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Hanns Ruffin -- Kurt Beringer 1893–1949

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Page 1: Hanns Ruffin -- Kurt Beringer 1893–1949

Deutsche Zeitschrift fiir Nervenheilkunde, Bd. 164. 8. 199--208 (1950).

Kurt Beringer

1893--1949.

Es ist nicht das erste Mat, dab in dieser Zeitschrift einem Mann ein ehrendes Gedenken gegeben werderl soil, der nicht ihrem eigentlichen Mit- arbeiterkreis angeh0rt hat. Der jetzige Anlag gilt einem Arzt, Kliniker und Forscher, der als Psychiater und Neurologe t/itig und dem die sach- liche und personale Verbindung dieser Arbeitsbereiche ein wichtiges An- liegen war. Der Versuch, Beruf und Leben eng zu vereinen, ist nicht selbst- verstfindtich und nicht unbedenklich. Der firztliche Beruf legt diese M(iglichkeit nahe, weil er selbst etwas Weites und etwas enth~ilt, was mit der Grundproblematik des Menschen zu tun hat. Wissenschaft und leh- rende T/itigkeit vermOgen ein weiteres dazu beizutragen, dab eine Wechsel- wirkung zwischen Leben und Berufsarbeit stattfindet, die so weit gehen kann, dab man davon sprechen darf, das Leben eines Menschen sei seinem Beruf geweiht gewesen.

In diesem Sinn soil versucht werden, tiber Kurt Beringer einiges zu sagen. Andere Nachrufe werden sich vielleicht st~irker mit seinem ge- samten wissenschaftlichen Werk befassen, so dab die hier gegebenen Ober- legungen als Erg~inzung gelten m6gen. Die wichtigsten Vorg/inge und Bereiche seiner wissenschaftlichen Arbeit werden abet auch hier aufzu- zeigen sein. GewiB hat er sehr vieles von dem, was er als Kliniker und Ferscher und auch als Mensch seiner Zeit an Wissen und Erfahrungen an- gesammelt hat, nicht zu Papier gebracht. Deshalb soll auch sein Wirken auBerhatb seiner Publikationen bedacht werden. Aber es.f/illt doch auch an ihm auf, besonders nachdem das Leben abgeschlossen ist und man seine Ver6ffentlichungen fiberblicken kann, dab die durchgehenden Inter- essen und Aufgaben, die er gehabt, gesehen und zu Wort gebracht hat. frfih in Erscheinung getreten sind und etwas Durchg~ingiges und Wieder- kehrendes bei alter Entfaltung und Verwandlung an sich haben.

Wenn man gewissermaBen versucht, etwas yon dem Bild zu erfassen, das Beringer als Pers6nlichkeit zur Zeit des Eintritts in sein Berufsfach geboten haben mag, dann erscheinen mir zwei vom Schicksal ihm gegebene Pr/igungen der Hervorhebung wert zu sein, die zum mindesten etwas yon seiner Pers¢inlichkeit erkennen lassen und die ihm offensichtlich auch in seinem weiteren Leben innerer Gegenstand und Aufgabe der Verarbeitung

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und Anverwandlung dieses Schicksals gewesen sind. Ich meine seine Heimat und das Schicksal des ersten Weltkrieges.

Beringer geh0rte einem Volksschlage im Schwarzwald an, dem das Grfibeln, die Schwermut und die Sehnsucht nach Leichtigkeit und Weite neben einem praktischen Verstand und Tatsachensinn und einer lebendigen Naturfreudigkeit gegeben ist. Seine kritische Einstellung, seine Suche nach grOBeren Zusammenh~ingen, seine ntichterne Betrachtungsweise, seine oft grfiblerische Genauigkeit, ebenso wie seine prim~ire - - nicht nur intellektuell oder wissenschaftlich erschlossene - - Tangierbarkeit durch menschliche Not und vor allem Seelennot sind bierkmale, die wir sp~iter in seiner Arbeit und Arbeitsweise antreffen. Sie werden wohl mit dieser an die Heimat gebundenen Menschenart etwas zu tun haben. Sicher ist, dais er immer dieser Menschenart nicht etwa nur gebundenermaSen und unfreiwillig unterworfen war, sondern dab er eine inhere Verarbeitung und Auseinandersetzung mit ihr vollzogen und gelebt hat und dab er zu dieser Art auch bewuBt, freude- und leidvoll gestanden hat.

