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Title Goethes Gestaltung des Faust-Charakters im Eingangs monolog Nacht im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung der Entwicklung des Faust-Stoffes inden literarischen Gestaltungen vor Goethe Author(s) Von HOFF, Agnes Citation [岐阜大学教養部研究報告] no.[34] p.[297]-[316] Issue Date 1996-09 Rights Version Faculty of General Education, Gifu University URL http://hdl.handle.net/20.500.12099/3998 ※この資料の著作権は、各資料の著者・学協会・出版社等に帰属します。

Goethes Gestaltung des Faust-Charakters im Eingangs …repository.lib.gifu-u.ac.jp/bitstream/20.500.12099/3998/1/reg... · (V.354-385),stehtinlebhaften,oftunregelmaBigwirkendenKnittelversen,dieder

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    Goethes Gestaltung des Faust-Charakters im Eingangs monologNacht im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung derEntwicklung des Faust-Stoffes inden literarischen Gestaltungenvor Goethe

    Author(s) Von HOFF, Agnes

    Citation [] no.[34] p.[297]-[316]

    Issue Date 1996-09

    Rights

    Version Faculty of General Education, Gifu University

    URL http://hdl.handle.net/20.500.12099/3998

  • 1.

    1. 1

    1.2

    Der Faust-Stoff

    DieEntwicklung desFaust-Stoffes

    Die Entwicklung des Fauststoffes bei Goethe: Quellen, Entstehungsgeschichte,

    Besonderheiten

    2.

    2. 1

    2.2

    Department of

    Faculty of Genera1Education

    Gifu University

    1-1 Y anagido, Gifu, Japan 501-11

    (eingerichtam 28. August1996)

    Bulletin of theFaculty of Genera1Education, Gifu Univ, V o1. 34 ( 1996) 297

    Goethes Gestaltung des Faust-Charakters im

    Eingangsmonolog yVach,n m Rahmen einer Vergleichenden

    Betrachtung der Entwicklung des Faust-Stoffes in den

    literarischen Gestaltungen vor Goethe

    Agnes von HOFF

    DieVerse354-425 desEingangsmonologs Nacht

    K ontext

    Analyse

    2.2. 1. 1nhalt

    2. 2. 2. SprachlicheAnalyse

    2.2.3. Sprachlich-stilistische Analyse unter besonderer BerUcksichtigung der

    Charaktergestaltung

    1. Der Faust-Stoff

    11. DieEntwicklung desFaust-Stoffes

    Das Volksbuch vQn 1587 (Die istoria uon, D Joh(m; Fau,steTt ) , eine synkre-

    tisierende Kompilierung der weitverbreiteten Legenden um die Faustfigur, verschmilzt

    Zusammenfassung

    Literaturverzeichnis

    Der Faustcharakter

    Der Faustcharakter in den literarischen Gestaltungen vor Goethe

    Der Faustcharakter bei Goethe: V ergleichende Betrachtung der drei Entwicklungs-

    stufenUaust- Fragmet -Faustl

    3

    3. 1.

    3. 2.

    3.3. Goetheund seineFaust-K onzeption

  • dasmittelalterliche Teufelspaktmotiv mit dem paracelsischen Erkenntnisdrang des 16.

    Jahrhunderts und legt mit der Grundfragenach dem Kern der W elt, nach dem Ursprung

    aller Dingesowiedem Streben, dieseselbst bewegen und beherrschenzu k6nnen, dasFun-

    dament fUr alleFaust-pichtungen. Steht hier nochder hybrideHerrschaftsansprucheiner

    Faustfur im negativ-relig16senLicht im Vordergrund (Faust2verst6Bt in seinem

    Strebengegen dasErsteGebot) , sowandelt sich die Darstellung Und lnterpretation des

    Faustcharakters in der Folge weiterer Bearbeitungen des Stoffes (durch W idmann,

    Pfitzer und den sog. Christlich M eynenden) stetig

    DieberiihmtestedramatischeGestaltung vor GoethesW erk durch den damals erst

    24jahrigen Vorliiufer Shakesp(jares, den Englander Chris

    298 A gnes von H off

    12. DieEntwicklung desFauststoffesbei Goethe: Quellen, Entstehungsgeschichte

    Besonderheiten

    Goethelernteden Fauststoff bereitssehr frUh durch dieinDeutschlandverbreitete

    Puppenspielfabel kennen, welche auf einer VerstUmmelung der M arlowschen

    Dramatisierung in den Volksspielenberuhteund dieFaustfigur im moralisch-negativen,

    gar lacherlichen Licht darstellte. Weiterhin war er vertraut mit Motiven der

    Volksbuchtradition, vor allem mit der protestantisch-orthodoxenM ahnschrift Nikolaus

    Pfitzers(1674) sowiewahrscheinlichmitdemdarananknUpfendenhalbunterhaltsamen,

    halb moralisierenden W erk des Christlich M eynenden ( 1725) , das immerhin ein

    Jahrhundert lang ein inDeutschlandh6chst beliebter Lesestoff war. ln beiden W erken

    findet sich dasM Qtiv einer zur Gelehrtentrag6diegegenlaufigenLiebesgeschichte. Nicht

    zulet2t mag auch dieauf der barocken Opernform beruhende Singspieltradition in ihrer

    BIUteder Jahre1750-70 der Vermittlung desFaustthemasgedient haben.

    1 N ach Geissler verk6rpert M arlowes Faust den titanenhaften M achtwillen des

    elisabethanischen Zeitalters .

    (Geissler, HorstWolfram. Gest(11tungedesFaust. Hildesheim/N.Y . 1974. 137)

    2 ders. 295.

    Marlowe (1604) , ist

    bereitsgekennzeichnet durch einewesentlich individualistischere Tendenz, wie sie in der

    psychologisch aufgearbeiteten inneren Biographie des Fausttypus zu erkennen ist, und

    tragt somit neben mittelalterlichen Ztigen auch jeneder Renaissanceund des Barock1

    W iederum eineNeuheit stellt Lessings fragmentarischeGestaltung der Faustfigur

    dar, da hier der neueGeist der Aufkliirung in den altenStoff ei11eBt. LessingsAnsatz

    wird als entscheidendeW endung durch die Umbiegung der Sage in die Richtung des

    klassizistischen Humanitatsideals2behandelt

    Auch im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des jungen Goethe entstanden

    Bearbeitungenjener Thematik; alswichtigsteseienhier dasFragment vonM UIler unddas

    PrOsawerk Klingerszu nennen, welchebeideunter dem starken EinfluB ihrer Zeit stehen-

    und dasM enschenbild jener Epochewiderspiegeln.

  • Zu GoethesFaust. Um 1TIS entstanden zunachst einzelne Szenen, denen noch die

    dramatischeVerknUpfung fehlte, zumal nochkeinHinweisauf denTeufelspakt enthalten

    war. Doch ist hier der Charakter des Faust zu erkennen, wie Goethe selbst ihn aus der

    Verschmelzung vorgegebener M otive, Eimsseund eigener Erfahrungen geschaffen hat.

    Der Ei 1uB der italienischenReise, GoethesErkenntnisder klassischenW erte ( vor allem

    der geistig-sinnlichen Einheit des antiken M enschen) und deren Unvereinbarkeit mit

    FaustsZwiespaltigkeit lieBen ihn nach der bruchstUckhaften Erweiterung desStoffes im

    FragmeM von 1790 erst z6gernd und unsicher um 1797 wieder an die tiberwundene

    Genieepocheund den Stoff der frUhen Neuzeit anknUpfen

    Hier nun gelahg es Goethe mit Hilfe seiner klassischen Kunstauffassung, das

    subjektive Faustbild zu glatten und vor allem eine logische Rechtfertigung und

    psychologischeAusarbeitung desPaktesund dessenVoraussetzungenzu liefern. Somag

    auch der Eingangsmonolog, welcher sich in Faust l von den Teten des U (lUSt und des

    Fragmets lediglich durch orthographische Abweichungen unterscheidet, trotz der

    inhaltlichen Uereinstimmung nur im Hinblick auf dieGesamtkonzeption der Faustfigur

    in Faust l verstanden werden und laBt dann Differenzierungen gegenUber den

    vorangegangenenEntwUrfenzu

    W ahrend der sog. U(mst und das Fr(1gmet unmittelbar mit dem Eingangs-

    monolog in das dramatische Gescheh einsteigen (wobei damit hicht gesagt ist, daB

    Goetheinseiner ursprUnglichenKonzeptiondenGedankenvorbereitender Szenennicht im

    Kopf hatte) , 11egt im Faust l einesorgfaltig arrangierteEinfiihrung durch das yorsd

    a demTheater sowiedenPrologim Himme1vor, derenVerklammerung klar dieneue

    Dimension von Goethes W erk erkennen laBt: Bestand im M ittelalter und Barock der

    Anspruch eines dramatischen W erkes v(jrwiegend in der W ahrscheinlichkeit,

    Unmittelbarkeit und ldentifikatonsm6911chkeit - stets unter der Voraussetzung eines

    festen Rahmens in Form der g6ttlichen Ordnung, wie im Prolog jeweils festgelegt

    wurde-, sowird bei Goetheklar der Dichter alsoberstelenkendeundschaffendelnstanz

    299GoethesGestaltung desFaust-Charaktersim Eingangsmon010g jyacylf im Rahmen einer vergleichenden

    Betrachtung der Entwicklung desFaust-Stoffesin den nterarischen Gestaltungen vor Goethe

    findensichdieindividuellenZagedesFaustcharakterskomprimiert.

