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ZUR Zeitschrift für Umweltrecht Das Forum für Umwelt und Recht Aufsätze Die deutsche Wasserwirtschaft im Kontext von Privatisierung und Liberalisierung Silke R. Laskowski Europäische Umweltverfassung und EG-Vergaberecht – zur Berücksichtigung von Umweltschutzbelangen bei der Zuschlagserteilung Marc Bungenberg / Carsten Nowak Verfassungsrechtliche Grenzen für die Ausführung von Bundesgesetzen Anja Hentschel / Timo Hebeler Rechtsprechung BVerwG Autobahnbau A 44 Mit einer Anmerkung von Andreas Fisahn OVG Münster Baugenehmigungsbedürftigkeit einer Mobilfunk- sendeanlage Mit einer Anmerkung von Christian Maaß EuGH Berücksichtigung von Umweltschutzkriterien bei der Wertung von Angeboten BVerfG Verbraucherwarnungen (Glykol) VG Düsseldorf Dosenpfand – Zwangspfand für Einweggetränke- verpackungen rechtswidrig VG Berlin Dosenpfand – Zwangspfand für Einweggetränkever- packungen rechtmäßig Gesetzgebung Neueste Entwicklungen im Europäischen Umweltrecht Josef Falke Neueste Entwicklungen im Bundesumweltrecht Malte Kohls / Moritz Reese / Peter Schütte Rechtsprechung in Leitsätzen, Tagungsbericht, Buchneuerscheinungen, Zeitschriftenschau, Termine NOMOS Verlagsgesellschaft Baden-Baden Immissionsschutz Gewässerschutz Kreislaufwirtschaft Naturschutz Bodenschutz Energiewirtschaft Gentechnik Chemikaliensicherheit Klimaschutz 1/ 2003 Jahrgang 14 · Seiten 1– 64 · E 10882

Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

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Page 1: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

ZURZeitschrift für Umweltrecht

Das Forum für Umwelt und Recht

Aufsätze Die deutsche Wasserwirtschaft im Kontext von Privatisierung und LiberalisierungSilke R. Laskowski

Europäische Umweltverfassung und EG-Vergaberecht– zur Berücksichtigung von Umweltschutzbelangenbei der ZuschlagserteilungMarc Bungenberg / Carsten Nowak

Verfassungsrechtliche Grenzen für die Ausführungvon BundesgesetzenAnja Hentschel / Timo Hebeler

RechtsprechungBVerwGAutobahnbau A 44Mit einer Anmerkung von Andreas Fisahn

OVG MünsterBaugenehmigungsbedürftigkeit einer Mobilfunk-sendeanlageMit einer Anmerkung von Christian Maaß

EuGHBerücksichtigung von Umweltschutzkriterien bei derWertung von Angeboten

BVerfGVerbraucherwarnungen (Glykol)

VG DüsseldorfDosenpfand – Zwangspfand für Einweggetränke-verpackungen rechtswidrig

VG BerlinDosenpfand – Zwangspfand für Einweggetränkever-packungen rechtmäßig

GesetzgebungNeueste Entwicklungen im Europäischen UmweltrechtJosef Falke

Neueste Entwicklungen im BundesumweltrechtMalte Kohls / Moritz Reese / Peter Schütte

Rechtsprechung in Leitsätzen, Tagungsbericht,Buchneuerscheinungen, Zeitschriftenschau, TermineNOMOS Verlagsgesellschaft

Baden-Baden

Immissionsschutz

Gewässerschutz

Kreislaufwirtschaft

Naturschutz

Bodenschutz

Energiewirtschaft

Gentechnik

Chemikaliensicherheit

Klimaschutz

1/2003Jahrgang 14 · Seiten 1– 64 · E 10882

Page 2: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

ZUR 6/2002 I

SchriftleitungDr. Harald GinzkyRA Dr. Niels GriemProf. Dr. Hans-Joachim Koch

Redaktion:Dr. Katja BöttgerProf. Dr. Christian CalliessDr. Andreas FisahnCarola GlinskiDr. Ekkehard HofmannJan KarstensProf. Dr. Wolfgang KöckDr. Malte KohlsDr. Silke R. LaskowskiChristian MaaßDr. Moritz ReeseRA Dr. Sabine SchlackeDr. Peter SchüttePriv. Doz. Dr. Bernhard WegenerAnn-Katrin Wüstemann

RedaktionsbeiratRA Dr. Martin Beckmann, MünsterProf. Dr. Monika Böhm, Phillipps-Universität-MarburgProf. Dr. Michael Bothe, Johann Wolfgang Goethe Universität,Frankfurt am MainProf. Dr. Martin Führ, Fachhochschule DarmstadtRA Dr. Reiner Geulen, BerlinDr. Werner Görtz, Umweltamt DüsseldorfProf. Dr. Günter Heine, Universität BernDr. Günther-Michael Knopp,Bayer. Staatsministerium, MünchenDr. Ludwig Krämer, Europäische KommissionDr. Hans-Heinrich Lindemann,UmweltbundesamtProf. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff, Universität BielefeldDr. Stefan Paetow, Bundesverwaltungsgericht, BerlinRA Ursula Philipp-Gerlach, Frankfurt am MainHelmut Röscheisen, Deutscher-Naturschutz-Ring, BonnProf. Dr. Alexander Roßnagel, Universität-Gesamthochschule KasselDr. Karsten Sach, Bundesumweltministerium Dr. Alexander Schink, Landkreistag NRW, DüsseldorfPeter Vonnahme,Bayer. VGH, MünchenBeate Weber, Oberbürgermeisterin von Heidelberg

Inhal t

Zeitschrift fürUmweltrechtDas Forum für Umwelt und Recht

14. Jahrgang, S. 1-64

ZUR 1/2003

AUFSÄTZE

Die deutsche Wasserwirtschaft im Kontext von Privatisierung und LiberalisierungSilke R. Laskowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Europäische Umweltverfassung und EG-Vergaberecht – zur Berücksichtigung von Umweltschutzbelangen bei der ZuschlagserteilungMarc Bungenberg / Carsten Nowak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Verfassungsrechtliche Grenzen für die Ausführung von Bundesgesetzen in Bundesauftragsverwaltung mittels informalem VerwaltungshandelnAnja Hentschel / Timo Hebeler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

RECHTSPRECHUNG

� BVerwGAutobahnbau A 44Urteil vom 17. Mai 2002 – 4 A 28.01 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22Mit einer Anmerkung von Andreas Fisahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

� OVG MünsterBaugenehmigungsbedürftigkeit einer MobilfunksendeanlageBeschluss vom 2. Juli 2002 – 7 B 924/02 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28Mit einer Anmerkung von Christian Maaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

� EuGHBerücksichtigung von Umweltschutzkriterien bei der Wertung von AngebotenUrteil vom 17. September 2002 – Rs. C-513/99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

