Veränderungen werden als geringeres
Risiko wahrgenommen, da die Anschlussfähigkeit höher ist.
Hier kann es bereits ausreichen, wenn das mittlere Management oder nur der direkt
verantwortliche Leiter des Geschäftsbereichs die Initiative unterstützt. In diesem
Zusammenhang sollte aber nur dann von Innovation oder Erneuerung gesprochen werden,
wenn die Veränderungen wirklich die Umsetzung neuer Ideen beinhalten und nicht nur
die Optimierung oder Verbesserung bestehender Strukturen als Zielsetzung haben.
Beliebte Managementkonzepte wie das Total Quality Management (TQM), das Lean
Management oder der vom japanischen Kaizen abgeleitete kontinuierliche
Verbesserungsprozess (KVP) sind Ausdruck dieser Veränderungsart.773 In Summe und
über die Zeit betrachtet können aber auch viele kleine Schritte den Charakter eines
Geschäfts grundlegend verändern.
„Zwischen Optimierung und Erneuerung besteht ein fließender Übergang.
9achhaltige Optimierung kann mit der Zeit zur Erneuerung führen.“774
Es wäre aber gefährlich, inkrementelle Veränderungen als alleinige Strategie zur
langfristigen Absicherung und Steigerung des Unternehmenserfolgs zu erachten.
Einerseits können viele kleine Schritte auch nur die Scheinsicherheit vermitteln, dass
etwas zur Verbesserung der Wachstums- und Ergebnissituation im Unternehmen getan
wird – dann nämlich, wenn die unternommenen Schritte in Summe alle zu klein sind, um
wirklich zu einer nachhaltigen Verbesserung der Gesamtsituation beizutragen. In diesem
Zusammenhang sei auf das von Voelpel, Leipold et al. (2005) als Red-Queen-Effekt
bezeichnete Phänomen hingewiesen, bei dem durch die inkrementelle Fortschreibung
bestehender Geschäftslogiken der Verwitterungsprozess der Wettbewerbsfähigkeit nicht
gestoppt, sondern nur durch diskontinuierliche Sprünge überwunden werden kann. 772 Interviewpartner FB3 773 vgl. Rüegg-Stürm, J., et al. (2004), S. 224f. 774 vgl. Ibid., S. 223.
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 291
Andererseits darf bezweifelt werden, dass durch ein Aufbrechen großer
Transformationsvorhaben in viele kleine Veränderungsschritte das Gesamtrisiko
tatsächlich reduziert wird, da gleichzeitig der Koordinationsbedarf zunimmt und ein
systematisches, nicht weiter diversifizierbares Restrisiko bleibt, da die einzelnen Schritte
beispielsweise durch Kontinuität in der Projektleitung und eine wohl kommunizierte
Vorgehensweise miteinander systematisch vernetzt sind.
Letztlich tragen erfolgreiche Innovationen zum Selbstbild einer erfolgreichen
Führungskraft bei, während Fehlschläge am Image kratzen. Manager werden daher große
Risiken tendenziell vermeiden und stattdessen inkrementelle, weniger riskante
Veränderungen favorisieren, denn Manager versuchen, sich durch den Erfolg ihres
eigenen Handelns zu profilieren.
Führungsverhalten Empirischer Befund
Gebrauchtwagen-Marktplatz Probleme bekam das Projekt erst durch den
Wechsel der Sponsoren. Das Projekt wurde dem
Umfang nach deutlich beschnitten und nur noch auf
Sparflamme weitergeführt. (FB3)
Die ursprüngliche Geschäftsidee konnte nicht wie
beabsichtigt umgesetzt werden. Es fehlte an Geld
und Unterstützung durch das Topmanagement.
(ST1)
Die neuen Sponsoren haben das Projekt zwar nicht
beendet, es aber nicht mehr forciert und keine
weiteren Budgetmittel zur Verfügung gestellt.
(FB2)
Direktversicherung Der Support durch den direkt zuständigen Vorstand
bzw. Sponsor (ST1)
Rückhalt erhöht das Durchhaltevermögen bei
existenziellen Fragen. (FA5)
Kooperation mit der
Automobilwirtschaft
Die gesamte Vorgehensweise muss die Deckung
der Sponsoren haben. Nur unter stabilen
Projektbedingungen können die inhaltlich richtigen
Entscheidungen entwickelt und getroffen werden.
(FC3)
292 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
Wir hatten die richtigen Rahmenbedingungen, die
es uns ermöglicht haben, überhaupt einen guten Job
zu machen. Sonst hätten wir in diversen politischen
Schlachtfeldern geendet. (FC3)
Tabelle 18: Führungsverhalten
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass letztlich die Unterstützung durch
Mitglieder der Geschäftsleitung für den Erfolg des Vorhabens entscheidend ist. Nur
dadurch wird ein stabiles, sicheres Arbeitsumfeld geschaffen, der Zugriff auf benötigte
Ressourcen erleichtert, werden politische Hindernisse überwunden und es wird für die
nötige breite Zustimmung im Kreis der Geschäftsleitung gesorgt. Doch das Management
unterstützt ein Vorhaben nur dann, wenn damit eine bestimmte Chance verbunden ist, die
das Eingehen des damit verbundenen Risikos rechtfertigt. Dies ist dann der Fall, wenn das
Projekt für das Unternehmen wirtschaftlich oder strategisch sinnvoll, unbedingt
notwendig oder aber von Teilen des Managements als persönlich dienlich erachtet wird.