    2; 1. Kontext

    Der Eingangsmonolog erfU11t im Rahmen des Kontets im Faust l eine gEinz

    bestimmteFunktion: W ahrendder vorausgehende7)rolog i,m Himmd gewissermaBendas

    Thema desDramasskizziert ( = AnkUndigung der Versuchung Fausts dUrch den Teufel

    und deren Erlaubnis durch Gott) und die nachfolgenden Szenen dieses allmahlich

    konkretisieren(bishinzumAuftretendesTeufels, zumPaktschluB) , bestehtdieAufgabe

    dieser allerersten Szenezunachst einmal darin, dieHauptfigur Faust vorzustellen. Hier

    definiert. Dieser ironische Vorbehalt hebt eindeutig den Spielcharakter des S ckes-

    hervor.

    2. DieVerse 354-425 des Eingangsmonologs NacM

  • und EinfUhlen in die gllnze Natur , wobei zum einen eine aktive Seite ( das Kreative,

    Sch6pferische) , zumandereneineaufderreinenEenntnisberuhende, eherpassiveSeite,

    hervortreten

    Auf welcheArt undW eisegelingt esGoethenun, den historischen Fauststoff, seine

    eigeneLebenserfahrung undW eltsicht sowiediephilosophisch-psychologischeTendenzder

    Aufkliirung indieser Zweipoligkeit zuverschmelzen? W orin liegt dasUnverwechselbare,

    Einmalige ayl diesem neuen Faustcharakter im qegensatz zu den literarischen

    Vorgangern?

    2.2. Analyse

    2.2. 1. 1nhalt

    Der zu bearbeitende Textte11 ( V . 354-425) , welcher bereits oben in seinen

    dramatischen Kontet eingeordnet wurde, ist schon vom Schauplatz her interessant.

    Nachdem Prolog im Himme1, der W eitedesAlls, findenwir unsp16tzlichlaut Anweisung

    in einem g gofscyzexl Zfer wieder. Eine Einengung, welche auch den

    Protagonisten uruhig a seem Sessd am Pult sitzen laBt. W ie kongruent der

    auBereRahmenunddieinnereEnge Faustsgestaltetsind, zeigenFaustsWorte, welche

    von UberdruB, Unruhe, Verzweiflung und Wut angesichts der eigenen Begrenztheit

    zeugen

    lnnerhalb des M onologs lassen sich thematisch und auch atmospharisch bedingte

    Schwankungen feststellen, und bei genauerer Betrachtung wird eine geschickte

    Gestaltungsmethode nach dem Schema A - B - C - BI - Cl erkennbar4. Nach der

    Formulierung desGrundproblems, welchesdieBasis fUr alleweiteren Refleionenbildet

    (A = V. 354-359) , folgt eine Erlauterung derselben (BV. 360-375) , und drei

    charakteristischeKomponenten werden genannt: Zum einen kommt unmiBverstandlich

    dielndividualitat undauch Einsamkeit Faustszum Ausdruck ( 7 & fcgesd der

    d dieLaJLfa R irchtemich uXeder uor H6Ueud Teuj el ) , zum anderen

    Bevor diesein der anschlieBenden Analyseerarbeitet und zusammengestellt werden

    sollen, sei dieGrundidee, an der sich dieCharakterisierung Faustsbei Goetheorientiert,

    vorweggenannt, namlichdieauffalligeZweipoligkeit seinesWesens, dieUnausge-

    glichenheit und Zerrissenheit.

    DasersteParalipomenon3mag alsGesamtdeutung desW erksdurchseinenVerfasser

    betrachtet werden: lm Vordergrundstehen demnach das idealeStreben nach Einwirken

    300 Agnesvon Hoff

    wird neben dem unbefriedi

    3

    4

    Goethe, Johann W olfgang. & imlXicyle We e. M iinchener Ausgabe. Bd. 6. 1053.

    Selbstverstandlich darf dabei nicht auBer acht gelassen werden, daB der

    Eingangsmonolog nichtunbedingt auseinem GuB entstanden ist.

    n,ichtsuXissen, nn,en, ; Bildemir nicht ein, uXa,srechtszu uJisse ) noche weiterer

    ( 1md sehe, B uW issens- und Erkenn

  • Punkt angefiihrt, namlich der M angel an Lebenund Lebensfreude ( Dr ist mir auch

    d1 Freud eM rissen, ) , und das Fazit angesichts dieger Hauptkomponenten ist ein

    wiitend-resigniertes Es m6chte ke. HuTtd so lan,ger lebeR! , ln der Konsequenz, die

    Faust darauszieht, ist Bewegung - ein richtungsweisender EntschlufS: C = Drum hab

    ichmich der M agieergebeR Hier findenwir den Kern seines Strebens formuliert: Er

    m6chte erkeRne71, uXas die Welt Z im lnn,ersten, zus(1mmen,halt , m6chte der Theorie

    sch6pferischeKraft entgegensetzen ( dieswird weitergeftihrt in denVersen455f. ) . Nach

    diesem Ausbruch in dielllusioneiner ihnbefriedigendenM 6911chkeit folgt ein radikaler

    Stimmungswechse1, und dieVerse386-417 ( = B1) , welcheinhaltlich nocheinmal auf die

    Verse 360-375 zurUckgreifen und jene noch vertiefen, sind in steigernder Folge

    angeordnet5. VermittelndieVerse368-397 unglaublicheM elancholie, W eichheit undLeid,

    ausdenenderWunschnachRuhe, FreiheitundEinheitmitderNaturerwiichst, soschlagt

    jeneempfindsameStimmungp16tzlichuminWut, VerzweiflungundEkelanderEngeder

    Buchgelehrsamkeit ( We V. 380-409) undmUndetschlieBlichindenVersen410-417

    1n dietotaleEtkenntnis der Leidensursache, namlich des W iderspruchs zwischen Natur

    undW issensdrang ( Uberspitzt ausgedrUckt: LebenundTod) . DiespontaneReaktion- der

    Fluchtgedanke Flieh! Auj ! H1(lus ins uXeite Land! , wird gleich im folgenden Vers

    aufgefangen in dem bereits angedeuteten L6sungsversuch in Form der magischen

    Beschw6rung, gewissermaBeneinem Handlungsersatz6(CI = V. 419-425) , undnunwird

    dieM agiekonkret, dieGeisterbeschw6 rung beginnt

    22.2. SprachlicheAnalyse

    Betrachtet man dieverwandten Zeitformen, so fallt der vorherrschendeGebrauch

    des Prasens auf, verknUpft mit dem gegenwartsbezogenen Perfekt ( Habe Run,

    Goethes Gestaltung desFaust-Charakters im Eingangsmonolog acM im Rahmen einer vergleichenden

    Betrachtung der Entwicklung desFaust-Stoffesin den nterarischen Gestaltungen vor Goethe 301

    zum anderen zeichnet sich zum Ende der hier bearbeiteten Passage hin eine deutliche

    W ende zum zukunftsbezogenen Prasens ab: )a717xg!! eSeeZexxr r ag/ . So

    wird die Basis fiir eine zukunftsweisende Entscheidung Fausts in Goethes W ahl der

    5 Dieser aus dem Rahmen fallende Teil wird oft als neuer, in sich entworfener

    M onolog angesehen und spricht fUr dieA nnahme, einzelnestinlmungsgebundene

    Szenen seien im aas notdiirftig verkntipft worden. (s. Arens, Hans.

    TomMeM r a Goe sF aas Heidelberg 1982. 80)

    6 Arens83.

    Esgeht demnachum FaustskonkreteaugenblicklicheSitugtion. Jetzt undhieT, uRruhig

    a/ see& ssd? e, reflektiurterUberdas, wasererreichthatundjetztbesitzt.

