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Andreas Graeser Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung Bemerkungen, zum erkenntnistheoretischen Exkurs des V1L Briefs AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR • MAINZ FRANZ STEINER VERLAG WIESBADEN GMBH ■STUTTGART

Graeser, Philosophische Erkenntnis Und Begriffliche Darstellung Exkurs 7 Brief

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Plato, Letter 7

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  • Andreas Graeser

    Philosophische Erkenntnis und begrifflicheDarstellungBemerkungen, zum erkenntnistheoretischen Exkurs des V1L Briefs

    AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR MAINZ

    FRANZ STEINER VERLAG WIESBADEN GMBH STUTTGART

  • Jahrgang 19881. Klaus Dring, Der Sokratesschler Aristipp und die Ky-

    renaiker. 71 S., DM 32,2. Erich L oos, Die Bedeutung der M usik im W erk Dantes.

    23 S.. D M 9,803. Erich Neu, D as Hurritische: Eine altorientalische Sprache

    in neuem Licht. 48 S., DM 24.-4. K arl Erich Born, internationale Schuldenkrisen des

    19. Jahrhunderts;. 26 S.. DM 9,805. M a x Pster, G allorom anische Sprachkolonien in Italien

    und N ordspanien. 44 S. mit 1 Faltkarte, D M 24,-6. Werner Schrder, ,A rabel-Studien IV. Vom Beginn der

    E rzhlung bis zu Willehalms Gefangennahme. 196 S., DM 7 2 -

    7. Werner Sc/zrder, ,A rabel-Studien V. Die Flucht. 260 S., DM 96,

    8. O skar von H inber, Die Sprachgeschichte des Pli im Spiegel der sdost asiatischen Handschriften berlieferung. U ntersuchungen zur Sprachgeschichte und H andschriften knde des Pli I. 29 S., D M 12,60

    9. E rnst H eitsch, berlegungen Platons im Theaetet. 205 S.. D M 74,

    10. H orst Claus R ecktenw a ld und W ilhelm K r eile, Gossens G esetze - Leitm uster m oderner N utzentheorie. 54 S., DM24,60

    11. Wilhelm Rau, B hartrharis V kyapadiya. Vollstndiger W ortindex zu den m ulakriks. 175 S., D M 74,-

    12. H erm ann Lbbe, P au l Schlmerich, R einhold Zippe lins, Gerhard M ller und Gerhard F unke, Anfang und Ende des Lebens als norm atives Problem . 60 S., D M 26,-

    13. Erich Loos, Selbstanalyse und Selb stein sicht bei P etra rca und M ontaigne. 24 S., D M 11,80

    Jahrgang 19891. Horst Claus Recktenwald, Kritisches zum Selbstver

    stndnis der konomischen W issenschaft. 74 S., D M 34,-2. W olfgang P. Schm id (Hrsg.), N ehrungskurisch. Sprachhi-

    storische und instrum entalphonetische Studien zu einem aussterbenden Dialekt. 231 S. mit 256 Abb., D M 98 ,-

    3. G erhard F unke (Hrsg.), Husserl-Sym posion Mainz 27. 6-/4. 7. 1988. 99 S. mil 1 H usserl-Portrait, D M 4 8 ,-

    4. A ndreas Graeser, Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung. Bem erkungen zum er kenntnisthe ore tischen Exkurs des VII. Briefs. 39 S., DM 24.-

    5. Werner Schrder, W olfram von Eschenbach, das Nibelungenlied und >Die K lage. 39 S., DM 24 -

    ELN ZE LV E R FFFN TL 1C H U N G E N1. B urkhart Cardauns, M. TerentiuS' V arro, Antiquitates

    Rerum D ivinarum. Teil l: Die Fragm ente, Teil II: Korn rnentar. 1976. 2 Bde. m. zus. 256 S., D M 84,'~

    2. Volker Langholf, Syntaktische U ntersuchungen zu H ippokrates-Texten. Brachylogische Syntagmen in den individuellen K rankheits Fallbeschreibungen der hippokratischen Schriftensam mlung. 1977. 194 S., DM 62,-

    3. Werner D euse, Untersuchungen zur mittelpiatonischen und neuplatonischen Seelenlehre. 1983. 11, 278 S., DM 106.

    4. R aym im d K ottje und H arald Z im m erm ann (H erausgeber), H rabanus M aurus. Lehrer, Abt und Bischof. 1982. X !L 208 S., DM 63 -

    5. W erner B iehl, Investition und Innovation. 1982. 236 S. mit 6 A bb., D M 8 8 ,-

    6. Otto Z w ierlein , K ritischer K om m entar zu den Tragdien Senecas. 1986. 564 S., DM 148,-

    ISSN 0002-2977

  • A B H A N D L U N G E N D E R A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N U N D D E R L I T E R A T U R

    G E I S T E S - U N D S O Z I AL W I S S E N S C H A F T L I C H E K L A S S E

    Jahrgang !9821. Georg Buddruss , Khow ar-Texte in arabischer Schrift.

    79 S., mit 12 Abb., DM 28,-2. Dorothee Renner, Die Textilien in der Sammlung des Prin

    zen Johann Georg von Sachsen. 28 S., mit f Farbtafel und12 Tafeln, DM 24.-

    3. Erwin Iserloh , K irchengeschichte - Eine theologische W issenschaft. 28 S., DM 10,80

    4. B urkhart Cardauns, Stand und Aufgaben der Varrofor- schung (mit einer Bibliographie der Jahre 19.35-1980). 46S., DM 15,60

    5. E ckurd Lefevre, M accus Vortit Barbare. Vom tragischen A m phitryon zum tragikom ischen A m philruo. 46 S., DM 16,20

    6. Werner Schrder, ,A rabel-Studien I. Prolegom ena zu einer neuen Ausgabe Ulrichs von dem Trlin. 144 S., D M64,-

    7. Paul O skar Kristeller. H andschriftcnforschung und G eistesgeschichte der italienischen Renaissance. 3 1 S.. DM I 1,40

    8. Pierre Hadot, Z ur Idee der N aturgeheim nisse. Beim Betrachten des W idm ungsblattes in den Hum boldtschen ,Ideen zu einer Geographie der Pflanzen1. 34 S. mit 4 T afeln, DM 11. -

    9. KarI Deichgrber, Die Patienten des H ippokrates. Hi- storisch-prosopographische Beitrge zu den Epidemien des C orpus H ippocraticum . 43 S., DM 15,80

    10. Wilhelm Rau. Die Brennlinse: im alten Indien. 26 S., DM I I , -

    ] 1. H ellfried D ahlmann, Zu F ragm enten rmischer Dichter. 60 S., DM 26.80

    Jahrgang 19831. Wilhelm Rau, Z ur vedischen Altertum skunde. 82 S. mit

    15 Abb. auf 6 Tafeln, DM 28.-2. Jo se f Schm ucker, K ants vorkritische K ritik der G ottesbc

    weise. Ein Schlssel zur Interpretation des theologischen H auptstcks der transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft. 106 S., DM 38,-

    3. Otto Zwierlein, Prolegom ena zu einer kritische A usgabe der Tragdien Senecas. 269 S. mit 14 A bb., 13 Tabellen und22 Bildtafeln, DM 8 8 -

    4. W erner Schrder, .A raber-S tudien IL Von der Auskunft Willehalms in Todjerne bis zu Tybalts Abschied von Ara- bei. 228 S., D M 7 2 -

    5. Karl-Georg Faber, Z um Verhltnis von A bsolutismus und W issenschaft. 23 S., DM 9,80

    6. W erner Thomas, Der loch arische Obliquus im Sinne eines A kkusativs der Richtung. 45 S., D M 13,-

    7. K arl Deichgrber. D as Gan^.e-Eine des Parrnenides. Fnf Interpretationen zu seinem Lehrgedicht. 20 S., DM 7,40

    Jahrgang 19841. E rnst Heitsch. Aidesis im attischen Sirafrecht. 22 S.. DM

    9,802. Erich Loos, Der logische Aufbau der Com m edia" und

    die O rdo Vorstellung Dantes. 26 S. mit I A bb., DM 9,803. Ernst H eitsch. Antiphon aus Rham nus. 1 29 S.. DM 46,804. Reiner H aussherr , Convencvolezza. H istorische A nge

    messenheit in der Darstellung von K ostm und Schauplatz seit der Spatantike bis ins 16. Jahrhundert. 104 S. mit 90 Abb. auf 56 Tafeln. DM 58,60

    5. Carl 'Werner Mller. Zur D atierung des sophokleischen dipus. 85 S., DM 32,-

    6. Otto Z w ierlein , Senecas Hercules im Lichte kaiserzeii- eher und sptantiker D eutung. Mit einem A nhang ber .tragische Schuld' sowie Seneca Imitationen bei C laudian und Boethius. 69 S., DM 28,-

    7. Karl Bischof]', D as M i 11 e lei bi s che W rterbuch. 49 S. mit 7 Abb., DM 18,80

    8. W olfgang Hbner, Varros instrum entum vocaie im K ontext der antiken Fachwissenschaften. 32 S., DM 9,80

    9. W erner Schrder, ,A rabel-Studien III. A rabel und Wle- hahn auf w est-stlichem Divan. 227 S., DM 72,-

    10. E ekard Lefevre. Diphilos und Plautus. Der Rudens und sein Original. 45 S., DM 18,40

    1 1. E rnst Heitsch, Willkr und Problem bewutsein in Pia Ions K ratylos. 77 S., DM 29,60

    1 2. H ellfried D ahlm ann, Zu Fragm enten rm ischer D ichterII. 37 S., DM 14.80

    13. Erich Burck. Silius Italiens. Hannibal in C apua und die R ckeroberung der Stadt durch die Rmer. 53 S., DM 24.80

    E o r t s e i z u n g 3. U m s c h la g s e i t e

  • AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATURABHANDLUNGEN DER

    GEISTES- UND SOZIALWISSENSCHAFTLICHEN KLASSEJAHRGANG 1989 Nr. 4

    Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung

    Bemerkungen zum erkenntnistheoretischen Exkurs des VII. Briefs

    vonANDREAS GRAESER

    AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR - MAINZ FRANZ STEINER VERLAG WIESBADEN GMBH STUTTGART

  • Vorgelegt von Hrn. Heitsch in der Plenarsitzung am 18. Februar 1989, zum Druck genehmigt am selben Tage, ausgegeben am 20. Juli 1989

    CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

    Graeser, Andreas:Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung : Bemerkungen zum erkenntnistheoretischen Exkurs des VIL Briefs / von Andreas Graeser. Akad. d. Wiss. u.d. Literatur, Mainz. Stuttgart : Steiner-Verl. Wiesbaden, 1989

    (Abhandlungen der Geistes- und Sozial-wissenschaftlichen Klasse / Akademie der Wissenschaften und der Literatur ; Jg. 1989, Nr. 4) ISBN 3-515-05471-5

    N E: Akademie der Wissenschaften und der Literatur < Mainz > / Geistes- und Sozialwissenschaftliche Klasse: Abhandlungen der Geistes-,..

    1989 by Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz Satz und Druck; Druckhaus Darmstadt Gm bH, Darmstadt

    Printed in Germany

  • L

    Der philosophische Exkurs1 im VII. Brief des Corpus Platonicum argumentiert fr die Behauptung, da sich Einsichten bestimmter A rt nicht wirklich mittei- len lassen. Zwar ist die Begrndung selbst aus aktuellem Anla erstellt2. Doch handelt es sich um einen, wie es heit, ,wahren Logos*. Dieser sei schon wiederholt geuert worden und solle nun einmal mehr zur Geltung gebracht werden (342a36).

    Uber die eigentliche These und die Art ihrer Begrndung3 besteht unter den Interpreten ebensowenig Einigkeit wie ber die Folgerungen, die dieser ,wahre

    1 ln seiner Arbeit Dialektik und Sophtstik im siebenten platonischen Brief* [1963] weist H.-G. Gadamer darauf hin, da die sag. Erkenntnistheorie des Exkurses berhaupt keine Theorie der Erkenntnis, Sondern eine Theorie des Lehrens und Lernens [ist], wie es im philosophischen Lehrgesprch und Streitgesprch auf die Probe gestellt wird (Gesammelte Werke. Bd. 6: Griechische Philosophie II. Tbingen 1985* 95). Mit dieser pointierten 2uspit&ung luft man Gefahr, darber hinwegzusehen, da der ^wahre Logos* massive Annahmen ontologischer und crkrr.ntmstheoreti- scher Art voiMussetzt, die aueh als solche analysiert Werden mten. Insofern Scheint es durchaus vertretbar, z.B. mit N .P . White den ,ExkurS zumindest heuristisch als Teil einer Spezifischen Problemlinie zu sehen, d.h. als Beitrag zur Klrung von Schwierigkeiten, die im Kratylos, Theaitet und anderswo angesprochen werden (Plato on Knowledge and Reality. Indianapolis 1976, 198218),

    1 Primr ist von uerungen ber die hchsten und ersten Dinge der Wirklichkeit [physis] (344d45) die Rede, die Dionysios verbreitete und von denen sich Platon abzugrenzen wnscht. Dies und der Hinweis auf andere Traktate (34lb57) legen die Schlufolgerung nahe, da es sich bei den fraglichen Thesen um Platons Auffassungen ber Einheit und Vielheit handelte. Doch spielt dieser Punkt fr die Substanz der Argumentation des philosophischen Exkurses selbst keine Rolle. Der ,wahre Logos' selbst hat m. E. mit den Themen der sog. Vorlesung ber das Gute oder anderen Vortrgen dieser Art nichts zu tun (allenfalls nur akzidentell, sofern es hier wie da um Philosophie geht); er ist vielmehr eine Art Propdeutik. Denn hier ist nur davon die Rede, wie man etwas zu verstehen habe und wie nicht. Siehe allerdings auch H.-J. Krmer, Neues zum Streit um Platons Prinzipientheorie. In: Philosophische Rundschau 27 (1980) 17.