� BVerfGVerbraucherwarnungen (Glykol)Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91 und 1 BvR 1428/91 – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

� VG DüsseldorfDosenpfand – Zwangspfand für Einweggetränkeverpackungen rechtswidrigUrteil vom 10. September 2002 – 17 K 1907/02 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

� VG BerlinDosenpfand – Zwangspfand für Einweggetränkeverpackungen rechtmäßigBeschluss vom 2. Oktober 2002 – VG 10 A 349.02 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Rechtsprechung in Leitsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

RUBRIKENBuchneuerscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60Zeitschriftenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

GESETZGEBUNGNeueste Entwicklungen im Europäischen UmweltrechtJosef Falke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

Neueste Entwicklungen im BundesumweltrechtMalte Kohls/Moritz Reese/Peter Schütte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

TAGUNGSBERICHT18. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht vom 22.-24. September 2002:Schutz der Umwelt durch und vor BiotechnologieThomas Bartholmes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Page 3: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

Zeitschrift für Recht und Praxis der Abfallentsorgung

E Recht der Abfallwirtschaft

Mit der Zeitschrift „Recht der Abfallwirtschaft“ wird denPraktikern der Entsorgungswirtschaft, den Kommunen,den mit Abfallrecht beschäftigten Anwälten sowie denHochschulen ein Forum für die vielseitigen rechtlichenProbleme in der Abfallwirtschaft geboten.

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Herausgeber

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NOMOS Verlagsgesellschaft76520 Baden-Baden · Fax (0 72 21) 210443 · [email protected]

NOMOS Aktuell

Das Recht der Altautoverwertung

Jörg DreherDas Recht der AltautoverwertungDie Umsetzung der EG-Altauto-Richtlinie(2000/53/EG) in nationales Recht unterbesonderer Berücksichtigung der bis-herigen deutschen Rechtslage2002, 89 S., brosch., 23,– €, 40,40 sFr, ISBN 3-7890-8084-5(Lüneburger Schriften zum Umwelt- und Energierecht, Bd. 5)

Das Recht der Altautoverwertung

Jörg Dreher

Die Umsetzung der EG-Altauto-Richtlinie (2000/53/EG) in nationales Recht unter besonderer Berücksichtigung derbisherigen deutschen Rechtslage

Nomos VerlagsgesellschaftBaden-Baden

Lüneburger Schriften zum Umwelt- und Energierecht 5

Seit dem 1. Juli 2002 müssen neu zugelasseneFahrzeuge vom Hersteller kostenlos zurückgenom-men werden, ab Januar 2007 müssen alle Fahr-zeuge kostenlos zurückgenommen werden. Rechts-grundlage der Rücknahmepflicht ist die deutscheAltfahrzeug-Verordnung, die auf der europäischenAltfahrzeug-Richtlinie (2000/53/EG) basiert.Das Buch beginnt mit einer historischen Tour d’Ho-rizon über das deutsche Recht der Altautoverwer-tung und seiner Entwicklung; eine Analyse der biszum 30.6.2002 geltenden Rechtslage folgt. EinVergleich dieser Rechtslage mit der europäischenAltfahrzeug-Richtlinie verdeutlicht den Umsetzungs-bedarf. Anschließend werden, nach Adressaten(Hersteller, Betriebe der Verwertungskette, Letzt-besitzer) getrennt, die sich aus der Verordnung er-gebenden Pflichten beleuchtet (Rücknahmepflicht,Überlassungspflichten, Entsorgungsquoten, Kon-struktions- und Behandlungspflichten). Es folgt einkurzer Überblick über die Änderungen der Altfahr-zeug-Verordnung – vom ersten Entwurf bis zur ver-abschiedeten Fassung.Das Buch richtet sich an alle, die sich mit demneuen Recht der Altauto-Verwertung beschäftigenund sich einen Überblick verschaffen müssen.

Page 5: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

1

Herausgeber: Verein für Umweltrecht e.V.in Kooperation mit:Forschungsstelle Umweltrecht, Universität Hamburg (Geschäftsführung Prof. Dr. Hans-Joachim Koch)Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht, Universität Bremen (Prof. Dr. Gerd Winter)Institut für Umweltrecht, Fakultät Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld (Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff)Institut für Umweltrecht GbR, Bremen (Dr. Hubertus Baumeister und Dr. Niels Griem)

Zeitschrift für UmweltrechtDas Forum für Umwelt und Recht

Die Diskussion über die Privatisierung und Liberalisierung öffentlich wahr-genommener Infrastrukturaufgaben hat inzwischen auch den Bereich derWasserversorgung erreicht. Sie wird derzeit insbesondere durch ein im Auftragdes Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) erstelltes Gutachten aus demJahre 20011, zwei Gutachten des Umweltbundesamtes (UBA) von 2000 und20012 und das Umweltgutachten 2002 des Rates von Sachverständigen fürUmweltfragen (SRU)3 bestimmt. Die Gutachten gelangen zu unterschiedlichenBewertungen der zu erwartenden ökonomischen, vor allem aber der umwelt-und gesundheitspolitischen Auswirkungen der im Raum stehenden Privati-sierungs- und Liberalisierungsforderungen. Diese stehen in Zusammenhangmit der auf EU-Ebene bereits seit längerem geführten Diskussion über die Libera-lisierung von Daseinsvorsorgeleistungen,4 die durch die Mitteilungen derKommission zur Daseinsvorsorge aus den Jahren 1996 und 2000 sowie demKommissionsbericht für den Rat von Laeken von 2001 bestimmt wird.5 Dabeiwird auch der Wassersektor, der in Deutschland noch einen wettbewerbs-rechtlichen Ausnahmebereich darstellt (§ 103 GWB a. F.), als libera-lisierungsfähiger Markt in Betracht gezogen. Vor diesem Hintergrund werdennachfolgend zunächst verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber den aktuellenPrivatisierungs- und Liberalisierungsforderungen erörtert. Anschließend wirdder Frage nachgegangen, ob im Hinblick auf Art. 82, 86 EG eine Liberali-sierung des deutschen Wassersektors überhaupt zwingend erscheint.