Nach seinen Schul- und ersten Studentenjabren in Karlsruhe und Heidelberg - - er soil ein fleiBiger, fr6hlicher und aufgescblossener Student gewesen sein - - zog er ohne Staatsexamen in den ersten Weltkrieg. Er lernte die Bew/ihrung in Krieg und Kameradschaft, er lernte auch die Weite RuBlands kennen. Er schlug sich dabei zu den Helfenden, Veri/il~- lichea, Opferbereiten und entwickelte seinen niichternen Sinn ftir Situatio- hen und Notwendigkeiten als Feldunterarzt und Menschenfiihrer. Sp~ite- stens in dieser Zeit mag er sich, nicht ohne pessimistischen Einschlag, ftir eine unmetapbysische Weltbetrachtung entschieden haben. Er ist ihr, man m6chte sagen, mit metaphysischem Einsatz treu geblieben. Ich glaube, dab auch dieses erste Kriegsschicksal und seine Bew~iltigung Einiges yon seiner inneren Bestimmung, vom ~iuBeren und verinnerlichten Schicksal und eindeutig auch Ziige seines sp~iteren Lebens und Schaffens e r ke nne n laBt.

Eine starke, seibstgewiihlte und damit fiir seinen Berufsinhalt entschei- deride Pr/igung hat dann Beringer an der Heidelberger Klinik Wilmanns in den zwanziger Jahren erhalten und erfahren. Als er dort seine Arbeit begann, hatte die psychopathologische Forschungsrichtung, im Mittelpunkt das Werk von Karl Jaspers, bereits eine ihrer Hauptaufgaben erffiilt: die Schaffung ether wissenschafttich klaren Bescbreibung und festen Begriffs- bildung, ether auf Unterscheidung gerichteten Betrachtungs- und Unter- suchungsweise mit ihrer eigenen technischen Fachsprache. Sie erhob den Wert psycbologischer Aussagen, Feststellungen und Ableitungen in den wissenschaftlichen Rang. Mit Beriwers Arbeitsbeginn war diese Leistung der Psychopathologie als objektivierender Methode ffir die Psychiatrie bereits tier in die Phase der Bew~ihrung eingetreten. Aus ihr ging in den

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foigenden Jabren u. a. eine groBe Gemeinschaftsleistung der Heidelberger Klinik, der Schizophrenic-Band im Bunkeschen Handbuch herVor, an dem auch Beringer mit zwei Arbeiten beteiligt war (Schizoid, Erblichkeit). Sicher ist, dab Beriwer sehr rasch eine ausgezeichnete formale Begabung ffir die ph/~nomenologische Betrachtungsweise in der Psychopathologic, wie fiberhaupt ffir ein aUgemein kritisches, abw/igendes, ableitendes und Vergleichendes, wenn mOglich klinisch experimentierendes Vorgehen ge- zeigt hat. Er hat dieses Vorgehen als via regia in seinen psychiatrischen ebenso wie in seinen neurologischen Studien und Arbeiten, aucb sonst in Klinik und Kolleg, immer gepflegt und verwirklicht. Hierhin gehOrt seine frfihe grundlegende Arbeit fiber ,,DenkstOrungen und Sprache bei Scbizo- phrenen", in der er die St6rung des Denkens und der Sprache als Aus- druck einer StOrung der formalen Denkstruktur herausgearbeitet hat, die er deskriptiv mit ,,Spannweite des intentionalen Bogens" zu veranschau- lichen versucbte. Neben ihrer Bedeutung ffir die Weise psychopathologi- scher Forschung ist diese Arbeit auch deshalb bier zu erw/ihnen, weil sic etwas Licht auf die damalige Situation zwischen Psychiatric und Neuro- logic und die Konsequenz, die Beringer bieraus ziehen wird, wirft.

