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Illustrierte Historische Hefte / Heft 13 / 1978

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Berlin, 28. Februar 1866. Im AltenPalais Unter den Linden findet einefolgenschwere geheime Beratungstatt-in sogenannter Kronrat, denKönig Wilhelm kurzfristig einberu-fen hat. Die Sitzung des Kronratsbeginnt genau zwölf Uhr mittags.Der König läßt, bevor er seine Er-öffnungsansprache beginnt, nocheinmal den Blick über die Gesichterder anwesenden zivilen und militä-rischen Würdenträger gleiten: sämt-liche Minister Preußens mit Ottovon Bismarck an der Spitze sinderschienen, der Kronprinz Fried-

rich Wilhelm (der spätere KaiserFriedrich III.), GeneralstabschefHelmuth von Moltke und dreiweitere Generale, dazu der preußi-sche Botschafter in Paris, Graf vonder Goltz. Die Minister haben be-reits eine Vorbesprechung gehabtund wissen, worum es gehen wird.Die Militärs hingegen sind völligahnungslos. Sie sitzen in ihren gold-betreßten dunkelblauen Uniformenstocksteif da und schauen den

König erwartungsvoll an.Wilhelm steigert die Spannung nochdadurch, daß er zunächst alle An-wesenden verpflichtet, nicht nurüber den Inhalt des Kronrats, son-

dern auch über das bloße Themastrengstes Stillschweigen zu bewah-ren. Und dann kommt er sofort zurSache: den Beziehungen zwischenseinem Lande und dem KaiserreichOsterreich. Er erklärt, die österrei-chische Regierung habe gegenPreußen einen feindseligen Kurseingeschlagen, der möglicherweisezum Krieg führen könne.Nach ihm schildert Bismarck dieAbsichten der österreichischenRegierung in den düstersten Farben- und er spricht unverhohlen aus,daß er den Krieg herbeiwünscht:„Die ganze historische Entwicklungder deutschen Verhältnisse, diefeindselige Haltung Osterreichs",so ruft er aus, „treiben uns demKriege entgegen. Es würde einFehler sein, ihm jetzt aus dem Wegezu gehen." Daß sämtliche Ministerdie Ausführungen ihres Chefs eifrigunterstreichen, kann niemandenverwundern. Sie alle sind, vomKriegsminister Albrecht von Roonabgesehen, willfährige Trabanten

ihres Herrn und Meisters. DerKronprinz hingegen - formell nachdem König der ranghöchste Mannim Staate - warnt vor einem

„Bruderkrieg" und rät, alle Mög-

Das Alte Palais, Unter den Linden/Ecke Bebeiplatz, 1834—.36 erbaut.Hier wohnte mehr als fünfzig Jahrelang der preußische König undspätere Kaiser Wilhelm 1.

lichkeiten eines friedlichen Aus-gleichs mit Osterreich auszuschöp-fen.

Als letzter spricht der General-stabschef, der bereits die Opera-tionspläne für einen Krieg gegen dieDonaumonarchie fix und fertig lie-gen hat. Er ist für Krieg und erklärt,Voraussetzung für einen Sieg überOsterreich sei ein Militärbündnismit Italien, um in dem bevorstehen-den Kampf 100000 österreichischeSoldaten in Norditalien festhaltenzu können.König Wilhelm beendet - wie er das•

meistens tut - den Kronrat, indemer festlegt, was sein Souffleur Bis-marck vorgeschlagen hat: Mit Ita-lien soll ein Militärabkommen aus-gehandelt werden. Erst nachdemdieses abgeschlossen ist, soll mitOsterreich über die bestehendenStreitigkeiten - bei denen es vorallem um die gemeinsame Verwal-tung der beiden HerzogtümerSchleswig und Holstein geht - ver-handelt werden.Bismarek benutzt nunmehr jedeGelegenheit, Osterreich zu pro-vozieren und die preußisch-öster-reichischen Beziehungen zu ver-schlechtern. Dabei bedient er sichzum Teil recht merkwürdiger Me-thoden. So läßt er dem sächsischenGesandten in Berlin, einem GrafenHohenthal, zutragen, er bereiteeinen Angriff auf Sachsen undOsterreich vor Hohenthal lädt nunden preußischen Ministerpräsiden-ten für den 10. März zu einem fest-lichen Mittagessen ein, um ihn aus-horchen zu können. Die Gattin desGesandten sitzt während des Es-sens neben Bismarck und fragt ihnganz überraschend in neckischemPlauderton, ob er sich tatsächlichmit kriegerischen Absichten trage.Bismarck antwortet mit hintergrün-digem Lächeln: „Natürlich, seitdem ersten Tage meines Ministe-

riums habe ich keinen andern Ge-danken gehabt; Sie werden baldsehen, daß wir besser schießen alsunsere Gegner."Die bestürzte Gräfin bittet ihn nun

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Wilhelm 1. (1797-1888)

Seit 1840 Prinz von Preußen (Thron-

anwärter). Er schlug 1849 die revo-lutionäre Erhebung in Südwest-deutschland nieder und wurde seit-

dem im Volke ‚.Kartätschenprinzgenannt. 1858 übernahm er anstelleseines geistesgestörten Bruders als

Prinzregent die Regierungsgewalt.Seit 1861 König von Preußen. seit

1871 Deutscher Kaiser.

um einen Rat, ob sie sich bei Kriegs-gefahr nach Böhmen oder auf ihrGut bei Leipzig begeben solle. „Ichkann nur empfehlen", sagt ihr ga-lanter Tischnachbar, „nicht nachBöhmen zu gehen, denn gerade inder Nähe Ihres dortigen Besitzeswerden wir die Osterreicher schla-gen; und da wird es mehr Ver-wundete geben, als Ihre Leute pfle-gen können. Aber auf Ihrem säch-

sischen Schloß werden Sie nichteinmal durch Einquartierung be-lästigt werden, da Knautheim nichtan einer Etappenstraße liegt." GrafHohenthal informiert sofort seineRegierung in Dresden, diese gibt dieheiße Nachricht umgehend nachWien weiter. Und die österreichi-sche Regierung, die auch von ande-rer Seite ähnliche Meldungen erhalten hat, verlegt noch im MärzTruppen nach Böhmen.

Inder zweiten Märzhälfte fällt dannden „hochgestellten" Personen, diezu den Empfängen am preußischenKönigshof Zugang haben, dort einschwarzhaariger, meist finster

Otto von Bismarck (1815-1898)1848/49 einer der Führer der konter-revolutionären Kräfte in Preußen.1851-59 war er preußischer Bundes-tagsgesandter in Frankfurt amMain, 1859-62 Gesandter in Peters-

burg, 1862 kurze Zeit Gesandter inParis, 1862-90 preußischer Mini-sterpräsident. 1867-71 Kanzler desNorddeutschen undes nd1871-90 Reichskanzler.

Deutscher Bund

Der Deutsche Bund war ein imJahre 1815 gegründeter lockererStaatenbund. Im Gründungsdoku-ment wurde er als „völkerrechtli-cher Verein der deutschen souverä-nen Fürsten und Freien Städte" be-zeichnet. 1866 umfaßte er 28 Für-stentümer und 4 Freie Städte. Die

beiden Großmächte Osterreich undPreußen gehörten dem Bund nur mitdenjenigen Teilen ihres Staatsge-bietes an, die vor 1806 zum „Heili-gen Römischen Reich DeutscherNation" gezählt worden waren.Deshalb rechneten einerseits diebeiden preußischen Ostprovinzen„Preußen" (Ost- und Westpreußen)und Posen, andererseits der größereTeil des Habsburgerreiches (darun-ter Ungarn, Galizien, Kroatien)

nicht zum Bundesgebiet.

Helmuth von Moltke (1800-1891)1857-88 Chef des preußischen Ge-neralstabes. Unter seiner Leitungwurde der Generalstab, der vorhernur eine unbedeutende wissen-schaftlich-technische Dienststelleinnerhalb des Kriegsministeriumsgewesen war, zu einem leistungs-fähigen Planungszentrum und zumeigentlichen Führungsorgan derpreußischen Armee ausgebaut.

Bundestag

Der Bundestag in Frankfurt amMain war das einzige ständige Or-gan des Deutschen Bundes. Er be-stand aus den Gesandten der Mit-gliedsländer und besaß nur gering-fügige Befugnisse. Vorsitzender desBundestages war der österreichi-sche Gesandte. Die Auseinan-

dersetzungen zwischen den Ver-tretern Preußens und Osterreichs,zu denen es seit dem Beginn der50er Jahre immer wieder kam, wi-derspiegelten die Rivalität der bei-den Großmächte um die Vorherr-schaft in Deutschland. Die meistender im Bundestag vertretenen Re-gierungen unterstützten die reaktio-näre Politik Osterreichs, um mitdessen Hilfe die feudale Zersplitte-rung Deutschlands aufrechterhalten

zu können.

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dreinschauender italienischer Offi-zier auf. Es ist General Govone, dersich seit dem 14. des Monats in Ber-lin aufhält und im Auftrage seinerRegierung mit Bismarck über einpreußisch-italienisches ilitär-bündnis verhandelt. Am 8. Aprilschließlich wird ein geheimer Ver-trag zwischen Preußen und Italienunterzeichnet.Dieser Geheimpakt enthält nichtmehr und nicht weniger als eineklare Absprache beider Seiten, in-nerhalb von drei Monaten - alsospätestens bis zum 8. Juli—gemein-sam einen Krieg gegen Osterreichzu beginnen. Der Vertrag schließteine Klausel ein, in welcher deritalienischen Seite die ErwerbungVenetiens zugesichert wird. Vene-tien ist - sieht man vom Trentino(Südtirol) ab - das letzte größereitalienische Territorium, das nochunter österreichischer Fremdherr-schaft steht. Bismarck hat somitgeschickt an das legitime Bestrebender italienischen Patrioten ange-knüpft, die Bevölkerung Venetiensvom habsburgischen Joch zu be-freien. Die Tinte, mit der der Ver-trag vom 8. April unterzeichnetwurde, ist kaum getrocknet, daschlägt eine Nachricht aus Frank-furt am Main wie eine Bombe ein:die preußische Regierung hat am9. April vor dem Bundestag denVorschlag unterbreitet, ein deut-sches Parlament einzuberufen.Dieses Parlament soll in allgemei-nen und direkten Wahlen bestimmtwerden und über eine Reform desDeutschen Bundes beraten. Bis-marck hofft, gleich zwei Fliegen miteiner Klappe schlagen zu können: er

will die österreichische Regierungweiter reizen und sich selbst denHeiligenschein eines Verfechtersder nationalen Interessen des deut-schen Volkes zulegen.Der preußische Antrag vom 9. Aprilruft in den deutschen Staaten inallen Klassen und Schichten großeVerwirrung hervor. Als Bismarckseinem König zum ersten Male denPlan darlegt, ein deutsches Par-lament einzuberufen, traut dieser

zunächst seinen Ohren nicht. Dannschreit Wilhelm in panischem Ent-setzen auf: „Aber das ist ja dieRevolution, die Sie mir da vor-schlagen "

5unker-

staatin

Nöten

König riedrich ilhelm IV.(1795-1861), dem Bruder und Vor-gänger Wilhelms 1., wird folgenderAusspruch zugeschrieben: wennWilhelm als Sohn bürgerlicher El-tern geboren worden wäre, dannwürde er es sein Leben lang nieweiter als bis zum Unteroffizier ge-bracht haben. Ob der Satz nuntatsächlich gefallen ist oder nicht -er umschreibt treffend die Tatsa-che, daß Wilhelm von der Naturnicht gerade mit großen Geistes-kräften ausgestattet worden war.Da dieser Mann aber ein Ho-henzollernprinz war, endete seinemilitärische Karriere natürlich nichtbeim Dienstgrad eines Unteroffi-ziers. Er wurde vielmehr mit21 Jahren - General.Wilhelm schwankte vor schwer-wiegenden Entscheidungen meistlange hin und her. Sein Leben lang

schreckte ihn in politischen Kri-sensituationen immer wieder dieErinnerung an die Märztage des

Jahres 1848. Damals hatten BerlinerArbeiter, Handwerker und Studen-ten in heldenmütigem Barrikaden-kampf über das königliche Militärgesiegt. Wilhelm, der damals zuRecht als konterrevolutionärerScharfmacher galt, hatte vor demZorn des Volkes von Berlin beiNacht und Nebel ins Ausland flie-hen müssen - mit Mantel und Mützeeines Dieners bekleidet, den Bartabrasiert und unter falschemNamen An sein Palais Unter denLinden hatten Berliner Revolutio-näre mit großen Buchstaben ge-schrieben: „Eigentum der ganzenNation", „Nationaleigentum" und„Volkseigentum". Besonders heftigsaß die Angst vor einer Revolutiondem „schönen Wilhelm" (wie KarlMarx und Friedrich Engels ihn zunennen pflegten) im Jahre 1862im Nacken. Im September diesesJahres setzte der König sich

schließlich - seit Monaten von Alp-träumen gepeinigt - hin und schriebeine vollständige Abdankungsur-kunde aus, in der nur noch Datumund Unterschrift fehlten. Anlaß fürdiesen sensationellen Entschlußwar der sogenannte Heereskon-flikt.Wilhelm war Militarist vom Scheitelbis zur Sohle. Ihm fehlten zwarsämtliche Eigenschaften und Fähig-keiten, die ein Feldherr haben muß.In den praktischen Fragen der Or-ganisation und Bewaffnung besaßer aber den nüchternen Blick einestüchtigen Hauptfeldwebels. 1859,ein Jahr nach seiner Regierungs-übernahme, ernannte er den Gene-ral von Roon zum neuen Kriegs-minister und beauftragte ihn, eine

großangelegte Reform der preu-ßischen Armee einzuleiten. Bisherwaren jährlich 40000 Rekruten ein-

stärke der preußischen Armeenach der Heeresreform

Offiziere oldaten fe

6192* 42412 1

7814* 02420 1

kamen jeweils noch einige hundert, nichiregimentierte'

e (Ingenieurkorps, Generalstab usw.)

4

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Preußische Kavallerieofflziere (Hu-saren und Ulanen) in HofuniformAnfang der 60er Jahre. Dem

Offizierskorps der preußischenGarde und der Ka vallerieregimenter

gehörten fast ausschließlich Adlige

an. Diese Einheiten waren im Sinnedes reaktionären Junkertums be-

sonders „zuverlässig .