A. Einleitung

In der Wasserver- und -entsorgung, die in Deutschland in den kommu-nalen Aufgabenbereich i.S.v. Art. 28 Abs. 2 GG fällt, existieren bereitsseit langem Privatisierungs- und Kooperationsmodelle zwischen denKommunen und Privaten,6 diese sind jedoch im Wesentlichen auf For-men der formellen (privatrechtliche Organisationsform) und funktio-nalen Privatisierung (lediglich Aufgabendurchführung durch Private)beschränkt.7 Die aktuell erhobenen Forderungen sind allerdings weit-gehender. Sie beziehen sich auf eine völlige Marktöffnung unter Weg-fall kommunaler Gebietsmonopole – hier wird die Streichung des gem.§ 131 Abs. 8 GWB fortbestehenden § 103 GWB a. F. gefordert, der diebestehenden Monopolstrukturen im Bereich der Wasserversorgungkartellrechtlich absichert und ausschließliche Konzessionsverträge undDemarkationsabsprachen ermöglicht –, auf die Nichtanwendung dersatzungsrechtlichen Ermächtigungen in den Gemeindeordnungen derLänder zur Verhängung von kommunalen Anschluss- und Benut-zungszwängen und schließlich auch auf die materielle Vollprivati-

ZUR 1/2003

Herausgeber: Verein für Umweltrecht e.V.in Kooperation mit:Forschungsstelle Umweltrecht, Universität Hamburg (Geschäftsführung Prof. Dr. Hans-Joachim Koch)Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht, Universität Bremen (Prof. Dr. Gerd Winter)Institut für Umweltrecht, Fakultät Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld (Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff)Institut für Umweltrecht GbR, Bremen (Dr. Hubertus Baumeister und Dr. Niels Griem)

Zeitschrift für UmweltrechtDas Forum für Umwelt und Recht

Silke R. Laskowski

Die deutsche Wasserwirtschaft im Kontext von Privatisierung und Liberalisierung

1 Vgl. BMWi-Forschungsvorhaben (11/00), Optionen, Chancen und Rahmenbedin-gungen einer Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung – Endbericht –,Juli 2001, S. 11.

2 UBA (Hrsg.), Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 9/2000; UBA (Hrsg.),Nachhaltige Wasserversorgung in Deutschland, 2001.

3 SRU (Hrsg.), Umweltgutachten 2002.4 Vgl. das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWi vom 12.02.2002,

BMWi-Dokumentation Nr. 503, »Daseinsvorsorge« im europäischen Binnenmarkt,hrsg. vom BMWi, das ein »dringendes öffentliches Interesse, die in der Telekom-munikation mit großem Erfolg betriebene Gemeinschaftspolitik zur Auflösung vonStaatsmonopolen auf anderen Märkten mit gleicher Entschlossenheit zu Wirksam-keit fortzusetzen«, konstatiert, S. 20 Zif. 5.

5 Vgl. dazu den Bericht der Kommission für den Europäischen Rat von Laeken,Leistungen der Daseinsvorsorge, vom 17.10.2001, KOM (2001) 598 endgültig; Mit-teilung der Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG C 17vom 19.01.2001, S. 4; Mitteilung der Kommission über Leistungen der Daseinsvor-sorge in Europa, ABl. C 281 vom 26.09.1996, S. 3.

6 Dazu näher Bauer, Privatisierungsimpulse und Privatisierungspraxis in der Abwas-serentsorgung – Eine Zwischenbilanz -, VerwArch. 1999, 561 ff; zum umstr. Modellder Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe vgl. das Gesetz zur Änderung desBerliner Betriebegesetzes, zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und zurÄnderung des Berliner Wassergesetzes v. 17.05.1999 (Art. II ), GVBl. Berlin v.28.05.1999, Nr. 21, S. 183 und VerfGH Berlin vom 21.10.1999 – VerfGH 42/99 –, ZUR2000, 32.

7 Eigengesellschaften als AG oder GmbH mit 100-prozentiger kommunaler Beteili-gung (21,1 %) bzw. bei bloßer »Teilprivatisierung« als sog. gemischtwirtschaftlichesUnternehmen (11,9 %), meist mit Mehrheitsbeteiligung oder Sperrminorität der öf-fentlichen Hand, vgl. dazu Tabelle 3.2.3-1 in SRU (Hrsg.), Umweltgutachten 2002.

8 Vgl. BMWi-Forschungsvorhaben (11/00) (Fn. 1), S. 3.; Salzwedel, Die Wasserwirt-schaft im Spannungsfeld zwischen water industry und Daseinsvorsorge, in: GfU(Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 613 ff.; BDA/BDI, Kernforderungen der deut-schen Wirtschaft für eine handlungs- und wettbewerbsfähige Europäische Union,12/2001, S. 11.

9 Vgl. dazu die Rede von EU-Kommissar Bolkenstein v. 07.11.2002, in der er dieÖffnung des Wassersektors für den gemeinsamen Markt fordert, http://europa.eu.int/rapid/start/cgi/guesten.ksh?reslist (04.12.2002)

10 Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen v. 16.10.2002, S. 40.

sierung der kommunalen Aufgabe selbst.8 Dies liefe auf einen Auf-gabenentzug gegenüber den Gemeinden hinaus, so dass sich die Frageder Vereinbarkeit mit Art. 28 Abs. 2 GG stellt. Auf EU-Ebene hat dieKommission offenbar momentan von einer zunächst geplantenRahmenrichtlinie für den Daseinsvorsorgebereich Abstand genommen.Allerdings arbeitet sie derzeit an einem Grünbuch zur Daseinsvorsorge.Anhaltspunkte dafür, dass der Bereich der Wasserwirtschaft von denÜberlegungen der Kommission ausgenommen wird, bestehen nicht9.Auch wenn in der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis90/Die Grünen vom 16. Oktober 2002 ausdrücklich festgehalten wur-de, »zum Erhalt der hohen Qualität der Trinkwasserversorgung bleibtdie Wasserversorgung eine kommunale Aufgabe«10, so ist damit nochnicht das letzte Wort gesprochen. Da der Wassersektor in Deutschland

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ZUR 1/20032

einen der letzten bedeutenden Infrastruktursektoren darstellt, welchernoch einen wettbewerbspolitischen Ausnahmebereich darstellt, er-scheint es angeraten, aktuelle Entwicklungen im Auge zu behalten unddie damit verbundenen verfassungsrechtlichen und gemeinschafts-rechtlichen Fragen rechtzeitig zu erörtern. Diesem Anliegen dienen diefolgenden Ausführungen.