Die hirnpathologische Forschungsricntung war in Deutschland immer weitgehend von den Psychiatern gepflegt worden (Wernicke, Meynert, Liepmann, Kleist). Hierbei war die Assoziationslehre im wesentlichen zur Anwend~ng gekommen. Mit der Jahrhundertwende etwa zeigen Forscher wie ,,S. Freud, der als einer der ersten auf die Notwendigkeit funktioneller Betrachtungsweise hinwies, Storch, Pick, Poetzl, Goldstein, die. keineswegs gerade Linie des Forschungsweges einer immer stfirker werdenden psycho- logischen Betrachtungsweise der Aphasien, die sich vonder herkOmmlichen Gebundenheit" - - an einer anderen Stelle der gleichen Arbeit spricht Beringer yon ,,den bisherigen Glaubenss~itzen" - - ,,16ste und damit zu neuen Fragestellungen gelangte". ,,Mit dieser Art der Betrachtung nfihern wir uns auch zweifellos der Auffassung mancher schizophrenen Sprach- absonderlichkeiten. Die vorhandene l<luft zwischen ,,organisch" und ,,funktionell" verkleinert sich." Hier sieht und findet die psychopatho- logisch ausgerichtete Forschungsrichtung in der Psychiatrie mit Beriwer ein ne~es ffir sie zust~indiges Arbeitsfeld. Das bedeutet, dab man, wie es Beringer bier bei der schizopbrenen Denk- und Sprachst6rung versuchte~ die groBen endogenen Psychosen, vor allen Dingen die Schizophrenie, in den Kreis denkpsychologischer und struktur-analytischer Betrachtungen, wie sie bei eindeutig organischen Hirnst6rungen angewandt wurden, ein- bezog und andererseits nun sich mit den gleichen Methoden auch selbst an der psychopathologischen Hirnforschung mit Begeisterung beteiligte. Beiden Bereichen hat sich Beringer ffir seine weitere Zukunft intensiv zu- gewandt und hat an deren Weiterentwicklung regsten Anteil genommen.

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Der ersteren Richtung hat Beringer bald eine besondere Wendung ge- geben. Schon bei tier formalen Analyse der schizophrenen Denkst6rung war er zu dem Ergebnis gekommen, dab er ,,nicht etwa ein Prim~irsymptom gefunden" hatte. Er hatte dies auch nicht erwartet. Noch voraussetzungs- loser in dieser Richtung hat er etwa die Sensibilit~it der Schizophrenen untersucht und festgestellt, dab sie Zeichen eines Funktionsabbaues boten, wie sie in ausgepr~igterer und weniger flfichtiger Weise yon v. Weizsdeker und Stein bei spinocorticalen. St0rungen als Furtktionswandel und Schwelle,labilitfit herausgestellt wurden. ,,Die Auswirkung einer All- gemeinstOrung" - - die der Schizophrenie zugrunde liegt - - ,,in irgend einem bestimmten spezifischen Funktionssystem wie hier dem des Druck- sinnes, kann ebert nur innerhalb der ffir dieses System bestehenden Eigen- gesetzlichkeit des Funktionsabbaues zum Ausdruck kommen". Diese Perspektive und die dahinterliegende Frage, wieweit diesen Feststellungen etwas, wenn auch nicht Spezifisches so doch etwas Spezielles in Bezug auf die Schizophrenie zugrunde liegen k6nnte, ist seit~er wenig welter verfolgt worden.

Rfickblickend m6chte man sagen, dab seine Habilitationsarbeit 1925, die Monographie fiber den Meskalinrausch, das Anliegen einer deskriptiven phfinomenologisch-psychologischen Darstellung am meisten erffillt. Die Grfindlichkeit der beoba~htenden Beschreibung, die so wichtige Ein- beziehung yon wertvollsten Selbstschilderungen treten hier leuchtend her- vor. Aber auch die, man m6chte sagen, selbstlose Beschdinkung auf klare begriffliche Gliederung und Nebeneinanderstellung des Beobachteten. Sinnesphysiologische Beobacht~ngen werden auch hier niedergelegt und in sp~iteren Arbeiten yon ihm und anderen weiter verfolgt. Daraus geht schon hervor, welche in seinem ,,Meskalinrausch" steckenden MOglich- keiten der weiteren Forschung er ergriffen hat.