Albrecht von Roon (1803-1879)

1859-73 preußischer Kriegsminister

berufen worden - nunmehr wurdedie Quote auf 63000 erhöht. DieArmee wurde erheblich vergrößert,ihre organisatorische Gliederungvereinfacht, Bewaffnung und Aus-bildung in großem Stil moderni-

siert.Das alles kostete natürlich sehr vielGeld. Dieses Geld konnte der Staatnur durch neue Steuern aufbringen,und neue Steuern mußten von der

Tambour des preußischen Kaiser-Franz-Gardegrenadierregiments

Anfang der 60er Jahre

Zweiten Kammer des Parlaments -dem Abgeordnetenhaus - geneh-migt werden. Seit 1859 hatten dieliberalen Politiker - Interessenver-treter der Bourgeoisie - im Ab-geordnetenhaus die Mehrheit. Diepreußische Bourgeoisie - die Indu-striellen. Bankiers und Kaufleute -

setzte zunächst in Wilhelm großeHoffnungen und war durchaus be-reit, die Mittel für die Heeresreformzu bewilligen. Als Gegenleistungerwartete sie vor allem zweierlei:daß der neue Herrscher energischeMaßnahmen zur staatlichen Eini-gung Deutschlands ergreifen unddie Macht der Junker einschränkenwerde.Um 1860 befand sich der StaatPreußen nämlich noch immer voll-

ständig in den Händen der Junker,der kleinen, aber denkbar brutalenund dünkelhaften Kaste der Groß-grundbesitzer. Obwohl auf je1 000 Einwohner Preußens nur ein

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Preußisches Parlament

Das preußische Parlament hießoffiziell „Landtag". Es bestand auseiner 1. Kammer (dem Herrenhaus)und einer 2. Kammer (dem Abge-ordnetenhaus). Der 1. Kammer,deren Mitglieder vom König er-nannt wurden, gehörten fast aus-schließlich reaktionäre Adlige an.Die 2. Kammer wurde nach demundemokratischen reiklassen-wahlrecht gewählt. Eine kleineGruppe von Reichen, die hoheSteuern zahlte, konnte ebenso vieleAbgeordnete bestimmen wie die

werktätigen Massen insgesamt.

Liberale

Die Liberalen vertraten in Deutsch-land in der Epoche der Durchset-zung des Kapitalismus (1789-1871)die politischen Interessen der aufsteigenden Bourgeoisie. Ihr Ziel wardie Errichtung eines deutschenNationalstaates und die Beteiligungder Bourgeoisie an der politischenMacht. Bis 1848 standen die Libe-ralen an der Spitze der antifeudalen

Oppositionsbewegung. Sie verrie-ten 1848 aus Furcht vor der Arbei-terklasse die bürgerlich-demokrati-sche Revolution und trugen dieSchuld an deren Niederlage. Seit-dem verlor die liberale Bewegungihre früheren fortschrittlichen

Züge.

Junker kam, besaß diese Ausbeu-terklasse nahezu die Hälfte der ge-samten landwirtschaftlichen Nutz-fläche, stellte 2 / 3 aller Offiziere undhielt sämtliche Schlüsselpositionenin Staatsapparat und Armee besetzt.Nach der Niederlage der bürgerlich-demokratischen Revolution von1848/49 hatten die preußischenStaatsorgane nicht nur die Arbeiter-bewegung und alle demokratischenKräfte brutal verfolgt, sondern auchdie Bourgeoisie in vielfältiger Weiseschikaniert und ganz schroff von

jeglicher Beteiligung an der poli-tischen Macht ausgeschlossen. Essollte sich bald zeigen, daß Wilhelman diesen Zuständen nicht viel än-dern wollte.

(zusammen)Konservativeübrige Fraktionen

Die Regierung Wilhelms nahm mitZustimmung der Bourgeoisie reich-lich - nämlich Jahr für Jahr etlicheMillionen Taler für die Rüstung -und gab dafür der B ourgeoisie außerVersprechungen so gut wie nichts.Zu dieser Zeit sickerte durch, daßeinige hohe Beamte der BerlinerPolizei, die sich in den 50er Jahrenbei der Verfolgung der demokra-tischen Kräfte sehr „hervorgetan"hatten und deshalb bei den Be-wohnern der Hauptstadt besondersverhaßt waren, in Unterschlagungs-affären verwickelt waren. Seit demFrühjahr1861 kam es nun in Berlinimmer wieder zu Zusammenstößenzwischen der empörten Bevölke-rung und der Polizei.Ein großer Teil der Bourgeoisie er-kannte jetzt endlich, daß Wilhelmgar nicht daran dachte, ihre Forde-rungen zu erfüllen. Diese Kräftebeschlossen nun, den König unterDruck zu setzen und ihn zu zwin-gen, eine neue Regierung zu be-rufen, die in ihrem Interesse - undnicht in dem der Junker - handelnwürde. Am 6. Juni 1861 gründetensie in Berlin die „Deutsche Fort-schrittspartei". In ihrem Programmforderte die neue Partei vor allemdie Bildung einer „festen liberalenRegierung" in Preußen und diestaatliche Einigung Deutschlandsunter preußischer Führung. Die Be-sitzer und Redakteure fast allergroßen Zeitungen stellten sich aufdie Seite der Fortschrittspartei, aberauch andere prominente Bürgerli-che wie der Techniker WernerSiemens, berühmte Wissenschaftlerwie der Mediziner Rudolf Virchowund der Historiker Theodor Momm-sen. Im M ai 1862 z eigte sich bei den

161 42 5315 3 8

176 7 1

Wahlen zum Abgeordnetenhaus,daß die neue Oppositionspartei beiBürgern, Kleinbürgern und Arbei-tern einen gewaltigen Rückhalt ge-funden hatte. Sie errang gemeinsammit einer anderen liberalen Grup-pierung, die nach ihrem WortführerFraktion Bockum-Dolffs genanntwurde, 242 Sitze (von insgesamt352). Die Konservativen - die Par-tei der Junker - erhielten nur13 Sitze.

Die Politiker der Bourgeoisie hattenalso im Abgeordnetenhaus einerdrückendes Übergewicht gewon-nen - und sie setzten es nach eini-gen Monaten der Verhandlungenund des Zauderns endlich energischein. Am 23. September beschloß dasAbgeordnetenhaus mit 308 gegenII Stimmen, daß die Regierungkeinerlei Mittel mehr für dieHeeresreform ausgeben dürfe. DasEreignis, vor dem König Wilhelmsich so gefürchtet hatte, war ein-getreten. Seine Minister waren sichuneinig darüber, wie sie auf denVorstoß der Liberalen reagierensollten. Einige von ihnen tratenzurück. Wilhelm sah keinen Aus-weg aus der politischen Krise. Erwollte den Ansprüchen der Bour-geoisie nicht nachgeben - und ersah auch keinen Weg, in völligemGegensatz zu den Forderungen desAbgeordnetenhauses zu regieren.König Wilhelm hatte zwar schonim Januar 1861 - angeblich für denFall von „Unruhen" - Geheim-befehle unterzeichnet, die seitdem

versiegelt bei den Truppenkom-mandos bereitlagen. Diese Befehleenthielten den Plan, binnen dreierTage 50000 Soldaten rund um Ber-lin aufmarschieren zu lassen. Die

Ergebnisse der Wahlenzum preußischen Abgeordnetenhaus (Mandate)

1861 862 863

Deutsche Fortschrittspartei 09 41 43Fraktion „Linkes Zentrum"(mit der Fortschrittspartei verbündet) 2 01 1 0

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Truppen sollten die Stadt herme-tisch von der Außenwelt abriegelnund etwaigen Widerstand mit äußer-

ster Brutalität brechen. Der Königund seine reaktionären Ratgeberließen diese Staatsstreichpläne abersogar während der Septemberkrisedes Jahres 1862 im Schubfach. Sie

waren sich offensichtlich nicht sosicher, daß die preußische Armeeso „zuverlässig" war, daß man mitihr einen Krieg gegen das eigeneVolk führen konnte.Vor dem 23. September - als sichder Konflikt zwischen Regierungund Abgeordnetenhaus anbahnte -hatte Wilhelm mit dem Gedankengespielt, zugunsten des Kronprin-zen abzudanken. Jetzt aber tat eretwas ganz anderes: von Kriegs-

minister Roon gedrängt, ernannte ernoch am 23. September Otto vonBismarck zum neuen preußischenMinisterpräsidenten-inen Mann,der ihm immer unheimlich gewesenwar und gegen dessen Berufung ersich lange gesträubt hatte.

n Berlin gibtes natürlich

keine haute politique (hohe Poli-tik). Alles dreht sich um denKamp f mit der Polizei ...; zwei-tens um den Gegensatz von M i-litär und Zivil. Dies sind diePunkte (in bürgerlichen Kreisen

noch speziell die Militärvorla-gen und die Steuerexemtion[Steuerbefreiung) der Grund-besitzer, über die es zum Klap-pen kommen wird. (Ein Artille-rieoffizier, G raf Tav ernier, sagtemir, am liebsten würden sie ihreBatterien auf das Garde du Corpsrichten). Es herrscht ein all-gemeiner Auflösungsduft. undLeute von jenem Rang betrach-ten eine Katastrophe als unver-

meidlich

Karl Marx, der sich von Mitte Märzbis Anfang April 1861 in Berlin auf-gehalten hatte, an F riedrich E ngels

W u t

EisenundBlut

Karikatur auf Bismarcks Tätigkeitals Gesandter in Paris (Anspielungauf den blutigen Staatsstreich,

durch den Louis Bonapa rte im Jahre1851 in Frankreich ein diktatori-sches Regime errichtet hatte)

Am Abend des 30. September 1862

tagte in Berlin die Budgetkommis-sion des Abgeordnetenhauses, un-ter deren 31 Mitgliedern fast alleführenden Politiker der Fort-

schrittspartei waren. Diesmal kni-sterte es im Sitzungszimmer förm-lich vor Spannung. Der Grund: der

neue Ministerpräsident hatte sichangesagt. Bismarck erschien ge-meinsam mit Kriegsminister Roon.Er begrüßte die Abgeordneten miteiner formvollendeten Verbeugung,

begann dann aber in lässiger Hal-

tung, eine Hand in der Hosentasche,zu reden. Die Kommissionsmitglie-der lauschten hellwach auf das, was

er da mit seiner dünnen Stimme vor-trug, die so gar nicht zu seiner hoch-gewachsenen stattlichen Erschei-nung paßte. Der Ministerpräsident

hielt eine recht merkwürdige, wi-derspruchsvolle Rede, sprang voneinem Thema zum anderen.

Schließlich fielen jene Worte, dienoch heute vielen Menschen beimNamen Bismarck sogleich in denSinn kommen: die „großen Fragender Zeit" würden durch „Eisen undBlut" entschieden.Als in den folgenden Tagen durchZeitungsberichte allgemein bekanntwurde, daß der neue Ministerprä-

sident Preußens mit „Blut undEisen" zu regieren gedachte, riefdas in ganz Deutschland Abscheu

und einen Sturm der Empörung hervor. Ein Teil der Öffentlichkeit ver-mutete nun, Bismarck werde nachaußen eine aggressive und aben-teuerliche Politik betreiben. Einanderer Teil hielt Bismarcks An-kündigungen für bloße Kraftmeie-rei. Welche politischen Ziele ver-folgte Bismarck tatsächlich, wiewaren sie entstanden?Bismarck hat im Jahre 1 847 erstmalsdie Bühne der Politik betreten.

Damals war er noch ein fanatischerReaktionär. König Friedrich Wil-helm IV. charakterisierte ihn 1848so: „Riecht nach Blut Nur zu ge-brauchen, wo das Bajonett schran-

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9I icht aufPreußens

Liberalismus sieht Deutschland,sondern auf seine Macht.

Preußen muß seine Kraft zu-sammenfassen und zusammen-

halten auf dengünstigsten Augen-blick, der schon einige Male ver-

paßt ist; Preußens Grenzen nachden Wiener Verträgen (vomJahre 1815—G.F.) sind zueinem

gesunden Staatsleben nichtgünstig; nicht durch Reden undMajoritätsbeschlüsse werden die

großen Fragen der Zeit entschie-

den - das ist der große Fehlervon 1848 Lind 1849 gewesen—,

sondern durch Eisen und Blut.

Aus der ..Blut -Eisen"-Rede

Bismarcks vom ember1862

kenlos waltet. Indes, Bismarckslangjährige esandtentätigkeitformte ihn. Sein geistiger Horizontweitete sich, er eignete sich dieSchliche der internationalen Diplo-matie an, und er gewann - im Un-terschied zu seinen meist reichlichbornierten junkerlichen Klassen-genossen - einen bemerkenswertenSinn für politische Realitäten. Ihm

wurde allmählich klar, daß Junkertum und König in absehbarer Zeitvon einer Volksrevolution hinweg-gefegt werden würden, wenn sieihre Politik nicht erheblich änder-ten.In den 60er Jahren des 19.Jahr-hunderts mußten in Deutschlandzwei Entscheidungen fallen, die un-trennbar miteinander verbundenwaren. Die Durchsetzung der da-mals noch fortschrittlichen kapi-

talistischen Gesellschaftsordnungmußte abgeschlossen werden, undes mußte ein bürgerlicher Na-tionalstaat errichtet werden. Nurzwei Wege dazu waren real: eineVolksrevolution, die zur Verjagungder F ürsten und zur Schaffung einer

Österreichische Karikatur auf Bis-marcks „Blut-und-Eisen"-Rede

Karikatur auf Bismarcks Zusam-

menarbeit mit dem zaristischenRußland hei der Unterdrückung des

polnischen Volksaufstandes imJahre 1863

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demokratischen Republik führte-oder eine sogenannte „Revolutionvon oben" unter der Führung despreußischen Militärstaates. Nur derWeg einer Volksrevolution ent-

sprach den Interessen der werk-tätigen Massen.

Preußischer Infanterist in Felduni-form 1864

größtenteils auf eine staatlicheEinigüng durch Preußen. Sie standdamit auf einer antirevolutionärenund antidemokratischen Position.Wenn sich freilich das preußische

Junkertum und sein König starr-sinnig weigerten, den ökono-mischen Interessen der BourgeoisieRechnung zu tragen, dann war nichtausgeschlossen, daß diese Klasse

Welcher der beiden Wege beschrit-ten werden würde, das hing in ent-scheidendem Maße ab von derHaltung der Bourgeoisie. Sie hatte1848 aus unbegründeter Furcht vorden Volksmassen Verrat an der

evolution geübt und so deren

/iederlage verschuldet. In den 50er

Jahren hatten viele deutsche Staa-

ten dann einen stürmischen Auf-schwung der Industrieproduktionrlebt, und die Bourgeoisie war

dadurch zur ökonomisch stärkstenKlasse geworden Sie fühlte nun dieHemmnisse, die der endgültigenDurchsetzung der kapitalistischen

‚4— roduktionsweise noch immer im

• ege standen, um so stärker. Die

/ ,« •-. ‚)/. 2 deutschen Staaten besaßen‚ och unterschiedliche Münzen,

Maße und Gewichte. In vielen die-.4)... . r er Länder gab es noch rückständige

gesetzliche Bestimmungen, welchedie industrielle Entwicklung be-

;04- ie Profitinteressen der/I J. ourgeoisie erforderten die Errich-

/ -‚—-- J_ tung eines starken Nationalstaates,

der ihr einen großen Binnenmarkt,'. „L ine einheitliche Gesetzgebung so-

‚ ie Schutz vor der ausländischenKonkurrenz verschaffen würde.7;  i«; AeaP 

ie Bourgeoisie Preußens und deranderen deutschen Staaten hoffte

Telegraphische Anfrage Bismarckszu den Berliner Unruhen, 1863

Anteil Preußens an der deutschen Industrieproduktion

(ohne Osterreich) im Jahre 1865

Bergbau und Metallindustrie 01/0Textilindustrie 00/

brie Industriezweige 7%

9

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Die Düppeler Schanze IV nach derEinnahme

weiter, ohne sich um das Parlament

und dessen Rechte zu scheren. Umdie Bourgeoisie willfährig zu ma-chen, zeigte er, wer die Macht imStaate Preußen hatte. Über jeneBeamten und Richter, die der Fort-schrittspartei angehörten oder sieunterstützten, ging eine Sturzflutvon Entlassungen, Strafversetzun-gen, „Geldbußen" und anderenSchikanen nieder.Am 1 . Juni 1863 erließ die RegierungBismarck schließlich eine verfas-

sungswidrige Verordnung-ie be-rüchtigte „Presseordonnanz" -‚ diees den Behörden fortan ermög-lichte, jede oppositionelle Zeitungohne Gerichtsbeschluß nach zwei-maliger Verwarnung zu verbieten.Dieser Streich des „Konfliktsmini-sters" heizte die Erregung im Landemächtig an. Anfang Juli kam es inBerlin mehrere Tage lang zu hefti-gen Zusammenstößen zwischen er-regten Massen und der Polizei. Die

Demonstranten errichteten Bar-rikaden, und die Büttel gingen brutalmit blanker Waffe vor. Am 2. Juliwaren an den „tumultuarischenAuftritten", wie der Polizeibericht

es nannte, mindestens 6000 bis8 000 Menschen beteiligt. Allein am4.Juli verhaftete die Polizei mehrals 250 Demonstranten.