B. Zur tatsächlichen Situation und zur Kritik der Gutachten

Die Wasserversorgung ist in Deutschland heute im Wesentlichen klein-teilig strukturiert und wird überwiegend von den Kommunen inner-halb von Gebietsmonopolen i.S.v. § 103 GWB a.F. wahrgenommen.Die Qualität des Leistungsangebots, der Wasserqualität und Versor-gungssicherheit wird übereinstimmend als hoch eingestuft. Derzeitgibt es 6.709 Wasserversorgungsunternehmen, deren Zahl sich in denvergangenen Jahren jedoch kontinuierlich verringert hat.11 Hier habenbereits Marktkonzentrationsprozesse stattgefunden.12 Der überwiegen-de Anteil der Wasserversorgungsunternehmen ist öffentlich-rechtlichorganisiert (58,4 %).13 Verbreitet sind Formen der formellen und derfunktionalen Privatisierung. Der Anteil der Unternehmen, die eineprivatrechtliche Organisationsform aufweisen, sich aber ganz oder teil-weise in öffentlicher Hand befinden, liegt bei 33 %.14 Diese liefern ins-gesamt 50,6 % der in Deutschland genutzten Wassermenge.15 In denJahren 1981 bis 1997 hat sich der Anteil der privatrechtlich organisier-ten Unternehmen an der Gesamtzahl der Unternehmen sowie der An-teil dieser Unternehmen an der gelieferten Wassermenge ständig er-höht.16 Der Anteil der rein privaten Wasserversorger ohne öffentlicheBeteiligung liegt hingegen bei lediglich 1 % bis 2 %.17

Formen der funktionalen Privatisierung finden sich insbesondere imBereich der Abwasserentsorgung. Hier bedienen sich die Kommunenin vielfältiger Weise privater Dritter bei der Aufgabenwahrnehmung.Als Grundmodelle dieser Kooperation sind das Betreibermodell, dasKooperations-, das Betriebsführungs- und das Konzessionsmodell zunennen.18 Allein für den Bereich der Abwasserbeseitigung besteht seit1996 gem. § 18a Abs. 2a WHG für die Länder die Möglichkeit, in ihrenLandeswassergesetzen eine materielle Aufgabenübertragung auf Priva-te zu regeln. Kaum ein Land hat bis heute von dieser Möglichkeit Ge-brauch gemacht, ausgenommen Sachsen und Baden-Württemberg.Hier wurden in die Landeswassergesetze (LWG) entsprechende Privati-sierungsregelungen aufgenommen. Allerdings fehlt in Baden-Württem-berg bis heute die für die Durchführung der Aufgabenübertragung er-forderliche Rechtsverordnung (§ 45c LWG BW). Für den Bereich derTrinkwasserversorgung existieren solche Regelungen im WHG und inden LWG nicht. Zu einer materiellen Aufgabenübertragung auf Privatekann es bislang nur dann kommen, wenn eine Kommune ihre Beteili-gung an einem Eigenbetrieb oder gemischtwirtschaftlichen Unterneh-men veräußert und die Wasserversorgung so auf Private überträgt. Obdie Kommunen dazu befugt sind, richtet sich nach dem kommunalenWirtschaftsrecht.

Das BMWi-Gutachten sieht insbesondere in der kleinteiligen Struk-tur des deutschen Wassermarktes einen Wettbewerbsnachteil, da siekeine Ausnutzung von Größenvorteilen zulasse. Der monopolbedingtfehlende Wettbewerb führe zu Ineffizienzen, da keine Anreize zukostengünstigem Wirtschaften vorhanden seien. So könnten dieKosten durch Gebühren auf Verbraucher/-innen ohne eigenes Risikoder Kommunen umgelegt werden. Wettbewerb führe hingegen zukostengünstigeren Ergebnissen und niedrigeren Wasserpreisen. DasBMWi-Gutachten19 spricht sich daher für eine Marktöffnung aus, diesowohl den Wettbewerb im Markt betrifft, d.h. den Wettbewerb umEndverbraucher/-innen, indem rechtliche Regelungen, die derzeit denZutritt zu Versorgungsgebieten anderer Anbieter behindern, aufgeho-ben werden (§ 103 GWB a.F., satzungsrechtlicher Anschluss- und Be-nutzungszwang), als auch auf den Wettbewerb um den Markt. Hier

soll der Gesetzgeber umfassende Ausschreibungspflichten für die Ge-meinden regeln, um den »Ausschreibungswettbewerb« zu erhöhenund die kostengünstigste Versorgungslösung zu nutzen. Darüber hin-aus wird eine forcierte Privatisierung der Wasserversorgungsunter-nehmen mit dem Ziel der materiellen Vollprivatisierung, also der voll-kommenen Aufgabenübertragung in den privaten Sektor, gefordert,für die der Bundesgesetzgeber zur Erleichterung der Privatisierungs-entscheidung einen gesetzlichen Ordnungsrahmen schaffen soll.Demgegenüber vertreten UBA und SRU die Auffassung, eine stärkerePrivatisierung und Liberalisierung sei vor allem mit Risiken für denUmwelt- und Gesundheitsschutz verbunden und mit den Anforde-rung an eine nachhaltige Wasserversorgung nicht zu vereinbaren. Zu-dem wird der wirtschaftliche Nutzen einer strukturellen Änderung derWasserversorgung in Deutschland in Zweifel gezogen.20 Einen Ansatzzur Steigerung von Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit sehen beidenicht in einer Neustrukturierung des Wassersektors, sondern in einemverstärkten Übergang zu privatrechtlichen Organisationsformen undeiner verstärkten Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichenWasserversorgungsunternehmen sowie in der Einführung verpflich-tender Benchmarking-Prozesse.21

C. Wasserversorgung als Staatsaufgabe im Verfassungsstaat

Die aktuellen Privatisierungs- und Liberalisierungsforderungen wer-fen die Frage auf, ob sie mit den verfassungsrechtlichen Vorgabendes Grundgesetzes zu vereinbaren sind. Hier stellt sich insbesonde-re die Frage, ob die öffentliche Trinkwasserversorgung, aber auch dieAbwasserentsorgung überhaupt zu den materiell »privatisierungs-fähigen« Aufgaben des Staates zu zählen sind. Diese Frage stellt sichauch unter dem Aspekt der Liberalisierung, da eine Marktöffnung –sei es durch »Wettbewerb im Markt«, sei es durch »Wettbewerb umden Markt« – eine Marktkonzentration auf wenige private Unter-nehmen erwarten läßt, die den Markt unter sich aufteilen und maß-geblich bestimmen werden.22

Der Begriff der Staatsaufgaben umfasst nach einer weithin aner-kannten Definition all diejenigen Tätigkeitsfelder, die der Staat nachgeltendem Recht zulässigerweise für sich in Anspruch nimmt.23 Diesekönnen als sog. relative Staatsaufgaben bezeichnet werden, im Gegen-satz zu den vor allem in der älteren Staatsrechtslehre zu findenden sog.absoluten Staatsaufgaben, die sich am »Wesensgehalt« des Staates ori-entieren.24 Die staatlichen Aufgaben werden danach aus verfassungs-

Aufsätze

11 Versorgungsunternehmen pro 1 Mio. Abnehmer/-innen: 88 in Deutschland, 4,4 inden Niederlanden, 0,7 in England/Wales, vgl. UBA (Fn. 2), 2001, S. 17.

12 UBA (Fn. 2), 2001, S. 17.13 Regiebetriebe (1,3 %), Eigenbetriebe (36,7 %), Zweckverbände (16,5 %) und Wasser-

und Bodenverbände (3,9 %), vgl. SRU (Hrsg.), Umweltgutachten 2002, Tabelle 3.2.3-1 Rz. 655.