    DieResignation angesichtsder eigenen Unvollkommenheit, der Unzulanglichkeit deen,

    wassichihm bietet, 1aBt ihnzum einen melancholischin (jieVergangenheit zurUckblicken

    ( Danjn, erschienst du mir! ) und - daran ankniipfend - im irrealen Konditiona1

    ausrufen Obm1 nicht m(1nchGeheimnisuJ deh Rd ; Ach! K 6Rnt ichdoch ,

  • Agnesvon H off302

    Zeitform sprachlich adaquat gestaltet.

    Auffallend ist indiesem Zusammenhang auch der Perspektivenwechse1, welcher die

    gedanklicheEntwicklung widerspiegelt. - W ahrend im ersten Te11 ( bis V . 408) 1ediglich

    in der L Person Singular gesprochenwird und allesnur um das lch kreist ( diesgenau

    ist ja das Problem Fausts: mitsamt seinem W issen und seinen Errungenschaften ist er in

    sich selbst und der igenen Unzuliinglichkeit gefangen) , hebt sich Faust im zweiten, nun

    nicht langer wehmtitig oder resigniert-wUtend, sondern klardenkend und entsch10ssen

    wirkenden Te11 ( V . 409-429) deutlich yon seinem !ch ab, setzt sich ihm quasi gegentiber

    und halt dem eigenen Zweifel und der Verbitterung einen ganz konkreten Appell zum

    Handeln entgegen: L:)|lslis/ldllellellyW IX| 7Lldalgsl| xxlocyzl, vlalr| !j lelrz /

    Sich ba7- -

    ein6m neueniiberwundenwerden.

    Eine wichtige Rolle spielt die W ortwahl, vor allem im Hinblick auf die noch

    folgendegrtindlicheEr6rterungder spezifischenStilmittel im Eingangsmonolog. lm Feld

    der Substantive, die den gr6Bten Raum einnehmen, finden wir vorherrschend zwei

    Herkunftsbereiche, welchediebeiden inFaust miteinander ringendenW elten verk6rpern:

    auf der einen SeitedieW issenschaft, d.h. dieW elt der Gelehrten, deren neutraleTermini

    (j)yziZosoyzfe, Jxrfserj , j& z, )oor, ser, aej)er, ? , acyzeryzax/,

    GZaser, &d sexx, MsrameMe dc. ) durch erganzende Substantive eindQutig negativ-

    emotiv dargestellt werden ( 710r, /:ye71, S j Wissetxs9z, jaerZocyx, err,

    Wara, & z&, lzcyz, jo& r, 77erge, 70exx& ) , auf der anderen Seitedie

    positiv dargestellte sch6pferische, 1ebendige Natur ( W fs , Setz, ar,

    Sedentetc) . GleichermaBenunterstreichendieveryyandtenVerbenundAdjektive

    jeneZweipoligkeit: ,

    studier , Worten, kr(lme, klemmeR, hemmen

    etxxxexx, g , s , de

    sctuer, trbsdig, ue cht, dumpJTI, beschrankt, unerklart, trochen

    : l i e b g e s u d j e b e n d i g , u J e i t .

    Kennzeichnend fUr den Satzbau ist ein Vorherrschen der hypotaktischen Struktur,

    wenn Faust reflektiert ( indiesem Zusammenhang sei auf dieder Verstarkung dienenden

    W iederholungenj n den Versen 360, 371f. , 380ff. und 392-396 zu achten) . Kgrnaussagen,

    dieeinen Stimmungswechsel in sichbergen, sindparataktischgestaltet oder bestehennur

    auseiachenlmperativen ( DaEitehichu, icharmerTor! ; Esm6chtehe Hundso

    xlger Ze& Wysed f & x71err M)c Z)as fs e WeZ7 ds /

    eeWelt! ; Fneh! Au Hin,atts,su)eiteLand! ) .

    Auch ist dielnterpunktionvonnicht zuunterschatzender Bedeutung, denndurchdie

    zahlreichgn Ausrufungszeichennach denKernaussagen, denenoftmalsein Gedankenstrich

    alsAusdruck angestauter Gedankenkettenvorangeht, wirdein1Qbendiger, kraftvoller Stil

    erzeugt, w elcher Fausts inneren Kampf in seiner Zwiespaltigkeit unterstreicht ( V . 354 ;

  • 303GoethesGestaltung desFaust-Charakters im Eingangsmonolog y cM im Rahmen einer vergleichenden

    Betrachtung der Entwicklung desFaust-Stoffesin den nterarischen Gestaltungen vor Goethe

    364; 375; 409; 418)

    Dem gleichen Zweck, namlich der angemessenen Ausgestaltung jener

    Stimmungsschwankungen, dienen diesprachlichenM ittel der Felder M etrik / Rhythmus

    sowieKlang / Reim/ Der ganzeerstePart, in dessen Zentrum Fausts Lebensgeschichte,

    seineUnzufriedenheit und auch schon vage Hoffnungen auf eine etwaige L6sung stehen

    (V. 354-385) , steht in lebhaften, oft unregelmaBig wirkenden Knittelversen, dieder

    UnruheFaustsAusdruckgeben. DieViertakter abV . 386 sind- gemaB dermelancholisch-

    weichen Aussage- zunachst ruhiger, flieBender (manbeachtedieBelebung desRhythmus

    bei Faustssehn chtigem Phantasieren indenVersen394f. ) , dannharter, bewegter, bis

    ein Umschlag desReimschemas vom Paar- zum Kreuzreim (V . 402) - noch einmal von

    einem umfassenden Reim als letzte Steigerung durchbrochen (V / 406-409) - auf einen

    inhaltlichenUmschwung hindeutet. D er p16tzlicheGleichfluB ab V . 410 entspricht genau

    der dort ausgedrUcktenK1rung der GedankenFaustsbishinzur eplizitenEntscheidung.

    Die Passage der Geisterbeschw6rung im AnschluB wurde von Goethe ihrem feierlichen

    Charakter gemaB inM adrigalversengestaltet, diedanninunmittelbar ansprechendefreie

    Rhythmen iibergghen. Besonderes Augenmerk verdient die W ahl des jeweiligen

    Endreimgeschlechts: Sosteht denweichen, schwelgendenweiblichenReimender Verse394

    -397 p16tzlich ein ganzer Abschnitt harter, kurzer mannlicher Endungen gegenUber, hier

    als Ausdruck deTW ut, desEkels, der Verzweinung. j

    2. 2. 3. Sprachlich-stilistischeAnalyseunter besonderer BerUcksichtigung der

    Charaktergestaltung

    Offenbart sich zu Beginn des M onologs zunachst der wortgewandte Gelehrte, der

    ausseinem innerenEmpfindenheraus, aberdennochweitgehendbeherrscht, seinemiBliche

    Lagezum Ausdruck bringt ( Zeugma: V . 361ff. ; Stableim : V . 374 ; Aufzahlungen V . 362 ;

    367) , so tritt allmahlich einetieferemenschlicheBetroffenheit in denlVordergrund,

    schwach-empfindsam eingrseits, watend-verzweifelt andererseits. Vor allem die

    lnterjektionenindiesemzweitenTeil belegendies(V. 386; 392; 398) . SeineSchwachelund

    Das Ergebnis der hier im einzelnen aufgefiihrten sprachlichen M ittel des

    Eingangsmonologsin ihrem Zusammenspiel ist eineungemeinlebendig wirkendeSprache,

    welchein Klang undRhythmusunmittelbar dieinnerenRegungen desProtagonisten, vor

    allem dessen Zwiesp1tigkeit als Kernproblem der gesamten Trag6die, widerzuspiegeln

    vermag

    AuchwennGoetheseinen U(mst hinsichtlichder SprachedesSturm undDrang als

    barbarische Komposition bezeichnete, nahm er doch keineVeranderungen mehr vor.

    Somit darf der Eingangsmonolog ungeachtetverschiedener Theorienzu dessen

    Entstehng, zur Zusammengeh6rigkeit einzelner Verseund Szenen doch als einheitliches

    Ganzesbearbeitet werden.

