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Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich Sozialpädagogik Studiengang Pflege Diplomarbeit Kompetenzen für die Pflege von Menschen mit Demenz und deren Entwicklung durch multiperspektivische Fallarbeit Vorgelegt von: Alexandra Bartholl 25.07.2008 Betreuender Prüfer: Prof.Dr.P.Stratmeyer Zweitprüfer: Prof.Dr.W.Schütte

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Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich Sozialpädagogik

Studiengang Pflege

Diplomarbeit

Kompetenzen für die Pflege von Menschen mit Demenz und deren Entwicklung durch multiperspektivische

Fallarbeit

Vorgelegt von:

Alexandra Bartholl

25.07.2008

Betreuender Prüfer: Prof.Dr.P.Stratmeyer

Zweitprüfer: Prof.Dr.W.Schütte

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Vorwort Motivation für diese Arbeit war meine Tätigkeit in der Leitung eines ambulanten

Dienstes, der sich auf Demenz spezialisiert hat und in Kooperation mit der

Alzheimergesellschaft eine Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz betreut.

Als Verantwortliche für den Bereich der Fort- und Weiterbildung stellte sich mir die

Frage, wie Mitarbeiter/innen am effektivsten gefördert und qualifiziert werden

können. Denn schon nach einiger Zeit wurde deutlich, dass bei klassischen

Fortbildungseinheiten mit Theorieinput der gewünschte Effekt in der Praxis

ausblieb. Trotz meiner Bemühungen, bereits in der Fortbildungsveranstaltung

reflexive Momente durch Diskussionen einzufügen, und die Aktivität der

Teilnehmer durch z.B. Gruppenarbeit zu erhöhen, war spürbar, dass der Theorie-

Praxis-Transfer damit noch lange nicht gewährleistet werden konnte. Auf diese

Unwägbarkeiten meines Berufsalltags Antworten zu finden, ist mein Ziel. Es soll

entwickelt werden, welche Kompetenzen in der Pflege des Menschen mit Demenz

überhaupt benötigt werden und mit welcher Bildungsmethode sie entwickelt

werden könnten.

Ich danke allen, die mir in jedweder Form geholfen haben, diese Arbeit zu

vollbringen.

I

Page 3: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................................... I

Inhaltsverzeichnis ................................................................................................... II

Abbildungsverzeichnis ........................................................................................... IV

1. Einleitung ............................................................................................................ 1

2. Die Besonderheiten der Pflege von Menschen mit Demenz .............................. 3

2.1 Das Erscheinungsbild der Demenz ............................................................... 3

2.2 Die gesellschaftliche Situation ...................................................................... 5

2.3 Entstehung und Verlauf der Demenz nach Tom Kitwood ............................. 7

2.3.1 Standardparadigma ................................................................................ 7

2.3.2 Personsein ............................................................................................. 9

2.3.3 Bedürfnisse des Menschen mit Demenz .............................................. 10

2.3.4 Kategorisierung von pflegerischen Handlungen ................................... 13

2.3.4.1 Schädigendes Verhalten ................................................................ 13

2.3.4.2 Positive Interaktionen .................................................................... 14

2.4 Zielorientierung für die Pflege ..................................................................... 16

2.5 Der Kompetenzbegriff ................................................................................. 18

2.6 Identifikation der Kompetenzen für die Pflege

von Menschen mit Demenz .............................................................................. 24

2.6.1 Soziale Kompetenz zur Beziehungsgestaltung .................................... 27

2.6.2 Selbstreflexive Kompetenz ................................................................... 27

2.6.3 Klinische Beurteilungskompetenz......................................................... 27

2.6.4 Kompetenz zum ethischen Urteil .......................................................... 28

2.6.5 Kenntnisse und Handlungskompetenz hinsichtlich pflegerischer

Maßnahmen ................................................................................................ 28

2.6.6 Managementkompetenz ....................................................................... 29

2.6.7 Personengebundene Kompetenzen ..................................................... 29

3. Die Methode zur Kompetenzentwicklung ......................................................... 32

3.1 Die Auswahl der Methode ........................................................................... 32

3.2 Die multiperspektivische Fallarbeit ............................................................. 35

3.2.1 Die vier Phasen der multiperspektivischen Fallarbeit ........................... 35

3.2.2 Die Rahmenbedingungen ..................................................................... 37

II

Page 4: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

4. Die Praxisanwendung ...................................................................................... 38

4.1 Die Fragestellung und die Erhebungsmethoden ......................................... 38

4.2 Die praktische Durchführung der Fallarbeit ................................................. 39

4.2.1 Die teilnehmenden Mitarbeiter ............................................................. 39

4.2.2 Die Moderation ..................................................................................... 40

4.2.3 Der Ablauf und die Inhalte .................................................................... 41

4.3 Die Reflexion der Durchführung der Fallarbeit ............................................ 45

4.3.1 Die zu erwartende Reichweite der Ergebnisse ..................................... 45

4.3.2 Die Herleitung der Indizien und deren Kriterien .................................... 46

4.3.3 Die Ergebnisse ..................................................................................... 52

4.3.3.1 Die Videobeobachtung ................................................................... 52

4.3.3.2 Das Verhalten der Fallgeberin ........................................................ 59

4.3.3.3 Die Teilnehmerbefragung ............................................................... 61

4.3.3.4 Die Selbstreflexion .......................................................................... 64

5. Diskussion und Ausblick ................................................................................... 67

Literaturverzeichnis ................................................................................................ V

Anhang ................................................................................................................... X

Eidesstattliche Erklärung ....................................................................................... XI

III

Page 5: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

IV

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Die wichtigsten psychischen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz . 11

Abbildung 2: Die vier Dimensionen des pflegerischen Handelns .............................. 18

Abbildung 3: Involvement bei unterschiedlichen Lehrmethoden................................ 33

Abbildung 4: Interventionsplan für Bewohnerin ......................................................... 43

Page 6: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

1. Einleitung Vorliegende Arbeit behandelt, über welche Kompetenzen Pflegende im Umgang

mit Menschen mit Demenz1 verfügen müssen und beschreibt als

Bildungsmethode die multiperspektivische Fallarbeit, die geeignet sein könnte,

diese Kompetenzen zu entwickeln. Diese Fallarbeit wird in einem ersten Praxistest

angewandt und reflektiert.

Unter Pflegender/Pflegendem2, bzw. Pflegekraft werden in dieser Arbeit

Menschen verstanden, die mit der Pflege von Menschen mit Demenz befasst sind.

Die Tatsache, ob eine Ausbildung im Pflegeberuf vorliegt, wird außer Acht

gelassen. Dies liegt daran, dass hinterfragt werden kann, ob examinierte Kräfte

gegenüber den Ungelernten bei der Pflege von Menschen mit Demenz im Vorteil

sind. Wißmann begründet diese Zweifel mit der besonderen Notwendigkeit

persönlicher Fähigkeiten für die Pflege des Menschen mit Demenz. Fachlich

methodische Kompetenzen, die in den Ausbildungen vermittelt werden, treten in

ihrer Bedeutung zurück. So kann eine ungelernte Pflegeperson durchaus einen

positiven Zugang zum Menschen mit Demenz finden, positive Interaktionen

initiieren, eine hohe Beziehungsdichte aufbauen und selber dabei Freude und

Zufriedenheit erleben.3,4

In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass auch zukünftig erweiterte Aspekte

der psychosozialen Betreuung die Aufgaben von Pflege, gerade im Bereich der

Pflege von Menschen mit Demenz, ergänzen. Als Hinweis darauf sind

beispielsweise im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz, dass am 01.07.2008 in Kraft

getreten ist, die Sachleistungen für Betreuungsleistungen bei eingeschränkter

Alltagskompetenz gemäß §45 a-c SGB XI erheblich (von 460 Euro jährlich auf bis

1 Im Text wird stets die Formulierung „Mensch mit Demenz“ gewählt. Begriffe wie „Demenzkranker“ oder „Dementer“ werden abgelehnt. Zum einen kann m.E. nicht jeder Mensch mit Demenz als krank angesehen werden. Zudem stellt die Bezeichnung „Mensch mit Demenz“ den Menschen in den Mittelpunkt, nicht die Demenz. In der Literatur zum Thema findet sich auch der Begriff des „dementierenden Menschen“, der die Prozesshaftigkeit der Entwicklung betonen soll (siehe Bosch 2004) sowie auf die aktive Rolle der Betroffenen hinweisen will (vgl. Bölicke/ Steinhagen-Thiessen, S.181) 2 Einzig aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im nachfolgenden Text die männliche Geschlechtsform verwandt 3 vgl. Wißmann (2004) S.41 4 Schwerdt/Tschainer sehen es wiederum als erwiesen an, dass die Professionalisierung der Betreuung zu einer höheren Lebensqualität des Menschen mit Demenz führt. Hergeleitet wird diese Aussage aus einer Studie, die die Anwendung freiheitsbeschränkender Maßnahmen untersucht, sowie aus der erwiesenen Korrelation von niedriger Qualifikation und der Befürwortung von Therapie- und Pflegeverzicht. vgl. Schwerdt/Tschainer (2002), S.251

1

Page 7: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

zu 200 Euro monatlich) erhöht worden. Kitwood beschreibt, dass es in der

Demenzpflege im Wesentlichen um Erhalt und Stärkung des Personseins geht.

Das Schaffen von sicherer Umgebung, die Befriedigung von Grundbedürfnissen

und die Körperpflege sind essentiell, aber nur Teil der Pflege des ganzen

Menschen.5 Es wird in dieser Ausarbeitung davon ausgegangen, dass Pflege die

von Kitwood geforderte Betreuung umfasst.

Der erste Teil der Arbeit dient der Legitimation für die Auseinandersetzung mit

dem Thema und beschreibt Grundlagen. Hier wird ein Blick auf das Phänomen

Demenz geworfen. Er umfasst die Betrachtungen der gesellschaftlichen Situation,

Erscheinungsbild, Entstehung und Verlauf der Demenz sowie die Identifikation der

Kompetenzen, über die eine Pflegekraft bei der Pflege des Menschen mit Demenz

verfügen muss. Die Betrachtung der gesellschaftlichen Situation ergibt, in

welchem Ausmaß das Thema der Demenzpflege in den kommenden Jahren

Bedeutung haben wird. Kitwoods Ansatz6 über Entstehung und Verlauf einer

Demenz legt in diesem Teil die Grundlage für die Pflege des Menschen mit

Demenz. Seine theoretischen Erläuterungen stellen bisherige (schulmedizinische)

Aussagen in Frage und eröffnen neue Perspektiven und Herangehensweisen.

Die Identifikation der benötigten Kompetenzen ist notwendig, um Inhalte und

Zielvorgaben für Fortbildung nennen zu können, denn hierdurch wird konkret

vorgegeben, welche Kompetenzen der Mitarbeiter erlangen soll. Darauf müssen

Fortbildungsinhalte zugeschnitten werden.

Im zweiten Teil wird die multiperspektivische Fallarbeit als eine Methode

ausgewählt und beschrieben, mit deren Hilfe der Kompetenzerwerb in der Praxis

gefördert werden könnte.

Eine solche Fallarbeit wurde im Rahmen dieser Arbeit in der Praxis erprobt. Der

Praxisablauf sowie die Reflexion der Fallarbeit werden im dritten Teil beschrieben.

Eine zusammenfassende Diskussion zeigt die Limitationen der Ergebnisse,

Schlussfolgerungen und Empfehlungen schließen die Arbeit mit einem Ausblick

ab.

5 vgl. Kitwood (2005), S.194 6 Begründer des Ansatzes der person-centred care (der personen-zentrierten Pflege), in Anlehnung an Carl Rogers. Vgl. Kitwood (2005), S.21

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Page 8: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

2. Die Besonderheiten der Pflege von Menschen mit Demenz

Die Demenz verändert den betroffenen Menschen in einer Art und Weise, die ihn

vom nicht betroffenen Menschen in einigen Bereichen erheblich unterscheidet.

In diesem Kapitel werden verschiedene Aspekte um die Thematik Demenz

aufgegriffen. Eine Übersicht über das Themenfeld dient dazu, die zukünftige

Bedeutung des Phänomens Demenz für die Gesellschaft und die Pflege als

Profession zu verdeutlichen.

Daraus leitet sich ab, dass die Pflege von Menschen mit Demenz Aspekte

besonders berücksichtigen muss, die beim Menschen ohne Demenz so nicht im

Vordergrund stehen und somit für diese Pflege spezielle Anforderungen an die

Kompetenzen der Pflegekräfte gestellt werden müssen.

2.1 Das Erscheinungsbild der Demenz

Unter Demenz werden Hirnleistungsschwächen und Hirnstörungen mit

prozesshaftem Verlust der geistig-intellektuellen, also kognitiven und

gedächtnisbezogenen Fähigkeiten verstanden. Anfänglich treten leichte Störungen

der Merkfähigkeit auf, z.B. werden Namen von Bekannten vergessen. Im weiteren

Verlauf kommt es zu weiteren Defiziten, beispielsweise die räumliche Orientierung

betreffend. Auffällig werden die Schwierigkeiten des Betroffenen z.B., wenn

erstmalig die eigene Wohnung nicht wieder gefunden wird. In diesem Stadium des

Verlaufs wird das Voranschreiten deutlich sichtbar. Anfangssymptome können

noch mit der „normalen“ Altersvergesslichkeit, Stress, Übermüdung oder

ähnlichem erklärt werden. Dies ist nun nicht mehr möglich. Im letzten Abschnitt ist

die kognitive Leistung derart beeinträchtigt, dass extreme Beeinträchtigungen

vorliegen. Zum Beispiel werden nahe Angehörige nicht erkannt und alltägliche

Handlungen, wie der Vorgang des Essens, können nicht ausgeführt werden. Es

besteht dann ein Betreuungsbedarf in vielen, wenn nicht allen Bereichen des

Lebens.

Was dieser kognitive Abbauprozess für den betroffenen Menschen bedeutet, ist

äußerst vielschichtig.7 Bereits von Anfang an werden Defizite wahrgenommen. Ab

7 ausführlich: Schwerdt/Tschainer (2002), S.203-235

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Page 9: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

einem bestimmten Punkt wird deutlich, dass die Gedächtnislücken den Rahmen

des „normalen“ verlassen. Hier beginnt die Beunruhigung. Die nun auftretenden

Gefühle können mit Angst, Verunsicherung, Hilflosigkeit, Verzweiflung und einem

abnehmenden Selbstbewusstsein beschrieben werden.8 Die kognitiven Verluste

bewirken ein Gefühl der schwindenden Kontrolle, da die kognitiven Einbußen

voranschreiten und Kompensation unmöglich wird. Im voranschreitenden Verlauf

ist der Mensch mit Demenz darauf angewiesen, dass seine Umwelt Hilfestellung

leistet und Orientierung bietet. Somit erlebt der Betroffene zunehmende

Abhängigkeit. Dazu kommt eine sich verstärkende Entwicklung von

Fremdheitsgefühlen, da Vertrautes nicht mehr erkannt wird.9 Diese

Konfrontationen führen zu Stimmungsschwankungen, Depressionen oder

Panikattacken. Zudem kommt der Verlust der eigenen Identität, der Mensch mit

Demenz hat das Gefühl, sich nicht mehr auf sich verlassen zu können, bzw. sich

selbst nicht mehr zu kennen.10

Wie es zu Persönlichkeitsveränderungen oder so genanntem herausforderndem

Verhalten wie Depression, Aggression, Schlafstörungen, Wahn, Unruhe und Angst

kommt, ist nicht monokausal zu beantworten. Es können Folgen der Konfrontation

mit dem eigenen Abbau oder auch Kompensationsversuche sein.11 In jedem Fall

sind die Ursachen als multifaktoriell anzusehen, die Demenz an sich ist nicht

alleiniger Auslösefaktor.12

Eine weitere, bedeutende Rolle spielt das soziale Umfeld wie Angehörige und

Nachbarn. Diese reagieren gerade anfangs mit Unverständnis auf das sich

verändernde Verhalten, das in einigen Fällen auch mit scheinbaren

Wesensveränderungen einhergeht. Später werden bei den Angehörigen Wut,

Trauer und Verzweiflung über den geistigen Abbau des vertrauten Menschen

beobachtet. Gemeinsame Erinnerungen und somit Verbundenheit gehen verloren.

Ärzte und auch Pflegekräfte neigen dazu, den Menschen mit Demenz nicht mehr

als vollwertigen Gesprächspartner zu behandeln. Aufgrund der eingeschränkten

kognitiven Fähigkeiten wird dem Betroffenen der Status eines Kleinkindes

zuerkannt. So wird oft in Anwesenheit eines Menschen mit Demenz über, aber

8 vgl. Schwerdt/Tschainer (2002), S.204 9 vgl. Schwerdt/Tschainer (2002), S.206 10 vgl. ebd. 11 vgl. Schwerdt/Tschainer (2002), S.213 12 vgl. Halek/Bartholomeyczik (2006), S.81

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Page 10: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

nicht mit ihm geredet, er wird ignoriert.13 Dieses Verhalten beeinträchtigt die

soziale Unterstützung, die der Mensch mit Demenz in seiner Situation benötigt.

Die Folgen der beschriebenen Effekte für den Betroffenen in Bezug auf die

kognitive Leistungsfähigkeit sind vielerorts beschrieben. Was diese Folgen für das

(Er-)Leben des Menschen mit Demenz bedeuten ist individuell und im

fortgeschrittenen Verlauf schwer zu erheben, da die Betroffenen nicht mehr gezielt

befragt werden können. In allen Fällen ist der Mensch mit Demenz jedoch von

einem zunehmenden Verlust der Autonomie betroffen. Demenz bedeutet Angst,

Unsicherheit, Scham und vieles mehr. Die Betroffenen sind fortwährend gefordert,

mit den veränderten Umständen zurechtzukommen. Die Menschen im sozialen

Umfeld sind gefordert, die Bedürfnisse des Menschen mit Demenz zu erkennen

und sein Verhalten zu interpretieren, um Verständnis zu schaffen und unterstützen

zu können, statt die Betroffenen abzuwerten oder aufzugeben.

Dass das Potential zur emotionalen Wahrnehmung im Gegensatz zur kognitiven

Leistung nicht betroffen ist, soll an dieser Stelle betont werden. Die kognitive

Informationsaufnahme ist deutlich eingeschränkt, dadurch rückt die emotionale

Wahrnehmung um so mehr in den Vordergrund.14 Den emotionalen Bedürfnissen

ist somit bei der Umfeld- und Beziehungsgestaltung besondere Beachtung zu

schenken.

2.2 Die gesellschaftliche Situation

Die vielen statistischen Erhebungen über die Prävalenz der Demenz liefern keine

einheitlichen Zahlen. Gründe hierfür sind verschiedener Natur. Zum einen tendiert

die Verweigerungsquote zu recht hohen Werten, zum anderen berücksichtigen

Erhebungen, die auf kommunaler Ebene durchgeführt werden, Personen in

Langzeitpflege nicht. Darüber hinaus liefern die verschiedenen, diagnostisch

angewandten Tests durch den Unterschied in den Merkmalen, die sie abprüfen

bzw. untersuchen, uneinheitliche Zahlen und Ergebnisse in den

Prävalenzwerten.15 Trotz dieser Einschränkung, dass Zahlen nicht

unvoreingenommen akzeptiert werden dürfen, lässt sich eine klare Tendenz

erkennen. Als klassisches Altersphänomen erhöht sich die

13 vgl. Kitwood (2005), S.130; zur weiteren Beschreibung des schädigenden Umgangs mit Menschen mit Demenz siehe Kapitel 2.3.4.1 14 vgl. van der Kooij (2004), S.62 15 vgl. Kitwood (2005), S.51

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Page 11: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Auftretenswahrscheinlichkeit der Demenz mit steigendem Lebensalter. Die

Auftretenshäufigkeit verdoppelt sich ca. alle fünf Lebensjahre.16 Die

demographische Entwicklung lässt auf mehr als die Verdopplung der Fälle von

Menschen mit Demenz von derzeit ca.1 Million bis zum Jahre 2050 schließen.17

Das gleichzeitig abnehmende Pflegepotential in den Familien18 wird den

zukünftigen Bedarf an professioneller Pflege für Pflegebedürftige allgemein und

Menschen mit Demenz speziell ansteigen lassen. Die Zahlen in den europäischen

Nachbarländern zeigen, die Bevölkerungszahlen betreffend, eine ähnliche

Entwicklung auf.19 Auch das zahlenmäßige Potential der professionellen

Pflegekräfte nimmt ab. Zum einen schlichtweg durch die fortwährende Abnahme

der Gesamtzahl junger Menschen (durch sinkende Geburtenraten), zum anderen

durch eine derzeit beobachtbare Unattraktivität des Pflegeberufes. Lehrstellen

bleiben teilweise aufgrund nicht ausreichend qualifizierter Bewerber unbesetzt.20

Dazu kommt, dass der Pflegeberuf oftmals nicht bis zum Renteneintrittsalter

ausgeübt wird, der vorzeitige Berufsausstieg ist ein Phänomen, das die

Pflegeberufe im Vergleich mit anderen Berufsgruppen besonders betrifft.21 Somit

gilt es zu bedenken, wie zukünftig die Pflege sichergestellt werden kann. Eine

Möglichkeit ist der Einsatz von Quereinsteigern aus anderen Berufsgruppen. Um

diese zu qualifizieren, ist die Beschäftigung mit deren Kompetenzerwerb

notwendig. Professionell Pflegende sollten zukünftig über ein möglichst hohes

Kompetenzniveau in der Pflege des Menschen mit Demenz verfügen, um weitere

Pflegende wie z.B. Ehrenamtliche gezielt anzuleiten und deren Einsatz (und somit

die Pflege des Betroffenen) zu optimieren.

16 vgl. Lind (2000), S.10 17 vgl. Bickel (2002), S.1 18 Blinkert/Klie verstehen unter dem informellen Pflegepotential die im sozialen Unterstützungsnetzwerk vorhandenen, nichtberuflichen Helfer. Dies sind in erster Linie Ehe- bzw. Lebenspartner und die Kinder. Dabei gehen sie davon aus, dass das informelle Pflegepotential im Wesentlichen von drei Faktoren abhängt. 1. Der Entwicklung der Bevölkerungszahlen in den Altersgruppen, die für die Versorgung Pflegebedürftiger besonders wichtig sind. 2. Der Erwerbsquote in diesen Altersgruppen. 3. Der Anzahl der alleine lebenden Menschen. Die Entwicklung des informellen Pflegepotentials wurde exemplarisch in der Stadt Kassel untersucht. Auch bei der Annahme bestmöglicher Tendenzen (gute Vereinbarkeit von Beruf und Pflegetätigkeit) wird das informelle Pflegepotential spätestens ab 2020 deutlich abnehmen. vgl. Blinkert/Klie (2004), S.32, S.81ff. 19 vgl. Bickel (2002), S.2 20 vgl. Europäische NEXT-Studie 21 vgl. ebd. Die europaweite NEXT-Studie (Nurses early exit) beschäftigt sich mit den Ursachen dieses Phänomens, um diese beheben zu können und so dem Fachkraftmangel entgegenwirken zu können.

