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3 Standpunkt Digitale Kindheit: Plädoyer für einen gelasseneren Umgang mit unseren Computerkids Verena Gonsch Der Staat verdaddelt das Gewaltmonopol Christian Füller 6 Presseschau Wissenschaſtler des MPIfG in den Medien 8 Schwerpunkt Währungsunion flexi- bilisieren: Der Euro als Forschungsgegenstand am MPIfG Martin Höpner 12 Forscherportrait Die Zukunſt als kollektive Herausforderung: Jenny Andersson 15 Nachrichten Zusammenarbeit von MPIfG und Sciences Po erfolgreich 19 Neuerscheinungen Bücher, Journal Articles, DPs 22, 32 Veranstaltungen Berichte und Vorschau 2017 27 Freunde und Ehemalige Was macht eigentlich … Anke Hassel Alumni-Treffen 2016 2 Impressum Schwerpunkt Europa GESELLSCHAFTS FORSCHUNG 2 2016 Aktuelle Themen und Nachrichten

GeSellSCHaFt S 2 ForSchuNg 2016 - mpifg.de · GeSellSCHaFt SForSchuNg 2.16 Standpunkt 3 Stundenlange Computerspiele, teure Ta-blets in der Schule, hochprofessionelle Smartphones in

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3 Standpunkt Digitale Kindheit:Plädoyer für einen gelasseneren Umgang mit unseren ComputerkidsVerena Gonsch

Der Staat verdaddelt das GewaltmonopolChristian Füller

6 Presseschau Wissenschaftler des MPIfG in den Medien

8 SchwerpunktWährungsunion flexi­bilisieren: Der Euro als Forschungsgegenstand am MPIfGMartin Höpner

12 ForscherportraitDie Zukunft als kollektive Herausforderung:Jenny Andersson

15 NachrichtenZusammenarbeit von MPIfG und Sciences Po erfolgreich

19 NeuerscheinungenBücher, Journal Articles, DPs

22, 32 VeranstaltungenBerichte und Vorschau 2017

27 Freunde und EhemaligeWas macht eigentlich …Anke Hassel

Alumni­Treffen 2016

2 Impressum

SchwerpunktEuropa

GeSellSCHaFtSForSchuNg

22016

aktuelle themen und Nachrichten

Impressum GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

Impressum

Mit Gesellschaftsforschung informiert das MPIfG zweimal im Jahr mit anschaulichen Artikeln und Berichten über seine For-schungsprojekte und -ergebnisse, Publikationen und Veran-staltungen. Ein Schwerpunktthema liefert Hintergrundinfor-mationen aus der Forschung zu Themen der aktuellen öffentli-chen Diskussion. Sie erhalten den Newsletter in einer PDF-Fas-sung per E-Mail oder als Printausgabe. Abonnement und weitere Ausgaben unter www.mpifg.de/newsletter

© Max-Planck-Institut für GesellschaftsforschungKöln, Dezember 2016In Absprache mit der Redaktion frei zum Nachdruck.Abdruck nur mit Quellenangabe.

HerausgeberMax-Planck-Institut für GesellschaftsforschungPaulstr. 3 | 50676 KölnTel. +49 221 2767-0www.mpifg.de | [email protected]

RedaktionHelen Callaghan, Silvia Oster, Christel Schommertz (verantw.)

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autorin oder des Autors wieder und sind nicht als offizielle Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsfor-schung zu verstehen.

BildnachweisReuters/Dylan Martinez (Titel); MPIfG/Astrid Dünkelmann 3, 4, 5 (unten rechts), 9, 12,13, 15 (unten links), 16 (unten links und rechte Spalte), 17, 22, 25, 26, 27 (oben, Mitte), 28, 30 (un-ten), 32; Bundesregierung/Jesco Denzel 5 (oben links); picture alliance/AP Photo Abel Grave 7; Stockfotos-MG 8; ullstein bild/Roger-Viollet/Jacques Cuinières 10; picture alliance/AP Photo/mberg 11; Sciences Po/Thomas Arrivé 15 (oben rechts); MPIfG/Matthias Jung 15 (unten rechts), 16 (oben rechts); MPIfG/Christel Schommertz 18, 31; Meyer Originals 27 (un-ten), 28; Hans-Böck ler-Stiftung/Ulrich Baatz 29; Reuters/Benoit Tessier 30 (oben)

Gestaltung | Satzpigur design, Potsdam | Jeanette Störtte, Berlin

Mehr Themen und Standpunkte aus der Forschung des MPIfGAuf seiner Website stellt das MPIfG weitere aktuelle For-schungsprojekte vor und liefert Hintergrundinformationen zu Themen, die zurzeit öffentlich diskutiert werden. Mit ihren

„Standpunkten“ kommentieren Forscherinnen und Forscher des MPIfG Entwicklungen in Politik und Wirtschaft. Durch die „Forscherportraits“ lernen Sie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Kooperationspartner und Alumni des MPIfG näher kennen. In der Rubrik „Interviews“ sprechen sie über die Bedingungen ihrer Arbeit, neue Methoden und den Wandel der Forschungskommunikation. www.mpifg.de/aktuelles/forschung

Folgen Sie uns auf Twitter @MPIfG_Cologne

Das MPIfGDas Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ist eines der rund achtzig Institute der Max-Planck-Gesellschaft e.V., die von Bund und Ländern finanziert wird. Als eine Einrich-tung der Spitzenforschung in den Sozialwissenschaften be-treibt es anwendungsoffene Grundlagenforschung mit dem Ziel einer empirisch fundierten Theorie der sozialen und poli-tischen Grundlagen moderner Wirtschaftsordnungen. Im Mit-telpunkt steht die Untersuchung der Zusammenhänge zwi-schen ökonomischem, sozialem und politischem Handeln. Das Institut schlägt eine Brücke zwischen Theorie und Politik und leistet einen Beitrag zur politischen Diskussion über zen-trale Fragen moderner Gesellschaften. Es ist bei der Auswahl und Verwirklichung seiner Forschungsvorhaben frei und un-abhängig.

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GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Standpunkt

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Stundenlange Computerspiele, teure Ta-blets in der Schule, hochprofessionelle Smartphones in Kinderhand. Für viele El-tern in Deutschland ist die Beschäftigung ihres Kindes mit der digitalen Welt ein ro-tes Tuch und Ursache handfester Streits am Familientisch. Da werden Wlan-Rou-ter ohne Vorankündigung vom Strom-netz genommen, Zeitschaltuhren einge-baut und Suchtberater kontaktiert. Eltern-abende ähneln in ihrer Vehemenz radi-kalen Stammtischrunden. Wer mit seinen Kindern Minecraft oder Pokémon Go spielt und keine stundenlangen Streifzüge in der Natur vorweisen kann, muss sich sogar verteidigen. In Mamablogs zerflei-schen sich Mütter gegenseitig. Familien-urlaube können an der Frage, ob der Ur-laubsort vernetzt ist, scheitern. Kurz: Die digitale Welt ist eines der großen Streitthe-men in heutigen Familien.

In den USA, in asiatischen Ländern, aber auch in vielen westeuropäischen Län-dern, ist die Stimmung genau umgekehrt. Dort werden Computerspiele und digita-

le Lernsoftware als Chance gesehen, um Kinder und Jugendliche auf die Berufs-welt von morgen vorzubereiten. Aber

auch, um ihnen spielerisch die Welt zu erklären. Der Koordinator für die PISA- Studie in Deutschland, der OECD-Ex-perte Andreas Schleicher, wirft den Deut-schen deshalb auch eine „gewisse Tech-nikfeindlichkeit“ vor. Hinzu kommt, dass die großen digitalen Erfolge derzeit wo-anders stattfinden: Die Sozialen Netzwer-ke dominieren Google, Facebook, Apple und Twitter, im E-Commerce ist es Ama-zon, die Pflegeroboter kommen aus Ja-pan. Sind unsere Kinder vor diesem Hin-tergrund überhaupt zukunftsfähig? Be-kommen sie die interessanten Jobs, oder sind ihnen im Studium nicht Kids ande-rer Länder weit voraus? Und warum ent-lassen viele Eltern aus der Mittelschicht, scheinbar liberal und weltoffen, ihre Kin-der mit angezogener Handbremse in die Welt? Warum benehmen sie sich wie ihre vermeintlich spießigen Eltern in den 1970er- und 1980er-Jahren, rückwärtsge-wandt und intolerant?

In meiner Zeit als Journalist in Residence am Max-Planck-Institut für Gesell-schaftsforschung in Köln wollte ich die-ser Frage auf den Grund gehen. Meine These: Unsere kulturellen Besonderhei-ten lassen uns die digitale Kindheit unse-rer Sprösslinge mit äußerst kritischen Augen sehen. Das liegt zum einen an un-serem Konzept der Elternschaft. Den Be-griff „Rabenmutter“ gibt es nur in Deutschland – gemeint ist eine Mutter, die sich nicht genug um ihr Kind küm-

mert. In französischsprachigen Ländern ist wiederum den Begriff der „Glucken-mutter“ verbreitet – das ist eine, die zu sehr klammert. Eltern sein, und vor al-

StandpunktDigitale KindheitPlädoyer für einen gelasseneren Umgang mit unseren Computerkids

Verena gonsch ist Redakteurin bei NDR Info und betreut dort gesellschafts- und um-weltpolitische Themen. Sie ist für die Feature-Reihe „Forum am Sonntag“ verantwortlich. Außerdem moderiert sie regelmäßig Talk-Formate, Podiums-diskussionen und Hörersendungen wie die „Redezeit“. Sie hat Politikwis-senschaften und Volkswirtschaftslehre in Hamburg studiert und danach ein Volontariat beim NDR absolviert. Anschließend war Gonsch für den NDR Wirtschaftskorrespondentin in Hannover, für NDR und WDR Europa-korrespondentin in Brüssel und in Hamburg in der Wirtschaftsredaktion. Im Herbst 2016 war sie Journalist in Residence am MPIfG.

Die großen digitalen erfolge finden derzeit woanders statt.

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Standpunkt GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

lem Mutter sein, ist in Deutschland ein Fulltime-Job. Schon früh hat sich durch die Industrialisierung die Arbeitsteilung etabliert, dass der Mann außer Haus ar-beitet und die Frau die Kinder hütet.

Die Naturbewegung der 1920er-Jahre und die Zeit des Nationalsozialismus ha-ben den Begriff der Mutter in Deutsch-land weiter überhöht. In der Adenauer-Zeit hat sich dann die Trennung von Pri-vatem und Beruflichem verstärkt. In Ab-grenzung zum Nationalsozialismus sollte jetzt nur noch die Familie das Sagen ha-ben, wenn es um die Erziehung geht. Und auch die Frauenbewegung hat daran nichts geändert. Im Gegensatz zu ande-ren westeuropäischen Ländern war diese in Westdeutschland eher eine Mütter- denn eine Frauenbewegung. Themen wie die biologische Baby-Kost und das lange Stillen waren wichtiger als der Ausbau der Kita-Plätze. All dies führt dazu, dass viele Eltern kein Problem darin sehen, selbst jeden Tag acht bis zehn Stunden am Computer zu sitzen und – sobald sie zuhause sind – ihrem zwölfjährigen Kind das Computerspiel zu verbieten.

Auch kulturelle Besonderheiten wie diese führen zu einer kulturkritischen Bewertung der Digitalisierung und ihrer Folgen. Hinzu kommt, dass Deutsche zumindest in be-stimmten Technologiebereichen kritischer sind als ihre europäischen Nachbarn oder

die US-Amerikaner, was sich in der Anti- Atom-Bewegung oder im Kampf gegen Gen- und Biotechnologie zeigt. Oder eben auch gegenüber Big Data, was wiederum erklärt, warum vielen Vätern und Müttern die digitale Welt ihrer Kinder suspekt ist.

Journalists in Residence haben am MPIfG die Möglichkeit, Einblicke in die wissenschaftliche Arbeit zu erhalten und sich mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland in-tensiver als in ihrem Berufsalltag auszutauschen. Das Programm sieht vor, dass sie am

Institutsalltag teilhaben und sich im Dialog mit den Forschern einem selbst gewählten Projekt widmen. Daniel Bax von der taz, Verena Gonsch vom Norddeutschen Rundfunk und Christian Füller, freier Autor und Journalist, waren im Herbst 2016 als Jour-nalists in Residence zu Gast am MPIfG. Bax (Foto) stellt in seinen Recherchen die Frage, wie der gegenwärtige Aufstieg von rech-ten oder linken Populisten zu erklären ist und wie sich populis-

tische Strömungen in verschiedenen Ländern und Regionen der Welt unterscheiden (Beitrag geplant in Gesellschaftsforschung 1/2017). Gonsch und Füller beschäftigen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der Digitalisierung der Gesellschaft: Verena Gonsch interessiert die Debatte um die Nutzung von digitalen Medien durch Kinder und Jugendliche. Christian Füller recherchiert, welche neuen Institutionen und Formen von Öffentlichkeit entstehen. Hier stellen sie ihre Thesen vor.

Sigmar Gabriel war stolz. Beim Nationa-len IT-Gipfel verlängerte er jüngst das Narrativ vom Vorsprung deutscher Tech nik. „Industrie 4.0“ werde als Be-griff inzwischen weltweit in viele Spra-chen übernommen. Die digitale in-dustrielle Revolution ist eine deutsche Marke, wollte der Sozialdemokrat damit wohl sagen.

Industrie 4.0 als Überschrift über die di-gitale Revolution zu setzen, ist aber eine Verengung. Digitale Disruptionen neh-men ihren Anfang nicht in den Maschi-nenräumen der Industrie. Der digitalen industriellen Revolution geht vielmehr ein tiefgreifender sozialer Wandel der Gesellschaft bereits voraus. Hunderttau-sende von Applikationen erfassen inzwi-

schen unzählige Lebensbereiche des Menschen. Ihr Kern sind Algorithmen, die alle möglichen Informationen, Kom-munikationen und Gefühle zunächst in feinste Teilchen zerlegen – und sie dann kommerzialisierbar machen.

Und das ist nur die eine genuin neue Ei-genschaft der digitalen industriellen Re-

StandpunktDer Staat verdaddelt das gewaltmonopol

volution. Die andere besteht darin, dass die treibenden Akteure, genauer die gro-ßen Player von Google bis Facebook, eine nie dagewesene Macht durch Umsatz, In-novation und Regulierungsresistenz be-sitzen. Der Staat verliert seine Fähigkeit, diese Spieler und die von ihnen be-herrschten öffentlich-privaten Lebenswel-ten zu gestalten. Dabei geht es nicht etwa nur um das Durchsetzen des Kartellrechts oder das Setzen technischer Standards. Im Virtuellen büßt der Staat möglicher-weise sein Gewaltmonopol als solches ein.

Was nicht neu ist an der technischen Re-volution des Internets und seiner Applika-tionen, sind die Eile und die Heilsverspre-chen, mit denen sie vorangepeitscht wird. Das Gerede von der Unverzüglichkeit und Vollkommenheit der digitalen Revolution aber ist kein guter Ratgeber. Es darf nicht weiter dazu benutzt werden, um Technik-kritik und Technikfolgenabschätzung zu diskreditieren. Die Deutschen haben tech-nische Geräte immer dann erfolgreich ein-geführt, wenn sie diese über Weiter-Bil-dung gründlich adaptierten. Kaum eine andere Nation etwa hat einen neuen Beruf

erfunden, um die industrielle Revolution zu steuern – den des Ingenieurs.