14 21,1 % Eigengesellschaften und 11,9 gemischt öffentlich-privatwirtschaftliche Ge-sellschaften (AG, GmbH)

15 SRU (Fn. 3), Tabelle 3.2.3-1 Rz. 655; geringfügig abweichende Zahlen in BMWi-Forschungsvorhaben (11/00) (Fn. 1), S. 11.

16 UBA (Fn. 2), 2001, S. 17 f.17 SRU (Fn. 3), Tabelle 3.2.3-1 Rz. 655.18 Zu den einzelnen Modellen vgl. Bauer, Privatisierungsimpulse und Privatisierungs-

praxis in der Abwasserentsorgung – Eine Zwischenbilanz –, VerwArch. 1999, 561,569; UBA (Fn. 2), 2000, S. 9 ff.

19 Vgl. dazu das BMWi-Forschungsvorhaben (11/00) (Fn. 1).20 SRU (Fn. 3), Rz. 684.21 SRU (Fn. 3), Rz. 3.2.3.5; UBA (Fn. 2), 2001, S. 206 ff.; i.d.S. auch das Positionspapier

der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) zur Liberalisierung der Wasserver-sorgung v. 22.03.2001.

22 Dazu näher unten zu D.23 Dazu bereits Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 50,

105 ff., 125, siehe auch Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 157 ff., 164; Osterloh,Privatisierung von Staatsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 204, 207.

24 Da die Herleitung von Staatsaufgaben aus dem »Wesen« des Staates – abgesehenvom Gewaltmonopol – letztlich als Relikt absolutistischen Staatsdenkens zu be-trachten ist und einzelne Aufgaben im Hinblick darauf rational nur schwer zu be-gründen sind, wird hier der relative Staatsaufgabenbegriff zugrundegelegt.

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rechtlich normierten Pflichten hergeleitet.25 Als Unterfall der Staats-aufgaben werden auch die Verwaltungsaufgaben erfasst, worunter ver-fassungsrechtlich und einfachgesetzlich begründete und begrenztestaatliche Handlungskompetenzen verstanden werden. Der Aufgaben-bestand des Staates ist damit kein statischer, von vornherein vorgege-bener, sondern ein in die Zeit hinein offener, der auf gesellschaftlicheVeränderungen reagiert und sich entsprechend ändern kann.26 Die De-finition neuer staatlicher Aufgaben bzw. Verwaltungsaufgaben ist folg-lich ebenso möglich wie die Überantwortung bestehender Aufgaben inden gesellschaftlichen Bereich, sofern die Verfassung dem nicht entge-gen steht.27 So kann hier an die Expansion des staatlichen Aufgaben-bestandes in den 1970er Jahren unter Bezugnahme auf das Sozial-staatsprinzip erinnert werden.28 Auch ist der Verfassung nachallgemeiner Auffassung weder ein allgemeines Privatisierungsverbot,noch – etwa als Ausdruck eines allgemeinen verfassungsrechtlichenSubsidiaritätsprinzips – ein allgemeines Privatisierungsgebot zu ent-nehmen29, auch wenn gerade Letzteres in jüngerer Zeit wieder be-hauptet wird.30

Es fragt sich, welche Folgerungen daraus für die Aufgaben derWasserver- und -entsorgung zu ziehen sind. Beide Aufgaben werdenderzeit als »Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft« von denKommunen im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltungsgarantiegem. Art. 28 Abs. 2 GG wahrgenommen, die Abwasserentsorgung alsPflichtaufgabe (§ 18a Abs. 1 WHG i. V. m. LWG), die Wasserversorgungteils als freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe, teils als kommunalePflichtaufgabe nach Maßgabe der Landesverfassungen und LWG. DieGemeinden sind Trägerinnen öffentlicher Gewalt und Teil der voll-ziehenden Gewalt i.S.d. Art. 1 Abs. 3 GG, Art. 20 Abs. 3 GG – und da-mit »ein Stück Staat«.31 Unter dem Aspekt der Kompetenzverteilungnach dem Grundgesetz gehören sie zu den Ländern.32 Die Aufgabe derWasserversorgung wird somit von den Gemeinden in verfassungs-rechtlich zulässiger Weise in Anspruch genommen und ist damit alsStaats- bzw. als Verwaltungsaufgabe zu betrachten. Fraglich erscheint,ob diese Aufgaben einer materiellen Privatisierung zugänglich sindoder aber zu den sog. »privatisierungsfesten« Staatsaufgaben zählen.33

Dazu werden nach einer an den absoluten Staatsaufgaben orientiertenAnsicht, die inzwischen nicht mehr unumstritten ist, etwa die Selbst-organisation des Staates, der Selbstschutz des Staates im Inneren undnach außen gerechnet, seine Außenvertretung oder aber die Gefah-renvorsorge. Darüber hinaus gelten auch solche Aufgaben als materiellnicht privatisierungsfähig, die lebensnotwendige Bereiche der Ver- undEntsorgung betreffen.34 Unter die letztgenannte Aufgabengruppeließen sich auch die Wasserversorgung und Abwasserentsorgungsubsumieren. Dass die Versorgung mit Trinkwasser in ausreichenderMenge und Qualität für das Leben der Bevölkerung existentiell ist, be-darf keiner weiteren Erläuterung.35 Dass die Abwasserentsorgung eben-so zu beurteilen ist, ergibt sich aus ihrem engen Zusammenhang mitder Trinkwasserversorgung. Eine mangelhafte Abwasserentsorgungwirkt sich unweigerlich auf die Wasserqualität der Oberflächenge-wässer sowie des Grundwassers aus, die ihrerseits der Trinkwasserge-winnung dienen. Kontaminiertes Trinkwasser birgt bekanntlich dasRisiko der Übertragung von Krankheitserregern.36 Eine kostspieligeWasseraufbereitung sowie der Zusatz von Chemikalien (Chlor) zurDesinfektion des Wassers sind dann notwendige Folgemaßnahmen,die wiederum gesundheitspolitisch bedenklich sind.37

In diese Richtung geht auch die Entscheidung des BVerwG zum Was-serverband Lippe, der nahezu alle wesentlichen wasserwirtschaftlichenAufgaben für das Einzugsgebiet der Lippe wahrnimmt, einschließlichder Abwasserbeseitigung und Pflege des Grundwassers.38 In der Ent-scheidung hebt das BVerwG das »überragend wichtige Gemeinschafts-gut Wasser« für die Bevölkerung hervor und erkennt in den vom Ver-band wahrgenommenen Aufgaben »lebenswichtige Aufgaben derDaseinsvorsorge für weite Bevölkerungskreise« an, die im Hinblick aufden Erhalt und Schutz des Wassers als »nicht ‘privatisierbare’ Staats-

aufgabe« zu betrachten seien.39 Der demokratisch legitimierte Staatdürfe sich »seiner Verantwortung für derart originäre wie auch essen-tielle Staatsaufgaben nicht – auch nicht teilweise – entziehen.«40 ImFolgenden soll unter Bezugnahme auf den Begriff der relativen Staats-aufgaben erörtert werden, ob sich aus der Verfassung die Begründungdafür herleiten läßt, dass eine Auslagerung der Wasserversorgungs-aufgabe im weiteren Sinn in den privaten Sektor (jedenfalls) derzeitunterbleiben muss.41