These 5c: Wie viel Risiko ein Manager letztendlich einzugehen bereit ist, ist
nicht nur ein Produkt objektiver Fakten und rationaler Überlegungen, sondern
wird auch durch subjektive Empfindungen wie die individuelle
Risikobereitschaft, den eigenen Ethos oder den persönlichen Ehrgeiz einer
Person bestimmt.
Darüber hinaus handelt es sich bei solchen Entscheidungen unter Unsicherheit um
komplexe soziale Prozesse, die durch den Kontext geprägt und gelenkt werden. Es handelt
sich dabei um kollektive Entscheidungsprozesse, die genauso durch kollektive
Wahrnehmung, politische Prozesse und Machtkonzentration beeinflusst werden. So fiel
die Entscheidung zugunsten der Gründung des Direktkanals aus, da sich das Management
aufgrund der Marktanteilsentwicklung zu handeln gezwungen sah. Außerdem wurde das
Risiko als überschaubar eingestuft, da das anfängliche Investment relativ gering war.775
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass gerade das mittlere Management im
Prozess der Geschäftsmodellinnovation eine wichtige Rolle spielt. Indem die direkt für
das Geschäft verantwortlichen Führungskräfte die aktive Auseinandersetzung mit dem
eigenen Geschäftsmodell fordern, fördern, koordinieren, gegebenenfalls schützen und die
organisationale Kompetenz zur Geschäftsmodellinnovation gezielt und kontinuierlich
775 Interviewpartner FA2 und FA5
Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 293
weiterentwickeln, können sie einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Realisierung
strategischer Innovation leisten.
Allerdings ist die Geschäftsmodellinnovation nicht als Aufgabe des Projektteams oder
eines Chief Innovation Officer zu verstehen, sondern als Aufgabe des gesamten
Managementteams, denn die Verantwortung für das eigene Geschäft respektive
Geschäftsmodell ist nicht delegierbar, sondern geht alle gleichermaßen an. Um das
Managementteam zu einen und um eine Common Vision776 zu versammeln, kann eine
Roadmap777 oder Agenda778 hilfreich sein, die wesentliche gemeinsame Ziele und
Verantwortlichkeiten festlegt, denn die Geschäftsmodellinnovation ist keine individuelle,
sondern eine kollektive organisationale Kompetenz. Die Erkenntnisse zum
Führungsverhalten des Managementteams lassen sich zu folgender These verdichten:
These 5d: Das Managementteam kann zum Erfolg der
Geschäftsmodellinnovation beitragen, indem es die kontinuierliche
Beschäftigung mit dem eigenen Geschäftsmodell aktiv fordert, fördert,
koordiniert, gegebenenfalls schützt und die dazu notwendigen Fähigkeiten
gezielt weiterentwickelt.
776 vgl. Tushman, M. L. und O'Reilly, C. (2002) 777 vgl. Laurie, D. L., et al. (2006) 778 vgl. Doz, Y. L. und Kosonen, M. (2010)
294 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse
TEIL V: SCHLUSSBETRACHTU�G U�D AUSBLICK
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, zu einem besseren Verständnis des Phänomens der
Geschäftsmodellinnovation beizutragen. Die nun folgenden Ausführungen sollen dazu
dienen, die Kernaussagen der Arbeit zusammenzufassen und mögliche Ansatzpunkte für
zukünftige Forschung zu definieren.
Vor dem Hintergrund einer sich immer schneller verändernden Welt, in der Unternehmen
dazu gezwungen sind, sich anzupassen, bisweilen sich sogar neu zu erfinden, um zu
überleben, rückt die Kompetenz zur erfolgreichen Realisierung von
Geschäftsmodellinnovationen in den Vordergrund.
Vor diesem Hintergrund hat es sich die vorliegende Arbeit zum Ziel gesetzt, etwas mehr
Licht in das aus Sicht der empirischen Managementforschung noch recht dunkle
Forschungsfeld der Geschäftsmodellinnovation zu bringen, indem die zentralen
Herausforderungen identifiziert sowie die Möglichkeiten und Grenzen der
Geschäftsmodellinnovation aufgezeigt werden.
Zu diesen Zweck baut das beschriebene Modell auf der aktuellen Literatur im Feld der
Organisationsforschung und des strategischen Managements auf, die das Unternehmen als
ein System aus Ressourcen, Fähigkeiten und Aktivitäten versteht, das einer bestimmten
inneren Logik folgend auf Wettbewerbsvorteile, Kundennutzen und Unternehmenserfolg
abzielt.779 Das Geschäftsmodell eines Unternehmens ist die zentrale Logik, wie eine
Organisation Ressourcen und Fähigkeiten kombiniert, um kontinuierlich die
grundlegenden Aufgaben und Aktivitäten der Organisation zu steuern und zu erfüllen.