Heute aber wird versucht, den traditionell eigenwilligen deutschen Bildungssektor zu einer bloßen Funktion der industriel-len Revolution herabzustufen. Die allge-meine Bildung soll sich den Imperativen von Industrie 4.0 unterordnen. Bestes Bei-spiel dafür ist, dass nicht die zuständigen Bildungsminister der Länder, sondern Bundeswirtschaftsminister Gabriel mit dem Minicomputer Calliope mini das Curriculum aller deutschen Grundschu-len reformieren will. Die Presse feiert das Spielzeug bereits als „größtmögliche Um-wälzung des deutschen Schulsystems“ (Zeit Online) – obwohl bislang kaum ein Drittklass-Lehrer etwas mit Zeus’ Muse der Wissenschaft Calliope anzufangen weiß. Wahrscheinlich ist sie eher das Tro-janische Pferd, das Bildung ökonomisiert. Sie ordnet Lernen einer Kulturkompetenz unter, die keine Mündigkeit im Hum-boldt’schen Sinne vermittelt: dem Coden.

Nicht, dass Schülerinnen und Schüler das Programmieren etwa nicht lernen sollten.

Doch seine Befürworter behaupten, sie könnten dann den allgegenwärtigen Code der Algorithmen lesen und auch politisch dechiffrieren. Sie erklären Kinder gar zu digitalen Entzifferern und neuen Super-bürgern, die ihren sprachlosen Eltern die neue Welt erklären könnten und bürden damit – im Namen des industriellen Fort-schritts – Kindern eine Verantwortung auf, die sie nicht tragen können. Nicht Dritt-klässler müssen die Versteher und Steuer-männer der Industrie 4.0 sein, sondern die Politik, aber eine kritisch eingestellte.

Wer einer von Profit und Sachzwang ge-triebenen digitalen Revolution etwas ent-gegensetzen will, der darf das nicht an die Schulen delegieren. Es geht darum, die Quellcodes von Algorithmen auf ihren dehumanisierenden Charakter zu unter-suchen. Es braucht also aufmerksame Verbraucher- und Datenschützer. Und so etwas wie eine neue unabhängige, starke „Algorithmus-Behörde“. Sonst ist unser Modell der Demokratie 1.0 in Gefahr.

Nationaler IT-Gipfel 2016. Eine Grundschülerin erklärt u. a. Bundeswirtschaftsminister Gabriel, Bundes-

kanzlerin Merkel und Bundesinnenminister de Maizière den Minicomputer Calliope am praktischen Bei-

spiel. Der Calliope mini soll ab dem kommenden Schuljahr kostenlos an Drittklässler in ganz Deutschland

verteilt werden. Mit Calliope können Grundschulkinder spielerisch lernen, wie ein Computer aufgebaut ist

und wie er sich programmieren lässt.

GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Standpunkt

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christian Füller ist Journalist und Autor und schreibt unter anderem für den Freitag, die Frankfurter Allgemeine und Spiegel Online sowie für politische Zeitschriften wie die Blätter für deutsche und internationale Politik. Eines seiner Schwerpunktthemen ist die Bildungspolitik. Füller ist Autor mehrerer Bücher, darunter Schlaue Kinder, schlechte Schulen (2008) und Die Revolu tion missbraucht ihre Kinder (2015). Im November 2016 war er Journalist in Residence am MPIfG.

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GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

Jens BeckertFiktionsfähigSüddeutsche Zeitung | 30.10.2016Die ausgeschmückte Fiktion, was mit dem Einsatz von Kapital bald möglich sei, schaffe jene „kommunikative Kon-struktion von Zuversicht“, die wirt-schaftliche Akteure zum Einsatz ihrer Ressourcen verführt, so Jens Beckert in seinem Eröffnungsvortrag der Vortrags-reihe „Bau steine des Kapitalismus“ am Hamburger Institut für Sozialforschung.http://tinyurl.com/beckert-fiktionsfaehig

Wolfgang StreeckAlternativlos? Bei dem Wort schwillt ihm der KammFrankfurter Allgemeine Zeitung 27.10.2016Kein Ausbund an Optimismus, sondern Aufklärer und Realist. Wolfgang Streeck, dem Osteopathen unter den Sozialfor-schern, zum Siebzigsten.

Wolfgang StreeckDas Verhältnis von Kapitalismus und GewaltDeutschlandfunk, Essays und Diskurs 20.11.2016Im zweiten Teil der Deutschlandfunk-Sendereihe über die aktuelle Brauchbar-keit von „Das Kapital“: ein Essay des So-ziologen und MPIfG-Emeritus Wolfgang Streeck über die „ursprüngliche Akku-mulation“ und die Gewalt im Kapitalis-mus.http://tinyurl.com/ws-kap-gew

Wolfgang Streeck„Order is an exception, not the rule“Revue de la régulation: Capitalisme, institutions, pouvoirs | 02.08.2016An interview with Wolfgang Streeck, di-rector emeritus at the MPIfG, about the intellectual trajectory of a socio-econo-mist; the variety of capitalisms and the dynamics of capitalism; the political ec-onomy from a sociological viewpoint; the political economy and economics in Germany, USA, and beyond; and the for-tune and misfortune of the social scien-tist as adviser to the Prince.http://tinyurl.com/streeck-revue

Wolfgang StreeckThe German economist calling time on capitalismThe Guardian | 09.12.2016At a time when macroeconomists have failed and other academics have retreat-ed into disciplinary solipsism, Streeck is one of the few to have risen to the mo-ment. Many of the themes that will de-fine this year, this decade, are in his work. The breakup of Europe, the rise of pluto-crat-populists such as Trump, the fail-ures of Mark Carney and the technocra-tic elite: he has anatomised all of them.http://tinyurl.com/streeck-calling

Jens BeckertThe capitalist’s imaginationThe Atlantic | 13.07.2016The German sociologist Jens Beckert ar-gues that literary theory can help explain what economics fails to.http://tinyurl.com/beckert-atlantic

Jens Beckert„Ungleichheit kann desaströse Folgen haben“Der Tagesspiegel | 05.08.2016Ungleiche Wohlstandsverteilung ist ein Problem für die Demokratie, sagt MPIfG-Direktor Jens Beckert. Er fordert im Interview mit dem Tagesspiegel, gro-ße Vermögen stärker zu besteuern – vor allem Erbschaften.http://tinyurl.com/beckert-tagesspiegel

Lea Elsässer und Armin SchäferGelingt die Sozialdemokratisierung der Weltwirtschaft?Der Tagesspiegel | 15.08.2016Die Gesetzgebung seit den 1980er-Jah-ren hat vor allem den Interessen des bes-sergestellten Teils der Bevölkerung ge-dient, zeigt eine Untersuchung von Lea Elsässer und Armin Schäfer.http://tinyurl.com/elsaesser-tagesspiegel

Martin HöpnerMitbestimmung!Süddeutsche Zeitung | 28.07.2016Die Mitbestimmung in deutschen Unter-nehmen ist eine gute Sache. Jetzt ver-sucht man sie auszuhebeln. Seit Jahren arbeitet der EuGH an der Vereinheitli-chung des europäischen Rechts. Martin Höpner vom MPIfG ist dem nachgegan-gen und hat ermittelt, dass der EuGH auf diesem Weg liberale Wirtschaftspolitik zufällig unterstützt. http://tinyurl.com/hoepner-sz

Benjamin BraunWirkung der Europäischen Zentralbank: Allmächtig und doch machtlostaz | 21.07.2016Die EZB erfülle mehr Aufgaben, doch ihre Instrumente seien ausgereizt, so Benjamin Braun vom MPIfG. Heute sei sie mehr Zentralplanerin denn Bank.http://tinyurl.com/taz-braun

Wissenschaftler des MPIfG in den Medien

Presseschau

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GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Presseschau

Fritz W. ScharpfDie große EntflechtungFrankfurter Allgemeine Zeitung 01.09.2016Vor genau zehn Jahren trat der erste Teil der Föderalismusreform in Kraft, mit der Regieren in Deutschland „schneller, effi-zienter und besser“ gemacht werden sollte. MPIfG-Emeritus Fritz W. Scharpf, der als Sachverständiger in der Födera-lismuskommission mitwirkte, hatte schon früh auf einen Konstruktionsfeh-ler hingewiesen: Keine neutralen Fach-leute, sondern die Betroffenen selbst hat-ten in der Kommission über eine Reform des Föderalismus entschieden.

Colin CrouchDer Reiz der nationalen IdentitätCicero | 22.07.2016In politisch unruhigen Zeiten verbindet sich der Fremdenhass mit dem Angriff auf die Eliten. Das war auch früher nicht anders, sagt Colin Crouch, Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied des MPIfG, in seinem Gastbeitrag.http://tinyurl.com/ccrouch-cicero

Brexit und eurokrise

Wolfgang StreeckWenn die EU untergeht, wird keiner weinenZEIT | 13.10.2016Der Brexit zeigt: Die Regeln der EU sind zu starr, um Integration zu fördern und Desintegration zu verhindern. Der Euro spaltet Nord und Süd, der Austritt von Italien zeichnet sich ab.http://tinyurl.com/streeck-zeit-eu

Martin Höpner, Fritz W. Scharpf und Wolfgang StreeckEuropa braucht die NationDie ZEIT | 15.09.2016Wie kommt die EU aus der Krise? Zum Gipfel geben die MPIfG-Wissenschaftler Martin Höpner, Fritz W. Scharpf und Wolfgang Streeck ihre Antworten. Sie plädieren einerseits für eine gezielte Ver-tragsänderung, welche die Macht der Eu-ropa-Richter begrenzt. Damit könnten Richter den europäischen Gesetzgeber nicht länger durch ihre einseitige Inter-pretation der Grundfreiheiten an Ände-rungen hindern. Des Weiteren fordern sie, einen zweiten Verfahrensweg zu er-öffnen, in dem europäische Gesetze mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, während einzelne Regierungen die An-wendung auf das eigene Land durch ein formelles Opt-out ausschließen können. Ihre dritte Empfehlung für die EU ist, „dem Scheitern des Euro Rechnung zu tragen […] Eine Währungsordnung, die Wechselkursanpassungen ermöglicht, ist für Europa angemessener.“http://tinyurl.com/hoepner-streeck-zeit

Colin Crouch„Das ist Europas große Chance“Berliner Zeitung | 11.11.2016Colin Crouch, auswärtiges wissenschaft-liches Mitglied des MPIfG, sieht im In-terview mit der Berliner Zeitung nach dem Wahlsieg Donald Trumps seine Theorie der Postdemokratie in seltsamer Weise bestätigt: „Ein Teil meiner These war, dass in der modernen Gesellschaft die Mehrheit der Menschen keine politi-sche Identität finden kann. Jetzt tritt so-wohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich ein Zustand ein, in dem viele eine nationalistische, vielleicht auch ras-sistische Identität gefunden haben.“http://tinyurl.com/bz-crouch

Colin Crouch„Es kommt alles wieder zurück“taz | 29.11.2016Der britische Politologe Colin Crouch, auswärtiges wissenschaftliches Mitglied am MPIfG, spricht im Interview mit MPIfG Journalist in Residence Daniel Bax nach Brexit und US-Wahl über die Verunsicherung in der Arbeiterklasse, nostalgische Gefühle für Nationalstaa-ten – und Rechte, die den Wertebegriff entdecken.www.taz.de/Archiv-Suche/!5357739

Wolfgang StreeckDie Schlafwandler halten Kurstaz am Wochenende | 16.07.2016„Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist der bislang spek-takulärste Ausbruch einer Krise des eu-ropäischen Institutionensystems, die wiederum nichts anderes ist als die loka-le Manifestation der Krise des internatio-nalen Staatensystems infolge der ,Globa-lisierung‘ der wirtschaftlichen und ge-sellschaftlichen Verhältnisse“, schreibt Wolfgang Streeck in der taz am Wochen-ende.http://tinyurl.com/taz-streeck

Wolfgang StreeckOsnabrücker Friedensgespräche: Verheugen und Streeck haben kaum noch Hoffnung für die EUOsnabrücker Zeitung | 26.10.2016„Was wird aus der Friedensmacht Eu-ropa?“ Der Tenor des ehemaligen EU-Kommissars Günter Verheugen genau-so wie von MPIfG-Emeritus Wolfgang Streeck: Nicht mehr viel, die EU steht kurz vor dem Zusammenbruch.http://tinyurl.com/oz-streeck

Diese und weitere aktuelle Beiträge unter www.mpifg.de/aktuelles/mpifg_medien_de.asp

SchwerpunktWährungsunion flexibilisierenDer euro als Forschungs­gegenstand am MPIfGDas Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung kann auf eine lange Tradition der Forschung über die europäische Integration und über die europäischen Währungsordnungen zurückblicken. Die Europaforschung am MPIfG verbindet die Analyse von Mehrebenensystemen mit den Einsichten der Vergleichenden Politischen Ökono-mie in die Eigenlogiken der Produktions- und Verteilungsregime, die in der EU und der Eurozone zu finden sind. Wie lässt sich auf dieser Basis die Eurokrise beurteilen und welche Lösungsansätze lassen sich ableiten?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-ler des MPIfG haben sich in den vergan-genen Jahren immer wieder mit Beiträ-gen zur Eurokrise zu Wort gemeldet. Ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen der Eurozone, so der Tenor, wäre die schlechteste aller Optionen. Neben weit-reichenden Reformen der Eurozone solle deshalb auch ihre kontrollierte Flexibili-sierung, also die Ermöglichung von Ein- und Austritten, sorgfältig geprüft wer-den. Diese Sicht kommt unter anderem

in Wolfgang Streecks Buch Gekaufte Zeit (2012) und in den Arbeiten von Fritz W. Scharpf zum Ausdruck, etwa im MPIfG Discussion Paper 14/21 After the Crash: A Perspective on Multilevel European De-mocracy.

Wenig Handlungsspielraum in einem festen WechselkursregimeDer Euro ist der Spezialfall eines festen Wechselkursregimes: Nominale Auf- und Abwertungen sind nicht mehr mög-lich. Zudem ist im Euro auch die Geld-politik vereinheitlicht. Solche Wechsel-kurs- und Währungsordnungen haben anspruchsvolle Konvergenzvorausset-zungen. So müssen ihre Teilnehmer fä-hig sein, ihre Inflationsraten und somit auch ihre Lohnauftriebe zu synchroni-sieren. Denn nur dann wird das Instru-ment der Wechselkursanpassung nicht mehr gebraucht.

Die Modi der Lohnfindung sind aber, wie Martin Höpner und Mark Lutter im Beitrag Why the Eurozone is Too Hetero-geneous for the Euro in der European Po-litical Science Review zeigen, in der Eu-rozone höchst unterschiedlich. Dass die Vereinheitlichung der Inflationsraten im Euroraum nicht gelang, ist unter an-derem auf diese institutionelle Hetero-genität zurückzuführen. Derzeit unter-sucht Donato Di Carlo, warum sich die Lohnauftriebe in den öffentlichen Sekto-ren seit Gründung des Euro und bis zur Eurokrise von Land zu Land so erheblich unterschieden. Länderspezifische Eigen-schaften wie der deutsche Föderalismus scheinen für das Verständnis dieser Un-terschiede wichtig zu sein.

Martin Seeliger hat in seiner Disserta-tionsschrift untersucht, ob und inwie-weit eine Lohnkoordination auf europäi-

ein unkontrolliertes auseinanderbrechen der eurozone wäre die schlechteste aller Optionen.

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Aus der Forschung GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

scher Ebene zur Vereinheitlichung der Lohnauftriebe beitragen könnte. Schon vor der Einführung des Euro bemühten sich die europäischen Branchen- und Dachverbände, die mitgliedstaatlichen Lohnpolitiken stärker zu koordinieren. Unter den Teilnehmerländern des Euro hat diese Koordination allerdings nicht gut funktioniert. Auch für die nähere Zukunft geben Martin Seeligers Befun-de eher Anlass zur Skepsis. Trotz wieder-kehrender Versuche ist eine effektive europäische Lohnkoordination bisher nicht in Sicht.