  • 304 Agnesvon H off

    Unkontrolliertheit Uberwindend lenkt Faust seine Aufmerksamkeit dann auf ein

    konkretes Zie1: dieM agie

    Eineder wichtigstenRollenspielendieBilder undSymbolein ihrer Bedeutungstiefe,

    denn hier offenbart sich das Neueder Goetheschen Faustgestaltung im Gegensatz zum

    Urstoff und den Vorlaufern inder dramatischen Dichtung. W ar bisher die Fausthand-

    1ung in einen festen Rahmen innerhalb d6r g6ttlichen Ordnung eingebettet und Fausts

    Verhalten, wenn auch in unterschiedlicher Auspragung, so doch stets unter der

    Voraussetzung eines Ubergeordneten GotteS gedeutet, so bringt der Fzs 7 1n der

    bewuBten inhaltlichenVerknUpfungdes Vorspiels mit dem Prolog im Himme1 eine

    neuePerspektive, indem namlichalsoberstelstanznichtmehrGott, sondernderDichter

    gesehen und das W eltgeschehen klar als Schauspiel definiert wird, so daB

    gleichermaBen eine nbertragung .der bisher konkreten Welt auf die symbolische und

    mehrperspektivischeEbeneerfolgt

    Betrachtet mandenEingangsmonolog unter diesem Blickwinke1, sovermag manden

    hier noch ganz konkret anmutenden, durch den substantivischen Stil verstarkten

    Beschreibungen etlicheHinweiseauf eineabstraktepsychologischeEbeneentnehmen

    Das mit lnstrumenten, Btichern etc. vollgestopfte kleine Zimmer wird eplizit als

    Kerker bezeichnet. Und so muB man auch die innere Gefangenheit Fausts in seiner

    dumpfen, erkalteten Gelehrsamkeit, in diedas nebeHimmdslicht ( die Sonne ist hier

    als Symbo1 r warme, 1ebendige Kraft und Lebensgliick zu sehen) kaum mehr

    durchzudringen vermag. Sein Herz , d.h. sein wahres, echtes Gefiih.und die

    sch6pferische Kraft, Zex?1 in seinem Busen, da es ihm eben an der Zd

    Natur , der urspriinglichen Sch6pfung als dem ihm gemaBen Lebensraum mangelt

    Stattdessen droht jene Kraft zu ersticken: Staub, M oder, Tiergeripp, Totebe et(

    stehen ftir dielebensfeindlichen, verkopften Theorien der W issenschaft, fUr roes,

    fruchtloses SiylneR. Einer inneren Unendlichkeit steht hier die beschrankte und

    beschrankendeAuBenwelt gegeniiber bzw. im W ege

    Als sehr symbolbeladen erweisen sich denn auch dieW unschvorstellungenundSehn-

    sUchte, diQFaust so leidenschaftlich artikuliert. Der lyoZXe jozxxxse mit seinem

    neben Lichte verk6rpert dieruine, freieNatur und einen Genhalt fUr den irrenden

    Nylenschen7. DasM otiv des SchuJebeRs , verknUpft mit der 6rtlichen Bestimmung altJ

    Bergesh6hn bringt die Sehnsucht nach Losge16stheit, Freiheit von menschlichen

    Zwangenzum Ausdruck, ebensowieder Dax71er ( im Blick auf das Dunst undNebe1-

    M otiv in der Zueignung als sch6pferischer HalbbewuBtseinszustand zuverstehen)

    sowie der Vergleich von einem Bad im Ta dem W unsch nach Ruhe und innerem

    Frieden, nach Reinheit undnachHarmoniezwischenM enschundNatur entsprechen

    Das geheiisuoUe Buch uon Nostr(ld(lm eigner Had j edoch steht ste11-

    7 R equardt, Paul. GoelesF aasl eilmoii axxdylrcylile/xr. M anchen 1972. 65.

  • GoethesGestaltung desFaust-Charakters im Eingangsmonolog y & n m Rahmen einer vergleichenden

    Betrachtung der Entwicklung des Faust-Stoffesin den nterarischen Gestaltungen vor Goethe 305

    vertretend ftir dieHerrschaft der M agie, der sich Faust hingebenwiII , und siegeradeist

    es, dieihn an einer Riickkehr in diefreieNatur letzlichhindert. Nunwidmet er sich der

    Sphare, in der ein Gs zMx71 axlrexxGds sprfc . - Es genUgt ihm nicht mehr das

    reine Aff7xGdsex7x-SchuJebe , sonderner will erkennen, ergrUnden. Zwar bezeichnet

    er dieNatur alsPersonifizierung der allumfassenden Wisheit ( siekann xMeraydse

    V . 423) , dochbegibter sichgleichzeitig wieder ineinenihrer Teilbereiche; er schautsomit

    niedieNatur selbst, sondern immer nur Zeichen von ihr. 8

    Bis es letztendlich zum PaktschluB kommt, unternimmt Faust nEich dem erst

    MonologunterschiedlicheVersuche, zueiner L6sung seinesDilemmaszugelangen, d.h

    eineM 6911chkeit zu finden, diebeiden t ed , meer rMs ( dieirdischeund die

    transzendente) zu vers6hnen, sei esdurch diereineVernunft, dieEntgrenzung (den

    Selbstmordversuch) , die relig16se Suche nach dem Einheitspunkt, die magische

    Beschw6rung der Geister. Doch erst in dem M oment, als Faust einer C)ffnung zur

    Transzendenz, namlich zur LiebeGottes, ganz nahe ist (V . 1178f : Es reget sich die

    Men,scheiebe, Z DieLiebeGottes regt sich Ru ) , wasMephisto in seinem genau

    gegenteiligeh Bestreben der W ette, Faust namlich auf die irdischen, tierischen Triebe

    herabzuwtirdigen, anstachelt, bahnt sich in diesem Kampf der beiden Seiten der

    Gipfelpunkt an, welcher dann in der zweiten Studierzimmerszene durch den radikalen

    Umschlag erreicht wird: DurchM ephisto geschickt verunsichert und geschwacht, flucht

    Faust dietranszendierende Seele und sogar die christlichen Kardinaltugenden, und hier

    nun vermag Mephistoanzusetzen.

    Doch zurUck zum Eingangsmonolog, der diese Entwicklung zwar nicht in ihrer

    Komplexitat implizierenkann, jedoch dieentsprechendeDispositionin FaustsCharakter

    offenbart. Die kontrastierenden Bildmotive dienen der Vorbereitung von Fausts

    Ausbruch aus der Enge; die bildhafte Beschreibung in ihren unterschiedlichen

    Auspragungen vermittelt eindrucksvoll die jeweilige W ertung jener Bereiche, deren

    W idersprUchlichkeit Faust in eineetremeSpannung setzt

    lnnerhalb der groBenZweipoligkeit von Tr(lnszen,denz Erden.1eben, 1assensichnoch

    Abstufungen vornehmen. V6111g negativ wird das trockene W issenschaftsdenken

    gezeichnet, dem esan Leben, W armeund Tiefemangelt. DieseslieBesich notfalls noch

    ertragen, wenn eswenigstenskonkrete irdischeVorteileerm6glichte: F aust ist sich jener

    irdischen GenUssesehr wohl bewuBt und beklagt nicht vorrangig seine Unzulanglichkeit

    der Erkenntnis transzendenter Zusamenhange bzw. des produktiven Einwirkens in die

    allumfassendeOrdnung, sondern zunachst einmal ganzobanal den M angel an Geld und

    Besitz, weiterhin anAnerkennung (V . 374f Erst nachdem ihm dieirdisch-mensch! ichen

    Freuden verwehrt sind, geht seine Fragestellung tiefer, und seine anfangs konkret

    8 Hamm , Heinz. Goethes Faust WerkgeschichteundTetand yse. Berlin 1978. 28.

  • verstandeneFeststellung Da r ist mir ch (IUeFreud eM rissen hrt im weiteren

    Verlauf zum Grundproblem hin, imlich dem M angel an Freude im Sinne von echtem,

    tiefempfundenen Leben, Seelenkraft im BewuBtsein deT lebendigelTatur Die Liebe

    Gottes und die Liebezu den Menschen als lnbegriff dieser ersehnten Kraft kommt in

    diesem Zusammenhang noch nicht zur Sprache, sondern Faust laviert noch vagezwischen

    passivem NaturerZ und dem eingeschrankten Bereich aktiver EinwirkUng durch

    magischeBeschw6rung

    306 Agnes von H off

    9 )sFaxs161cyxdes Cyxrislicyzj?y4ende . Hrsg. vonGUnther Mahal. K nittlingen

    1983 4.

    3. Der Faustcharakter

    3.1. Der Faustcharakter in den literarischenGestaltungen vor Goethe

    Vergleicht man nun den Faustcharakter, wieur sich dem Zuschauer / Leser in dem

    hier bearbeitetenM onolog darstellt, mit seinen literarischen Vorgangern, so lassen sich

    einerseits BeispielefUr eine motivische Anlehnung Goethes ausmachen, andererseits ist

    aber auch einegrundsatzlicheAndersartigkeit desGoetheschen Faust klar erkennbar.