    3 Eine ausgewogene Darstellung des Standes der Diskussion vermittelt W. K. C. Guthrie, A H istory of Greek Philosophy. Bd. 5: The later Plato and the Academy. Cambridge 1978, 402417. Guthrie hlt anders als L. Edelstein (Platos Seventh Letter, Leiden 1968) den Brief ebenso wie den Exkurs fr echt, so auch R. Turnher, Der siebte Platonbrief. Versuch einer umfassenden philosophischen Interpretation. Meisenheim am Glan 1975. Dagegen pldiert H. Tarrant, Middle Plato- nism and the Seventh Letter. In: Phronesis 28 (1983) 75103 fr die These, da der Exkurs als Einschub zu betrachten sei, der im zweiten nachchristlichen Jahrhundert verfat worden sein drfte. Anders gelangte W. Brcker, Der philosophische Exkurs in Platons Siebentem Brief. In: Hermes 91 (1963) 417425, Nachtrag zum philosophischen Exkurs in Platons Siebentem Brief, ln: Hermes 93 (1965) 132 zu der Schlufolgerung, da der Exkurs zwar im ganzen unntz und

  • 4 Andreas GraeserLogos tatschlich gestattet. Obschon hier viele Punkte kontrovers sind und Anla zu vielschichtigen Untersuchungen geben, drften sich die Probleme auf zwei Hauptpunkte zuspitzen. Die eine Frage lautet: Welcher Art sind jene Gebilde, die als nicht sagbar gelten sollen? Die andere Frage lautet: Was hat es mit der Behauptung auf sich, da Name, Definitions-Satz, Abbild und Erkenntnis nicht, oder nicht nur, das ,Was und ,W ahre4 bzw. ,W irkliche1 vor Augen fhren, sondern etwas ,Wie-Beschaffenes? Die erste Frage ist m.E. dahingehend zu beantworten, da Nicht-Artikulierbarkeit eine Eigenschaft der Ideen ist, sofern diese rein als Gehalte sui generis betrachtet werden. Zwar knnen wir ber Ideen sprechen, die Gehalte beschreiben und in diesem Sinn auch begriffliche Verhltnisse mitteilen. Doch lassen sie sich als gedachte Gehalte nicht rein fr sich im Medium der Sprache darstellen. Damit soll der irrtmlichen Vorstellung entgegengewirkt werden, da Zge der Beschreibung ipso facto auch Zge des Beschriebenen seien (siehe unten [VI]). Die A ntw ort auf die zweite Frage lautet, da Name, Definitions-Satz, Abbild und Erkenntnis, letztere im schwachen Sinn verstanden, f-Dinge artikulieren bzw. reprsentieren, nicht aber das /-selbst vorstellen: sie verweisen auf Gegenstnde, die einen Gehalt exemplifizieren, nicht aber den Gehalt selbst (siehe unten [V]). Ich verstehe die These ferner als Ausdruck der Behauptung, da jemand, der von solchen Gehalten platonisch betrachtet: von Ideen spricht, zwangslufig so verstanden wird, als rede er von Dingen, die unter einen Begriff fallen bzw. die Eigenschaft darstellen, die die Idee selbst ist.4 M ithin sind gesprochene oder geschriebenestrend, nicht jedoch in allen Teilen manifest kritikwrdig sei. In diesem Sinn pldiert er fr die Unterscheidung eines echten Substrats einerseits und unechter Zustze andererseits. Diese Zustze finden sich: 342al6, 342e2343a4, 343bcl, 344a2cl: Sie wimmeln von falschen und mit Platons bekannten Lehren unvereinbaren Behauptungen und leisten dennoch nicht, was geleistet werden mte, nmlich den Unterschied zwischen der philosophischen Erkenntnis und den anderen Kenntnissen herauszuarbeiten, wodurch allein die These von der Unsagbarkeit der eigentlichen Philosophischen Wahrheit begrndet werden knnte (425).

    4 Wie wichtig diesbezgliche Klrungen sind und wie dringend es ist, angesichts des aristotelischen Vorwurfs der Verdopplung der Wirklichkeit auf den zentralen Punkt der Unterscheidung hinzuweisen, mag an einem platonisch anmutenden Text Spinozas verdeutlicht werden. So heit es in der Abhandlung ber die Verbesserung des Verstandes 33: Die wahre Idee denn wir haben eine Idee ist verschieden von ihrem Gegenstand [ideatuni]. Denn ein anderes ist der Kreis, ein anderes die Idee des Kreises. Denn die Idee des Kreises ist nicht etwas, das eine Peripherie und einen Mittelpunkt hat wie der Kreis, noch ist die Idee des Krpers selbst Krper. Da die Idee also etwas von ihrem Gegenstand Verschiedenes ist, so wird sie auch etwas an sich erkennbares sein (Spinoza Opera Bd. 2. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. von C. Gebhardt, Heidelberg 1925, 366.1317; meine bersetzung des Lateinischen weicht in einem Punkt von der Gebhardts in der philosophischen Bibliothek1 ab: Baruch de Spinoza. Abhandlung ber die Verbesserung des Verstandes. Abhandlung vom Staate, Hamburg 1977,15). In jngerer Zeit wurde diese Unterscheidung von Gottlob Frege wieder ins Licht gerckt: Uber Begriff und Gegenstand. In: Viertel-Jahresschrift fr wissenschaftliche Philosophie 16 (1892) 192205.

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 5Logoi keine Vehikel genuiner Erkenntnis. Sie sind insbesondere keine Vehikel der Erkenntnis solcher Gegenstnde, um die es demjenigen zu tun ist, der wei, was F-selbst ist.

    Die nachfolgenden Errterungen lassen sich von der Annahme leiten, da die Gedanken des philosophischen Exkurses mit berlegungen kompatibel seien, die sich in den Dialogen Platons finden. Zwar sehe ich keine Mglichkeit, zur Frage der Echtheit wenigstens des Exkurses substantiell Stellung zu nehmen. Doch bin ich der Meinung, da der Exkurs trotz einiger schwerwiegender Ungereimtheiten der Hinweis auf die Schwche der Logoi ist auf jeden Fall sinnstrend Licht auf Probleme werfen kann, die in den spteren Dialogen auftauchen: Dazu gehrt erstens die Erweiterung des Gegenstandsbereiches der episteme im Philebos; und dazu gehrt zweitens die Auffassung des Logos im Tbeaitet als Bericht der Elemente einer Sache bzw. im Sophistes als Verflechtung von Ideen. Konkret gliedern sich die Darlegungen in sechs Abschnitte. In einem ersten Schritt (II) gilt es, die Behauptung (A) und deren Begrndung (B) zu beleuchten und auf unterschiedliche Verstndnismglichkeiten aufmerksam zu machen. In weiteren Schritten sollen Vorbereitung (II C) und die eigentliche Ausarbeitung der Begrndung diskutiert (III), die Problematik der bereits erwhnten Hauptthese T exponiert (IV)(V) und jene Folgerungen dargelegt werden, die sich aus der Hauptthese ergeben (VI). Abschlieend ist der philosophische Standort des Exkurses nher zu bestimmen (VII).

  • II.

    Die Behauptung (A ) besagt: Es gibt keine Schrift von mir ber das, womit ich mich ernsthaft befasse; und es kann aus prinzipiellen Grnden keine solche Schrift geben (341b7-c5). Die Begrndung (B), die spter genauer ausgefhrt wird, lautet: (1) Was ich eigentlich meine, lt sich nicht ausdrcken wie andere Gehalte (341c56). (2) Was ich eigentlich meine, lt sich nur in der Weise vermitteln, da dem Lernenden pltzlich ein Licht aufgeht (341c6d2).

    ADer genaue Sinn des Gesagten ist unklar. (1) So lt sich nicht positiv ausma-

    chen, welche Gegenstnde gemeint sind (ficpi

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 7druck bringen, was Platon eigentlich beschftigte. Zweifellos hngt der Sinn des Gesagten wesentlich am Verstndnis dessen, was mit n ich t... ausdrckbar genauer gemeint ist. Indes lat sich diese Frage, wenn berhaupt, nur auf dem Umweg einer Klrung der Hauptthese [7] beantworten. Denn in der Hauptthese werden (in welcher Form auch immer) Bedingungen spezifiziert, welche der Sagbarkeit gesetzt sind.

    BDie Begrndung (1) kann besagen, (i) da die in Rede stehenden anders als

    andere Gegenstnde berhaupt nicht ausgedrckt bzw. artikuliert werden knnen; sie kann besagen, (ii) da sie sich nicht in gleicher Weise ausdrcken lassen, wie andere Gegenstnde. Vom Sprachlichen her (341c5) ist wohl der ausschlieende, starke Sinn verlangt7, wie er der Variante (i) eignet. Von der Logik jener Begrndung her gesehen, die an spterer Stelle gegeben wird, scheint jedoch die Variante (ii) gefordert. Denn 342el-343al wird mit der Formulierung oi)% fjxTOV (,N icht weniger4) der Gedanke nahegelegt, da der erwartete Sachge- halt (t v ) nicht rein vermittelt wird, sondern ebenso, wenn nicht gar berwie

    7 Dieser Punkt ist vielleicht strittig. Gegen das Verstndnis auf keine Weise wie im Sinne von berhaupt nicht wandte sich K. Gaiser, Platos Enigmatic Lecture on the Good. In: Phro- nesis 25 (1980) 30, Anm. 1 (unter Hinweis auf E. Schmalzriedt, Platon. Der Schriftsteller und die Wahrheit, Mnchen 1965, 16). Eigentliche Belege fr dieses Verstndnis stehen allerdings aus. Siehe insbesondere H. Gundert, Zum philosophischen Exkurs im 7. Brief, 92, Anm. 15 und G. Mller, Rezension von L. Edelstein: Platos Seventh Letter [1969]. In: Ders.: Platonische Studien, hrsg. von A. Graeser und D. Maue, Heidelberg 1986, 183, 185186. Die Annahme, da nicht etwa berhaupt nicht gemeint sei, sondern nur, da sie [i.e. die Prinzipienlehre] nicht wie andere Lehren sagbar ist spielt u.a. auch bei R. Marten: Platons Theorie der Idee, Freiburgi.Br. 1975, 72 sowie bei G. Watson: Platos U nwritten Teaching, Dublin 1973, 50 und auch bei R. Ferber eine Rolle: Platos Idee des Guten. St. Augustin 1984, 157. Seine berlegung [Denn wre sie berhaupt nicht sagbar gewesen, so htte sie Plato auch nicht mndlich mitteilen knnen] ist auf den ersten Blick schlagend. Indes gibt es eine Reihe von Fragen, die diese Argumentationslinie gefhrden mssen: [a] Anders als im Phaidros wird im VII. Brief keine Art der Differenzierung zwischen Schriftlichkeit und Mndlichkeit ins Auge gefat. (Dieser Punkt wird etwa von W. Wieland, Platon und die Formen des Wissens, Gttingen 1983, 37 nicht hinreichend betont. Siehe jedoch P. Merlan: The Oid Academy. In: The Cambridge H istory of Later Greek and Early Medieval Thought, hrsg. von A. H. Armstrong, Cambridge 1970, 30 Anm. 5). [b] Was immer Platon bei verschiedenen Gelegenheiten auch ber die sog. Zwei-Prinzipien-Lehre mitgeteilt haben mochte, gem dem erkenntnistheoretischen Exkurs des VII. Briefes kann es sich bei solchen uerungen allenfalls um Aussagen ber die Prinzipien gehandelt haben, nicht aber um die Prinzipien selbst, [c] Das Argument des ,wahren Logos stellt interessanterweise aber nicht auf den speziellen Charakter der Prinzipien ah Prinzipien ab. M.a.W.: Der Autor sagt nicht etwa, da Prinzipien qua Prinzipien nicht artikulierbar seien. Er sagt vielmehr, da die in Frage stehenden Gegenstnde ebensowenig wie andere Gegenstnde [i.e. Ideen] als das in W orte gefat werden knnen, was sie fr sich sind. Siehe u. Anm. 56.