Lösungen auf europäischer EbeneDass die Eurozone in diesem Sinne kein optimaler Währungsraum ist und man ihre Heterogenität bei der Gründung der gemeinsamen Währung unterschätzt hat, bedeutet aber nicht, dass man den hieraus entstehenden Friktionen nicht gegensteuern könnte. Doch sind solche Lösungen anspruchsvoll und setzen den gemeinsamen Willen voraus, Kompeten-zen an die europäische Ebene zu über-tragen. Zudem – und noch wichtiger – haben alle denkbaren Lösungen stets transnationale Umverteilungswirkun-gen, was ihre Durchsetzungschancen er-heblich mindert.

Ein Beispiel diskutiert Fritz W. Scharpf in seinem MPIfG Discussion Paper Forced Structural Convergence in the Eurozone – Or a Differentiated European Monetary Community. Im Prinzip, so Scharpf, lie-ße sich durch die gezielte Erhöhung und Senkung der von Land zu Land unter-schiedlichen Umsatzsteuern auf Im-porte auf ausgeglichene Handelsbilan-zen hinwirken. Auf diese Weise könnte der Einsatz der Steuerpolitik die fehlen-de Möglichkeit der eigentlich notwendi-gen Auf- und Abwertungen kompensie-ren. Freilich müssten diesem Ins trument

auch jene Länder zustimmen, die der-zeit hohe, zum Teil sogar exorbitante Ex-portüberschüsse erzielen. Zunächst wür-de das voraussetzen, dass Länder wie Deutschland in ihren Leistungsbilanz-überschüssen ein Problem erkennen. Bisher sehen wir hiervon wenig. Aber das von Scharpf vorgeschlagene Instru-ment wäre im Prinzip verfügbar.

Eine andere Möglichkeit wäre, sich auf die defizitären Leistungsbilanzen und die durch sie hervorgerufene Erschwe-rung der wirtschaftlichen Aufholprozes-se im Süden Europas dauerhaft einzu-stellen, gleichzeitig aber Ausgleichszah-lungen einzusetzen, um die regionalen Disparitäten zu vermindern oder zumin-dest nicht noch größer werden zu lassen. Wie Wolfgang Streeck und Lea Elsässer in ihrem Beitrag Monetary Disunion: The Domestic Politics of Euroland im Journal of European Public Policy zeigen, wären die hierfür notwendigen Finanztransfers allerdings erheblich. Die Unterschiede in den Einkommensstrukturen in der Euro-zone ähneln denen zwischen Nord- und Süditalien und denen zwischen West- und Ostdeutschland. Aber in Italien und Deutschland stehen den Nettoempfän-gern wesentlich mehr Nettozahler gegen-über. Dieser Befund beweist nicht, dass die Transferlösung unmöglich ist. Aber er verdeutlicht die erheblichen Konflik-te, die mit der Errichtung eines europäi-schen Finanzausgleichs einhergingen.

Euro als KernwährungWie sähe eine flexiblere Eurozone aus? Wahrscheinlich würde ein harter Kern von Ländern mit gemeinsamer Währung bestehen bleiben. Dieser Kern wäre mit einer Zone weiterer Länder verbunden, die über eigene Währungen verfügen und daher gegenüber dem Kern sowie untereinander auf- und abwerten könn-

ten. Durch gezielte Zentralbankinterven-tionen könnte der Währungsspekulati-on gleichwohl Grenzen gesetzt werden. Aber würden die hierdurch ermöglich-ten Wechselkursanpassungen den betrof-fenen Ländern wirklich helfen? Dieser Frage sind Martin Höpner und Alexan-der Spielau im MPIfG Discussion Paper 15/1 Diskretionäre Wechselkursregime: Erfahrungen aus dem Europäischen Wäh-rungssystem, 1979–1998 nachgegangen. In seiner Dissertationsschrift hat Alexan-der Spielau zudem Auf- und Abwertun-gen in Deutschland und Frankreich, wie sie im Rahmen des Europäischen Wäh-rungssystems (EWS) noch möglich wa-ren, eingehend untersucht. Höpner und Spielau kommen zu dem Ergebnis, dass die Wechselkurskorrekturen den Teil-nehmerländern des Europäischen Wäh-rungssystems (EWS) tatsächlich gehol-fen haben, transnationale wirtschaftliche Ungleichgewichte in Grenzen zu halten.

Allerdings warnt Spielau auch vor zu großen Hoffnungen. Wechselkursanpas-

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Martin höpnerist Politikwissenschaftler und seit 2008 Leiter der Forschungsgruppe „Poli-tische Ökonomie der europäischen Integration“ am MPIfG. Seit 2013 ist Höpner zudem außerplanmäßiger Professor an der Universität zu Köln. Seine Forschungsinteressen gelten der Vergleichenden Politischen Ökonomie, der europäischen Integration und den Arbeitsbeziehungen.

Forschungsgruppe „Politische Ökono-mie der europäischen Integration“http://tinyurl.com/projgr-hoepner

GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Aus der Forschung

Durch die gezielte erhöhung und Senkung der von land zu land unterschiedlichen Umsatz­steuern auf Importe ließe sich auf ausgeglichene Handelsbilanzen hinwirken.

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Aus der Forschung GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

sungen seien stets unbeliebt und wür-den häufig hinausgezögert, insbesonde-re, wenn Wahlen anstehen. Im EWS fan-den Wechselkursanpassungen oftmals zu spät und mitunter auch in zu gerin-gem Umfang statt, sodass auch in die-sem Vorgängerregime zum Euro immer wieder Länder über längere Zeiträume in Über- oder Unterbewertungskonstellati-onen verharrten. Den Ländern mit über-bewerteten Währungen blieb dann nicht viel mehr übrig, als ihre Politik am infla-

tionsstabilsten Teilnehmer zu orientie-ren, also: disinflationierende Maßnah-men einzuleiten. Im Vergleich zu fes-ten Wechselkursregimen verbleibt den Teilnehmern anpassbarer Wechselkur-sordnungen somit mehr Gestaltungs-spielraum. Weil aber der Zielkonflikt zwischen Binnenstabilisierung und ex-

terner Wechselkursstabilisierung weiter besteht, sind die Freiheitsgrade stets be-grenzt.

Nachwirkungen der EurokriseSelbst wenn die Flexibilisierung der Eu-rozone gelingen sollte, steht fest: Die Eu-rokrise hat die von ihr betroffenen Län-der verändert. So gehen, wie Andreas Eisl in seinem Dissertationsprojekt zeigt, die Eurozonenländer mit erheblich ge-härteten Fiskalregeln aus der Eurokri-

se hervor, die die Vorgaben des Fiskal-pakts teilweise sogar noch übersteigen. Auf den ersten Blick ließe sich feststellen, dass die Euroländer eine Lektion gelernt haben: Exzesse bei der Staatsverschul-dung sind nicht mehr ohne Weiteres möglich. Tatsächlich aber muss bezwei-felt werden, dass die Schuldenbremsen

die zur Bewältigung der Eurozone drin-gend notwendige transnationale Koor-dination und Kooperation befördern. Es muss nämlich stets einen Sektor geben, der die Ersparnisse der anderen Sektoren aufnimmt, also: der sich seinerseits ver-schuldet. Derzeit sparen sowohl die Pri-vathaushalte als auch die Unternehmen. Darf sich nun der öffentliche Sektor nicht mehr verschulden, fällt der letzte inländische Sektor weg, der die Erspar-nisse aufnehmen könnte. Den Ländern bleibt daher nur, alles dafür zu tun, die-se Ersparnisse ins Ausland zu verschie-ben. Das aber können nicht alle gleich-zeitig tun – eine höchst konfliktträchti-ge Situation, die die gemeinsame Lösung der Eurokrise nicht erleichtert, sondern erheblich erschwert.

Auch in der Finanzmarktregulierung hat die Krise nachhaltige Spuren hinterlas-sen. Doch sind es andere als wahrschein-lich vermutet. Hatte sich nach der Leh-mann-Pleite im Jahr 2008 nicht die Ein-sicht durchgesetzt, dass Verbriefungen ein riskantes Instrument sind und daher zurückgedrängt werden sollten? Nur we-nige Jahre später zielt, wie Marina Hüb-ner in ihrem Dissertationsprojekt zeigt, die europäische Kapitalmarktunion auf eine Revitalisierung der Verbriefungs-märkte. Möglich wurde dies, weil eine Koalition unterschiedlicher kollektiver Akteure ihre gleichgerichteten Interes-sen erkannte. Einer dieser Akteure ist – nicht überraschend – die nach dem Aus-bruch der Finanzkrise zunächst diskre-ditierte Verbriefungsindustrie.

Ein weiteres Mitglied der Koalition ist die Europäische Zentralbank (EZB). Ihr gehen angesichts der makroökonomisch wenig oder überhaupt nicht handlungs-fähigen Lohn-, Fiskal- und Wechselkurs-politiken die Instrumente zur Bewälti-gung der Eurokrise aus. Umso mehr ist die EZB an der Entstehung liquider Fi-nanzmärkte angloamerikanischer Prä-gung auf dem europäischen Kontinent interessiert. Warum das? Die Antwort findet sich im Artikel von Benjamin Braun mit dem Titel The Financial Con-sequences of Mr. Draghi? Infrastructural

Schuldenbremsen tragen nichts zur dringend notwendigen Kooperation in der eurozone bei.

Präsident Valéry Giscard d'Estaing und Kanzler Helmut Schmidt treffen sich 1978 im Elysée-Palast. Infolge

des Zusammenbruchs des Weltwährungssystems von Bretton Woods sorgten sie dafür, dass die europäi-

schen Währungen eng miteinander verknüpft wurden, in einem Europäischen Währungssystem (EWS,

1979–1998). Es sollte die mit dem Ölpreis-Schock verbundene wachsende Inflation eindämmen und

Wechselkursrisiken zwischen den Mitgliedsstaaten reduzieren. Die Wechselkurskorrekturen haben den

Teilnehmerländern tatsächlich geholfen, wirtschaftliche Ungleichgewichte in Grenzen zu halten. Aller-

dings fanden die Anpassungen oftmals zu spät und mitunter auch in zu geringem Umfang statt, sodass

einzelne Länder immer wieder in Über- oder Unterbewertungskonstellationen verharrten.

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GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Aus der Forschung

Power and the Rise of Market-Based (Central) Banking: Die Tätigkeit von No-tenbanken erschöpft sich nicht in der Festlegung von Zinssätzen. Sie handeln, indem sie handeln – mit Geld und mit Wertpapieren aller Art. Das zeigt Braun

für den Verbriefungs- und Interbanken-markt. Je mehr Kredite verbrieft werden, umso größer sind nicht nur die Risiken, sondern eben auch die potenziellen Ein-griffsmöglichkeiten der Notenbanken.

Eine dritte Akteurgruppe der Koalition sind die Eurozonenländer mit Leistungs-bilanzüberschüssen. Sie ziehen gesteiger-te Handlungsmöglichkeiten der Noten-bank einer transnationalen fiskalischen Umverteilung vor, denn letztere ist bei

Wählerinnen und Wählern unbeliebt. Alle Mitglieder der Koalition haben gute Gründe für ihre Strategien. Aus der Saat von noch mehr Finanzmarktliberalisie-rung könnte aber die nächste Finanzkri-se hervorgehen.

Die Eurokrise, so sehen wir, hat den eu-ropäischen Kontinent bereits nachhaltig verändert und ihre Ursachen sind noch lange nicht beseitigt. Weitreichende Re-formen sind notwendig. Keine von ihnen ist „alternativlos“ und alle denkbaren Lö-sungen sind ökonomisch und poli tisch-institutionell anspruchsvoll. Anwen-dungsoffene Grundlagenforschung und der Transfer ihrer Befunde in die Öffent-lichkeit können helfen, die notwendigen Debatten zu führen.

aus der Saat von noch mehr Finanzmarkt liberalisierung könnte die nächste Finanzkrise hervorgehen.

Nur wenige Jahre nach der Lehmann-Pleite im Jahr 2008 zielt die europäische Kapitalmarktunion wieder

auf eine Revitalisierung der Verbriefungsmärkte. Verbriefungsindustrie, EZB und die Eurozonenländer mit

Leistungsbilanzüberschüssen haben hieran ein gemeinsames Interesse, mit unterschiedlichen Motiven.

Zur Bewältigung der Eurokrise führt die EZB unter Mario Draghi massive Stützungskäufe an den Anleihe-

märkten durch. Je mehr Kredite verbrieft werden, umso stärker kann die EZB intervenieren.

Zum Weiterlesen

Braun, B.: The Financial Consequences of Mr. Draghi? Infrastructural Power and the Rise of Market-Based (Central) Banking. FEPS Studies, Foundation for European Progressive Studies, Brüssel 2016.http://tinyurl.com/BBraun-FEPS16

Höpner, M. und M. Lutter: Why the Eurozone Is Too Heterogeneous for the Euro. European Political Science Review, im Erscheinen, 2016.

Höpner, M. und A. Spielau: Diskretionäre Wechselkursregime: Erfahrungen aus dem Europäischen Währungssystem, 1979–1998. MPIfG Discussion Paper 15/11.http://tinyurl.com/dp15-11

Scharpf, F. W.: After the Crash: A Perspective on Multilevel European Democracy. European Law Journal 21(3), 384–405, (2015).Auch als MPIfG Discussion Paper 14/21. http://tinyurl.com/dp14-21

Scharpf, F. W.: Forced Structural Convergence in the Eurozone – Or a Differentiated European Monetary Community. MPIfG Discussion Paper 16/15, im Erscheinen, 2016.

Streeck, W.: Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Suhrkamp, Berlin 2013.

Streeck, W. und L. Elsässer: Monetary Disunion: The Domestic Politics of Euroland. Journal of European Public Policy 23(1), 1–24 (2016).

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Die Sozialdemokratie liegt Jenny An-dersson am Herzen. Zwei Bücher hat sie deren Geschichte und Metamorphosen gewidmet: In ihrer Dissertation spürt sie dem Wandel des „schwedischen Mo-dells“ in der Nachkriegszeit nach, das Buch erschien 2006 unter dem Titel Be-tween Growth and Security: Swedish So-cial Democracy from a Strong Society to a Third Way. Drei Jahre später folgte „The Library and the Workshop“, es handelt vom Verhältnis von Sozialdemokratie und Kapitalismus in der Wissensgesell-schaft. Beide Bücher haben ihr viel Lob und Anerkennung eingebracht, von Fachkollegen wie von politischer Seite.

Seit gut einem Jahr leitet die gebürtige Schwedin das Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Societies in Paris – kurz MaxPo – als Kodirektorin neben dem franzö-sischen Wirtschaftssoziologen Olivier Godechot. Zusammen gehen sie der Fra-ge nach, wie europäische Gesellschaften mit jener Instabilität und Unsicherheit umgehen, die auf die zunehmende Indi-vidualisierung der Gesellschaft und die Liberalisierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte zurückzuführen sind – einer Politik, an der sozialdemokratische Par-teien auch nicht ganz unschuldig waren.

Der Dritte Weg und die SozialdemokratieWie konnte es so weit kommen? „Der so-genannte Dritte Weg“, die Idee der Moder-nisierung der europäischen Sozialdemo-kratie, „war eine Antwort auf den Neoli-beralismus“, erläutert Andersson beim Ge-

spräch in ihrem Pariser Büro. „Aber er war auch eine Bestätigung des Neoliberalis-mus, denn sie übernahm zumindest eini-ger seiner Grundannahmen – zum Bei-spiel die Hinwendung zum Individualis-mus oder die Vorstellung, dass der Markt ein Motor für soziale Mobilität und Effizi-enz sein könne. Und die Idee, dass es für den Markt prinzipiell keine Grenze gebe.“

Anders als der Kommunismus gründete die Sozialdemokratie nie auf einer grund-sätzlichen Ablehnung des Marktes, son-dern arrangierte sich mit ihm. „Aber es gab stets eine soziale, ökonomische und ethische Kritik am Kapitalismus, die zu anspruchsvollen Theorien geführt hat – und zu der Frage, wie der Markt reguliert werden muss, ob durch öffentliche Güter, den Wohlfahrtsstaat, über Formen der ökonomischen Umverteilung durch Steuern oder ähnliche Dinge“, so Anders-son. „Was ich nach den Diskussionen über den Dritten Weg so dramatisch fin-de, ist, dass diese Art des Nachdenkens über die Grenzen des Marktes in demo-kratischen Gesellschaften beinahe voll-ständig verschwunden ist.“ Die Sozial-demokratie habe sich einfach mit dem Finanzmarktkapitalismus abgefunden. „Das erklärt für mich zu einem großen Teil ihre heutige Krise“, sagt Andersson.