    Die Charakterzeichnung der Faustfigur in denVolksbUchern steht, wie bereits

    erwahnt, unter dem Einf1uB einer tibergeordneten moralischen lntention. Faust - als

    abschreckendesEempel fUr den verhangnisvollen Abfall von Gott, dieSiindeder Hybris

    -weist kaum pers6nlicheZiigeauf. DasVolksbuchdesChristlichM eynenden, mehr oder

    minder einEzerpt desW erkesvonPfitzer ( Goethehat w(jhl beidegekannt) , erganzt die

    faktischen M otive, die in den spateren Dichtungen aufgenommen wrden, durch

    moralische Kommentare: Ein Unterschied laBt sich z.B. feststellen, betrachtet man

    dessen trockenenBerichtston mit GoethesBearbeitung desStoffes:

    Er ch(mgirteauchgar seiStudium Theologicum mit dem StudioM edico, ud

    u ter diesem Vorand beeinj leiBigte er si& den H im m L u j ` zu

    eorscheT19

    Habe nun, (lch! I ) osophie y Juristerei urld M edizinZ Un,d leidef u ch,

    Theologiet Durchausstudiert mit hei& m Bem n. (V . 354ff. )

    Bemerkenswert ist hier auch die von vornherein negative W ertung der Tatigkeit

    Die von Goethegewahlte sprachliche Form, die vom Sturm und Drang gepragte

    Unstetigkeit und lnkonsequenz in der Vielfalt der sprachlichen M itte1 (vor allem der

    formalen M ittel wie Reim und M etrum) bringen die Grundstimmung Fausts zum

    Ausdruck, und gerade die Verse des Eingangsmonologes miissen die Basis fiir jeden

    Charakterisierungsversuch der Faustfigur bilden. Hier wird das W esen Fausts in seiner

    Komplexitat und Zwiespiiltigkeit vorgestellt und somit der Grundstein fiir die

    dramatischeEntwicklung in F(lUSt l gelegt. /

  • Fausts als der eines W ahrsagers im Faustbuch, des ( :lhrisUich M eyn,enden, ( & z

    guter Progn,osticaM , |& xtl| e sel|lelgo|IZose |ht uerbergen. mu,Bte j lo) im

    Kontrast zu dem BewuBtsein der Unzuliinglichkeit in bezug auf W issen und

    W issensvermittlu , wiesiedem Faust bei Goethe schlieBlich unertraglich wird: URd

    sehe, daBur nichtsussen ,en! Bildemnichte, uasRechtsm ussen

    Weiterhin laBt sichsehr gut der Ei1uB desZeitgeistesin beidenW erkenerkennen,

    betrachtet mandieW ertung objektiv wahrnehmbarer Verhaltensweisen. Sindbei Goethe

    der W issensdrang und auch die denkerischen Prozesse in dem Streben nach Erkenntnis

    grundsatzlichgut, daauf dem aufklarerischenGeistbasierend, sowertendieVolksbUcher

    FaustsTuyl als schad lichen, M gg g , der ihn eZsf laBt, sfcyx

    durch e. tejelisches Bandnii,B o f der Wdt gcklich zu mache ! - Ein tiefes

    MiBtrauen als6 gegeniiber jeglichem Versuch, in irgendeiner Weise den Machtbereich

    Gottes anzutasten.

    Noch unmittelbarer alsder mahnendeCharakter jenesVolksbuchesvon 1725 1st der

    desUrstoffesvon 1587, einer Zeit, inder dieEistenzder H611eunddieFurcht davor noch

    unmittelbareRealitat waren. Sehr hart wirdhieTber dieFigur Faust geschrieben und

    geurteilt, seine Verdammnis als gerechte Strafe betrachtet - fUr Gottlosigkeit,

    Verstockung und die bewuBte Abkehr von Gott in dem Versprechen, Gott und allen

    M enschen Feind zu sein Zwischen den Zeilen kristallisiert sich ein Faustcharakter

    heraus, welcher wohl kaum als eigens ndig-individuell gewertet werden kann, sondern

    eine zielgerichtete Verkopplung auBerer historischer Fakten und einer didaktisch-

    appellativgn lntentiondesSchreibersverk6rpert. Ankeiner StellewirdEinblick inFausts

    Inneres gewahrt, und selbst die vielsagendsten Passagen, welche wom6911ch

    Verstandnisoder garM itleidweckenk6nnten, werdennUchternundkaltkommentiert, so

    etwa jene, in denen Faust am TiefpUnkt seiner V erlorenheit und Zweifel ist und trotz

    ErkenntnisundReuenicht denSchritt zur BuBeundzum echtenGlaubenschafft: njun,

    h,(lb ichmich selbst gef ge ; . ( er) erzagd e7x& r Gzl Goes - Kommentar

    des Verfassers: Jeh6her er steigt, desto tiefer muB er Ue .

    W asden 1604 vonChristopher M arlowegeschaffenenFaust betrifft, sobegegnenwir

    hier (schonalleindurchdiedramatischeVerarbeitungdesStoffes) zwareinemMenschen

    ausFleischundBlut, indessenGedankenundZweifel wir Einblick erhalten, 91eichzeitig

    aber auch einem Reprasentanten des damaligen Zeitgeistes zwischen M ittelalter und

    Neuzeit. .

    Neu ist die diskursive, skeptische W eltsicht der Renaissance, neuzeitlich auch die

    psychologische innere Biographie des Protagonisten, wenn auch jene ldeen noch im

    mittelalterlichen Gewand erscheinen ( so etwa Elemente Wie - modern ausgedrUckt -

    307GoethesGestaltung desFaust-Charakters im EingangsmonoIog jVcM im Rahmen einer vergleichenden

    Betrachtung der Entwicklung desFaust-Stoffesin den nterarischen Gestaltungen vor Goethe

    ders

    ders

    5

    6

    10

    11

  • Agnesvon Hoff308

    12 7 0r, ZXi lo a de i exercise, / A nd al xlo d lear s golda

    gs, ZHesueitsuponcursednecronlancy; ZNothin,gsosuJeetasmagicisto

    m, / p soreMscyxi s ss. (Christoher Marlowe. The

    tragical history of thelifeand death of Doctor Faustus. H rsg. von. W . Greg. 0 -

    ford 1950. V . 23-27)

    UnterbewuBtin/ Gewissenetc. inGestalt des guten/b6sen Engels, die H611e als

    seelischer Zustand statt alsobjektivelnstanz) . Vorauszuschicken sei, daB bei M arlowe

    diezur V erdammung fUhrendeFehlhaltung nicht in der hybriden AnmaBung, in Gottes

    M achtbereich einwirken zu wollen, besteht, sondern Faust vielmehr an mangelndem

    Glauben scheitert; angesichts der Eitelkeit der W elt erkennt er nicht seine

    Eigenverantwortlichkeit, den Aufruf zu Uerwindung und Gottvertiauen, sondern bleibt

    noch im mittelalterlichen Pradestinationsgedanken und alsreiner Empiriker der Renais-

    sancQ in Skepsis, D esorientierung und Gottesferne gefangen. D er Schritt zur BuBe im

    Sinneder Reformation, welchealleindaspers6nlicheVertrauenauf dieGnadeGottesins

    B.11ckfeld stellt, ist ihm fern. Und ahnlich wie im Volksbuch muB dieses Verhalten

    vergolten werden, wie schon der Prolog ankUndigt: Aus dem SpieZ Iyotx Fgse71s

    SccaZ, otx see z/` gxld A & soll dem Zuschauer ein abschreckendesEempel

    begegnen; er soll sich htiten, sich wie Fausts tyoxx & 7xgoZ& ?xM?71 Ga r Wd

    ersattigt (` des Teds K.ste zu uXerfeT1 , sich schier mit Nekroman,tik zu

    berRehme und ichtssosehruXiedieM agiezu, 11eben, , um dieer seZ&sds6cyzsej

    rexxezxSedeSeZi, eracyxd12

    W ieandersistdieser Faust im Vergleichmit dem vonGoethegeschaffenen, wiesehr

    hat dasenaissance-Denkenhier seineSpurenhinterlassen. - Schonder Eingangsmonolog

    charakterisiert ihn treffend: DiekraftvolleSprache, oft knappundeindeutig, mit vielen

    lmperativen, verk6rpert in ihrer Forschheit ein selbstbewuBtes, sogar tiberhebliches

    Denken, welches nicht im mindesten mit den tiefen Selbstzweifeln, der Schwache und

    Zerrissenheit des Goetheschen Faust vergleichbar ist. M arlowes Faust ist noch

    vollkommen verwurzelt in weltlichem Streben, seine Hinwendung zur M agie bedeutet

    keineSuchenach dem Lebenssinn, sondern steht im Rahmen unbandigen ssensdrangs,

    einer Faszination durch dieAussch6pfung aller verftigbarer, konkreter M ethoden. W ie

    begrenzt erschginen von auBen gesehen seine verlneintlich 1yeetzseMee, reicht

    doch dievonihm erstrebte Gottgleichheitt nuT souXeit desM enschen, Denken schuXeij ty

    Nur vorstellbareDinge, gar j retxzeose WoZZzs sind es, wonach er strebt, und noch

    lange nicht das, was die W dt im ln,n,ersten, zusammen,halt ; dieses Fehlen der

    GoetheschenDimension, namlichder Zwiespaltigkeit einesFaust inseiner Suchenachder

    ldentitat und dem Ursprung aller Dinge, bezeichnet den Hauptunterschied zwischen den

    beidenVerken.