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Page 12: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

2.3 Entstehung und Verlauf der Demenz nach Tom Kitwood

Die Betrachtung von der Entstehung einer Demenz ist im Wandel. Die Suche nach

organischen Prozessen, die die Demenz auslösen, scheint in der Schulmedizin

von Erfolg gekrönt. Der Kausalität von neurologischer Veränderung und daraus

folgender Demenz stellt Tom Kitwood ein neues Paradigma als „generative

Grammatik“ entgegen. Die Voraussetzung für die Beschäftigung mit dem Thema

der Kompetenzentwicklung ist die Annahme, dass pflegerische Kompetenz

überhaupt einen Effekt auf das Verhalten und Befinden des Menschen mit

Demenz hat. Diese Annahme ist nicht unbedingt selbstverständlich, bzw. wird in

der Tragweite ihrer Gültigkeit verschieden eingeschätzt, wie das Kapitel über das

Standardparadigma zeigen wird. Das im Anschluss an das Standardparadigma

beschriebene Alternativmodell von Kitwood zeigt auf, dass sehr wohl andere als

die rein organischen Faktoren Einfluss auf den Menschen mit Demenz nehmen.

2.3.1 Standardparadigma

Kitwood betitelt das gesamte begriffliche Rahmenwerk der biomedizinischen

Forschung als weit davon entfernt, dem Problembereich angemessen zu sein.22

Er gibt drei besonders problematische Merkmale des biomedizinischen

Paradigmas, von ihm als Standardparadigma bezeichnet, an: 23

1. Die Vorstellung über die rein organische Ursache von Demenz:

Es wird nicht berücksichtigt, dass entwicklungsbedingte Aspekte, sowie

Erfahrungen und Abwehrmechanismen des Menschen in engem Zusammenhang

zur Nervenarchitektur stehen.

2. Die Theorie der Verursachung:

Innerhalb des Standardparadigmas wird angenommen, dass die Grundursache

einer Demenz eine genetische ist.

3. Lücken in der Erklärungskraft:

Nichtlineare Verläufe können mit Hilfe des Standardparadigmas nicht erklärt

werden. Neuropathische Prozesse erstrecken sich im zeitlichen Ablauf über Jahre

und schreiten im Allgemeinen relativ langsam fort. Die Demenz jedoch hat oft

extrem schnelle Zustandsveränderungen, wie beispielsweise nach einem

Krankenhausaufenthalten. Diese beiden Tatsachen passen nicht zusammen.

22 vgl. Kitwood (2005), S.60 23 vgl. Kitwood (2005), S.61

7

Page 13: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Ebenso bleibt im Standardparadigma die Erklärung für die Verbesserung geistiger

Fähigkeiten offen.24

Darüber hinaus trifft das Standardparadigma keine Aussagen über die effiziente

Pflege einer Person mit Demenz. Die Pflege bleibt in Forschung und Medizin

unberücksichtigt. Somit wird die Tatsache unterstellt, dass keine Verbesserung

erzielt werden kann, solange kein medizinischer Durchbruch bei der organischen

Behandlung25 gelingt.26

Auf die ausführliche Beschreibung des Standardparadigmas wird an dieser Stelle

verzichtet. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Entstehung der

Demenz in drei Typen unterteilt wird: Die Pathologie vom Alzheimer Typus (60%

der Fälle), die Pathologie vom vaskulären Typus (15% der Fälle) sowie

„gemischte“ Formen, bei denen eine Mischform der Alzheimer Demenz und des

vaskulären Typus vorliegt (15% der Fälle). Die verbleibenden 10% der Fälle

bestehen aus relativ selten auftretenden Erkrankungen wie z.B. dem Korsakoff-

Syndrom, Morbus Pick oder anderen. 27 Der Verlauf wird zumeist in drei Stadien

mit linearer Abfolge unterteilt. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach

Ausbruch einer Demenz liegt bei Menschen unter 65 Jahren (präsenile Demenz)

bei acht bis zehn Jahren. Beim Auftreten nach dem 65sten Lebensjahr (senile

Demenz) liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei acht Jahren oder

weniger.28 Lind benennt die körperlichen Abbauprozesse als Ursachen für die

Demenz.29

Kitwood hingegen sieht ein Zusammenspiel von psychischen und physischen

Umständen als Bedingungen an, aus und unter denen sich die Demenz entwickelt.

Ein besonderes Augenmerk, da vom Standardparadigma vernachlässigt, legt er

darauf, welchen Einfluss umgebende Faktoren, wie der Erhalt von intakten

Beziehungen, die Nutzung eigener Ressourcen oder das Erleben von

Abwechslung und Freude, auf den Verlauf der Demenz haben. Diese Faktoren

sind aus der Sicht des Standardparadigmas Äußerlichkeiten, getrennt von dem

24 vgl. Kitwood (2005), S.62 25 Lind stellt fest, dass wissenschaftliche Prognosen mit diesem Durchbruch ab dem Jahr 2015 rechnen. vgl. Lind (2000), S.5 26 vgl. Kitwood (2005), S.63 27 vgl. Lind (2000), S.6f. 28 vgl. ebd. 29 vgl. ebd.

8

Page 14: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

fortschreitenden Krankheitsprozess.30 Kitwood beschreibt auch körperliche

Zustände, die eine Demenz verstärken können31, ohne jedoch körperlichen

Prozessen allein die Ursache für die Demenz zuzuschreiben. Für ihn ist der zur

Demenz führende Prozess eine Folge von sowohl neurologischen als auch

sozialpsychologischen Veränderungen. Diese beiden Arten von Veränderungen

sind untrennbar miteinander verbunden.32 Kitwood schlägt vor, gesellschaftliche

und sozialpsychologische Aspekte als integrale Bestandteile des Abbauprozesses

einer Demenz zu betrachten.33 Die grundlegenden Begrifflichkeiten und Inhalte

Kitwoods theoretischer Aussagen sind:

2.3.2 Personsein

Kitwood definiert zunächst den Begriff des Personseins. „Es ist ein Stand oder

Status, der dem einzelnen Menschen im Kontext von Beziehungen und sozialem

Sein von anderen verliehen wird. Er impliziert Anerkennung, Respekt und

Vertrauen.“34 Es kann jemandem das Personsein ab- oder zuerkannt werden. Die

zentrale Rolle nimmt eine neue Betrachtung des Begriffs des Personseins ein.

Kitwood strebt eine humanwissenschaftliche Betrachtung, ergänzt mit

naturwissenschaftlichen Elementen, an. Die Annahme, dass Körper und Geist

getrennte Substanzen sind, wird abgelehnt.35 Kitwood beschreibt Psychologie und

Neurologie als untrennbar. Demnach ist es nicht so, dass Hirnaktivität eine

psychische Erfahrung auslöst oder umgedreht. Die Neurowissenschaft spricht sich

dahingehend aus, „dass es zwischen Menschen als Resultat von Lernen und

Erfahrungen unter Umständen sehr große Unterschiede im Entwicklungsgrad der

Nervenarchitektur gibt. Daraus folgt, dass Menschen sich (…) in der

Widerstandsfähigkeit gegen Demenz unterscheiden“36.

Weiter kann eine maligne Sozialpsychologie möglicher Weise das Nervengewebe

schädigen. Unter maligner Sozialpsychologie werden Episoden oder

Vorkommnisse mit entpersonalisierenden Tendenzen verstanden.37 Eine Demenz

30 vgl. Kitwood (2005), S.64 31 vgl. Kitwood (2005),S.58 32 vgl. Kitwood (2005), S.41 33 vgl. Kitwood (2005), S.85 34 Kitwood (2005), S.27 35 vgl. Kitwood (2005), S.37 36 Kitwood (2005), S.40 37 vgl. Kitwood (2005), S.75; eine genauere Betrachtung erfolgt in Kapitel 2.3.4.1

9

Page 15: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

könnte nach Kitwood durch Belastungen im Leben induziert werden.38 Umgedreht

beschreibt er mit dem Begriff des „rementing“ die Wiederherstellung personaler,

darunter auch geistiger Funktionen.39 In der Studie dieses Phänomens wurde

aufgezeigt, dass bei Anwendung entsprechender Programme nicht nur das

Wohlbefinden, sondern auch die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert werden

konnte.40 Die Auswirkungen von Pflege sind somit nicht nur psychologischer Natur

(dies würde die Fortsetzung der Zugrundelegung der Trennung von Geist und

Körper bedeuten), sondern hat Auswirkungen auf das neurologische Gefüge und

kann somit auf die Entwicklung einer Demenz einwirken.

Diese Annahme revolutioniert die bisherige Einschätzung, dass der Verlauf einer

Demenz therapeutisch nicht oder nur gering beeinflussbar ist. Pflegerische

Interventionen haben somit nicht nur Einfluss auf das Befinden des Menschen im

emotionalen Sinne, sondern auch auf die Entwicklung von neurologischen und

somit körperlichen Prozessen.

Kitwood verleiht dem Beziehungsaspekt des Personseins besonderes Gewicht. Er

legt Martin Bubers Formen des In-der-Welt-Seins zugrunde, wobei der Ich-Du-

Modus, das angesprochen Werden als Du im Sinne Bubers41, Voraussetzung für

das Personsein ist. Das mit einem anderen Menschen als Du in Beziehung zu

treten impliziert das Auf-den-anderen-Zugehen, das Sich-Öffnen, Spontaneität.42

Dem Erhalt des Personseins kommt eine besondere Bedeutung zu, da dieses

beim Menschen mit Demenz ins Hintertreffen zu geraten droht. Die Aspekte des

persönlichen Seins fallen nach Kitwoods Einschätzung denen der Pathologie und

Behinderung zum Opfer. Der Fokus auf die Demenz nimmt dem Betroffenen das

Personsein mit erheblichen Folgen für den Verlauf der Demenz.

2.3.3 Bedürfnisse des Menschen mit Demenz

Die Begrifflichkeit von Bedürfnis in Kitwoods Verwendung ist „eine starke und

bedeutet, dass »ein Mensch ohne dessen Befriedigung nicht einmal minimal als

Person funktionieren kann«“43. Kitwood lehnt eine Hierarchisierung von

Bedürfnissen ab und beschreibt die psychischen Bedürfnisse bei Demenz als eine

38 vgl. Kitwood (2005), S.40 39 vgl. Kitwood (2005), S.21 40 vgl. Kitwood (2005), S.97 41 vgl. Buber (1995) 42 vgl. Kitwood (2005), S.29 43 Kitwood (2005), S.121

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Page 16: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Gruppe, die sehr eng miteinander verbunden sind. Es gibt fünf große, einander

überschneidende Bedürfnisse. Diese fünf Bedürfnisse vereinen sich im zentralen

Bedürfnis nach Liebe:

Abbildung 1: Die wichtigsten psychischen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz Quelle: Kitwood (2005), S.122

Trost44

Das Bedürfnis nach Trost bekommt eine besondere Bedeutung, da der

Mensch mit Demenz durchweg mit Verlust (der kognitiven Fähigkeiten, der

Häuslichkeit etc.) konfrontiert wird. Trost geben bedeutet Wärme und

Stärke geben. Trost gibt Sicherheit durch nahes Beieinandersein,

Zärtlichkeit und Nähe.

Bindung45

Der Mensch als hochgradig soziales Wesen hat ein grundlegendes

Bedürfnis nach primärer Bindung. Diese Bindung gibt Sicherheit und erlaubt

dem Menschen zu funktionieren. Beim Menschen mit Demenz, dessen

Leben zunehmend von Unsicherheit und Angst begleitet sein kann, ist das

Bedürfnis nach Sicherheit stark ausgeprägt. Diese Sicherheit können

Bindungen geben.

44 vgl. Kitwood (2005), S.123 45 vgl. ebd.

11

Page 17: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Einbeziehung46

Lange war das Einbezogensein in eine Gruppe entscheidend für das

Überleben. Für den Menschen mit Demenz bedeutet die Befriedigung des

Bedürfnisses nach Einbeziehung, als jemand anerkannt zu werden, der

einen bestimmten Platz im gemeinsamen Leben einer Gruppe hat. Dieses

Bedürfnis wird oft unberücksichtigt gelassen.

Beschäftigung47

Beschäftigung sind persönlich bedeutsame Handlungen oder Tätigkeiten.

Zugrunde liegt die kindliche Erfahrung, Reaktionen hervorrufen und Dinge

verändern zu können. Zu beachten ist unbedingt, dass die Bedeutsamkeit

einer Beschäftigung individuell bemessen wird. Bleibt das Bedürfnis nach

Beschäftigung unerfüllt, drohen Langeweile, Nichtigkeit und der Verlust der

Selbstachtung.

Identität48

Identität zu haben bedeutet zu erkennen und zu fühlen, wer man ist. Durch

die Identität kann anderen eine Vergangenheit präsentiert werden.

Außerdem umfasst Identität eine Art roten Faden durch Kontexte und

Rollen im gegenwärtigen Leben. Da Menschen von anderen

Rückmeldungen und Reaktionen erhalten, wird Identität zum Teil von

anderen verliehen. Jede Identität ist einzigartig und individuell erschaffen.

Zum Erhalt der Identität sind zwei Dinge von großer Bedeutung. Zum einen

sollte die Lebensgeschichte eines Menschen detailliert gekannt und

berücksichtigt werden. Zum anderen bedarf es der Empathie, „auf eine

Person in der Einzigartigkeit ihres Seins als Du zu reagieren“49.

Durch die Befriedigung dieser fünf Bedürfnisse kommt für den Menschen mit

Demenz das Gefühl auf, wertvoll und geschätzt zu sein, sein globales

Selbstwertgefühl wird gestärkt. Kitwood stellt fest, dass der Erhalt des

Personseins durch die sensible Befriedigung dieser fünf Bedürfnisse geschehen

kann.

46 vgl. Kitwood (2005), S.123f. 47 vgl. Kitwood (2005), S.124 48 vgl. Kitwood (2005), S.125 49 Kitwood (2005), S.125

12

Page 18: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

2.3.4 Kategorisierung von pflegerischen Handlungen

Kitwood schreibt dem Verhalten gegenüber Menschen mit Demenz eine

entscheidende Rolle zu. Die Erhaltung des Personseins oder auch die

Untergrabung geschieht durch das Miteinander. Die verschiedenen Arten von

Verhalten werden beschrieben. Kitwood trifft Aussagen sowohl über Interaktionen,

die entpersonalisierende Tendenzen haben, als auch über Handlungen, die das

Personsein stärken und erhalten.

2.3.4.1 Schädigendes Verhalten

Der Begriff der malignen Sozialpsychologie wurde bereits eingeführt. Kitwood

widmete Teile seiner Forschung der Dokumentation solcher Episoden. Aus dieser

Dokumentation erarbeitete er eine Liste, die 17 Punkte umfasst:

„1. Betrug (treachery) – Einsatz von Formen der Täuschung, um eine

Person abzulenken, zu manipulieren oder zur Mitwirkung zu zwingen.

2. Zur Machtlosigkeit verurteilen (disempowerment) – jemandem nicht

gestatten, vorhandene Fähigkeiten zu nutzen; die Unterstützung beim

Abschluss begonnener Handlungen versagen.

3. Infantilisieren (infantilization) – jemanden sehr väterlich bzw. mütterlich

autoritär behandeln, etwa wie ein unsensibler Elternteil dies mit einem sehr

kleinen Kind tun würde.

4. Einschüchtern (intimidation) – durch Drohungen oder körperliche

Gewalt bei jemandem Furcht hervorrufen.

5. Etikettieren (labelling) – Einsatz einer Kategorie wie Demenz oder

„organisch bedingte psychische Erkrankung“ als Hauptgrundlage der

Interaktion mit der Person und zur Erklärung ihres Verhaltens.

6. Stigmatisieren (stigmatization) – jemanden behandeln, als sei er ein

verseuchtes Objekt, ein Alien oder Ausgestoßener.

7. Überholen (outpacing) – Informationen liefern, Alternativen zur Wahl

stellen etc., jedoch für die betreffende Person zu schnell, um zu verstehen;

der Betroffene gerät damit unter Druck, Dinge rascher zu tun, als er

ertragen kann.

8. Entwerten (invalidation) – die subjektive Realität des Erlebens und vor

allem die Gefühle einer Person nicht anerkennen.

13

Page 19: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

9. Verbannen (banishment) – jemanden fortschicken oder körperlich bzw.

seelisch ausschließen.

10. Zum Objekt erklären (objectification) – jemanden behandeln, als sei er

ein Klumpen toter Materie, der gestoßen, angehoben, gefüllt, aufgepumpt

oder abgelassen werden kann, ohne wirklich auf die Tatsache Bezug zu

nehmen, dass es sich um ein fühlendes Wesen handelt.

11. Ignorieren (ignoring) - in jemandes Anwesenheit einfach in einer

Unterhaltung oder Handlung fortfahren, als sei der bzw. die Betreffende

nicht vorhanden.

12. Zwang (imposition) – jemanden zu einer Handlung zwingen und dabei

die Wünsche der betroffenen Person beiseite schieben bzw. ihr

Wahlmöglichkeiten verweigern.

13. Vorenthalten (withholding) – jemandem eine erbetene Information oder

die Befriedigung eines erkennbaren Bedürfnisses verweigern.

14. Anklagen (accusation) – jemandem Handlungen oder deren

Unterlassen, die sich aus einer fehlenden Fähigkeit oder einem

Fehlinterpretieren der Situation ergeben, zum Vorwurf machen.

15. Unterbrechen (disruption) – plötzlich oder in störender Weise in die

Handlung oder Überlegung von jemandem einbrechen; ein rohes

Aufbrechen des Bezugsrahmens einer Person.

16. Lästern (mockery) – sich über die „merkwürdigen“ Handlungen oder

Bemerkungen einer Person lustig machen; hänseln, erniedrigen, Witze auf

Kosten einer anderen Person machen.

17. Herabwürdigen (disparagement) – jemandem sagen, er sei

inkompetent, nutzlos, wertlos etc.; Botschaften vermitteln, die der

Selbstachtung einer Person schaden.“50

2.3.4.2 Positive Interaktionen

Im Gegenzug zu den schädigenden Verhaltensweisen benennt Kitwood zwölf

positive Interaktionen, die das Personsein stärken. Sie wirken verstärkend auf

positive Gefühle, unterstützen Fähigkeiten oder helfen, seelische Wunden zu

50 Kitwood (2005), S.75f.

14

Page 20: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

heilen.51 Nach der genaueren Erläuterung der zwölf Interaktionen leitet Kitwood im

späteren Verlauf die sich daraus ergebenden Anforderungen an eine

Betreuungsperson ab. Die Interaktionen und die sich daraus ergebenden Anteile

der Pflegeperson seien hier genannt:

„1. Anerkennen (recognition). Die Betreuungsperson bringt eine offene und

vorurteilslose Haltung, frei von Tendenzen des Stereotypisierens oder

Pathologisierens mit und begegnet der Person mit Demenz in ihrer

Einzigartigkeit.

2. Verhandeln (negotiation). Die Betreuungsperson stellt alle vorgefertigten

Annahmen über das, was zu tun ist, zur Seite und wagt es, zu fragen, zu

beraten und zuzuhören.

3. Zusammenarbeiten (collaboration). Bewusst wird vom Einsatz von

Macht und damit von jeder Form des Aufdrängens und des Zwangs

Abstand genommen. Für die Person mit Demenz wird „Raum“ geschaffen,

so weit wie möglich zur Handlung beizutragen.

4. Spielen (play). Die Betreuungsperson ist frei, sich auf einen freien,

kindlichen, kreativen Weg des Seins zu begeben.

5. Timalation (timalation). Die Person mit Demenz erfährt Vergnügen auf

direktem Weg über die Sinne, und das bedeutet, dass sich die

Betreuungsperson mit ihrer eigenen Sinnlichkeit wohlfühlt – ungestört durch

Schuld oder ängstliche Hemmung.

6. Feiern (celebration). Über die Belastungen und unmittelbaren

Anforderungen der Arbeit hinaus ist die Betreuungsperson für Freude offen

und dankbar für das Geschenk des Lebens.

7. Entspannen (relaxation). Die Betreuungsperson ist für eine Weile frei,

die aktive Arbeit zu unterbrechen und sogar mit dem Planen aufzuhören.

Sie identifiziert sich positiv mit dem Bedürfnis mancher Menschen mit

Demenz: Tempo drosseln, und Körper und Geist eine Ruhepause gönnen.

8. Validation (validation). Die Betreuungsperson geht über ihren

Bezugsrahmen mit seinen vielen Bedenken und Sorgen hinaus, um den

anderen empathisch zu verstehen; das Erkennen wird herabgesetzt und die

Sensibilität gegenüber Gefühl und Emotion erhöht.

51 vgl. Kitwood (2005), S.133

15

Page 21: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

9. Halten (holding). Welches Leid die Person mit Demenz auch immer

durchläuft, die Betreuungsperson bleibt voll präsent – beständig,

selbstsicher und reaktionsbereit, fähig, den Widerhall jeder verwirrenden

Emotion im eigenen Sein zu tolerieren.

10. Erleichtern (facilitation). Hier wird eine feinsinnige und sanfte

Phantasie aufgerufen. Es besteht die Bereitschaft, auf die Geste einer

Person mit Demenz zu reagieren – nicht, indem ihr Bedeutung

aufgezwungen wird, sondern durch Teilnahme am Schaffen von Bedeutung

und am Ermöglichen von Handlung.

11. Schöpferisch sein (creation) durch die Person mit Demenz. Die von

der Person mit Demenz initiierte schöpferische Haltung wird als solche

gesehen und anerkannt. Die Betreuungsperson reagiert, ohne die Kontrolle

zu übernehmen.

12. Geben (giving) von Seiten der Person mit Demenz. Die

Betreuungsperson ist bescheiden genug anzunehmen, was immer ihr eine

Person mit Demenz an Freundlichkeit oder Unterstützung gibt, und ehrlich

genug, ihre eigene Bedürftigkeit anzuerkennen. Vorstellungen eines

Wohltäters oder Spenders von Mildtätigkeit alten Stils haben keinen

Raum.“52

2.4 Zielorientierung für die Pflege

Vorangehend soll eine Zielorientierung für die Pflege von Menschen mit Demenz

abgeleitet werden. Kitwood bezeichnet die Hauptaufgabe der Demenzpflege „im

Erhalt des Personseins angesichts versagender Geisteskräfte53“. Wie der Erhalt

des Personseins erreicht wird, beschrieben die vorangegangenen Abschnitte. Zur

Ergänzung soll an dieser Stelle eine weitere Autorin, nämlich die Niederländerin

Corry Bosch, herangezogen werden. Bosch hat eine Forschungsarbeit

ausschließlich der Erkundung der Perspektive des Menschen mit Demenz

gewidmet. Das Erleben der Wirklichkeit des Menschen mit Demenz wird darin

durch eine qualitative Studie erhoben.

Es ist das Ziel, die Perspektive des Pflegebedürftigen nicht nur zu beachten,

sondern in den Mittelpunkt zu stellen.