Weiters wird davon ausgegangen, dass es die Kombination der Ressourcen und
Fähigkeiten ist, die es der Organisation ermöglicht, einzigartigen Wert zu schaffen, und
folglich einen Wettbewerbsvorteil gewährt.780
Wenngleich veränderte Rahmenbedingungen und der dynamisierte Wettbewerb nicht
jedes Unternehmen gleich hart treffen, muss jedes Unternehmen wachsam sein, laufend
den internen und externen Fit seiner Entscheidungen und Aktivitäten zu überprüfen und
gegebenenfalls anzupassen. Dazu empfiehlt sich das Geschäftsmodell als neue, holistische
Analyseeinheit, die eine integrierte Betrachtung der internen wertschöpfenden Aktivitäten
eines Unternehmens und die externe Positionierung seines Leistungsangebots gegenüber
Kunden und Mitbewerbern erlaubt, denn um langfristig erfolgreich im Wettbewerb
779 vgl. Levinthal, D. A. (1997), Porter, M. E. und Siggelkow, N. (2008) 780 vgl. Zott, C. und Amit, R. (2010)
Implikationen für die Praxis 295
bestehen zu können, muss die Kombination der Ressourcen und Fähigkeiten stets an den
Bedingungen des Markts ausgerichtet werden und es müssen sowohl eine entsprechende
interne Konsistenz und ein externer Fit des Geschäftsmodells gegeben sein.781
Um diesen Fit laufend zu überprüfen und zu verbessern, sind sogenannte Metafähigkeiten
notwendig, die den Prozess der Modifikation und Konfiguration der Ressourcen,
Fähigkeiten und Aktivitäten leiten und somit den Bauplan für das neue Geschäftsmodell
liefern.
Die Geschäftsmodellinnovation wurde in dieser Arbeit als eine dynamische, da erlernbare
Metafähigkeit einer Organisation angenommen, die den Prozess der Kombination und
Integration von Ressourcen und Fähigkeiten steuert. Ziel ist es, Geschäftschancen zu
nutzen und neue Geschäftsideen zu realisieren, die im Vergleich zur bisherigen Logik
gegenüber Mitbewerbern Wettbewerbsvorteile bieten.
Im Rahmen dieser Arbeit wurde das Phänomen Geschäftsmodellinnovation auf der
Mikroebene einzelner Innovationsprojekte untersucht, um die Forschung hinsichtlich der
Mikropraxis der Geschäftsmodellinnovation voranzutreiben. Durch die Identifikation
erfolgsrelevanter Praktiken wurden der Praxis konkrete Hilfestellungen und
Gestaltungsempfehlungen zur erfolgreichen Realisierung von
Geschäftsmodellinnovationen angeboten.
20 Implikationen für die Praxis
Die vorliegende Arbeit untersuchte das Phänomen der Geschäftsmodellinnovation in
Großunternehmen anhand von drei Fallstudien aus der Versicherungswirtschaft. Aufgrund
der perspektivenreichen, aber inkonsistenten Literatur zu Geschäftsmodellen galt es
zunächst, einen geeigneten Bezugsrahmen zu entwickeln und das Konstrukt der
Geschäftsmodellinnovation zu systematisieren.
Den Kern dieser Arbeit bildete jedoch die empirische Untersuchung. Die im Rahmen der
Arbeit entwickelten Hypothesen zur erfolgreichen Gestaltung und Realisierung von
Geschäftsmodellinnovationen basieren auf den Ergebnissen der explorativen
Untersuchung mehrerer Innovationsprojekte im Geschäftsfeld der privaten
Kraftfahrzeugversicherung eines großen Versicherungsunternehmens in Deutschland.
Durch das induktive Forschungsdesign und die detaillierte empirische Untersuchung des
781 vgl. Siggelkow, N. (2002)
296 Implikationen für die Praxis
Prozesses der Geschäftsmodellinnovation vor Ort gelang es, verschiedene Handlungs- und
Gestaltungsempfehlungen abzuleiten, indem relevante Fähigkeiten und Routinen
identifiziert, analysiert und bewertet wurden.
Besonderes Augenmerk wurde auf die operative Realisierung von
Geschäftsmodellinnovationen gelegt, da es in der Praxis immer wieder vorkommt, dass
gute Geschäftsideen aufgrund mangelhafter Umsetzung nicht operativ wirksam werden.
Dadurch konnte ein Beitrag zur Verbesserung der Strategieprozesse und zur Realisierung
intendierter Geschäftsideen bzw. -strategien geleistet werden, denn Unternehmer und
Manager sind gefordert, die Strategie und Organisation wandlungsfähig zu halten und
Innovation zu fördern. Die Gestaltung, Realisierung und Veränderung der
Wertschöpfungsarchitektur, die Positionierung des eigenen Leistungsangebots gegenüber
anderen Marktteilnehmern und die Suche nach strategischen Erfolgspositionen782 bzw.
strategischen Wettbewerbsvorteilen783 wird dabei als fortlaufender strategischer
Managementprozess verstanden.784
Aufgrund der Komplexität dieses Prozesses und der starken Vernetzung zwischen den
einzelnen Teilsystemen des Geschäftsmodells können die praktischen Empfehlungen zum
Management dieses Prozesses nicht auf eine kurze Checkliste reduziert werden. Obwohl
die Erkenntnisse dieser Arbeit kein genaues Rezept darstellen, enthalten sie praktische
Empfehlungen, wie Manager den Innovationsprozess gestalten sowie die organisationale
Kompetenz zur erfolgreichen Geschäftsmodellinnovation erlernen und weiterentwickeln
können.