Die 42-jährige Wirtschaftshistorikerin hält eine Forschungsprofessur am Zen-

Die Zukunft als kollektive herausforderungDaniel Bax

„Der Dritte Weg war auch eine Bestätigung des Neoliberalismus.“

Forscherportrait GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

Jenny Andersson ist seit 2015 Kodirektorin am Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Societies ( MaxPo) in Paris. Die Wirtschaftshisto-rikerin aus Schweden ist CNRS-Profes-sorin am Centre d’études européennes (CEE) und Leiterin von FUTUREPOL, einem vom European Research Council geförderten Projekt zur transnationa-len Geschichte der Zukunftsforschung und zur Ideengeschichte von Zukunfts-forschung in der Nachkriegsära. Am MaxPo forscht Andersson zur Rolle der Zukunft im wirtschaftlichen Handeln und leitet eine interdisziplinäre For-schungsgruppe, welche die Bedingun-gen politischen Handelns in der Zeit nach der Krise untersucht. Jenny An-dersson promovierte an der Universität Uppsala und habilitierte sich 2010 an der Sciences Po in Politikwissenschaft und Geschichte. Sie war Assistenzpro-fessorin am Institute for Future Studies in Stockholm, wissenschaftliche Mitarbeiterin am European University Institute in Florenz und Gastwissen-schaftlerin am Center for European Studies der Harvard University.

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GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Forscherportrait

trum für Europäische Studien (CEE) der Sciences Po, der französischen Eliteuni-versität für politische Studien in Paris. Sie hat 2003 an der Universität Uppsala promoviert, anschließend in Harvard und Florenz geforscht und von 2009 an beim französischen Forschungsrat CNRS gearbeitet, der mit der deutschen Max-Planck-Gesellschaft vergleichbar ist. 2015 erhielt sie dort für ihre Arbeiten eine hohe Auszeichnung, die vom CNRS ver-gebene Médaille de bronze. Im November 2015 nahm sie den Ruf ans MaxPo an und folgte damit der Gründungs-Kodirekto-rin Cornelia Woll nach, die heute Vize-präsidentin und Mitglied des vierköpfi-gen Vorstands an der Sciences Po ist.

Das MaxPo wurde 2012 vom Kölner MPIfG und seinem französischen Part-ner Sciences Po gemeinsam gegründet. Das Forschungszentrum hat seinen Sitz in einem Seitenflügel der Sciences Po am linken Seine-Ufer, „Rive gauche“ ge-nannt, zwischen dem Regierungsbezirk um das Parlament und dem Intellektuel-lenviertel Saint Germain des Prés. Einst ein Zentrum der Studentenrevolte, ist es heute von Luxusboutiquen, teuren Cafés und Restaurants, aber auch Buchläden und Antiquariaten geprägt und es ist au-ßerdem der Wahlkreis des bürger lich-konservativen Präsidentschaftskandi da-ten François Fillon, eines bekennenden Katholiken und ebenso überzeugten Neo liberalen. Kein schlechter Ort, um sich über die zunehmende Ungleichheit der Gesellschaft und die Zukunft der So-zialdemokratie Gedanken zu machen.

„Ich bin in einer eher sozialdemokra-tisch geprägten Familie aufgewachsen“, sagt Jenny Andersson. Ihr Vater war Po-lizist, die Mutter Lehrerin. Seit 2009 lebt sie in Paris, mit ihrem französischen Ehemann hat sie eine gemeinsame Toch-ter. Sie ist eine gefragte Expertin, von Thinktanks und Stiftungen wird sie auf Podien eingeladen. „Ich brüskiere sozial-demokratische Politiker manchmal, in-dem ich ihnen sage, dass sie ihre Haus-aufgaben nicht gemacht haben“, gesteht sie. Der aktuelle Erfolg des Rechtspopu-lismus sei auch ein Nebeneffekt der

neoliberalen Politik der letzten Jahre, die sie mitzuverantworten hätten. „Tatsäch-lich waren sie einfach nur davon über-zeugt, dass das schon irgendwie funktio-nieren würde.“

Schnell werde sich der gegenwärtige Rechtspopulismus aber nicht erledigen, fürchtet sie. „Der Neoliberalismus war ja einmal eine Art utopisches Projekt, das den Menschen versprach: Ihr werdet mehr Freiheiten bekommen, mehr soziale Mo-bilität, und ihr werdet alle in der Lage sein, für euch selbst zu sorgen. Aber für viele haben sich diese Versprechen nicht erfüllt. Da herrscht nun viel Groll gegenüber ei-ner Politik, die das zu verantworten hat und die jetzt als Establishment verschrien wird“, meint die Forscherin. Die Wähle-rinnen und Wähler der Rechtsparteien

hätten aber kein gemeinsames ökonomi-sches Interesse. „Dessen sind sich diese Parteien auch sehr bewusst, und deswegen stellen sie ihr ökonomisches Programm und ihre sozialpolitischen Forderungen

auch eher in den Hintergrund. Am Ende wird das für sie zu einem Problem wer-den“, gibt sich Andersson überzeugt. Was diese Wählerschaften zusammenhält, ist ein Gefühl der nationalen Identität, einer gemeinsamen Kultur – oft gepaart mit Rassismus. Dies sei auch eine Antwort auf Entwicklungen, die mit dem Niedergang der Arbeiterklasse und mit der zuneh-menden Verunsicherung der unteren Mit-telschichten zu tun hätten.

Entwicklungen wie diese seien nicht un-umkehrbar. Dazu brauche es aber Politi-

„Der aktuelle erfolg des Rechtspopulismus ist ein Nebeneffekt der neoliberalen Politik der letzten Jahre, die die Sozialdemokraten mitzuverantworten haben.“

Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Societies (MaxPo) an der Sciences Po

in Paris. Die zentralen Fragen am MaxPo lauten: Wie reagieren vom Markt geprägte Gesellschaften auf

Instabilität? Und wie hängt die wachsende soziale Ungleichheit damit zusammen? Das 2012 gegründete

MaxPo erforscht die Auswirkungen zunehmender Liberalisierung, technischen Fortschritts und kultureller

Veränderungen auf westliche Industriegesellschaften. 2016 wurde seine Forschungsarbeit um weitere fünf

Jahre verlängert. Jenny Andersson und Olivier Godechot sind die Direktoren des Centers, das gemeinsam

von der sozialwissenschaftlich ausgerichteten französischen Eliteuniversität Sciences Po und der Max-

Planck-Gesellschaft getragen wird. Es ist ein innovatives Projekt deutsch-französischer Forschungskoope-

ration in den Sozialwissenschaften.

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Forscherportrait GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

ker, die mit einer positiven Vision auf an-derer Grundlage neue Allianzen bilden könnten. „Die Stärke der Sozialdemo-kratie bestand ja nicht darin, dass sie sich auf eine als solche definierte Arbeiter-klasse mit einer gegebenen Identität hat beziehen können. Ihre Stärke bestand vielmehr darin, dass sie die Interessen ei-ner weit größeren Gruppe artikulieren konnte. Angesichts einer weiterhin gro-ßen Arbeiterschaft – auch wenn diese sich heute auf andere Sektoren und den Dienstleistungsbereich verteilt – und ei-ner massiven Umverteilung von unten nach oben ist es nicht so schwer, sich vorzustellen, welche potenzielle Nische eine sozialdemokratische Partei besetzen könnte“, sagt sie.

Zukunftsforschung und Ideen-geschichte in der NachkriegsäraAnderssons zweites Standbein, und der Schwerpunkt ihrer Arbeit am MaxPo, ist die Erforschung der Geschichte der Zu-kunftsforschung und ihrer Ideenge-schichte in der Nachkriegsära. Ein Pro-jekt, das sie ans MaxPo mitgebracht hat. „Es gibt eine verbreitete Sichtweise, dass die Nachkriegszeit von einem gewissen Fortschrittsoptimismus geprägt gewe-sen sei und dass die 1970er-Jahre eine Periode des Niedergangs und des Pessi-mismus waren, in der es keinen Raum mehr für Zukunftsforschung gab.“ Doch diese Sichtweise sei falsch, die Futurolo-gie keineswegs eine Sache der Vergan-genheit. „Wir haben heute alle mögli-chen Arten der Zukunftsforschung, auch wenn sie nicht so ins Auge sprin-gen, zum Beispiel in der Innovations- und Risikoforschung.“ Auch das, was Jens Beckert, Direktor am MPIfG in Köln mache, zeige die Rolle von Voraus-sagen in Finanzmärkten. Diese Progno-sen gingen bis zu einem gewissen Grad auf Experimente sowie Computersimu-lationen und Modelle zurück, die direkt der Ära des Kalten Kriegs entsprungen seien. „Es ist also nicht so, dass wir uns keine Gedanken mehr über die Zukunft machen würden, das tun wir. Aber wir überlassen das den Experten und ihrem Expertenwissen, und das ist nicht un-problematisch.“

Andere Futurologen wie Robert Jungk, Autor des Buchs „Die Zukunft hat schon begonnen“ (1952), lehnten die Idee ab, dass die Zukunft wissenschaftlich vor-hergesagt werden könne. „Sie hätten ge-sagt: Die Zukunft entspringt der Vorstel-lungskraft. Interessanterweise würden

viele Leute im Silicon Valley die Idee, dass man die Zukunft gestalten könne, heute teilen.“ Die Vorstellungen von Ro-bert Jungk und anderen, die Nachdruck auf Imagination, soziales Denken und Innovation legten, seien in liberale und unternehmerische Ideen der 1980er- und 1990er-Jahre eingeflossen – in die Utopie, dass digitale Informations- und Kommunikationstechniken zur Befrei-ung und Emanzipation beitragen könn-ten. „Aber Zukunftsforscher wie Robert Jungk haben unsere gesellschaftlichen Verhältnisse infrage gestellt, sie waren kritisch gegenüber Machtstrukturen und Ideologien eingestellt“, schränkt Jenny Andersson ein. „Das haben wir in gewis-ser Weise verloren. Unser Problem ist, dass wir nicht mehr in der Lage sind, auf eine Art und Weise über die Zukunft nachzudenken, die den handelnden Menschen in den Mittelpunkt stellt.“ Technokratie und Expertentum haben uns aber nicht vor der Finanzkrise und falschen Entscheidungen bewahrt. „Das hat zu Protest und sozialen Bewegungen geführt und zu einem verstärkten Miss-trauen gegenüber den Eliten“, meint An-dersson. In der Politik wiederum habe sich die Vorstellung durchgesetzt, es ge-

he nur darum, den bevorzugten Wähler-willen durchzusetzen. „Aber Politik kann auch dazu beitragen, die Werte ei-ner Gesellschaft zu verändern. Der Kli-mawandel ist so ein Gebiet, auf dem wir gefragt sind, aktiv unsere Werte und un-ser Verhalten zu hinterfragen“, sagt sie.

Dass es „Weltprobleme“ gebe, die nur ge-meinsam zu lösen sind – auch das sei ei-ne Vorstellung, die in den 1960er-Jahren ihre bis heute gültige Form angenom-men habe. „Die Futuristen jener Zeit hielten den Nationalstaat für ein aggres-sives System, das in ihren Augen für zwei Weltkriege verantwortlich war. Die Frage war, wie man von der nationalen Ebene zu einer Art Weltparlament oder Weltfö-deration gelangt. Obwohl wir mittler-weile ein kompliziertes Geflecht multila-teraler Abkommen besitzen, haben wir dieses Problem noch immer nicht ge-löst.“ Die gegenwärtige Herausforderung bestehe einerseits darin, dass Menschen gegen die Wissenschaften und das Ex-pertentum insgesamt rebellierten – und andererseits in dem neoliberalen Trend, auf individuelle Lösungen zu setzen. Doch so große Probleme wie die Finanz-krise oder der Klimawandel ließen sich nicht durch individuelle Antworten lö-sen. „Dazu braucht es kollektive An-strengungen,“ fordert Andersson.

„Das Problem ist, dass wir dafür keine ef-fizienten Institutionen haben – und das, obwohl wir seit den 1950er- und 1960er-Jahren Institutionen besitzen, die der Idee von Gemeinschaftsgütern verpflich-tet sind“, stellt die Forscherin fest. Aber wir haben die Wahl: „Entweder wir sehen die Zukunft als eine Art wissenschaftlich konstruierte Maschine. Oder als etwas, das uns herausfordert – unsere Ethik, un-sere Verantwortung, unsere Werte und unser politisches System.“ Keine Frage, welche Sichtweise ihr näher ist.

„Politik kann auch dazu beitragen, die Werte einer Gesellschaft zu verändern.“

„Wir überlassen es den experten und ihrem expertenwissen, sich Gedanken über die Zukunft zu machen.“

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Nachrichten

Zusammenarbeit zwischen MPIfG und Sciences Po erfolgreich: MaxPo um fünf Jahre verlängertDas 2012 gegründete Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Societies in Paris (Max Po) kann seine Forschungsarbeit bis 2022 fortsetzen. Nach einer Evaluierung der bisherigen Arbeit mit exzellentem Ergebnis entschied der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Martin Strat-mann, die Finanzierung des MaxPo für weitere fünf Jahre zu si-

chern. Hervorgegangen aus der langjährigen Kooperation zwischen dem MPIfG und der Pariser Universität Sciences Po, untersucht das MaxPo die Auswirkungen zunehmender Liberalisierung, technischen Fortschritts und kultureller Veränderungen auf die Stabi-lität westlicher Industriege-sellschaften. Das Center wird von der Max-Planck-Gesell-schaft und der Sciences Po zu gleichen Teilen finanziert und war zunächst auf fünf Jahre

ausgelegt. Mit den Max Planck Centern will die MPG den Aus-tausch zwischen Max-Planck-Instituten und ihren internatio-nalen Partnern fördern und durch die Kombination komple-mentärer Methoden und neuer Thematiken wissenschaftliche Erkenntnisse erzielen.

allison Rovny ist neue administrative Direktorin am MaxPo

Seit Oktober 2016 ist Allison Rovny neue Administrative Direktorin am MaxPo. Rovny ist promovierte Politologin und war bis zu ihrem Wechsel nach Paris Wissenschaftlerin am Zentrum für Eu-ropaforschung (CERGU) der Universität Göteborg, Schweden. Sie übernimmt die Funktion von Vincent Morandi, der seit

der Gründung von MaxPo im Jahr 2012 dort die Administra-tion leitete und nunmehr die Position des Administrativen Lei-ters der Forschungsdirektion an der Sciences Po Paris über-nommen hat.

Jens Beckert ist Mitglied im Herausgeberbeirat der Managementforschung

Im Juni 2016 ist Jens Beckert in den Her-ausgeberbeirat der Zeitschrift Manage-mentforschung berufen worden. Die 1981 gegründete Zeitschrift ist ein Diskus-sionsforum für neue Trends und Strö-mungen im gesamten Bereich des Ma-nage ments und versteht sich als eine transdisziplinäre Fachzeitschrift für Fra-gen der Unternehmens-, Organisations-

und Netzwerksteuerung. Die Managementforschung wird von Peter Conrad, Jochen Koch und Jörg Sydow herausgegeben.

GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Nachrichten

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Nachrichten GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

Wolfgang Streeck zum Corresponding Fellow der British academy gewählt

Der Rat der British Academy hat Wolf-gang Streeck anlässlich seiner Jahresta-gung im Juli 2016 zum Corresponding Fellow gewählt – die höchste wissen-schaftliche Auszeichnung der British Academy, die nicht aus Großbritannien stammenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verliehen werden kann. Als Corresponding Fellow wird

Streeck zur wissenschaftlichen Arbeit der Akademie beitragen. Die British Academy for the Promotion of Historical, Philo-sophical and Philological Studies ist die nationale Akademie der Wissenschaften des Vereinigten Königreiches für die Geis-teswissenschaften.

Fritz W. Scharpf erhält Juan linz Preis

Die International Political Science Associ-ation (IPSA) hat Fritz W. Scharpf mit dem Juan Linz Preis 2016 ausgezeichnet. Mit dem mit 3.000 US-Dollar dotierten Preis ehrt die Organisation herausragen-de Wissenschaftler, die mit ihrer Arbeit wesentlich zur vergleichenden Forschung in den Bereichen multinationale und multiethnische Integration, Dezentrali-

sierung und Föderalismus beitragen. Der Preis wurde im Rah-men des 24. IPSA-Weltkongresses am 25. Juli in Posen, Polen, überreicht. Fritz W. Scharpf ist Direktor emeritus am MPIfG.

Mark lutter erhält eaS­Preis

Die European Academy of Sociology (EAS) zeichnet Mark Lutter für seinen Artikel Do Women Suffer from Network Closure? The Moderating Effect of Social Capital on Gender Inequality in a Project-based Labor Market, 1929 to 2010 (Amer-ican Sociological Review 80, 2015) mit dem EAS-Preis für den besten Artikel 2016 aus. Die EAS, ein informeller Zu-

sammenschluss von Forschern unterschiedlicher Bereiche der Soziologie, hat das Ziel, klare Standards in der Disziplin zu för-dern. Der mit 500 Euro dotierte Preis wird im Oktober 2017 anlässlich des Jahrestreffens der Vereinigung an Mark Lutter überreicht. Lutter ist Leiter der Forschungsgruppe „Transnatio-nale Diffusion von Innovationen“ am MPIfG in Köln.

Barbara Fulda erhält Roman­Herzog­ Forschungspreis

MPIfG-Alumna Barbara Fulda ist für ih-re Dissertation Immer weniger Kinder? Soziale Milieus und regionale Unterschie-de der Geburtenzahlen mit dem mit 10.000 Euro dotierten zweiten Preis des Roman-Herzog-Forschungspreises aus-gezeichnet worden. Fulda analysiert in ihrer Arbeit die Auswirkungen regiona-ler kultureller Unterschiede auf die Wirk-

samkeit familienpolitischer Maßnahmen. Mit dem Ro-man-Herzog-Forschungspreis werden herausragende For-schungsarbeiten junger Wissenschaftler ausgezeichnet, die sich mit aktuellen Fragestellungen der Sozialen Marktwirtschaft auseinandersetzen. Barbara Fulda war von 2010 bis 2014 Dok-torandin an der IMPRS-SPCE und ist heute Projektmanagerin und Datenanalystin des internationalen Projekts „Life Course and Family Dynamics in a Comparative Perspective“ an der Technischen Universität Chemnitz.

GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Nachrichten

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Sebastian Kohl erhält DIa­Forschungspreis 2016

Sebastian Kohl wurde mit dem For-schungspreis der Deutschen Immobi-lien-Akademie (DIA) an der Universität Freiburg ausgezeichnet. In seiner Disser-tation Homeowner Nations or Nations of Tenants? How Historical Institutions in Urban Politics, Housing Finance and Con-struction Set Germany, France and the US on Different Housing Paths beschäftigte

er sich mit den Gründen für die seit dem neunzehnten Jahr-hundert unverändert unterschiedlichen Wohneigentumsquo-ten in den USA und Deutschland. Der mit 2.500 Euro dotierte Preis wurde im Oktober 2016 anlässlich der Expo Real in Mün-chen verliehen. Sebastian Kohl war bis 2014 Doktorand an der IMPRS-SPCE am MPIfG in Köln und ist seit 2015 Wissen-schaftler an der Universität Uppsala in Schweden.

Zeitschriftenpreis 2016 für Sebastian KohlSebastian Kohl erhält den Zeitschriftenpreis 2016 des Vereins der Freunde und Ehemaligen des MPIfG für seinen Artikel The Power of Institutional Legacies: How Nineteenth-Century Hous-ing Associations Shaped Twentieth-Century Housing Regime Differences between Germany and the United States (European Journal of Sociology 56, 2015). Der Preis ist mit 750 Euro do-tiert und wird für den besten Artikel einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters des MPIfG in einer begutachteten Fachzeit-schrift vergeben. Sebastian Kohl war bis 2014 Doktorand an der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) am MPIfG in Köln und ist seit 2015 Wissenschaftler an der Univer-sität Uppsala in Schweden.

Promotionen an der IMPRS­SPCe im Sommer 2016

Im Rahmen einer Promo tions feier am 14. Juli 2016 gratulierte das MPIfG den diesjährigen Absolventinnen und Ab sol venten der IMPRS-SPCE. Neun Doktorandinnen und Doktoranden haben im akademischen Jahr 2015/2016 ihre Dissertationen abgeschlossen und erfolgreich verteidigt: Irina España zur Ras-senausgrenzung und regionalen Entwicklung in Kolumbien; Annina Hering über Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt so-wie in der Partnerschaft und ihr Einfluss auf die Geburtenent-scheidungen in Deutschland; Annette Hübschle-Finch zum il-legalen Markt von Rhinozeroshorn; Lisa Kastner zur Rolle der Zivilgesellschaft bei der Steuerung der Geldwirtschaft nach der Krise im Jahr 2008; Filippo Reale über die politische Ökonomie sozio-technischen Wandels; Alexander Spielau über die Politi-sche Ökonomie von Wechselkursanpassungen sowie Gregor Zons zur Entstehung neuer politischer Parteien. Die IMPRS-SPCE ist ein vom MPIfG und der Wirtschafts- und Sozialwis-senschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln gemeinsam getragenes internationales Doktorandenprogramm.

Universität Duisburg­essen wird Kooperationspartner im Doktorandenprogramm Die Universität Duisburg-Essen wird neuer Kooperationspart-ner der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) in Köln. Die IMPRS-SPCE ist ein seit 2007 vom MPIfG und der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Univer-sität zu Köln gemeinsam getragenes internationales Doktoran-denprogramm. Ab 2017 soll das Programm durch einen dritten Partner gestärkt werden. Im Rahmen der Kooperation werden Sigrid Quack und Karen Shire, Professorinnen am Institut für Soziologie der Universität Duisburg-Essen, in die Faculty der IMPRS-SPCE aufgenommen. Die Zusammenarbeit mit der Uni-versität Duisburg-Essen beginnt Anfang 2017 mit einer Assozi-ierungsphase und wird bis zur Förderperiode ab Oktober 2019 schrittweise zu einer vollen Partnerschaft ausgebaut werden.

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Nachrichten GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

Clemens Kroneberg ist neues Mitglied der IMPRS­SPCe Faculty Im Oktober 2016 wurde Clemens Kroneberg in die Faculty der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) berufen. Kroneberg ist Professor für Soziologie an der Universität zu Köln und Inhaber des Lehrstuhls des Instituts für Soziologie und Sozialpsychologie. Der IMPRS-SPCE Faculty gehören zur-zeit zwölf Professorinnen und Professoren des MPIfG, der Uni-versität zu Köln sowie der Universität Duisburg-Essen und dem Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instabili-ties in Market Societies (MaxPo), Paris, an.

Wissenschaft trifft Praxis: Neue Workshop­Reihe des MPIfG

Mit dem Thema „Die Europäische Union im Krisenmodus“ startete das MPIfG am 15. September seine neue Work shop-Reihe „Wissenschaft trifft Praxis“ im Wissenschaftsforum Ber-lin. Praktiker und Forscher aus dem Kreis des Vereins der Freunde und Ehemaligen des MPIfG diskutierten Fragen rund um die Europäische Union im achten Jahr nach der Eurokrise. Was bedeutet die transnationale Öffnung der Sozialsysteme der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Debatte über die innereuro-päische Arbeitsmigration? Warum ist es in der Migrationskrise nicht gelungen, eine gemeinsame Haltung zu finden? Wächst die Skepsis gegenüber der EU weiter? Die Idee zu dieser Veran-staltung entstand aus einer Befragung der Alumni des MPIfG zu Wünschen und Erwartungen an ihren Verein. Mit einem Netzwerk von Forschern und Praktikern will das MPIfG einen lebendigen Diskurs über die am Institut erforschten Fragen fördern.

Neue Sichtweisen auf kulturelle transformationenVom 30. Juni bis 1. Juli fand am MPIfG die Konferenz „Losing Social Control: New Perspectives on Cultural Transformations between 1965 and 1985“ statt. Sie konzentrierte sich auf den Zeitraum zwischen 1965 und 1985, der sich für Historikerin-nen und Historiker immer mehr als eine Schlüsselperiode des zwanzigsten Jahrhunderts darstellt. Die Vorträge befassten sich mit Dynamiken, die aus Eindrücken eines Verlusts sozialer Kontrolle und den Versuchen resultierten, Kontrolle über gesellschaftliche Entwicklungen zu erlangen, insbesondere in Bezug auf die Veränderungen um 1968. Die Diskussionen bestätigten, dass dieser Ansatz auch in komparativer Perspek-tive gewinnbringend ist. Die Tagung organisierten Martin Geyer (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Ariane Leendertz gemeinsam.Konferenzbericht S. 23

eröffnung der Fotoausstellung „lost between Borders“Am 15. Juli 2016 eröffnete die Fotoausstellung „Lost between Borders – Menschen auf der Flucht“ in den Räumlichkeiten des MPIfG. Für die Aufnahmen haben die Studierenden Hannah Pool und Felix Volkmar Menschen auf der Flucht begleitet, ih-ren Geschichten zugehört und die Fluchtroute von Griechen-land bis nach Deutschland fotografisch dokumentiert. Die da-bei entstandenen Bilder portraitieren einzelne Geflüchtete und zeigen die Lebensumstände auf der Fluchtroute. Die Einzelpor-traits erzählen die Geschichten von Menschen, die aus den un-terschiedlichsten Gründen den beschwerlichen und gefährli-chen Weg auf sich genommen haben.Bericht S. 27

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NeuerscheinungenGeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

MPIfG BücherWolfgang StreeckHow Will Capitalism End? Essays on a Failing System.London: Verso, 2016 | 272 pagesISBN 978-1-78478-401-0 | £ 16.99 | € 18.95

Capitalism is in critical condition. Growth is giving way to secular stagna-tion, inequality is leading to instability, and confidence in the capitalist money economy has all but evaporated. In How Will Capitalism End?, Wolfgang Streeck, an observer of contemporary politics and economics, argues that capitalism’s shotgun marriage with democracy that began in 1945 is breaking up because the

regulatory institutions restraining its advance have collapsed. After the final victory of capitalism over its enemies, there is no political agency capable of rebuilding them in sight. The capi-talist system is stricken with at least five worsening disorders for which no cure is at hand: declining growth, oligarchy, star-vation of the public sphere, corruption, and international anar-chy. Wolfgang Streeck asks whether we are witnessing a long and painful period of cumulative decay: of intensifying fric-tions, of fragility and uncertainty, and of a steady succession of “normal accidents.”

Olivier GodechotWages, Bonuses and Appropriation of Profit in the Financial Industry: The Working Rich.Routledge International Studies in Money and Banking, Band 86. London: Routledge, 2017 | 244 SeitenISBN 978-1-138-12396-0 | £95.00 (hardback)ISBN 978-1-315-64847-7 | £34.99 (ebook)

The present financial crisis led the whole world to ask questions of the financial in-dustry. Why are wages in the financial in-dustry so important? Are bonuses re-sponsible for the financial crisis? Where do bonuses come from? Politicians and others urged people to believe that the crisis was the price of Wall Street’s greed and blamed the “bonus culture” preva-lent in the financial industry. But despite

being widely condemned and the threat of tighter regulation, bonuses in the industry have shown great resilience. Wages, Bonuses and Appropriation of Profit in the Financial Industry provides an in-depth inquiry into the bonus system. Drawing on examples from France, the City and Wall Street, it explains how and why workers in the financial industry can get such large bonuses. The book considers issues around incen-tives, morality and wealth-sharing among employees, includ-ing the rise of “the working rich” who have earned most from the high wages and large bonuses on offer to some employees. These people have earned a fortune through their work and new forms of exploitation in our ever-more dematerialized economy. This book shows how the most mobile employees holding the most mobile assets can exploit the most immobile stakeholders. In our world where inequalities are sharply ris-ing, it is therefore an important study of one of the key contem-porary issues.

Bücher, Journal articles und Discussion Papers

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Nachrichten GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16Neuerscheinungen

Aleksandra MaatschParliaments and the Economic Governance of the European Union: Talking Shops or Deliberative Bodies?Routledge International Studies in Money and Banking, Band 86. London: Routledge, 2017 | 132 SeitenISBN 978-1-138-23003-3 | £45.00 (hardback)ISBN 978-1-315-38726-0 | €36.55 (ebook)

This book analyses how national parlia-ments and parliamentary parties per-formed their legislative, representative and control functions during the reform of Eu-ropean economic governance. Focusing on domestic approvals of anti-crisis measures (EFSF, ESM and the Fiscal Compact) in all member states of the Eurozone, the book aims at establishing to what extent national parliaments and parliamentary parties se-

cured their competences in EU policy-making during that process. This text will be of key interest to scholars, students and practitioners in European Union politics and studies, political parties and parliaments, European Economic governance and more broadly to European politics.

Nina EngwichtIllegale Märkte in Postkonfliktgesellschaften: Der sierra-leonische Diamantenmarkt.Schriften aus dem MPIfG, Band 88. Frankfurt a.M.: Campus, 2016 | 274 SeitenISBN 978-3-593-50645-6 | € 39,95 (broschiert)ISBN 978-3-593-43482-7 | € 35,99 (E-Book)

Was wird aus Kriegsökonomien, wenn Kriege enden? Gewaltbasierte illegale Märkte, auf denen wertvolle Rohstoffe gehandelt werden, stellen ein wesentli-ches Problem bei der Beendigung inner-staatlicher Kriege dar. Seitdem dies be-kannt ist, wurden zahlreiche Maßnah-men zur Bekämpfung dieser Kriegsmärk-te entwickelt. Nina Engwicht untersucht die Entwicklung illegaler Märkte im

Spannungsfeld von Reform und andauernder fragiler Staat-lichkeit am Beispiel eines Marktes, der für seine kriegsversteti-gende Rolle bekannt wurde: der illegale Diamantenmarkt in Sierra Leone. Auf der Basis intensiver Feldforschung entwickelt die Autorin eine sozialwissenschaftliche Perspektive auf den il-legalen Diamantenmarkt in der sierra-leonischen Postkonflikt-gesellschaft und zeigt, dass andauernde Illegalität die Friedens-konsolidierung nicht notwendig gefährdet.

MPIfG Journal articlesAbstracts und Download www.mpifg.de/pu/journal_articles_de.asp

Matías Dewey, Daniel Pedro Míguez und Marcelo Fabián SaínThe Strength of Collusion: A Conceptual Framework for Interpreting Hybrid Social Orders. In: Current Sociology, published online August 5, 2016.

Martin Höpner und Lena EhretEndlich Subsidiarität? Die parlamentarische Subsidiari-tätskontrolle am Beispiel von „Monti II“. In: Politische Vierteljahresschrift 57(3), 2016, 403–429.

Martin Höpner und Alexander SpielauBesser als der Euro? Das Europäische Währungssystem, 1979–1998. In: Berliner Journal für Soziologie, published online October 18, 2016.

Annette Hübschle-FinchThe Social Economy of Rhino Poaching: Of Economic Freedom Fighters, Professional Hunters and Marginal-ized Local People. In: Current Sociology, published online October 13, 2016.