Die Politiker der Fortschrittsparteidistanzierten sich eilig von den Pro-testaktionen. Sie dachten nichtdaran, in der Auseinandersetzungmit Bismarck und dem Junkertumzu Taten überzugehen. Dadurch,daß sie die für das BismarckscheRegime sehr kritische Situation desSommers 1863 völlig ungenutzt ver-streichen ließen und obendrein dasganze Gewicht ihrer Autorität in dieWaagschale warfen, um die kampf-

bereiten Teile der Arbeiterklasseund des Kleinbürgertums abzuwie-geln, luden sie große geschichtlicheSchuld auf sich. Die entscheiden-de Ursache für diese verhängnis-volle Stillhaltetaktik der Fort-schrittspartei war die panischeFurcht der deutschen Bourgeoisievor den Volksmassen, insbesonderevor der Arbeiterklasse. Sehr baldtrat ein außenpolitisches Ereignisein, das es Bismarck gestattete,

aus dieser Haltung der Bourgeoisiegroßen Vorteil zu ziehen.Ende des Jahres 1863 hoben dieherrschenden Kreise Dänemarksdie Selbstverwaltungsrechte des

Herzogtums Schleswig - die durchinternationale Vereinbarungen ga-rantiert waren - auf. Damit hattensie ihre Unterdrückungspolitik ge-

genüber der deutschen BevölkerungSchleswigs und Holsteins drastischverschärft. Durch ganz Deutsch-land ging ein Aufschrei der Empö-rung. Überall, insbesondere inMittel- und Süddeutschland, fandenVolksversammlungen statt, wurden'Schleswig-Holstein-Vereine gebil-det und Geldsammlungen organi-siert. Spontan entstand so in ganzkurzer Zeit eine machtvolle patrio-tische Volksbewegung. Ja, klein-

bürgerliche Demokraten begannendamit, Freiwilligenverbände auf-zustellen, um in Schleswig-Holsteinmit bewaffneter Hand das Joch derdänischen Fremdherrschaft zu zer-brechen Die Volksbewegung nahmteilweise revolutionäre Züge an. ImDezember 1863 fuhr in Karlsruheeinigen großherzoglich-badischenHöflingen ein gehöriger Schreck indie Glieder, als sie Plakate be-schauten, die an den Straßenecken

angeschlagen waren. Dort standnämlich zu lesen: „Die Fürstenverraten uns Weg mit ihnen Er-greift die Waffen und helft Euchselbst."

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Preußische Husaren in Schi eswig

Holstein

Es gelang den Politikern der

Bourgeoisie aber, die Schleswig-Holstein-Bewegung rößtenteilsunter ihre Kontrolle zu bringen undauf die antirevolutionäre Parolefestzulegen, Schleswig und Hol-stein sollten vom deutschen Volkund von den deutschen Fürsten „ge-meinsam" befreit werden. Bis-marck verlor keine Zeit. Er ver-bündete sich mit der österrei-chischen Regierung - wobei es sichversteht, daß er diesem Bündnis

keine lange Lebensdauer zugedachthatte. Am 1. Februar 1864 rücktenbei klirrendem Frost preußischeund österreichische Truppen inSchleswig ein.In den ersten Wochen des Kriegesglänzte die preußische Armee nichtgerade durch unerhörte Waffenta-ten. Als ärgster Bremsklotz für denTatendrang ihrer Offiziere erwiessich nämlich der eigene Oberbe-fehlshaber, der 80jährige, völlig

senile Feldmarschall von Wrangel.Am 18. April aber erstürmten diepreußischen Truppen die DüppelerSchanzen, ein mächtiges Befesti-

gungssystem, das die Dänen an derOstseeküste gegenüber der InselAlsen errichtet hatten, und am30. Oktober 1864 mußte die däni-

sche R egierung im F riedensvertragvon Wien Schleswig, Holstein unddas kleine Herzogtum Lauenburgan Preußen und Osterreich abtre-ten.Bismarck h atte viel erreicht. Er ver-einbarte mit der österreichischenRegierung im Vertrag von Gastein(14. August 1865), daß Preußen undOsterreich künftig Schleswig-Hol-stein gemeinsam verwalten sollten.Die österreichischen Diplomaten

merkten erst viel zu spät, daß sie ineine Falle getappt waren: die ge-meinsame Verwaltung der beidenHerzogtümer verschaffte Bismarckeine Fülle von Möglichkeiten, Kon-flikte mit Osterreich zu schüren.Noch schwerer aber wog etwasanderes. Bismarck hatte erstmaligder deutschen Bourgeoisie in derPraxis bewiesen, daß es ihm sehrernst war in bezug auf die Eini-gung Deutschlands „mit Eisen und

Blut". Das Mißtrauen, das großeTeile der Bourgeoisie bisher dem„Konfliktsminister" entgegenge-bracht hatten, schwand jetzt all-

mählich dahin. Der Widerstand derLiberalen gegen Bismarcks Politikbegann zu erlahmen. Ja, mancheehemaligen Gegner, die der Mini-

sterpräsident bisher in den Reihender Bourgeoisie gehabt hatte, wur-den nach und nach zu seinen Mit-läufernDaß es Bismarck im Krieg gegenDänem ark vor allem darum ging, diedeutsche Bourgeoisie zu ködernund die E ntstehung e iner revolutio-nären Volksbewegung zu verhin-dern, wurde von ihm am 14.Juni1864 in einem vertraulichen Brief anden preußischen Botschafter in

Wien ganz k lar ausgesprochen. Dortheißt es nämlich: „Wir betrachtenden dänischen Konflikt wesentlichals eine Episode im Kampf desmonarchischen Prinzips gegen dieeuropäische Revolution." Und erbezeichnete es als sein Ziel, „denberechtigten nationalen Bedürfnis-sen, welche auch von dem acht-baren Teile der Nation (gemeint wardie Bourgeoisie - G. F.) gefühltwerden", Befriedigung zu ver-

schaffen. Auf diese Weise würden„der Revolution die Vorwände ge-nomm en, aus welchen sie ihre Kraftzieht".

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 i

3umHandeln

bereit

seinVon England aus wo sie seit 1849im Exil lebten, verfolgten KarlMarx und F riedrich E ngels sehr auf-merksam, wie Bismarck im Inter-esse der Junkerklasse die anti-demokratische „Revolution vonoben" vorbereitete Von Ende Ja-

nuar bis zum II. Februar 1865 saßEngels in Manchester Abend fürAbend am Schreibtisch und arbei-tete mit äußerster Kraftanspan-nung. E r schrieb mit jagender Feder

an einem politischen Artikel, dersich dann unter seiner Hand zu einerselbständigen Broschüre auswuchs.

Engels sandte den Entwurf seinerSchrift sofort seinem Freund Marxnach London. Der „Mohr" gabeinige Hinweise zur Überarbeitung,die „Frederick" sämtlich berück-sichtigte, bevor er das Manuskriptan den V erleger Otto M eißner nachHamburg schickte. Bereits EndeFebruar wurde die Arbeit gedruckt.Ihr Titel: „Die preußische Militär-frage und die deutsche Arbeiter-partei".

In dieser Broschüre legte FriedrichEngels mit meisterhafter Präzisiondie Strategie und Taktik dar, die inden 60er Jahren des 19.Jahrhun-derts den Klasseninteressen desProletariats entsprach. Damit hatteer in Übereinstimmung mit KarlMarx das Aktionsprogramm derArbeiterklasse für den Kampf umden ürgerlich-demokratischendeutschen Nationalstaat formuliert.Drei Gesichtspunkte hob Engels

ganz besonders hervor:- Die Lebensinteressen der Arbei-terklasse und der anderen Werk-tätigen erforderten die Errichtungeines demokratischen deutschen

Preußische Husaren in Schleswig-Holstein

Nationalstaates: „Die arbeitendeKlasse gebraucht zur vollen Ent-faltung ihrer politischen Tätigkeitein weit größeres Feld, als es dieEinzelstaaten des heutigen zersplitterten Deutschlands darbieten.Die Vielstaaterei wird für das Pro-letariat ein Bewegungshindernissein, aber nie eine berechtigteE xistenz, ein G egenstand des ernst-haften Denkens."- Im Konflikt zwischen Bourgeoi-

sie und Junkertum durfte die Arbeiterklasse keineswegs eine neu-trale Position einnehmen oder sichgar auf die Seite der junkerlichenReaktion stellen. Sie mußte viel-mehr die liberale Bourgeoisie inihrer Auseinandersetzung mit demBismarckschen Regime unterstüt-zen und alles tun, diese zu ent-schiedenem Kampf voranzudrän-

gen: „Es ist... das Interesse derArbeiter, die Bourgeoisie in ihrem

Kampfe gegen alle reaktionärenElemente zu unterstützen, solange

sie sich selbst treu bleibt. Jede Er-oberung, die die Bourgeoisie derReaktion abzwingt, kommt, unter

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Friedrich Engels im Jahre 1864

dieser Bedingung, der Arbeiter-klasse schließlich zugut." „JederSieg der Bourgeoisie über dieReaktion ... st nach einer Seite hinzugleich ein Sieg der Arbeiter, trägtzum endlichen Sturz der Kapitali-stenherrschaft bei, rückt den Zeit-punkt näher heran, wo die Arbeiterüber die Bourgeoisie siegen wer-

den."- Wie auch immer die Klassen-auseinandersetzungen in Preußenund Deutschland verlaufen wür-den - erstes Gebot mußte es fürdie Arbeiterklasse sein, sich eineeigene, revolutionäre Partei zuschaffen: „Es versteht sich vonselbst, daß... die Arbeiterparteinicht als der bloße Schwanz derBourgeoisie, sondern als einedurchaus von ihr unterschiedene,selbständige Partei auftreten wird.Sie wird der Bourgeoisie bei jederGelegenheit ins Gedächtnis rufen,daß die Klasseninteressen der Ar-beiter denen der Kapitalisten direktentgegengesetzt und daß die Arbei-ter sich dessen bewußt sind.... Aufdiese Weise wird sie sich eineachtunggebietende Stellung si-chern, die einzelnen Arbeiter überihre Klasseninteressen aufklärenund bei dem nächsten revolutionä-ren Sturm - und diese Stürme sindja jetzt von so regelmäßiger Wieder-kehr wie die Handelskrisen...- zum Handeln bereit sein."

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Cit. DhI%t,

Titelblatt der Erstausgabe von En-gels' Broschüre „Die preußischeMilitärfrage und die deutsche Ar-beiterpartei"

erontwider

Bismarck

Im Jahre 1865 gab in London einMr. A. Williams eine Anzahl vonBriefen nach Deutschland auf, diean einen Mr. Miller gerichtet waren,und er erhielt seinerseits etlicheSchreiben dieses Mr. Miller. BeideNamen waren Decknamen: hinter„Mr. Williams" verbarg sich KarlMarx, hinter „Mr.Miller" - Wil-helm Liebknecht. Marx und Lieb-knecht taten das, um den polizei-lichen Postschnüfflern der ver-schiedenen deutschen Länder einSchnippchen zu schlagen.

Wilhelm Liebknecht war zu dieserZeit der engste Vertraute, den Marxund Engels in Deutschland besaßen.Er berichtete ihnen regelmäßig überdie politische Situation, insbeson-dere natürlich über die Vorgängeinnerhalb der Arbeiterbewegung.Und er erhielt selber per Post ausLondon und Manchester Rat-

schläge für seine politische Arbeit.Es war Liebknecht gelungen, dieAchtung und das Vertrauen derfortgeschrittensten Berliner Arbei-ter zu gewinnen. Er wirkte uner-müdlich in verschiedenen Arbeiter-vereinen der preußischen Haupt-stadt, um den Arbeitern Grund-erkenntnisse des Marxismus zu ver-mitteln. Als Engels' Schrift „Diepreußische Militärfrage und diedeutsche Arbeiterpartei" erschien,

organisierte er in mehreren BerlinerArbeitervereinen iskussionenüber dieses bedeutsame Werk.Die allgegenwärtige preußischePolizei überwachte LiebknechtsTätigkeit schon geraume Zeit. ImJuli 1865 wies sie ihn schließlich ausBerlin und dem gesamten preu-ßischen Staatsgebiet aus. WilhelmLiebknecht war nun - wie er späterschrieb - gezwungen, sich „einenneuen Wohnort, Wirkungskreis und

Stützpunkt" zu suchen. AnfangAugust kam er nach Leipzig, wo ihmein demokratisch gesinnter Journa-list einen schmächtigen jungenMann vorstellte: August Bebel. DerDrechsiermeister Bebel hatte mitseinen fünfundzwanzig Jahren be-reits mehrere Schlüsselfunktionenin der Arbeiterbewegung inne. Sowar er Vorsitzender des LeipzigerArbeiterbildungsvereins und Vor-sitzender des sogenannten Gauver-bandes der 29 sächsischen Arbeiter-vereine (mit insgesamt 4600 Mit-gliedern). Er war 1865 noch keinSozialist, sondern revolutionärerDemokrat. Nach seiner ersten Be-gegnung mit Wilhelm Liebknechtäußerte Bebel gegenüber einigenBekannten: „Donnerwetter, vondem kann man was lernen "Ende August siedelte Liebknechtendgültig nach Leipzig über, unddamit begann die lebenslangeFreundschaft und Kampfgemein-schaft dieser beiden großen Vor-kämpfer der Arbeiterklasse. Lieb-knecht beschleunigte - wie Bebel

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Wilhelm Liebknecht (1826-1900)Nahm 1848/49 am bewaffneten re-volutionären Kampf teil. Mußtedeshalb 1850 nach London emigrie-

ren, wo er sich unter dem unmittel-baren Einfluß von Karl Marx zumKommunisten entwickelte. Wirkte1862-65 in Berlin und seitdem inLeipzig als Vertrauensmann vonMarx und Engels. Schuf 1869 ge-meinsam mit August Bebel die

Sozialdemokratische Arbeiterpartei(,‚Eisenacher Partei).

selbst später schrieb - dessen„Mauserung zum Sozialisten" erheblich. Er machte seinen neu-gewonnenen Kampfgefährten mitWerken von Marx und Engels be-kannt und gewann ihn für die In-ternationale rbeiterassoziation(1. Internationale) - die von KarlMarx geführte erste internationale

revolutionäre Massenorganisationdes P roletariats. Dank seiner engenVerbindung mit Bebel gewannLiebknecht nach und nach nicht nurEinfluß auf die ArbeitervereineSachsens, sondern auf den wichti-gen Verband Deutscher Arbeiter-vereine insgesamt.Dieser 1863 gegründete Verbandwar eine lose Dachorganisation je-ner Arbeitervereine, die bis dahinunter dem Einfluß der liberalen

Bourgeoisie gestanden hatten. Am3. September 1865 - es war einSonntag - trat in der Stuttgarter„Liederhalle" der sogenannte Ver-einstag (Delegiertenkongreß) des

Friedrich Albert Lange(1828-1875)Pädagoge, Redakteur, Philosoph.Revolutionärer kleinbürgerlicherDemokrat. 1863-66 Vorsitzenderdes Duisburger Arbeiterkonsum-vereins, 1864-66 Mitglied des Stän-

digen Ausschusses des Verbandes

Deutscher Arbeitervereine. Wurde1866 Mitglied der 1. Internationale.Ging Ende 1866 in die Schweiz.