52 Kitwood (2005), S.173f. 53 Kitwood (2005), S.125

16

Page 22: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Die Erkenntnis, wie der Mensch mit Demenz seine Umgebung erlebt, wurde von

der Studie „Vertrautheit“ vorangetrieben. Durch teilnehmende Beobachtung fand

Bosch heraus, dass es für den Menschen mit Demenz von großer Bedeutung ist,

Vertrautheit zu erleben. Diese Vertrautheit geht dem Menschen mit Demenz durch

die kognitiven Verluste nach und nach verloren. Die Umgebung und die darin

agierenden Personen werden zunehmend nicht mehr erkannt und somit als fremd

erlebt. Dies stellt für den Menschen mit Demenz eine andauernde Situation der

Überforderung und Hilflosigkeit dar. Der Mensch mit Demenz versucht daher

nachvollziehbarer Weise, vertraute Menschen und Umgebungen aufzusuchen.

Inhaltlich erleben Männer und Frauen unterschiedliche Situationen als vertraut.

Frauen sind von der Sehnsucht erfüllt, zu Hause zu sein und ihre Aufgabe erfüllen

zu können und sich um die Familie zu sorgen. Für Männer hat die Arbeit eine

zentrale Position und gibt ihnen ein vertrautes Gefühl.54 Diese unterschiedliche

Bedeutungszumessung erklärt Bosch durch die soziale Biographie, die einen

wichtigen Einfluss auf das Erleben und auf das sich hieraus ergebende Verhalten

hat.55 Somit ist nach Bosch das Schaffen von Vertrautheit eine wichtige Aufgabe

der Pflege. Versuche, den Menschen mit Demenz in die (objektive) Realität

zurückzuholen und das Erleben und Verhalten zu korrigieren, sind erfolglos und

kontraindiziert. Solche Versuche verstärken das Erleben von Fremdheit und

wirken frustrierend, bedrohlich und sogar traumatisierend.56

Zusammenfassend sei gesagt, dass Pflege sich an dem Erleben des zu

pflegenden Menschen mit Demenz orientieren muss, um dessen Personsein

erhalten zu können. Neben generellen Aussagen, wie den hier zitierten aus der

Bosch-Studie oder Kitwoods Ausführungen über Bedürfnisse, besteht die Identität

jedes Menschen mit Demenz aus anderen Inhalten. So ist beispielsweise nicht für

alle Männer die Arbeit oberste Priorität, oder auch der Aspekt des

Einbezogenseins mag für den einen mehr Bedeutung haben als für den anderen.

Die Ergebnisse geben sicherlich hilfreich Richtungen vor, können aber sicher

niemals auf jeden gleichbedeutend übertragen werden.

54 vgl. Bosch (1998), S.153 55 vgl. Bosch (1998), S.154 56 vgl. Schwerdt/Tschainer (2002), S.246

17

Page 23: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Kitwood entwickelte ein Instrument, das Dementia care mapping, welches eine

Beobachtung mit dem Ziel, das Erleben des Menschen mit Demenz auch

individuell einzuschätzen, ermöglichen soll. Auch andere bestehende Ansätze in

diese Richtung57 verfolgen dieses Ziel.

Die Zielorientierung benennt somit ganz allgemein die Erhaltung des Personseins,

jedoch kann dieses Ziel für jeden Menschen mit Demenz nur individuell und mit

speziell abgestimmten Schwerpunkten erreicht werden. Für die Bestimmung

dieser Inhalte können genannte Ansätze Hilfestellung geben.

2.5 Der Kompetenzbegriff

Der Begriff der Kompetenz ist in der Literatur verschiedentlich verwandt.58 Drei

Beispiele aus der Pflegewissenschaftlichen Literatur sollen einen Überblick über

pflegewissenschaftliche Interpretationen des Begriffs der Pflegekompetenz

verschaffen, bevor eine fachlich übergeordnete, spezifischere Definition des

Begriffs Kompetenz erfolgt.

Olbrich beschreibt in ihrer Arbeit die vier Dimensionen des pflegerischen

Handelns, die in einer hierarchischen Stufung aufeinander aufbauen:

Abbildung 2: Die vier Dimensionen des pflegerischen Handelns Quelle: Olbrich (2001), S.273

Des Weiteren beschreibt Olbrich die einzelnen Elemente der Pflegekompetenz als

Komponenten. Herausragende Komponenten von besonderer Bedeutung sind die

57 Z.B. „personalized Care Pathways“ nach Joanne Schofield; vgl. Schofield (2005) 58 vgl. Olbrich (2001), S.271; Gnahs (2007), S.19

18

Page 24: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

reflektierende Komponente, die emotionale Komponente, die Intuition, Phantasie

zur kreativen Problemlösung und die advokatorische59 Komponente.60

Bei der Entwicklung der Pflegekompetenz führt Wissen nicht automatisch zu

Können. Der Urteilskraft, das eigene Lernen und Handeln zu reflektieren, kommt

eine besondere Bedeutung zu.61 Pflegekompetenz ist also Ausdruck einzelner

Komponenten der Person in ihrer Gesamtheit und umfasst nicht nur einzelne

Komponenten beruflichen Handelns.62 Die Kompetenz konstituiert sich in den drei

Bereichen des Denkens, Fühlens und Handelns.63 Da Pflegekompetenz immer im

Bezug zu einem Pflegebedürftigen steht, kommen die Dimensionen der

Intersubjektivität, der Transaktionalität und auch der Interaktionalität hinzu.

Pflegekompetenz gestaltet sich also immer im Zusammenwirken mit dem

Patienten und auch unter Einbeziehung des Umfeldes beider Personen.64 Eine

zusammenfassende Definition des Kompetenzbegriffs ist nach Olbrich durch die

Vielfältigkeit des Begriffes Kompetenz in seiner ursprünglichen Sprachableitung

und in seinem heutigen Gebrauch nicht möglich.65

Nach Holoch umfasst der Kompetenzbegriff sowohl das „Fähig sein zu“ als auch

das „zuständig sein“.66 Pflegekompetenz wird getragen von einer ethisch-

fürsorglichen Einstellung, orientiert an den Prinzipien der Care-Ethik, mit dem

Bewusstsein über die Asymmetrie der Pflegebeziehung und deren Konsequenzen.

Kompetenzen bei der Unterstützung oder Kompensation von Fürsorgepraktiken

und Selbstpflegehandlungen sind ein weiters Element. Dieses kommt allerdings

nur hilfreich zur Wirkung, wenn eine klinisch-pragmatische Kompetenz vorliegt,

womit Holoch das Zuhören, das Beobachten und das interpretieren Können

meint.67 Weiter beinhaltet Pflegekompetenz eine kognitive Komponente, die

Nachdenken, Reflektieren und einen offen-experimentellen Umgang mit der

komplexen Pflegepraxis ermöglicht.68 Als abschließende Forderung an

59 “Anwalt für einen Patienten sein” 60 vgl. Olbrich (2001), S. 278f. 61 vgl. Olbrich (2001), S.282 62 vgl. Olbrich (1999), S.91 63 vgl. Olbrich (1999), S.97 64 vgl. Olbrich (1999), S.91 65 vgl. Olbrich (1999), S.12 66 vgl. Holoch (2002a), S.67 67 vgl. Holoch (2002a), S.101 68 vgl. Holoch (2002a), S.116

19

Page 25: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

pflegekompetentes Handeln formuliert Holoch die Notwendigkeit, über Pflege zu

sprechen und Pflege in Worte zu fassen. Damit soll das unerfasste und versteckte

Wissen der Pflegeexperten vom persönlichen zu einem sozial geteilten Wissen

gemacht werden, das für alle zugänglich ist und geteilt und weiterentwickelt

werden kann.69 Es sei von Interesse für die Pflegeausbildung, höhere mentale

Funktionen zu entwickeln, das heißt generelle Kompetenzen, die die Bewältigung

unterschiedlicher Pflegesituationen ermöglichen.70 Holoch gibt Hinweise für den

Erwerb dieser höheren Kompetenzen. Sie beschreibt den Ansatz des situierten

Lernens.71 Für die Grundausbildung werden drei Methoden benannt und auch

teilweise überprüft: Der Einsatz von Pflegegeschichten, das Lernen von Experten

sowie das Erlernen des selbständigen (geplanten) Handelns.72

Benner definiert den Begriff der Pflegekompetenz nicht. Vielmehr beschreibt sie

die fünf Stufen der Kompetenzentwicklung73 und die dazugehörigen Merkmale.

Beschrieben werden Merkmale, an denen man die jeweilige Kompetenzstufe der

Pflegekraft erkennt. So sind, als ein Beispiel für ein Merkmal, Experten nicht mehr

auf Regeln oder Richtlinien angewiesen und sind in ihrem Handeln vom Gefühl

und von der Intuition geleitet, während der Anfänger Regeln und Prinzipien

benötigt, um in der für ihn fremden Situation handeln zu können.74 Benner gibt

Merkmale vor, an denen Pflegekompetenz erkannt und eingeschätzt werden kann.

Die Kompetenzstufe gilt für den jeweiligen Arbeitsbereich. Eine Pflegekraft, die

beispielsweise in der Intensivpflege ein Experte ist, kann beim Wechsel in ein

neues Arbeitsfeld, z.B. die Pflege von Menschen mit Demenz, wieder als Anfänger

starten, da keine Erfahrungen in diesem Feld vorliegen.75 Somit kann

Pflegekompetenz nur im Kontext von Zeit und Umfeld betrachtet werden. Die

Inhalte von Pflegekompetenz beschreibt Benner durch 31 verschiedene

Kompetenzen, die in sieben Bereiche eingeteilt wurden.76 Diese Kompetenzen

69 vgl. Holoch (2002a), S.117 70 vgl. Holoch (2002b), S.257 71 vgl. 3.1 in dieser Arbeit 72 vgl. Holoch (2002a) Kapitel V 73 1. Anfänger 2. Fortgeschrittener Anfänger, 3. Kompetenter Pflegender, 4. Erfahrener Pflegender, 5. Experte; Zugrunde liegt das Modell des Kompetenzerwerbs der Brüder Dreyfus. 74 vgl. Benner (1994), S.41ff 75 vgl. Benner (1994),S.42 76 vgl. Benner (1994), S.62. Diese Bereiche sind: 1. Helfen, 2. Beraten und Betreuen, 3. Diagnostik und Patientenüberwachung, 4. Wirkungsvolles Handeln in Notfällen, 5. Durchführen und

20

Page 26: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

und Bereiche entwickelte Benner durch eine situativ-interpretative Auswertung von

Interviews und Beobachtungen von Krankenpflegepersonal im Krankenhaus.

Weiter gibt Benner konkrete Empfehlungen, wie Pflegekompetenzentwicklung in

den einzelnen Stufen gefördert werden kann. Dazu gehören die Bearbeitung von

erfundenen bzw. in den höheren Kompetenzstufen von realen Fällen77, die

Schilderung von Praxisbeispielen aus Expertensicht78, die gezielte

Zusammenstellung der Teams nach Kompetenzniveau79 sowie das systematische

Beschreiben von kritischen Pflegesituationen durch Experten80.

Diese drei Autorinnen beschreiben Pflegekompetenz. Diese Beschreibungen sind

von größerer Reichweite und betrachten nicht, wie in dieser Arbeit, ein spezielles

Aufgabenfeld von Pflege. Pflegekompetenz ist bei den drei Autorinnen ein

übergeordneter Begriff. Es wird das Phänomen der Pflegekompetenz beschrieben,

aber nicht für einzelne Handlungsfelder der Pflege inhaltlich gefüllt. Die einzelnen

Elemente der Pflegekompetenz werden als Komponenten (Olbrich) oder aber

auch als Kompetenzen (Holoch, Benner) benannt, somit ist hier die uneinheitliche

Begriffsverwendung am Beispiel belegt.

In dieser Arbeit wird hergeleitet, was Pflegekompetenz für das spezielle

Aufgabenfeld Demenz sein kann. Zu diesem Zweck wird im folgenden eine

Begriffsbestimmung vorgenommen und zugrunde gelegt, die als allgemein und

übergeordnet angesehen werden kann und nicht der Pflegewissenschaft speziell

entstammt. Die vorhergegangenen, pflegetheoretischen Aussagen werden in der

weiteren Arbeit berücksichtigt, es soll hier jedoch gesondert eine inhaltliche

Bestimmung des Begriffs der Kompetenz vorgenommen werden.

Nachfolgende Begriffsbestimmung wurde wegen ihrer Übersichtlichkeit aufgrund

von Strukturierung und Zusammenfassung gewählt.

Überwachen von Behandlungen, 6. Überwachung und Sicherstellung der Qualität der medizinischen Versorgung, 7. Organisation und Zusammenarbeit, vgl. Benner, S.64 77 vgl. Benner (1994), S.46f. und S.49 78 vgl. Benner (1994), S.54 79 vgl. Benner (1994), S.179 80 vgl. Benner (1994), S.53

21

Page 27: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Gnahs beschreibt den Kompetenzbegriff als umfassenden Ansatz, mit dem

simultan drei Ziele erreicht werden sollen: 81

Persönliche Entfaltung

Gesellschaftliche Teilhabe

Beschäftigungsfähigkeit

Gnahs gibt genaue Definitionen der Begrifflichkeiten:

„Kompetenz ist die Fähigkeit zur erfolgreichen Bewältigung komplexer

Anforderungen in spezifischen Situationen. Kompetentes Handeln schließt den

Einsatz von Wissen, von kognitiven und praktischen Fähigkeiten genauso ein wie

soziale und Verhaltenskomponenten (Haltungen, Gefühle, Werte, Motivationen).

Eine Kompetenz ist also zum Beispiel nicht reduzierbar auf ihre kognitive

Dimension, sie beinhaltet mehr als das.“82

Dagegen ist Qualifikation die Bündelung von Wissensbeständen und

Fähigkeiten, die in organisierten Bildungsprozessen vermittelt werden. Allerdings

beschränkt sich die Vermittlung auf das aktuelle Vorhandensein

prüfungsrelevanter Kenntnisse und Fähigkeiten, da die vermittelte Qualifikation

durch Prüfungen evaluiert und testiert wird. Ein Nachweis des Transfers des

Erlernten in die Berufspraxis erfolgt nicht.83

Der Kompetenzbegriff beinhaltet nach Gnahs fünf Bausteine:

Die Komponente Wissen meint Kenntnisse von Fakten und Regeln, die abrufbar

zur Verfügung stehen. Die individuellen Wissensbestände variieren durch

Vergessen, Veralterung von Wissen und durch das Hinzufügen von neuen

Wissensbeständen.84

Im Gegenzug zum Wissen wird bei der Komponente Fertigkeiten auf die

sensumotorischen Aspekte abgestellt. Fertigkeiten können eingeübt oder

verbessert, aber auch verlernt werden. Beispiele wären das Verabreichen einer

81 vgl. Gnahs (2007), S.12 82 OECD:The Definition and Selection of Key Competncies. Executive Summery. S.4 http://www.oecd.org/dataoecd/47/61/35070367.pdf ; übersetzt und zietert bei Gnahs (2007), S.21f. 83 vgl. Gnahs (2007), S.22 84 vgl. Gnahs (2007), S.25

22

Page 28: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Subcutaninjektion aber auch das Beurteilen einer Körpersekretion durch Ansehen.

Der Fertigkeitsbegriff beinhaltet die Nutzung aller Sinne.85

Der Begriff Dispositionen meint Persönlichkeitseigenschaften. Die Persönlichkeit

soll mit Hilfe von Kategorisierung erfassbar gemacht werden. Der Einsatz von

Kategorien wie den „Big Five“86 ist umstritten, jedoch konnten sie in diversen

Studien validiert werden. Die Dispositionen sind vergleichsweise stabil,

neurowissenschaftliche Studien sagen aus, dass der Prozess der

Persönlichkeitsbildung mit der Pubertät abgeschlossen ist und nur noch unter

extremen Bedingungen Änderungen stattfinden.87 Bei Akzeptanz dieser Tatsache

wären die Dispositionen tatsächlich ein Element der Kompetenz, das die

Entwicklungsfähigkeit von Kompetenzen einschränkt.

Bei der Komponente Werte handelt es sich um Haltungen und Einstellungen, die

eine Person individuell entwickelt. Beeinflussend können Faktoren wie familiäre,

kulturelle oder politische Kontexte sein, sowie Religion und anderes.88 Doch auch

organisatorische Kontexte können Einfluss nehmen, und somit besteht eine

Veränderbarkeit durch den Arbeitgeber oder auch die Kollegen. Somit sind Werte

als Komponente der Kompetenz zu Teilen beeinflussbar, je nachdem, an welchen

Faktoren der Einzelne seine persönlichen Werte ausrichtet.

Als letzte Komponente ist die Motivation eine die Kompetenz beeinflussende

Größe. Motivation sind handlungsanregende Interessen oder Emotionen.

Motivation kann intrinsisch (Widmung einer Sachen um ihrer selbst willen) oder

extrinsisch (Widmung einer Tätigkeit wegen der Konsequenzen) beeinflusst

sein.89

von der Fertigkeit zur Produktion von Sprachlauten und dem Wissen um

Der Begriff der Fähigkeit ähnelt dem Kompetenzbegriff am meisten. In dieser

Arbeit wird der Fähigkeitsbegriff enger gefasst als der Kompetenzbegriff und

bedeutet die Zusammenfassung bzw. das Zusammenspiel von Wissens- und

Fertigkeitskomponenten. Ein Beispiel wäre die Lesefähigkeit als Zusammenspiel

85 vgl. Gnahs (2007),S.25 86 Die fünf Kategorien sind „Neurotizismus“ (emotionale Stabilität), „Extraversion“ (Offenheit gegenüber anderen), „Verträglichkeit“, „Gewissenhaftigkeit“ und “Offenheit für neue Erfahrungen”, vgl. Gnahs (2007), S.26 87 vgl. Gnahs (2007), S.25 88 vgl. Gnahs (2007), S.26 89 vgl. Gnahs (2007), S.26f.; Zimbardo (1995), S.439

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Page 29: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Bedeutung von Wörtern, Satzzeichen und Satzbauregeln. Somit ist der

Fähigkeitsbegriff so etwas wie ein Oberbegriff für Kenntnisse und Fertigkeiten.90

Diese Aufschlüsselung des Kompetenzbegriffs macht also deutlich, inwiefern der

Kompetenzentwicklung durch äußeren Einfluss, in diesem Fall der Personalarbeit

durch Fortbildung, Grenzen gesetzt sind. Eine umfassende

Kompetenzentwicklung ist somit nicht zu gewährleisten. Allerdings bieten

Teilbereiche der Kompetenz gute oder sehr gute Aussichten, durch

Schulungsmaßnahmen verbessert zu werden. Die Aufteilung in die fünf

Komponenten gibt Hilfestellung bei der Einschätzung, welche der Anforderungen,

die von Seiten der Fachleute an die Pflegepersonen der Menschen mit Demenz

gestellt werden, mit Aussicht auf Erfolg entwickelt werden können.

2.6 Identifikation der Kompetenzen für die Pflege von Menschen

mit Demenz

In der Fachliteratur werden an mehreren Orten Hinweise auf Fähigkeiten,

Kompetenzen oder auch Eigenschaften gegeben, über die Pflegepersonen bei der

Pflege von Menschen mit Demenz verfügen müssen. So gibt auch Kitwood

Hinweise auf Anforderungen an eine Betreuungsperson.91 Vorangehend fordert

Kitwood, dass Betreuungspersonen in der Pflege „freie Aufmerksamkeit“ geben

müssen. Das bedeutet, für jemanden ohne Störungen von innen und außen

präsent sein zu können. Das Gegenüber muss ohne Vorurteile und von

Projektionen getragenen Reaktionen wahrgenommen werden. Das Vermitteln

dieser freien Aufmerksamkeit ist schwierig, aber von entscheidender Bedeutung.

Da Demenz universelle Ängste aktiviert92, ist es besonders wahrscheinlich, dass

Störungen von innen, der „eigene Ballast“, der Pflegeperson im Wege stehen und

ein Präsentsein erschweren oder verhindern.93 Somit ist Bedingung, dass die

Pflegeperson ihrem „Ballast“, also den eigenen Ängsten, Verletzlichkeiten oder

Schmerzen, ins Auge sieht und sich damit auseinander setzt. Im Präsentsein sieht

Kitwood die Qualität, die allen echten Beziehungen und jeder Ich-Du-Begegnung

90 vgl. Gnahs (2007), S.27 91 vgl. Kitwood (2005), S.171ff. 92 Vgl. Kitwood (2005), S.172 93 vgl. Kitwood (2005), S.172

24

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zugrunde liegt.94 Diese Anforderung beschreibt eine Art des Seins. Spezifischer

auf Handlungen zugeschnitten, beschreibt Kitwood zwölf Interaktionsarten95. Um

diese erfüllen zu können bedarf es nach Kitwood einer hoch entwickelten Person,

die offen, flexibel, kreativ, mitfühlend und reaktionsbereit ist und sich innerlich wohl

fühlt.96 Im Pflegealltag muss die Pflegekraft einen Weg finden, mit den

verschiedenen Anforderungen, die sich teilweise gegenseitig im Weg stehen,

zurechtzukommen. Außerdem müssen kompetente Pflegekräfte die Schwächen

anderer Kollegen ausgleichen. Darüber hinaus müssen in anderen Bereichen des

Gesundheitssystems entstandene Folgen mitgetragen werden, wie beispielsweise

nach einem Krankenhausaufenthalt.97 Im Idealfall sind Pflegekräfte offen für die

Komplexität der Aufgaben, ohne auf schnelle, kurzfristige Notbehelfe zu drängen.

Dies erfordert eine außergewöhnlich hohe psychische Widerstandskraft.98

Kitwoods Anforderungen sind gut hergeleitet aus dem von ihm erstellten Bild der

Demenz. Allerdings sind die Anforderungen für eine Übertragung auf ein

Kompetenzprofil für die Pflegekraft zu wenig systematisiert und konkretisiert.

Darüber hinaus werden größtenteils Anforderungen an die Person, also

personengebundene Kompetenzen gefordert, deren Entwicklungsfähigkeit im

Rahmen von Schulungsmaßnahmen fraglich ist. Im Gegenzug werden die

Anforderungen an Wissen und Fertigkeiten der Pflegepersonen bei Kitwood eher

vernachlässigt.

Da entwicklungsfähige Kompetenzen im Interesse dieser Arbeit stehen, wurde

nach einer anderen Auflistung von Kompetenzen für die Pflege von Menschen mit

Demenz gesucht.