Sebastian KohlUrban History Matters: Explaining the German–Ameri-can Homeownership Gap. In: Housing Studies 31(6), 2016, 694–713.

Aldo MadariagaMechanisms of Neoliberal Resilience: Comparing Ex-change Rates and Industrial Policy in Chile and Estonia. In: Socio-Economic Review, published online July 22, 2016.

Sascha MünnichReadjusting Imagined Markets: Morality and Institu-tional Resilience in the German and British Bank Bailout of 2008. In: Socio-Economic Review 14(2), 2016, 283–307.

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NeuerscheinungenGeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

Marcin SerafinCacophony of Contestation: Forms of Voice and the Warsaw Taxi Market as a Field of Struggles. In: European Journal of Sociology 57(2), 2016, 259–295.

Wolfgang StreeckVarieties of Varieties: „VoC” and the Growth Models. In: Politics & Society 44(2), 2016, 243–247.

Wolfgang Streeck und Lea ElsässerMonetary Disunion: The Domestic Politics of Euroland. In: Journal of European Public Policy 23(1), 2016, 1–24.

Cornelia WollPolitics in the Interest of Capital: A Not-So-Organized Combat. In: Politics & Society 44(3), 2016, 373–391.

MPIfG Discussion PapersAbstracts und Download www.mpifg.de/pu/discpapers_de.asp

Martin Seeliger und Ines WagnerWorkers United? How Trade Union Organizations at the European Level Form Political Positions on the Freedom of Services. MPIfG Discussion Paper 16/16.

Fritz W. ScharpfForced Structural Convergence in the Eurozone – Or a Differentiated European Monetary Community.MPIfG Discussion Paper 16/15, im Erscheinen.

Fritz W. ScharpfDe-Constitutionalization and Majority Rule: A Democratic Vision for Europe. MPIfG Discussion Paper 16/14.

Arndt Sorge und Wolfgang StreeckDifferentiated Quality Production Revisited: The Transformation of Production Systems and Regulatory Regimes in Germany. MPIfG Discussion Paper 16/13.

Benjamin BraunSpeaking to the People? Money, Trust, and Central Bank Legitimacy in the Age of Quantitative Easing. MPIfG Discussion Paper 16/12.

Philipp KoromInherited Advantage: The Importance of Inheritance for Private Wealth Accumulation in Europe. MPIfG Discussion Paper 16/11.

Arjan ReurinkFrom Elite Lawbreaking to Financial Crime: The Evolution of the Concept of White-Collar Crime. MPIfG Discussion Paper 16/10.

IMPRS­SPCe Dissertation SeriesStudies on the Social and Political Constitution of the Economy

Abstracts und Download imprs.mpifg.de/imprs_dissertation_series.asp

Filippo Gian-Antonio RealeDie politische Ökonomie soziotechnischen Wandels: Eine Fallstudie an Hand der Arbeitsbeziehungen in der spanischen Verkehrsluftfahrt. International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE), Köln 2016. DOI: 10.17617/2.2272647

Marcin SerafinThe Temporal Structures of the Economy: The Working Day of Taxi Drivers in Warsaw. International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE), Köln 2016.DOI: 10.17617/2.2218692

Aktuelle Publikationen des MPIfG www.mpifg.de/pu/mpifg_pub_de.asp

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Wem gehört die Zukunft? Kollektive erwartungen in Wirtschaft, Gesellschaft und PolitikInstitutstag 2016 des MPIfG17. und 18. November 2016

Der diesjährige Institutstag stand unter der Leitfrage: „Wem gehört die Zukunft? Kollektive Erwartungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik“. Den Hinter-grund der Fragestellung bildeten zu-nächst die aktuellen politischen Irritatio-nen, die durch den Aufstieg nationalis-tischer und antiliberaler Parteien in vie-len Ländern, die „Brexit“-Entscheidung in Großbritannien sowie den Wahlsieg von Donald Trump in den USA geschaf-fen wurden. In seinem Eröffnungsvor-trag über „Democracy in a Dangerous and Troubled World“ versuchte Colin Crouch (Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied des MPIfG) eine Erklärung des Erfolgs populistischer Bewegungen in Euro pa und den USA. Das Phäno-men starker Emotionen in der Politik sei nicht neu, wie Crouch betonte; er erin-nerte daran, dass die Parteienlandschaft in den westlichen Demokratien schon immer durch starke „kollektive Identitä-ten“ – Nation, Religion, Klasse – geprägt gewesen ist. Mindestens zwei dieser Pfei-ler des kollektiven Bewusstseins  – Reli-gion und Klasse – hätten allerdings seit dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts stark an Bedeutung eingebüßt.

Gleichzeitig sah die Bevölkerung sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert, insbesondere mit den Folgen der wirt-schaftlichen Globalisierung, dem Zu-strom von Einwanderern und Flücht-lingen, dem islamischen Terrorismus. Vor diesem Hintergrund erkläre sich die Wiederbelebung nationaler und konser-vativer Werte, die in bestimmten sozia-len Schichten als Bollwerk gegen den als Bedrohung empfundenen liberalen Mul-tikulturalismus verstanden werden. Die Demokratie sei keine Veranstaltung des

rationalen Diskurses allein, sondern be-ruhe immer auf einem Gleichgewicht zwischen rationalen Motiven und Leiden-schaften. Der „Wille des Volkes“ könne aber nicht unmittelbar regieren; vielmehr sei die Demokratie auf starke Institutio-nen (das Parlament, das Verfassungsge-richt, die Zentralbank) als Vermittler und Interpreten des Volkswillens angewiesen.

Die Frage nach der Bedeutung gesell-schaftlicher Zukunftsvisionen wurde in einer umfassenden Perspektive durch Jens Beckert (MPIfG) aufgenommen, der dabei auf sein demnächst auch auf Deutsch erscheinendes Buch Imagined Futures: Fictional Expectations and Cap-italist Dynamics Bezug nahm. Beckerts Kernthese lautet, dass kapitalistische Ge-sellschaften durch einen zukunftsfixier-ten Reproduktionsmodus charakterisiert sind; sie unterliegen dem Zwang, ihre ei-gene Historizität durch die Erzeugung und Verwirklichung fiktionaler Erwar-tungen immer neu zu produzieren. In der unsicheren Umwelt globaler Märkte sind rational begründete Prognosen viel-fach unmöglich; daher sind die Akteure auf die Konstruktion fiktiver Zukunfts-szenarien angewiesen, die eine Grund-lage für Entscheidungen unter Unsi-cherheit bieten können. Diese Szenarien konzentrieren sich auf spezifische In-novationen und die mit ihnen verknüpf-ten Zukunftshoffnungen; sie zielen dar-auf, eine positive Resonanz bei Investo-ren, Experten und potenziellen Kunden zu erzeugen und damit eine sich selbst verstärkende Dynamik im Sinne einer Self-fulfilling Prophecy auszulösen.

Nicht immer gelingt die Transforma-tion fiktionaler Erwartungen in wirt-

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GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Veranstaltungen

schaftliche Dynamik; manchmal können ursprünglich positiv konnotierte Zu-kunftsszenarien sich sogar in Alpträu-me verwandeln (zum Beispiel wenn die Hoffnung auf globale informationstech-nische Vernetzung in die Furcht vor to-taler Überwachung umschlägt). In der unmittelbaren Gegenwart sei, wie Be-ckert betonte, sogar eine Intensivierung und Beschleunigung der Produktion fik-tiver Zukunftsszenarien zu beobachten, für die er die fortschreitende Globalisie-rung der Märkte, die Intensivierung des Wettbewerbs und die Enttraditionalisie-rung der Lebensformen verantwortlich macht.

Der folgende Vortrag von Torsten Kathke (MPIfG) über „Zukunftserwartungen im Rückblick“ nahm die Zukunftsfixie-rung der modernen Gesellschaft in ei-ner historischen und reflexiven Perspek-tive in den Blick. Kathke arbeitete die Entwicklungslinien der wissenschaft-lichen „Futurologie“ sowie politischer und technologischer Zukunftsvisionen seit den 1950er-Jahren (Toffler, Bell, Meadows, Jungk, Gruhl, Lorenz, Beck, Lasch) heraus und zeigte, dass die „Zu-kunft“ schon damals zu einem zentralen Schlagwort der öffentlichen Diskussion geworden war.

Der zweite Teil des Institutstags begann mit einem Vortrag von Ulrich Dolata

(Universität Stuttgart) über „Märkte und Macht der Internetkonzerne“, der die Struktur und die Strategien der markt-beherrschenden Internet-Unternehmen (Apple, Amazon, Microsoft, Google, Facebook) beleuchtete. Deren Domi-nanz erkläre sich nicht nur aus direkten und indirekten Netzwerkeffekten und überlegenen wirtschaftlichen Ressour-cen, sondern auch daraus, dass die Kon-zerne die durch sie kontrollierten Märk-te selbst erst schaffen. Dolata sprach von einer Kombination ökonomischer, infra-struktureller und datenbezogener Macht, die durch die Politik kaum zu kontrol-lieren sei, aber gleichzeitig einer hohen Marktvolatilität unterliege („die Schwär-me können jederzeit weiterziehen“).

In seinem anschließenden Vortrag zur Frage „Müssen wir vor der Zukunft der Arbeit Angst haben?“ setzte sich Wer-ner Eichhorst (Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, IZA) mit Progno-sen der Auswirkungen digitaler Techno-logien auf die Arbeitswelt auseinander. Im Gegensatz zu extrem pessimistischen Szenarien (die ein Verschwinden von bis zu fünfzig Prozent der heutigen Jobs voraussagen) plädierte Eichhorst für ei-ne Entdramatisierung. Zumindest in Deutschland seien keine spektakulären Strukturbrüche zu erwarten, sondern ei-ne eher kontinuierliche Entwicklung, die freilich mit einer Tendenz zur Polarisie-

rung der Arbeitsbedingungen und mit einem steigenden Arbeitsplatzrisiko für Beschäftigte mit mittleren Qualifikatio-nen einhergehe.

Abgeschlossen wurde die Tagung durch eine Podiumsdiskussion, in der Norbert Kluge (Hans-Böckler-Stiftung), Erika Mezger (Eurofound), Wolfgang Schroe der (Universität Kassel) und Rainer Zuge-hör (Moving Image24) unter der straffen Moderation von Verena Gonsch (NDR) über die Frage debattierten: „Brauchen wir noch Mitbestimmung?“ Diskutiert wurde, ob die traditionelle, rechtlich ver-ankerte Form betrieblicher Mitbestim-mung in Deutschland angesichts der neuen Formen „direkter“ Partizipation in dezentralen Organisationsstruktu-ren und digitalisierten Arbeitsprozessen nicht als „Auslaufmodell“ zu betrachten sei. Die Antwort der Podiumsteilnehme-rinnen und -teilnehmer fiel zwar teils unterschiedlich aus; weitgehende Einig-keit bestand jedoch darin, dass die tra-ditionellen Systeme der Mitbestimmung auch im digitalen Zeitalter keineswegs überflüssig werden, sondern eine wich-tige Komplementärfunktion zu direkter Partizipation erfüllen können.

Christoph Deutschmann

Podcasts des Institutstagshttp://tinyurl.com/PodInsttag2016

Das Interesse an den 1970er-Jahren reißt nicht ab – ob in der Popkultur, auf dem Sachbuchmarkt oder in der Zeitge-schichtsforschung, die sich die knifflige Frage stellen muss: Welche der teils von den Zeitgenossen selbst intensiv disku-tierten, vermessenen und gedeuteten In-

strumente sind für die Analyse von sozio kulturellen Veränderungsprozessen geeignet?

Bereits die einleitenden Überlegungen zur Konferenz „Losing Social Control? New Perspectives on Cultural Transfor-

mations between 1965 and 1985“ von Ariane Leendertz (MPIfG) zeigten, dass viele gegenwärtige Interpretationsange-bote diese kulturellen Transformationen vom Ende her betrachten: Denn oft zeichne sich gerade für die Autoren von Gesamtdarstellungen zum zwanzigsten

losing Social Control? New Perspectives on Cultural transformations between 1965 and 1985Gemeinsame Konferenz des MPIfG und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)30. Juni und 1. Juli 2016

Jahrhundert um 1970 der Untergang des „goldenen Zeitalters“ der ersten Nach-kriegsjahrzehnte ab. Ein progressiver Konsens, verdichtet in Chiffren wie New Deal Order oder post-war settle ment, sei aufgekündigt worden. Aufgrund der welt-weiten ökonomischen Stag nation, aber auch durch soziale Unruhen und Forde-rungen nach politischer Partizipation habe sich das Achsensystem vieler wohl-fahrtsstaatlicher Konsumgesellschaften verschoben. Das habe langfristig dem Um-, wenn nicht sogar dem Rückbau be-stimmter Staatsfunktionen und teils auch einem Prozess der „Vermarktli-chung“ den Weg gebahnt. Zwischen 1965 und 1985 sei folglich nicht nur die Sorge um Löcher in der sozialen Kohä sion und Kontrolle gewachsen. Man habe auch die bisherigen Methoden, mit denen diese Löcher identifiziert und gestopft werden sollten, problematisiert.

Martin Geyers (LMU) Vortrag setzte sich mit dem Verhältnis von sozialer Kontrol-le und öffentlicher Meinung im Denken der westdeutschen Demoskopin und Pu-blizistin Elisabeth Noelle-Neumann aus-einander. Geyer zeigte, wie sehr die Di-rektorin des Instituts für Demoskopie von US-amerikanischen soziologischen Theorien der Zwischenkriegszeit beein-flusst war. Insbesondere beschäftigte sie die Frage, wie es radikalen Minderheiten gelingen konnte, das gesellschaftliche Mei nungsklima regelrecht zu dominieren.

Jenny Andersson (MaxPo/Sciences Po Paris) widmete sich dem gegenwärtig im Fokus stehenden Feld der Zukunfts-forschung am Beispiel der „Commission on the Year 2000“. Diese international und multidisziplinär zusammengesetzte Gruppe von Wissenschaftlern versuch-te Anfang der 1960er-Jahre, die Zukunft durch Anwendung heterogener Prog-nosewerkzeuge auf soziale Systeme zu „kontrollieren“. Till Kössler (Ruhr-Uni-versität Bo chum) nahm das Klassenzim-mer in den Blick, das viele Pädagogen in eine autarke Lernmaschine oder -umwelt zu verwandeln suchten. Hier sollte „Ver-halten“ durch positives reinforcement modifiziert werden. Jennifer Light (Mas-

sachusetts Institute of Technology) prä-sentierte ihr Buchprojekt zu den Junior Republics, die besonders in den USA ab der Jahrhundertwende bis in die 1930er-Jahre bekannt wurden. Light betrachtete diese als Simulationen des Erwachsenen-lebens, in denen Heranwachsende eige-ne ökonomische Leistungen erbrachten, obwohl jene nie als solche thematisiert wurden. Eher ideengeschichtlich nahm David Steigerwald (Ohio State Univer-sity) das Verhältnis von Er- und Ent-mächtigung nach 1968 in den Blick, wo-bei er insbesondere nach der Rolle der Informationstechnologien fragte. Der destruktiven Rolle, die die public choice economics in der politischen Kultur der USA gespielt haben, widmete sich Nancy MacLean (Duke University). Sie rekons-truierte, wie das Denken der sogenann-ten Virginia School seit den 1960er-Jah-ren finanziell gefördert und aktiv ver-breitet wurde.