Wenn die Fallstudien eines zeigten, dann dass es großer Anstrengungen bedarf, um
innovative Geschäftsmodelle auf den Weg zu bringen. Dabei gilt es, interne Widerstände
und Unwegsamkeiten zu überwinden und niemals das Ziel aus den Augen zu verlieren.
Den gesamten Prozess erfolgreich zu durchlaufen, verlangt dem Management viel ab:
Offenheit gegenüber neuen Ideen, die aufmerksame Beobachtung des Marktumfelds,
Kreativität, Einsatzbereitschaft und Lernbereitschaft sind genauso wichtig wie neue Ideen
aktiv zu fordern, zu fördern, ihren Ressourcenbedarf zu koordinieren, sie vor internen
Widerständen zu beschützen und die organisationalen Fähigkeiten des Unternehmens
weiterzuentwickeln. Es gilt die in den Kapiteln 19.1 bis 19.5 beschriebenen Techniken in
der Organisation zu implementieren bzw. zu erlernen und miteinander zu verknüpfen.
Darüber hinaus muss das Management für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen, 782 vgl. Pümpin, C. (1992) 783 vgl. Porter, M. E. (1985), Barney, J. B. (1991), Barney, J. B. und Zajac, E. J. (1994), Stabell, C. B. und
Fjeldstad, O. D. (1998) 784 vgl. Doz, Y. L. und Prahalad, C. K. (1987), Chakravarthy, B. S. und Doz, Y. L. (1992)
Implikationen für die Praxis 297
damit kreative Geschäftsideen und Marktchancen identifiziert und realisiert werden
können.
Es gilt, die Organisation wandlungsfähig zu gestalten und die Innovationskraft zu stärken.
Genauer gesagt muss das Unternehmen fähig und bereit sein, kreative Zerstörung
zuzulassen und wenn nötig althergebrachte Einstellungen, Praktiken und Strukturen
niederzureißen, um Raum für neue Ideen, Fähigkeiten und Geschäftsmodelle zu schaffen.
Die Weiterentwicklung immaterieller Assets, d. h. des Wissens und Know-how des
Unternehmens, steht dabei ganz oben auf der Agenda, denn es lohnt sich auf jeden Fall, in
den Aufbau und die Weiterentwicklung der organisationalen Kompetenz zur erfolgreichen
Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation zu investieren. Wie die Analyse der
erfolgreicheren Projekte dieser empirischen Studie gezeigt hat, kommt es auf den
Entwicklungsstand der dynamischen Fähigkeiten an, um sich erfolgreich den
Erfordernissen des Umfelds anzupassen und Bedrohungen in Chancen zu verwandeln.
Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Literatur, die vor allem den CEO in die Pflicht
nimmt und als obersten Innovator sieht785, weisen die empirischen Erkenntnisse dieser
Arbeit auf die Bedeutung des mittleren Managements als Motor der Veränderung hin. Die
Geschäftsmodellinnovation ist nicht nur als top-down geplanter, sondern auch bottom-up
induzierter emergenter Prozess zu verstehen. Während der CEO die Innovationsarbeit
fordern und fördern kann, muss die Realisierung auf der Ebene des mittleren
Managements bzw. einzelner Geschäftseinheiten erfolgen. Hier muss die entsprechende
Kompetenz aufgebaut werden.
Folglich ist der Prozess der Geschäftsmodellinnovation, d. h. die Kompetenz zur
Realisierung neuer Geschäftsideen in Form innovativer Geschäftsmodelle, als ein Teil des
strategischen Entwicklungsprozesses und somit auch als ein neuer, aber zunehmend
relevanter Teilbereich der Strategieprozessforschung zu verstehen, der auf der
Mikroebene einzelner Geschäftsbereiche abläuft und sich mit der betrieblichen Praxis der
Realisierung strategischer Innovation befasst.786
Schließlich handelt es sich dabei um Themen, die in der einschlägigen Prozessliteratur
schon länger diskutiert werden und als wichtige Bezugspunkte und Einflussfaktoren im
Prozess strategischer Entscheidungsfindung gelten.787 Taxativ seien an dieser Stelle einige
Fragestellungen genannt, die in der Praxis der Beschäftigung mit dem eigenen
785 vgl. Greiner, L. und Bhambri, A. (1989), Westphal, J. D. und Fredrickson, J. W. (2001), Kagermann, H.
und Österle, H. (2006) 786 vgl. Whittington, R. (1996), Chakravarthy, B. und White, R. E. (2001), Johnson, G., et al. (2003) 787 vgl. Schreyögg, G. (1984), S. 157ff.