Aufgrund der Systematik und inhaltlichen Ergiebigkeit sowie der Fokussierung auf

die schulbaren Kompetenzen wird in dieser Arbeit die Auflistung der „besonderen

Anforderungen an die Pflege von Demenzkranken“ aus dem vierten Bericht zur

Lage der älteren Generation der Bundesregierung und die diesem Bericht

zugrunde liegende Expertise99 als Grundlage herangezogen. Sie ergänzt

Kitwoods Darlegungen, ohne ihnen zu widersprechen, die Autorinnen der

94 vgl. Kitwood (2005), S.173 95 Siehe Kapitel 2.3.4.2 96 vgl. Kitwood (2005), S.174 97 vgl. Kitwood (2005), S.175 98 vgl. ebd. 99 Schwerdt/Tschainer (2002)

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Page 31: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Expertise zum vierten Altenbericht beziehen sich selbst auf Kitwoods theoretische

Erkenntnisse. Der vierte Altenbericht benennt sieben Kompetenzen: Soziale

Kompetenz zur Beziehungsgestaltung, selbstreflexive Kompetenz, klinische

Beurteilungskompetenz, Kompetenz zum ethischen Urteil, Kenntnisse und

Handlungskompetenz hinsichtlich pflegerischer Maßnahmen,

Managementkompetenz und personenbezogene Kompetenzen. Die Kompetenzen

sollen als performative Kompetenzen verstanden werden, also als solche

Kompetenzen, die den Praxis-Theorie-Praxis-Transfer ermöglichen, damit

theoretische Konzepte individuell und der Situation angemessen angewendet

werden.100 Den beschriebenen Kompetenzbereichen setzen Schwerdt/Tschainer

zunächst grundlegende Kenntnisse voraus:101

Kenntnisse der Wert- und Zielorientierung der Pflege des Menschen mit

Demenz

Epidemiologische Daten zum Erkennen der gesellschaftlichen Bedeutung

Soziologisches Wissen über Stigmatisierung von Pflegenden, die mit

Menschen mit Demenz arbeiten

Wissen um die Gefahr der Verzerrung des allgemeinen Fremdbildes Älterer

durch das stetige vor Augen haben von Pflegebedürftigen

Wissen um das niedrigere Prestige der Altenpflege im Vergleich zur Pflege

im Akutversorgungsbereich sowie die Auseinandersetzung damit

Kenntnis des Spektrums der pflegerischen Interventionsmöglichkeiten

Kenntnis von institutionellen und informellen Angeboten

Kenntnisse der gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen

Psychologische Erkenntnisse über Stress und Bewältigung

Bedeutung von Kontinuität

Entwicklungspsychologische Grundlagen

Kenntnisse des Pflegeprozesses

Personenorientierung und Bedeutung der Interaktion

Pflege und Einbeziehung des sozialen Umfeldes

Wissen um das Krankheitserleben

Pflege- und psychodiagnostische Grundlagen

100 vgl. Schwerdt/Tschainer (2002), S.254 101 vgl. Schwerdt/Tschainer (2002), S.252f.

26

Page 32: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Kenntnisse der Krankheitsstadien und Abgrenzung zu anderen

Krankheitsbildern (z.B. Depression)

Nach dieser Zusammenfassung des Grundlagenwissens werden nun die

Kompetenzen beschrieben:

2.6.1 Soziale Kompetenz zur Beziehungsgestaltung102

Das Gestalten einer tragfähigen Beziehung ist von besonderer Bedeutung. Um

diese Beziehung gestalten zu können, muss ein Perspektivenwechsel

vorgenommen werden können, um die Pflegesituation aus Sicht des

Pflegebedürftigen beurteilen zu können. Hierfür sind allgemeine Kenntnisse über

die Geschichte der Alterskohorte sowie spezielle Kenntnisse über die Biographie

des einzelnen von Vorteil. Tagesschwankungen in den Fähigkeiten sowie

Befindlichkeiten müssen von der Pflegekraft erspürt werden.

Der Altenbericht empfiehlt die Unterstützung der Mitarbeiter bei der Vornahme des

Perspektivenwechsels durch die Schaffung von Bearbeitungsmöglichkeiten (z.B.

Supervision).

2.6.2 Selbstreflexive Kompetenz103

Pflegenden müssen bereit sein, bisherige Kenntnisse und Fertigkeiten als

vorläufig zu betrachten. Eigene Erfahrungen müssen stets als vorläufig betrachtet

und infrage gestellt werden können. Um dieses sicherzustellen, müssen bewusste

„Reflexionspausen“ eingelegt werden.

Es wird empfohlen, die Selbstreflexion zu unterstützen, z.B. durch

Supervisionsgruppen.

2.6.3 Klinische Beurteilungskompetenz104

Die Pflegekraft sollte in der Lage sein, den Pflegebedarf des Menschen mit

Demenz erheben zu können. Hierzu zählt neben seinem Zustand auch sein

Handlungs- und Bewältigungspotential. Hierbei muss die Individualität des

Einzelnen im Fokus stehen, Stereotypisierungen sind problematisch. Pflegende

102 vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.2002), S.282f.;ebenso Schwerdt/Tschainer (2002), S.254, 257 103 vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.2002), S.283;ebenso Schwerdt/Tschainer (2002), S.254 104 vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.2002), S.283;ebenso Schwerdt/Tschainer (2002), S.256f.

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Page 33: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

müssen über ein differenziertes klinisches Urteilsvermögen verfügen und

bedeutsame Unterschiede erkennen. Auch bei dem Erkennen von und Reagieren

auf Ursachen von Verhalten ist Beurteilungskompetenz von Nöten, um

bedürfnisgerecht handeln zu können. Weiter muss bei der Pflege in der

Häuslichkeit die gesamte Situation beurteilt werden können, z.B. die Potentiale

und Belastungen der Angehörigen oder Optimierungspotentiale des häuslichen

Umfeldes. Eigene Grenzen müssen erkannt werden, und bei Bedarf sollen andere

Professionen hinzugezogen werden.

2.6.4 Kompetenz zum ethischen Urteil105

Wenn fachlich notwendige Maßnahmen verweigert werden, ergeben sich für die

Pflegekraft ethische Dilemmata. Beim Menschen mit Demenz verhindern

Pflegekräfte Eigen- und Fremdgefährdung. Dennoch muss die größtmögliche

Selbstbestimmung des Menschen mit Demenz angestrebt werden. Hierbei ist von

Fall zu Fall zwischen der Autonomie des Patienten und der notwendigen

Durchführung pflegerischer Maßnahmen zur Abwendung weit reichender

negativer Folgen für die Gesundheit abzuwägen. Dafür benötigt die Pflegekraft

ethisches Urteilsvermögen.

2.6.5 Kenntnisse und Handlungskompetenz hinsichtlich pflegerischer Maßnahmen 106

Hiermit sind Kenntnisse gemeint, die traditionell im Mittelpunkt der

Berufsausbildung stehen, die aber nicht auf technisch korrekte Abläufe reduziert

werden können. Dies gilt für den Pflegebedürftigen mit Demenz im Besonderen,

da z.B. die morgendliche Waschung hohe Anforderungen an den Menschen mit

Demenz stellt und somit eine Stresssituation bedeutet. Mit dieser komplexen

Situation muss die Pflegekraft kreativ umgehen, um Gefühle des Versagens und

Überforderung für den Pflegebedürftigen zu vermeiden. Der Altenbericht empfiehlt

Kenntnis und Anwendung der Methode der Validation mit den Elementen der

klientenzentrierten Gesprächsführung nach Rogers als deren Grundlage. Die

Kenntnis von verbal und körpersprachlich angemessener Kommunikation gehören

105 vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.2002), S.283;ebenso Schwerdt/Tschainer (2002), S.256f. 106 vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.2002), S.283f.;ebenso Schwerdt/Tschainer (2002), S.255

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Page 34: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

dazu. Darüber hinaus gehören zu den pflegerischen Tätigkeiten Beratung und

Anleitung nicht nur der Pflegebedürftigen, sondern auch der Personen im direkten

Umfeld. Möglichkeiten weiterer Hilfen z.B. Hilfsmittel oder Möglichkeiten der

Finanzierung müssen aufgezeigt werden können. Zusammenfassend benötigt die

Pflegekraft Methodenkenntnisse in Beratung und Anleitung.

2.6.6 Managementkompetenz107

Das Managen der Pflege und Betreuung eines Menschen mit Demenz im Sinne

der Prozessverantwortung und –steuerung stellen laut Altenbericht die zentralen

Aufgaben und Verantwortungsbereiche der professionellen Pflege dar. Die

Delegation von Aufgaben an Hilfskräfte muss vom Einzelfall abhängig gemacht

werden, nicht von der Art der Tätigkeit. So ist beispielsweise die Durchführung der

Körperpflege bei einem bestimmten Pflegebedürftigen auf Hilfskräfte übertragbar,

jedoch nicht grundsätzlich bei allen zu Pflegenden. Eine weitere Rolle spielt die

Fähigkeit für das Managen der zeitlichen Ressourcen. Der Mensch mit Demenz

reagiert auf Stress und Unruhe bei knappen Zeitressourcen.108 Die gegebene Zeit

auch in Phasen der Personalknappheit für die Pflegebedürftigen optimal

einzuteilen, ist die Aufgabe an die Pflegekraft. Weiter ist die Gestaltung des

Tagesablaufs und des Milieus ein Bestandteil der Managementkompetenz. Als

Ziel hierbei sind im Altenbericht eine Stabilität in der Tagesstruktur sowie die

Möglichkeit von Sinneserfahrungen und Akzeptanz angegeben. Die

Kooperationskompetenz wird benötigt, da Pflegende ein Verlaufsmanagement

sicherstellen sollen und hierbei eine Stellvertreterrolle für den Menschen mit

Demenz einnehmen. Die Übergänge in der Pflegebedürftigkeitskarriere sollen

durch die Pflegenden begleitet werden.

2.6.7 Personengebundene Kompetenzen109

Die personengebundenen Kompetenzen sind als eine Sondergruppe zu sehen, da

sie an die einzelne Person gebunden gesehen werden und somit nur schwer oder

gar nicht erlernbar sind. Die Pflegeperson bringt diese Kompetenzen im Idealfall

107 vgl.Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.2002), S.284f.;ebenso Schwerdt/Tschainer (2002), S.255 108 vgl. Lind (2000), S.57 109 vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.2002), S.285;ebenso Schwerdt/Tschainer S.258ff.

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Page 35: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

also mit. Diese Aufzählung wird im späteren Verlauf der Arbeit vernachlässigt, da

es um erlernbare Kompetenzen gehen wird.

Als Fähigkeiten, über die eine Pflegeperson verfügen sollte gelten:

• die Motivation, sich mit Menschen zu beschäftigen, die die kulturellen

Kommunikationsregeln nicht mehr beachten können

• eine Toleranz und auch Wertschätzung der besonders großen,

psychischen und körperlichen Nähe in der Arbeit mit dem Menschen

mit Demenz

• die Bereitschaft und Fähigkeit zur „warmen Sorge“, in der die eigene

Persönlichkeit zur Geltung gebracht wird

• eine hohe Beziehungsfähigkeit, getragen von Authentizität und

Wertschätzung

• eine hoch entwickelte moralische Haltung mit maximaler Toleranz

dem Menschen mit Demenz gegenüber

• die Neugierde auf den Menschen mit Demenz und die Bereitschaft,

ihm in seinem Erleben wohl zu tun

• die ständige Korrektur der eigenen Person, um nicht persönliche

Werte und Normen zu verallgemeinern

• Flexibilität, Kreativität und assoziatives Denken

• eine hohe Chaos- und Frustrationstoleranz

• Beherrschung von Ekelgefühlen

• der Umgang mit stigmatisierenden Erfahrungen im Umgang mit

anderen Berufsgruppen oder Angehörigen

• Kenntnisse über Strategien zum Stressmanagement

• Humor

Dieser Bereich der personengebundenen Kompetenzen spielt nicht nur im

Altenbericht eine Rolle, sondern auch bei anderen Autoren, die Anforderungen an

die Pflege- bzw. Betreuungspersonen von Menschen mit Demenz formulieren.110

Es spielt die grundlegende Frage eine Rolle, ob das Miteinander erlernbar ist, und

inwieweit Einstellungen zum anderen, also das eigene Menschenbild veränderbar

sind. So finden sich z.B. auch bei Carl Rogers, der vom Therapeuten Empathie,

Kongruenz und Akzeptanz bzw. Wertschätzung des Klienten fordert, um eine

110 Siehe Bosch (1998), Kitwood (2005) etc.

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Page 36: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

klientenzentrierte Gesprächstherapie gelingen zu lassen, Abschnitte darüber, wie

ein Therapeut ausgebildet werden kann, welche der drei Vorgaben seiner

Einschätzung nach entwickelt werden können. 111 Dass nicht abschließend

festgestellt werden kann, inwiefern und inwieweit Einstellungen und Haltung von

außen, sprich durch Personalentwicklungsmaßnahmen beeinflusst werden

können, ist insofern von Bedeutung, als dass sich mit einer Klärung dieser Frage

der Kreis der entwickelbaren Kompetenzen vergrößern könnte. In dieser Arbeit

wird die Einschränkung, die der Altenbericht vorgibt, übernommen.

Im Weiteren werden daher die ersten sechs Kompetenzen fokussiert. Ihre

Entwicklung wird als möglich vorausgesetzt und angestrebt. Daher ist der nächste

Schritt die Auswahl einer geeigneten Methode.

111 vgl. Rogers (2004), S193

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Page 37: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

3. Die Methode zur Kompetenzentwicklung

3.1 Die Auswahl der Methode

Zur fachlichen Qualifizierung der Mitarbeiter und zur Erfüllung leistungsrechtlicher

Vorgaben werden jährlich hohe Summen für Fortbildungsmaßnahmen

ausgegeben. In vielen Fällen kann der Erfolg dieser Maßnahmen kritisch

hinterfragt werden. Nach wie vor wird den meisten Fortbildungskonzepten ein

Lernverständnis zu Grunde gelegt, dass das Lernen als kognitiven Akt versteht, in

dem es um Informationsaufnahme und –verarbeitung geht.112 Auch in den

gerontopsychiatrischen Fachweiterbildungslehrgängen werden überwiegend

lediglich Wissensbestände vermittelt.113 Der Transfer dieses Wissens in das

Handeln soll durch kognitive Verarbeitungsleistung erfolgen.114 Unter Transfer

wird der Vorgang verstanden, in dessen Rahmen die Übertragung von in einem

Zusammenhang Gelerntem auf einen anderen Zusammenhang erfolgt.115 Dass

dieses nicht oder schlecht gelingt, äußert sich darin, dass fortgebildete Mitarbeiter

im Handeln keine Fortschritte aufweisen und auch selber das Gefühl haben, nicht

vorangekommen zu sein. Dieses führt bei manchen Mitarbeitern sogar zu einer

ausgewiesenen Fortbildungsmüdigkeit. Diese Erkenntnis berücksichtigen Autoren

neuerer pflegedidaktischer Literatur. So findet man zum Beispiel das Konzept des

situierten Lernens (Holoch). Es besagt, dass sich das Wissen nicht nur in den

Köpfen der Menschen abspielt, sondern immer im sozialen Kontext eingebunden

ist (situiert).116 Gelernt wird von Experten und zwar dann, wenn deren Wissen

zeitnah an realen Problemen dargestellt wird, zum Beispiel in der Bearbeitung von

Fallgeschichten117. Bedeutsam ist für den gelingenden Wissenstransfer, dass

Gekonntes oder Erkanntes mit der Perspektive anderer in Verbindung gesetzt

wird.118 Dies soll die gesuchte Methode ermöglichen.

Dass von Experten gelernt wird, vertritt auch Benner. Sie empfiehlt die Anleitung

durch, im Kompetenzniveau höher einzustufende, Kollegen. Pflegende auf den 112 vgl. Wissmann (2004), S.60 113 vgl. beispielsweise Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 114 vgl. Wissmann (2004), S.62 115 vgl. Wittneben (2002), S.88 116 vgl. Wissmann (2004), S.63, Holoch (2002a), S.35 117 Es liegen vielfältige Möglichkeiten der Falldefinition und Fallbearbeitung vor. Die Typologie fallbezogener Methoden und deren Einsatz findet sich beispielsweise bei Steiner (2004), S. 173ff. 118 vgl. Wissmann (2004), S.64

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Page 38: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

höchsten beiden Kompetenzniveaus können Nutzen aus dem Austausch

untereinander ziehen.119

Eine ausführliche theoretische Begründung der fallorientierten Didaktik findet sich

bei Hundenborn, die den Schluss zieht, „dass Kompetenz und

Kompetenzentwicklung nicht als abstrakte Befähigung verstanden werden,

sondern vielmehr gebunden sind an Pflege- und Lebenssituationen“120.

Ein weiterer Aspekt bei der Auswahl der Methode war der Aktivitätsgrad der

Teilnehmer. Grundannahme ist, dass der Lernerfolg bei ansteigendem

Aktivitätsgrad zunimmt. Meixner beschreibt den vergleichsweise hohen Erfolg der

eher aktiven Methode Gruppendiskussion gegenüber der eher passiven Methode

des Zuhörens eines Vortrages.121

Auch an anderen Stellen wird bezüglich des Lernerfolgs auf die Überlegenheit der

erfahrungsbezogenen Lehrmethoden gegenüber den traditionellen Lehrmethoden

verwiesen:

Abbildung 3: Involvement bei unterschiedlichen Lehrmethoden Quelle: Haas, Meixner, Online, 13.07.2008.

Wißmann, dessen Qualifizierungsprogramm „Brücken bauen zum Menschen mit

Demenz“ auf der Kritik an bisherigen Fortbildungsansätzen basiert, legt der

119 vgl. Benner (1994), S.178f. 120 Hundenborn (2006), S.8 121 vgl. Meixner (1995), S. 70

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Page 39: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Fortbildung im Bereich der Pflege des Menschen mit Demenz Annahmen zu

Grunde, die die bisher formulierten Anforderungen bestätigen und ergänzen:122

• Das Konzept der personenzentrierten Pflege von Tom Kitwood mitsamt

aller Elemente wird zu Grunde gelegt.

• Pflegende tragen ein enormes intuitives Wissen in sich.123 Dieses Wissen

kann an andere weitergegeben und somit nutzbar gemacht werden.

• Lehren und Lernen erfolgt vom Konkreten zum Allgemeinen

• Im Mittelpunkt steht die Arbeit an Haltungen und Sichtweisen, die

Entwicklung neuer Blickrichtungen und die Beachtung verschiedener

Perspektiven.

• Die eigene Person muss stets miteinbezogen werden, da die Begleitung

von Menschen mit Demenz vor allem Beziehungsarbeit ist.

• Elemente des „Trainings on the job“124 sind notwendig.

• Das Ziel der Fortbildung ist, die Teilnehmer zu Veränderungen im Sinne

von Verbesserungen in ihrer Arbeitspraxis zu befähigen.

Wegen der möglichen Erfüllung der geforderten, beschriebenen Kriterien durch die

Durchführung von Fallarbeit125 wurde diese Methode, die multiperspektivische

Fallarbeit, ausgewählt. Die Chance, von Pflegenden mit höherem

Kompetenzniveau zu lernen ist gegeben, wenn die Gruppe der Teilnehmer

heterogen ist (z.B. nehmen nicht nur Anfänger teil, sondern auch Pflegende mit

unterschiedlich viel Berufserfahrung). Auf die Erfüllung dieser Anforderung ist bei

der Anwendung der Methode zu achten. Die Nähe zum realen Berufsalltag ist

durch die Einbringung eines realen Falles gegeben. Die Methode erfordert zudem

das aktive Einbringen der Teilnehmer. Das Einbringen der eigenen Person wird

erlangt durch die Vorgabe der Betrachtung der Perspektive der Teilnehmer. Der

geforderte Perspektivenwechsel ist fester Bestandteil der Methode. Die

122 vgl. Wißmann (2004), S.64f. 123 Dieses auch als „implizites“ Wissen betitelte Wissen findet sich schon seit geraumer Zeit in den Veröffentlichungen des Wissensmanagement und der Organisationsentwicklung. Grundannahme ist, dass wir mehr wissen, als wir ausdrücken können. Ausführlich: Polany (1985) 124 Training-on-the-job bezeichnet Bildung, die unmittelbar am Arbeitsplatz vollzogen wird vgl. Olfert (1999), S.444 125 Der Fall ist ein Beispiel aus der Praxis der Teilnehmer, das exemplarisch betrachtet wird, um zu allgemeinen Erkenntnissen zu kommen, die auf andere Fälle übertragbar sind. vgl. Wissmann (2004), S.71

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Page 40: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

multiperspektivische Fallarbeit ist nach Wißmann ein Element der Praxisberatung

und somit des „Trainings on the job“.

Diese ausgewählte Methode wird im Folgenden beschrieben.

3.2 Die multiperspektivische Fallarbeit

Die multiperspektivische Fallarbeit126 wurde im Jahr 2000 an der Fachhochschule

Frankfurt im Rahmen einer Projektarbeit als Methode zur Qualifikation von

Pflegepersonen in einer „Wohngemeinschaft psychisch veränderter Menschen im

Alter“ entwickelt.127 Sie wurde von der sozialpädagogischen Fallarbeit128

abgeleitet und spezifiziert. Der Ablauf wird durch ein Prozessschema mit vier

Schritten vorgegeben.

Die Wechselwirkung mit der Berufspraxis wird berücksichtigt, indem der

bearbeitete Fall dem Berufsfeld der teilnehmenden Mitarbeiter entnommen wird.

Der Fall umfasst eine Situation mit einem Patienten, der damit zum Fallgeber wird.

Die Teilnehmer bringen den Fall ein, dadurch wird in der Regel eine für die

meisten als herausfordernd und schwierig empfundene Pflegesituation gewählt.

Anhand eines vorliegenden Schemas wird der Fall nun bearbeitet, um zu

Lösungen zu gelangen, wie die schwierige Situation erleichtert werden kann. Nach

dem ersten Termin erproben die Teilnehmer die Erkenntnisse, um beim zweiten

Termin die Erkenntnisse zu evaluieren und den Fall abzuschließen.

3.2.1 Die vier Phasen der multiperspektivischen Fallarbeit

Anamnese129

In der Anamnesephase wird der zu behandelnde Fall gesucht und gefunden.

Vorschläge kommen von den Pflegepersonen, der Moderator unterstützt. Genannt

werden kann, was als erörterungswürdig empfunden wird. Nach der Notierung der

Vorschläge auf dem Flipchart regt der Moderator die Entscheidungsfindung an. Es

wird zugunsten der Tiefe nur ein Fall pro Sitzung bearbeitet. Nach der

Entscheidung werden möglichst viele Informationen über den Fall gesammelt. Alle

Pflegepersonen, die Einblick in den Fall haben, tragen dazu bei; angestrebt wird

eine hohe Informationsdichte, z.B. werden auch eventuell relevante biographische 126 im weiteren auch verkürzt „Fallarbeit“ genannt 127 vgl. Hennig (2004), S.106 128 vgl. Müller (2006); in dieser Arbeit wird sich durchgängig auf die multiperspektivische Fallarbeit im Sinne Hennigs bezogen. 129 vgl. Hennig (2004), S.111-113

35

Page 41: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Daten gesammelt. Der Moderator achtet darauf, dass nur beschrieben und nicht

interpretiert wird. Der zeitliche Umfang der einzelnen Beiträge sollte im Rahmen

bleiben. Nachdem die Pflegepersonen den Fall beschrieben haben, verfügt jeder

Teilnehmer über umfangreiches Wissen zum Fall, und die zweite Phase beginnt.

Diagnose130

In der Diagnosephase wird der Fall mit Hilfe der in der Anamnesephase

gewonnenen Informationen analysiert und interpretiert. Ziel ist zu erkennen,

warum die Situation so ist und welche Anteile die einzelnen Beteiligten haben.