I. Wasserversorgung und »Kernbereich« der kommunalen Selbstver-waltungsgarantie ?

Die Kommunen und Länder vertreten überwiegend die Auffassung,dass eine materielle Übertragung der Wasserversorgung in den privatenSektor verfassungsrechtlich nicht möglich sei, da die Aufgabe zum sog.Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung gehöre.42 Diese Frage istjedoch noch nicht abschließend entschieden. Zwar gewährleistet dieobjektive Rechtsinstitutsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG unstreitig die Be-fugnis der Gemeinde, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaftin eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte im Rahmen der Geset-ze zu erledigen.43 Der Aufgabenbereich wird dadurch jedoch nicht ab-schließend definiert, so dass es für die nähere Aufgabenbestimmung vorallem auf den Zweck des Art. 28 Abs. 2 GG ankommt, bürgerschaft-liches Engagement zu ermöglichen.44 Als Angelegenheiten der örtlichen

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25 Bull (Fn. 23), S. 50, 105 ff., 125.26 Vgl Osterloh, VVDStRL 54 (1995), S. 204, 206f.; Bull (Fn. 23), 1977, S. 102.27 So bereits Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 153; inzwischen unstreitig, vgl.

Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl. 1994, 962.28 Vgl. König, Rechtliche und ordnungspolitische Fragen der Privatisierung von Staats-

aufgaben in Deutschland, in: Biernat/Hendler/Schoch/Wasilewski (Hrsg.), Grund-fragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 247, 260; siehe auchdie Beiträge in Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungs-fähigkeit des Rechts, 1990. Osterloh, VVDStRL 54 (1995), S. 204, 219.

29 Vgl. dazu die Analyse von Schoch, DVBl. 1994, 962.30 So aber neuerdings Sodan, Vorrang der Privatheit als Prinzip der Wirtschaftsverfas-

sung, DÖV 2000, 361. 31 BVerfGE 73, 118, 191; vgl. auch BVerfGE 83, 37, 54.32 Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art. 30 Rn. 6.33 Auch wenn diese Frage für den Bereich der Abwasserentsorgung 1996 durch den

Bundesgesetzgeber mit der Änderung des § 18a Abs. 2 a WHG dahingehend ent-schieden wurde, auch materielle Privatisierung zuzulassen, so darf doch auf beste-hende verfassungsrechtliche Bedenken hingewiesen werden, zumal von der bun-desrechtlichen Privatisierungsoption bislang kaum ein Bundesland Gebrauchgemacht hat.

34 Peine, Grenzen der Privatisierung – verwaltungsrechtliche Aspekte, DÖV 1997, 353,356 (»Sozialstaatsprinzip«); Mayen, Privatisierung öffentlicher Aufgaben: RechtlicheGrenzen und rechtliche Möglichkeiten, DÖV 2001, 110, 112.

35 Grdlg. dazu BVerfGE 58, 300 (»Naßauskiesung«).36 Auf die Bedeutung einer sanitären Grundversorgung in Form des sicheren Zugangs

zu sauberem Wasser und zu einer angemessenen Abwasserbehandlung für diemenschliche Gesundheit und das menschliche Leben ist auf dem Weltgipfel fürnachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 nachdrücklich hingewiesenworden. Derzeit haben weltweit 1 Milliarde Menschen keinen gesicherten Zugangzu Trinkwasser und 2,5 Milliarden keinen Zugang zu angemessener Abwasserbe-handlung, vgl. UN, Johannesburg Summit 2002, Global Challenge Global Oppor-tunity, 2002, S. 18 f.

37 Dazu näher SRU (Fn. 3), Rz. 671 ff.38 BVerwG, NVwZ 1999, 870, 877 (Vorlage an das BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 S. 2 GG

wg. Unvereinbarkeit einzelner §§ des Lippeverbandsgesetzes mit dem Demokratie-prinzip).

39 In diese Richtung geht auch die international geführte Diskussion über das Men-schenrecht auf Wasser, vgl. z. B. Gleick, The Human Right to Water, Water PolicyVol. 1 (1999), 487 ff.; Hellum, Towards a Human Right Based Development Ap-proach: The Case of Women in the Water Reform Process in Zimbawe, 2001 (1) Law,Social Justice and Global Development (LDG), http://elj.warwick.ac.uk/global/is-sue/2001-1/hellum.html.

40 A. A. etwa Salzwedel (Fn. 8), S. 613, 635 f., der eine »Vollprivatisierung« lebens-wichtiger Güter verfassungsrechtlich ausdrücklich für möglich hält.

41 Bedenkenswert erscheint aber auch, unter Zugrundelegung des Begriffs der relati-ven Staatsaufgaben die Verfügungsgewalt über die fundamentale Ressource Wasserdem Gewaltmonopol des Staates zuzuordnen. Auf Art. 33 Abs. 4 GG wird nicht wei-ter eingegangen, da er den Staat lediglich als Organisationsnorm verpflichtet unddamit nur die Aussage trifft, dass die Ausübung von Hoheitsbefugnissen ein Privi-leg des Staates ist, vgl. Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art. 33 Rn. 30.

42 Hier zeigt sich die Parallelität zu der oben geführten Diskussion über relative undabsolute Staatsaufgaben.

43 BVerfGE 91, 228, 236.44 Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rn. 41.

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Gemeinschaft gelten nach der verfassungsunmittelbaren Aufgabendefi-nition der Rastede-Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1988 »die-jenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaftwurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Ge-meindebewohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie dasZusammenleben und -wohnen der Menschen in der politischen Ge-meinde betreffen«.45 Als eine solche Angelegenheit mit relevantemOrtsbezug gilt nach der Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG auchdie Wasserversorgung, da hier das Wasser in besonders großem Maßeaus ortsnahen Quellen gewonnen und den Gemeindebewohnern/-in-nen dezentral zur Verfügung gestellt wird, darüber hinaus ihr elemen-tares Interesse an qualitativ und quantitativ ausreichendem Wasser be-troffen ist.46 Im Rahmen ihrer Organisationshoheit47 können dieGemeinden die Verwaltungsorganisation der Wasserversorgunggrundsätzlich frei regeln, so dass sie die Wahl zwischen einer öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Gestaltung haben. Wie die Rastede-Entscheidung jedoch deutlich gemacht hat, steht der breit angelegteAufgabenkreis der örtlichen Angelegenheiten nicht für alle Zeit unum-stößlich fest, sondern ist der rechtlichen und zeitlichen Veränderungunterworfen. Hier wird der Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 GG re-levant («im Rahmen der Gesetze«), der nach der Rechtsprechung desBVerfG nicht nur die Art und Weise der Aufgabenerledigung, sondernauch die gemeindliche Zuständigkeit für die Angelegenheiten der örtli-chen Gemeinschaft erfasst. Die Abgrenzung des Aufgabenkreises bzw.die Privatisierungskompetenz liegt somit beim Gesetzgeber.48