    Die W issenschaftengenUgen dem unersiittlichen unddoch in seiner Beschranktheit

    fast lacherlich wirkenden, trotzig auftretenden Faust nicht mehr; er hlt sich eiRer

  • rezzSacyzexxjUrd als der Analytik, erhebt an dieMedizin dun Anspruch auf die

    Fahigkeit, den Tod zu Uberwinden ( und damit auf dieGott allein vorbehaltene M acht) ,

    begegnet der aberholten Verdammungstheologie mit anmaBender und sp6ttischer

    Verachtung. T

    Z:i isbasest of thethree, y U leascmt, harsh, contemptible, (lnd

    uildj S)eRdiumpeccatimorsestHd SUpedmThereuJ(lrdtoj is

    de(1t: thatsh(1rd 14 Wyzd dod recZjyoMyxfst Cyzeser& ser& / W

    beshaU bet Dk, e 15

    W iefasziniert ist er hingegenvon denmagischenSymbolender M etaphysik. M acht,

    EhreundA11gewalt erhofft er sich, undnicht die ZdeSeeZex1r , dieErkenntnis

    der alleswirkendenNatur. GoethesFaust ist Uber einsolchesDenkenweit hinaus, bereits

    auf einem Standpunkt, wo er W erte wie Gut, Gdd, Ehr ud Herrlichheit der Welt

    bereitsabgeschrieben hat. Kennzeichen fUr diese Unreife des M arloweschen Faust ist

    dieTatsache, daB er erst dieFakultatenmustert unddann verwirft, wahrendbei Goethe

    dieser ProzeB langst abgeschlossen ist, wiedasresignierende ach! erkennen1 t.

    Ahnlich sind sich diebeiden Faustcharaktere von 1604 und 1775/ 1808, was ihre

    Ungeduld, dieUberschaumendeKraft und individuelleSelbstbehauptung angeht:

    309GoethesGestaltung desFaust-Charaktersim Eingangsmonolog jVcM irn Rahmen einer vergleichenden

    Betrachtung der Entwicklung desFaust-Stoffesin den literarischen Gestaltungen vor Goethe

    13

    14

    15

    16

    17

    ders. V . 107f,

    ders. V . 39f.

    ders. V . 45f.

    ders. V . 34f

    Soweit geht Marlowe auqh, doch eben nicht weitef : Ganz neu ist bei Goethe

    geradedieelementareErkenntnis, ihm sei dai1cd XeF relxdeM risse71.

    (Marlowe) n issaxsamercaa & lxe/ yzosM xzo a-

    ex7x , / 700 seriZe

    (Goethe) Mich,plageederSkrupdn,ochZuXed, ZFrchtemich, uXederuor

    H6Ue Roch Teuj e ( R . ) Es m6chte ke Hud so la er leben, !

    ( F. XZ) .

    Vor allem der nach GenuB und Tat strebende Faust des Sturm und Drang, dem

    Sinnlichkeit noch tiber Seelenheil geht, weist noch am ehesten Parallelen zu M arlowes

    Gestaltung auf, wenn auch sein Streben eben durch dieneueDimension Geftihlssubjek-

    tivitat wesentlich tiefer zielt alsdasdesM arloweschen Faust. Bleibt in dem englischen

    Drama der e unerschrocken diesseitig, so 6ffnet sich spatestens im Faust l eine

    Symbolwelt fUr Faust alsdensuchendenMenschender Neuzeit.

    Das inDeutschlandverbreitetePuppenspiel vom Doktor Joh(ulTI Faust ( erst 1872

    von Kar1 Simrock kompiliert) entstand auf der Grundlage der StUcke englischer

    W anderbtihnen und deutscher Volksschauspiele, welche wiederum an M arlowes W erk

    anknapften. Das Puppenspiul weist eine starke Vereinfachung der dramatischen Tiefe

  • Agnesvon Hoff310

    diesesW erksauf; eineBetrachtung desEingangsmonologs (wieer Goetheganzsicher als

    Anhaltspunkt fUr dieeeneBearbeitung des Stoffes diente) , wirft ein bezeichnendes

    Licht auf den Status des Faustcharakters in den Augen des Volks, wie er lange Zeit

    erhalten bleiben sollte. - Charakteristisch fUr die Puppenspieldramaturgie ist die der

    unmittelbarenjZuganglichkeit dienende Einfachheit und Klarheit der Sprache sowie der

    Aussage. lm Vordergrund steht das irdische Elend des Faust, welchet den Ste der

    Wdse in der ErgrUndung ?orger 71/etxder tVr zu finden hofft, und die

    pers6nliheProblematik wirdoftmalsauf eineganzeinfachezwischenmenschlicheEbene

    verlagert: SouJeit habichsmm mit Gelehrsamheit gebracht, 7 DaB ichd erorteuJerd

    (U lngenausovereia(;hter Form werdendieim Zwiestreit stehendenStimmen

    desUnterbewuBtseins (bei MarlowQzumindesteinb6ser bzw. guter Enge1) recht und

    linksvonFaust im BaB undDiskantplaziert

    Noch eindrUcklicher wirkt der etrem schnelleEntschluB Fausts, dessen praktisch-

    forscheBerechnungen in ihrer Oberflachlichkeit in keinem Verhaltniszu den kompliziert

    strukturierten VerkniipfungendesFaust bei Goethestehen, wo ja genau diesePhasen des

    ZweifelsunddesSchwankensbishin zunl endgtiltigenPaktschluB denGrundtenor bilden.

    (BeispieLausdemPuppenspie1-Faustangesichtsdes AbgesandtenvonPlutosReich:

    VieUeichtdesTeelsAn,ueru dter. ZDoch, machstdu michgmc ch, u duoUkommen, .

    yDasist meiWunsch, dasmuBmirrommel Stimmezur Rechta J aB (lb uortmir;

    Stimmer Li e, ich j olgedir; M achemichgmclich d oh eFehle. )

    18 s. A nhang zuHamm , Heinz. Goeyxes Fxxslj Wergesccyzelxnd ntxla71se

    Berlin 1978, . und Hende1, Gerhard. V on der ldeutschen Votkssage zu Goethes

    Fau,st Weimar 1972.

    theologischen Negativgestalt, fast schon einer Karikatur dargestellt, so wandelt sich

    diese seit Goethes Bearbeitung des Themas in der Tradition der Gelehrtendarstellung

    Rembrandtszu einer positiven ldealfigur18

    Eine verstandnisvollereundpositivereEinschatzung der Person Fausts und dessen

    Streben findet sich erstmalsangleleglt bei Lessing, dessen Fauslt-Fraglment von 1759 vom

    nQuen aufkla rerischen G eist zeugt und gew isserm aBen eine B riicke bildet zw ischen der

    Volksbuchtrag6diebzw. derenGestaltung durchM arloweauf der einen und dem W erk

    Goethesauf der anderenSeite. Hier gilt der W issensdrang desM enschen sogar sdessen

    edelster, 96ttlicher Trieb. Verhangnisvoll wirdesnur dann, wenn der M enschsich ni(jht

    mit der ihm erlaubten reinenAnnaherung andieErkenntnisder W ahrheit begniigenw111,

    sondern nach deren Besitzundsomit nachHerrschaft undM acht strebt. DieVerfUgung

  • 311Goethes Gestaltung des Faust-Charakters im Eingangsmon010g jVaa t im Rahmen einer vergleichenden

    Betrachtung der Entwicklung des Faust, Stoffesin den nterarischen Gestaltungen vor Goethe

    Uber das lnstrument des W issens(dursts) liegt in der Freiheit des M enschen, und da

    prinzipiell das Suchen und Streben gottgewollt ist, kann im Sinne Le6sings eine

    VerdammungFaustsgar ni(jht mehr inFragekommen. Hier liegt somit erstmalsder

    Hinweisauf dieM 6911chkeit einet Rettung / Er16sung Faustsvor. FUr einenTeufelspakt

    und somit eine dramatische Entwicklung existiert im Fragment Lessings kein

    AnknUpfungspunkt, und m6911cherweise wurde aus diesem Grund das W erk nie

    fortgefiihrt und vollendQt.