Wichtig ist das Erkennen, welche Bedeutung die beschriebene Situation für die

Beteiligten hat. Damit verbunden werden in der Diagnosephase die Perspektiven

der Beteiligten unterschieden. Diese Perspektiventrennung stellt eine sehr

anspruchsvolle Aufgabe dar. Der Moderator muss dabei unterstützen und

aufzeigen, wenn die Perspektiven sich vermischen. Ansonsten droht die Gefahr,

dass die Werte und Normen der Pflegekräfte auf den Menschen mit Demenz

übertragen werden. Durch das Herausarbeiten der Perspektive des Fallgebers

wird dessen Situation sichtbar und bekommt Einfluss. Durch einen so geöffneten

Blick gelingt es in der anschließenden Phase besser, die Interventionen auf die

Bedürfnisse des Fallgebers auszurichten.

Interventionsplanung131

Was zukünftig getan werden soll und wie gehandelt werden kann, ist Thema der

Interventionsplanung. Auf der Grundlage der gewonnenen Einsichten der

vorangegangenen Phasen werden Interventionen vorgeschlagen und diskutiert.

Die Teilnehmer der Fallarbeit einigen sich auf Interventionen und vergeben

Zuständigkeiten für deren Durchführung. Somit kann die Pflegekraft bei der

Durchführung der Interventionen in der Praxis mit der Sicherheit handeln, dass

jeder über ihr Tun informiert ist und sie im Konsens mit den Kollegen handelt.

Dieses erleichtert eine Begründung des eigenen Handelns beispielsweise

gegenüber Angehörigen oder Ärzten. Die Ergebnisse der Interventionsplanung

werden schriftlich festgehalten. Sie bilden die Grundlage für die abschließende

Evaluationsphase.

130 vgl. Hennig (2004), S.113-116 131 vgl. Hennig (2004), S.117f.

36

Page 42: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Evaluation der Interventionen132

Nach einem vorher festgelegten Zeitraum erfolgt die Evaluation. Diese Phase wird

bei Hennig so benannt. Es sei kurz darauf verwiesen, dass ihre Inhalte nicht die

Anforderungen an Evaluation, wie sie an empirische Evaluation beschrieben

werden, erfüllen.

Die nun für eine gewisse Zeit in der Praxis erprobten Interventionen werden

hinsichtlich ihrer Wirkung auf Pflegeperson und den Fallgeber untersucht. So kann

es durchaus sein, dass gewisse Interventionen auf den Fallgeber einen positiven

Einfluss haben, die Pflegeperson sich aber mit der Intervention nicht wohl fühlt.

Gemeinsam wird betrachtet, ob die Interventionen weiter übernommen werden

oder Änderungen bzw. Anpassungen vonnöten sind. Eventuell neu

dazukommende Informationen oder Beobachtungen können berücksichtigt

werden. So kann die Evaluationsphase gleichzeitig der Auftakt einer erneuten

Fallbearbeitung des selben Fallgebers sein. Ist dies nicht gewünscht, wird der Fall

in der Evaluationsphase nach der Überprüfung und eventuellen Anpassung der

Interventionen abgeschlossen.

3.2.2 Die Rahmenbedingungen133

Der zeitliche Rahmen einer Fallarbeit wird mit 60-90 Minuten angegeben.

Teilnehmen sollten möglichst alle Mitarbeiter eines Bereichs oder einer Einheit.

Der Moderator sollte nicht in die Institution eingebunden sein, um

Loyalitätskonflikte, Verantwortungsüberschneidungen oder Kontrollwirkung zu

vermeiden. Der Moderator soll über einige vorformulierte Kompetenzen134

verfügen, da der Erfolg der Methode nach Hennig „stark von den Fähigkeiten des

Moderators abhängig“135 ist.

132 vgl. Hennig (2004), S.118-121 133 vgl. Hennig (2004), S.124f. 134 Zusammenfassend: Moderationstechniken und Fachwissen; vgl. Hennig (2004), S.122-124 135 Hennig (2004), S.122

37

Page 43: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

4. Die Praxisanwendung Eine Evaluation der Wirksamkeit der multiperspektivischen Fallarbeit wurde noch

nicht vorgenommen.136 Die empirische Überprüfung der Wirksamkeit der Methode

kann auch in dieser Arbeit nicht geleistet werden. Dennoch soll ein erster Einblick

in die Durchführbarkeit und Eignung der Methode gewonnen werden. Zu diesem

Zweck wurde die Methode einmalig mit Mitarbeitern eines ambulanten

Pflegedienstes durchgeführt. Diese Mitarbeiter pflegen Bewohner einer

Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz.

durch die Betrachtung dieser Durchführung kann eine erste Einschätzung

vorgenommen werden.

4.1 Die Fragestellung und die Erhebungsmethoden

Die Durchführung der Fallarbeit wird unter der Vorgabe folgender Fragestellung

betrachtet:

Zeigen sich bei der Durchführung der multiperspektivischen Fallarbeit Indizien137 dafür, dass die Methode geeignet ist, die sechs Kompetenzbereiche zu entwickeln?

Der Beantwortung dieser Frage wird sich methodisch auf zwei Wegen genähert:

Zum einen erfolgt eine Auswertung der Videoaufzeichnung der durchgeführten

Fallarbeit durch Beobachtung.

Zum anderen erfolgt eine Befragung der teilnehmenden Mitarbeiter nach

Abschluss der Fallarbeit.

Für die einzelnen Herangehensweisen wurden jeweils konkretere Fragen aus der

vorgegebenen Fragestellung abgeleitet.

136 Schriftliche Auskunft per E-Mail durch Margret Müller, Professorin am FB4, FH-Frankfurt, vom

19.10.2007 137 Indiz = Hinweis, Anzeichen. Vgl. Duden (1990)

38

Page 44: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

4.2 Die praktische Durchführung der Fallarbeit

4.2.1 Die teilnehmenden Mitarbeiter

Die Fallarbeit wurde mit einigen Mitarbeitern eines ambulanten Pflegedienstes

durchgeführt. Die an der Fallarbeit teilnehmenden Mitarbeiter sind in der Pflege

und Betreuung von neun Menschen mit Demenz, die in einer Wohngemeinschaft

leben, beschäftigt. Die Wohngemeinschaft befindet sich in Lübeck. Vermieter ist

die Alzheimergesellschaft Lübeck und Umgebung e.V..138 Die neun Bewohner

befinden sich alle in einem fortgeschrittenen Prozess dementieller Entwicklung.

Die Mitarbeiter des Pflegedienstes leisten eine 24stündige Versorgung mit

Erbringung von Pflegeleistungen im Sinne des SGB XI sowie

Betreuungsleistungen nach SGB XI und SGB XII. Darüber hinaus werden alle

hauswirtschaftlichen Tätigkeiten bei Bedarf unterstützt oder übernommen. Die

Arbeitszeit der Mitarbeiter ist im Schichtdienst geregelt. Im Früh- und Spätdienst

werden die neun Bewohner von mindestens zwei Pflegekräften betreut, nachts ist

eine Pflegekraft anwesend. Darüber hinaus stehen zusätzlich Praktikanten und

Ehrenamtliche zur Verfügung, die die Arbeit des Pflegedienstes sinnvoll ergänzen.

Die Alzheimergesellschaft Lübeck und Umgebung e.V. übernimmt neben den

Angehörigen und Betreuern der Bewohner eine Kontroll- und Beratungsfunktion

bezüglich der Qualität der Pflege. Der Anspruch orientiert sich an den neusten

Erkenntnissen zum Thema Pflege von Menschen mit Demenz139 und ist als hoch

einzuschätzen.

Es nahmen sechs Mitarbeiter an den beiden Terminen der Durchführung teil. Die

Gruppe bestand aus zwei examinierten Altenpflegerinnen, einer Heilerzieherin,

zwei ungelernten Mitarbeiterinnen mit allgemeiner Pflegeerfahrung, von denen

eine die Ausbildung zur Präsenzkraft für die Pflege von Menschen mit Demenz

absolviert hat, sowie einer Altenpflegeschülerin im ersten Lehrjahr. Zwei der

Teilnehmerinnen sind länger als zwei Jahre in der Wohngemeinschaft tätig, die

übrigen kürzer als zwei Jahre. Hiermit ist die Vorgabe der Heterogenität der

Gruppe erfüllt. Eine individuelle Einschätzung des Kompetenzniveaus des 138 Es handelt sich um eine ambulant betreute Wohngemeinschaft, bei der Vermietung der Wohnung und Erbringung der Pflegeleistungen in zwei unterschiedlichen Händen liegen muss, um den Status der ambulanten Pflege zu erhalten und nicht unter das Heimgesetzt zu fallen. Zur Einteilung der verschiedenen Formen von Haus- und Wohngemeinschaften siehe z.B. Pawletko (2003), S. 92f. 139 siehe beispielsweise Deutsche Alzheimer Gesellschaft (2003)

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Page 45: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

einzelnen Mitarbeiters liegt nicht vor, es wird jedoch vorausgesetzt, dass

Berufserfahrung im Feld Demenz zu Kompetenzerhöhung geführt hat.

Die Mitarbeiter nehmen an vom Pflegedienst vierteljährlich angebotenen

Fortbildungen (interne Fortbildungseinheiten im Rahmen von 1,5 Stunden) zum

Thema Demenz teil. Über spezifische Fortbildungen z.B. Validation verfügt keine

der teilnehmenden Mitarbeiterinnen. Eine der examinierten Altenpflegerinnen hat

ein Jahr zuvor die Fortbildung zur Mentorin absolviert. Die Teilnehmer wurden

bewusst ausgewählt und angesprochen. Es war Ziel, eine im Bezug auf das

Wissen und Können heterogene Gruppe zusammenzustellen. Zwei weitere

langjährige Mitarbeiter sagten die Teilnahme ab, wodurch die im Kompetenzgrad

niedriger anzusiedelnden Teilnehmer denen mit höher erwarteter Kompetenz

gegenüber in der Überzahl waren. Die Teilnahme erfolgte auf freiwilliger Basis.

Die Zeit wurde als Arbeitszeit vergütet. Alle Mitarbeiter reagierten offen und

interessiert auf die Einladung. Im Mitarbeiterteam besteht schon seit längerer Zeit

der Wunsch, einen Rahmen zu finden, um sich außerhalb der Wohngemeinschaft

austauschen zu können.

4.2.2 Die Moderation

Die Moderation der Fallarbeit wurde von der Autorin übernommen. Da die Autorin

vor Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs im Betrieb als stellvertretende

Pflegedienstleitung tätig war, wird die vorgegebene Forderung nach Neutralität

des Moderators nicht erfüllt. Aus Ermangelung anderer Praxisfelder wurde dieser

Umstand in Kauf genommen. Die Gefahr von Loyalitätskonflikten, Kontrollwirkung

und Verantwortungsüberschneidung, die bei mangelnder Neutralität der

Moderatorin zu befürchten sind, wird in diesem Fall dadurch abgeschwächt, dass

seit knapp einem Jahr von Seiten der Moderatorin keine Tätigkeit im Betrieb

ausgeführt wurde. Zudem nahmen drei der sechs, an der Fallbesprechung

teilnehmenden, Mitarbeiterinnen ihre Tätigkeit im Betrieb erst nach Ausscheiden

der Autorin auf und waren der Moderatorin somit nicht persönlich bekannt.

Die fachliche Kompetenz der Moderatorin kann durch die theoretische

Auseinandersetzung mit dem Thema der Pflege bei Demenz im Rahmen des

Studiums und dieser Diplomarbeit sowie der begleitenden Berufstätigkeit mit

demselben Schwerpunkt als ausreichend angesehen werden.

40

Page 46: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

4.2.3 Der Ablauf und die Inhalte

Die Fallarbeit wurde, wie vorgesehen, an zwei Terminen durchgeführt. Der

zeitliche Abstand zwischen den beiden Terminen betrug fünf Wochen.

Einleitend stellte die Moderatorin sich vor und beschrieb zusammenfassend den

Ablauf der Fallarbeit. Über die Gründe und den Zweck der Durchführung wurde

nur die Erprobung der Methode im Rahmen der Diplomarbeit genannt. Das

Einverständnis für die Aufzeichnung der Fallarbeit per Video wurde eingeholt. Die

Mitarbeiter wurden darauf hingewiesen, Fragen über Hintergründe der

Durchführung nach Abschluss der zweiten Sitzung stellen zu können. Ziel war, die

Mitarbeiter nicht im Vorwege über die zugrunde liegende Fragestellung der

Erprobung in Kenntnis zu setzen, um den Verlauf der Fallarbeit nicht zu

beeinflussen.

Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Einzelheiten der Fallarbeit nicht

nach außen getragen werden, und die Fallarbeit nicht zu Zwecken der

Mitarbeiterbeurteilung durchgeführt wird. Hierdurch sollte eine freie und offene

Atmosphäre geschaffen werden.

Die Anamnese

Die Mitarbeiter schlugen vier Bewohner vor, deren Namen mit dem dazugehörigen

Anliegen von Seiten der Mitarbeiter auf dem Flipchart notiert wurden. Nach kurzer

Diskussion wurde sich einstimmig auf eine Bewohnerin als Fallgeberin geeinigt. Im

Anschluss wurden die Teilnehmer aufgefordert, alle bekannten Informationen zur

Bewohnerin und die Umstände der problematischen Pflegesituation genau zu

schildern.

Die Beschreibungen zeigen eine 76jährige Bewohnerin, die sich bei den

Toilettengängen bzw. der Versorgung mit Inkontinenzmaterial und der

Körperpflege verweigert und diese pflegerischen Handlungen offensichtlich als

höchstgradig unangenehm empfindet. Die Abwehr geht so weit, dass eine

Durchführung der Versorgung in diesem Bereich zeitweilig nicht möglich ist und

die Bewohnerin körperliches Abwehrverhalten wie Tätlichkeiten gegen die

Pflegekraft zeigt. Die Teilnehmer schilderten beispielsweise die verschiedenen

Stimmungslagen der Bewohnerin, sowie biographische Hintergrundinformationen.

Die Dauer der Anamnesephase betrug 20 Minuten.

41

Page 47: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Die Diagnose

In der Diagnosephase wurden die Teilnehmer aufgefordert, die Bedeutung der

Situation aus den zwei Perspektiven, ihrer eigenen und der der Bewohnerin, zu

beschreiben. Als Hilfestellung zur Trennung dieser zwei Perspektiven wurden die

zwei Satzanfänge am Flipchart visualisiert.

„Das Problem bedeutet für mich….“

„Das Problem bedeutet für Frau Holms140…“

Die Teilnehmer interpretierten das Abwehrverhalten der Bewohnerin auf

verschiedenen Ebenen. Zum einen könnte es sein, dass die Bewohnerin, die

Mutter dreier Kinder ist, es gewohnt ist, über andere zu bestimmen und nicht

selber versorgt zu werden. Für dieses Beharren auf der gewohnten Rolle gaben

die Teilnehmer als weitere, mögliche Erklärung an, dass die Bewohnerin auch

beruflich, als Richterin, eine unabhängige Position innehatte.

Weiter könnte die Abwehr mit einem Vorfall in der zuvor erfolgten häuslichen

Versorgung durch einen Pflegedienst zu tun haben. Hierbei soll es nach Angaben

der Angehörigen zu einem Vorfall mit einem Mitarbeiter gekommen sein, über

dessen genaue Umstände die Angehörigen keine Angaben machen konnten.

Das bloße Vergessen der Notwendigkeit der Körperpflege durch kognitive Verluste

war ein weiterer Interpretationsansatz der Teilnehmer. Manchmal scheine die

Versorgung der Bewohnerin schlichtweg nicht zu behagen, und eine erklärende

Kommunikation sei nicht mehr möglich.

Die Teilnehmer waren alle der Meinung, dass es viel mit dem Charakter der

Bewohnerin zu tun habe, dass diese sich nicht versorgen lassen möchte, sondern

viel lieber selber die aktive Position einnehme.

Aus der eigenen Perspektive gaben die Teilnehmer an, dass die Situation

problematisch sei, da die Versorgung nun mal gemacht werden müsse, und

dieses oft durch die Bewohnerin erschwert und behindert würde. Zwei

Teilnehmerinnen gaben an, dass es ihnen Unbehagen bereite, die Bewohnerin

manchmal zwingen zu müssen. Der Einsatz von Körperlichkeit, wie beispielsweise

das Festhalten der Hände sei aber manchmal unumgänglich, z.B. bei der

140 Name der Bewohnerin geändert

42

Page 48: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Versorgung der Inkontinenz. Die Diagnosephase dauerte in der Durchführung 16 Minuten.

Die Interventionsplanung

In der dritten Phase, die die letzte Phase des ersten Termins darstellte, wurden

die Teilnehmer gebeten, Interventionen und Handlungsvereinbarungen

vorzuschlagen, die nach Diskussion für alle verbindlich formuliert werden sollten.

So konnten bestimmte Handlungen für einige Wochen ausprobiert werden, um sie

im darauf folgenden Termin in der Evaluationsphase auf ihre Wirksamkeit zu

überprüfen

Die beschlossenen sechs Interventionen wurden mit Zuständigkeit auf dem

Flipchart notiert.

Abbildung 4: Interventionsplan für Bewohnerin Quelle: Eigene Darstellung

Der Termin für die Durchführung der Evaluationsphase wurde in Absprache mit

allen Teilnehmern der Fallarbeit für in fünf Wochen verabredet. Die Phase der

Interventionsplanung nahm 25 Minuten in Anspruch.

Im Anschluss an den ersten Fallarbeitstermin wurden die Maßnahmen der

Pflegedienstleitung des Betriebes vorgestellt. Die Durchführung der Maßnahmen

bedurfte des Einverständnisses der Leitung, da andernfalls die Mitarbeiter in

Konflikt mit bereits bestehenden Vorgaben gekommen wären. Zum Beispiel war

43

Page 49: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

von Seiten der Leitung vorgegeben, dass betreffende Bewohnerin zu der aus der

Biographie bekannten Zeit um 7 Uhr morgens versorgt wird. Dieses Vorgehen

sollte nun für die nächsten Wochen dahingehend geändert werden, dass die

morgendliche Versorgung dann stattfindet, wenn die Bewohnerin eine wache und

zugängliche Phase hat. Nach Einwilligung der Leitung wurden die Maßnahmen

verschriftlicht und ein Ausdruck dem Übergabebuch der Wohngemeinschaft sowie

der Dokumentationsmappe der Bewohnerin beigelegt. So konnten zum einen die

Mitarbeiter bei Bedarf nachlesen und zum anderen würden Mitarbeiter, die nicht

an der Fallarbeit teilgenommen hatten, informiert.

Die Evaluation

Die Evaluationsphase wurde planmäßig am verabredeten Termin durchgeführt.

Alle sechs Mitarbeiterinnen nahmen teil. Sie wurden aufgefordert, über die

Erfahrungen mit den vereinbarten Interventionen zu berichten.

Die Teilnehmer beurteilten unter Berücksichtigung der Perspektive der

Bewohnerin vier der sechs Maßnahmen als hilfreich und mit positiver Wirkung.

Eine Maßnahme, die Medikationsumstellung hatte zu einem Krampfanfall der

Bewohnerin geführt und musste danach wieder rückgängig gemacht. Die

Maßnahme, einen Toilettenstuhl im Zimmer einzusetzen wurde als nicht hilfreich

bewertet.

In dieser Phase konnten außerdem von den Teilnehmern neue Beobachtungen

eingebracht werden, und es wurden, daraus abgeleitet, neue Interventionen

vorgeschlagen. Unter Berücksichtigung der einmaligen Durchführung der

Fallarbeit konnten diese Vorschläge nicht aufgegriffen und weiter bearbeitet

werden, wie es die theoretische Vorgabe vorsieht. Die Moderatorin regte an, diese

Beobachtungen im Kollegenkreis weiter zu diskutieren und umzusetzen.

Abschließend wurden die Teilnehmer gebeten, die Durchführung der neuen

Maßnahmen aus ihrem Erleben, also der eigenen Perspektive, zu schildern. Dabei

gaben alle Teilnehmer an, die Interventionen als Arbeitserleichterung erlebt zu

haben und bei der Umsetzung keine grundlegenden Probleme gehabt zu haben.

Lediglich eine Teilnehmerin berichtete, mit dem Singen Probleme zu haben. Sie

gab an, lieber eine CD einlegen zu wollen.

Die Dauer der Evaluationsphase betrug rund 23 Minuten.

44

Page 50: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Nach Abschluss der Evaluationsphase wurden die Teilnehmer über die

Hintergründe der Durchführung aufgeklärt. Das Ausfüllen der

Teilnehmerfragebögen erfolgte im Anschluss.

4.3 Die Reflexion der Durchführung der Fallarbeit

4.3.1 Die zu erwartende Reichweite der Ergebnisse

Die einmalige Durchführung der multiperspektivischen Fallarbeit in der Praxis

diente dazu, einen ersten Eindruck von der Eignung der Methode zu bekommen.

Die Durchführung wurde unter Berücksichtigung empirische Vorgaben reflektiert.

Eine Evaluation im Sinne einer empirischen Überprüfung konnte nicht

vorgenommen werden. Unter Evaluation wird das methodisch organisierte und

dokumentierte Bewerten eines Prozesses mit Begründung verstanden, das dem

besseren Verstehen und Gestalten einer Praxismaßnahme im Bildungsbereich

dient.141

Bei der Benennung des Gegenstandes der Evaluation helfen drei Schritte zur

Präzisierung:

„1. was man untersuchen will (Zielbeschreibung)

2. was man als erwünschte oder befürchtete Wirkung feststellen will und

3. welches die Kriterien und Indikatoren sind, die man erfassen kann und an

denen man den Erfolg messen will (…).“142

In dieser einmaligen Praxisdurchführung ist die Zielbeschreibung, einen ersten

Eindruck von der Eignung der Methode zu bekommen. Erwünschte oder

befürchtete Wirkungen der Maßnahme auf die Arbeitsleistung im Sinne des

kompetenten Handelns werden nicht betrachtet, der Erfolg der Maßnahme also

nicht gemessen. Eine Messung des Kompetenzniveaus vor und nach der

Maßnahme wäre hierfür das geeignete Vorgehen.

Da dieser Soll-Ist-Vergleich und damit die Erfolgsmessung nicht vorgenommen

werden sollen, kann auch nicht von Evaluation der Maßnahme gesprochen

werden.

Vielmehr wird die Wirkung der Methode während der Durchführung betrachtet, um

hieraus erste Hinweise auf die Eignung ableiten zu können.

141 vgl. Reischmann (2003), S.18f. 142 Reischmann (2003),S.38

45

Page 51: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Somit sei auf die eingeschränkte Reichweite der Ergebnisse verwiesen, was

keinesfalls eine Abwertung bedeutet. Im Gegenteil erscheint es sinnvoll, einen

ersten Eindruck abzuwarten, bevor eine aufwändige und ressourcenintensive

Evaluation in Angriff genommen wird.

Die Grundlagen der empirischen Sozialforschung dienen als Entscheidungshilfen

für das Vorgehen bei der Reflexion der Praxiserprobung und werden an den

entsprechenden Stellen zitiert.