Verbandes zusammen. 60 Dele-gierte vertraten 60 Arbeitervereineund den sächsischen Gauverband.A m Vereinstag nahmen unter ande-ren August Bebel, Fritz Bandow(der Vorsitzende des Berliner Ar-beitervereins), Julius Motteler (alsDelegierter des CrimmitschauerArbeiterfortbildungsvereins) sowiedie beiden namhaften Philosophenund revolutionären kleinbürgerli-

chen Demokraten Friedrich AlbertLange (Duisburg) und LudwigEckardt (Mannheim) teil.Am Abend saßen die Delegiertenbei einem Essen zusammen. Dastand der schwäbische DemokratKarl Mayer auf und erhob eineleidenschaftliche Anklage gegenden reaktionären Bundestag. ImEifer seiner Rede krempelte er dieRock- und Hemdsärmel auf undschmetterte etliche Male die Faust

auf den Tisch, so daß Gläser undTeller in die Höhe sprangen. AlsMayer schließlich ein „Hoch " aufein freies, demokratisches Deutsch-land ausbrachte, stimmten ihm die

August Bebel (1840-1913)

Drechsler (seit 1864 selbständigerMeister). Trat 1861 in den LeipzigerGewerblichen Bildungsverein einund wurde 1865 dessen Vorsitzen-der. Gehörte seit 1864 dem Ständi-gen Ausschuß des Verbandes Deutscher Arbeitervereine an und wurde1867 dessen Präsident. 1867 als er-

ster revolutionärer Arbeiterführer inden Reichstag des Norddeutschen

Bundes gewählt.

anderen Delegierten mit tosendemBeifall zu.An den be iden folgenden Tagen be-schloß der Vereinstag einstimmig,den Kampf für das allgemeine glei-che und direkte Wahlrecht, für Ver-einsfreiheit und Koalitionsfreiheit(das heißt gegen die Schikanierungder Arbeitervereine durch die Poli-zei und für das Recht der Arbeiter,

Gewerkschaften zu bilden undStreiks zu führen) aufzunehmen. Indas Führungsgremium des Verban-des, den zwölfköpfigen StändigenAusschuß, wurden auch Bebel,Bandow und Lange gewählt. DerVerband Deutscher Arbeiterver-eine hatte einen energischen Links-ruck vollzogen. Er hatte sich vomEinfluß der Bourgeoisie gelöst undstand nun auf kleinbürgerlich-demokratischen Positionen. Der

Linksruck von Stuttgart ist in er-ster Linie aus den Erfahrungen zuerklären, welche die deutsche Ar-beiterklasse in den politischen undökonomischen Kämp fen des Jahres

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Borsigs Maschinenbauanstalt undEisengießerei in Berlin-Moabit. Ber-lin war in den 60er Jahren desl9. Jahrhunderts bereits das Zen-trum der preußischen Maschinen-bauindustrie. Das Proletariat derHauptstadt wuchs in den 50er und60er Jahren stürmisch an. Währenddie Berliner Bourgeoisie in dieserZeit großen Reichtum anhäufte,waren die Löhne der Arbeiteräußerst niedrig (durchschnittlichetwa halb so hoch wie im Jahre

1900), ihre Wohnverhältnisse meistmenschenunwürdig. Im Frühjahr1866 bildeten in Berlin die Maschi-nenbauarbeiter das Rückgrat derdemokratischen ntikriegsbewe-

gung.

1865 gesammelt hatte. ErheblichenAnteil an dieser Schwenkung hatten

aber auch die kleinbürgerlichen De-mokraten, die an der Spitze vielerArbeitervereine standen. Vor allem

gilt das für Friedrich Albert Lange,der bereits 1864 zum ersten Malein den Ständigen Ausschuß desVerbandes gewählt worden war.F. A. Lange stand, wie ihm August

Kleinbürgerliche Demokraten

Die kleinbürgerlichen Demokratenvertraten in Deutschland in derEpoche der Durchsetzung des Ka-pitalismus (1789-1871) die poli-tischen Interessen der Volksmas-sen. Ihr Ziel war die konsequenteBeseitigung der Feudalordnung unddie Schaffung einer demokratischenRepublik. Die kleinbürgerlich-de-mokratische Bewegung besaß einen

gemäßigten und einen radikalenbzw. revolutionären Flügel. Wäh-rend der Revolution von 1848/49erwarben die kleinbürgerlichenDemokraten sich Verdienste bei derMobilisierung der Massen. Siewaren aber nicht in der Lage, denKampf gegen die konterrevolutio-nären Kräfte erfolgreich zu organi-sieren und ihn zum Siege zu füh-

ren.

Bebel in seinen Memoiren beschei-nigt, im Ständigen Ausschuß „stetsauf der linken Seite und drängtenach links". Wegen seiner engenVerbindung zur Arbeiterbewegungwurde dieser aufrechte Demokratvon rheinischen Kapitalistenkrei-sen gezwungen, aus seiner Stellung

bei der Duisburger Handelskammerund auch aus der Redaktion der„Rhein- und Ruhr-Zeitung" auszu-scheiden.Am 18. September 1865 kamen in

Darmstadt 41 führende kleinbürger-liche Demokraten aus allen TeilenDeutschlands zusammen. Zu denTeilnehmern der Tagung gehör-ten Ludwig Eckardt, Karl Mayer,der Naturwissenschaftler LudwigBüchner aus Darmstadt (ein Bruderdes Dichters Georg Büchner), derBerliner Journalist Wilhelm An-gerstein - und Wilhelm Liebknecht.Ziel der Versammelten war es, dieKräfte der verschiedenen demokra-

tischen Gruppierungen zusammen-zufassen zum gemeinsamen Kampf

gegen die drohende VerpreußungDeutschlands.Auf der Darmstädter Tagung kam es

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Der Bau des imposanten Roten

Rathauses in den Jahren 1861-1869zeugte von der wachsenden ökono-

mischen Stärke der Berliner Bour-geoisie. Bis 18 66 war die preußische

Hauptstadt eine Hochburg derbürgerlichen ortschrittspartei.Hier hatte diese Partei fast allegroßen Zeitungen auf ihrer Seite,hier wurde ihre Politik auch vomKleinbürgertum und von der Mehr-zahl der Arbeiter unterstützt. DieFortschrittspartei protestierte im

Frühjahr 1866 zwar gegen denKriegskurs Bismarcks, sie bot abergleichzeitig allen ihren Einfluß auf.um Kampfaktionen der Massen zuverhindern.

sehr bald zu heftigen Auseinan-dersetzungen zwischen einerGruppe revolutionärer Demokratenum Eckardt und Büchner und dengemäßigten Demokraten der würt-tembergischen „Volkspartei". Die

württembergische „Volkspartei"besaß als einzige kleinbürgerlich-demokratische Gruppierung einestabile Massenbasis. Ihre Lokal-borniertheit aber machte es

Allgemeiner Deutscher Arbeiter-verein

Der Allgemeine Deutsche Arbeiter-verein (ADAV) wurde am 23. Mai1863 von dem Schriftsteller Ferdi-nand La ssalle gegründet. Damit halfLassalle einem fortgeschrittenenTeil der Arbeiterklasse, sich vomEinfluß der liberalen Bourgeoisie zulösen. Er gab den Arbeitern abereine völlig falsche politische Orien-

tierung: er griff einseitig nur dieBourgeoisie an und nicht die Junker,nahm eine sektiererische Haltunggegenüber den kleinbürgerlichenM assen ein und verbündete sich mitBismarck. Beim Tode Lassalles(31. A ugust 1864) zäh lte der AD AV

etwa 3000 Mitglieder.

diesen Demokraten schwer, überdie Grenzen „ihres" Ländchenshinauszublicken. Die Kräfte umEckardt und Büchner wollten eineeinheitliche demokratische Parteischaffen, die ganz Deutschland er-fassen sollte - die württember-gischen Demokraten waren dage-

gen. Eckardt und Büchner erstreb-

ten die Errichtung einer demokra-tischen Republik - die Württem-berger wollten lediglich eine Föde-ration der bestehenden deutschenE inzelstaaten. A ls die W ortgefechteihren Höhepunkt erreicht hatten -verließen die Württemberger wut-entbrannt den Saal und ließen sichnicht wieder blickenZuvor hatte man sich aber bereitsüber ein Minimalprogramm ver-ständigt, an dem beide Seiten auch

in der Folgezeit festhielten. Esenthielt als Forderungen:- Einführung des allgemeinen unddirekten Wahlrechts- Errichtung arlamentarischerRegierungen in den deutschenEinzelstaaten- Abschaffung der stehendenHeere und A ufbau einer „allgemei-nen Volkswehr" (einer Miliz).Die Demokraten um Eckardt,Lange und Büchner unternahmen

große A nstrengungen, die A rbeiter-klasse in die demokratische Be-wegung einzubeziehen. „Auf derBarrikade der Neuzeit", so hatteeiner von ihnen im Augu st 1865 ge-

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Julius Vahlteich (1839-1915)Schuhmacher; Mitbegründer undSekretär des ADAV; protestierteentschieden gegen Lassalles Paktie-ren mit Bismarck und w urde deshalb1864 aus dem Verein ausgeschlos-sen. Vahlteich wirkte dann im Ver-band Deutscher Arbeitervereine und

trat auf den Beratungen in Dresdenim März 1866 für das Zusammen-wirken der beiden Arbeite,organi-sationen ein. 1869 warerMitbegrün-

derderrevolutionären „Eisenacher"Partei.

schrieben, „steht jetzt der Arbeiterund nicht der Student." Im Oktoberreiste Eckardt nach Leipzig, sprachvor dem Arbeiterbildungsvereinund verständigte sich eingehend mitLiebknecht und Bebel. WilhelmLiebknecht begann noch im selbenMonat an dem von Eckardt her-ausgegebenen „Deutschen Wo-

chenblatt" und an weiteren de-mokratischen Presseorganen mitzu-arbeiten. Die revolutionären De-mokraten waren bereit, im Kampfgegen die drohende VerpreußungDeutschlands jedes geeignete Mittelanzuwenden - bis hin zur Volks-revolution. In der Neujahrsnummerseiner Zeitschrift schrieb Eckardtam 1. Januar 1866: „Die Einheits-frage wird ... nur auf dem Wege derGewalt, mit ‚Blut und Eisen' gelöst

werden können, entweder von obenherab, durch ein eroberungslustigesHerrscherhaus, oder von unten her-auf, durch das Volk."

je Bewegung

war denLassalleanern ebenso vollständigaus der Hand gekommen, wie sie

den Liberalen quer kam. DasVolk suchte nach Führern. Siehätten auf einen Wink von An-gerstein und mir getan, was wir

wollten... Die ganze Sache

machte sich übrigens von selbst.Niemand leitete: Man sah also,

was kommen kann, wenn dieRegierung so fortfährt.

F . A. Lang über die A rbeiterdemon-slrai6n in Köln am 23. Juli 1865

Eine widerspruchsvolle Entwick-lung nahm zu dieser Zeit der All-gemeine Deutsche Arbeiterverein(ADAV). Seit dem Tode FerdinandLassalles tobten innerhalb derFührungsgruppe des Vereins hef-tige Nachfolgekämpfe. Bei alledem

waren die Führer des ADAV sichaber darin einig, die opportunisti-sehe, bismarckfreundliche PolitikLassalles fortzusetzen. Gegen

Karikatur auf Bismarcks Ernen-nung zum GrafenimJahre 1865 (A n-

spielung auf die Ermordung einesHausknechts durch zwei preußischeLeutnants)

Marx, Engels und Liebknecht rich-teten die lassalleanischen Führerbösartige, verleumderische An-griffe. Der Lassalleanismus - dievon Lassalle begründete opportuni-stische Politik und Ideologie - er-wies sich als das Haupthindernis fürdie Verbreitung des Marxismus in

der deutschen Arbeiterklasse undfür die Schaffung einer revolutio-nären deutschen Arbeiterpartei.Bereits zu Lebzeiten Lassalles warinnerhalb des ADAV eine revolutio-näre proletarische Opposition ent-standen, die sich gegen dessen ver-derblichen bismarckfreundlichenKurs wandte. Diese Kräfte erstark-ten 1865 beträchtlich und bildetenbis Mitte des Jahres insbesondere inAltona, Berlin, Duisburg, Hamburg,

Köln, Mainz und Solingen so-genannte Oppositionsgemeinden.Gleichzeitig fanden sie sich wieder-holt mit „Arbeitervereinlern" -

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Mitgliedern des Verbandes Deut-scher Arbeitervereine - zu gemein-samen Veranstaltungen zusam-men.In dieser Situation verbot die Re-gierung Bismarck ein großes Treffen liberaler preußischer Par-lamentsabgeordneter, das die Fort-

schrittspartei am 23 ./24. Juli in Kölndurchführen wollte. Die Fort-schrittspartei antwortete mit len-denlahmen E rklärungen. „A rbeiter-vereinler" und klassenbewußteArbeiter des ADAV aber protestier-ten in Berlin, Dresden, Duisburg,Köln, Leipzig und Magdeburg mitgemeinsamen Versammlungen undDemonstrationen gegen den Will-kürakt Bismarcks. An der BerlinerProtestversammlung am 23. Juli

nahmen etwa 2000 Arbeiter teil.A m selben T age ergriffen auf einerArbeiterversammlung in KölnF. A. Lange und Angerstein dasWort und nahm en anschließend aneinem Demonstrationszug teil. DieArbeiter taten aus gesundem politi-schem Instinkt heraus genau das,wozu Engels sie in seiner Schrift„Die preußische Militärfrage.aufgerufen hatte: sie versuchten,die liberale Bourgeoisie zu ent-

schiedenem Auftreten gegen diereaktionären Kräfte voranzudrän-gen.

Liebknecht und Bebel nutzten alleMöglichkeiten, um möglichst vieleArbeiter des ADAV dem Einflußihrer opportunistischen Führer zuentziehen. Am 8. Februar 1866schrieb Liebknecht an Johann Phi-lipp Becker, einen der engstenKampfgefährten von Marx undEngels: „Mein Plan ist, schließlich

die alten Lassalleaner mit denEx-Schulzeanern (den ‚Arbeiter-vereinlern - G. F.) unter den Hutder Internationalen Arbeiterasso-ziation zu bringen, was mir auchohne Zweifel gelingen wird."Dabei galt es behutsam vorzugehenund die Lassalleaner nicht vor denKopf zu stoßen. Als am 25. und26. März 1866 in Dresden einigeVolksversammlungen stattfanden,rief Bebel dort mit eindringlichen

Worten zur Zusammenarbeit derbeiden Arbeiterorganisationen auf.Im Anschluß an diese Versamm-lungen fanden sich Vertreter derArbeiterbildungsvereine Leipzig,

Dresden, Chemnitz, Glauchau undGörlitz mit Delegierten der ADAV-Gruppen Dresden, PlauenscherGrund (Bergbaugebiet zwischenDresden und Freital), Chemnitz undGlauchau zusammen. Man ver-ständigte sich darüber, gemeinsamfür das allgemeine Wahlrecht und

für weitere demokratische Rechtezu kämpfen. Ein wichtiger Aus-gangspunkt für künftige gemein-same Aktionen war gewonnen.