  • 8 Andreas Graeser

    gend, ein ,Wie-Beschaffenes. Allerdings scheint die zweite Formulierung der Hauptthese in 343b7c7 klar gegen die Annahme einer Konjunktion im Sinne eines ,so wohl als auch' zu sprechen; und doch mag es gute Grnde fr die Variante (ii) geben. Zwar ist nicht ausgemacht, was alles unter den Begriff ,andere Lehrstcke* fllt und was nicht. Da allerdings, wie aus 342a7ff. hervorgeht, alle Was-haften Gebilde mit der Klasse der nicht eigentlich darstellbaren Gegenstnde identisch sind, mte andere Lehrstcke auf den Bereich dessen verweisen, was als Nicht-Wahres im Gegensatz zu Wahrem bzw. Wirklichem gilt (342b 1). Dies aber sind die sog. Abbilder (eiSco^a). Da Abbilder ihrerseits als Abbildungen von etwas nicht ohne das gedacht werden knnen, was sie abbilden, knnen Urbilder ihrerseits genaugenommen nicht gnzlich undarstellbar und drften auch nicht vollends unartikulierbar sein.

    Auch die Begrndung (2) kann unterschiedlich verstanden werden, (i) Sie kann harmloser N atur sein. In diesem Fall ging es um solche Situationen, die gemeint sind, wenn es heit, bei jemandem sei der Groschen gefallen oder es gehe ihm ein Licht auf.8 (ii) Sie kann dramatischer N atur sein. In diesem Fall wre auf eine Intuition besonderer Art verwiesen, auf ein Wahrheitsereignis angespielt oder gar an eine mystische Vision gedacht.9 N un lt sich zwischen (i) und (ii) nicht zuverlssig unterscheiden. Auch wre eine solche Unterscheidung, die fr Autoren wie Plotin geradezu selbstverstndlich ist, hier nur fr den Fall relevant und dringlich, da es sich bei dem Eigentlichen selbst um ein Gebilde besonderer Dignitt handeln wrde und entsprechend eine besonders starke Variante von B l postuliert werden mte. Doch gibt es fr eine derartige Annahme keine konkreten Anhaltspunkte. Was fr die Frage der Beurteilung der Begrndung allein zhlt, ist die Tatsache, da der philosophische Exkurs den gemeinten Sachverhalt an unverfnglichen Beispielen demon

    8 Dies ist die Deutung des gesunden Menschenverstandes, die namentlich von K. von Fritz propagiert wurde: Schriften zur griechischen Logik, Bd. 1: Logik und Erkenntnistheorie, Stuttgart und Bad Cannstatt 1978, 180. Siehe auch: J. Moline, Platos Theory of Understanding, London 1981, 42-43, 198-199.

    9 Diese Deutung lebt vor allem in der Gedankenwelt neuplatonischer Rezeption. Ihr korrespondiert das Verstndnis des nicht (so) sagbar (341c5) mit der Vorstellung strikter Nicht-Artikulier- barkeit, wie sie am Ende der ersten Hypothese des platonischen Dialoges Parmenides (142al6) zum Ausdruck gebracht wird. Diese letztere Stelle wird dabei (vgl. Plotin V 4 [7] 1, 910) parallel zur These bezglich des Status der Idee des Guten in Pohteia 508b behandelt (vgl. A. Graeser, Jenseits von Sein. Mutmaungen zu Status und Funktion der Idee des G uten. In: Freiburger Zeitschrift fr Philosophie und Theologie 27 [1981] S. 7077). Zu den Elementen der Licht-Metaphorik u.a. vgl. W. K. C. Guthrie, A History of Greek Philosophy. Bd. 5, 410. Guthrie macht zudem darauf aufmerksam, da die beiden Komponenten Begrifflichkeit und Intuition bei Platon selbst keineswegs streng geschieden sind und verweist auf die gute Beurteilung dieses Phnomens bei R. Robinson, Platos Earlier Dialectic, Oxford 1953, 65.

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 9striert. So verweist das Beispiel ,Kreis auf eine Ebene, die in der Terminologie der Politeia dem Bereich des Dianoetischen zugehrt. Umgekehrt verweist ,das Gute' im Rahmen der Politeia auf eine Sphre Jenseits von Sein'.

    C

    Zur Vorbereitung der eigentlichen Begrndung werden in bezug auf jeden Erkenntnisgegenstand fnf Gren unterschieden: [1] Name (vo|ia), [2] Definitions-Satz (Xyoc,), [3] Abbild (eco^ov), [4] W issen/Erkenntnis (emoxfjpiri bzw. wahre Meinung und Einsicht: 5H,a ?ai0f| und vou), und [5] die Sache selbst bzw. der Gegenstand (342a7b3).

    Die Glieder dieser Unterscheidung verteilen sich wiederum auf drei distinkte Bereiche. Denn [1], [2] und [3] werden zunchst von [5] getrennt (342c24), welches {qua Erkennbares und wahrhaft Seiendes: 342b 1) nichts von alledem erleidet (342c3) und insofern von ihnen verschieden ist (c34)10. Sodann wird [4] als psychisches Gebilde11 von [1], [2] und [3] qua physischen Gebilden12 abgesetzt und auch vom Gegenstand selbst [5] unterschieden (c78).

    Die Unterscheidung selbst hat auffllige Zge, (i) So werden die Glieder [1][4] als notwendige Bedingungen der Kenntnis von [5] ausgegeben. Dies bedingt fr [4] allerdings einen sonderbaren Status. Denn [4] wurde als Erkenntnis von[5] eingefhrt. Jetzt aber soll gelten, da sich [4] auf [1][3] bezieht13. Dieser Punkt lt sich kaum befriedigend klren. Am plausibelsten scheint die Annahme, da jemand, der erkennen will, was f-selbst ist, wissen mu, was F bedeu

    10 Der Gesichtspunkt nichts von alledem erleidet wird zur Unterscheidung zwischen [5] auf der einen Seite und [1], [2], [3] auf der anderen Seite in Anspruch genommen. Genau genommen gestattet dieser Punkt aber nur eine Abgrenzung von [5] gegenber [3], Es wre wissenswert, wie eine eigene Abgrenzung von [5] gegenber [1] einerseits und [2] andererseits aussehen mte.

    11 Da Wissen und Meinung auch in den Dialogen dem innerpsychischen Bereich zugeordnet werden (vgl. J. Moline, Platos Theory of Unders tan ding, 5278), ist dieser Punkt nicht augenfllig. Interessant ist die Betonung eines Unterschiedes zwischen [5] als extra-mentaler Entitt auf der einen Seite und [4] als mentalem Gebilde auf der anderen Seite. Diese Unterscheidung reflektiert in gewisser Weise jene Errterung, die Platon im ersten Teil des Dialoges Parmenides bezglich der Hypothese fhrt, da die Idee womglich als Gedanke (vrnia) aufzufassen sei: 132bc. Wie R. A. Shiner, Knowledge and Reality in Platos Philebus, Assen 1974, 22 verstehe ich vrma hier als conception.

    12 Da die Logoi hier explizit nur als physische Gebilde betrachtet werden, ist auffllig. Vgl.G. Mller, Platonische Studien, 150.

    13 Dieser Gedanke ist schwierig. Hilft man sich, wie die bersetzung von E. Howald (Platon. Der Siebente Brief, Stuttgart 1980, 36) damit, dem Ausdruck Ttspi tc i t eaxiv (c5) den Sinn von fut auf zu geben, so wre das sachliche Problem gemildert. Doch wurde derselbe Ausdruck nur wenige Zeilen zuvor (c3) zur Bezeichnung jener Beziehung verwendet, die [1], [2], [3] zu [5] haben. Insofern erscheint die bersetzung sttzt sich auf hier nicht berzeugend.

  • 10 Andreas Graeser

    tet, welcher logisch quivalente Ausdruck fr F eintreten kann (vgl. Gesetze X, 895e896a) und auf welche Dinge F bzw. der logisch quivalente Ausdruck verweist. Aber damit ist [4] noch kein eigentliches Objekt zugewiesen. Vermutlich ist dem Gang der Argumentation am meisten gedient, wenn angenommen wird, da [4] etwas ist, was sich zur Erkenntnis von [5] transformieren lt. In diesem Sinn scheint es zweckmig, von episteme in einem schwachen Sinn auf der einen Seite und in einem starken Sinn auf der anderen Seite zu sprechen, (ii) ,Wahre Meinung' (o^a aVnOiit;) wird auf der gleichen Ebene angesiedelt wie ein Wissen im schwachen Sinn. Dieser Punkt scheint all dem entgegenzulaufen, was die ideenphilosophischen Dialoge nahelegen. Doch scheint er mit jener Position vertrglich, die Platon im Philebos formuliert. Hier werden auch epistemai wandelhafter Dinge anerkannt (61dl0e4). Diese unterscheiden sich von den epistemai unwandelbarer Dinge darin, da sie weniger wahr seien als letztere; als Beispiele werden hier Kugel und Kreis genannt (62a7b2). Erkenntnisobjekte der ,wahren1 epistemai sind hier u.a. die gttliche Kugel bzw. der gttliche Kreis, Erkenntnisobjekte der ,weniger wahren1 epistemai entsprechend die menschliche Kugel bzw. der menschliche Kreis.

  • III.

    Die nhere Ausfhrung der Begrndung bezieht sich spezifisch auf den Gesichtspunkt B l. Sie stellt auf eine berlegung ab, die zugleich als wichtigste Erwgung (343b7 t fisyiaxov) bezeichnet wird. Dabei geht es um den Gedanken, da die in Rede stehenden Hilfsmittel Name, Definitions-Satz, Abbild und Erkenntnis dem Bewutsein (\[/i)%ri) nicht das ,W irkliche4 vor Augen fhren, sondern etwas ,Wie-Beschaffenes\ Diese berlegung wird zweimal formuliert:

    [77] Hinzukomm t nmlich, da diese nicht weniger das Wie-Beschaffene bezglich eines jeglichen zu erffnen trachten als das Seiende, wegen der Schwche der Reden (342e7343al).

    [T2] Das wichtigste aber, was w ir kurz zuvor sagten, ist, da es sich um zweierlei handelt, das Seiende und das Wie-Beschaffene, und da die Seele das Was, nicht aber das Wie-Beschaffene zu wissen sucht, ihr aber jedes der vier das nicht Gesuchte in W ort und Tat vorhlt (343b7c3).

    Die Formulierungen T l und T2 weisen interessante Abweichungen auf und scheinen zumindest in einem Punkt sogar zu kollidieren (siehe unten, [ii]).

    (i) Zunchst stellt sich die Frage, wie beide Thesen in den Zusammenhang selbst eingebettet sind. Hinsichtlich T2 bestehen hier keine Unklarheiten. Denn mit Das Wichtigste wird ein Gesichtspunkt eingefhrt, der als ein Argument unter anderen sagen soll, was es mit der Schwche der Logoi auf sich hat. Genauer gesagt handelt es sich um eine unter vielen Erwgungen dafr, da die sog. Hilfsmittel ungenau sind (343b57) und da es mithin nicht gerechtfertigt ist, gedachte Gehalte (343a2 x vevor]|j,va) in irgendeiner Form zu veranschaulichen. In diesem Sinn wird mit T2 eine Erwgung geltend gemacht, die besonders starkes Gewicht haben soll und von der angenommen wird, da sie den Fall gewissermaen entscheidet. Anders scheinen sich die Dinge im Zusammenhang der Einfhrung von T l auszunehmen. Zwar ist auch T l , wie die Verwendung des nmlich (yap) zeigt, Teil einer Begrndung. Doch handelt es sich bei dem, was begrndet oder gerechtfertigt werden soll, offensichtlich nicht um jenen Sachverhalt, fr den 72 als Begrndung eintritt. Dies gilt ganz unabhngig von der Frage, worauf der Ausdruck Auerdem nmlich genau zu beziehen ist. Der unmittelbar vorausgehende Passus lautet: Denn nie wird jemand, wenn er nicht diese vier irgendwie in Griff bekommt, der Erkenntnis des Fnften je vollstndig teilhaftig werden (342d8e2). Somit bieten sich zwei Mglichkeiten an:

  • 12 Andreas Gracier[a] Entweder geht denn auerdem auf die mit irgendwie (el) vage qualifi

    zierte Forderung. Fr diesen Fall scheint es schwierig, hier irgendeinen berzeugenden Zusammenhang zu gewinnen.

    [b] Oder denn auerdem bezieht sich auf die Forderung im ganzen. D .h.: eine Kenntnis von [1][4] ist die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung der Kenntnis von [5], Aber, auch in diesem Fall wird nicht deutlich, inwiefern T l eine Erwgung bereitstellt, die zustzliches Licht auf den unmittelbar zuvor behaupteten Sachverhalt werfen knnte. Doch lassen sich wohl zwei Alternativen denken, [bl] Die Betonung liegt auf der Qualifikation vollstndig, ganz (el t e X eolx; ) . In diesem Fall wre der mit auerdem nmlich bezeichneten Erwgung die Funktion einer Einschrnkung zugedacht: Eine vollstndige Erkenntnis, wenn sie denn tatschlich im Bereich des Mglichen liegt, setzt die Erkenntnis von [1][4] als notwendige Bedingung voraus; da diese Erkenntnis nicht mehr als eine notwendige Bedingung fr die Erkenntnis von[5] bereitstellen kann, erhellt daraus, da die vier in Rede stehenden Hilfsmittel ohnehin nicht das Was einer Sache enthllen. [b2] Die Betonung liegt auf dem Gesichtspunkt, da man sich ber alle vier Hilfsmittel Klarheit zu verschaffen habe. N un mag auch dieses Verstndnis keine wirklich befriedigende Begrndung bereitstellen. Doch scheint sie im Bereich dessen zu liegen, was an spterer Stelle (343el3) hinsichtlich der Genese wirklicher Erkenntnis tatschlich angenommen wird: Wohl aber vermag verweilendes Durchgehen aller dieser vier, das hinauf und hinab bald zu diesem, bald zu jenem sich wende, am Ende doch in den recht Gearteten Wissen vom Rechtgearteten zu erzeugen. Falls diese Deutung aussichtsreich erscheint, knnte sie durch eine nderung des sprachlich ohnehin verdchtigen a^icq (irgendwie) zu Xcoc; (ganz und gar) gesttzt werden. Damit wre die Unvertrglichkeit d|i(c; teXecc; eliminiert und die Vorstellung jener Bedingungen, die fr eine vollkommene Erkenntnis notwendig sind, besser herausgestellt.