Diese MOglichkeitea waren ja verschiedene. Unter anderem war es ge- geben, in weiteren psychopathologischen Deskriptionen gro6er Krankheits- bilder fortzufahren. Oder man konnte versuchen, die das hier gegebene psychologische Verstehen fiberschreitende MOglichkeit des Eindringens in eine Reihe psychotischer Erlebnisse Dis zum individuellen und wie man heute sagt, existenziellen Kern solchen Erlebens zu ergreifen. Letztere MOglichkeit hat Beri~ger mit groBer Vorsicht und Zurfickhaltung berfihrt. Er Warnte vor allem davor, die unfiberschreitbare Grenze zwischen experi- menteller Psychose und Schizophrenie zu fiberrennen. Er selbst hatte auch sehr bewuBte Grfinde, wie vor allem der menschlicben und/irztlichen Diskretion, dem individuellen und existenziellen Kern der einzelnen Meskalinpsychosen nicht welter nachzugehen. Entscheidend wird aber wohl die in der psychopathologischen Forscbungsrichtung selbst ge- legene Ablehnung einer 0berschreitung der Grenze allgemeingfiltiger, bjektivierender und auf den Durchschnitt gestellter MaBst~ibe gewesen

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sein, die ein Weiterfragen in dieser Richtung ausschlossen. In diese Richtung dfirfte es auch gehOren, dab keine systematischen Versuche zur individual-therapeutischen Verwertung solcher experimenteiler Psychosen gemacht wurden, wiewohl sp/iter an seiner Freiburger Klinik vereinzelte solche Experimente unternommen wurden.

Die andere MOglichkeit, einer Fortsetzung in der psychopathologischen Bearbeitung yon psychiatrischen Krankheitsbildern hat Ber/nger immer and his zuletzt besch~iftigt. Ihm bat sicher seit vielen Jahren sehr dring- lich eine psychopathologische Darstellung der endogenen Depression vor- gescLwebt, ffir die er auch immer wieder Mitarbeiter zu gewinnen suchte, ffir Teilbereiche auch fand. Wie oft hat er in Freiburg seit 1934 fiber diesen Wunsch wie fiber eine innere Verpflichtung gesprochen, ohne dab er zur vollen AusffiLrung gekommen w~ire. In seiner Arbeit fiber den ,,Ryth- mischen WecI.sel yon Enthemmtheit and Gehemmtheit als diencephale AntriebsstOrang" (1942) gibt er uns nur eine Probe seiner reichen Beob- achtungen and Erfahrungen an Endogendepressiven, wenn er sich mit ihrer so oft aus dem Rahmen der fibrigen psychiatriscben Symptomatologie herausfallenden reinen Gehemmtheit als Ausdruck ,,einer elementaren AntriebsstOrung" befalSt. Der Versuch, hier zu einer somatologischen Teil- erkl~irung des manisch-depressiven lrreseins zu kommen, bzw. bei der Interpretation d. h. hier der Aufeinanderzuordnung der psychopathologi- schen Symptome die nicht reduktionsf~ihigen psychischen Symptome und Beobachtungen an symptomatischen Psychosen - - bier der diencephalen AntriebsstOrung - - in Zusammenhang zu bringen, ist bemerkenswert. Mit diesem Vorgehen hat Beri~jer die psychopathologische Arbeitsweise richtunggebend beeinflul3t, was ja auch seinem sonstigen Bemfihen um einen immer breiteren Anschlul3 der Psychiatrie an die Gesamtmedizin entsprach. 61eichlaufend hiermit war auch seit langem seine verst~irkte Besch~iftigung mit der Neurologie. Dabei war far ihn auch das lnteresse an einer umfassenderen Ausbildung des Psychiaters zum Nervenfacharzt mit im Spiel. Die hier bestehenden M~ingel und Notwendigkeiten hatte er w/ihrend seiner einj~ihrigen Thtigkeit als niedergelassener Facharzt in Karlsruhe zu Beginn der zwanziger Jahre selbst anschaulich erfahren. Das, was Beri~jer an besonderen F~ihigkeiten in die Neurologie mitzu- bringen hatte, war neben seiner naturwissenschaftlichen and klinischen Exaktheit, seinem Interesse ffir die Hirnpathologie, die sich seit seiner Zusammenarbeit mit 11. Spatz an Bumkes Klinik (1931--34) noch vertieft und gefestigt hatte, wieder seine psychopathologisch geschulte Beobach- tungsgabe und Beschreibungskunst. SchOne Frfichte dieser Arbeit sind die kleine mit 1. Stein herausgebrachte ,,Analyse eines Falles yon ,Reiner Alexie'", die fiber den formalen Abbau bzw. Aufbau des Lesens, auch fiber die Bedeutung sinnesphysiologischer St0rungen, das ,lneinandergreifen psychologischer und organischer Faktoren" Auskunft gibt und leider trotz