298 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung
Geschäftsmodell von besonderer Bedeutung sind und die wesentlichen Erkenntnisse des
letzten Kapitels nochmals zusammenfassend wiedergeben:
1. Art und Abfolge der Vorgehensweise durch die Wahl eines Prozessmodells
2. Veränderungsbereitschaft und Lernfähigkeit
3. Zusammensetzung und Dynamik der wirkenden Akteure
4. Perzeption und Interpretation neuer und vorhandener Informationen
5. Wahrnehmung und Umgang mit Unsicherheit
6. Definition und Detaillierungsgrad des Geschäftsmodells
7. Rechtfertigung und Legitimation der Entscheidungen
8. Interessenlage und Konfliktverhalten der Akteure
9. Intra- und interorganisationales Interaktionsverhalten
10. Organisationsstruktur und Zugang zu Ressourcen
Gleichzeitig hat diese Aufzählung auch den Charakter eines Bezugs- und
Gestaltungsrahmens strategischer Innovationsprozesse und zeigt mögliche Ansatzpunkte
zur Variation, Steuerung und Kontrolle der Vorgehensweise sowie Handlungsoptionen
und Kontextbedingungen im Innovationsprozess auf.
Schlussendlich sollten sich Unternehmen durch die Empfehlungen in dieser Arbeit
gefordert fühlen, ihre eigenen Geschäftsmodelle zu überdenken, zumal es in ebengleicher
Weise gerade die innovativen und erfolgreichen Ansätze der Praxis sind, die die zentralen
Herausforderungen für die zukünftige Strategie- und Managementforschung definieren.
21 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung
Der Themenkomplex der Geschäftsmodellinnovation ist aus Sicht des strategischen
Managements noch immer Neuland. Diese Arbeit versteht sich nicht als finale Erklärung
dieses Phänomens, sondern als beherzter Versuch, das Forschungsfeld für weitere
konzeptionelle Forschungen zugänglich zu machen bzw. den Grundstein für
weiterführende und vertiefende qualitative, vor allem aber auch quantitative
Forschungsvorhaben zu legen.
Offene Fragestellungen sind nach wie vor reichlich vorhanden. Deshalb ergeben sich in
verschiedener Hinsicht Ansatzpunkte für weiterführende Arbeiten. Damit das Thema
Geschäftsmodellinnovation für die Praxis und Forschung möglichst ganzheitlich
erschlossen wird, sind verschiedene Stoßrichtungen sinnvoll. Um zukünftigen
Ansatzpunkte für zukünftige Forschung 299
Forschungsprojekten Orientierung zu geben, seien nachstehend einige aus meiner Sicht
besonders interessante Fragestellungen kurz angerissen.
Erste Ansatzpunkte ergeben sich aufgrund des gewählten Forschungsdesigns. Wenngleich
das Forschungsprojekt durch den Ansatz der Fallstudienforschung bzw. die speziellen
Anweisungen der Grounded Theory eng mit der betrieblichen Praxis und den
tatsächlichen Abläufen in Unternehmen vernetzt ist und die gesammelten Daten reich an
Informationsgehalt sind, der die situative, praktische Realität widerspiegelt, können die
Anweisungen nicht ohne Weiteres auf andere Unternehmen oder Problemstellungen
übertragen werden, da sie sich explizit auf die untersuchte Branchen- und
Unternehmenssituation beziehen. Der gewählte Betrachtungsausschnitt der empirischen
Untersuchung auf dem deutschen Kraftversicherungsmarkt bzw. die Fallstudien aus dem
Hause ASSEKURANZ erlaubt keine allgemeine Anwendbarkeit des beschriebenen
Prozesses der Geschäftsmodellinnovation.
Zwar wurde das Forschungsvorhaben bewusst breiter angelegt, indem mehrere Fallstudien
durchgeführt wurden, um unterschiedliche Vorgehensweisen und Lösungsansätze in
verschiedenen Situationen zu erfassen – denn erst so war es möglich, Aussagen
hinsichtlich des Erfolgs spezieller Vorgehensweisen und Praktiken zu treffen und ein
Modell zu entwickeln, das die zentralen Phasen, Problemstellungen und Entscheidungen
der Geschäftsmodellinnovation erfasst sowie geeignet ist, situative Gestaltungsansätze
aufzuzeigen –, jedoch ergeben sich durch dieses Untersuchungsdesign auch Nachteile. So
sind die Aussagen sehr situativ ausgerichtet, wodurch der Geltungsbereich der Aussagen
begrenzt ist.
Ein Ansatzpunkt für die zukünftige Forschung ist daher die situative Relativierung der
Forschungsergebnisse. Dazu erscheint es sinnvoll, das Phänomen der
Geschäftsmodellinnovation im Kontext anderer Branchen und Unternehmenssituationen
zu erforschen.