    Doch unabhngig davon, welcher Deutungsmglichkeit hier der Vorzug zu geben ist, gilt es zu sehen, da 77 und 72 in verschiedenen Zusammenhngen auftauchen und je verschiedene Erwgungen sttzen sollen. Dieser Punkt weist auf ein anderes Problem hin (siehe unten [iv]).

    (ii) Was das Inhaltliche angeht, so fllt auf, da laut T2 dem Bewutsein durch die Hilfsmittel Namen, Definitions-Satz, Abbild und Erkenntnis nicht der eigentliche Gegenstand der Suche nhergebracht wird. Laut T l liefern Name, Definitions-Satz, Abbild und Erkenntnis nicht weniger das Wie-Beschaffene als das Was bzw. das Wirkliche; unabhngig von der Nuance, die der Wendung oi>% fjxxov zuerkannt wird, scheint T l logisch betrachtet als Ausdruck eines ,sowohl als auch4 aufgefat werden zu mssen.14 Doch lt sich dieser Gegensatz zwi-Funote 14 siehe gegenberliegende Seite.

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 13sehen T l und T2 vielleicht eliminieren, wenn angenommen werden darf, da in T2 nicht formell die Darbietung des Nicht-Gesuchten behauptet wird und entsprechend zu lesen wre: das Gesuchte tritt deshalb nicht hervor, weil etwas Nicht-Gesuchtes dargeboten wird, welches das Eigentliche, welches ebenfalls bedeutet wird, sozusagen berlagert. Dieses Verstndnis luft auf eine Angleichung von T2 an T l heraus. O b eine derartige Angleichung statthaft ist, mag fraglich erscheinen. Andererseits gilt es auch zu sehen, da nichts dafr spricht, da in T2 etwa eine K orrektur der uerung von T l beabsichtigt wre. So bliebe alternativ nur die Mglichkeit, den Sinn von T l dem Gedanken der uerung T2 anzugleichen. Diese Mglichkeit liegt auch deshalb nahe, weil Aristoteles in der Topik sagt: Keine Differenz bedeutet nmlich was etwas ist [i.e. ti estin], sondern vielmehr [|iXXov] ein Beschaffenes wie etwa gehend und zweibeinig (IV,2,122bl617, vgl. V I,6,144al8-19, 21).

    (iii) Doch ist die Beziehung zwischen T l und T2 auch in anderer Hinsicht klrungsbedrftig. Beide Thesen enthalten einen Hinweis auf intentionale Einstellungen. Doch werden diese in T l und T2 je verschiedenen Subjekten zugeschrieben. In T l sind das die Hilfsmittel. Von ihnen heit es, da sie dieses oder jenes zu tun trachten. In T2 ist es das Bewutsein (ij/u%ri). Von ihm heit es, da es dieses oder jenes zu wissen sucht.

    [a] bersetzt man den Passus 87Ei%8ipei . . . 5r|A,ov in Tl wie H.-G. Gada- m er15 mit offenbar zu machen versuchen, so unterstellt man genau genommen eine doppelte Intentionalitt, die des Sprechenden, der wei, wovon er spricht und das, was er meint (z.B. das ^-selbst), zum Ausdruck bringen will, auf der einen Seite, und die der Hilfsmittel auf der anderen Seite, die sozusagen gegen die Intentionen des Sprechenden oder Schreibenden und gegebenenfalls auch gegen die Erwartung aller oder einiger Adressaten sowohl das eine wie auch das andere offenbar machen. bersetzt man hingegen wie z.B. W. Brcker auerdem beziehen sich diese (vier) nicht weniger auf die Offenbarmachung . . .16 so fllt dieses spezielle Problem vielleicht dahin. Ein Entscheid fr die eine oder andere Version setzt allerdings eine przise Beurteilung der Frage voraus, was die in Rede stehende Schwche der Logoi (T l) tatschlich bewirkt.

    14 Diese Auffassung vertritt auch K. von Fritz: .. which clearly implies that they also seekto give the ft016v no less than the u (Schriften zur griechischen Logik. Bd. 1. 185). In den Dialogen ist der normale Gebrauch der ov fi^Xov-Formel in der Tat von dem Gedanken bestimmt, da beide Alternativen zu bejahen seien: Charmides 161b 1, Menon 78e6, Politeia 340b4, 540c6, 561a6, Sophistes 257all vgl. P. Woodruff, The Sceptical Side of Plato. In: Revue internationale de Philosophie 156/7 (1986) 22.

    15 H.-G. Gadamer, Texte zur Ideenlehre, Frankfurt a. M. 1978, 69; auch R. Turnher, Der siebte Platonbrief, 78 (jedes ... hat die Tendenz . . . ).

    16 W. Brcker, Der philosophische Exkurs in Platons siebentem Brief, 420.

  • 14 Andreas Graeser[b] Da die Seele (stets?) das Was einer Sache zu wissen sucht, ist eine Behaup

    tung, fr die hier nicht argumentiert wird. Auch ist der Sinn des Gesagten nicht klar: Geht die Behauptung dahin, da die Seele wei, wonach sie sucht? Und ist die Beschreibung ,Was in diesem Sinne auch Teil jener Beschreibung, die das Bewutsein hinsichtlich des Gegenstandes seiner Suche vornehmen wrde? Oder ist nur gesagt, da die Seele nach etwas sucht, aber selbst nicht bewut nach Was fragt? Eine nhere Errterung dieser Frage wre wichtig. Denn sie berhrt offenbar unmittelbar die Frage nach der A rt jener Miverstndnisse, die geschriebene oder gesprochene Logoi offenbar zwangslufig produzieren.

    Hier nun mag eine weitere Nuance ins Gewicht fallen. Die Konstruktion des Griechischen [i.e. da die Seele das Was zu wissen sucht] im Genitivus absolu- tus knnte auch als Bedingungsgefge gelesen werden. D er Sinn des Gesagten wre dann: wenn die Seele (ausschlielich?) das Seiende sucht 17. Dies wrde die Mglichkeit offen lassen, da die Seele nicht immer das Was sucht. In 343c57 scheint der hier relevante Bewutseinszustand so beschrieben zu sein, da wir bei anderen Gegenstnden aus schlechter Angewohnheit gar nicht erst nach der Wahrheit zu suchen pflegen und das vorgehaltene Abbild gengt . Aber auch dieser Punkt ist nicht ganz eindeutig. Denn es bliebe zu fragen, ob Situationen dieser A rt durchwegs dadurch charakterisiert sind, da wir wissen, da wir nicht nach dem W ahren suchen. Oder meinen wir, da das, was in Wirklichkeit nur Abbild ist, bereits das W ahre sei? Der an die Formulierung T l unmittelbar anschlieende Text scheint am ehesten geeignet, die Frage einer Beantwortung nherzubringen. Hier heit es (343c34), da das in W ort und Tat Dargebotene den W ahrnehmungen leicht widerlegbar sei (xaii; aiaOrioECiv eeXeyKTOv). Dieser Punkt mte aus dem Zusammenhang selbst verstndlich sein, und er ist es genau unter der Voraussetzung, da der Adressat an einer ihm dargebotenen Veranschaulichung dessen, was das f-selbst ist, kritisiert, da der Gegenstand nicht wirklich F ist. So kritisiert er am gezeichneten Kreis, da dieser nicht wirklich rund ist. Aber eben diese Kritik setzt voraus, da der Adressat nicht versteht, da der gezeichnete Kreis nicht der Kreis selbst, sondern lediglich eine Veranschaulichung desselben ist; insofern ist der Schlu erlaubt, da der Adressat hier keinen Begriff von dem hat, was er erwartet.

    (iv) Das schwierigste Problem scheint dadurch angezeigt, da die Formulierung TI einen Hinweis auf die Schwche der Reden enthlt, der in T2 fehlt. Dieser Hinweis gibt in T l den Grund dafr an, da die in Rede stehenden Hilfsmittel nicht leisten knnen, was von ihnen vielleicht erwartet wird. Der Kontext von 72 ist von diesem Hinweis frei. Tatschlich erscheint das Argument T2 selbst in der auf T l folgenden Darstellung oder Verdeutlichung der

    17 So versteht K. von Fritz den Passus (Schriften zur griechischen Logik Bd. 1, 185).

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 15Sachlage (343a3ff.) seinerseits als unabhngige Bedingung formuliert. So wird das Argument T2 formell als wichtigste Erwgung eingefhrt, die den Fall selbst sozusagen entscheiden kann und soll. Nichts deutet darauf hin, da die aufgezeigten Gebrechen der Hilfsmittel als Ursachen oder Grnde fr T2 angesehen werden oder angesehen werden knnten; um so erstaunlicher ist also, da eben diese Gebrechen, zu denen auch der in T2 statuierte Sachverhalt zhlt, unter dem Titel Schwche der Logoi in T l als Erklrung des dort behaupteten Sachverhalts fungieren.

    So betrachtet wird in Tl und T2 nicht derselbe Gedanke zum Ausdruck gebracht. Damit wird aber die Struktur der ganzen Argumentation selbst undurchsichtig. Deshalb ist es zweckmig, ber das Formale hinaus auch die eigentlich inhaltlichen Gesichtspunkte ins Auge zu fassen. W orum handelt es sich bei den mit Schwche der Logoi bezeichneten Mngeln? Was knnen diese Mngel bewirken, was knnen sie nicht bewirken?

    [a] Bereits die Verwendung des Ausdrucks wegen der Schwche der Logoi ist auffllig. Denn das W ort Logos ndert so innerhalb weniger Zeilen seine Bedeutung. Statt von Definitions-Stzen ist nun von Sprache berhaupt die Rede.

    [b] Die These, da die Hilfsmittel selbst Gebrechen haben und da alle diese Gebrechen mit der Schwche von Sprache zu tun haben, ist nicht sehr plausibel: so bleibt unklar, inwiefern die Gebrechen des Abbildes qua Abbild in einem urschlichen Zusammenhang mit irgendwelchen Defekten der Sprache stehen knnen.

    [c] Fr [1], [2] und [3] werden Beispiele genannt. Hinsichtlich der Schwche von [4] gibt es keine Erluterung. Insofern ist der Anspruch zahllose Grnde lieen sich dafr anhufen, da jedes der vier ungenau ist (345b67) nicht fundiert.

    [d] Die Faktoren, die als spezifische Ursachen fr die Ungenauigkeit der Hilfsmittel herausgestellt werden, scheinen unterschiedliche Gesichtspunkte anzugehen und nicht zur selben Sache zu sprechen. So wrde der angenommene Bedeutungswandel solcher Ausdrcke wie rund usw. allenfalls erklren knnen, weshalb diese oder andere Namen auf Gegenstnde anderer Art bezogen werden und damit entgegen der ursprnglichen Intention des Sprechenden verstanden werden; das gleiche gilt fr Definitions-Stze, welche fr die Namen eintreten. Indes kann ein solcher Wandel in der Verwendung von Ausdrcken nicht erklren, was gem der Schwche der Logoi zu erklren wre, nmlich da diese Hilfsmittel nicht weniger das Wie-Beschaffene als das Was hervorkehren. Anders liegen die Dinge im Falle des Abbildes. Hier wre es eine Sache zu sagen, da das Abbild qua Abbild nicht das Wirkliche bzw. Wahre und mithin das Was vor Augen fhrt. Dieser Punkt wrde erklren, was erklrt werden mte.

  • 16 Andreas GraeserDoch wird diese Erwgung nicht genannt. Was in Betracht gezogen wird, ist ein gnzlich andersartiger Gesichtspunkt, nmlich da wir mit einem schlechten Abbild konfrontiert werden. So ist es in der Tat eine andere Sache, zu sagen, da wir es hier mit einer schlechten Kreis-Zeichnung zu tun haben, etwa mit einem Gebilde, das voll vom Gegenteil des Kreises selbst sei (343a56). Im Sinne der Betrachtungsweise von Politeia V wre ein solches Gebilde als seiend und nicht-seiend anzusprechen.18 Doch wrde auch ein perfekt gezogener Kreis qua Abbild nicht auf den Kreis-an-sich verweisen. W ir htten es auch hier mit einem Ding zu tun, das bestimmte Eigenschaften veranschaulicht.

    Damit wird auch vom Inhaltlichen her betrachtet deutlich, da der Hinweis wegen der Schwche der Logoi dem Gedanken, der mit Hinzukomm t ..." eingefhrt wird, keine Sttze geben kann. So scheint es zweckmig, den Ausdruck wegen der Schwche der Logoi zu streichen.