93ismarck

stelltdie

Weichen

Am Vormittag des 9 April 1866 hatder Oberstleutnant Lothar vonSchweinitz, 'Flügeladjutant Wil-helms 1. und preußischer Militär-bevollmächtigter in Petersburg, imBerliner Außenministerium zu tun.Dort erfährt er zum ersten M ale vonBismarcks Vorschlag, ein deutschesParlament wählen zu lassen - und

ist völlig niedergeschmettert. Ganzbenommen tritt der Oberstleutnantwieder auf die Wilhelmstraße hin-aus. Da begegnet ihm der Leiter derRegierungspresse, der GeheimeOberregierungsrat Ludwig Hahn,den er nur vom Sehen kennt.Schweinitz geht auf Hahn zu undreicht ihm die Hand. „Wir wechsel-ten nur wenige Worte, wie Leid-tragende es bei einem Begräbnis zutun pflegen', heißt es dazu in

Schweinitzens Memoiren. Der Mi-litärbevollmächtigte ist fest davonüberzeugt, daß Bismarcks Vorge-hen „den Grundstein zu einer deut-schen Republik" legt

Alexander Freiherr von Schleinitz(1807-1885)1861-85 „Minister des KöniglichenHauses'; Vertrauter von KöniginAugusta (1811-1890). Schleinitzstand 186 6 an der Spitze jener ultra-reaktionären Kreise am preußi-schen Königshof, die BismarcksKriegspolitik zu durchkreuzen such-

ten.

Bismarck hat bereits durch die ge-heimen F estlegungen des Kronratsvom 28. Februar und durch die ge-heimen Militärverhandlungen mitItalien den Kriegskurs eingeleitet.Für die Öffentlichkeit zieht er abererst mit seinem Bundesreform-Antrag vom 9. April das Signal auf.Es liegt für jedermann auf derHand, daß der „Konfliktsminister"den Antrag auf Einberufung einesdeutschen Parlaments eigens des-

halb gestellt hat, um einen K rieg mitOsterreich zu provozieren. Denndie Bundesreform kann, wenn sieverwirklicht wird, nur ein Ergebnishaben: die Machtstellung, die dasösterreichische Kaiserreich inDeutschland besitzt, liquidieren.Großen Teilen des Junkertums, denmeisten der hohen preußischenDiplomaten und starken Kräften amKönigshof ist die Politik Bismarcksnie ganz geheuer gewesen. Den

Kurs, den der Ministerpräsident imF rühjahr 1866 einschlägt, lehnen siestrikt ab. Der Gedanke an das all-gemeine Wahlrecht und an eindeutsches Parlament erfüllt diese

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Guß stahl werk des ‚.Kanonenkö-nigs Krupp im Jahre 1861

Gerson Bleichröder (1822-1893)Großbankier. reichster Mann Preu-

ßens. Er verwaltete unter anderemBismarcks Privatvermögen; vermit-

telte 1866 den Verkauf der Köln-Mindener Eisenbahnaktien durch

die preußische Regierung.

ultrareaktionären Kreise mit Ent-

setzen. Sie glauben nämlich, daß dieliberale Bourgeoisie und die klein-bürgerlichen Demokraten ein sol-ches Parlament als Kam pfmittel be-nutzen werden, um die Junker vonder Macht zu verdrängen. Oben-drein befürchten sie, ein Krieg ge-gen Osterreich werde mit einerNiederlage enden. Viele dieser Ul-trareaktionäre sehen in denherrschenden Adelskreisen Oster-reichs keine Gegner, sondern viel-mehr einen Partner für den gemein-samen Kampf gegen alle fortschritt-lichen Kräfte. Sie erkennen nicht,daß die Kriegspolitik Bismarcks jagerade das Ziel verfolgt, einer Re-volution von unten vorzubeugen.Breite Adelskreise befürchten,Bismarcks Politik werde der bürger-lich-demokratischen evolutionTür und Tor öffnen.Königin Augusta, der Kronprinz,der Botschafter in Paris, Graf vonder Goltz, sowie die weitläufigefürstliche Verwandtschaft Wil-helms im In- und Ausland - sie allebestürmen den König, sich von

Bismarcks Politik zu distanzieren.

Etliche von ihnen fordern Wilhelmauf, den Ministerpräsidenten zuentlassen. Als Kandidat dieserKreise für den Posten des Minister-präsidenten steht Graf von derGoltz bereit. Das Gerücht geht um,der Ministerwechsel stehe unmit-telbar bevor Ganz fest halten le-diglich die führenden Militärs - vorallem Moltke und Roon - zu Bis-marck.Wie 1862 wird Wilhelm wiedervon Alpträumen geplagt. Langeschwankt er. Bismarck hat die aller-größte Mühe, die Einflüsse seinerGegner abzuwehren. Sein Erfolgs-rezept: er tischt Wilhelm immerwieder stark übertriebene oderschlicht erfundene Meldungen überKriegsvorbereitungen und politi-sche Intrigen der Osterreicher auf.Nach und nach schafft er es, demKönig die Meinung zu suggerieren,Osterreich sei sozusagen der böseWolf, gegen dessen tückische Ab-sichten sich das preußische Un-schuldslamm wap pnen müsse.Gleichzeitig bemüht Bismarck sich

ei einem

Gang durch

die Straßen Berlins und in Ge-

sprächen mit Bekannten, denen

ich begegnete, empfing ich ver-

schiedenartige Eindrücke, nur in

einem Punkte stimmten sie über

ein. nämlich darin, daß der Krieg

gegen Osterreich unpopulär sei.

Die Liberalen wollten ihn nicht,

weil sie fürchteten, ein kriegeri-scher Erfolg werde BismarcksHerrschaft befestigen: daß ernach dem Siege zu ihnen über

gehen werde, hat wohl keinererwartet: die Konservativen ga-

ben die Hoffnung auf eine Ver-

ständigung (mit Osterreich -

G. F.) noch immer nicht auf: inder Armee und namentlich im

Offizierskorps der Garde fehlte

es an aller und jeder Kampf 

begier.

berstIcutnant von Schweinil, überdie Stimmung in Berlin Anfang April

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'.7

(

Aufmarsch österreichischer Artille-rie in Venetien

'. Österreichisches Militär:Dragoner, Jäger und Infanteristen

preußischen bgeordnetenhausesweigert sich noch immer, ihm Geld-mittel für die Rüstung zu bewilligen.Ansonsten aber schauen die Libe-ralen ohnmächtig zu, wie Bismarckhandelt.

Anders verhält sich die Großbour-geoisie. Bereits am 18. April 1866 istin der Zeitschrift „Der Zollverein"-inter der die Industriellen vonRhein und Ruhr stehen-u lesen:„Die Einigung Deutschlands haltenwir für ein in ideeller und materieller

• ••• •. Hinsicht so erstrebenswertes Gut,daß wir für dieselbe eine despoti-sche Regierung in Kauf nehmenwürden." nd die Herren vonKohle und Stahl lassen es nicht bei

Worten bewenden. Die Aktionäreemsig, Bundesgenossen aller Art zu ourgeoisie, insbesondere für die der öln-Mindener isenbahn-sammeln. Dabei erzielt er freilich eisten Politiker der Fortschritts- Gesellschaft aufen in roßeszunächst nur begrenzt Erfolge. Für artei, bleibt er der „Konfliktsmi- Aktienpaket auf, das bisher Eigen-einen roßen eil er iberalen ister". Die liberale Mehrheit des tum des preußischen Staates ge-

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Ttelblatt des „Vorboten , des er-

sten deutschsprachigen Organs derInternationalen Arbeiterassozia-

tion

ist, zielstrebig auf die BefreiungVenetiens vor. Sie beruft das Re-

krutenkontingent für 1866 ein, ohnejene Soldaten zu entlassen, derenDienstzeit abgelaufen ist. Auf dieseWeise steigt der Mannschaftsbe-stand des italienischen Heeres be-

trächtlich an. Gleichzeitig werdenTruppen an der Grenze zu Oster-reich konzentriert. Am 20. Aprilfordert daraufhin der österreichi-sche Generalstabschef Heniksteindie Mobilisierung der Südarmeedas heißt aller Truppen, die für

einen Einsatz gegen Italien vor-gesehen sind. Als AußenministerMensdorff die Denkschrift He-niksteins aufschlägt, erschrickt erzutiefst. E r ahnt sehr wo hl, daß eine

Mobilmachung uch wenn sie aufden Süden beschränkt bleibt ieVerhandlungen mit Preußen schwerbelasten wird. So heftig der Außen-minister sich widersetzt m 21.stimmt die österrbichische Regie-rung der Forderung des Ge-neralstabs zuBismarck nimmt diese Nachrichtmit tiefer Befriedigung auf. SeinGesundheitszustand bessert sichschlagartig. Er steift der italie-nischen Regierung sofort den Rük-ken, indem er ihr ausdrücklich zu-sichert, daß sie auf Preußens Hilfezählen könne. Am 26. April mobili-siert Italien daraufhin sämtlicheLand- und Seestreitkräfte.Bereits die Mobilisierung der öster-reichischen Südarmee ist in politi-

scher Hinsicht ein schwerwiegen-der Fehler gewesen. Am 27. Aprilaber vollzieht die österreichischeRegierung einen verhängnisvollenSchritt: sie beginnt mit der Mobili-sierung der Nordarmee— jener Ver-bände, die für den Kampf gegenPreußen bestimmt sind Die re-gierenden Kreise in Wien meinenallen Ernstes, sie könnten durcheine Demonstration ihrer militä-rischen Stärke Druck auf Preußen

ausüben. Sie hoffen, der bloße Au fmarsch ihrer Armee werde die Au s-einandersetzungen innerhalb derpreußischen A delskaste ber diesie genau informiert sind-nheizenund womöglich zum Sturz Bis-marcks führen.In Wirklichkeit ist die Mobilisierungder österreichischen Nordarmeegenau das, worauf Bismarck und diepreußische Generalität sehnlichstgehofft haben. Sie haben König

Wilhelm seit März immer wiedergedrängt, die preußische A rmee zumobilisieren. Wilhelm er vonJugend auf daran gewöhnt ist, imösterreichischen Kaiser so etwaswie einen Vorgesetzten zu sehenhat sich hartnäckig geweigert, denersten Schritt hin zum Kriege zutun. Jetzt lassen Moltke und Roonso lange nicht locker, bis Wilhelmam 3. Mai die Mobilmachungsbe-fehle für fünf preußische Armee-

korps unterzeichnet. Die Befehlefür die übrigen Korps folgen wenigeTage später. Damit ist die Weichegestellt. Der Weg nach Königgrätzist frei.

Mal 1888. ger urang. . 5.

Irr V orb lotte,"ranItr3nternutionLen Arbeitu-Ärf.ciafju.

JUonatkriflrebigirt »an lo4. 134. 1eer.

Ier 43reid 1 6 2flonate für illenf mit 'oftlobn 80 tent., flIr hie

übrige Cdvci3 90 itlit., für IDeutIdjiallb 3t ereu. Ober 1 0 e ge., f*rrautrcid unb gtalitit r. 1 20, für euglaub 1' / r 13reiß

für 1 2 Rtiate i9 her bappeUe unb für cin3clnc 9umnieru 10 l.eiit.lan aboiiuirt auf allen 3otdiiitern, aber au ireft auf bem Vfl.

reau her ebattian unb (pebitioi PRÜ L tYQUE 33, icuf. gentur

für ranheid: 5. Z. leanber, rul3buiü, ,RUE BRULE; Pari2, CO UR Du cOMMERCE, SAINT-ANDRt-DES-ARTS. Zgelituteit fgr(iigtaii ni iibceeifde ).iber: *etiber, 8, UTTLE NEW PORT-

STREET, LEICESTER-SQUARE W. C., unb her Zeutidc ItrbeiterMil.buüaitin, 40, RUPERT STREET, HAYMARKET, 2oiiboii. 9tu(t fann her„tlurbotc" leberleLt auf bein Bege beb )bud 4aitbeit beogeu werben.

1lnere t'erehrf. 9Aboitnenteit In Z'eutfetnnb bitten tIr unsßefäl1LI't ben tboitiicincntbetra In IefmarVen einlufen'ben, ha bad b1ciic 4)oftamt feine lacbnalmen bei 2reucbanbritbniten bortiin übernimmt.

ur neßflar.

Oibt'e grieg ? Ver fann biee wiffen ? benn fo lange eanocf) Veute gibt, metde ire 1flact»oUIonnnen4eit »am „ifcbebe ‚errn nehmen, i f l 2 1 1 l e e, bae Zfinunfte unb eeittofefte, nur

nid)t 3evit nftie unb Q'.q . Iicfticf)e4 mögticf. Ga4 ift gar &uerwarten, wo ein ewötntidev Ilitteruffi3iereuerftanb ben Zruct

einer cwidti9en Rione auf fein f~wad)a irit für eine Je efal-tung bee teitieit 05eiftee EaIt, bei jeber )leung im Unterleib

öttticfe 914ituitgeu »erfpürt, unb haitn in aUerödftent Rcttfd,luffe, „bafi nidt falfct getrommelt tvirb" äu »erorbnen ge

rutt. Unb wenn gar eilt rumfrciier iflinifter einer fo(d)en

B1ajeftät einen enfaben burd ben inüdo rat 8ir4en, fit Aurratpttpe maden, nacfj 3e(ieben „eruen" unb mit allen

3iereu au.fd)Lagen taffen fann. Za foll ber ellfcell»erftal1b

wiffen ob' iebe bleibt? Vefonberg wenn auf ber entegenge-

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Schüsseunterden

Linden

Berlin, 7. Mai 1 866, nach 1 7.00 Uhr.Bismarck hat sich gerade im könig-lichen Palais von Wilhelm 1. ver-abschiedet und geht nun die AlleeUnter den L inden entlang zu seinerDienstwohnung in der Wilhelm-straße 76 (der heutigen Otto-Grotewohl-Straße). Als er nur nochwenige Häuser von der Ecke Lin-

den Wilhelmstraße entfernt ist,knallen plötzlich direkt hinter ihmzwei Schüsse. Bismarck fährtherum - und entdeckt zwei Schrittehinter sich einen schmächtigenjungen Mann , der mit einem Rev ol-ver auf ihn zielt. Während er sichauf den A ttentäter stürzt und ihn amHals und an der rechten Hand

packt, geht der dritte Schu ß los. Derjunge Mann nimmt rasch die Waffein die linke Hand, setzt sie demMinister auf die Brust und drücktnoch zweimal ab. Mittlerweile sindGendarmen und Ga rdeinfanteristenherbeigeeilt, die den A ttentäter fest-nehmen un d wegführen.Bismarck ist mehrfach getroffenworden - und doch trotz der gerin-gen Entfernung unverletzt geblie-ben. Viele Zeitgenossen vermuten

deshalb, Bismarck hätte unter derKleidung einen Kettenpanzer ge-tragen. In Wirklichkeit jedoch sinddie Geschosse, nachdem sie dieKleidung des Ministers durchschla-gen haben, an dessen seidenemUnterhemd abgeglitten. Der Atten-täter, er heißt Ferdinand Cohen-Blind, ist ein süddeu tscher Student,