Folgende Branchen könnten sich nach heutigem Wissensstand und vor dem Hintergrund
der bisherigen Erkenntnisse für weitere Forschungsvorhaben als besonders ergiebig
erweisen:
1. Die Luftfahrtindustrie, da in dieser Branche in den letzten Jahren ein starker
Trend zu neuen, innovativen Geschäftsmodellen und eine deutliche
Wertverschiebung von den traditionellen Anbietern hin zum dynamisch
wachsenden Segment der Low-Cost- und No-Frill-Airlines zu verzeichnen
waren
300 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung
2. Die Automobilbranche, da wie in Kapitel 15.2 beschrieben die aktuelle
Wettbewerbssituation die Restrukturierung der Vertragshändlernetze erzwingt
und neue Anbieter wie Mehrmarkenhändler (Megadealer) und Fast-Fit-Ketten
neu in den Markt eintreten
3. Die Musik- und Medienbranche, da neue Technologien wie P2P-Netze
(Napster), das MP3-Format und neue Geschäftskonzepte wie Apples iPod bzw.
der iTunes-Musikstore die Spielregeln der gesamten Branche neu bestimmt
haben
Ferner sind die Ergebnisse dieser Arbeit sowohl aufgrund der frühen Phase des
Erkenntnisstands zum Thema Geschäftsmodellinnovation als auch der gewählten
Methodologie als vorläufige Hypothesen zu interpretieren. Um gesicherte Erkenntnisse
über die getroffenen Annahmen und Empfehlungen zu gewinnen, sind weiterführende
empirische Studien notwendig. Ein weiterer Ansatzpunkt für die zukünftige Forschung
sind daher quantitative Untersuchungen, die mithilfe statistischer Methoden nähere
Erkenntnisse über den Einfluss und die Relevanz einzelner Faktoren im Prozess der
Geschäftsmodellinnovation liefern könnten. Mit der Entwicklung und Konkretisierung
einzelner Kategorien und Dimensionen bzw. Hypothesen hinsichtlich möglicher
Wirkungszusammenhänge zwischen einzelnen Dimensionen wurde für derartige Arbeiten
bereits Vorarbeit geleistet. So ist es im nächsten Schritt nun möglich, die Ausprägungen
der einzelnen Dimensionen empirisch zu erfassen und ihre praktische Relevanz zu
überprüfen.
Neben den formalen Ansatzpunkten aufgrund des gewählten Forschungsdesigns ergeben
sich auch praktische Fragestellungen, die Gegenstand zukünftiger Forschung sein
könnten, denn diese Arbeit kann keineswegs den Anspruch erheben, alle Fragen, die sich
im Zusammenhang mit Geschäftsmodellinnovationen ergeben, allumfassend beantwortet
zu haben.
Wie in Kapitel 8.2 ausgeführt wurde, bietet das Geschäftsmodell mehrere Ansatzpunkte
für Innovationen. So wurden etwa Fragen der Wert-788 und architektonischen
Innovation789 in der Literatur bereits genauer beleuchtet. Vergleichsweise dünn sind
dagegen die Erkenntnisse hinsichtlich der Ertragsmodellinnovation. Zwar konnte in dieser
Arbeit gezeigt werden, welche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Elementen des
Geschäftsmodells bestehen bzw. dass die Dimensionen des Ertragsmodells
788 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1997), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999), Kim, C. W. und
Mauborgne, R. (2005) 789 vgl. Henderson, R. und Clark, G. (1990), Galunic, D. C. und Eisenhardt, K. M. (2001)
Ansatzpunkte für zukünftige Forschung 301
(Kostenstruktur und Erträge) wesentlich von der Value Proposition und der Architektur
der Wertschöpfungsaktivitäten bestimmt werden. Diese Zusammenhänge sollten aber
genauer untersucht und es sollte hinterfragt werden, welche Möglichkeiten sich dadurch
für die Neugestaltung des Ertragsmechanismus ableiten lassen.
Mehrfach wurde in der Arbeit der Konflikt zwischen einzelnen Vertriebswegen respektive
rivalisierenden Geschäftsmodellen thematisiert. Wie gezeigt wurde, kann es in großen,
multidivisionalen Unternehmen durchaus vorkommen, dass einzelne Geschäftsfelder bzw.
Marktsegmente über verschiedene Kanäle respektive Geschäftsmodelle bedient werden.
Besonders problematisch erscheint diese Dualität dann, wenn das Unternehmen
gleichzeitig eine Qualitäts- und Diskontschiene unterhält. Obwohl dieses Thema bereits
von Markides und Charitou (2004) diskutiert und die Strategie einer Phased Integration
empfohlen wurde, stellt sich die Frage, wie eine solche Integration zu bewerkstelligen ist
und welche Probleme und Widerstände hier zu überwinden sind.
Eine weitere daran anschließende Frage ist, wie die großen, multidivisionalen
Unternehmen die verschiedenen Geschäftsmodelle im Sinne einer Portfoliobetrachtung
managen, damit das Corporate Business Model mehr ist als nur die Summe seiner Teile.
In diesem Zusammenhang wäre es interessant, die Forschungsgebiete der Corporate
Strategy mit der Geschäftsmodellforschung zu verknüpfen. Mögliche Forschungsfragen
stellen sich zum Beispiel hinsichtlich der erfolgreichen Integration der
Aktivitätensysteme, der internen Kooperation, der Teilung von Ressourcen, des Transfers
von Wissen, der Koordination der einzelnen Teilsysteme oder der Nutzung von Synergien
zwischen Geschäftsmodellen.