Einen komplexeren Vermarktlichungs-prozess beleuchtete Alice O’Connor (Uni-versity of California, Santa Barbara) mit der staatlich forcierten Finanzialisierung des Hypothekenmarkts in den USA der 1960er- bis 1990er-Jahre, die der Immo-bilienblase und damit der Bankenkrise der späten 2000er-Jahre voranging. Bern-hard Rieger (University College Lon-don) führte seine Beobachtungen zur Wirtschaftspolitik des glücklosen briti-schen Premiers Edward Heath und zum in deren Folge geschwundenen Vertrau-en in politische Planung aus. Manfred Berg (Universität Heidelberg) argumen-tierte, dass sich der Ausbau des US-Ge-fängnissektors aus dem Zusammenspiel der sozialpolitischen Programmatik der Great-Society-Ära mit einem backlash der Bürgerrechtsbewegung, verbreitetem Rassismus und populistischen Rechts-traditionen erklären lasse. Julilly Kohler-Hausmann (Cornell University, Ithaca) diskutierte den Anstieg der Zahl der Ge-fängnisinsassen nach 1970 in Zusam-menhang mit dem „Krieg gegen die Dro-gen“ in den US-Großstädten.

Abschließend brachte Ariane Leendertz mit der Komplexitätstheorie US-ame-

rikanischer Politikwissenschaftler wie Garry D. Brewer, Ronald D. Brunner und Todd R. La Porte erneut die Ebene der intellektuellen Konstruktion sozialer Wirklichkeit ins Gespräch. Ähnlich wie MacLean und Andersson plädierte sie al-so dafür, die Rolle der Gesellschaftstheo-rie bei der Aushöhlung des progressivism genauer zu untersuchen – eine interes-sante Anregung für Zeithistoriker. Auf der Suche nach Quellen stoßen sie sehr schnell auf diese Theorien, haben aber deutlich größere Schwierigkeiten, die durch sie beschriebenen realen Trans-formationen sozialhistorisch zu erfas-sen. Diese Feststellung sollte aber nicht dazu verleiten, eine Frage auszublenden: Inwieweit wurden zwischen 1965 und 1985 neuartige gesellschaftliche Allian-zen möglich, die tatsächlich Effekte staat-licher Interventionen waren? Gerade die US-Bürgerrechtspolitik, aber auch woh-nungspolitische Programme reorgani-sierten soziale Beziehungen von Grund auf und schufen neue Interessenkon-stellationen. Dies sei zu berücksichti-gen, wenn man begreifen wolle, was erst ex post als „Genealogie des Neoliberalis-mus“ erscheint.

Tatsächlich waren es in erster Linie die Vor- und Nachteile dieses Begriffs, die in der Abschlussdiskussion thematisiert wurden. „Neoliberalismus“ hat sich in der deutschen Öffentlichkeit offenbar stärker als in den USA für den Aufstieg des Markts als Paradigma der gesell-schaftlichen Reproduktion durchgesetzt. Allerdings sollte weder von einem Be-deutungsverlust des Staatshandelns noch einem Rückgang der Staatsquote die Re-de sein. Vielmehr sollte man von einer „Mutation des Staates“ sprechen, für de-ren Ergebnis der Soziologe Stephan Les-senich bereits den Begriff des „Neosozia-len“ vorgeschlagen hat. Die Diskussionen zum Ausgang der Tagung ließen hoffen, dass der Boom der „Nach-dem-Boom“-Forschung noch etwas anhält.

David Kuchenbuch

Ausführliche Fassung bei HSozKult http://tinyurl.com/losing-social-control

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Financial Innovation, Diffusion, and Institutionalization: the Case of SecuritizationWorkshop9. und 10. Juni 2016

Wie konnten Marktkorrekturen im US-amerikanischen Subprime-Hypothe-kenkreditmarkt – einem Finanzsegment, das 2008 lediglich einen marginalen An-teil am globalen Finanzvolumen stellte – ein weltweites Finanzmarktbeben auslö-sen? Der Schlüssel zur Lösung des Rät-sels liegt in der Kreditverbriefung (engl. securitization), einer Finanzinnovation, die es ermöglicht, nicht handelbare Kre-dite in handelbare Wertpapiere umzu-wandeln und an internationale Investo-ren zu verkaufen. Die Kreditverbriefung förderte nicht nur internationale Ver-flechtung und Marktkomplexität, son-dern trug zudem entscheidend zum Auf-stieg des Schattenbankensektors im Vor-feld der Krise bei.

Die zentrale Rolle der Kreditverbrie-fung in der Finanzkrise bildete den Aus-gangspunkt des gemeinsam von Benja-min Braun, Tod van Gunten und Ma-rina Hübner (alle MPIfG) organisierten Workshops. Politökonomen und Wirt-schaftssoziologen trafen sich in Köln, um die politischen, institutionellen und ideellen Faktoren herauszuarbeiten, die zur Entstehung der Kreditverbriefung (innovation), ihrer internationalen Ver-breitung (diffusion) sowie ihrer Re-Ins-titutionalisierung (institutionalization) im Anschluss an die globale Finanzkrise beitrugen.

InnovationIn ihrer historisch-vergleichend ange-legten Untersuchung zeigten Timothy Blackwell und Sebastian Kohl (beide Uni-versität Uppsala) einen engen Zusam-menhang zwischen der Form der Hypo-thekenfinanzierung im neunzehnten Jahrhundert und der Stärke der (Hypo-

thekenkredit-)Verbriefungsrate im aus-gehenden zwanzigsten Jahrhundert auf. Sarah Quinn (University of Washington) analysierte die zentrale Rolle der John-son-Regierung in der Entwicklung der US-amerikanischen Kreditverbriefungs-märkte in den 1960er-Jahren. Samuel Knafo (University of Sussex) stellte die Bedeutung des Verbriefungsinstruments für die Finanzialisierung der industriali-sierten politischen Ökonomien heraus.

DiffusionManuel Aalbers (Universität Löwen) ver-wies auf die entscheidende Position von Ratingagenturen in der Diffusion der Kreditverbriefungsmärkte. Tod van Gun-ten (MPIfG) zeigte, dass der hohe Wett-bewerbsdruck im spanischen Sparkas-sensektor zu hohen Kreditvergabe- und Kreditverbriefungsraten im Hypothe-kensektor führte, was entscheidend zur spanischen Immobilienblase beigetra-gen hat.

InstitutionalisierungBenjamin Braun (MPIfG) befasste sich mit der Relevanz der Verbriefungs- und Repomärkte für die Implementa-tion geldpolitischer Entscheidungen. Ein Umstand, der der Finanzindustrie spe-zifisch infrastrukturelle Machtressour-cen verleihe. Daniel Mertens und Mat-thias Thiemann (beide Goethe-Univer-sität Frankfurt) analysierten die Rolle der europäischen Förderbanken im Rah-men des von der EU-Kommission lan-cierten Investitionsprogramms (Juncker-Plan) und arbeiteten deren zentrale Be-deutung in einer verbriefungsbasierten Wachstumsstrategie heraus. Anastasia Nesvetailova (City University London) diskutierte die Frage, ob an der Idee, Ver-

briefungsmärkte müssten allzeit liquide sein, auch nach der Finanzkrise festge-halten wurde. Marina Hübner (MPIfG) stellte die politische Rolle der Europäi-schen Zentralbank im aktuellen euro-päischen Kapitalmarktunionprojekt her-aus, bei dem die Revitalisierung der Kre-ditverbriefungsmärkte im Mittelpunkt steht. Abschließend zeigten Ewald Enge-len und Anna Glasmacher (beide Univer-sität Amsterdam), dass das in der aktuel-

len politischen Debatte verwendete Nar-rativ „simpler, transparenter und stan-dardisierter“ Verbriefungen irreführend ist und die vorgeschlagenen Regulie-rungsmaßnahmen kaum dazu geeignet erscheinen, künftige Verbriefungskrisen zu verhindern.

Die im Rahmen des Workshops gewon-nenen Erkenntnisse stehen exempla-risch für den wichtigen Beitrag, den die Sozialwissenschaften zu einem besseren Verständnis der Finanzmärkte im gegen-wärtigen Finanzkapitalismus leisten.

Marina Hübner

Workshop­Programmwww.mpifg.de/projects/financial_innovation

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the Resilience of Finance Capitalism: exploring the Role of Money, Capital, and PowerWorkshop5. Dezember 2016

Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hatte seit 2007 nicht nur den schwersten Wachstumseinbruch seit der Großen De-pression der 1930er-Jahre zur Folge. Sie hat sich mit der Krise der Eurozone und der der politischen Repräsentation – wie sie im Brexit-Votum sichtbar wurde – zu einer Art Vielfachkrise verschränkt. Den-noch scheint der Status quo ante des Fi-nanzmarktkapitalismus wiederherge-stellt. Trotz institutioneller Anpassungen auf Ebene der Europäischen Union und im Bereich der internationalen Banken-regulierung zeugen die weiterhin unge-löste Problematik der Staats- und Privat-verschuldung sowie eine nur wenig Dy-namik aufweisende Weltwirtschaft von der inhärenten Möglichkeit neuerlicher globaler Finanzmarktverwerfungen. Wie ist diese Stabilität der Instabilität zu er-klären und worauf beruht sie?

Die Grundannahme des Workshops war, dass zum besseren Verständnis der Re-silienz des Finanzmarktkapitalismus ein grundlegender Blick auf die Funktions-weise des Geldes im globalen Finanz-system sowie dessen Verhältnis zu Ka-pital und unterschiedlichen Formen von Macht nötig ist. Ziel war, diese Zusam-menhänge aus den disziplinären Blick-winkeln von Wirtschaftswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft zu betrachten.

Im ersten Block des Workshops wurden verschiedene Aspekte des Geldes näher beleuchtet. Daniela Gabor (UWE Bris-tol) hob die zentrale Rolle von Schatten-geld hervor. Dieses entsteht bei kurzfris-tigen, mit festen Rückkaufgarantien ver-sehenen Verleihgeschäften (Repos), de-ren Gegenstand vor allem verbriefte und

handelbare Staatsanleihen sind. Aus ei-ner stärker soziologischen Perspektive betonte Samuel Knafo (University of Sus-sex) die Notwendigkeit, einen eigenstän-digen historischen Blick auf die Rolle von Spekulation über ihre simple Kritik hinaus zu werfen. Abschließend zeigte Bob Jessop (University of Lancaster) an-hand der Marx’schen Geldtheorie und des Konzepts der internationalen Wäh-rungspyramide unterschiedliche Krisen-tendenzen des Finanzsystems auf.

Der zweite Teil des Workshops widmete sich dem Kapital. Kapital kann sowohl als eine bestimmte Form des Geldes als auch als Kollektivakteur verstanden wer-den. Aus der Perspektive der hetero-doxen Ökonomie behandelte Riccardo Bellofiore (Universität Bergamo) die Be-ziehung zwischen Finanzkapital und in-dustrieller Produktion unter Rückgriff auf Keynes, Marx und Minsky. Mathis Heinrich (Universität Tübingen) arbei-tete die konkurrierenden Interessen ver-schiedener Teile des Finanzkapitals wie Investmentbanken, Versicherungen und Hedgefonds im Konflikt mit dem In-dustriekapital auf europäischer Ebene heraus.

Im dritten Block gingen Stefano Sgam-bati (City University London) und Da-niel Mertens (Universität Frankfurt) der Funktion von Banken nach. Sgambati er-läuterte, dass die Fähigkeit, Schulden zu diskontieren und Schulden von anderen zu kapitalisieren, das wichtigste Merk-mal zeitgenössischer Banken darstelle. Mertens widmete sich der Konzeption der Bankenhegemonie und der Diskus-sion um die Bankenmacht im deutschen Kontext.

Abschließend befasste sich der Work-shop mit der empirischen Dimension von Finanzmacht sowie der Bedeu-tung von Geld- und Kreditschöpfung für intra- und internationale Ungleich-heit. Jan Fichtner (Universität Amster-dam) zeichnete anhand der Zentralität der Offshore-Finanzzentren für den an-gelsächsischen Wirtschaftsraum die Per-sistenz der US-Hegemonie nach. Mit ei-nem Fokus auf Staatsverschuldung und deren Gläubigerstruktur am Beispiel der USA argumentierte Sandy Hager (City University London), ein Machtzuwachs der Topeinkommen sei als wesentli-ches Resultat steigender öffentlicher Verbindlichkeiten zu verstehen. Aaron Sahr (Hamburger Institut für Sozial-forschung) legte schließlich das Augen-merk auf das Phänomen der Geldschöp-fung per Tastendruck im digitalisierten Banken- und Finanzsystem.

Insgesamt war der Workshop von inten-siven Diskussionen geprägt, die den Ge-genstandsbereich aus unterschiedlichen theoretischen und disziplinären Per-spektiven abklopften. Ziel bleibt es, da-raus eine institutionelle Struktur in Form einer von der Deutschen Forschungs-gemeinschaft geförderten Nachwuchs-gruppe zu errichten, an der auch For-scherinnen und Forscher des MPIfG ak-tiv beteiligt sein würden.

Michael Schwan und Kai Koddenbrock

Workshop­Programmwww.mpifg.de/projects/finance-capitalism

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„lost between Borders“Fotoausstellung am MPIfG15. Juli bis 11. August 2016

Wie fühlen sich Menschen, die aus ih-rer Heimat fliehen müssen? Die Studie-renden Hannah Pool und Felix Volkmar haben Geflüchtete auf ihrem Weg nach Europa begleitet, ihren Geschichten zu-gehört und die Fluchtroute von Grie-chenland bis nach Deutschland fotogra-fisch dokumentiert. Ihre Fotos zeigten sie im Juli und August in einer Ausstel-lung „Lost Between Borders“ am MPIfG. Bei der Vernissage am 15. Juli erlebten die Besucher beeindruckende Schilde-rungen der beiden Studierenden und entwickelten in intensiven Gesprächen mit Pool und Volkmar eine Vorstellung von dem, was Flucht für die Menschen bedeutet.

Im Sommer 2015 hatten sich die bei-den 23-Jährigen auf der griechischen Insel Kos zunächst als freiwillige Helfer für zwei Wochen um Neuankömmlin-ge, welche die Überfahrt über das Mit-telmeer per Schlauchbooten überstan-den hatten, gekümmert. Hannah Pool

studiert Internationale Beziehungen in Dresden und beherrscht Farsi – das half, das Vertrauen der aus Afghanistan und dem Iran stammenden Menschen zu ge-winnen. Diese Begegnungen und Ge-spräche brachten Pool und Volkmar auf die Idee, die Flüchtlinge auf ihrem wei-teren Weg entlang der Balkanroute bis nach Deutschland zu begleiten. Volkmar, der Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Marburg studiert, doku-mentierte ihre gemeinsame Reise mit der Kamera.

Die so entstandenen Bilder portraitie-ren einzelne Schicksale und zeigen die Lebensumstände auf der Fluchtrou-te. Den Fokus der Fotografien sowie ih-rer Recherchen legen die beiden Studie-renden dabei bewusst auf den humanen Aspekt der Flucht: Einzelportraits erzäh-len Geschichten von Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen den beschwerlichen und gefährlichen Weg auf sich genommen haben. Dabei geht

es Pool und Volkmar darum, vor allem den Prozess und die damit verbundene immense Kraftanstrengung einer Flucht sichtbar zu machen. Dem oft genannten Bild einer anonymen „Einwanderungs-welle“ oder „Einwanderungsflut“ wollen sie menschliche Schicksale und Gesich-ter entgegensetzen.

Silvia Oster

Fotoausstellung „Lost between Borders – Menschen auf der Flucht“http://tinyurl.com/lost-b-borders

erschöpfte Demokratie: ein theater der UtopienTheateraufführung am MPIfGNovember 2016

Eine Theaterdarbietung im Veranstal-tungsangebot des MPIfG? Das ist jeden-falls nicht alltäglich. Und doch sollte sich bei der offenen Probe im Anschluss an den Institutstag des MPIfG mit dem Ti-tel „Wem gehört die Zukunft? Kollek-tive Erwartungen in Wirtschaft, Gesell-schaft und Politik“ zeigen, dass das expe-

rimentelle neue Stück der freien Kölner Theatergruppe 51grad perfekt an aktu-elle Forschungsarbeiten des Instituts an-schließt.