Stiefsohn des bekannten Linksradi-kalen Karl Blind. Da er nachseiner Festnahme nur flüchtigdurchsucht wird, kann er unter derAc hsel ein Messer verborgenhalten,mit dem er sich noch am A bend diePulsadern aufschneidet.Unmittelbar nach dem Attentatstürzt Unter den Linden ein ange-

sehener Berliner Universitätspro-fessor, der NaturwissenschaftlerEmil du Bois-Reymond, in denLaden des Bu chhändlers Stilke undmacht seiner tiefen Enttäuschungmit den Worten Luft: „Was habtIhr in Deutschland für schlechteRevolver " Eine Woche späterschreibt ein Berliner Demokrat ineinem Brief: „Ich habe Blind (nachseiner Festnahme —0. F.) transpor-tieren sehen, ich habe im Volk ge-

horcht und überall, besonders inden unteren Schichten, ein Be-dauern über das N ichtgelingen (desAttentats - G. F.) gehört ... undich würde mich gar nicht wundern,wenn das Attentat sich wieder-holte." In Süddeutschland wird eine

Das Attentat auf Bismarck

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Fotografie des Attentäters in Tau-senden von Exemplaren verkauft,und viele Menschen ehren Cohen-Blind als einen Märtyrer.Der Tod des jungen Studenten warohne Sinn. Der individuelle Terrorvon „links" hat sich in der Ge-schichte immer wieder als eine zu-

tiefst schädliche Methode des poli-tischen Kampfes erwiesen. Er hates reaktionären Kräften oftmals er-möglicht. revolutionäre Bewegun-gen von den Massen zu isolierenund die Massen irrezuführen. DerAnschlag Cohen-Blinds war des-halb kein geeignetes Mittel, den her-annahenden Krieg zu verhindern.Wenn das Attentat gelungen wäre,so hätte ohne Zweifel über kurzoder lang ein anderer Wortführer

der preußischen Junker und Milita-risten Bismarcks Kriegspolitik fort-gesetzt. Der mißglückte Anschlagkonnte nur eines bewirken: diepolitische Position des „Kon-fliktsministers" stärken. FriedrichEngels schrieb deshalb, als er vonCohen-Blinds Tat erfuhr: „Eingrößerer Gefallen konnte demB(ismarck) nicht getan werden."

Volkmuß sich

organi-sieren

Das Echo, das Blinds Attentat ins-besondere bei vielen Arbeitern undKleinbürgern findet, zeugt von demtiefen Haß, den diese Menschendem Junker Bismarck und seinerKriegspolitik entgegenbringen. Allediese Werktätigen betrachten dendrohenden militärischen Konfliktals einen Bruderkrieg. Und die

meisten von ihnen sind fest davonüberzeugt, Bismarck habe bereitsinsgeheim große deutsche Gebietean Napoleon III. verschachert, umdessen Unterstützung zu gewinnen.Mitglieder des Berliner Arbeiter-vereins machen ihrer Empörungüber die Politik des Ministerpräsi-

denten auch in den Vereinsver-sammlungen Luft, obwohl diesestets von uniformierten Polizistenüberwacht werden. Das zeigt einBericht, den der Leutnant Hoppe IIvom 14. Berliner Polizeirevier überdie Versammlungen schreibt, wel-che der Verein von März bis Mai1866 durchgeführt hat. Hoppe mußberichten, daß beispielsweise dasAuftreten des SchlossergesellenEduard Richter „stets den wütend-

sten Haß gegen den Ministerpräsi-denten" erkennen läßt. Und er be-scheinigt dem Buchdrucker CarlDittmann eine „tiefe Verbissenheitgegen die Regierung und den GrafenBismarck".Ab April 1866 beginnt in Deutsch-land infolge der wachsenden

Versammlung eines Arbeitervereins

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Übersicht der wichtigsten Volksversammlungenvon April bis Juni 1866

Datum Ort Teilneh- Veranstalter/Ver- Rednermerzahl sammlungsleiter

8. April Nürnberg über 5000 C. Crämer8. April Alzey/Großherzog-

tum Hessen 5000 K. Grün15. April Berlin 2000 F . Bandow W. Angerstein28. April Dresden 2500 F. W. Försterling

(ADAV) u. Knöfel(Dresdener Arbei-terbildungsverein

7. Ma i Dresden 20008. Mai Leipzig über 5000 Steinert (ADAV) A. Bebel

13. Mai Berlin 2000 W. A ngerstein u. W. A ngersteinF.Bandow

13. Mai Darmstadt ? L. Büchner20. Mai F rankfurt a. M. 3500 G.F. Kolb u. A. B ebel,

Neergardt K. Grün,

K. Mayer2. Juni Chemnitz 2000 W. Liebknecht9. Juni Zwickau

jeweils10. Juni Thurm/Sachsen zus. 300011. Juni Werdau W. Liebknecht

je Stimmunghier ist

gewitterhaft erregt: Blinds Tatauf jedem Mund, vor jedemGeist. Ich selbst gebe kein Urteil.Verdammung wäre Feigheit.

Billigung Hochverrat. Nicht bloßhier deutet der Barometer aufSturm. Allgemein ist der Not-stand unter den Arbeitern, all-gemein der Grimm ob der un-geheuren Opfer, welche dieMobilmachung auferlegt, eineMobilmachung, angeordnet voneinem volksfeindlichen M iniste-rium zum Zweck des Bruder-

krieges...

Bericht eines demokratischenJournalisten aus Berlin vom 10. Mai

1866

Kriegsgefahr das Wirtschaftslebenzu stocken, und es finden Mas-senentlassungen statt. Bereits imMai zählt man allein in Berlin

10000 Arbeitslose. Die entlassenen

Arbeiter antworten mit machtvollen

Protestdemonstrationen. Bei derMobilmachung der preußischenArmee kommt es in mehreren Or-ten, vor allem im Rheinland, zuWidersetzlichkeiten der einberufe-nen Reservisten.Die Erregung breiter proletarischerund kleinbürgerlicher Massenmündet im Frühjahr 1866 in einedemokratische Volksbewegung ein,die es in Deutschland in solcherStärke seit 1848/49 nicht mehr ge-

geben hat. Diese Bewegung hat vierHochburgen: das Rheinland, Würt-temberg, Sachsen und Berlin. Denentscheidenden Rahmen für diepolitische Diskussion und für dieSammlung der Kräfte bilden großeVolksversammlungen. Die Zu-sammenkünfte werden größtenteils

von kleinbürgerlichen Demokrateneinberufen und geleitet. Auf diesenVeranstaltungen wenden sich Ar-beiter und Kleinbürger leiden-

schaftlich gegen die KriegspolitikBismarcks und beraten über ge-eignete Kampfmaßnahmen. ZweiForderungen stehen im Mittelpunkt

der meisten Zusammenkünfte:Schaffung einer sogenannten kon-stituierenden ationalversamm-lung und allgemeine Volksbewaffnung. Unter einer konstituierendenNationalversammlung versteht man

ein demokratisch gewähltes Par-lament für ganz Deutschland. DieVolksbewaffnung soll es ermögli-chen, den bevorstehenden Krieg der

beiden deutschen Großmächte ineinen Volkskrieg gegen die reaktio-nären Kräfte umzuwandeln. Im Maierscheint im „Deutschen Wochen-blatt" ein Aufsatz mit dem bezeich-nenden Titel „Ein deutsches Volks-heer als einziger Retter des Vater-landes". Aus der Serie demokrati-

scher Massenversammlungen ragenzwei Veranstaltungen besondersheraus: die vom 8. Mai in Leipzigund die vdm 20. Mai in Frankfurt amMain.Auf der Leipziger Versammlung,die vom Arbeiterbildungsverein,den Lassalleanern und den klein-bürgerlichen Demokraten der Mes-sestadt gemeinsam einberufen wirdund im „Odeon" tagt, gehen dieWogen hoch. Wilhelm Liebknecht

trägt eine flammende Anklage ge-gen den preußischen Militarismusvor. Das Kernstück seiner Anspra-che wird in einem Zeitungsbericht

so wiedergegeben: „Preußen habein Baden (1849) Tausende vonFreiheitskämpfern niedergeschos-

sen, Hunderte gestandrechtet,Preußen sei es gewesen, das inDresden den Maiaufstand nieder-

geschlagen, und dieses Preußenwolle man jetzt an die Spitze

Deutschlands stellen, den Mann(König Wilhelm - G. F.) zum deut-schen Kaiser machen, der dieVolks- und Freiheitskämpfer nie-derkartätschen ließ." August Bebelbringt eine sehr entschiedene Reso-

lution ein - und die 5000 Anwesen-den nehmen sie einstimmig an.Knapp zwei Wochen später tritt am20. Mai - es ist der Pfingstsonntag

- im Frankfurter „Saalbau" dersogenannte Abgeordnetentag zu-sammen. Das ist ein Treffen vonetwa 250 liberalen Parlamentsmit-gliedern der verschiedenen deut-schen Staaten. Joseph Völk, einbayrischer Schwabe, bringt fol-genden Antrag ein: die Regierun-gen der deutschen Mittel- undKleinstaaten sollen aufgefordertwerden, im Falle eines preußisch-österreichischen Krieges neutral zu

bleiben. Es ist allgemein bekannt,daß die meisten dieser Länder aufder Seite Osterreichs stehen. IhreNeutralisiehing wäre deshalb für

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Preußen ein großer Erfolg. Völk istmit seiner Rede noch nicht zu Ende,

als das Krachen mehrerer Explo-sionen durch den Saal hallt, und die

Herren Abgeordneten entsetzt vonihren Sitzen aufspringen. Es stelltsich aber bald heraus, daß dasdonnernde Getöse nicht durch einenSprengstoffanschlag erursachtworden ist - sondern durch harm-lose Feuerwerkskörper (die einigeLassalleaner gelegt haben).Als wieder Ruhe eingekehrt ist,wenden die wenigen anwesendenDemokraten sich leidenschaftlichgegen Völks Antrag. „Es ist Verrat,neutral zu sein im Bürgerkrieg',erklärt Neergardt aus Schleswig-Holstein. Und Julius Frese, Ab-geordneter der preußischen Fort-

schrittspartei, schmettert dieprophetischen Worte in den Saal:„Nur dann wird Preußen frei, wennes in Deutschland aufgeht, geht aber

Deutschland in Preußen auf, danngnade Gott denen, die nach uns

kommen werden." Die Mehrzahlder Anwesenden aber hat für solche

Warnungen kein Ohr und stimmtVölks Antrag zu.Gleichfalls für den Pfingstsonntaghaben die Frankfurter Demokrateneine Gegenveranstaltung zum libe-ralen Abgeordnetentag vorbereitet.

Im Frankfurter Zirkus finden sicham Nachmittag 3500 Menschenzusammen, darunter zahlreicheführende kleinbürgerliche Demo-kraten aus allen Teilen Deutsch-

3. Die nationalen und freiheit-lichen Interessen des deu tschenVolkes können nur gewahrtwerden durch ein aus allgemei-nen, gleichen und direktenWahlen mit geheimer Abstim-mung hervorgegangenes kon-

stituierendes P arlament, unter-stützt durch allgemeine Volks-wehr.

5. Wir erwarten, daß im Falleeines Bruderkrieges, der nurdazu dienen kann, Deutschlandzu schwächen und deutschesLand in fremde Hände zu spie-len, das deutsche Volk sich wieein Mann erhebe, um mit denWaffen in der Hand sein E igen-tum und s eine Eh re zu verteidi-

gen.

Au s der Resolution der LeipzigerVolksversammlung vom 8. Mai 1866.

eingebracht von August Bebel

lands. Auch August Bebel ist einge-laden worden. Die Versammeltenbegnügen sich nicht damit, energisch gegen den scheinheiligen Neu-

tralitätskurs der Liberalen zu pro-testieren. Sie nehmen eine Resolu-tion an, die das ganze deutsche Volk

zum bewaffneten Widerstand gegen

die Bismarcksche Kriegspolitik auf-ruft. Als der Demokrat August La-dendorf die Errichtung einer deut-schen Republik fordert, will der Bei-fall kein Ende nehmen.

1.Gegen die fr iedensbrecheri-sche Polit ik Preußens den be-waffneten Widerstand; Neu trali-

tät ist F eigheit oder Verrat.2.Schleswig-Holstein solle aufGrund des bestehenden Rechtesseine Selbständigkeit erlangen.

3.Der preußische P arlaments-vorschlag sei unbedingt zu ver-werfen, dagegen solle eine kon-stituierende, mit der nötigenMacht ausgestattete Volksver-tretung über die Verfassung Ge-samtdeutschlands entscheiden.4.E inführung der G rundrechteund gesetzliche E inführung derallgemeinen Volksbewaffnung.5.Das Vo lk solle überall in Stadtund La nd in po litischen Vereinen

zusammentreten.

Resolution der Frankfurter Volks-versammlung vom 20. Mai 1866

Johann Philipp Becker(1809-1886)Gelernter Bürstenbinder. 1849 Ober-

befehlshaber der badischen Volks-wehr. Seit 1860 enger Freund und

Kampfgefährte von Marx und En-gels. Leitete von Genf aus den Auf-bau der deutschen Sektionen der1. Internationale.

Johann Jacoby (1805-1877)Arzt. Zwischen 1840 und 1870 füh-render kleinbürgerlicher Demokratin Preußen. Trat 1872 in die So-zialdemokratische Arbeiterparteiein. Prägte 1870 den Satz: „DieGründung des kleinsten Arbeiter-

vereins wird für den künftigen Kul-turhistoriker von größerem Wertsein als ...Sadowa.

Die im Zirkus Versammelten

wählen einen zwölfköpfigtn Aus-schuß, dem unter anderen AugustBebel, Carl Crämer, Karl Grün,Karl Mayer und Neergardt angehö-ren. Diesem Ausschuß werden zwei

Aufgaben gestellt: ein Aktionspro-gramm für die gesamte demokrati-

sche Bewegung auszuarbeiten undschließlich einen Delegiertenkon-greß nach Frankfurt zu berufen. DieDelegierten sollen von Volksver-sammlungen und Volksvereinen

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entsandt werden - um endlich einegroße demokratische Partei zugründenNach der Frankfurter Pfingstver-sammlung entstehen in fast allengrößeren Städten SüddeutschlandsVolksvereine als Zentren desKampfes gegen die preußische Ag-gressionspolitik. An einigen Orten

werden auch bereits Wehrvereinegebildet. Am 11. Juni schließen diethüringischen Demokraten sich inApolda organisatorisch zusammen.Überall wird die Volksbewegungvon kleinbürgerlichen Demokratengeführt. Nur in Sachsen ist es an-ders: dort stehen mit Wilhelm Lieb-knecht und August Bebe[ Arbeiter-führer an der Spitze. Liebknechtund Bebel sind in Sachsen und auchim benachbarten Thüringen rastlos

tätig, um die Massen zu mobilisierenund zu revolutionieren. Mehr undmehr gelingt es ihnen, auch einenTeil der Arbeiter des ADAV in dieVolksbewegung einzubeziehen. Zuden revolutionären DemokratenWest- und Süddeutschlands haltensie feste Verbindung.Anfang Juni unternimmt Lieb-knecht eine Agitationsreise durcheine Reihe sächsischer Industrie-orte. Wann und wo immer diesergroße breitschultrige Mann mitVollbart und langem Haupthaar aufeiner Tribüne erscheint und mit sei-ner mächtigen durchdringendenStimme zu reden beginnt, herrschtdie gespannteste Aufmerksamkeit.Liebknecht versteht es wie keinzweiter, den Arbeitern die politi-sche Lage zu erläutern und sie mitseiner feurigen, mitreißenden Be-redsamkeit zum Kampf zu begei-stern. Seine erste Rede hält er am2.Juni in Chemnitz vor mehr als2000 Arbeitern. Zum Schluß ruft eraus: „Auch das deutsche Volk kannseinen Willen zur Geltung bringen,

den Krieg vereiteln und sich einParlament schaffen, das nicht einSpielball dynastischer Interessenist, sondern ein wahres Volkspar-lament, stark genug, den Willen desVolkes zu vollstrecken. Nur eins istnötig: Das Volk muß sich organi-

sieren-

or allem in den Händen derArbeiter ruhen die GeschickeDeutschlands, ruht die Zukunft derDemokratie."