302 Anhang
A�HA�G
22 Fragenkatalog
Im Rahmen des Gesprächs möchte ich mit Ihnen einige der nachstehenden Fragen
diskutieren und Sie um Ihre Erfahrung und persönliche Meinung bitten. Unsere Befragung
folgt dabei einem explorativen Forschungsdesign, wodurch sich der Ablauf der Interviews
flexibel am Verlauf des Gesprächs orientiert und nicht alle Fragen beantwortet werden
müssen. Das Interview selbst wird etwa 1-2 Stunden Ihrer Zeit in Anspruch nehmen.
Zur Person des Interviewpartners (Wer?)
1 Darf ich Sie bitten, mir kurz Ihren Werdegang und Ihre damalige und heutige
Position zu beschreiben?
2 In welcher Funktion waren Sie am Projekt beteiligt und wie ist es dazu
gekommen?
Motivation und Zielsetzung des Projektes (Warum?)
3 Durch wen wurde das Projekt initiiert und wer waren die wesentlichen
Unterstützer? (Vorgeschichte, Auftraggeber, Sponsor, Kritiker)
4 Wie lautete der Projektauftrag und welche Ziele wurden verfolgt? (Wachstum,
Effizienz, Kundenorientierung, Nutzung neuer Technologien, Problemlösung)
5 Gab es darüber hinaus übergeordnete Ziele, Gründe, Problemstellungen oder
einen bestimmten Anlassfall (intern oder im Umfeld des Unternehmen) für die
Initiierung des Projekts?
Projektorganisation und –verlauf (Wie?)
6 Könnten Sie mir bitte die Projektorganisation (Sponsor, Projektleiter,
Mitarbeiter) beschreiben?
7 Wie wurde das Projektteam zusammengestellt (Kriterien/Ablauf)?
Wurde darüber hinaus mit externen oder internen Partner zusammengearbeitet
(Gründe dafür/Schnittstellen)?
8 Beschreiben Sie mir bitte den weiteren Ablauf im Projekt. Wurde dabei eine
bestimmte (strukturierte/unstrukturierte) Vorgehensweise gewählt?
Anhang 303
9 Welche Studien/Analysen (Kunde/Markt/Technologie) wurden durchgeführt?
Welche Pläne und Konzepte (Inhalt, Arbeitsteilung, Diskussion) wurden
erarbeitet? Gab es einen Prototyp?
10 Können Sie mir bitte die Arbeitsweise (Kultur) im Projektteam beschreiben? Wie
würden Sie die Arbeitsweise und den Prozess (kreativ/formal) charakterisieren?
11 Wie verlief die Entwicklung der Geschäftsidee? Welche Kunden/Marktsegmente
wurden anvisiert? Wie lautete die Value Proposition? Gab es Änderungen zum
ursprünglichen Konzept?
12 Wie und an wen (Sponsoren, Gremien) wurden die Ergebnisse/Konzepte
kommuniziert?
13 Wie sah die Reaktion der Entscheidungsträger aus? Welche Kriterien/ Faktoren
bestimmten schlussendlich den Ausgang der Entscheidung?
14 Wurde das Projekt eher als Chance oder Gefahr gesehen? Was motivierte die
Befürworter/Gegner?
Umsetzungsphase bis zur Markteinführung
15 Gab es nach der Entscheidung Änderungen in der Projektorganisation? Aus wie
vielen Personen bestand das Umsetzungsteam bzw. waren insgesamt beteiligt?
16 Welches organisatorische Setup (Separation/Integration) sah der Umsetzungsplan
(gab es einen solchen?) vor? Was waren die Gründe dafür?
17 Können Sie mir bitte den weiteren Projektverlauf (Zeitplan/wichtige
Meilensteine) und die wesentlichsten Umsetzungsschritte kurz beschreiben?
18 Wie verlief die technische Umsetzung des Projektes? Gab es Änderungen?
19 Mussten Schnittstellen zu bestehenden Systemen oder Partnern geschaffen
werden? Was waren die wesentlichsten Geschäftsprozesse?
20 Waren die benötigten Ressourcen und Fähigkeiten in ausreichendem Maße
vorhanden? Gab es Engpässe? Wie wurde darauf reagiert? Wurden einzelne
Fähigkeiten erst neu erlernt?
21 Wie war die Stimmung im Umsetzungsteam? Entwickelte sich im Laufe der Zeit
eine eigene Projekt-/Organisationskultur? Gab es Probleme und wie reagierte das
Projektmanagements darauf?
304 Anhang
Weitere Entwicklungsschritte
22 Konnte die Geschäftsidee vollständig realisiert werden und hat sie sich in der
Zwischenzeit im Unternehmen etabliert (Institutionalisierung)?
23 Welche Anpassungen/Erweiterungen gab es seit dem Launch? Sind noch weitere
Schritte (Änderungen/Erweiterungen) geplant?
24 Was waren aus Ihrer Sicht die wesentlichen Erkenntnisse und Lehren aus dem
Projekt? Haben sich daraus neue Geschäftsideen bzw. Projekte ergeben?
Erfolgsbeurteilung
25 Wie beurteilen Sie den Erfolg des Projektes (Projekt- / Markterfolg / KPIs)?
26 Was waren für Sie die wesentlichen Faktoren für den Erfolg / Misserfolg?
Erfolgsbeurteilung
Markterfolg
Akzeptanz und Kundennutzen
Geschäftserfolg
Wachstum
Ertrag
schlechter besser
als erwartet als erwartet
1 2 3 4 5
1 2 3 4 5
1 2 3 4 5
Vielen Dank für das Interview!