    DieFaustfigur selbst erscheint bei Lessing in einem positiven Licht. Das beweist

    nicht nur dieTatsache, daB in dem Arrangement desVorspielsFaust einePosition ber

    dem Heiligen erhalt, sondern vor allem der Hinweis, daB Faust nicht von Anfang an

    sUndig ist, sondern erst mit etremem Aufwand ver hrt werden muB. Leider ist in

    Lessings Fragment ein direkter Ansatzpunkt fiir einen Vergleich mit dem

    Eingangsmonolog bei Goethenichtgegeben, undsokannesandieser Stellenur bei diesem

    als Erganzung der Zusammenschauverschiedener Fausttypendienenden knappenHinweis

    bleiben.

    Der Vollstandigkeit dieser Zusamm6nschau halber sei noch die Auspragung des

    Faustcharakters im Sturm und Drang erwahnt, denn wieder offenbart sich hier, wie ein

    19 Slxxrm lyldl )ran& )ic/11xxngetl lnd lyxeoreliscllet ele. Hrsg. von HeinzNicolai.

    Bd. II . M IUnchen 1971. 1300f.

    20 Zit. nach Geissler, HorstW olfram . GeM,lga des Faas. H ildesheim/New

    York. 1974. 438.

    21 ders. 445.

    bestimmter Stoff niemalsnur arXyi rwird, sondernstetssrlxxtleM im Diensteganz

    konkreter Str6mungen desjeweiligen Zeitgeistes ist. So wirkt im Vergleich zu Goethes

    Faust die von Friedrich M U11er 1778 1n seinem Fragment skizzierte Figur fast

    erschreckend kraftvo11 ( Stichwort ist der Begriff vom staen, gro& R Ker1 ) :

    e Ker1, der d leseeK raj t gefaMt, ge Mt deZage1, deR Gmck uRd

    Schicksal ihm anhielt, dener gern zerbrecheuJoUt, un,dM ittd und Wegesucht

    -M ut geTlug h(1t (IUesederzuuJee(1s Weg trat un,d ihn, ue dem u)

    - DasEmporschuJgeRsohochd sm6gnchist esliegt dochsogan,z der

    7Tatur Esgibt M omeRteim Leben. . u)o dasHerzsich, sdbst bersprgt,

    uXo der her r li chste, beste K er l , t r ot z G erechtig hei t u Ttd G gsetz , ab so t a ber

    s i c h s e l b s t h i n a u s b e g e h r t .

    M oralisch wertend und somit stark intentional bestimmt ist der ? in

    FriedrichM aimilianKlingersProsawerk von 1791. DieAnsatzesind zwar ahnlich wie

    bei M tiller ( Frahj (mder dieGreRzen, der M enschheit zue d sti mit d lder Kr(t

    dagege71 anoum sieaber die Wchkeit htiberzuriicken, ) , doch die Starke Fausts

    wird ihm hier als Hochmut und Kursichtigkeit ausgelegt, sein 7 )r g 71 Wissexl,

    Dra nach Gen;uS un.d Freiheit hrt ihn in. ein auswegloses Labyrinth, da er

  • 3.2. De17Faustcharakter bei Goethe: VergleichendeBetrachtung der drei

    Entwicklungsstufen Urfau8t - Fragment - Fau8t l

    Um nundenBogenzurUck zur TQxtanalysezuschlagen, soll der Charakter desFaust,

    wie Goethe in konzipiert hat( klar von den anderen abgegrenzt und seine besonderen

    Merkmalehervorgehobenwerden

    Zunchst einmal mUssen die verschiedenen Auspragungen des Faustcharakters im

    sog. ags, im Faust- Fragmet und im Faust l klar getrennt betrachtet werden,

    denn ein jedes dieser W erke tragt in sich jeweils eine Stufe der /im stetigen W andel

    begriffengn Entwicklung des Autors. Nach Arens ist die rkliche E heit der

    Fausigur nichtdieeinesnormalenDramenhelden, sondern eesichsgesamtaber60

    Jd reerstreckendeSelbstaussagedesDichters.

    lmUaustbegegnetunseinmittelalterlicherGelehrter, dernacheinerSynthesevon

    W issen und GIUckserfahrung strebt, deT der Vergangeheit see wissenschaJUiche

    Arbeit nachden LeitorsteUungeeirter dieN (ltur uerletzenden Theologiedes Theismus

    sgerichtet hat und n , deren Falschheit & 1sehen muB 4 Die Zwiespaltigkeit und

    Zerrissenheit desCharaktersin dieseT krisenhaeUmbruchsituatio , wie sie in der

    extrem vielfaltig gestalteten und entsprechend unruhig, unausgeglichen wirkenden

    Sprach6 kraftvoll zum Ausdruck kommt, ist in ebendieser Form bisin denFaust l hinein

    erhalten

    DiefUnfzehnJahrespater entstandenenneuenSzenendes FragmeM s spiegelnzum

    Teil die Einfmsse, der ltalienischen Reise Goethes wider, von welcher er kritischer und

    analytisch denkender zurtickgekehrt war. Der gealterte Stubengelehrte Faust des

    16. Jahrhundertsbedarf einer VerjUngung, um seinem Strebengerecht werdenzuk6nnen.

    Doch steht er seinem Vorganger nochganznahe, nur wird hier dieEins(jhrankung auf das

    lrdischestarker akzentuiert. ln seinem Drang dieWdt he , d.h. in dem W unsch,

    alle menschlichen Lebensm6911chkeiten auszukosten, zu greifen, zu genieBen liegt

    gewissermaBeneineRelativierungdesUberanspruchsseinesVorgangers, der gleich zum

    nbermenschen, zur Gott-Naturwerdenwollte, gleichzeitigsomitaucheineGeringschat-

    zungdesmenschlichenGeistes. -BesondersdieV. 224ffund289-294desFragmentsbelegen

    312 Agnesvon Hoff

    a rnchseiJlem eigeneSdbsG uXelchesder gr6BteGeistmitdem achsta Schaskopf

    gemehat) , & 7xF 7MZr,71e&dZej 22

    KlingersEpilOgUS laBt ganzklarwerden, daB eseben Gss gibt, die der

    Geist desM en,scheR n,icht eM h1ek n,n, un,d soU , und in der strengen Ermahnung zu

    Demut, Geduld und Unterwerfung bleibt esbei dieser restriktiven Haltung.

    ders. 439.

    A rens 75.

    H amm 26.

    ders. 24.

    22

    23

    24

    25

  • dieseneueTendenz:

    Und uJ(1sder ganzen M eschheit zugeteilt ist y WiU ich 1Tt meinem inTtern SeU)st

    gene& 71, ZMitmeemGeistdasH6chstu ,dTit

    aUeSchatze y Des M enschengeists a mich herbeigeraj , 7 lch b n,icht um e

    H rb t h6her, yB dem Uned lichennicht n,aher.s

    Die Subjektivitat des in sich zwiespaltigen Uaust widerspricht der durch die

    Antikegepragten Anschauung Goethes vom geistig-sinnlich einheitlichen M enschen und

    wird von ihm - ahnlichwieim Fall des jungenW erther - im nachhinein kritisiert. Doch

    erst im F u s H iegt gewissermaBen eine einheitliche ZuJiespaltigkeit vor, und zwar in

    dem idealeRStrebeRn(1ch, EiJheRuRdE h,1en, dieg(IRzeNattwieesbereitsim- -

    Ersten Paralipomenon ange hrt wird. K lar erkennt Faust die Verschlossenheit des

    UberirdischenUnddieeinzigeM6911chkeit, nur inder irdischenWeltsch6pferischseinzu

    k6nnen. Er geht - im versuchten Selbstmord - bis an seine Grenzen, um endlich die

    Eistenzeiner umfassendenOrdnung zu begreifen.

    W ichtig zu erwahnen ist in diesem Zusammenhanlt die neue Dimension des

    Goetheschen Faust, welcher namlich Volksfabel und eine komplee philosophische

    Deutung verschmilzt Zu der Forderung nach dichterischer IRdiuidualitat tTitt nach

    Schillers Aussage jene an eine syz71&oZfsd e es 27. 1m Kontrast zu den

    literarischen Vorgangern steht Goethes Faust der Tradition Shakespeares nahe und

    erm6911cht eineldentifikation durch dieindividuelleCharakterzeichnung

    W ie aus dem Vorspid (1 dem Theater ersichtlich wird, !:)edarf dieser Faust in

    seinem innerenW iderspruch einer Verjtingung, welchegleichsam den Bezug zum wahren

    Lebenwiederherstellenso11. W eiterhin verk6rpert Faust zugleichH6hepunM und Krise

    desSubjehtiuismus28, insofernalsGlauben und W issen nun keineEinheit mehr bilden.