Wenige Tage später, am 8. Juni,

kehrt Gottfried Ermen, Teilhaberder Firma „Ermen & Engels", voneiner Reise ins Rheinland nachManchester zurück. Friedrich En-gels befragt ihn natürlich aufs ge-naueste nach seinen Eindrückenund Erlebnissen. Und Ermen weißallerlei zu berichten. So hat er aufder Koblenzer Rheinbrücke ein in-

teressantes Gespräch mit einempreußischen Leutnant geführt.Der Preuße räumte seiner Armeewenig Chancen in einem Krieggegen die Osterreicher ein. Ermenfragte ihn daraufhin, was denngeschehen werde, falls die Preu-ßen besiegt würden. Die Antwortdes jungen Offiziers: „Dann kriegenwir Revolution." Am 11. Junischreibt Engels an seinen FreundKarl Marx: „In Deutschland sieht

es täglich revolutionärer aus. In Ber-lin und Barmen ziehen die stillge-setzten Arbeiter in Haufen drohenddurch die Straßen... Ich glaube, in14 Tagen geht es in Preußen los."

TemBruder-krieg

entgegen

Schon an 11. April 1866 hat KönigWilhelm besorgt an Bismarck ge-schrieben: „Die Volksagitationengegen den Krieg nehmen doch einesehr unangenehme Dimension an "In den folgenden Wochen - zumalnach den Unruhen bei der Mobilma-chung - wird er immer nervöser.Bismarck hingegen ist fest davonüberzeugt, einer Volksrevolutionzuvorkommen zu können. Er for-muliert die Devise: „Soll Revolu-tion sein, so wollen wir sie lieber

v'.

Johann Baptist von Schweitzer(1833-1875)Rechtsanwalt, später Journalist.Erlangte nach dem Tode Lassallesentscheidenden Einfluß auf den

ADA V. 18 66 wurde er zum AgentenBismarcks. 1867-71 Präsident desADA V. 18 72 schloß ihn diese Orga-

nisation aus ihren Reihen aus.

machen als erleiden " Es gibt alsoeine Art „Wettlauf" zwischen bür-gerlich-demokratischer Revolutionvon unten und junkerlich-militari-stischer „Revolution von oben".Dabei stehen die Erfolgsaussichtenaber keineswegs 50:50. Aus mehre-ren Gründen heraus hat eine Volks-revolution nur geringe Chancen:- Die Bourgeoisie, die 1862/63 nochgrößtenteils dem „Konfliktsmini-ster" feindselig gegenübergestan-den hat, verhält sich jetzt über-wiegend passiv. Ein kleinerer Teilvon ihr unterstützt bereits offenBismarcks Politik.- Die lassalleanischen Führer be-kämpfen nicht etwa die preußischeKriegspolitik, sondern die demokra-tische Volksbewegung Schweitzerist mittlerweile zu einem AgentenBismarcks herabgesunken. Er wirdam 9. M ai wegen seines angeblich soschlechten Gesundheitszustandesvorzeitig aus dem Gefängnis ent-lassen - und unternimmt sogleichweite und kostspielige Agitations-reisen, auf denen er die Werbetrom-mel für den preußischen Bundes-reform-Vorschlag rührt. Dabei ruft

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Zündnadelgewehr

Das Zündnadelgewehr Modell 1841war ein Einzellader für Papierpa-tronen. Seine F euergeschwindigkeitbetrug 5 gezielte Schüsse pro Mi-nute, seine maximale Schußweite

1200 M eter. Das Gewehr war ohneBajonett 143 cm, mit Bajonett193 cm lang. Es wog mit Bajonett5,34 kg. In den 60er Jahren wurdeein eichelförmiges Geschoß, dasogenannte L angblei (Patrone M 55

verwendet, das eine Anfangs-geschwindigkeit von 296mlsec erreichte. Der Name „Zündnadel-gewehr" rührt von einer Stahlnadelher, die am Schlagbolzen des Ge-wehrschlosses angebracht war.

Wenn der Schütze den Abzugshebe 1der Waffe durchdrückte, schnellteder Schlagbolzen vor, und die Zünd-nadel durchstieß die Pap ierpatrone.drang in deren Zündkapsel ein - und

löste so den Schuß aus.

er die Arbeiter auf, alle Kraft ein-zusetzen, damit der Sieg „bei denFahnen Bismarcks und Garibaldis"sein werde Schweitzer sucht alsoden Junkerpolitiker Bismarck mitdem revolutionären Demokratenund italienischen NationalheldenGiuseppe Garibaldi auf eine Stufezu stellen. Es gelingt dem gerisse-nen Demagogen, die Mehrzahl derLassalleaner von der Volksbewe-gung fernzuhalten.- Die verschiedenen Gruppierun-gen der kleinbürgerlichen Demo-kraten vermögen ihre Differenzennicht zu überwinden. Auch der ge-plante Delegiertenkongreß, der inFrankfurt am Main zusammentre-ten sollte, kommt nicht zustande.Zugleich wird es immer offensicht-licher, daß die kleinbürgerlichenDemokraten sich in der Frage derVolksbewaffnung weitgehend von

Laden des Vorderladergewehrs. Eswar sehr zeitaufwendig und konnte

vom Schützen nur im Stehen erledigtwerden.

Schloß des Zündnadelgewehrs Mo-

dell 1841

Schloß des österreichischen Infan-teriegewehrs (Lorenzgewehr Modell1854)

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Kopf der demokratischen Zeitung„Der Bote vom Niederrhein", die1865/66 von F. A. Lange herausge-

geben wurde

bloßen Wunschvorstellungen leiten

lassen. So zum Beispiel ist am13. Mai im „Deutschen Wochen-blatt" zu lesen: „Keine Haushaltungsei ohne Waffe, keine Fabrik ohneGewehre und Piken für sämtlicheArbeiter ... Jeder Jüngling be-waffne sich selbst und verzichte da-für in Gottes Namen einen Monatauf Bier und Glimmstengel."Die Volksbewegung bleibt alsoohne einheitliche Führung und Or-ganisation. Es gibt weder eine re-

volutionäre Arbeiterpartei nocheine überregionale kleinbürgerlich-demokratische Partei. Die preußi-sche Armee hingegen ist hundert-prozentig intakt, und ihr Aufmarschvollzieht sich mit der Präzisioneines Uhrwerks. Die vereinzeltenWidersetzlichkeiten, die es bei denEinberufungen gegeben hat, sindvon den außenstehenden Beobach-tern stark überbewertet worden—eshandelte sich in Wirklichkeit um

bloße Randerscheinungen ohneFolgen. So groß der Kampfesmutvieler demokratisch gesinnter Ar-beiter, Handwerker und Intel-lektueller ist - ihre zersplitterteBewegung ist letztlich nicht im-stande, die anlaufende gewaltigepreußische Kriegsmaschinerie zustoppen.Noch aber sehen die fortschrittli-chen Kräfte einen Hoffnungs-schimmer. Sie rechnen nämlichgrößtenteils damit, daß eine militä-rische Niederlage der Preußen eineVolksrevolution auslösen werde. Soschreibt der Schriftsteller Robert

o stehen wirdenn vor dem

Kriege, der, so weit menschliche

Augen sehen, nur Unheil überUnheil bringen kann, wie er auchausfallen möge. Nur diejenigen,denen die Stärkung des Abso-lutismus das höchste Ziel ist, unddie für Freiheit, Bildung, Ehredes Volkes bloß Spott auf denL ippen haben, die mögen sichtrösten. Ihr Weizen wird blühenauf den blutgetränkten Feldern;die Stunde ihrer Ernte ist nahe

herangekommen.

F. A. Lange in einem Zeitungsartikelvom 15. Juni 1866

Schweichel am 28. Mai 1866 anLiebknecht: „An die Revolution mitKrieg glaube auch ich, an die Revo-lution ohne Krieg aber nicht." DaßPreußen von den Österreichern ge-schlagen werden wird, steht für dieMehrzahl der Zeitgenossen - undauch der namhaften Militärexpertendes Auslandes - fest. Vor allem in

dreierlei Hinsicht beurteilt man dasmilitärische Kräfteverhältnis zu-meist falsch:- Die östrreichische Armee be-sitzt von den Kämpfen der Jahre1848/49 und 1859 her eine weitausgrößere Kriegserfahrung als diepreußische - und die Zeitgenossenmessen dem eine große Bedeutungbei. Im Sommer 1866 wird es sichdann aber von Anfang an zeigen,daß die zweckmäßigere und gründ-

lichere Ausbildung der preußischenSoldaten und Offiziere viel stärkerins Gewicht fällt als die Kampf-erfahrung der Osterreicher. Den

österreichischen OberbefehlshaberBenedek kennt man in ganz Europa,und er gilt allgemein als ein be-deutender Feldherr. Moltke hin-gegen ist für die Öffentlichkeit einunbeschriebenes Blatt - und selbstein Teil der preußischen Generalehält wenig von seinen Fähigkei-ten

- Österreichische Politiker undJournalisten werden nicht müde zufabulieren, die Armee ihres Landeswerde 800000-900000 Mann insFeld stellen und die zahlenmäßigviel schwächeren Preußen erdrük-ken. Das wird allgemein für bareMünze genommen - hat Osterreichdoch doppelt so viele Einwohnerwie Preußen und deshalb eine weit-aus höhere Rekrutierungsquote.Osterreich muß aber eine große

Armee gegen die Italiener bereit-stellen, es braucht für „unruhige"gebiete wie Ungarn starke Besat-zungstruppen, bei seiner Militär-bürokratie herrscht große Unord-nung. Die Folge: im Juni 1866 er-scheinen auf dem Hauptkriegs-schauplatz Böhmen nicht mehr als248000 Mann österreichischerKampftruppen - aber 278000 Preu-ßen.- Nur wenige Beobachter sind sich

völlig darüber im klaren, wie un-geheuer groß die Überlegenheit derpreußischen Infanteriebewaffnungist. Die österreichische Infanterieist mit einem Vorderladergewehrausgerüstet, die preußische Armeedagegen mit einem Hinterlader -dem Zündnadelgewehr. Diese neueWaffe hat zwei enorme Vorteile:Ihre Feuergeschwindigkeit ist drei-mal so hoch wie beim Vorderlader.Und sie kann vom Schützen im Lie-

gen geladen werden (während einSoldat, der mit dem Vorderlader be-waffnet ist, zum Laden aufstehenmuß und sich dadurch gegnerischemFeuer aussetzt).In den letzten Wochen vor Kriegs-beginn herrscht in Europa einehektische diplomatische Aktivität.Mit ziemlicher Sicherheit läßt sichbereits voraussehen, daß sämtlichegrößeren deutschen Bundesstaatensich auf Osterreichs Seite stellenwerden. Italien hält am Bündnis mitPreußen fest. Das zaristische Ruß-land nimmt eine neutrale Positionein und läßt Preußen freie Hand.

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preu ISELB-A R M E

‚Koniginhof(Dvur KräIov)

preuß. 2. ARMEE\

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rührt. Benedek fährt den Unglücks-boten an: „Plauschen Sie nicht sodumm " Plötzlich aber reißt er seinPferd herum und jagt auf Chlum zu,sein Stab hinter ihm her. Als dieKavalkade das erste Bauerngehöfterblickt, schlägt ihr ein Bleischauerentgegen, und mehrere der Reiterstürzen getroffen zu Boden. Was istgeschehen?Generalstabschef Moltke hat dieTruppen Benedeks zunächst vonNordwesten her durch die preußi-sche 1. Armee und die sogenannteElbarmee frontal angreifen lassen.Gleichzeitig hat er die 2. preußischeArmee (97000 Mann) in Marsch ge-setzt, die sich nördlich der öster-reichischen Aufstellung befand.Diese Armee hat die Aufgabe, den

rechten Flügel des österreichischenHeeres anzugreifen, während dieElbarmee dessen linken Flügel um-gehen soll. Moltke hofft, auf dieseWeise die gesamte österreichischeStreitmacht einkesseln und vernich-ten zu können.Da der Regen alle Wege aufge-weicht hat, ist die 2. Armee aber nurlangsam vorangekommen. Gegen14.00 Uhr erscheint ihre Angriffs-spitze —die 1. Gardedivision - über-

raschend vor Chlum. Dieser wich-tige Ort ist nur unzureichend ge-deckt. Einige österreichische Ge-nerale, deren Truppen ursprünglichhier aufgestellt waren, haben näm-lich am Vormittag eigenmächtig diepreußische 7. Infanteriedivision an-gegriffen, die den Swiepwald be-setzt hält. Als die österreichischenVerbände dann schließlich durchBenedek auf den rechten Flügelzurückbeordert werden, . sind sie

Die preußischen Streitkräfte warenim Juni in drei räumlich ziemlichweit von einander entfernten Armeenaufgestellt worden. Generalstabs-chef Moltke ließ diese drei Armeenam 23. Juni auch getrennt in Böh-men einmarschieren, was von denzeitgenössischen ilitärexperteneinhellig als grober Verstoß gegendie Regeln der Strategie betrachtet

wurde. Die preußischen Armeen

rückten zügig vor, fügten den Öster-reichern in mehreren Gefechtenschwere Verluste zu und vereinigten

sich am 1. Juli nor4westlich vonKöniggrätz.

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3. Juli 1866. Situation gegen 2 Uhrnachmittags (Ausschnitt aus einerhistorischen Karte)

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durch das blutige Waldgefecht stark

mitgenommen. Die preußischen

Gardeinfanteristen können deshalb

Chlum nach ganz kurzem Kampfeinnehmen. Da zu gleicher Zeit die

Elbarmee die ihr gegenüberstehen-

den österreichischen und säch-

sischen Truppen weit zurückge-schlagen hat - was Benedek eben-falls noch nicht weiß -‚ beginnt die

preußische Zange sich bereits zuschließen.