Alle erhobenen spezifischen Informationen werden selbstverständlich vertraulich
behandelt und werden nicht an Dritte weitergegeben. Die Daten werden aber zu
Forschungszwecken verwendet. Dadurch können Daten in aggregierter und
anonymisierter Form auch veröffentlicht werden.
Anhang 305
23 Interviewpartner
Thema des Gesprächs Interviewpartner
Abteilung/Organisation
Gesprächsdatum
und Dauer
1 SK1 Strategischer Kontext
Abteilungsleiter
Unternehmensentwicklung
23.5.2005 (1h)
2 SK2 Strategischer Kontext
Mitarbeiter
Unternehmensentwicklung
23.5.2005 (1,5h)
3 SK3 Strategischer Kontext
Bereichsleiter
Privat Kraft
24.7.2007 (1,5h)
4 SK4 Strategischer Kontext
Fachbereichsleiter
Betriebsorganisation
24.7.2007 (1h)
5 ST1 Strategieprojekt
Abteilungsleiter
Betriebsorganisation
25.7.2007 (1h)
6 ST2 Strategieprojekt
Projektmitarbeiter
Privat Kraft Betrieb 2
21.8.2007 (2h)
7 ST3 Strategieprojekt
Vorstandsassistent
Ressort Privat
9.10.2007 (1,5h)
8 FA1 Fallstudie 1
Vorstand
Direkt-Versicherung
25.7.2007 (1,5h)
9 FA2 Fallstudie 1
Abteilungsleiter
Marketing und Vertrieb
21.08.2007 (2h)
10 FA3 Fallstudie 1
Projektleiter
Kfz Privat Betrieb 2
20.8.2007 (1,5h)
11 FA4 Fallstudie 1
Projektmitarbeiter
Vertrieb
8.11.2007 (1h)
12 FA5 Fallstudie 1
Abteilungsleiter
Finanzen und Controlling
26.2.2008 (1h)
13 FA6 Fallstudie 1 Projektmitarbeiter
IT
26.2.2008 (1h)
306 Anhang
14 FB1 Fallstudie 2
Geschäftsführer
Gebrauchtwagen-Markt
28.9.2007 (1,5h)
15 FB2 Fallstudie 2
Geschäftsführer
Gebrauchtwagen-Markt
28.9.2007 (1,5h)
16 FB3 Fallstudie 2
Projektmitarbeiter
Privat Kraft Betrieb
9.10.2007 (1h)
17 FB4 Fallstudie 2
Fachbereichsleiter
Privat Kraft
29.11.2007 (1h)
18 FB5 Fallstudie 2 Projektleiter
Gebrauchtwagen-Markt
29.11.2007 (1h)
19 FC1 Fallstudie 3
Abteilungsleiter
Vertrieb
9.10.2007 (2h)
20 FC2 Fallstudie 3
Abteilungsleiter
Privat Kraft Betrieb 1
29.11.2007 (2h)
21 FC3 Fallstudie 3
Projektleiter
Betriebsorganisation
21.8.2007 (1,5h)
22 FC4 Fallstudie 3
Projektmitarbeiter
Privat Kraft Betrieb 2
21.8.2007 (2h)
23 FC5 Fallstudie 3 Projektmitarbeiter
IT
26.2.2008 (1h)
24 EX1 Fallstudie 3
Geschäftsführer
Kooperationspartner
18.3.2008 (1,5h)
25 EX2 Strategieprojekt
Universitätsprofessor 25.9.2007 (1,5h)
26 EX3 Geschäftsmodellierung
Unternehmensbereater 18.1.2008 (1,5h)
27 EX4 Geschäftsmodellierung Unternehmensberater
18.1.2008 (2h)
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Lebenslauf 337
LEBE�SLAUF
Andreas �emeth
Geburtsdatum: 12. November 1978 in Wien
Nationalität: Österreicher
Ausbildung:
2004 - 2010 Universität St. Gallen (HSG)
Doktoratsstudium (Dr. oec.)
2002 - 2002 Danubia Sommeruniversität in CEE
1997 - 2003 Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien)
Studium der Betriebswirtschaftslehre (Mag. rer. soc. oec.)
1989 - 1997 Bundesgymnasium Perchtoldsdorf
1985 - 1989 Volksschule Institut St. Christiana, Wien-Rodaun
Berufliche Tätigkeit:
2011 - UNIQA Versicherungen-AG
Bereichsleiter Group Planning & Controlling
2002 - 2010 Allianz-Elementar Versicherungs-AG
seit 2008 Bereichsleiter Vertriebscontrolling
seit 2005 Gebietsleiter Weinviertel
2002 - 2004 Assistent des Vorstandes
2000 - 2002 Erste Bank Gruppe
Produktmanager
1999 - 2000 CAIB Investment Bank AG
1999 - 1999 NCR Central & Eastern Europe
1998 - 1999 Netway Internet Services AG
1997 - 1998 NCR Central & Eastern Europe