    18 In Politeia 478e7479b8 vertritt Platon die These: Jedes der vielen F-Dinge (z.B. x noXXa xuXa) ist um nichts mehr F als nicht-F. In 479b9 10 findet sich die Folgerung: ,Deshalb ist jedes der F-Dinge und ist nicht'; in 479c6d l finden wir die These: ,Die vielen F-Dinge sind daher zwischen Sein und Nicht-Sein1. Manche Interpreten neigen dazu, das ,ist nicht bzw. ,nicht seiend1 als Zeichen fr negierte Existenz zu deuten. Dies hiee jedoch, Platon so etwas wie den eleatischen Fehlschlu von ,P ist nicht-S zu ,P ist nicht (simpliciter!) zu unterstellen. Vgl. A. Graeser, Platon ber den Sinn von ,Sein. In: Museum Helveticum 39 (1982) 35, Anm. 14; C.H. Kahn, Some Philosophical Uses of ,to be1 in Plato. In: Phronesis 26 (1981) bemerkt im H inblick auf 479b9: Whatever else one may find to complain of in this argument, the shift from absolute (veridical) to predicative eivcu need not be fallacious, since the veridical value of t v (what is so) is an operator on an arbitrary sentence; and the copula use now specifies the sentence (S. 114).

    Von spezieller Bedeutung ist auch die Frage, wie Platon oi> |i.XXov-Argumente genauer einschtzte. Dazu siehe P. Woodruff, The Sceptical Side of Plato, 35 mit Bezug auf Politeia 479c5 (... he intends neither double affirmation nor double denial): What does the formula mean? If a thing is o) |iciX\ov A than B that means to Plato that at the level of appearance double affirmation and double denial would be equally appropriate, but neither A nor B holds of the nature of the thing.

  • IV.

    Als Kernproblem schlt sich nun die Frage nach der Bedeutung der Unterscheidung zwischen ,Was (bzw. Wirklichem, Wahrem) und ,Wie-Beschaffenem heraus. Was heit es, ein Wie-Beschaffenes anstelle eines Was zu artikulieren? W orin besteht der relevante Unterschied? U nd welches Licht wirft diese Frage auf das Problem, zwischen einer starken und schwachen Version hinsichtlich B l entscheiden zu mssen? Generell scheint die Meinung vorzuherrschen, da die Distinktion selbst auf den Versuch einer Trennung zwischen essentiellen Zgen und akzidentellen Zgen hin angelegt sei. Doch ist diese Auffassung in mehr als einer Hinsicht unbefriedigend. Im Rahmen der Argumentation des ,wahren Logos" knnte sie wohl berhaupt nur unter der Voraussetzung zur Sache sprechen, da es darauf ankme, festzuhalten, es sei dem Kreis-an-sich uerlich und mithin ,akzidentell', mittels einer Zeichnung oder einer Scheibe reprsentiert zu werden. Doch scheint dies nicht der Punkt zu sein, auf den es ankommt. N un gibt der Text selbst keine weiteren Anhaltspunkte.19 Aber auch die Dialoge zeichnen keine Orientierungspunkte vor, die eine einfache Beantwortung der Frage nahelegen.20 Insofern ist es auch nicht erstaunlich, da

    19 Aufgrund dieser Beobachtung schlo L. Edelstein, da es sich hier um eine formelhafte Verwendung handle, die typischerweise auf eine sptere Zeit hin weise (Platos Seventh Letter, 114, Anm. 105).

    20 H.-G. Gadamer, Gesammelte Werke Bd. 6, 100 betont: Wieder mu man sich klarmachen, da Pktos Beschreibung dieser Schwche ohne philosophische Vorbildung verstndlich sein soll ... Der Unterschied von t xi und t 7toiv Ti, der fr alle Stufen der Erkenntnis gelten soll, ist so schlicht wie mglich zu verstehen (100, Anm. 24). Der Autor versteht diesen Sachverhalt dahingehend, da jedes der Vier jeweils die Tendenz hat, statt des Seins der Sache, das sich in W ort oder Rede, Anschauung oder Ansicht darstellen soll, ein So-und-So-sein hervorzukehren. Sie alle besitzen gleichsam eine innere Verkehrungstendenz. Statt ber dem, was sie gegenwrtig machen, in ihrem eigenen So-und-so-sein zu verschwinden, suchen sie sich selber geltend zu machen. Sie alle sind nicht nur die Sache, die sich in ihnen darstellt. Sie alle haben ein Sein fr sich selber, eine Beschaffenheit, durch die sie sich von dem unterscheiden, was sie als Sache darstellen. Das W ort Kreis ist nicht der Kreis selbst. Der definkorische Satz, der das Was des Kreises sagt, ist nicht der Kreis selbst, der gezeichnete Kreis ist nicht der Kreis selbst. Meine Ansicht ber den Kreis und selbst die Einsicht in das, was der Kreis ist, ist nicht der Kreis selbst. Platons These ist: Sie alle machen sich als das, was sie fr sich sind, geltend und drngen sich gleichsam vor das, was sich in ihnen aufzeigt (100101). Es ist fraglich, ob der Exkurs selbst tatschlich ohne philosophische Vorbildung verstndlich sein kann; und es ist m. E. mehr als fraglich, ob der Autor des philosophischen Exkurses als Adressaten im Ernst Leser vor Augen haben kann,

  • 18 Andreas Graeser

    sich bei der Diskussion dieser Problematik unterschiedliche Deutungsrichtungen bemerkbar machten. Dabei scheinen sich vor allem zwei Orientierungen anzubieten. Die eine (1) stellt auf den Gegensatz zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit ab, wie er gelegentlich wenn auch in verschiedener Weise im Theaitet und Timaios formuliert wird.21 (2) Die andere bezieht sich auf die vom Menon her vertraute Unterscheidung zwischen dem, was etwas ist, auf der einen Seite, und dem, was sich von der Sache als Eigenschaft sagen lat, auf der anderen Seite.22 Ob diese Deutungsrichtungen den genuinen Sinn der Hauptthese erhellen knnen, ist allerdings fraglich. Denn (1) gestattet wohl nur partiell eine Anwendung auf den in der Hauptthese exemplifizierten Sachverhalt; und (2) scheint an der ausdrcklichen Bedingung zu scheitern, da das Was einer Sache im Menon und anderswo als definierbares Gebilde gilt. So mag es zweckmig sein, beide Orientierungen wenigstens knapp zu skizzieren.

    1(i) Der Gedanke, da auf Sinnesgegenstnde nicht Bezug genommen werden

    knne, ist im Theaitet 183aff. Teil der Darstellung der radikalen Variante des Heraklitismus. Diese Variante besagt, da alles in jeglicher Weise in Bewegung begriffen sei (184e45). Platon erkennt sie als ungangbar. Sie wird genau deshalb zurckgewiesen, weil sie jede Form von Referenz ausschliet. Entsprechend wurde die Flu-Lehre frhzeitig als Theorie eingefhrt, die wahrnehmbaren Eigenschaften jede A rt bestimmten Seins als ,eines', ..etwas4 oder ,sonst- wie-beschaffenes abspricht (152d6). M ithin kann auf dem Boden dieser Theoriedenen bestimmte Unterscheidungen, welche die Philosophie Platons voraussetzt, nicht vertraut sind. H.-G. Gadamers Beschreibung der Position ist recht stark von hegelianischen Momenten durchsetzt und scheint von daher betrachtet kaum geeignet, ein Verstndnis zu sttzen, welches so schlicht wie mglich ist. Was W. Wieland, Platon und die Formen des Wissens 37 klug als Hintergrundberlegung Platons formuliert [i.e. Es geht um Einsichten von einer Art, wie sie selbst nicht in Stzen mitgeteilt werden, weil sie bei dem, der mit den Stzen sachgerecht umgeht, schon vorausgesetzt werden mssen.], trifft wohl auch auf H.-G. Gadamers Betrachtungsweise des philosophischen Exkurses zu und lt diese als eher unwahrscheinlich anmuten: denn die Darlegungen selbst kann nur der verstehen, der bereits wei, worum es geht.

    21 Namentlich auf den Theaitet (183a ff., 152d6) verweist H. Gundert, Zum Philosophischen Exkurs im 7. Brief, 96. H.-G. Gadamer, Gesammelte Werke Bd. 6, 100, Anm. 24 verweist (im Anschlu an H.-J. Krmer, Arete bei Platon und Aristoteles. Zum Wesen und zur Geschichte der platonischen Akademie, Heidelberg 1959, 459, Anm. 144) auf Timaios 27d28a und 49d ff.; dagegen siehe W. Burkert, Lore and Science in Ancient Pythagoreanism, Cambridge, Mass. 1972,20 Anm. 23.

    12 Hierbei handelt es sich um die eher traditionelle Meinung in der Forschung. Wie andere Interpreten verweist G. Mller, Platonische Studien, 151, 193 auf den Menon, vertritt allerdings die Auffassung, da wir es hier mit einer unpassenden Verwendung einer ansonsten sinnvollen Unterscheidung zu tun haben.

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 19nicht gelten, was der ,Wahre Logos4 des Exkurses behauptet: nmlich, da wir vermittels sprachlicher Bezugnahme die Dinge immerhin im Modus ihrer Beschaffenheit aufzeigt-'u knnen. (Die Verneinung der Flutheorie wrde es gestatten, selbst Eigenschaften als Bestimmtheiten aufzuweisen. Dies kann jedoch nicht im Interesse jener Interpreten liegen, die den Gesichtspunkt der Bestimmbarkeit fr das Sein intelligibler Gebilde von der A rt der Ideen reserviert wissen mchten.)

    (ii) Die Darlegungen im Timaios 27dff. gelten sinngem einer Unterscheidung zwischen jener Form der Bestimmtheit, wie sie verllich identifizierbaren Gegenstnden eignet und jener A rt der Unbestimmtheit, die die Wandelhaftig- keit wahrnehmbarer bzw. wahrgenommener Dinge charakterisiert. Teil dieser Darlegung ist die Annahme einer scharfen Unterscheidung zwischen Wissen einerseits und Meinung andererseits; Teil dieser Darlegung ist ferner eine Zuordnung fester, unverrckbarer Stze zum Bereich der Wesenheit (o g ( ) und wan- delhafter (d. h. ihren W ahrheitswert ndernder) Stze zum Bereich des Werdens (yeveaic;). Beide Teile schlieen eine Analogie zum Hauptgesichtspunkt des philosophischen Exkurses aus. So entspricht die Trennung zwischen Wissen und Meinung im Timaios zwar der Tendenz der sog. mittleren Dialoge; hier wird die Unterscheidung von Erkenntnisarten mit einer Unterscheidung von Gegenstandsbereichen verbunden.23 Doch setzt die Theorie des philosophischen Exkurses jene Erweiterung und Lockerung des Wissens-Begriffes voraus, die im Philebos angezeigt ist (s. o. S. 10).24 Ferner scheint der ,Wahre Logos des philosophischen Exkurses vorauszusetzen, da Stze insgesamt nicht als zuverlssige Berichte ber den Bereich ideeller Verhltnisse angesehen werden knnen. Damit wre aber eine Unvereinbarkeit mit der Aussage des Timaios angezeigt. Denn hier gilt, da Stze ber Ideen nicht anders als ihre Gegenstnde fest und unwandelbar seien.25

    23 Die Auffassung, wonach wirkliche Erkenntnis auf die Ideen geht und Meinung nur auf Abbilder, wird von den meisten Interpreten als die klassische These der mittleren Dialoge angesehen. Allerdings hat sich auch gegen dieses Verstndnis einer klaren Trennung von Erkenntnis-Objekten Widerspruch angemeldet, so insbesondere hinsichtlich der Deutung von Politeia V. Vgl. G. Fine, Knowledge and Belief in Republic V. In: Archiv fr Geschichte der Philosophie 60 (1978) 121139. Besondere Aufmerksamkeit verdient m.E. die Arbeit von P. Stemmer, Das Kinderrtsel vom Eunuchen und der Fledermaus. In: Philosophisches Jahrbuch 92 (1985) 7997.

    24 Der systematische Stellenwert der Aussage in Philebos, zumal auf dem Hintergrund der Ablehnung der These von Wissen als wahrer Meinung verbunden mit Rechtfertigung im Theaitet, bedarf wohl eingehender Untersuchung. Wichtige Anstze bietet A. Nehamas, Episteme and Logos in Platos Later Thought . In: Archiv fr Geschichte der Philosophie 66 (1984) 1136 bes. 32.

    25 Die Tendenz griechischer Philosophen, nur solche Stze als ewige Stze in Betracht zu ziehen, welche ber unwandelbare Gegenstnde handeln, wurde von J. Hintikka erhellend diskutiert. Vgl. Time and Necessity. Studies in Aristotles Theory of Modality, Oxford 1973, 8086.