4.3.2 Die Herleitung der Indizien und deren Kriterien

Zum Bewerten eines Prozesses gehört eine explizite Begründung des angelegten

Maßstabes, also eine nachvollziehbare Beschreibung und Begründung der

Kriterien, die zu einem bestimmten Urteil führen.143

Um eine Beantwortung der gestellten Frage

Zeigen sich bei der Durchführung der multiperspektivischen Fallarbeit Indizien dafür, dass die Methode geeignet ist, die sechs Kompetenz-bereiche zu entwickeln?

zu ermöglichen, müssen Indizien benannt werden, mithilfe deren Untersuchung

diese Frage beantwortet werden kann. Zur genaueren Beschreibung der Indizien

werden Kriterien festgelegt. Dafür muss im Vorwege benannt werden, was als

Indiz für die Eignung zur Kompetenzentwicklung angesehen wird.

Die Benennung dieser Indizien stellt eine Herausforderung dar. Die

Kompetenzentwicklung, um deren Beobachtung es eigentlich geht, ist als ein sehr

komplexes Lernziel einzuordnen. Es beeinflusst Komponenten des Verhaltens und

der Einstellung der Teilnehmer.144

Eine Kompetenzentwicklung entzieht sich aber weitgehend der quantitativen

Erfolgskontrolle.145 Dieser Hinweise besagt, dass es schwierig ist, Lernziele mit

vielschichtigen und komplexen Inhalten messbar zu machen. Das Lernziel

„Symptome einer Oberschenkelhalsfraktur aufzählen können“ dagegen wäre gut

143 vgl. Reischmann (2003), S.21 144 vgl. Weiß (1997), S.106 145 Weiß empfiehlt daher statt der Kontrolle des Transfererfolges den Einsatz praxisnaher Methoden zur Transferunterstützung während der Bildungsmaßnahme. Außerdem empfiehlt er ein qualitativ orientiertes Weiterbildungscontrolling. Dies ermögliche die Einbeziehung von Einstellungen und Bewertungen der Teilnehmer. vgl. Weiß (1997), S.106

46

Page 52: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

messbar, da das Aufzählen im Anschluss an die Maßnahme sicher geprüft werden

kann.

Somit ist die Erhebung der Eignung der Fallarbeit dadurch erschwert, dass die

angestrebten Veränderungen im Sinne der Kompetenzentwicklung im Verhaltens-

und Einstellungsbereich angesiedelt sind.

Zur Einschätzung der Methode wurden Indizien erarbeitet, die auf Eignung

hinweisen und deren Betrachtung zur Annährung an die Lösung der

Ausgangsfragestellung führen soll.

a) Die inhaltliche Thematisierung der sechs Kompetenzbereiche b) Der Aktivitätsgrad der teilnehmenden Mitarbeiter c) Die Beurteilung der teilnehmenden Mitarbeiter bezüglich der

Eignung der Maßnahme zur Entwicklung der sechs Kompetenzen für sich selber

d) Die gezeigte Reaktion der Fallgeberin nach

Interventionsdurchführung

Für die vier Indizien müssen wiederum Kriterien benannt werden, die in konkreter

Weise fassbar gemacht werden können. Die Herleitung von Indizien und deren

Kriterien bedarf einer geisteswissenschaftlich begründeten Setzung.146,147

Wottawa/ Thierau empfehlen eine intensive Abstimmung mit dem Auftraggeber

und den relevanten Teilnehmern einer Evaluationsmaßnahme, da sonst eine

nachträgliche Abwertung der Messinstrumente zu befürchten wäre.148 Da die

Festlegung der Beurteilungsindizien und -kriterien in dieser Arbeit in Einzelarbeit

erfolgte, ist hier ein ausschnitthafte Auswahl gegeben, die im Rahmen der

vorweggenommenen Zielsetzung der Betrachtung akzeptiert wird.

146 beispielsweise anhand von subjektiver Plausibilität oder Verträglichkeitskriterien mit „etablierten“ Ansätzen Vgl. Wottawa/Thierau (2003), S.94 147 Stangel-Meseke/ Gluminski fordern eine Auseinandersetzung der Wissenschaft mit Anforderungen an die Qualität, Gewinnung und Formulierung von Kriterien. Diese sei bisher nicht erfolgt.; vgl. Stangel-Meseke/ Gluminski (1990), S.6f 148 vgl. Wottawa/ Thierau (2003), S. 91

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Page 53: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Anzumerken ist, dass die Indizien a) bis c) nicht auf Kompetenzentwicklung

hinweisen, sondern auf die Vorgaben für die Methode eingehen. Beschrieben

wird, wodurch sich die Methode auszeichnen muss, um generell geeignet zu

erscheinen. Bei Erfüllung dieser Vorgaben ist die Grundlage für die Eignung zu

erkennen. Die Fallarbeit erfüllt also die Voraussetzungen für Eignung, wenn

die Inhalte der Kompetenzen thematisiert werden

die Aktivität der Teilnehmer hoch eingeschätzt wird

die Teilnehmer die Methode für sich für geeignet halten

die Reaktion der Fallgeberin auf eine Verbesserung ihres Wohlbefindens

schließen lässt.

Das Indiz d), die Reaktion der Fallgeberin, könnte bereits als ein erster Hinweis

auf Kompetenzanbahnung bei den Pflegepersonen interpretiert werden.

Die Herleitung der Indizien wird nun vorgenommen:

Folgende Fragen wurden für die ersten beiden Indizien formuliert und bearbeitet:

a) Werden die sechs beschriebenen Kompetenzbereiche inhaltlich im Prozess der Fallbesprechung aufgegriffen? und b) Wie ist der Aktivitätsgrad der teilnehmenden Mitarbeiter?

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden Kriterien hergeleitet, deren Auftreten

dann beobachtet werden konnte. Die Beobachtungen wurden in den

Beobachtungsbögen (Anhang A und B) festgehalten.

Die Frage a) beschäftigt sich mit den sechs Kompetenzen und ihren Elementen im

Bezug auf ihre Thematisierung in der Fallarbeit. Es wird als notwendige Grundlage

der Möglichkeit, Kompetenz zu erwerben, angesehen, dass die inhaltlichen

Aspekte der sechs Kompetenzen überhaupt thematisiert werden. Wenn ein

Kompetenzbereich behandelt wird, wird davon ausgegangen, dass alle

Teilnehmer bezüglich dieser Kompetenz die Möglichkeit zur Wissens- und

Erfahrungserweiterung und dadurch zur Kompetenzentwicklung haben.

Zum Beispiel kann Kompetenz zum ethischen Urteil nur dann entwickelt werden,

wenn ethische oder moralische Aspekte thematisiert werden. Andererseits wird

davon ausgegangen, dass eine Konfrontation mit Aussagen zu einem

Kompetenzbereich, wie zum Beispiel zu einem ethischen Dilemma, zum

Überarbeiten oder Überdenken der Erfahrungen und des Wissen des einzelnen

Teilnehmers führt.

48

Page 54: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Grundlage für diese Annahme ist, dass der Teilnehmer in der Fallarbeit die Inhalte

mit Aufmerksamkeit verfolgt (siehe auch Indiz b).

Durch die Unterteilung in die sechs vorgegebenen Kompetenzbereiche und deren

Komponenten (Anhang E) kann differenziert werden, ob die Methode für die

Entwicklung aller Kompetenzen und derer Komponenten geeignet bzw.

ungeeignet erscheint oder ob für die einzelnen Kompetenzen unterschiedliche

Beobachtungen zu machen sind.

Die sechs Kompetenzen werden im Erhebungsbogen (Anhang A) aufgelistet. Als

Beobachtungskriterium vermerkt werden Äußerungen der Teilnehmer. So soll

beispielsweise beobachtet werden, ob die Teilnehmer die Biographie des

Fallgebers thematisieren. Dies wäre ein Indiz dafür, dass eine Komponente der

sozialen Kompetenz zur Beziehungsgestaltung angebahnt wird. Betrachtet wird

der Effekt auf die Gruppe. Bei der Einschätzung der individuellen Entwicklung der

einzelnen Mitarbeiter spielt eine Rolle, wie erfahren der betreffende Mitarbeiter in

einem bestimmten Bereich ist. So wird ein Pflegender, der die Biographie eines

Pflegebedürftigen nicht generell einbezieht, von einem Pflegenden, der mehr

Wissen über Hintergründe und Vorgehen bei der Biographiearbeit hat und über

Erfahrungen mit deren Einsatz verfügt, lernen können. Es ist durchaus denkbar,

dass die Teilnehmer der Fallarbeit in den unterschiedlichen Bereichen

unterschiedlich erfahren sind. So kann jemand über sehr genaue Fachkenntnisse

bezüglich zum Einsatz kommender Medikamente verfügen, im Erkennen ethischer

Dilemmata aber gänzlich unerfahren sein.

Bei jedem Teilnehmer werden die Erfahrungen und das Wissen unterschiedliche

Schwerpunkte haben, und somit kann ggf. in unterschiedlicher Intensität an

Kompetenz dazu gewonnen werden. Diese Unterschiede zu erheben und zu

bewerten ist durch diese Beobachtung nicht möglich. Daher bleibt der einzelne

Mitarbeiter im Beobachtungsbogen unberücksichtigt. Bei der Beobachtung der

thematisierten Inhalte wird jede Kompetenz in ihre Komponenten unterteilt.

Die Auswertung der Videoaufzeichnung ermöglicht zudem eine Beschreibung der

Aktivität der teilnehmenden Mitarbeiter zur Betrachtung der Frage b). Grundlage

für das Interesse über die Aktivität der Teilnehmer ist die Annahme, dass

Informationen umso besser behalten werden, je höher der Aktivitätsgrad des

49

Page 55: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Lernenden ist. Folgende Prozentzahlen dienen als Hinweis auf einen Trend für die

Behaltenswerte:

„Zuhörer/innen behalten bei der eher passiven Informationsaufnahme

10% von dem, was sie lesen,

20% von dem, was sie hören

30% von dem, was sie sehen

50% von dem, was sie sehen und hören (audio-visuelle Methoden).

Bei einer eher aktiven Informationsaufnahme behält man

80% von dem, was man selbst sagt.

90% von dem, was man selbst ausführt.

(…) Für die Haftwerte entscheidend ist vor allem das innere und äußere

Engagement des Zuhörers.“149

So hat der Grad der Aktivität einen Einfluss auf den Erfolg der

Kompetenzanbahnung. Der grundsätzlich als relativ hoch erwartete Aktivitätsgrad

der Methode Fallarbeit durch die vorausgesetzte Interaktion mit und unter den

Teilnehmern war ein Kriterium bei der Auswahl der Methode. Ob sich diese

Vorannahme bestätigt, soll betrachtet werden.

Als erstes Kriterium wird der Wortbeitrag der Teilnehmer bestimmt. Die

Beobachtung der Wortbeiträge soll also einen Eindruck ermitteln, wie die Aktivität

bei den Teilnehmern der Fallarbeit war. Die Annahme, dass Wortbeiträge Hinweis

für Aktivität sind, wird hier aus vorangegangener Auflistung, dass 80% des selbst

Gesagten behalten wird, hergeleitet. Allerdings kann auch jemand mit wenigen

oder gar keinen Wortbeiträgen innerlich sehr beteiligt, also aktiv sein und hohe

Behaltenswerte aufweisen. In einem Beispiel veranschaulicht Meixner diese

weniger sichtbare, innere Aktivität: „Durch das veränderte Herangehen beim

Lesen eines Buches kann man den Haftwert durchaus beeinflussen. Liest man es

bloß, liegt der Haftwert bei ca. 10%. Tastet man sich fragend an den Inhalt heran

und erarbeitet Sinnzusammenhänge erhöht sich der Aktivitätsgrad des Lesers und

damit auch der Haftwert.“150 Aus diesem Grund wurden neben den Wortbeiträgen

als zweites Kriterium körpersprachliche Anzeichen von Aufmerksamkeit, nämlich

die Blickrichtung der Teilnehmer und Körperbewegungen in Form von

zustimmenden oder ablehnenden Kopfbewegungen, beobachtet.

149 Meixner (1995), S. 70 150 ebd.

50

Page 56: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Körpersprache gehört zur nonverbalen Kommunikation und gilt als weniger durch

den Sender kontrolliert als verbale Kommunikation.151 Darin liegt die

Glaubhaftigkeit der Körpersprache. Die Beobachtung körpersprachlicher Hinweise

ist allerdings unter Vorbehalt durchzuführen. Gestik, Mimik u.ä. können nicht

zweifelsfrei gedeutet werden. So kann Blickkontakt Nähe, aber auch

Herausforderung bedeuten. In dieser Beobachtung wird der Blickkontakt im Sinne

von Kontaktinteresse gewertet.152 Die zustimmenden oder ablehnenden

Kopfbewegungen werden als Hinweis darauf gesehen, dass der Teilnehmer den

Inhalten innerlich folgt und am Geschehen teilnimmt, auch wenn er sich nicht

verbal beteiligt.

So soll durch diese beiden Kriterien die Aktivität bei den Teilnehmern beobachtbar

werden, die sich nicht mit Wortbeiträgen beteiligen.

Unberücksichtigt bleibt die inhaltliche Qualität des Gesagten und auch die Art der

Kopfbewegung (ablehnend oder zustimmend), denn der Grad der Aktivität ist

grundsätzlich unabhängig vom vorhandenen Fachwissen oder der Zustimmung

bzw. Ablehnung des Teilnehmers. Eine hohe Aktivität ist beispielsweise auch ohne

erhebliches Fachwissen möglich.

Um eine vergleichende Aussage über den Aktivitätsgrad der Methode treffen zu

können, müssten Vergleichswerte anderer Methoden vorliegen. Da dies nicht der

Fall ist, wird beschreibend und interpretierend, nicht bewertend ausgewertet. Die

Beschreibung der Ergebnisse wird durch eine Einschätzung der Autorin ergänzt.

Für die Gewinnung der ergänzenden Eindrücke wurden fortlaufend Feldnotizen

gemacht. Dieser offenen, unstrukturierten Beobachtung wurden keine

Beobachtungskriterien zu Grunde gelegt.

Zur Betrachtung der Erfüllung des dritten Indizes wurde die Frage

c) Wie ist die Beurteilung der teilnehmenden Mitarbeiter bezüglich der Eignung der Maßnahme zur Entwicklung der sechs Kompetenzen für sich selber? formuliert. Für die Erhebung der Beurteilung durch die Mitarbeiter müssen keine

weiteren Kriterien gefunden werden, die Beurteilung kann direkt erfragt werden.

Die positive Einschätzung seitens der Teilnehmer wird als Voraussetzung

151 vgl. Günther (2003), S.25 152 vgl. Günther (2003), S.26

51

Page 57: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

angesehen, da die Einstellung zu einer Bildungsmaßnahme deren Erfolg

beeinflusst. Ist der erwartete Nutzen der Bildungsmaßnahme für den Teilnehmer

hoch, wirkt sich dieses positiv auf seine Motivation aus. Dieser Teilnehmer wird

dann offen und mit Engagement an die Fallarbeit herangehen, was Grundlage

dafür ist, dass die Methode gelingt und Kompetenzen angebahnt werden können.

Das vierte Indiz wird mit der Frage:

d) Wie ist die gezeigte Reaktion der Fallgeberin nach der Interventionsdurchführung?

betrachtet. In der Zielformulierung steht die Beachtung der Bedürfnisse des

Menschen mit Demenz im Mittelpunkt. Wie sich sein Befinden verändert, soll

an seinem Verhalten erkannt werden, da eine direkte Befragung in der Regel

nicht möglich ist. Da das Verhalten nicht direkt beobachtet werden kann,

werden als Kriterien die Schilderungen der Teilnehmer in der Evaluationsphase

benannt. Werden positive Reaktionen erkennbar ist dies Hinweis darauf, dass

die Fallarbeit in Übereinstimmung mit der Zielvorgabe eingesetzt werden kann.

Die Reaktion der Fallgeberin kann auch ein erster Hinweis sein, ob die

Pflegenden an Kompetenz hinzugewonnen haben. Bei positiver Reaktion kann

gemutmaßt werden, dass die positive Reaktion eine Folge des kompetenteren

Handelns der Pflegekräfte war.

4.3.3 Die Ergebnisse

4.3.3.1 Die Videobeobachtung

Die Fragen a) und b) wurden durch die Auswertung der Videoaufzeichnung durch

die Moderatorin gewonnen, also durch Beobachtung. Die Beurteilung durch

jemanden, der selbst im Feld engagiert ist, birgt die Gefahr, dass man unbewusst

für sich und die eigene Maßnahme Partei ergreift.153 Dagegen gehalten werden

kann, dass nur wer im Feld involviert ist, abschätzen kann, was wirklich von

Bedeutung ist.154 Außerdem lohnt sich der Aufwand einer Fremdevaluation

153 vgl. Reischmann (2003), S.106 154 vgl. ebd.

52

Page 58: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

oftmals wegen der Unverhältnismäßigkeit der entstehenden Kosten zum Ergebnis

nicht, oder ein fremder Evaluator ist nicht greifbar.

Somit ist die Überschneidung der Tätigkeiten von Durchführung und Auswertung

der Maßnahme zwar auf Subjektivität hin zu hinterfragen, grundsätzlich aber auch

positiv zu bewerten.

Die Aufzeichnung der Durchführung der beiden Sitzungen der Fallarbeit

ermöglicht eine nachträgliche Auswertung. So war es der Autorin möglich, sich bei

der Fallarbeit auf die Rolle der Moderatorin zu konzentrieren. Obwohl die globale

Frage nach der Eignung der Methode feststand, waren zum Zeitpunkt der

Durchführung noch keine Beobachtungsindizien und -kriterien festgelegt. So

musste bei der Durchführung der Fallarbeit auch keine Beeinflussung in Richtung

dieser Kriterien durch die Autorin, in dieser Situation in der Rolle der Moderatorin,

befürchtet werden.

Im Beobachtungsbogen zu den Inhalten (Anhang A) sind die sechs Kompetenzen,

unterteilt in ihre Komponenten, aufgeführt. Aufgrund der Vielschichtigkeit der zu

erwartenden Beiträge war eine Vorgabe der zu beobachtenden Wortbeiträge nicht

möglich. Eine Interpretation der Wortbeiträge war zum Ausfüllen des

Beobachtungsbogens vonnöten. Durch die Möglichkeit zum mehrmaligen

Ansehen und Anhören des Materials wurde diese Interpretation einzelner

Sequenzen erleichtert. Die inhaltliche Thematisierung wurde in zwei Durchgängen

beobachtet. Im ersten Durchgang wurden Stellen vermerkt, an denen inhaltliche

Themen erkennbar waren. Im zweiten Durchgang wurde gezielt auf die

Thematisierung von Kompetenzen, für die bisher kein Wortbeitrag gefunden

wurde, geachtet.

Die inhaltliche Thematisierung der sechs Kompetenzen Für jede Kompetenz, deren inhaltliche Thematisierung beobachtet wurde, wird je

mindestens ein Beispiel aus der Durchführung zitiert.

1. Soziale Kompetenz zur Beziehungsgestaltung

Die Biographie der Fallgeberin wird von den Teilnehmern ausführlich und

mehrmals thematisiert. Biographische Daten werden sowohl in der

Anamnesephase zur Beschreibung der Bewohnerin wiedergegeben als auch in

53

Page 59: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

der Diagnosephase als Grundlage für Mutmaßungen über Ursachen von

Verhalten. Teilnehmerin155: „Die Tochter hat mir erzählt, dass Frau Holms als Kind ein Biest

war.“

Allgemeine biographische Daten zur Alterskohorte der Bewohnerin wurden

nicht benannt.

Wahrnehmungen von Befindlichkeiten der Bewohnerin wurden in allen Phasen

immer wieder berichtet. Beispiel 1:

Teilnehmerin: „Sie mag kein Wasser.“

Moderatorin: „Sie mag kein Wasser?“

Teilnehmerin: „Nee. Und schon gar nicht im Gesicht.“

Beispiel 2:

Teilnehmerin:„Aber mit Musik scheint es besser zu gehen.“ (Der Toilettengang.

A.d.A.)

Teilnehmerin2: „Wenn man mit ihr tanzt, kommt sie schon mit.“

Teilnehmerin: „Eher zumindest.“

Berichte, die auf das Bemerken von Wahrnehmungslichtungen schließen

lassen, wurden gegeben. Beispiel1:

Teilnehmerin: „Aber das ist auch alles tageweise bei ihr. An einem guten Tag kriegt

man das dann hin irgendwie so, und denn findet sie das auch gar nicht so ganz doll

schrecklich, freut sich dann nachher auch und lässt sich gut föhnen und so, aber an

manchen Tagen kommt man gar nicht an sie ran.“

Beispiel2:

Teilnehmerin: „...das ist unterschiedlich, manchmal, wenn ich um acht reingehe und

Med (Medikamente A.d.A.) gebe ist sie schon wach, manchmal kann man auch erst

halb zehn reingehen oder um elf. Das siehst Du auch an ihrem Gesicht. Wenn sie

strahlt, alles gut.

Teilnehmerin2: „Genau.“

Teilnehmerin: „Dann kannst Du wunderbar mit ihr umgehen.“

155 Das Versehen der Teilnehmer mit Zahlen (z.B. Teilnehmer2) dient nur dem Zweck, darzustellen, dass sich verschiedene Teilnehmer in der Sequenz zu Wort gemeldet haben. Dabei ist z.B. „Teilnehmer2“ nicht jedes Mal die selbe Person.

54

Page 60: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

2. Selbstreflexive Kompetenz

Das Hinterfragen von sich oder anderen fand statt. Teilnehmerin: „(…)aber vielleicht gibt es noch `ne andere Möglichkeit, das zu

machen?“ (Teilnehmerin schilderte Durchführung einer Pflegehandlung gegen den

Widerstand der Bewohnerin. A.d.A.)

Äußerungen über das Erkennen der Notwendigkeit zur Reflexion waren nicht

zu beobachten.

3. Klinische Beurteilungskompetenz

Zustandsbeschreibungen erfolgten. Teilnehmerin: „Man muss sich ja wundern, die Haut am Po ist völlig okay.“ (Gemeint

ist der Hautzustand im Bezug auf Inkontinenz A.d.A.)

Potentiale der Bewohnerin wurden genannt. Teilnehmerin: „Sie weiß schon ganz genau, wenn sie was nich` will, das zeigt

sie(…).“

4. Kompetenz zum ethischen Urteil

Ethische Aspekte wurden angesprochen. Beispiel1:

Moderatorin. „Warum ist das überhaupt ein Problem?“

Teilnehmerin: „Weil man das gegen ihren Willen tun muss. So halbwegs Gewalt

anwenden muss. Das ist so schlimm.“

Teilnehmerin2: „Darfst Du das?“

Teilnehmerin: „Darfst Du das?“

Teilnehmerin2: „Nein, natürlich nicht.“

Teilnehmerin: „Nee, aber ich darf sie auch nicht verdrecken lassen.“

Beispiel 2:

Teilnehmerin: „Aber ich finde auch, wenn sie die Bettdecke festhält, dass man das

dann auch respektiert, und sie dann auch liegen lässt.“

5. Kenntnisse und Handlungskompetenz hinsichtlich pflegerischer Maßnahmen

Der Ablauf einer Pflegehandlung wurde beschrieben. Die Begründung wurde

indirekt genannt.