Eine Begrenzung der Selbstverwaltungsgarantie, die als Eingriff inden Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG zu betrachten ist, wirdallerdings ihrerseits wieder begrenzt durch die in der Rastede-Ent-scheidung entwickelte Kernbereichs- oder Wesentlichkeitsgarantie, diedem Gesetzgeber bei der rechtlichen Ausgestaltung des Selbstverwal-tungsrechts Grenzen setzt. Die äußerste Schranke bildet der Kernbe-reich der Selbstverwaltungsgarantie, d. h. das Essentiale, das man ausdieser Institution nicht entfernen kann, ohne ihre Struktur und ihrenTypus zu ändern. Der Wesensgehalt der Selbstverwaltung darf nichtausgehöhlt werden.49 Ein fest umschriebener Aufgabenkernbereich exi-stiert jedoch nicht. Insofern werden die traditionellen Erscheinungs-formen der Selbstverwaltung bedeutsam.50 Ein historischer Rückblickzeigt, dass die Formulierung »alle Angelegenheiten der örtlichen Ge-meinschaft« in Art. 28 Abs. 2 GG vor allem eine Umschreibung des Be-griffs der Allzuständigkeit darstellt, die schon in der Preußischen Städ-teordnung von 1808 anerkannt war. Damit verband sich dieVorstellung, eine Gemeinde dürfe all das in ihre Wirksamkeit einbe-ziehen, was »die Wohlfahrt des Ganzen, die materiellen Interessen unddie geistige Entwicklung der einzelnen fördert«, ohne hierfür spezielleKompetenztitel zu benötigen.51 Das Grundgesetz hat den Grundsatzder Allzuständigkeit als identitätsbestimmendes Merkmal der ge-meindlichen Selbstverwaltung übernommen. Die Wasserver- und -ent-sorgung der örtlichen Bevölkerung können als anerkannte Daseins-vorsorgeaufgaben der Gemeinden dem Grundsatz der Allzuständigkeitzugerechnet werden. Dies spricht zunächst für die Annahme von Kern-bereichsaufgaben. Dennoch erscheint fraglich, ob ein Aufgabenentzugdurch den Landesgesetzgeber die Gemeinde wirklich als Institution ge-fährdete, da doch weder ihre Struktur, noch ihr Typus beeinträchtigtwürde.52 Ob nach einem Aufgabenentzug tatsächlich von einem»Schattendasein« der Gemeinde die Rede sein müsste, erscheint dahereher zweifelhaft.53 Die bilanzierende Bewertung nach der sog. Subtrak-tionsmethode macht aber auch die Schwäche der Kernbereichsrecht-sprechung deutlich. Würde die Bilanz ergeben, dass der verbleibendeAufgabenbestand keinen Raum mehr für eine kraftvolle gemeindlicheBetätigung ließe, so wäre der Mindeststandard bereits erreicht undkönnte allenfalls noch verteidigt werden. Angesichts dieser Definiti-onsschwäche des Kernbereichsbegriffs wird vertreten, den Negativbe-fund durch effektive Gewährleistungsschranken im sog. Randbereichzu kompensieren.54

II. Wasserversorgung und »Randbereich« der kommunalen Selbstver-waltungsgarantie

Es stellt sich somit die Frage, ob der Entzug der Wasserversorgungs-aufgabe einen gerechtfertigten Eingriff in den sog. Randbereich derkommunalen Selbstverwaltung, der ebenfalls durch Art. 28 Abs. 2 GGgeschützt wird, darstellen könnte. Ein solcher Eingriff ist nach der Ra-stede-Entscheidung nur aus Gründen des Gemeinwohlinteresseszulässig und darf nur dann erfolgen, wenn auf andere Weise die ord-nungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sichergestellt werden könnteund die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem ver-fassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 GGüberwiegen.55 Eine Rechtfertigung allein aus Gründen der Verwal-tungsvereinfachung käme nicht in Betracht, da die dezentrale Aufga-benbewältigung vom GG gerade gewollt ist.56 Auch aus Gründen derWirtschaftlichkeit und Sparsamkeit käme ein Aufgabenentzug allen-falls ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ein Belassen der Wasser-versorgung bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigenKostenanstieg führte und dadurch die ordnungsgemäße Aufgabener-füllung nicht mehr sichergestellt wäre.57 Allein eine mögliche Effizi-enzsteigerung der Aufgabenerledigung durch Aufgabenprivatisierungbzw. Liberalisierung und eine infolgedessen möglicherweise einset-zende Senkung der Wasserpreise könnte demnach noch kein hinrei-chendes Gemeinwohlinteresse für einen Eingriff in das Selbstverwal-tungsrecht begründen.58 Anzeichen dafür, dass die Kommunen heutetrotz der kleinteiligen Struktur der Wasserversorgung ihre Aufgabennicht ordnungsgemäß erfüllen, sind jedoch gerade nicht ersichtlich.Das vermeintliche Argument der ineffizienten Aufgabenerledigung,die sich vor allem in überhöhten Wasserpreisen ausdrücke, vermaghier nicht zu überzeugen. Zwar ist die Struktur der deutschen Wasser-versorgung im europäischen Vergleich tatsächlich eher kleinteilig,59

jedoch ist der Nachweis der vermuteten Ineffizienzen bislang nicht er-bracht, wie der SRU in seinem Umweltgutachten 2002 ausdrücklichhervorhebt.60 So stellt sich etwa bei näherer Betrachtung der Wasser-preise pro m3 in den EU-Mitgliedstaaten heraus, dass die deutschenWasserpreise zwar über den Preisen anderer EU-Staaten liegen, jedochist der direkte Vergleich der Preise pro m3 Wasser von nur geringerAussagekraft. Unberücksichtigt bleiben bei dieser Betrachtung näm-lich die erhebungstechnischen Unterschiede der Untersuchungen.Wasserqualität, Versorgungssicherheit und Anschlussgrad, unter-schiedliche Umweltstandards und unterschiedliche Gebühren- undPreisbildungsmodelle in den verschiedenen Mitgliedstaaten werdenin die Vergleichsbetrachtung nicht miteinbezogen. Unberücksichtigtbleibt auch, dass die Preisbildung in anderen Mitgliedstaaten teilwei-