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eines sehr grol~en eigenen Materials nie weitergeffihrt wtrrde. Ferner die Arbeit ,,Ober ein ungewOhnliches Anfallssyndrom bei postencephalitischem Parkinsonismus" und die schOnen, in frischerer Erinnerung liegenden Ar- beiten wie die bereits in anderem Zusammenhang genannte Arbeit fiber den ,,Rhythmischen Wechsel yon Enthemmtheit und Gehemmtheit ais diencephale AntriebsstOrung" sowie die Arbeiten fiber AntriebsstOrungen bei Marksch/idigung des Stirnhirns in denen die erhaltene Fremdanregbar- kei~ bei Schwund des Eigenantriebes herausgearbeitet wurde. Oberall die gleiche subtile Beobachtungsgabe und Schiiderungskunst, die sich ebenso auf die psychopathologischen wie die neurologischen Smptome erstreckte.

Diesen Forschungswegen, denen mit noch anderen Fragestellungen auch ein eigenes neurophysiologisches Laboratorium diente, war tier Blick und die Sorge ffir eine erfolgreiche therapeutische Arbeit beigesellt, nicht als etwas Nebens~ichliches oder auch nur Zus~itzliches, als Ausdruck seines, seinem Fach hingegebenen Lebens. Impulse und Anregungen hierzu batten ihm aul~er der Klinik und des bei Kongressen und in der Literatur zu- nehmend st~irker wahrnehmbaren aktivtherapeutischen Pulsschlags be- sondere eigene Erfahrungen vermittelt. Das Jahr als niedergelassener Facharzt hatte ihm u. a. ein unauslOschliches Verst~indnis ffir die Aufgaben, lnteressen und NOte des nicht klinisch t~itigen Nervenarztes und ffir die Besonderheiten der dort zustrOmenden Kranken und l<rankheiten gebracht. Der Drang und Zwang zum Handeln und Helfen lehrte ihn den Umgang mit Psychosekranken aul~erhalb der Ktinik fiben und pflegen. Die organi- schen Nervenkrankheiten regten zu verst~irkter Besch~iftigung mit ihnen an. Dort stellte sich ihm auch das Neuroseproblem, er pakte es an und ffihrte eingehende und aufregende psychotherapeutische Behandlungen durch. Mit diesen Erfahrungen h/ingt sicher auch vieles zusammen, was er sp~iter ausgeffihrt hat, seine zahlreichen VerOffentlichungen auf Gebieten die die Therapie (Metalues, Encephalitis epidemica, Progr. Paralyse, Meningitis, Kopfunf/~ile, lschias) sowie auch die diagnostische und prog- nostische Klfirung yon Krankheitsbildern (Multiple Sklerose, Encephalitis) betrafen, der grol~e Wert, den er einer gut geleiteten und mit therapeu- tischen MOglichkeiten versehenen Poliklinik - -we i t mehr als der eigenen Privatpraxis - - beilegte, die Sorge ffir den Ausbau der Hirnchirurgie, eine Arbeits- und Lehrstfitte fiir Psychotherapie und vieles andere. Bei der Bearbeitung psychotherapeutischer Fragen suchte er nun nach Wegen und Methoden, die sich in die seitherige psychopathologische Forschungs- weise einordnen liel3en und seiner naturwissenschaftlichen Grundeinstel- lung entsprachen.