  • 2 0 Andreas Graeser

    (iii) Ein anderer Unterschied zwischen Bestimmtheit, Beschaffenheit und Nicht-Beschaffenheit wird in Timaios 49dff. angedeutet.26 N ur handelt es sich bei den Gegenstndlichkeiten, an denen dieser Unterschied exemplifiziert wird, nicht um Gebilde von der A rt der Idee einerseits und um Gebilde von der A rt der Nicht-Idee andererseits. Vielmehr geht es um den Bereich des qualittslosen Substrates auf der einen Seite und die konstanten bzw. nicht-konstanten Vernderungen im Bereich der Elemente auf der anderen Seite. In diesem Zusammenhang nun wird die Frage aufgeworfen, wie man solche Gegenstnde aufzufassen habe, denen man Namen wie Feuer usw. zuordnet.27 Handelt es sich um Gebilde, die gewissermaen deiktisch als Dieses oder Jenes identifiziert werden knnen und entsprechend als etwas Festes und in diesem Sinne Unvernderliches aufgefat werden mten? Oder hat man vielmehr an fluktuierende Gebilde zu denken, die allenfalls eine gewisse Konstanz in der Erscheinung ihrer Vernderung aufweisen und folglich als etwas So-und-So-Beschaffenes-Wie aufgefat werden mssen? Platon unterstreicht die zweite Alternative. Damit will er sagen, da dasjenige, was im Blick auf die Welt der Erfahrung ,Feuer* heit, nicht als distinktes Ding vorzustellen sei, welches von anderen Dingen verschieden wre. Denn die Welt der Erfahrung versieht uns nicht mit derartigen Gebilden. Der Charakter von Bestimmtheit kom mt nur dem unwandelbaren Substrat zu, das den Raum fr Erscheinungen gibt, und den Ideen selbst, die in Gestalt

    26 Der Text selbst gehrt wohl zu den schwierigsten Passagen in den Dialogen berhaupt. Auch gilt es zu sehen, da die Detail-Interpretation insofern zu den besonders gravierenden Kontroversen gehrt, die es in der Platon-Forschung gibt. So hatte G. E. L. Owen diesen Passus zum Beweis seiner These erhoben, da der Timaios zu den mittleren Dialogen gehre und ein Stadium im Denken Platons widerspiegle, welches noch nichts vom kritischen bzw. selbstkritischen Geist der Dialoge Theaitet und Parmenides atme: The Place of the Timaeus in Platos Dialogues [1953], In: R. E. Allen (Hrsgb.), Studies in Platos Metaphysics, London 1965, 313338, abgedruckt in: G. E. L. Owen, Logic, Science, and Dialectic. Collected Papers in Greek Philosophy, hrsg. von Martha Nubaum, London 1986, 6574. Dagegen wandte sich H. F. Cherniss, The Relation of the Timaeus to Platos later Dialogues [1957]. In: R. E. Allen, Studies in Platos Metaphysics 339378, abgedruckt in: H. F. Cherniss, Selected Papers, hrsg. von L. Taran, Leiden 1977, 298339 (daselbst auch A Much Misread Passage in the Timaeus, 346363, sowie Timaeus 52c251', 364-375). Die zahlreichen, auf diese Kontroverse bezogenen Stellungnahmen verzeichnet Mary L. Gill, Matter and Flux in Platos Timaeus. In: Phronesis 32 (1987) 3453.

    27 Timaios 49d4-50a4. Die entscheidende Frage hier ist, was als Subjekt und was als Prdikat zu gelten hat, mit der Alternative entweder nach dem Modell ,Was X ist, nicht Y, sondern Z zu nennen1, oder nach dem Modell N icht Y, sondern Z, X zu nennen. Anders als frher (Probleme der Platonischen Seelenteilungslehre. berlegungen zur Kontinuitt im Denken Platons, Mnchen 1969, 7778) verstehe ich den Passus heute gem dem zweiten Modell (vgl. H. Cherniss, Selected Papers, 346363). Die von G. E. L. Owen und anderen Autoren behauptete Inkompatibilitt der Timaios-St&Wc mit Kratylos 439d und Theaitet 182c911, scheint mir deshalb nicht mehr zwingend, weil, wie auch M. L. Gill zurecht betont (Matter and Flux in Platos Timaeus, 51), die Bedingung des harten Heraklitismus aufgehoben ist. Dazu pat die Position im Timaeus.

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 21

    von Abbildungen in Erscheinung treten. Von hier aus wird auch der Sinn des Ausdrucks von solcher A rt ( x t o io t o v ) verstndlich. So heit es in 52a47, da das wahrnehmbare Phnomen denselben Nam en trage (6 |Licovi>|iOv)28 wie die Idee und dieser hnlich (^ioiov) sei.

    Die Vorstellung entspricht dem Gedanken des Ideen-Ansatzes; insbesondere entspricht sie der Auffassung, die in Politeia X formuliert wird. Danach ist das Abbild nicht das Seiende, sondern etwas von solcher A rt wie das Seiende, seiend indes nicht (597a45). In dieser generellen Form zumal im Zusammenhang der Rede von Urbild und Abbild scheint der Hinweis auf den Timaios in der Tat geeignet, die Situation im ,wahren Logos1 des philosophischen Exkurses zu erhellen. Doch bleibt zu fragen, ob damit auch der eigentliche Punkt der Kernthese [7] erhellt ist.

    2

    Die Unterscheidung zwischen dem definitorisch fabaren Gehalt (t t() und weiteren Eigenschaften (t ttoiv t i ) der Sache wird im MenonP m it der Magabe formuliert, da man, um sagen zu knnen, ob ein Ding eine bestimmte Eigenschaft habe, erst wissen msse, was das Ding seinem Wesen nach sei. So anfechtbar die Erwgung selbst sein mag,30 so klar ist die Rolle, welche der Unterscheidung im Rahmen der platonischen Philosophie zugedacht ist. So basiert die Ideen-Philosophie auf der Annahme, da Wissen in jedem Fall so viel heit, wie in der Lage sein, einen Logos jener Sache zu formulieren, die man wei (Phaidon 73&910, 76b5, 78dl, Symposion 202a57), und bei diesem Logos handelt es sich erklrtermaen um eine Wesens-Bestimmung (A,yoc; Tfi

  • 22 Andreas Graeseroder schwcheren Variante der Vorzug gegeben wird Definitionen bzw. Definitions-Stze nicht, oder nicht nur, das Was einer Sache in den Blick rufen, sondern vielmehr das Wie-Beschaffensein an ihr artikulieren.

    Dies allein nhrt Zweifel an der Vorstellung, da sich die aus den Dialogen vertraute Unterscheidung zwischen dem, was etwas ist, und dem, wie es beschaffen ist, bruchlos auf die Unterscheidung beziehen lt, mit der der ,wahre Logos' im philosophischen Exkurs operiert.31 Doch sind diese Zweifel vielleicht nur zum Teil berechtigt. Denn, da sich die Bedingungen der Anwendung einer Unterscheidung ndern, oder gendert haben knnten, heit nicht schon, da die Unterscheidung selbst gegenstandslos oder gar hinfllig wrde. So scheint die Konzeption einer gelockerten Wissensauffassung, wie sie im Philebos vertreten wird, die Annahme nahezulegen, da jemand, der ber Episteme hinsichtlich raum-zeitlicher Gegenstnde verfgt und mithin auch den entsprechenden Logos hat, nicht ipso facto die Idee kennt und deren Logos.12 Diese Annahme wre geeignet, einen Teil jener Vorstellungen begreiflich zu machen, die im ,wahren Logos des philosophischen Exkurses wirksam werden. Sie erlaubt jedoch keine unmittelbaren Rckschlsse bezglich der Frage, wie die in Rede stehende U nterscheidung genau aufzufassen ist und ob es sich um jene Unterscheidung handelt, die z.B. im Menon eingefhrt wird, und wie sie Verwendung findet.

    31 Mithin ist K. von Fritzs These, wonach man es hier mit einem klaren Gedanken zu tun habe, der lediglich von einigen Interpreten falsch verstanden werde, wohl etwas zweifelhaft (Schriften zur griechischen Logik, 185).

    32 Im Philebos 62a3/8 ist von einem Logos der gttlichen Kugel die Rede, ber den jemand verfgt, der dieses Gebilde kennt.

  • V.

    So scheint es zweckmig, die Frage bezglich der genauen Bedeutung der Hauptthese und der in ihr operativen Unterscheidung von einer Beurteilung jener Konsequenzen abhngig zu machen, die sich in der Sicht des ,wahren Logos' ergeben (343c3el). Anschlieend ist zu prfen, ob sich der Befund zu jenen Annahmen fgt, die als Meinung der Dialoge gelten kann. Schlielich bleibt zu fragen, wie sich die Vorstellungen, die zur Hauptthese gehren, mit entsprechenden Auffassungen der Dialoge vereinbaren lassen.

    (i) Unm ittelbar im Anschlu an die Formulierung der Hauptthese T2 werden drei Gesichtspunkte geltend gemacht:[a] Was die vier Hilfsmittel dem Bewutsein V orhalten,-13 macht auf diese Weise jedes Gesagte

    und Gezeigte den Wahrnehmungen leicht widerlegbar und erfllt darum jedermann mit jeder nur mglichen Verlegenheit und Verwirrung (343c3c5)

    [b] Bei den Dingen nun, wo wir aus schlechter Angewhnung gar nicht das Wahre zu suchen pflegen, und wo das vorgehaltene Abbild gengt, da werden wir einander nicht zum Spott, die Gefragten den Fragenden, selbst wenn diese imstande sind, die vier Erkenntnismittel als fehlerhaft zu erweisen und zu zerpflcken (343c5d2)

    [c] Bei den Gegenstnden jedoch, wo wir darauf bestehen, da man das fnfte antwortet und offen darlege, erringt jeder beliebige, der imstande ist, uns aus dem Sattel zu heben, den Sieg und bewirkt, da der Sprechende verwende er nun zusammenhngende Rede oder Schrift oder die Frage- und Antwortform der Mehrheit der Zuhrer den Eindruck macht, da er nichts von dem verstehe, worber er sich anheischig macht zu schreiben oder zu sprechen, wobei diese sich bisweilen nicht im klaren darber sind, da nicht die Seele des Schreibenden oder Sprechenden widerlegt wird, sondern das Wesen der vier Erkenntnismittel, die nichts taugen (343d2el)

    Diese Erwgungen setzen voraus, da Name, Definitions-Satz, Abbild und Erkenntnis uns in jedem Fall nicht auf die Idee lenken, sondern auf Gegenstnde, die die Idee exemplifizieren. Zumindest aus der Sicht dessen, der nicht bereits die Idee selbst vor Augen hat, stellen sich die Dinge so dar, da Namen (F) nur auf Gegenstnde verweisen, die diese oder jene Beschaffenheit F ha

    n Der Ausdruck Xyco xe Kai K at spya (c2) sollte nicht, wie H.-G. Gadamer meint (Plato. Texte zur Ideenlehre, 71), zu leicht widerlegbar machen bezogen werden [i.e. durch Argumente oder Vorzeigung von Wirklichem, bei H.-G. Gadamer], Dies geht syntaktisch nicht. Vielmehr ist zu verstehen: ein jedes der vier hlt der Seele ... in Wort und Tat . .. vor. Damit wird auch die Parallelitt zu jedes Gesagte und Gezeigte gewahrt. Ferner ist bei H.-G. Gadamer der Ausdruck Wahrnehmungen nicht bersetzt.

  • 24 Andreas Graeserben. Das gleiche gilt fr Definitions-Satze im hier relevanten Sinne des Wortes Xyoi. Sie ersetzen Namen (vgl. Nomoi X, 895e986a) und verweisen auf Gegenstnde, die den Namen F tragen. Abbilder wiederum seien es nun gezeichnete Kreise oder verfertigte Kugeln usw. sind die Extension der Namen bzw. der sie ersetzenden Ausdrcke. Analog wrde es sich bei Erkenntnis im schwachen Sinn des Wortes um subjektive Begriffe handeln oder um Vorstellungen, die jemand mit einem Namen verbindet und auf Gegenstnde der hier beschriebenen Art bezieht.

    Die Deutung hat fr sich, da sie die Fiauptthese in ihrer Funktion als eigentliche Begrndung kenntlich macht. Denn sie markiert nicht nur den Gesichtspunkt, da es sich hier, in T2, um eine unabhngige Begrndung handeln soll; sie macht auch begreiflich, da es sich dabei um die wichtigste Erwgung handelt. Der Gesichtspunkt der Unabhngigkeit ist insofern gewhrleistet, als wir hinsichtlich der Schwche der Hilfsmittel nun klar zwischen einer Kreis-Figur als mehr oder weniger gelungenen Kreis-Abbildung einerseits und als Ding mit bestimmten Beschaffenheiten andererseits unterscheiden. Fr das Hauptargument selbst fllt nur das zweite M oment ins Gewicht. Denn das erste Moment wre gnzlich uninformativ. Der prinzipiell wichtige Aspekt (343b7 t nsyi- g x o v ) tritt hingegen darin hervor, da wir es auf der Ebene der sog. Hilfsmittel selbst nie mit etwas zu tun haben, was uns die Idee selbst vor Augen fhrt oder uns auf diese verweist. Dies scheint in der Tat der eigentlich wichtige Gesichtspunkt zu sein. Denn allein dieser Gesichtspunkt kann eine Begrndung fr die Behauptung bereitstellen, da sich bestimmte Gegenstnde nicht (so) ausdrcken lassen wie andere Gegenstnde.