In den folgenden Stunden treiben

die österreichischen Generale -

statt sofort einen geordneten Rück-

zug einzuleiten - immer neue Ver-

bände in sinnlose Bajonettangriffe

gegen Chlum. Die Osterreicher

rücken jeweils in tiefgestaffeltenKolonnen, mit Trommelschlag und

flatternden Fahnen vor. Die preu-

ßischen Infanteristen lassen sie auf

300 Schritt und näher herankom-men - und überschütten sie dann

mit rasendem Schnellfeuer. Tau-

sende österreichischer Soldatenwerden so dank dem Stumpfsinnihrer Vorgesetzten getötet oder zu

Krüppeln geschossen.Inzwischen haben sich die Spitzen

5

Angriff der preußischen Injw,lerie

über die Bistritz hinweg

- die Eröffnung der Schlacht von

Königgrätz

Nahkampf im brennenden DorfChlum

Rückzug der Österreicher auf die

Festung Königgrätz zu

Der Stab Benedeks

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Reitergefecht bei Tischnowitz (nord-westlich von Brünn) am 11. Juli1866

der preußischen Elbarmee und2. Armee etwa bis auf sich zweiKilometer einander genähert. Derheldenmütige Abwehrkampf derösterreichischen Kanoniere undKavalleristen ermöglicht es ihrergeschlagenen Armee aber, sich aufdas jenseitige Ufer der Elbe zurück-zuziehen. Etwa die Hälfte dieserTruppen bewegt sich auf die Fe-stung Königgrätz zu, die durch

ein Überschwemmungsgebiet ge-schützt ist - und deren Tore derKommandant hat schließen lassen.Als die Nacht herniedersinkt, brichtunter den Österreichern, die dasSumpfgelände auf einigen Dämmenzu durchqueren suchen, eine Panikaus. Es kommt zu fürchterlichenSzenen. Hunderte von Soldatenverlieren die Orientierung und er-trinken elendiglich. Andere werdenim Gedränge der Menschen, Pferde,

Kanonen und Fuhrwerke zu Todegetrampelt. „Es war wie beim Über-gang über die Beresina", schreibtein Augenzeuge später dazu. Die

Österreichischer Infanterist 1866(Regiment Hoch- und Deutschmei-ster)

Bilanz des blutigen Tages: Mehr als44000 österreichische und sächsi-sche Soldaten sind gefallen, ver-wundet worden, in Gefangenschaft

Sächsischer Leibgardist 1866

geraten oder gelten als vermißt. DieVerluste der Preußen betragen et-

was mehr als 9000 Mann.Nach der Entscheidungsschlachtvon Königgrätz finden zwischenden preußischen und österrei-

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171e Depesche

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auebebiitrr, tdUuiIi nad) nidtl catiftatirt. Um'vi11Ii 10,000 &Scfanene gcAhll.

tkTttI, ka £ I 11 445.

ÖrnUdt Iici. rIibii1fll.

chischeii 1 ruppeii kenic größerenKampfhandlungen mehr statt. Am22.JuIi 12.00 Uhr mittags tritt dieWaffenruhe in Kraft.Unterdessen haben die preußischenTruppen in Süddeutschland eineSerie billiger Siege errungen. DieTruppen der süddeutschen Staaten

Nach der Schlacht von König-grätz

waren ihnen zahlenmä ßig zwar weitüberlegen, sie waren aber sehrschlecht bewaffnet und ausgebildet- und sie wurden nie konzentrierteingesetzt. In Italien dagegen haben

Seeschlacht bei der Insel Lissa(heute Vis, FSR Jugoslawien) am20. Juli 1866. Im Vordergrund ver-

senkt das österreichische Panzer-schiff „Ferdinand Max" das italie-nische Panzerschiff „Ri d'Italia"durch einen Rammstoß.

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die Österreicher zu Lande und zuWasser gesiegt. Die italienischenSoldaten haben tapfer gekämpft,aber ihre unfähigen Oberkom-mandierenden führten sie in

schwere Niederlagen. Ab 26. Julischweigen in Italien die Waffen,und vom 2. August an auch in Süd-deutschland.

Üöniggrätz

und dieFolgen

Am Abend des 4. Juli erfährt in Romder Kardinalstaatssekretär Anto-nelli - sozusagen der Ministerprä-sident des Kirchenstaates - vomSieg der Preußen. Entsetzen maltsich auf seinem Gesicht. Schließlichruft er aus: „Casca il mondo " (,‚DieWelt stürzt ein ") Nun, die Weltstürzt nicht ein, aber in Deutschland

und Europa ändert sich nach derSchlacht von Königgrätz vieles.Der Junker Bismarck hat mit be-waffneter Hand den morschenDeutschen Bund zertrümmert. Erhat die Legion Klapka aufstellenund einsetzen lassen-eren Ange-hörige alle dem österreichischenKaiser den Fahneneid geleistethatten. Und er jagt nach dem Siegedrei Herrscher „von Gottes Gna-den" - den König von Hannover,

den Kurfürsten von Hessen-Kasselund den Herzog von Nassau - vonihren Thronen und verleibt ihreLänder dem preußischen Staat ein.Das ist, wie Friedrich Engels her-vorhebt, eine Politik mit revolu-tionären Mitteln Bismarck be-ginnt auf diese Weise im Jahre 1866mit einem Donnerschlag die preu-

Eröffnung des NorddeutschenReichstags durch Wilhelm 1. am24. Februar 1867

ßische „Revolution von oben", dieer dann 1871 abschließen kann.Bereits am 23. August wird in Pragder Friedensvertrag zwischen Preu-ßen und Osterreich unterzeichnet.

Die besiegte Donaumonarchie über-läßt die Vorherrschaft in Deutsch-land dem preußischen Militärstaat.Ansonsten wird sie glimpflich be-handelt: sie muß lediglich Venetienan die Italiener abtreten sowie eineKriegsentschädigung zahlen. DerDeutsche Bund wird aufgelöst, unddas Habsburgerreich scheidet damitvöllig aus dem deutschen Staats-verband aus. In seinen deutsch-sprachigen Gebieten - Osterreich

im engeren Sinne - formiert sichendgültig eine bürgerliche österrei-chische Nation.Wenn Bismarck gegenüber Oster-reich und auch gegenüber den süd-deutschen Staaten „Milde" waltenläßt, dann ist das nicht zuletztaus seiner Besorgnis vor einemEingreifen des bonapartistischen

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I' m uotbbeutden rIanicnt.„5ntfieben ift er, unb ein gewaltiger Rebner, bne muf½ man ibm laffen.

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Die deutschen Staaten 1866/67Kopenh

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gesetzgebung den Profitinteressender Bourgeoisie großzügig entge-gen. Indem er aber dem Parlamentdes Norddeutschen Bundes-emReichstag - nur sehr begrenzteRechte einräumt, hält er die Bour-geoisie nach wie vor weitgehendvon der politischen Macht fern.Gewählt wird der Reichstag nach

dem allgemeinen, gleichen und di-rekten Wahlrecht. Und so betretendenn noch im Jahre 1867— von densächsischen Arbeitern entsandt -mit August Bebel und WilhelmLiebknecht zum ersten Male in derdeutschen Geschichte revolutio-näre Arbeiterführer die Parlaments-

tribüne.Bismarck ist - wider seinen Willenund auf seine junkerliche Weise -zum Testamentsvollstrecker der ge-scheiterten bürgerlichen Revolutionvon 1848/49 geworden. Er hat diedemokratische olksbewegungüberrollt und eine Volksrevolutionverhindert. Das hat er aber nur tunkönnen, indem er selber einige derForderungen der demokratischenKräfte erfüllte. Die demokratischeBewegung war nicht stark genug,um siegen zu können. Sie ist abergerade von Bismarck und den Klas-senkräften, die ihn unmittelbar un-terstützten, sehr ernst genommenworden und hat deren Politik ent-scheidend beeinflußt. Letztlich hatnur der Druck, den die Bewegungder Arbeiter und demokratisch ge-sinnten Kleinbürger ausübte, den„Konfliktsminister" dazu veran-laßt, das allgemeine Wahlrecht ein-zuführen und ein deutsches Par-lament zu errichten. W. 1. Leninschrieb deshalb: „Deutschland hatFreiheiten erhalten, trotz Bismarck,trotz der preußischen Liberalen,nurdank dem nachdrücklichen undhartnäckigen Streben der Arbeiter-klasse (teilweise, aber zu sehr ge-ringem Teil, auch der kleinbürger-lichen Demokratie) nach vollstän-diger Demokratisierung."Schwerer als diese Errungenschaf-ten wog freilich, daß durch dieBismarcksche „Revolution vonoben" und durch das reaktionäre

junkerlich-bürgerliche lassen-bündnis vom Jahre 1866 die Zukunft

Etappen der „ruhmvollen Lauf-bahn Bismarcks

4 2

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der deutschen Nation auf verhäng- gemeinsam getragen. Er erstarkte das Bismarck in den Jahren 1866 bisnisvolle Weise belastet wurde, dadurch außerordentlich - und er 1871 mit Blut und Eisen geschaffenDenn der preußisch-deutsche Mi- wurde stetig aggressiver. Schließ- hatte, infolge der Katastrophen-litarismus wurde nun mehr und lich ging - wie Wilhelm Liebknecht politik seiner herrschenden Klassemehr von Junkern und Kapitalisten es vorausgesagt hatte - das Reich, in Blut und Eisen unter.

tz

ie Geschichte inDeutschlandscheint mir jetztziemlich einfach.Von dem Augen-

blick an, wo Bismarck den klein-deutschen Bourgeoisplan mit der

preußischen Armee und so ko-lossalem Sukzeß durchführte,hat die Entwicklung in Deutsch-land diese Richtung so entschie-den genommen, daß wir eben-sogut wie andre das fait accompli

[die vollendete Tatsache] an-erkennen müssen, we may like it

or not Lob es uns gefällt oder

nicht]. Was die nationale Seite

der Sache angeht, so wird Bis-marck jedenfalls das kleindeut-sche Kaisertum in dem von denBourgeois beabsichtigten Um-fang, d. h. inkl. Südwestdeutsch-

land, herstellen, denn die Re-densarten von der Mainlinie undvon der optional South Germanseparate confederacy [dem zur

freien Wahl gestellten separatenSüddeutschen Bundi sind jeden-

falls nur für die Franzosen be-rechnet, und inzwischen mar-schieren die Preußen auf Stutt-gart ... Politice [politisch] wirdB[ismarckl genötigt sein, sich aufdie Bourgeoisie zu stützen, die er

gegen die Reichsfürsten braucht.

Vielleicht nicht in diesem Augen-blick, da jetzt noch das Prestige

und die Armee hinreichen. Aberschon um sich vom Parlament die

nötigen Bedingnisse für dieZentralgewalt zu sichern, muß er

den Bürgern etwas geben, undder natürliche Verlauf der Sachewird ihn oder seine Nachfolgerimmer zwingen, wieder an dieBürger zu appellieren; so daß,wenn Bjismarck] auch mög-licherweise jetzt den Bürgernnicht mehr gibt, als er eben muß,er doch in das Bürgerliche mehrund mehr hineingetrieben wird.Die Sache hat das Gute, daß sie

die Situation vereinfacht, eineRevolution dadurch erleichtert,

daß sie die Krawalle der kleinenHauptstädte beseitigt und die

Entwicklung jedenfalls be-

schleunigt. Am Ende ist doch ein

deutsches Parlament ein ganzandres Ding als eine preußischeKammer. Die ganze Kleinstaate-

rei wird in die Bewegung hin-eingerissen, die schlimmsten lo-kalisierenden Einflüsse hörenauf, und die Parteien werdenendlich wirklich nationale, statt

bloß lokale.Der Hauptnachteil ist die

unvermeidliche berflutung

Deutschlands durch das Preu-ßentum, und das ist ein sehr

großer

Wir können also meiner Ansichtnach gar nichts andres tun, alsdas Faktum einfach akzeptieren,ohne es zu billigen, und die sichjetzt jedenfalls darbieten müs-senden größeren Facilitäten [Er-leichterungen] zur nationalen

Organisation und Vereinigungdes deutschen Proletariats be-

nutzen, soweit wir können.

Friedrich Engels in einem Brief anKarl Marx vom 25Juli 1866

In der Schlacht von Königgrätz nen ökonomischen Zusammen- sen; die Tage des Norddeutschensiegte „der Zollverein, der seit hänge urch taatsrechtliche Bundes waren seine verhältnis-Jahrzehnten in roßes irt- Tüfteleien lösen. Die süddeut- mäßig beste Zeit. Er war jetztschaftsgebiet geschaffen hatte. schen taaten onnten icht mitten in der Ausführung desDie ökonomischen Bedürfnisse europäische acht pielen; Programms begriffen, das er be-dieses Wirtschaftsgebietes, von sie onnten uch icht u reits im Jahre 1864 dem rus-dem die kapitalistische Produk- französischen oder österreichi- sischen taatsrat wert nt-tionsweise täglich neue Striche schen Vasallen werden, es sei wickelt hatte oder entwickelt ha-eroberte, aren er eale denn, daß ein großes, seit drei- ben sollte: ‚Ich werde die einenBoden, aus dem die nationalen ßig Jahren usammengewach- erkaufen, ie, nderen in-Einheitsbestrebungen rwuch- senes Wirtschaftsgebiet, das sich schüchtern, noch andere schla-sen. Die politischen Bande, die im Aufsteigenden Aste der kapi- gen und zuletzt alle für mich

(es)... mit Osterreich verknüpf- talistischen Entwicklung befand, gewinnen, indem ich sie gegenten, konnten um so leichter zer- in tausend Trümmer zerschlagen Frankreich führe."rissen werden je mehr sie zu wurde, und das gehörte zu dendrückenden Fesseln seiner öko- historischen Unmöglichkeiten.nomischen Konsolidierung ge- Bismarck begriff diese Lage und Franz Mehring in: Deutsche Ge-worden aren, aber m o wußte ihr seine Politik mit un- schichte vom A usgange des M ittel-weniger ließen sich seine eige- leugbarem eschick nzupas- alters

Jeder deutsche Pa triot wird von tie- E s gibt aber bloß einen Kitt. welcher Nordbund. ... ie ird inweg-fern Schmerz e rgriffen, wenn er der Staaten für ewig festigt. Das ist Ge- schreiten über diesen NorddeutschenEreignisse des vorigen Jahres ge- rechtigkeit und Freiheit... Reichstag, er ichts st ls das

denkt e, meine Herren, sind die Eine sehr hochgestellte Persönlich- Feigenblatt des Abso lutismus.Siegenden, ich gehörte zu denjenigen, keit hat (las Wort ausgesprochen:welche damals besiegt wurden. Aber „Die Weltgeschichte kann nicht still-bedenken Sie, daß Ihr Reich auf- stehen'. eine erren, sie steht Wilhelm l. iehknecht meiner Rede vor

gebaut ist durch Gewalt und auf Ge- nicht stil l, sie wird hinwegs chreiten dem Reichstag des Norddeutschenwalt ruht. über Ihr Gewaltwerk, über diesen Hundes am 17. Oktober 1867

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Dr. phil. Gerd Fesser, geb. 1941,studierte Ge schichte an derKarl-Marx-Universität Leipzig.Spezialgebiet: Deutsche Gesch ichte1789-1917. Er veröffentlichte

mehrere w issenschaftlicheArbeiten, u. a. „Linksliberalismusund Arbeiterbewegung. DieStellung der Deutschen Fort-schrittspartei zur Arbeiter-bewegung 1861-1 866"

Herausgeber: Zentralinstitut fürGeschichte der Akademie der

Wissenschaften der DDRLeiter des Redaktionskollegiums:

Di. Klaus ScheelVerlagslektor: Ursula Seil

Verlagshersteller: Hildrun Jokisch

Gesamtgestaltung: Peter Schult(0 1978 VEB Deutscher Verlagder Wissenschaften. BerlinPrinted in Ilse German Democratic

RepublicLizenz-Nr.: 206 43 512911 44)P232t79Lichtsatz und Lithografie:

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