,,DAB die Besch~iftigungs-oder Arbeitstherapie eine vortreffliche An- gelegenheit ist, braucht im einzelnen nicht mehr unter Beweis gestellt zu werden. In Deutschland verdankt sie Simon, unter dessen Leitung die Anstalt Gfltersloh ein Wallfahrtsort ffir die Psychiater wurde, eine wahre

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Renaissance." Mit diesen Worten leitete Beringer ein Referat fiber dieses Thema 1938 ein und stattet damit einen Dank an Simon ab, zu dem er selbst 1931 ,,gepilgert" war. Mit 0bernahme der Freiburger Klinik (1934) stellte er die psychiatrische Abteilung auf die moderne Besch/iftigungs- therapie mit vielen neugeschaffenen Werkst/itten und jungen Fachhand- werkern, die zu Pflegern umgeschult wurden, um. Sehr rasch folgte die Einfiihrung der Schockbehandlung, die die Arbeitstherapie erg~inzte, keines- wegs verdr~ngte. Die Freude und F/~higkeit Beringers in der Organisation dieser Neuerungen war unermeNich. Die stagnierte Klinik erhielt eine t~itige Lebendigkeit, Kranke und Pfleger ein anderes Gesicht. Die Wider- stiinde zerschmolzen in der Sicherheit, Zweckm/iBigkeit und Best/indigkeit seines eigenen Einsatzes. Es wurden Ans/itze zu einer Betrachtung der Psychosen unter therapeutischen Gesichtspunkten geschaffen. Der Kon- takt mit den Kranken war ein anderer, lebensn/iherer als friiher, so dab sie sich oft auch einer psychopathologischen Durchforschung in Werkstatt und Arztzimmer besser und anders erschlossen. In der Art und Intensit~it, mit der Beringer sich ganz der Durchformung und Durchgliederung seiner Klinik gewidmet und hierin Organe klinischer und wissenschaftlicher Arbeit und Forschung geschaffen hat, die auch einer vorzfiglichen Krankenver- sorgung und einer Verbesserung der Diagnostik und Therapie dienten, ist Spiegelung und Ausdruck seiner vielseitigen, aber aus bestimmten Quellen und klaren Entschliissen wirkenden PersOnlichkeit. In diesem Sinne, meine ich, ist gerade an dem profi!ierten Charakter seiner Klinik etwas yon dem zu erkennen, was auf ein /iugeres und inneres vielseitiges und geformtes Leben in dem Werk eines Mannes schlieBen l/igt.

In diesem tiitigen Leben ergab sich die Ffihrung und Belehrung seiner Arzte, auch der Pflegerschaft durch sein eigenes Wirken yon selbst und wirkte hierdurch besonders pr~gend. Gegenfiber den Studenten war sie ibm auch ein besonderes Anliegen. Die Zucht und Klarheit seines Vor- trags, die unsentimentale, aber menschliche N/ihe zu seinen t(ranken, die Heranffihrung an wissenschaftliches Denken wie an praktisch wichtige Fragen firztlichen Handelns kamen bier eindringend zu Wort. Sie schufen ibm in seinen HOrern eine ethisch gef~irbte Zuneigung und Bewunderung, die ibm auch manchen notbeladenen Studenten - - auch manchen Arzt in die Sprechstunde ffihrte.

Es soil und kann hier nicht ein ganzer und gar lfickenloser Aufrig seiner Lebensarbeit gegeben werden, die sich in wichtige Einzelheiten seines methodischen und menschlichen Wirkens ebenso wie in einzeine spezielle Arbeitsgebiete zu erstrecken h/itte, wie etwa seine Studien und Arbeiten auf forensisch-psychiatrischem Oebiet, die er auch in Vorlesung, Seminar und Zusammenarbeit mit juristen und Psycb.ologen pflegte; wobei seine eigene juristische Ader, die Heidelberger Tradition und auch das Bewugt- sein im Spiel waren, dab das eigene Fachwissen Pflichten und Verant-

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wortung fiber den eigenen Kliniks- und Wisseuschaftsbereich hinaus auf- gibt, die hier im Rechtsleben zur Geltung zu bringen und zu vertreten waren.