Erkenntnisse aus Natur- und Gesell-schaftswissenschaften waren Inspiration für das Theaterstück, das Dramaturgin

Erschöpfte Demokratie#1#revolution. ein theaterabend als angewandte utopieforschung

Eine Produktion des theater-51grad, in Kooperation mit Freihandelszone – ensemblenetzwerk kölnUraufführung: 23. November 2016Weitere Vorstellungen: 25./26./28./30. November 2016

Text und Dramaturgie: Rosi Ulrich; Regie: Andrea Bleikamp; Video und Raum: Kerstin Unger; Musik und Sound: Sibin Vassilev; Kostüme: Sabine SchneiderMit: Marc Fischer, Helena Aljona Kühn, Tomasso Tessitori, Petra Weimerhttp://tinyurl.com/theater51gradAnt-Installation: Kuai Shen, http://kuaishen.tv

Rosi Ulrich und Regisseurin Andrea Blei-kamp erdacht haben. Es will verschie-dene Utopien abbilden und positive wie auch negative Aspekte dieser möglichen Zukünfte überprüfen. Spielsituation ist eine Seminarform an einem möglichst authentischen Spielort – was im Som-mer 2016 zu der Anfrage an das MPIfG führte. Sie wurde neugierig und interes-siert bejaht.

Kunst sei ein „fernes Frühwarnsystem“ schrieb der kanadische Kommunika-tionstheoretiker Marshall McLuhan. Sie könne der „alten Kultur“ stets sagen, was im Begriff sei, ihr zuzustoßen. Erschöpfte Demokratie: #1 Revolution. Ein Theater-abend für angewandte Utopieforschung probt, was das sein könnte.

Die Vorstellung beginnt in der Lobby des Instituts. Draußen rauscht Verkehr, aber wenn sich die große Glastür am Eingang zuschiebt, hat man den Vorhof der Zu-kunft betreten. Bedienstete des Theaters verteilen Halsbänder in drei verschiedenen Farben, an denen Namensschilder ohne Namen hängen. Eine futuristische Sound-kulisse, die ätherische Klänge mit fiktiven Nachrichtenmeldungen über gelandete Außerirdische vermengt, spielt im Hin-tergrund. Die Zuschauer wählen aus ver-schiedenfarbigen Spielsteinen, die sie mit in die Inszenierung nehmen. Indes mischt sich ein Mann im blauen Fernsehmodera-toren-Anzug der 1970er-Jahre und mit ge-

punktetem Hemd unter die Zuschauer-menge; halb Blade Runner entsprungen, halb Rudi Carell. „Kommen Sie“, lockt er in verschwörerischer Verkaufspersonal-manier und springt durch eine Papier-wand symbolisch in die Zukunft. „Ich bin eine Kunstfigur“, sagt dieser Moderator (Marc Fischer). Er schleust drei Gruppen nacheinander in drei Räume.

Eine im Businesskostüm gekleidete Be-amtin (Helena Aljona Kühn) heißt will-kommen in einem Konferenzraum. Sie trägt eine Halskette aus alten Münzen; die Kette sagt zugleich: Geld ist wichtig – Geld ist nicht wichtig. Die Gesellschaft, in der sie lebt, kennt das bedingungslose Grundeinkommen und negativ verzinstes Schwundgeld. Jeder hat genug zum Leben, wer Geld aber nicht ausgibt, dem zerrinnt es jährlich zu zehn Prozent. In einem in-teraktiven Planspiel dienen die Spielsteine als Stimmen für gesellschaftliche Katego-rien, in die investiert werden soll.

In einem anderen Raum wartet ein sym-pathischer Cyborg-Mönch in Orange (Tomasso Tessitori), der eine Art Athe-ner Demokratie für die neue, weltweite Digitalität vertritt. Er trägt ein blaues Im-plantat an der Schläfe, das er den „digi-talen Babelfisch“ nennt, und führt durch eine Präsentation, die die Geburt der quasiparadiesischen Gesellschaft allge-meinen Informationsaustausches, be-herrschter Epigenetik und informierter Partizipation nach einem Raketenkrieg zwischen „Myland“ und „Yourland“ er-läutert. Der „Blue Tank“, an den alle an-geschlossen sind, ist eine freundliche Medien-Cloud. Der Schlüssel ist erneut Medientheoretiker McLuhan: Durch die Technik ist man Bürgerin oder Bürger des globalen Dorfes.

Eine von Künstler Kuai Shen inszenierte Ameisenkolonie ist schließlich die abs-trakteste Vision: Eine zukünftige Kunst-historikerin im Space-Röhrenkleid (Pe-tra Weimer) monologisiert über die Or-ganisationsform des Ameisenstaats als Inspiration für die menschliche Gesell-schaft, aus der sie kommt. Alle helfen in dieser Gesellschaft allen. Alle haben nur

das Wohlergehen der Kolonie und der Königin zum Ziel.

Man muss bei all dem unweigerlich an Klaus Lazarowicz, Münchner Theater-wissenschaftler, und seine Idee der „tria-dischen Kollusion“, des „Zusammen-spiels“ von Autor, Schauspieler und Zu-schauer denken. Doch geht Erschöpfte Demokratie noch einen Schritt wei-ter: Wer teilnimmt, wird auch selbst zur Kunstfigur, zum Teil des Stücks. Die ima-ginäre vierte Wand, die im Theater tra-ditionell Schauspieler und Zuschauer trennt, wabert durch die Produktion und scheint sich hier und da ganz aufzulösen, gleich einem projizierten Hologramm, dem die Energie ausgeht.

„Man kann die Zusammenhänge nur im Rückblick erkennen“, sagt der Be-wohner von „Myland“. Dieser Rück-blick zeigt Zukünfte auf, die gleichzei-tig nah und fern, wünschenswert und dystopisch sind. Zukünfte, die man nicht zu Ende denken muss, um mit ihnen im Kopf zu spielen. Zu Ende denken, las-sen die Macher des Stücks immer wieder durchblicken, müsse man selbst. Visio-nen überhaupt zu denken, ist schon ein Ziel an sich.

Torsten Kathke

Veranstaltungen GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

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Freunde und Ehemalige

Ohne meine Lehrjahre am MPIfG hätte ich keine Laufbahn in der Wissenschaft eingeschlagen. Die Jahre der Zusammen-arbeit mit Wolfgang Streeck und vielen anderen Kolleginnen und Kollegen ha-ben bei mir die Freude an intellektuel-ler Schärfe erst richtig geweckt. Und das geschah eher zufällig, da ich in Köln aus rein familiären Gründen landete. Ich be-tone diesen Punkt, weil einerseits die Frauen- und Familienfreundlichkeit von Wissenschaft noch immer problematisch ist. Andererseits habe ich erst am MPIfG die Flexibilität erfahren, die mir meine wissenschaftliche Laufbahn ermöglichte. Welcher andere Arbeitgeber lässt seine Mitarbeiterin aus familiären Gründen für ein Jahr in die Philippinen übersie-deln?

Am MPIfG arbeitete ich zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt der gemeinsamen Kommission von der Hans-Böckler- und der Bertelsmann Stif-tung zum Thema Mitbestimmung und Unternehmenskultur. Danach beantrag-ten wir ein Promotionskolleg zum Thema der Rolle der Internationalisierung für das System der Arbeitsbeziehungen in Deutschland, dem unter anderen Martin Höpner und Britta Rehder angehörten. Ich habilitierte mich schließlich zur Frage der Anpassungsleistungen der Tarifinsti-tutionen in der Europäischen Währungs-union durch tripartistische Verhandlun-gen; ein Thema, das durch das Bündnis

für Arbeit der 1998 neu gewählten rot-grünen Bundesregierung Aufmerksam-keit gewann.

Private Gründe waren es wieder, die mich 2001 nach Berlin zogen. Hier arbeitete ich ab 2003 zunächst ein Jahr in der Leitungsabteilung des damaligen Bun-desministeriums für Wirtschaft und Ar-beit (BMWA). Nach der Wiederwahl von Bundeskanzler Gerhard Schröder sollten die Ergebnisse der Hartz-Kommission umgesetzt werden. Ich verbrachte viel Zeit in interministeriellen Arbeitsgrup-pen und konnte zu diesem Zeitpunkt den Sinn der Hartz-Reformen kaum nach-vollziehen. Das habe ich dann später in einem Projekt und dem dazu gehören-den Buch Der Fall Hartz IV nachgeholt.

Das Jahr im BMWA war sehr lehrreich für mich und hat mich nachhaltig von dem Gedanken abgebracht, in die Poli-tik zu gehen. Mit einem einjährigen Um-weg an der Jacobs (damals International) University Bremen wurde ich dann 2005 Mitglied der Gründungsfakultät der Her-tie School of Governance. Als Professorin für Public Policy durfte ich elf Jahre lang beim Aufbau einer neuen Universität hel-

fen. Das Umfeld für private Universitäten in Deutschland ist nicht einfach, zumal wenn man sich an hohen internationalen Standards in Forschung und Lehre orien-tiert. Erst mit der Verleihung des Promo-tionsrechts 2012 wurde die Hertie School von den öffentlichen Universitäten wirk-lich ernst genommen, und bis dahin war es ein langer Weg.

Seit September 2016 bin ich nun die wissenschaftliche Direktorin des Wirt-schafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Das WSI betreibt arbeitnehmerorientierte empirische Sozialforschung mit dem Ziel, den Gewerkschaften und Mitbe-stimmungsakteuren in politischen und wirtschaftlichen Fragen evidenzbasierte

Expertise und Hilfestellung zu geben. Angesichts einer sich rasant verändern-den Arbeitswelt, getrieben durch demo-grafischen und gesellschaftlichen Wan-del wie auch durch Digitalisierung und globale Wertschöpfungsketten, ist das eine umfassende Forschungsagenda. Da-bei begegnen mir ständig ehemalige Kol-leginnen und Kollegen vom MPIfG. Wer-ner Eichhorst, einst Büronachbar in der

Was macht eigentlich …anke HasselWissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissen schaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) und Professorin an der Hertie School of Governance

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am MPIfG von 1996 bis 2004

„Das Jahr im BMWa war sehr lehrreich für mich und hat mich nachhaltig von dem Gedanken abgebracht, in die Politik zu gehen.“

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Freunde und Ehemalige GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

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Lothringer Straße, ist ein wichtiger Rat-geber in Fragen der Arbeitsmarktpolitik, Gregory Jackson zu Unternehmenspo-litik und Corporate Social Responsibil-ity. Henrik Enderlein, auch Doktorand am MPIfG zu meiner Zeit und heute Vi-zedekan der Hertie School, und Mar-tin Höpner sind kritische und bedäch-tige Diskussionspartner in allen Fragen, die Europa betreffen. Bernhard Ebbing-haus, Christine Trampusch und Philip Manow haben beste Expertise in der ver-gleichenden Sozialpolitik. Norbert Kluge, mein erster Kontakt zum Kölner MPI und damals Leiter des wissenschaftlichen Sekretariats der Mitbestimmungskom-mission, ist heute Kollege in der Hans-Böckler-Stiftung in der Abteilung Mit-bestimmungsförderung und geschätzter Partner in einer gemeinsamen Experten-gruppe zum Thema „Workers Voice and Good Corporate Governance in Transna-tional Firms in Europe“.

Doch abgesehen von den vielen Kontak-ten, Beziehungen und Freundschaften, die sich damals in Köln und seitdem ent-wickelt haben, ist die wichtigste Lehre aus meiner Zeit am MPIfG: Selbst denken!

Expertengruppe „Workers Voice and Good Corporate Governance in Transnational Firms in Europe“www.boeckler.de/63487.htm

Wir freuen uns ganz besonders darauf, im Sommer des kommenden Jahres mit unseren IMPRS-Absolventinnen und -Absolventen das zehnjährige Bestehen der International Max Planck Research School on the Social and Political Consti-tution of the Economy (IMPRS-SPCE) zu feiern. Das Zusammentreffen findet im Rahmen einer zweitägigen Konferenz am MPIfG am 27. und 28. Juli 2017 statt.

IMPRS-SPCEhttp://imprs.mpifg.de

10 Jahre IMPRS­SPCeKonferenz und Feier am MPIfG, 27. und 28. Juli 2017

Zwei neue Veranstaltungsformate, die das MPIfG nach Anregungen aus einer Mitgliederbefragung des Vereins der Freunde und Ehemaligen des MPIfG aus der Taufe gehoben hatte, stießen im zurückliegenden Jahr auf viel positive Resonanz.

Im Rahmen der SASE-Konferenz 2016 „Moral Economies, Economic Moralities“ trafen sich im Juni 2016 an der UC Berke-ley etwa dreißig ehemalige und derzei-tige Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler des MPIfG in entspannter Atmosphäre zum Austausch, Wiederse-

hen und Kennenlernen. Die Alumni begrüßten die neue Initiative des MPIfG, Treffen von Ehemaligen auch außerhalb des Kölner Instituts zu ermöglichen. Mit einem Netzwerk von Forschern und Praktikern will das MPIfG einen leben-digen Diskurs über die am Institut erforschten Fragen fördern. Zu einer sol-chen Gelegenheit zum Wiedersehen und Kennenlernen werden das MPIfG und der Verein auch bei der Tagung der SASE in Lyon im Sommer 2017 wieder einladen.

Einen ersten Workshop der Reihe „Wis-senschaft trifft Praxis“ startete das MPIfG im September 2016. Zum Thema „Die Europäische Union im Krisenmodus“ standen aktuelle Fragen und Lösungsan-sätze für die in ihr achtes Jahr gehende Eurokrise im Mittelpunkt. In zwei Panels zum Thema „Brauchen wir eine Alterna-tive zum Euro?“ und „Freizügigkeit – Herausforderung für Europa“ diskutier-ten Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler des MPIfG mit Alumni aus For-schung und Praxis. Für das Frühjahr 2018 ist ein weiterer Workshop in der Reihe „Wissenschaft trifft Praxis“ in Ber-lin geplant. Themenvorschläge hierfür sind willkommen.

[email protected]/friends

Neue Formate laden zum (Wieder­)treffen und Diskutieren einVerein der Freunde und Ehemaligen des MPIfG

„Wissenschaft trifft Praxis“. Start der Veranstaltungsreihe für Alumni und Praktiker mit einem Workshop am

15. September 2016 zur Krise der Europäischen Union. Martin Höpner, Martin Heipertz, Rainer Hank, Florian

Rödl und Henrik Enderlein (v. l.) diskutieren die Frage „Brauchen wir eine Alternative zum Euro?“.

GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16 Freunde und Ehemalige

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Veranstaltungen GeSellSCHaFtSForSchuNg 2.16

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Donnerstag, 19. Januar 2017Does Capitalism (Still) Come in Varieties?Colin Hay, Sciences Po, Centre d’études européennes/University of Sheffield

Donnerstag, 26. Januar 2017Firms as Political Entities: Diagnosis and ProspectsIsabel Ferreras, Université catholique de Louvain

Donnerstag, 16. Februar 2017Die „Économie des conventions“: Beiträge und Trends der neuen französischen WirtschaftssoziologieRainer Diaz-Bone, Universität Luzern

Donnerstag, 27. April 2017tbdPeter van der Veer, Max Planck Institute for the Study of Reli-gious and Ethnic Diversity, Göttingen

Donnerstag, 1. Juni 2017tbdLuc Boltanski, École des hautes études en sciences sociales (EHESS), und Arnaud Esquerre, Centre national de la recherche scientifique (CNRS), Paris

Vorschau 2017

27. und 28. Juli 201710 Jahre IMPRS-SPCEAm 27. und 28. Juli 2017 feiern das MPIfG und die Universität zu Köln das zehnjährige Bestehen ihrer International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE). Wir laden alle IMPRS-Alumni herzlich ein, an der Jubiläumskonferenz und der anschließenden Feier teilzunehmen.

16. und 17. November 2017Institutstag des MPIfG

Aktuelle Veranstaltungen am MPIfGwww.mpifg.de/aktuelles/veranstaltungen_de.asp