    In diesem Sinn scheint auch die Diagnose der pragmatischen Situation durchaus plausibel. Denn das Kernproblem besteht dieser Auffassung nach darin, da sich der Sprechende wie in [c] auf das Wirkliche (i.e. das /'-selbst, .F-heit) bezieht, der Opponent die in Rede stehenden Aussagen jedoch als Aussagen ber F- Dinge behandelt und sie so gegen die Intention des Sprechenden versteht. Erst da, wo die in Rede stehenden Aussagen gegen die Intentionen des Sprechenden als Aussagen ber Dinge behandelt werden, erffnet sich auch jene Ble, die am Fall der leichten Widerlegbarkeit des eigentlich Gemeinten durch die Wahrnehmungen (343c2) exemplifiziert werden kann: Die Kreis-Figur ist gegebenenfalls ,rund und ,gerade4 bzw. voll vom Gegenteil des Kreises selbst (343a56).

    W enn das Kernproblem tatschlich in der Gefahr einer Verwechslung katego- rial verschiedener Ebenen besteht, so wrde dies fr die Frage nach der Bedeutung der Unterscheidung zwischen t Ti und x o 7IOIV Ti den Schlu nahelegen, da es hier im Falle des xo xi um die Idee als Wesen der Sache geht und im Falle des t t io i v T i um ein Ding, das die Idee exemplifiziert. Diese Auffassung findet sich auch bei Plotin. In seiner Abhandlung ber Wesenheit oder

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 25Qualitt (II 6 [17]) betont Plotin, da unsere stndigen Irrtm er hinsichtlich des Was (0V Kai anapxavEW aci Ttepi t xi) damit zu tun haben, da wir von der Untersuchung des Was abgleiten und uns zu Wie-Beschaffenem wegtragen lassen (... Kai eie; x rtoiv Kaxa(pep0|U8V0U
  • 26 Andreas Graeserter Terminus aufgefat wird. Besonders instruktiv ist freilich jener Zusammenhang im Sophistes, in dem es einmal heit, der Satz Bewegung ist ruhend sei notwendig falsch (252d910), ein anderesmal, er sei wahr (256b6). Denn hier scheint Platon darauf aufmerksam machen zu wollen,35 da ein und derselbe Satz unterschiedliche Konfigurationen artikuliert und somit verschiedene Gedanken ausdrckt. Der Sinn des Satzes ndert sich also, je nachdem auf welchen Gegenstand der Subjekts-Terminus Bewegung bezogen wird. Damit wird auf anderer Ebene exemplifiziert, was zu Beginn des Dialoges bereits in genereller Form bezglich der Klrung der ,Was-ist~X?-Frage angedeutet wurde: da zwei Personen zwar dasselbe W ort verwenden, jede von ihnen aber gem einer eigenen Vorstellung das W ort auf eine andere Sache (spyov) bezieht (21 Bel3).

    Da solche Phnomene Vorkommen, ist unbestreitbar. Insofern scheint auch der ,wahre Logos des philosophischen Exkurses nichts zu behaupten, was besonderer Aufmerksamkeit bedrfte. Doch behauptet der ,wahre Logos\ da die Hilfsmittel eine solche Verschiebung von Ebenen geradezu verursachen. Damit stellt sich nun die Frage, wie die einzelnen Funktionen von Name, Definitions- Satz, Abbild und Erkenntnis im Lichte anderer Stellungnahmen nher zu beurteilen sind.

    [a] Namen (dv|naTa) heien in den Dialogen nicht nur jene Terme, die heute als singulre Termini bezeichnet werden. Denn offensichtlich werden auch generelle Termini und verbale Ausdrcke mit prdikativer Funktion36 als Namen betrachtet. Dabei steht die Benennungsfunktion im Vordergrund (Kraty- los 388b78); und der Name ist ein Werkzeug, das man zur Belehrung braucht und zur Sonderung der Wesensart (b l3cl). Somit stellt sich die Frage, was Namen in diesem Zusammenhang konkret zu leisten vermgen. Knnen wir vom Studium der Namen her Aufschlu ber jene Sachen gewinnen, fr welche die Namen stehen? Sokrates argumentiert gegen die These, da wer die Namen kennt, auch die Sachen kennt (435d56) und er hlt dafr, da das Studium der Namen eigentlich nur fr den Fall hilfreich sei, da jemand die Dinge (i.e. die Nominata) aus ihnen selbst heraus kenne (438e23); erst dann knne auch die spezifische Frage nach der Richtigkeit von Namen beantwortet werden,

    35 Allerdings ist unter den Interpreten umstritten, ob sich Platon des Problems in der Weise bewut war, da er den relevanten Unterschied bezeichnen konnte. Vgl. G. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist . In: Ders.: Platonic Studies, Princeton 1973, 271308.

    36 Vgl. die Beobachtungen von G. Vlastos, Platonic Studies, 238, Anm. 46. Im Kratylos selbst unterscheidet Platon allerdings nicht zwischen onoma und rberna in dieser Art. Zur Diskussion siehe ferner R. Rehn, Zur Theorie des onoma in der griechischen Philosophie. In: B. Mojsisch (Hrsg.), Sprachphilosophie in Antike und Mittelalter, Amsterdam 1984, 63119 (Bochumer Studien zur Philosophie 3).

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 27

    nmlich die Frage, inwieweit Namen das Wesen der gemeinten Sache erhellen (422d2~3, 423el, vgl. 393d).37

    Platons Verwendung solcher Ausdrcke wie erhellen, offenbar machen, die im Rahmen des ,wahren Logos des philosophischen Exkurses im brigen auch die Funktion der anderen Hilfsmittel charakterisieren, gibt Anla zu der Vermutung, da Namen insgesamt in Freges Terminologie gesagt nicht nur Bedeutungen, sondern auch Sinn haben;38 und es mag sein, da Platon letztlich die Vorstellung einer idealen Sprache vor Augen stand, deren Vokabular klaren Aufschlu ber jene Dinge geben knnte, die den Philosophen beschftigen.39 Doch fllt diese Vorstellung hier nicht ins Gewicht. Denn im Blick auf den Status quo philosophischer Durchdringung verfolgt Platon hier eher die Auffassung, da die W ahrheit des Seienden zuverlssig auch ohne Namen kennenzulernen sei (438e3). Ja selbst unter der Voraussetzung, da es also mglich ist, die Dinge weitgehend sowohl durch Namen kennenzuiernen als durch sie selbst (439a56), scheint ihm jener Weg des Lernens schner und klarer, der die W irklichkeit [i.e. a^r|0sia] aus sich selbst heraus erfhrt und damit

    37 Die Vorstellung, da Namen geradezu mimetisch die Sache erhellen, deren Name sie sind, war im Denken Heraklits besonders stark verankert (vgl. B. Snell, Die Sprache Heraklits. In: Ders.: Gesammelte Schriften, Hamburg 1966, 129151) und weist (in der Terminologie E. Cassirers, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, Darmstadt 71964, 2122) auf eine Phase zurck, da Name und Sache noch untrennbar verbunden waren.

    3S Vgl. auch C. H. Kahn, Language and Ontology in the Cratylus. In: E. N. Lee, A. P. D. Mourelatos, R. M. Rorty (Hrsg.), Exegesis and Argument. Studies in Greek Philosophy presented to Gregory Vlastos, Assen 1973, 173: that this form constitutes the sense of these words.Da freilich die Ideen das sind, nach dem die Dinge in der Welt ihren Namen haben (Phaidon 102ab, Politeia 596b, Parmenides 130c), scheint es zweckmig und richtig, die Ideen auch als jene Gegenstnde auszu zeichnen, die den Namen, den sie haben, zu Recht tragen, und die raumzeitlichen Dinge, die an den Ideen teilhaben und insofern nach ihnen benannt werden, als sekundre Referenz-Gegenstnde zu betrachten (vgl. R. E. Allen, Platos Euthyphro and the Earlier Theory of Forms, London 1970). Da die Idee offenbar sowohl den Charakter des Sinnes eines Ausdrucks hat als auch dessen Bedeutung bzw. Referenz-Objekt darstellt, scheint es sinnvoll, von der Idee in diesem Zusammenhang auch als Hybrid zwischen Sinn und Bedeutung bzw. zwischen Bedeutung und Bezeichnung zu sprechen. Vgl. A. Graeser, Die platonischen Ideen als Gegenstnde sprachlicher Referenz. In: Zeitschrift fr philosophische Forschung 29 (1975) 218234, R. W, Puster, Zur Argumentationsstruktur platonischer Dialoge, Freiburg und Mnchen 1983, 8385.

    39 Weitere Probleme werden gewinnbringend von T. W. Bestor, Platos Semantics and Platos Cratylus . In: Phronesis 25 (1980) 306330 diskutiert. Siehe auch B. Williams, Cratylus Theory of Names and its Refutation". In: M. Schofield, Martha C. Nussbaum (Hrsg.), Language and Logos. Studies in Ancient Greek Philosophy Presented to G. E. L, Owen, Cambridge 1982, 8394; J. Annas, Knowledge and Language. The Theaetetus and the Cratylus, 6183. Besonders grundstzlich ist das Buch von E. Heitsch, Willkr und Problembewutsein in Platons Kratylos, Wiesbaden 1984 (Ak. Wiss. u. Lit. Mainz, Abh. Geist- u. Sozialwiss. Kl. 11) und ders.: Platons Sprachphilosophie im ,Kratylos1. In: Hermes 113 (1985) 44-62.

  • 28 Andreas Graeserauch feststellt, ob ihr Abbild angemessen ausgefhrt ist (b l2) als jenes Verfahren, da man nach dem Abbild eben dieses selbst kennenlernt, ob es gut nachgebildet ist und da man so auch die W irklichkeit kennenlernt, der es nachgebildet wurde (349a78).

    Diese Auffassung scheint m it der Vorstellung des ,wahren Logos' kompatibel. Sie fgt sich zudem zu beiden Verstndnisweisen der Interpretation der H auptthese. Falls Worte in irgendeinem relevanten Sinn der Nicht-Konventionstheorie eine natrliche Beziehung zu ihren Nom inata aufweisen, liegt es um so nher, da sie das Was der gemeinten Sache hervortreten lassen; falls W orten jedoch, wie der ,wahre Logos des philosophischen Exkurses im Blick auf die faktische Verwendung von Sprache unterstellt, keine solche Beziehung eignet, ist die Annahme um so wahrscheinlicher, da sie nicht, oder nicht nur, das Was erffnen, sondern auf Dinge verweisen, die eine bestimmte Beschaffenheit an den Tag legen. Da Namen in diesem Sinn auf Gegenstnde verweisen, die eine bestimmte Eigenschaft haben, geht aus 343b 12 hervor. Doch liee sich auch argumentieren, da gem dem Ideen-Ansatz Nam en sowohl auf die Idee als eigentliches Nom inatum verweisen [i.e. hier das Seiende] als auch auf die gleichnamigen Gegenstnde [i.e. hier die Abbilder], die sie exemplifizieren.

    [b] Wie in den Nomoi X 895e, wird Xyo

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 29der natrlichen Einstellung mit Gegenstnden dieser Art vorliebnehmen. Denn sie sind dasjenige, auf was wir verweisen, wenn wir nach der Bedeutung eines Wortes gefragt werden. hnlich heit es im Politikos, da jemand, der nach einer Wesens-Erklrung fragt, in vielen Fllen damit zufriedenzustellen ist, da man ihn auf einen Gegenstand verweist, bei dem es sich in Wirklichkeit um ein anschauliches Abbild der eigentlich gemeinten Sache handelt (285d8286b2). In diesem Sinn liee sich sagen, da der in Rede stehende Gegenstand als ein Gegenstand bestimmter A rt betrachtet wird; in anderer H insicht gilt, da der Gegenstand als Abbild ber sich hinausweist und das bedeutet, was als das Wesen der Sache anzusehen wre. Insofern scheint die Position des ,wahren Logos im philosophischen Exkurs plausibel. Allerdings lt sie sich von dem Passus im Politikos doch nur partiell sttzen. Denn im Politikos heit es auch, da einige Gehalte berhaupt keine sinnliche Veranschaulichung finden und nur mittels eines Logos klar ausgewiesen werden knnten (286a67);42 dies scheint mit der Aussage des ,wahren Logos( da zu kollidieren, wo es heit, da bei jedem Ding u.a. ein Abbild besteht (342a7).43 Ferner heit es im Politikos, da in solchen Fllen, da sich jemand mit dem Hinweis auf eine sinnliche Veranschaulichung begngt, diese jeweils den Platz eines Xyo
  • 30 Andreas Graeser[d] Die These, da auch Erkenntnis (episteme) nicht anders als die drei zuvor

    genannten Hilfsmittel den besagten Defekt aufweise45, ist nicht leicht zu verstehen. Dies liegt wohl daran, da der Terminus selbst auf relativ knappem Raum in unterschiedlichen Zusammenhngen Verwendung findet und aus der Darstellung nicht deutlich wird, weiches Wissen diesem Verdikt unterliegt und welches nicht. Da diese Frage jedoch fr die Wrdigung der Argumentation insgesamt von weitreichender Bedeutung ist, empfiehlt es sich, folgende Unterscheidungen im Auge zu behalten:

    [dl] episteme als Kenntnis des fnften. Dieses ist erkennbar (342bl yvcootv)46; und es ist die Erkenntnis dieses Gebildes, welche als vevoimevov (343a2)47 vernnftigerweise nicht dem Medium der Schrift anvertraut werden kann (a34).