    Diesetiefenpsychologischen Ansatzein der Gestaltung desFaustcharakterskennzeichnen

    GoethesW erk in besonderem M aBe

    313GoethesGestaltung desFaust-Charakters im Eingangsmon010g jVacM im Rahmen einer vergleichenden

    Betrachtung der Entwicklung desFaust-Stoffesin den nterarischen Gestaltungen vor Goethe

    33. GoetheundseineFaust-Konzeption

    Goetheselbstnunskizziertseinen Faustcharakter als (mJder H6he, ujohin, dieneue

    Ausbildung (ulsdem (11ten, roherVolsmarcherl den,sdbeR heruorgehobehat. Er stelle

    een. M aTln. dar, uXdcher deR aUgemeineR Erde71schran.ke sich ugedd dig uTld

    behaglichMe , den,Besitzdesh,6chstenWissas, denGenuBdersch6nsten, Gterr

    un,zd aTtglich achtet, seeSehTtsucht auch nur im m destenzu bej riedigeT1, e e Geist,

    uXelcher deshalbnach aUeSeiteR h171 sichuXeTtdend immer ungcklicher zu c ehre.

    29 M Unchener AusgabeBd. 18. 989 .

    Vgl. digseVerseim KontextdesFs17V . 1770ff; 1810f; 1814f. !

    3r/ecrlzsc4 & r xx71dGod. Bd. I . Stuttgart1981. S. 263

    Zit. nach Hinderer, W alter ( H rsg. ) . Goees D ramenj ee ler7)rellfo4e4.

    Stuttgart 1980.

    26

    27

    28

  • A gnesvon H off314

    M 6glicherweiseder wichtigsteUnterschied zu den literarischen Vorgangern ist die

    ausgesprochene lndividualitat des js Faust, war doch vorher die Charakteri-

    sierung stets Uberdeckt von relig16s-moralischen / weltanschaulichen lntentionen der

    Verfasser. Bei Goethe ist Faust ein eigenstandiger Charakter geworden, dessen

    Eigendynamik Goethe selb nicht gewachsen zu sein schien, wie sein langer innerer

    Kampf wahrendder gesamtenArbeit am Fausstoff sowieAussagen im Briefwechsel mit

    Schiller belegen, welcher gleichfalls die so hoch (1 queUende M aterie des Faust in

    dessen Anspruch auf eine 710fader yd er skeptisch betrachtete, wasjedoch vor

    allem mit dem Problem derpoetischenGestaltung zusammenhing. FUr Goetheselbstwar

    Faust e so sdses dzx, dj xxlxr etxe jsetzsee 7xerexxZasatlde

    n,achempdek6nn,te` , unddochsollteerumgekehrtzumReprasentanten, zumSym-

    bol der Xlenschheit werden, in dem ueru ckte Bgstreben, d(ls G6ttliche uRd d(is

    sfscyzejM jsczxxlyere 31.

    Eing solche Faustkonzeption in ihrem sowohl h6chst individualistisch als auch

    symbolischenGepragehat esvorher nicht gegeben, ganzzuschweigen vonder neuartigen

    Form, welche vom herk6mmlichen Gattungsmodus abwich, da sie sowohl eine

    Dramatisierung der Biographie als auch die Entfaltung eines vielperspektivischen

    W eltbildes vereinte.

    30 Eckermann, Johann-Peter. Gespracyzemil Goelyxe. W iesbaden 1975. Bd. 19. 121

    31 r ecsd z sd a & yJ Zer ,m d God 263.

    Zusammenfassung

    lm V ergleich zu den vorangegangenen Faustgestalten ( sei es das Rohmaterial im

    Volksbuch und dessen moralisch-intentionaleAufbereitung, sei es der zwar dramatische,

    aber stets noch titanenhaft und menschlich fremd bleibende Antiheld bei M arlowe oder

    dessensp6 ttischverlachteKarikatur indendeutschenVolks-undPuppenspielen, sei esder

    tiberschaumende, subjektive Geist des Sturm und Drang) kann nun zusammenfassend

    festgehalten werden, daB Goethes Faust zum einen seine eigene Stufe des Zeitgeistes

    verk6rperte(undsomitErfahrungenundErkenntnisseder vergangenenEpochen- vom

    M ittelalter tiber die Renaissance bis hin zur Aufklarung - und dem daraus flieBenden

    neuenM enschenbildzerschmolz) , zum andereninseiner neuartigenpsychologischenTiefe

    und dem intensiven Kontakt zwischen W erk und Autor Zeugnis Uber die Pers6nlichkeit

    Goethes ablegte, unverschleiert von ideologischen Vorwanden oder relig16s-1ehrhaften

    Prlnzlplen

    Nur hier begegnenwir einer soprinzipiell positiven, verstandnisvollen Einschatzung

    jenesMenscheninsQinentiefsten, nurallzumenschlichenZweifeln. Wurdebisherstetsvon

    obenherab tiberheblichundmiterhobenem Zeigefinger ar Faustgeurteilt, sospricht die

    Tiefeder menschlichen Empfindungen in GoethesFaust den M enschen selbst an, der sich

  • somit identifizieren kann. Faust wird hier nicht als vermessener, hybrider Starrkopf

    abschatzig betrachtet, sondern in seiner Verlorenheit als Oper menschlicher Verstrik-

    kungenundVerwirrungen. lnsbesonderedieKomponentedesgnadigen, er16sendenGottes

    im Kontrast zudem unantastbaren, strafendenGott voriger Epochentritt hier neuhinzu.

    Trotz seiner Fehlschlage, seinesUnglaubens und seiner menschlichen Schuld bleibt Faust

    doch stets in einer gnadigen g6ttlichen Ordnung geborgeil ; sein Streben wird nicht

    verdammt, sondernimmer nochnachsichtig alsvortibergehendePhasemit einem letzlich

    guten Zie.1 betrachtet

    WenTl er mir jetzt (luch ueruJorre dieM , y So uJerd ich ihn, ba14 1 die

    KlarheithreR (Faustl V. 308f

    So lautet dasUrte11, wieGott esinGoethesProlog klar und eindeutig ablegt und

    weiterhin feststellt, daB & r M a s e, soZ er sr ( V . 317) und e gu,ter

    M en,sch selbst in seinem duRMeR Dr(m,g ch des rechten W eges letztlich doch wohl

    bewuBt sei (V. 327f Ander Eistenzdiesesgrundsatzlich positiven und hoffnungs-

    vollen, da bis in diemenschlichenTiefen vordringenden g6ttlichen Prinzips andert auch

    die Tatsache nichts, daB die zu Anfang erlauterte Verschrankung. von Vorspiel und

    Prolog dieangeblich g6ttnch,e Ordnung in den menschlichen Kompetenzbereich selbst zu

    verlagern scheint, denn trotzdieser Relativierung in der HervOrhebung des Dichters als

    oberste schaffende lnstanz gibt es an keiner Stelle Anhaltspunkte, die auf eine

    grundsatzlicheGottesverneinung hinweisen

    Zwar eistieren innerhalb dieser elementaren Faustkonzeption Goethes gewisse

    durchpers6nlicheEntwicklungsprozesseundgeistigeStr6mungenbedingteSchwankungen

    (so vor allem der Wandel der Faustfigur von der unverwechselbaren genialen

    Pers6nlichkeit der Urfassung zum Sinnbild desstrebenden und sich h6her entwickelnden

    M enschen nach der Franz6sischen Revolution) , doqh bleibt die harmonische Basis des

    Ganzen stets erhalten, dessen Horizont ein menschlich-g6ttlich universaler ist. lm

    Gegensatz zu den Vorgangern in der Bearbeitung des Stoffes kann Goethes Faust sein

    UrqueU, den ihm M ephistodurchdieHerabwiirdigung auf dieEbenestumpfer, tierischer

    Triebbefriedigung raubenw111, niemalsverlorengehen. ln diesem Licht muB somit auch

    der hier behandelte Eingangsmonolog gesehen werden, der trotz dieser positiven

    Einbettung nichts von seiner unmittelbaren Dramatik einbiiBt, welche drastisch das

    menschlicheGrundproblem ausmenschlicher Perspektiveveranschaulicht.

    315GoethesGestaltung desFaust-Charaktersim Eingangsmonolog jVcM im Rahmen einer vergleichenden

    Betrachtung der Entwlcklung des Faust-Stoffesin den Hterarischen Gestaltungen vor Goethe

    *

    LiteratUrVerZeiChniS

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