55

Page 61: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Teilnehmerin: „Also ich habs auch schon mal versucht mit nem Waschlappen. Mit

nem nassen Waschlappen, dass sie überhaupt das Gefühl kriegt, nass zu sein.

Dann ging das nachher. So nach und nach.“ (Es geht ums Haarewaschen, A.d.A.)

Unterstützende Maßnahmen im Sinne des fünften Kompetenzbereichs wurden

nicht thematisiert.

Die Validation als Maßnahme wurde nicht thematisiert. Auch indirekt wurden

keine Handlungen beschrieben, die die Grundsätze der Validation

berücksichtigen. Beratung oder Anleitung der Angehörigen wurden nicht thematisiert.

6. Managementkompetenz

Aspekte der Managementkompetenz, wie Zeit- oder Verlaufsmanagement

wurden nicht thematisiert. Es erfolgten auch keine Aussagen über den Einsatz

bei der Versorgung unter Berücksichtigung von Qualifikation der Mitarbeiter.

Einschätzung

In der durchgeführten Fallarbeit wurden die Kompetenzbereiche der ersten und

dritten Kompetenz schwerpunktmäßig und sich wiederholend thematisiert.

Wiederholt wurden Beobachtungen und Zustandsbeschreibungen von Seiten aller

Teilnehmer beigetragen. Auch die Elemente der zweiten und vierten Kompetenz

wurden aktiv von Seiten der Teilnehmer eingebracht, indem einige Teilnehmer das

eigene Handeln und das der anderen kritisch hinterfragten und Unbehagen in

gewissen Situationen schilderten. Die Kompetenzen fünf und sechs wurden in

ihren Inhalten kaum oder gar nicht thematisiert. Dies kann zwei Gründe haben.

Zum einen gab es der behandelte Fall inhaltlich nicht her. Denkbar wären aber

durchaus andere Fallkonstellationen, die ein vermehrtes Eingehen auf

beispielsweise Aspekte der Angehörigenarbeit mit sich bringen würden.

Zum anderen können Themen nicht thematisiert werden, die den Teilnehmern

nicht hinreichend bekannt sind. Ein Beispiel wäre das Konzept der Validation, das

in der durchgeführten Fallarbeit unberücksichtigt blieb.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass bei der Beobachtung manchmal die

Schwierigkeit auftrat, dass die Aussagen der Teilnehmer nicht eindeutig einer

bestimmten Kompetenz zugeordnet werden konnten. Dieser

56

Page 62: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Interpretationsspielraum könnte zum Beispiel durch das Hinzuziehen eines

weiteren Beobachters minimiert werden.

Inhaltlich wurden nicht alle Kompetenzbereiche in der Fallarbeit thematisiert. Die

gewünschte Ausprägung dieses Indizes war die inhaltliche Behandlung aller

Kompetenzinhalte. Somit zeigt sich dieses Indiz in dieser Praxisdurchführung nur

eingeschränkt und nicht in der geforderten Breite der theoretischen Vorgabe.

Die Aktivität der Teilnehmer Der Beobachtungsbogen zur Erfassung der Aktivität der Teilnehmer (Anhang B)

gibt Platz für Vermerke bezüglich der einzelnen Mitarbeiter. Erfasst werden

Wortbeiträge per Zeichen und körpersprachliche Aktivität per Notiz.

Der Bogen wurde durch zweimalige Sichtung des Materials ausgefüllt. Bei jedem

Durchlauf wurden je drei Mitarbeiter parallel beobachtet. Für jede der vier Phasen

wurden die Einträge in unterschiedlicher Farbe vorgenommen, um nach Phasen

differenziert betrachten zu können.

Alle sechs Teilnehmer beteiligten sich in jeder der vier Phasen mit Wortbeiträgen.

So wiesen alle Teilnehmer eine Aktivität in Form des Wortbeitrages auf. Eine

gewisse Dominanz ist bei zweien der examinierten Teilnehmer zu bemerken,

deren Äußerungen phasenweise deutlich häufiger erfolgen. Aber auch die drei

nicht examinierten Teilnehmer beteiligten sich wiederholt und brachten

Beobachtungen ein. Eine gravierende Restriktion der Wortbeiträge untereinander

in Form von Unterbrechung oder Abwertung der Wortbeiträge konnte nicht

beobachtet werden. Nur eine Mitarbeiterin machte gelegentliche Ansätze zu einem

Wortbeitrag, konnte sich aber kein Gehör verschaffen. In diesen Fällen wurde die

betreffende Mitarbeiterin zeitnah von der Moderatorin angesprochen und zum

Einbringen ihres Beitrages aufgefordert. Wie sich in der Videoaufzeichnung

darstellt, wurde dieses nicht Gelingen der Wortäußerung von Seiten betreffender

Mitarbeiterin jedoch nicht in allen Fällen von der Moderatorin bemerkt, so dass in

diesen Fällen davon ausgegangen werden kann, dass eine gewünschte

Beteiligung durch Wortbeitrag nicht zustande kam.

In der Evaluationsphase zeigte die Auszubildende mit nur einem Wortbeitrag eine

deutliche Zurückhaltung im Vergleich zu den anderen Mitarbeitern und den

anderen Phasen.

57

Page 63: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Die körpersprachlichen Anzeichen von Aufmerksamkeit waren durch die

Positionierung der Kamera gut zu beobachten. Die Blickrichtung der Teilnehmer

war fast durchgängig auf den gerade Sprechenden gerichtet. Dies wird als

Aufmerksamkeit für das Gesagte interpretiert. Weiter sind regelmäßig und von

allen Mitarbeitern Kopfbewegung, meistens das zustimmende Nicken bei

Beschreibungen von Beobachtungen, zu beobachten. Auch hier differiert die

Aktivität in der Körpersprache untereinander. So zeigt zum Beispiel die

Teilnehmerin, die sich bei den Wortbeiträgen nicht immer Gehör verschaffen

konnte, eine besonders rege Körpersprache, die viele Äußerungen der anderen

Teilnehmer ohne Worte bestärkt oder ablehnt. Eine andere Teilnehmerin zeigt

wenig Einsatz von Gesten, macht aber durch ständigen Blickkontakt mit den

Sprechenden einen aufmerksamen Eindruck.

Einschätzung

Die Aktivität der Mitarbeiter wird von der Moderatorin als vergleichsweise hoch

eingeschätzt. Diese Einschätzung wird aus dem Vergleich mit anderen Methoden

gewonnen, die von der Autorin im Rahmen von Aus-, Fort- und Weiterbildung

durchgeführt wurden. Die Teilnehmer erschienen durchweg interessiert und

aufmerksam und beteiligten sich. Auffällig war eine starke Zurückhaltung bei der

Diagnose und der Interventionsplanung. Es schien den Teilnehmern schwer zu

fallen, kreativ zu werden. In diesen Phasen wurde von Seiten der Moderatorin

lenkend und auffordernd eingegriffen, indem Nachfragen gestellt wurden. Durch

diese Hilfestellungen gelang es der Gruppe, mit Unterstützung die angestrebten

Ergebnisse (Benennung von möglichen Ursachen bzw. die Benennung von

Interventionen) zu erarbeiten. Unbehandelt bleibt hier die Frage, ob eine durch

Aufforderung zustande kommende Aktivität gegenüber der Aktivität aus

Eigenimpuls als niedriger einzustufen wäre.

Die häufigeren Beiträge der zwei Teilnehmerinnen deutet unter Umständen eine

Hierarchie unter den Mitarbeitern an.

Das Ausbleiben der Wortbeiträge seitens der Auszubildenden in der

Evaluationsphase könnte durch ihre fehlende Erfahrung mit den Maßnahmen

aufgrund von Abwesenheit im Praxisfeld (wegen Blockunterricht) in Verbindung

gebracht werden. Diese Vermutung bleibt aber unbestätigt.

58

Page 64: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Eine ergänzende Beobachtung war, dass es unterschiedlicher Grade an

Einflussnahme durch die Moderatorin bedurfte, um eine regelmäßige Beteiligung

der Teilnehmer zu erzielen. In einigen Abschnitten kamen die Beiträge der

Teilnehmer spontan, in anderen bedurften sie einer Aufforderung. Diese

Beobachtung wird nicht auf schwankende Aktivität der Teilnehmer zurückgeführt.

Auch in Phasen, in denen die Spontanäußerungen ausblieben oder Pausen

entstanden, wiesen die körpersprachlichen Anzeichen auf aktive Teilnahme hin.

Zudem wurden Hilfestellungen der Moderatorin, wie z.B. Fragen spontan

angenommen. Somit werden ausbleibende Wortmeldungen, wie zum Beispiel in

der Phase der Interaktionsplanung, auf andere Faktoren, etwa die mangelnde

Übung im Erdenken neuer Handlungsstrategien, zurückgeführt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Aktivität in Form von

Wortbeiträgen oder auch gezeigter Aufmerksamkeit von allen sechs Teilnehmern

durchgängig gezeigt wurde, somit ist dieses Indiz in der geforderten Ausprägung

gegeben.

4.3.3.2 Das Verhalten der Fallgeberin

Die Bewohnerin, deren Versorgung von den Teilnehmern thematisiert wurde,

befindet sich in einem derart fortgeschrittenen Verlauf der kognitiven Einbußen,

dass eine Befragung nicht möglich ist. Daher werden stattdessen die

Beobachtungen, die die Mitarbeiter in der Evaluationsphase schilderten,

beschrieben und interpretiert. Aufgrund der Übersichtlichkeit der Evaluationsphase

wurden alle Äußerungen, die auf eine Reaktion der Bewohnerin hinwiesen oder

eine Reaktion beschrieben, notiert. Ein Beobachtungsbogen wurde nicht

gesondert konzipiert. Die Aussagen der Mitarbeiter konnten durch zweimaliges

Ansehen der Evaluationsphase erfasst werden.

Die Maßnahme der Medikationsumstellung verlief kurzzeitig zum Nachteil der

Bewohnerin, da sie einen Tag nach der Umstellung einen großen Krampfanfall

bekam. Daraufhin wurde die alte Medikationsdosierung wieder verabreicht, und es

wurden keine neuen Anläufe unternommen, etwas an der Medikation zu ändern.

59

Page 65: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Die zweite Maßnahme, das Ausschlafen lassen, scheint im Sinne der Bewohnerin

zu sein. Teilnehmerin: „Also das Ausschlafen lassen bei Frau Holms, muss ich sagen, das

funktioniert gut.“

Teilnehmerin2: „Ja!“

Zwei weitere Teilnehmer nicken zustimmend. Pause.

Moderatorin: „Sehen das alle so?“

Alle nicken, einige: „Ja.“

Moderatorin: „Also für Frau Holms ist es angenehmer?“

Teilnehmerin (nickt): „Ganz bestimmt.“

Teilnehmerin2: „Ja schon.“

Pause.

Moderatorin: „Sehen das alle so?“

Alle nicken zustimmend. Einige antworten: „Ja.“

Teilnehmerin3: Sie wirkt glücklicher, zufriedener.“

Die dritte Maßnahme, die Reduzierung der Häufigkeit der Ganzkörperwäsche in

der Woche wurde für die Bewohnerin als positiv beschrieben: Moderatorin: „aber diese Maßnahme an sich, dass man an manchen Tagen darauf

verzichten kann, Frau Holms ganz zu waschen, war das für Frau Holms

angenehmer, oder…?“

Teilnehmerin: „Doch.“ (nickt, drei weitere Teilnehmer nicken.) „Sie liebt es.“

Teilnehmerin2: „Jaaa.“

Zwei weitere: „Ja.“

Teilnehmerin: „Vor allem die obere Partie.“

Moderatorin: „Dass man die weglässt?“

Teilnehmerin: „Ja“, zwei weitere: „Ja.“

Teilnehmerin(an die anderen gewandt): „Ne? Das mag sie zu gerne!“

Teilnehmerin2: „Ja. Katzenwäsche.“

Über die vierte Maßnahme, das Singen bei den Toilettengängen wurde die

Reaktion der Bewohnerin auf eine Abwandlung der Maßnahme geschildert: Teilnehmerin: „Also das nächste, Toilettengänge mit Singen, ich habe jetzt mit

Märchen angefangen.“ (Alle lachen.) „Ja sie…(unverständlich)… und vom Wolf. Das

war wunderbar, sie hat nur gelacht. (…) Das war echt genial.“

Über das Singen wurde gesagt, dass die Toilettengänge damit besser gingen. Es

ist anzunehmen, dass bei reibungsloserem Verlauf der Pflege auch die

Bewohnerin zufriedener war.

60

Page 66: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Teilnehmerin: „Alle Lieder die sie kennt, die singt sie richtig mit.“

Moderatorin: „Ihr gefällt es gut?“

Vier Teilnehmer nicken zustimmend.

Die Maßnahme, den Toilettengang mit Hilfe des Toilettenstuhles im Zimmer der

Bewohnerin durchzuführen, wurde wegen mangelnder Akzeptanz der Bewohnerin

nicht durchgeführt.

Einschätzung

Zusammenfassend kann geschlussfolgert werden, dass einige der Maßnahmen

aus Perspektive der Bewohnerin zu einer angenehmeren Gestaltung der Pflege

geführt haben. Aus dem reibungsloseren Ablauf der Pflegehandlungen und dem

ausbleibenden Abwehrverhalten der Bewohnerin lässt sich dieses ableiten. Auch

die geschilderten Beobachtungen der Teilnehmer deuten auf ein verbessertes

Wohlbefinden der Bewohnerin hin. Somit ist das Indiz, in Form des Verhaltens der

Bewohnerin in Richtung der gewünschten Ausprägung, erkennbar.

4.3.3.3 Die Teilnehmerbefragung

Die Verwendung des Instruments der Befragung durch einen Fragebogen im

Anschluss an die Lehrveranstaltung ist in der Praxis eins der wichtigsten

Instrumente. Kritiker konstatieren, dass mit diesen Fragebögen lediglich die

Teilnehmerzufriedenheit festgestellt wird. Diese ist am Ende der Veranstaltung

stark durch die jeweilige Stimmung des Teilnehmers beeinflusst (Happy-

Faktor).156 Zudem kann der Teilnehmer nur das beurteilen, was er erkennt.

Dennoch liefern Fragebögen schnelle und leicht auszuwertende Informationen.

Ihre Ergebnisse können als eine Art Frühwarnsystem genommen werden.

Außerdem ist die Stimmung der Teilnehmer, wie erläutert, ein Faktor, der Einfluss

auf das Gelingen einer Bildungsmaßnahme hat. Um diese positiven Aspekte des

Fragebogens zu nutzen, wurde er in dieser Praxiserprobung eingesetzt und

ausgewertet.

Der Fragebogen (siehe Anhang D) fragt mittels einer Skala von eins bis zehn, für

wie geeignet die Teilnehmer die Methode der Fallarbeit zur eigenen

Kompetenzentwicklung halten (1= trifft gar nicht zu bis 10= trifft voll zu). Somit wird

156 vgl. Reischmann (2003), S.112

61

Page 67: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

hier die Meinung der Teilnehmer abgefragt.157 Es erfolgte der Hinweis, dass die

Teilnehmer sich vorstellen sollen, welche verschiedenen Fälle mit Hilfe dieser

Methode bei längerfristiger Durchführung bearbeitet werden würden, um eine

Phantasie zu entwickeln, welche der Kompetenzen inhaltlich behandelt werden

würden. Denn auch hier unterliegen die Teilnehmer der Einschränkung, dass sie

die Fallarbeit nur anhand der einmaligen Durchführung beurteilen können und

keine weitergehenden Erfahrungen vorliegen.

Die Skalierung des Fragebogens von eins bis zehn ermöglicht eine hohe

Differenzierung. Der Teilnehmer wird gezwungen, eine „positive“ oder „negative“

Stellungnahme abzugeben, da durch die gerade Anzahl der Antwortmöglichkeiten

eine Mittelkategorie fehlt.158

Unterschieden werden auch in diesem Fragebogen die sechs

Kompetenzbereiche. Die Mitarbeiter erhielten zudem ein Erläuterungsformular zur

Verdeutlichung, was sich hinter den einzelnen Kompetenzen verbirgt (siehe

Anhang C). Die Mitarbeiter beantworteten jede der sechs Fragen, nachdem in der

Gruppe mit Hilfe der Moderatorin die Begrifflichkeiten geklärt worden waren. Die

Teilnehmer tauschten sich bei Bedarf aus, ob die Aussagen über die betreffende

Kompetenz richtig verstanden wurden. Zur Veranschaulichung wurde für jede

Kompetenz ein Beispiel für deren (nicht) Vorhandensein gefunden. Das

Ankreuzen auf dem Fragebogen führte jeder Teilnehmer für sich durch.

Diskussionen über die eigene Meinung bezüglich der Eignung wurden nicht

geführt, um eine Beeinflussung untereinander zu verhindern.

Mit Hilfe der Auswertung dieser Befragung kann eine Aussage für jede der sechs

Kompetenzen getroffen werden. Ein offener Fragebogen, mit qualitativ orientierten

Auswertungsoptionen, wurde anfangs in Betracht gezogen. Wegen des Vorteils

der schnellen Erhebungs- und Auswertungsmöglichkeit fiel dann aber die

Entscheidung für den verwandten Fragebogen. Für den gewünschten Eindruck

reicht die geschlossene Befragung aus.

Die Befragung wurde anonym durchgeführt, um Verzerrungen der Beantwortung

durch gefürchtete Restriktionen zu vermeiden. Nach der Beantwortung wurde der

Fragebogen von den Mitarbeitern jeweils in einen Umschlag gesteckt und verklebt.

157 vgl. Reischmann (2003), S.111 158 vgl. Diekmann (2003), S. 404f.

62

Page 68: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Die Fragebögen wurden als letztes ausgewertet, um keinen Einfluss auf die

Beobachtung der Videoaufzeichnung auszuüben. Die Meinung hinsichtlich der

Eignung der Methode zur Entwicklung der sechs Kompetenzen kann durch die

Ermittlung eines Durchschnittswertes dargestellt werden:

Die Teilnehmer schätzten die Eignung der Fallarbeit, ihre soziale Kompetenz zur Beziehungsgestaltung zu entwickeln mit einem Durchschnittswert 8,6 von zehn

Punkten ein. Vier Teilnehmer vergaben acht Punkte, zwei Teilnehmer vergaben

zehn Punkte.

Der Durchschnittswert für die Einschätzung in Bezug auf die selbstreflexive Kompetenz beträgt ebenfalls 8,6 Punkte. Zwei Teilnehmer vergaben zehn

Punkte, ein Teilnehmer neun, zwei weitere vergaben acht Punkte, und ein

Teilnehmer bewertete mit sieben Punkten.

Die Eignung der Methode, die klinische Beurteilungskompetenz zu entwickeln

schätzten die Teilnehmer für sich mit 8,8 Punkten ein. Je zwei Teilnehmer

vergaben zehn bzw. neun Punkte, jeweils ein Teilnehmer vergab acht bzw. sieben

Punkte.

Eine Eignung zur Entwicklung der Kompetenz zum ethischen Urteil bewerteten

die Teilnehmer mit durchschnittlich 8,1 Punkten. Dabei vergaben je zwei

Teilnehmer sieben bzw. acht Punkte, sowie je ein Teilnehmer neun bzw. zehn

Punkte.

Die beste Bewertung im Sinne der Einschätzung auf Eignung erhielt die Fallarbeit

für den Kompetenzbereich der Kenntnisse und Handlungskompetenz hinsichtlich pflegerischer Maßnahmen. Hier vergaben je drei Mitarbeiter neun

bzw. zehn Punkte, woraus sich ein Durchschnittswert von 9,5 errechnet.

Die Entwicklungsmöglichkeit ihrer Managementkompetenz durch die Fallarbeit

schätzten die Teilnehmer mit durchschnittlich acht Punkten ein, somit sind für

diese Kompetenz die wenigsten Punkte vergeben worden. Zwei Teilnehmer

vergaben hier neun Punkte, drei Teilnehmer acht und ein Teilnehmer sechs

Punkte.

Einschätzung

Zusammenfassend wurde die Eignung der Methode zur Kompetenzentwicklung

deutlich positiv beurteilt. Die Punktwertschwankungen sind mit maximal 1,5

Punkten Unterschied zwischen dem höchsten und niedrigsten Ergebnis relativ

63

Page 69: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

gering. Unter Berücksichtigung der Einschränkungen der Methode unterbleibt eine

weitere Interpretation der einzelnen Ergebnisse.

Bei Betrachtung der Punktwerte ist mit diesem Fragebogenergebnis ein Indiz für

die Eignung der Methode zur Entwicklung aller sechs Kompetenzbereiche

gegeben.

4.3.3.4 Die Selbstreflexion

Die Einschätzung der Autorin bedarf einer selbstreflexiven Betrachtung, um den

eigenen Einfluss auf Durchführungsprozess und Ergebnisse der Fallarbeit

einzuschätzen.

Diese Beeinflussungen könnten durch (un)bewusste Erwartungen der Autorin

zustande kommen159. Es gab für die Selbstbeobachtung die Vorgabe, Gedanken,

Gefühle und Handlungen im Bezug auf die Fallarbeit im weitesten Sinne in Form

von „Gedankenstichproben“160 zu notieren. Diese Notizen wurden ebenfalls im

Beobachtungsbogen der Feld-Notizen dokumentiert und ausgewertet.

Ziel war es, durch die Selbstreflexion den Grad der Objektivität zu erhöhen. Die

Notizen brachten unerwartet viele Aspekte der eigenen Haltung und möglichen

Einflussnahme zu Tage. Folgend werden zusammenfassend die prominentesten,

subjektiv ausgewählten Beispiele im Verlauf beschrieben.

Anfangs bestand eine hohe Erwartungshaltung im Bezug auf die Eignung der

Methode zur Kompetenzentwicklung. Dies begründet sich darauf, dass die

gesichtete Literatur Erfolge für den Einsatz fallbezogener Bildungsmethoden in

Aussicht stellt, und die Methode als die meist versprechende ausgewählt wurde.

Diese hohe Erwartung wurde durch die praktische Durchführung bereits

abgeschwächt. Die Beiträge der Teilnehmer entsprachen hinsichtlich der

Kreativität bei Diagnose und Interventionsplanung nicht den erwarteten

Ergebnissen der Autorin. Gerade beim Planen der Interventionen, die als

wesentliches Element der Fallarbeit anzusehen sind, da sie eine Verbesserung

der Problemsituation in der Praxis erwirken sollen, war ein hohes Maß an Lenkung

durch die Moderatorin notwendig. Somit kam es hier nicht zu der erhofften

159 Dieses Phänomen der selektiven Wahrnehmung ist beschrieben bei Diekmann (2003), S.44ff 160 Bortz/Döring (2003), S.324

64

Page 70: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

„Befruchtung“ der Teilnehmer untereinander durch Austausch über Erfahrungen

und Ideen.