    [d2] episteme als eines der Hilfsmittel auf dem Wege der Erkenntnis des fnften. Diese Erkenntnis, die im vorangehenden als Wissen im schwachen Sinn charakterisiert wurde (s.o. S. 10), bezieht sich laut 342c5 auf die drei bereits genannten Hilfsmittel (siehe Anm. 13). Diese A rt der Beziehung mag so zu deuten sein, da Kenntnis im hier relevanten Sinn von Wissen jeweils Kenntnis von Dingen ist und damit ipso facto auch eine Kenntnis der Namen bzw. der fr sie eintretenden Exemplifikationen involviert; umgekehrt wrde die Kenntnis von Namen bzw. die Kenntnis entsprechender Ausdrcke eine Kenntnis derjenigen Dinge involvieren, auf die man sich bezieht, wenn man die Verwendung der Ausdrcke verdeutlichen soll. Da diese Deutung nicht der Komplexitt der gemeinten Sachlage Rechnung trgt, geht schon daraus hervor, da berdies S^a a^nBYjc; und vou

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 31,Einsicht* hingegen ist in den Dialogen nicht ber den Bereich physischer Gegenstnde oder raum-zeitlicher Gegebenheiten definiert,49 Vielmehr gilt E in sicht* als die hchste Form geistiger Ttigkeit (Phaidros 247dl, Philebos 59b7, Sophistes 249c3/7, Timaios 51d3e5); ihre Gegenstnde sind dadurch definiert, da sie wahrstes Wissen gestatten (Philebos 59b78, 59dl2). Dieser Punkt scheint im ,wahren Logos des philosophischen Exkurses insoweit bercksichtigt, als ,Einsicht1 hier unter den Hilfsmitteln dem fnften noch am nhesten kom mt (342d2). Doch ist diese Beschreibung recht vage; zudem gilt, da laut 342c5 eben auch ,Einsicht* eine Beziehung auf die drei anderen Hilfsmittel hat.

    [d3] episteme als Kenntnis der vier Hilfsmittel. Diese Perspektive ist da angezeigt, wo es heit Wer von diesen [i.e. Gegenstnden] nicht die vier im ganzen erfat, wird niemals vollgltig die Erkenntnis des fnften erlangen (342d8el)50. Zugegebenermaen ist hier nicht ausdrcklich von episteme die Rede. Doch tu t dies eigentlich nichts zur Sache. Denn zweifellos ist an ein Reflexionswissen besonderer Art gedacht. Das lt sich am besten durch einen H inweis auf 343el3 belegen. Hier nmlich wird von einer A rt Besinnung auf die einzelnen Hilfsmittel gesprochen und davon, da ein verweilendes Durchgehen dieser vier, das hinauf und hinab bald zu diesem bald zu jenem sich wendet, am Ende doch in dem recht Gearteten Wissen [episteme] vom Rechtgearteten zu erzeugen vermag.51 Bei diesem Wissen handelt es sich dann wohl um Wissen im Sinne von [dl].

    N un bleibt der eigentliche Mechanismus der Wissens-Erzeugung recht undurchsichtig. Insbesondere wird auch nicht deutlich, ob ,Einsicht' als besondere Instanz von Wissen im Sinne [d2] nicht doch virtuell als Wissen im Sinne [dl] gelten soll. Doch scheint klar, da nur Wissen vom Typus [d2] als jenes Wissen gemeint sein kann, welches fr das besagte Gebrechen der Hilfsmittel in Frage kommt; und doch ist nicht klar, wie dies gemeint ist: Welche Rolle kann episteme im hier relevanten schwachen Sinn von [d2] beim Versuch der Vermittlung von Wissen im starken Sinn von [dl] berhaupt zukommen? Wenn jemand, der ber Wissen im vollgltigen Sinn [dl] verfgt, dieses sprachlich artikuliert und womglich auch anschaulich darstellt, so erzeugt er mit seinem Rekurs auf W orte und Gegenstnde Vorstellungen, die einen anschaulichen Gehalt haben. Vorstellungen dieser A rt mgen das ausmachen, was hier auch als ,Wissen' [d2] bzw. ,wahre Meinung4 angesprochen wurde.

    49 Vgl. G. Vlastos, Platonic Studies, 276.30 Siehe dazu oben S. 12.51 G. Mller, Platonische Studien, 153, sprach im Hinblick auf diese Stelle von Karikatur des

    klassisch in der Politeia 511b bezeichneten Aufstiegs In der Sache scheint mir dies ungerechtfertigt.

  • 3 2 Andreas Graeser

    Da dies tatschlich die Auffassung des , wahren Logos' ist, geht aus 344b45 hervor. Hier wird der in 343el3 beschriebene Vorgang der Konfrontation von Name, Definitions-Satz, Abbild und Erkenntnis in anderer Weise charakterisiert; und zwar geht es nun um ein Aneinanderreiben von Namen, Definitions- Stzen, Anblicken (>|/ei

  • Insoweit entlt uns der philosophische Exkurs mit dem Befund, da sprachliche Darstellung bei der Vermittlung von Wissen nur da eine unproblematische Rolle spielt, wo wir es mit Aussagen ber Gegenstnde auf dem Niveau von Abbildungen zu tun haben. Hingegen sind hherstufige Aussagen zum Scheitern verurteilt. Dabei ist die Meinung des ,wahren Logo/ nicht die, da sich Wissen im relevanten Sinne des Wortes nicht vermitteln lasse; die Meinung des ,wahren Logos ist vielmehr, da jemand, der etwas begreifen soll, das, was es zu begreifen gilt, nicht der Darstellung selbst entnehmen knne. N un ist diese Meinung weder absurd noch berhaupt kritikwrdig. Sie ist allenfalls zu wenig spezifisch, als da der Nerv des Gedankens hervortreten knnte.

    Dies wirft die Frage auf, was die Gegenstnde relevanter Einsichten eigentlich an sich haben, da sie, wie es im VII. Brief heit, nicht ausdrckbar seien und kein vernnftiger Mensch seine Gedanken dem Medium der Schrift anvertraue (341c5 bzw. 343a2). Allerdings scheint es zweckmig, die Fragerichtung selbst genauer zu bestimmen. Denn bei den Einsichten, die kein vernnftiger Mensch in die Form sprachlicher Darstellung gieen wrde, kann es sich, zumindest aus der Sicht des ,wahren Logos'', nicht gut um Einsichten, da handeln. Denn diese wren per se sprachlich artikuliert; und es wre nicht einzusehen, inwiefern Xyoi irgendwelcher A rt den Gedanken selbst begrifflich verbiegen mten. So wird ja im Sophistes Denken als Zwiegesprch der Seele mit sich selbst betrachtet. Dabei seien Dianoia und Logos ein und dieselbe Sache; was sie unterscheide, sei nichts anderes als die Tatsache, da Logos im strikten Sinne des Wortes als sprachlicher Ausdruck des Gedankens zu gelten habe (263e35). So betrachtet mte es sich bei den hier relevanten Einsichten wesentlich um nicht-propositionale Gebilde handeln. Dies wiederum erlaubt auch den Schlu, da Nicht-Artikulierbarkeit im VII. Brief prim r als Eigenschaft solcher Gegenstnde wie der Ideen verstanden wird, die den Einsichten korrelieren. Dieser Punkt ist von groer Bedeutung. Denn er kontrastiert nicht nur mit jenen Aussagen in den Dialogen, die davon ausgehen, da derjenige, der Wissen bezglich der Ideen hat, dieses Wissen artikulieren kann; er kontrastiert zugleich mit der Position des Phaidros, dessen Schriftkritik in der Regel zur Erhellung und Sttzung des ,wahren Logosc im VII. Brief herangezogen wird, und umgekehrt. Im Phaidros heit es nmlich, da der Redner, der die W ahrheit bezglich seiner Gegenstnde erfat habe, auch in der Lage sein werde, zum Zwecke der Beleh

  • 34 Andreas Graeserrung oder berredung eine kunstgerechte Form adquater Darstellung zu finden (277bc).53 Doch mu dieser Kontrast nicht als Widerspruch im Sinne von Position und Negation gesehen werden. Zumindest die These des Phaidros liee sich auch dahingehend verstehen, da Aussagen ber Gegenstnde von der Art der Ideen wahrheitsgem formuliert werden knnen. Dies wrde keinen Widerspruch zu der These des ,wahren Logos bedeuten, sofern es hier um die interne Artikulierbarkeit der Gegenstnde selbst ginge.

    Wenn Nicht-Artikulierbarkeit an die interne Struktur von Gebilden gebunden sein soll, befinden wir uns auf einem Terrain, das in den Dialogen selbst immer wieder Anla zu Diskussionen gibt. So werden namentlich im Phaidon und Symposion die Ideen als ,eingestaltige, ,reine' Gebilde charakterisiert; und fr den Interpreten stellt sich hier die Frage, wie diese A rt von Nicht-Analysier- barkeit und Nicht-Komplexitt mit der Tatsache vereinbart werden kann, da die gesuchten Wesens-Logoi jene Gehalte, die sie beschreiben sollen, als komplexe Gebilde schildern. In den spteren Dialogen scheint sich die Situation anders darzustellen. Denn hier werden die Ideen ausdrcklich als Gebilde beschrieben, die miteinander in komplexen Beziehungen stehen; und so lt namentlich auch die Terminologie von ,Teil und ,Ganzem den Eindruck aufkommen, da Platon die Ideen nun selbst als komplexe Gebilde begriffen wissen mchte. Nicht wenige Interpreten sahen hier denn auch ein wichtiges Indiz fr ihre These von der Selbstkritik Platons.54 Doch sind Zge der Beschreibung nicht ohne weiteres auch Zge des Beschriebenen; und weiterreichende Annahmen zum Sein der metaphysischen Gebilde wren davon abhngig zu machen, ob Platon selbst Zge der Beschreibung als Zge des Beschriebenen interpretierte. Der ..wahre Logos' des philosophischen Exkurses scheint davor zu warnen: Gehalte von der Art der Ideen sind nichts, was sich in Form von Xyoi berichten liee.

    53 Eine detaillierte Untersuchung dieses Zusammenhanges bietet E. Heitsch, Platon ber die rechte Art zu reden und zu schreiben, Wiesbaden 1987 (= Akad. Wiss. u. Lit. Mainz, Abh. d. Geistes-u. Sozialwiss. Kl. 4).

    54 berlegungen dieser Art wurden von J. Stenzei und G. Ryle angestellt. In neuerer Zeit hat sich J. M. E. Moravcsik in einer Reihe von Arbeiten zum Perspektivenwandel Platons geuert. Siehe besonders: Forms and Dialectic in the second half of the Parmenides. In: Language and Logos, 135153, The Anatomy of Platos Divisions. In: Exegesis and Argument, 324348. Eine kritische und in vielen Punkten originelle Wrdigung der Diskussion und der neueren Forschung hat K. M. Sayre vorgelegt: Platos Late Ontology. A Riddle Resolved, Princeton N.J. 1983. Sayres eigene Position lt sich folgendermaen umschreiben: die Ideen werden von Platon nicht mehr als unzusammengesetzte Gebilde betrachtet und auch nicht mehr als transzendente Wesenheiten angesehen (183). Zwar ergeben sich hinsichtlich Sayres Beurteilungen einzelner Texte (z.B. im Pbilebos) eine Reihe von Fragen (vgl. die Rez. von W. Prior: Archiv fr Geschichte der Philosophie 68 [1986] 292296). Doch auch fr den Fall, da sich Sayres These bezglich Komplexitt bzw. Nicht-Komplexitt der Formen bewahrheiten wrde, bliebe zu fragen, in welcher Flinsicht die Ideen .zusammengesetzt1 sein knnten und in welcher Hinsicht sie es nicht sein knnten.

  • Philosophische Erkenntnis und begriffliche Darstellung 35Fr diese Vorstellung gibt es in den Dialogen eine Parallele. Denn sagbar

    (prjTv) steht im Tkeaitet 20le i202b 1 fr eine Eigenschaft komplexer Gebilde wie Silben im Gegensatz zu Elementen (0T0i%8ia) wie Buchstaben, die nur als nennbar gelten (202b2). Dieser Auffassung nach wre also generell zwischen Dingen zu unterscheiden, die nennbar sind, und anderen, aus nenn baren Elementen zusammengesetzten Gegenstnden, die sagbar sind; und Sagbarkeit im technischen Verstndnis dieser Betrachtung bezieht sich mithin auf Konfigurationen, Nicht-Sagbarkeit entsprechend auf nicht weiter analysierbare, atomare Gebilde. N un findet sich diese Unterscheidung im Rahmen einer Errterung, die vielleicht mit Skepsis zu betrachten ist. Denn die These, da der Logos einer Sache als Bericht ihrer Elemente anzusehen sei, fhrt hier die Implikation mit sich, da wir das Wesen von X wissen knnen, ohne die Elemente von X zu kennen. Insofern scheint diese Version der Erklrung von Wissen als wahrer Meinung verb