Ober solche Besonderungen hinaus hat sich Beringer neben seiner Klinik, seinen eigenen Publikationen und seiner LehrtMigkeit ein Organ geschaffen, in dem er ffir sein ganzes Fachgebiet Belehrung und Anregung aufnehmen und ordnen, ein Eigenes oder Verwandtes hinzufflgen und Fremdes zu Gehiir bringen und dies alles der FachWelt vermitteln konnte, den ,,Nervenarzt". Es ist bekannt, dal~ er 1929 Mitbegriinder dieser Zeitschrift, und seit 1935 der fiir den Originalienteil verantwortliche Herausgeber gewesen ist. Dort wird wohl gerade diese Leistung eine besondere Wfirdigung erfahren. Die Art, wie sie yon ihm durch- geffihrt wurde, hat sie zu einem besonderen Lebenswerk gemacht, das bleibend yon ihm zeugen wird. Man m0chte sagen, es ist die extra- vertierte Form seines intimeren und doch auch auf Ent~iugerung gestellten klinischen Schaffens gewesen, auch der Ausdruck seines sich selbst be- grenzenden Schaffens, das aber innerhalb dieser Begrenzung auf eine Auf- geschlossenheit ffir nichteigene Bereiche und deren treuh~inderische FOrde- rung bedacht war. Wer etwas Einblick hatte, weifi, wieviel Freude ihm dieses Schaffen gebracht hat, aber auch wieviel zfiher Fleil3, wieviel Un- verdrossenl~,eit Einsatz und Bestfindigkeit zum guten Vollbringen not- wendig waren.

Einmal war Beringer ein mfiheloserer Zusammenklang yon pers6nlicher Neigung fachlicher Begabung und zielgerichteter Forschung beschieden gewesen~ deshalb sei diese Episode seines Lebens erwfihnt, seine Teilnahme an der deutsch-russischen Syphilisexpedition in der Burjato-Mongolei im Jahre 1928. Hier s~ittigte er einmal das Fernweh des Schwarzw~ilders, er blieb yon dieser Zeit an ein begieriger Leser und Kenner yon alten und neuen Reisebeschreibungen und Expeditionsberichten. Er verwirklichte auf dieser Reise in einer ffir ihn idealen Weise die t(ombination yon Praxis, Forsthung sowie psychologischen, politischen und geographischen Studien und brachte auch einen ansehnlichen wissenschaftlichen Reingewinn nach Hause, u.a. die Erkenntnis, dab die Metalues in der Burjato-Mongolei, damns einem Land mit fast unbehandelter endemischer Syphilis, durch- aus vorkommt und demnach pathogenetisch nicht die Folge oderBegleit- erscheinung der in den zivilisierten L~indern gefibten Therapie sein kann.

Es sei der letzten Entfaltung seines Wirkens gedacht, die ihm auch zur Bewfihrung wurde. Die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg und der t(rieg selbst brachten ibm schwerste Sorgen und innere Konflikte. Seine psycho- iogischen und politischen Einsichten machten ihn gewiB nicht in seiner eigenen grunds~itzlichen Stellungnahme schwankend, die immer auf Ab- lehnung alles Unfreien und Unwahren, was sich hervortat, lautete. Aber er sah trod spfirte das Unglfick und Chaos herankommen und lift uns~iglich

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unter seiner Unentrinnbarkeit ffir aile, auch dies mit der ihm eigenen Grfindlichkeit und Realistik. Er war nicht bereit und mit seiner Wesertsart auch unf/Ahig, sich selbst soweit wie m6glich zu salvieren. GIeich zu Beginn des Krieges liel~ er sich als beratender Arzt verwenden und im ersten Rul~landwinter teilte er das Los der deutschen Ostfront, yon we er zum erstenmal als ernstlich kranker Mann zurfickkehrte. AIs Freiburg durch Bomben schwerst getroffen wurde und der ~iul~ere und innere Zusammen- bruch sich vollzog, wuchs Beringer fiber die Leitung und Organisation seiner Klinik, auch fiber die seitherige mal~gebende EinfluSnahme in seinem Facb, die ihm im Lauf der Jahre zugefallen war, weit hinaus. Er sammeite die Geschreckten und Besorgten, er widmete sich ganz der Hin- fiberrettung des Erhaltenen und Erhaltenswerten und seiner Verteidigung und Meb.rung in Fakult/At, Universifiit und 6ffentlichem Leben. Eine jahre- lange harte und ihn auch erffillende Arbeit, neben der er immer noch wichtige Etappen in der Organisation seiner Klinik vollzog.