Ein Nachsinnen über die Gründe dieses Umstandes erbrachte die Erkenntnis,

dass noch viele weitere Faktoren an dem Gelingen einer Bildungsmaßnahme

beteiligt sind. Zum Beispiel kann es sein, dass Pflegende durch die stark

hierarchische Gestaltung der Leitung in einem Betrieb vom eigenverantwortlichen

und kreativen Denken abgehalten werden. Weitere Einflussfaktoren können die

Beziehungen und Strukturen im Team selbst, die Motivationslage des Einzelnen

zu Weiterbildungsmaßnahmen und noch diverse andere sein.

Durch diese Erkenntnis wurde die Erwartungshaltung der Autorin an das

„Gelingen“ relativiert.

Von Seiten der Autorin bereitete es keine Probleme, die Einschränkungen der

Methode gezielt zu suchen und sie zu benennen. Das Erkennen der

Schwachstellen der Kompetenzklassifizierung, der Begrenzungen in Bezug auf die

Eignung der Methode und der geringen Beweiskraft der Praxiserprobung entstand

im Prozess der Arbeitserstellung. Zeitweilig wurde durch dieses Erkennen ein

Wunsch nach „verschönter“ Darstellung und damit assoziierter Aufwertung der

eigenen Leistung geweckt. Der in der Literatur beschriebene Effekt, die eigenen

Ergebnisse positiv darstellen zu wollen, wurde somit in der Selbstbeobachtung

wahrgenommen, und diesem Effekt konnte durch die Reflexion entgegengewirkt

werden.

Die Selbstbeobachtung zeigte vor dem ersten Durchführungstermin eine hohe

Motivation und eine große Bereitschaft, ein positives Arbeitsklima zu schaffen,

verbunden mit dem Wunsch, positive Ergebnisse zu erzielen. Dies spiegelt sich in

motivierendem Verhalten den Teilnehmern gegenüber. Die Videoaufzeichnung

macht dieses deutlich. Zum Beispiel werden alle Beiträge der Teilnehmerin durch

die Moderatorin mit Aufmerksamkeit verfolgt. Weiter erfolgen gelegentlich

wertende Rückmeldungen wie: „Sie haben eine Reihe von guten Beobachtungen

gemacht und auch benannt(…).“. Dieses Verhalten kann einerseits als Aktivität

fördernd und somit beeinflussend gewertet werden. Andererseits kann es auch als

wünschenswertes Verhalten eines Moderators generell angesehen werden.

65

Page 71: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Zusammenfassend ist das Ergebnis der Selbstbeobachtung, dass die

Untersuchung nicht losgelöst von der Einstellung der Autorin betrachtet werden

kann. Erwartungen und Vorannahmen waren vorhanden. Diese im Prozess zu

dokumentieren und zu reflektieren wurde als außerordentlich hilfreich empfunden

und führte nach Einschätzung der Autorin zu einer erhöhten Objektivität der

Betrachtung.

66

Page 72: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

5. Diskussion und Ausblick

In dieser Arbeit wurde die Einteilung von Kompetenzen des 4.Altenberichts

gewählt. Wie beschrieben, ist diese Unterteilung nach Einschätzung der Autorin

die übersichtlichste und strukturierteste, die Autoren berücksichtigen vorliegende

Forschungsergebnisse. Dennoch wirft die Unterteilung Fragen auf und stellt in

einigen Bereichen nicht zufrieden. Zum Beispiel erfolgt die Unterteilung in

beeinflussbare bzw. entwickelbare Kompetenzen und personale Kompetenz, über

die eine Person verfügt oder nicht. Diese Unterteilung ist zu hinterfragen. Die

Feststellung, dass Werte und Einstellungen oder auch Bereitschaft für etwas nicht

von außen beeinflussbar sind, kann angezweifelt werden. So geht beispielsweise

Brunner davon aus, dass Einstellungen durch (soziale) Lernprozesse erworben

werden und somit auch wieder abgelegt werden können. Für ihn sind

Einstellungsänderungen somit denkbar.161

Im Altenbericht wird zum Beispiel unterstellt, dass von einer Pflegeperson erwartet

werden kann zu lernen, die eigenen fachlichen Kenntnisse in Frage zu stellen

(selbstreflexive Kompetenz) oder sich oder das eigene Handeln ethisch zu

hinterfragen (Kompetenz zu ethischen Urteil). Die eigene Person hinsichtlich der

Übertragung eigener Werte und Normen auf andere zu hinterfragen wird

wiederum als mitzubringende Kompetenz angesehen. Diese Unterteilung

erscheint willkürlich und nicht hinreichend begründet. Somit sei darauf verwiesen,

dass Klärungsbedarf besteht für die Frage, was entwickelt werden kann und was

nicht.

Weiter erscheint die Zuordnung der geforderten „grundlegenden Kenntnisse zur

professionellen Pflege demenzkranker Menschen“ zu den einzelnen

Kompetenzen, bzw. deren Integration, nötig, wenn man auf die Entwicklung der

Kompetenzen abzielt. Die Zuordnung würde der genaueren inhaltlichen

Beschreibung der einzelnen Kompetenzen dienlich sein, erfolgt jedoch nicht.

Damit wird die Komponente Wissen nicht als Bestandteil der (performativen)

Kompetenz angesehen. Diese Ausgliederung erscheint nicht schlüssig.

161 Brunner (2003) S.496

67

Page 73: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Es wird als notwendig angesehen, sich unter Berücksichtigung der vorliegenden

Empfehlungen von verschiedenen Seiten erneut der Aufgabe der Benennung der

erforderlichen Kompetenzen für Pflegende zuzuwenden.

Die Ergebnisse der Erhebung der vorformulierten Indizien wurden dargestellt. Die

kontinuierliche Beobachtung der Autorin des gesamten Prozesses erbrachte

darüber hinausgehende Erkenntnisse. Diese Beobachtungen sollen an dieser

Stelle als Ergänzung beschrieben werden.

Die Durchführbarkeit der Methode mitsamt allen Vorgaben wird als praktikabel

eingeschätzt. Der zeitliche vorgegebene Rahmen ist angemessen für eine

umfassende Bearbeitung. Die Phasen bauen logisch aufeinander auf und eine

flüssige Durchführung war möglich. Sinnvoll erscheint das Einlegen einer kurzen

Pause, da in der zweiten Hälfte Anzeichen von Ermüdung (Blicke zur Uhr, längere

Schweigephasen) zu bemerken waren.

Anzumerken ist, dass die Vermittlung von Fertigkeiten oder gewisser theoretischer

Grundlagen nicht durch die Fallarbeit alleine geschehen kann. Dies lässt sich am

Beispiel des Konzeptes der Validation erläutern. Validation ist eine Komponente

der geforderten Kompetenz „Kenntnisse und Handlungskompetenz hinsichtlich

pflegerischer Maßnahmen“ und wurde in der durchgeführten Fallarbeit nicht

thematisiert.

Ein solch umfassendes Konzept bedarf der Vermittlung der grundlegenden

Elemente dieses Ansatzes. Dieses Wissen zu lehren und die Anwendung

einzuüben ist im Rahmen der Fallarbeit sicher nicht möglich und müsste

gesondert erfolgen. Diese Notwendigkeit, der Schaffung von Grundlagenwissen,

ist auch auf für andere Komponenten dieser Kompetenzen erkennbar, z.B. die

Kenntnisse der unterstützenden Maßnahmen, also Hilfsmittel oder

Finanzierungsmöglichkeiten. In Teilaspekten ist die Thematisierung dieser Inhalte

denkbar, und auch bei der Reflektion der Anwendung der Validation kann die

Fallarbeit hilfreich sein. Es erscheint aber sinnvoll, im Vorwege notwendiges

Basiswissen oder Basisfertigkeiten zu vermitteln.

Somit erscheint die Methode zur Entwicklung von Wissens- und

Fertigkeitskomponenten nur bedingt geeignet, hierbei sollten andere Methoden

ergänzend eingesetzt werden. Ggf. könnte die Fallarbeit auch modifiziert werden.

68

Page 74: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Fallen z.B. beim Durchführen der Fallarbeit Wissensdefizite auf, könnte der

Moderator diese spontan ergänzen (z.B. im Anschluss an die Veranstaltung),

denkbar jedoch nur für überschaubare Inhalten (wie beispielsweise

Nebenwirkungen eines bestimmten Medikaments). Andernfalls müssten die

Informationen an die entsprechende Stelle weitergeben werden, damit den

Mitarbeitern zeitnah eine Wissensvermittlung auf andere Weise zur Verfügung

gestellt wird. Im diesem Sinne könnte der Einsatz der Methode durch

Modifizierung oder Ergänzung optimiert werden.

Eine weitere Auffälligkeit war in der Evaluationsphase zu finden. Hier wurden von

Seiten der Teilnehmer unaufgefordert Vorschläge für weitere Interventionen

eingebracht. Mit diesen Vorschlägen zeigten die Teilnehmer in der

Evaluationsphase mehr Initiative als in der Phase der Interventionsplanung beim

vorangegangenen Termin. Dort wurde lediglich eine Intervention von Seiten der

Teilnehmer vorgeschlagen, die anderen mussten durch Moderation entwickelt

werden. So stellt sich die Frage nach der Ursache dieser Beobachtung.

Mutmaßlich kann es daran liegen, dass die Teilnehmer beim zweiten Termin

„aufgetaut“ waren und sich mutiger für kreative Vorschläge zeigten. Diese

erstmalige Durchführung könnte von der anfänglichen Scheu der Teilnehmer

durch die Konfrontation mit einer neuen und ihnen unbekannten Situation geprägt

worden sein.

Ein anderer Erklärungsansatz ist, dass die Teilnehmer durch die erste Sitzung

sensibilisiert wurden und in dem darauf folgenden Praxiseinsatz gewisse Aspekte

aufmerksamer beobachteten.

Diese Veränderung im Verhalten der Teilnehmer bereits als Indiz für die

Entwicklung von Kompetenz zu bewerten, erscheint denkbar, entbehrt jedoch

einer Grundlage. Jedoch erscheint diese Beobachtung beachtenswert und

führt zu einer Bestärkung der Empfehlung, die Methode der Fallarbeit fortlaufend

anzubieten162.

Die Moderation als wichtigen Baustein zum Gelingen der Methode zu betrachten

erweist sich nach der Praxiserfahrung als gerechtfertigt. Der aufmerksame

162 vgl. Hennig (2004), S.122

69

Page 75: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Moderator wird die Methode nutzen können, um Kompetenzdefizite bei den

Teilnehmern zu ermitteln. So wie in diesem Praxisbeispiel auffiel, dass die

Teilnehmer Scheu beim kreativ Werden haben oder über mangelnde Kenntnisse

der Validation verfügen.

Größtmögliche Erfahrung sowie Wissen im Fachgebiet Demenz ermöglichen es

außerdem, dass die Teilnehmer nicht nur untereinander, sondern auch vom

Moderator lernen.

Günstig wäre es im Sinne des Praxisbezugs, wenn mindestens ein Teilnehmer

aus der Gruppe über ein hohes Kompetenzniveau verfügt, und somit anstelle des

Moderators zum „Lernen vom Experten“ zur Verfügung steht. Dies wäre insofern

ein Vorteil, da ein Mitarbeiter des Betriebes durch die Tätigkeit im Praxisfeld mehr

„Innensicht“ hat als der Moderator und in die Gruppe der übrigen teilnehmenden

Mitarbeiter integriert ist. Dies könnte zur besseren Akzeptanz der Beiträge und

Anregungen in der Gruppe führen.

In dieser Praxisdurchführung waren die Mitarbeiter auf niedrigem

Kompetenzniveau in der Überzahl. Die inhaltliche Qualität der Fallarbeit hätte

nach Einschätzung der Autorin von der Teilnahme weiterer erfahrener Mitarbeiter

profitiert.

Trotz der möglichen Lenkung der Inhalte durch den Moderator erscheint die

Fallarbeit zur Förderung einiger Kompetenzen geeigneter als für andere. So wird

nach der Erfahrung dieser einmaligen Durchführung die besondere Eignung für

die Anbahnung der ersten vier Kompetenzen gesehen. Diese Einschätzung

unterliegt jedoch ausdrücklich dem Hinweis, dass sich diese Gewichtung im

Verlauf von mehreren Durchführung durchaus verschieben kann.

Mit Sicherheit kann jedoch rein durch die inhaltliche, strukturelle Vorgabe der vier

Phasen der Schluss gezogen werden, dass bei jeder Durchführung der Fallarbeit

beschreibende Elemente von Zustand und Wahrnehmungen im Sinne der

Kompetenzen eins (soziale Kompetenz zur Beziehungsgestaltung) und drei

(klinische Beurteilungskompetenz- hier besonders das Erkennen von

Verhaltensursachen) behandelt werden. Dies wird bereits in der Durchführung der

Anamnese- und Diagnosephase sichergestellt.

Wie im Kapitel über den Kompetenzbegriff deutlich wurde, handelt es sich bei

Kompetenz um ein vielschichtiges Konstrukt. Es wird stets schwierig oder

70

Page 76: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

unmöglich sein, Kompetenz zu operationalisieren. Dennoch muss beim Blick in die

Praxis dieses Vorhaben weiter verfolgt werden. Die Praxis stellt Anforderungen an

Personalauswahl, -fort- und -weiterbildung. Die Beschreibung der

gesellschaftlichen Situation machte die Herausforderungen der Zukunft bezüglich

der Pflege von Menschen mit Demenz deutlich.

Zur Überprüfung der Wirksamkeit der Methode wäre nun, nachdem sich Hinweise

auf Wirksamkeit gezeigt haben, eine Evaluation zu planen. Hierbei stellt sich die

Frage nach dem Vorgehen. Denkbar wäre eine Beobachtung der Pflegenden in

der Praxis. Auch das Verhalten der Menschen mit Demenz kann beobachtet

werden. Ein weiterer Ansatz zur Kompetenzmessung findet sich bei Benner. Sie

schlägt erzählende Beschreibungen kritischer Situationen als Methode der

Leistungsbeurteilung vor.163

Abschließend wird die Eignung der Methode für die drei wichtigsten Sektoren der

Pflege skizziert. Die multiperspektivische Fallarbeit scheint für den Einsatz in der

Akutversorgung nicht geeignet. Die durchschnittlich kurze Verweildauer erlaubt

kein intensiveres Kennen lernen und ausführliches Beobachten des Menschen mit

Demenz. Ein Aufenthalt von ca. sechs Wochen wäre mindestens notwendig, um

pro Fallgeber die vier Phasen und somit zwei Termine zu gestalten. Ein deutlich

längerer Verweilzeitraum wäre zugunsten der Tiefe der Fallbearbeitung

wünschenswert. Diese Voraussetzung ist in der Akutversorgung in den seltensten

Fällen gegeben.

Der Einsatz in der ambulanten und auch stationären Altenpflege wird als sinnvoll

angesehen. Hier sind die geforderten Voraussetzungen erfüllt. Ein Team ist in die

Versorgung involviert, denkbar wäre sogar die Einbeziehung weiterer

Berufsgruppen oder pflegender Angehöriger.

So erfüllte die Arbeit die in sie gesetzten Erwartungen. Interessante und

erhellende Aspekte zum Thema Qualifizierung für die Pflege des Menschen mit

Demenz sind zu Tage getreten. Neue Aufgaben, das Thema betreffend wurden

aufgezeigt. Was bleibt ist die Hoffnung, der kommenden Herausforderung der

163 vgl. Benner (1994), S.180

71

Page 77: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

72

Pflege des Menschen mit Demenz in seinem Sinne als Profession Pflege gerecht

werden zu können.

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dem Weg zu einer neuen Lernkultur: Wissenstransfer in der Pflege. Bern u.a.:

Verlag Hans Huber, S.88-95

Wottawa, Heinrich; Thierau, Heike (2003): Lehrbuch Evaluation. 3., korrigierte

Auflage. Bern u.a.: Verlag Hans Huber

Zimbardo, Philip G. (1995): Psychologie. 6. neu bearbeitete und erweiterte

Auflage. Berlin u.a.: Springer Verlag

IX

Page 83: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Anhang Anhang A: Beobachtungsbogen Inhalte ..................................................................... 1 A-1

Anhang B: Beobachtungsbogen Aktivität ................................................................ B-3

Anhang C: Erläuterungen zum Fragebogen ............................................................ C-5

Anhang D: Fragebogen ........................................................................................... D-6

Anhang E: Die Komponenten der sechs Kompetenzen ........................................... E-7

X

Page 84: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Anhang A: Beobachtungsbogen Inhalte

Beispiel mit Name des Mitarbeiters und Quellenverweis (Ort auf dem Datenträger, Nummer des Datenträgers)

1.1 Gibt Auskunft/erfragt über

Biographie allgemein

1.2 Speziell

1.3 Berichtet über die Wahrnehmung

von Befindlichkeiten aus Sicht des

Pflegebedürftigen

1.4 Berichtet,

Wahrnehmungslichtungen genutzt zu

haben

2.1 Hinterfragt sich oder andere

2.2 Erkennt Notwendigkeit zur

Reflexion

3.1 Beschreibt/ erfragt Zustand

3.2 Erfragt/ beschreibt Potentiale.

Schlägt vor

4. Ethische Fragen werden

aufgeworfen, ethische Aspekte

angesprochen

5.1 Beschreibt Ablauf von

1A-1

Page 85: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Pflegehandlungen, gibt

Begründungen, erfragt Ablauf,

schlägt begründet Änderung vor

5.2 Schlägt unterstützende

Maßnahmen vor bzw. erfragt

Möglichkeiten (Hilfsmittel,

Finanzierungsmöglichkeiten)

5.3 Gibt Anregung zur Validation

bzw. fragt dieses nach

5.4 Schlägt Beratung oder Anleitung

der Angehörigen vor

6.1 Gibt Vorschläge oder Beispiele

für Zeitmanagement

6.2 Verlaufsmanagement/

Pflegebedürftigkeitsprozesssteuerung

wird erwähnt

6.3 Gibt an, in welchen Bereichen

Examen zur Versorgung notwendig

ist

2A-2

Page 86: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Anhang B: Beobachtungsbogen Aktivität

Teilnehmer

Anzeichen von Aktivität (I = Wortäußerung oder eindeutige Kopfbewegung, schriftliche Bemerkung zum Blickverhalten)

Teilnehmer 1

Teilnehmer 2

Teilnehmer 3

B-3

Page 87: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

B-4

Teilnehmer 4

Teilnehmer 5

Teilnehmer 6

Page 88: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Anhang C: Erläuterungen zum Fragebogen

Erläuterungen zum Fragebogen

1. soziale Kompetenz zur Beziehungsgestaltung meint: • sich in die Lage des Bewohners hineinversetzen zu können. • Kenntnisse über die Biographie des Bewohners und die

biographischen Besonderheiten seiner Altersgruppe zu haben. • Befindlichkeiten und Tagesform des Bewohners wahrzunehmen.

2. Selbstreflexive Kompetenz meint: • Die Bereitschaft, bisheriges Wissen und Handeln zu hinterfragen. • Sich Zeit zu nehmen, um Wissen und Handeln zu hinterfragen.

3. Klinische Beurteilungskompetenz meint: • Den Pflegebedarf des Bewohners einschätzen zu können. • Die Ressourcen des Bewohners einschätzen zu können. • Das Umfeld (Angehörige, Wohnraumgestaltung) einschätzen und

Verbesserungspotentiale erkennen zu können.

4. Kompetenz zum ethischen Urteil meint: • In der Lage zu sein, ethische Entscheidungen treffen zu können. • Ethische Dilemmata erkennen zu können.

5. Kenntnisse und Kompetenz hinsichtlich pflegerischer Maßnahmen meint:

• In der Durchführung der pflegerischen Tätigkeiten sicher zu sein. • Bei Abweichungen vom üblichen Verlauf der Pflegehandlung

Begründungen nennen zu können. • Die Pflegesituation für den Bewohner möglichst stressfrei gestalten

zu können. • Validation erklären und anwenden zu können. • Personen im Umfeld des Bewohners anleiten und beraten zu können

(pflegerische Handlungen, Alltagsbegleitung, Hilfsmittel, Finanzierung…)

6. Managementkompetenz meint:

• Bei Personalmangel oder knapper Zeit entscheiden können, was wichtig ist (Zeitmanagement)

• Die Tagesstruktur und die Angebote (Freizeit, Sinneswahrnehmungen…) für den Bewohner gestalten können.

• Bei Übergängen (z.B. Krankenhauseinlieferung) für den Bewohner stellvertretend die Organisation übernehmen zu können.

Nur examinierte Kräfte: • Entscheiden zu können, wann pflegerische Tätigkeiten an

ungelernte Kräfte delegiert werden können.

C-5

Page 89: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Anhang D: Fragebogen

Fragebogen

Ich halte die durchgeführte Form der Fallarbeit für geeignet,…

1. meine soziale Kompetenz zur Beziehungsgestaltung zu entwickeln.

Trifft gar nicht zu trifft voll zu 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

2. meine selbstreflexive Kompetenz zu entwickeln.

Trifft gar nicht zu trifft voll zu 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 3. meine klinische Beurteilungskompetenz zu entwickeln.

Trifft gar nicht zu trifft voll zu

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 4. meine Kompetenz zum ethischen Urteil zu entwickeln.

Trifft gar nicht zu trifft voll zu

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

5. meine Kenntnisse und Handlungskompetenz hinsichtlich pflegerischer

Maßnahmen zu entwickeln.

Trifft gar nicht zu trifft voll zu

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

6.meine Managementkompetenz zu entwickeln.

Trifft gar nicht zu trifft voll zu 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Danke für Ihre Teilnahme!!!

D-6

Page 90: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

E-7

Anhang E: Die Komponenten der sechs Kompetenzen

Die Komponenten der sechs Kompetenzen

1.1 Kenntnisse Biographie allgemein

1.2 Kenntnisse Biographie speziell

1.3 Wahrnehmung von Befindlichkeiten aus der Perspektive des Pflegebedürftigen

1.4 Wahrnehmungslichtungen erkennen und nutzen

2.1 Sich oder andere hinterfragen (Bereitschaft dazu)

2.2 Notwendigkeiten zur Reflexion erkennen (Zeit dafür nehmen)

3.1 Zustände erkennen und beschreiben

3.2 Potentiale/Ressourcen erkennen (des Pflegebedürftigen sowie des Umfeldes)

4. Ethische und moralisch Fragestellungen werden erkannt. Entscheidungen

begründet.

5.1 Pflegehandlungen kennen, Ablauf, Änderungen begründen

5.2 Unterstützende Maßnahmen (Hilfsmittel, Finanzierungsmöglichkeiten)

5.3 Konzept der Validation

5.4 Beratung oder Anleitung der Angehörigen

6.1 Zeitmanagement

6.2 Verlaufsmanagement/ Pflegebedürftigkeitsprozesssteuerung

6.3 Erkennen, in welchen Bereichen Examen zur Versorgung notwendig ist

Page 91: Hochschule für angewandte Wissenschaft Hamburg Fachbereich

Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere, dass ich vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe selbständig verfasst

und nur die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Wörtlich oder dem Sinn nach

aus anderen Werken entnommene Stellen sind unter Angabe der Quelle kenntlich

gemacht.

Rethwisch, den 25.07.2008

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