Mit dieser letzten Ausweitung seines Arbeits- und Lebensraumes wuchs scin Bedfirfnis nach Intimit/it, Entspannung und Geselligkeit. Wiederholt zwangen ihn auch Krankheitsanf~ille zu gr0~erer Rficksichtnahme auf sich selbst. Diese erkl~iren aber nicht den gr0Beren Vorgang, denn die Zw/inge der Krankheit lie[~en ihn auch h~iufig versthrkt und in zu groi~em Ausmafi in seine Pflichtarbeiten hineintreiben. Sein Verlangen nach Weite und Intimit~it, das sich nun in noch versthrktem Ma~e im eigenen Haus und im Zusammenleben mit seiner Familie, we es schon immer seine Pflegest/itte gehabt hatte, aber auch mit seinen Freunden und Mitarfoeitern intensi- vierte, war zum mindesten auch der Ausdruck einer Befriedigung fiber das gelungene Werk, vor allem auch der letzten Jahre. Mit dem ihm oft eige- nen melancholiscben Unterton kleidete er dieses Bewul3tsein in vertrautem Kreise allerdings auch leicht in die Bemerkung, dab die Klinik und Uni- versifiit ihn ja jetzt nicbt mehr nOtig h~itten, das MOgliche sei gerettet, alas Notwendige und Gewfinscbte durchformt und mit guten Kdiften ver- sehen, so da~ er eigentlich fiberflfissig sei. Diese Ambivalenz, die er bereits seit 10 Jahren gelegentlich erkennen iiei~, hat es ihm doch ermOglicht, immer wieder neue und kluge Formen und Wege ffir sein Schaffen zu linden, und auch bei ihm selbst die Meinung, fiberflfissig zu sein, die nie- mand mit ibm teilen konnte, widerlegt. Weite und Intimifiit bedeuteten ihm ja au6h nicht letztlich ein Sichzurfickziehen aus ~ler seitherigen Arbeit, im Gegenteil suchte er dieses Verlangen auch bis in das wissenschaftliche Leben hinein zu verwirklichen. Wie er sich dies dachte und wie er es ver- wirklichte, daran m0gen alas 1947 bei ibm abgehaltene wissenszhaftliche Symposion und tier letzte yon ihm besorgte Kongre~ in Badenweiler er- innern, in anderer Weise auch die bei ihm nach diesem Krieg sich noch steigernde Umsichtigkeit und Weite bei der Herausgabe des Nervenarztes, der bei der Themenwahl sowohl viele grunds~itzliche Fragen der Psyche-

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pathologie als auch eine Reihe der bedeutendsten Forscher mit ihren keineswegs einer Richtung angehOrenden Lehren zu Worte kommen iieg. Wit wissen, dab er sich darfiber hinaus pers6nlich mit den aktueUen, uns alle beddingenden Problemen unserer Zeit, gerade bis in ihre grundlegenden Fragen hinein und gerade in seiner letzten Lebenszeit in Gespdich und Lektfire besonders angelegentlich befagt hat. In sein ~iuBeres Werk sind die Ergebnisse dieses Suchens und Strebens nicht mehr eingegangen.

In einem dem tfitigen Helfen wie der Wissenschaft angeh6renden Beruf gibt es offenbar die M0glichkeit, dab rich hier bei gegenseitigem Empfangen und Geben eine Einflugnahme und Begegnung einstellt, die selbst die Merk- male des Lebendigen hat und ein Leben darstellt. Hiervon hat Beriwer etwas in dem Sinn verwirklicht, dab zwischen seinem /irztlichen Beruf, seiner Wissenschaft und seinem sonstigen Leben, sowie es ibm gegeben war und wie er es geformt hat, eine Wechselwirkung stattgefunden hat; nicht in einer harmonisierenden, am wenigsten in einer romantischen Weise, sondem nfichtern, real, manchmal unerbittlich und fiber die eigene Kraft, immer wieder neu ausholend und suchend nach dem, was ihm aufgegeben war.

Professor Dr. Hanns Ru[/in, (22b) Mainz, Langenbeckstr. 1.