Aufsätze

45 BVerfGE 79, 127, 151 f.46 Vgl. BVerwG, NVwZ 1999, 870; BVerwG, NVwZ 1984, 378; BVerfG, NVwZ 1982,

306.47 Dazu näher Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rn. 44.48 Osterloh, VVDStRL 54 (1995), S. 204, 223.49 BVerfGE 79, 127, 146.50 Std. Rspr. vgl. BVerfGE 59, 216, 226; 76, 107, 118; 79, 127, 146; 91, 228, 238.51 Dazu Preußisches OVG Bd. 2, S. 186, 189.52 A.A. z.B. Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg, Zukunfts-

fähige Trinkwasserversorgung Baden-Württemberg, Dezember 2000, S. 9.53 Gegen einen Kernbereichseingriff auch Frenz, Liberalisierung und Privatisierung

der Wasserwirtschaft, ZHR 166 (2002), 307, 320. Vgl. allgem. Schmidt-Aßmann,in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl., Abschn. 1 Rn. 21.

54 Zur Kritik näher Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl., Art. 28 Rn. 50 f.55 BVerfGE 79, 127, 154; Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl. 2000, Art. 28 Rn. 22.56 Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl., Art. 28 Rn. 52 f.57 BVerfGE 79, 127, 153; Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl., Art. 28 Rn. 53. In-

sofern obliegt dem aufgabenverteilenden Gesetzgeber, der von der ver-fassungsrechtlichen Regelzuweisung der Aufgabe abweichen will, aber die Dar-legungslast, vgl. BVerfGE 86, 90, 107 ff.

58 Ebenso UBA, (Fn. 2), 2000, S. 29.59 Siehe aber auch Italien mit 11.000 Versorgungsunternehmen oder Dänemark mit

3.180, vgl. SRU (Fn. 3), Tabelle 3.2.3-2. 60 SRU (Fn. 3), Rz. 658.

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se durch Subventionszahlungen verzerrt wird.61 Wählt man hingegenals Vergleichsmaßstab die tatsächlichen Ausgaben für die Wasserver-sorgung pro Einwohner/-in und Jahr – so der Vorschlag des SRU 62 –,so zeigt eine vom UBA 1998 veröffentlichte Studie, dass die durch-schnittlichen Jahresbeträge für die Wasserversorgung pro Kopf sowiepro Haushalt in Deutschland, England (einschließlich Wales) undFrankreich in der Summe recht ähnlich sind.63 Soweit dennoch Un-terschiede in der Ausgabenbelastung pro Einwohner/-in und Jahr ver-bleiben, dürften diese vor allem darauf zurückzuführen sein, dass diedeutsche Wasserversorgungswirtschaft sich durch eine ökologisch aus-gerichtete Wassergewinnung, hohe Wasserqualität, einen niedrigenWasserverbrauch, Versorgungssicherheit und einen hohen Anschlus-sgrad auch im internationalen Vergleich auszeichnet.64 Zur Sicherungdes qualitativ hochwertigen Trinkwassers sind in der Zeit von 1990 bis2001 rund 31 Milliarden Euro in Wassergewinnung, Aufbereitung undSpeicherung, in Wassertransport- und Wasserverteilungsanlagen so-wie für Zähler und Meßgeräte investiert worden. Allein 2001 betrugdas Investitionsvolumen rund 2,44 Milliarden Euro. Dabei stellt derRohrnetzbereich mit einem Anteil von 64 % den Schwerpunkt der In-vestitionstätigkeit dar. Dies hat unter anderem die niedrigsten Wasser-verluste in Europa zur Folge.65 Zudem darf nicht übersehen werden,dass die Kosten der Wasserversorgung zu etwa 80 % durch Fixkostenverursacht werden. Werden diese Fixkosten auf den Wasserpreis prom3 umgelegt und ist die gewinnorientierte Wasserabgabe wegen einesrückläufigen, jedoch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu be-grüßenden Wasserverbrauchs gering – so wie in der Bundesrepublik –,so ergibt sich zwangsläufig ein erhöhter Wasserpreis. Schließlich ist zuberücksichtigen, dass sich die in Deutschland von den Verbrauchern/-innen zu entrichtenden Entgelte für Leistungen der Wasserver- und -entsorgung an dem abgabenrechtlichen Kostendeckungsprinziporientieren, das weitgehend mit dem in Art. 9 Wasserrahmenrichtlinie(WRRL) geregelten Kostendeckungsgrundsatz übereinstimmt, welcherbis 2010 gemeinschaftsweit in die Wassergebührenpolitik eingeführtwerden muss und derzeit noch nicht von allen Mitgliedstaaten be-achtet wird.66 Bereits daraus wird deutlich, dass allein der Wasserpreispro m3 keine brauchbare Aussage über Effizienz oder Ineffizienz desbetreffenden Versorgungssystems zulässt. Hinsichtlich der ordnungs-gemäßen Aufgabenerfüllung ist ferner zu beachten, dass inzwischendie bis 2003 EU-weit umzusetzende WRRL in Art. 1 das Ziel vorgibt,die »nachhaltige Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigenSchutzes der vorhandenen Ressourcen« zu fördern. Daraus ergibt sichdas Ziel eines anzustrebenden niedrigen Pro-Kopf-Verbrauchs. Da dieKosten der Wasserversorgung etwa zu 80 % durch Fixkosten verur-sacht werden, ist bei einer dem Nachhaltigkeitsgrundsatz entspre-chenden rückläufigen Wasserabgabe und einer dem Kostendeckungs-grundsatz entsprechenden Umlage der Fixkosten auf den Wasserpreispro m3 zwangsläufig mit einem erhöhten Wasserpreis zu rechnen.67

Die Ineffizienz der deutschen Wasserversorgungswirtschaft durch ei-nen direkten Vergleich der Wasserpreise belegen zu wollen, wird vomSRU daher zu Recht als »unseriös« bezeichnet.68

In Zusammenhang mit der »ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung«ist schließlich der unmittelbare Zusammenhang zwischen Trinkwas-serversorgung und Gewässerschutz zu beachten. Vor allem die gewäs-serschützenden Regelungen des Umweltrechts sowie die Regelungendes Gesundheitsschutzes geben den an eine ordnungsgemäße Wasser-versorgung zu stellenden Maßstab vor. Damit rückt der Aspekt des vor-sorgenden Ressourcenschutzes in den Vordergrund, der von den deut-schen Wasserversorgungsunternehmen bereits heute weitgehendbeachtet wird. Das vorhandene System der kommunalen Wasser-versorgung bietet derzeit unstreitig ein Leistungsangebot von hohemNiveau, das sich sowohl auf die Trinkwasserqualität bezieht – hier wer-den die dem Gesundheitsschutz dienenden Grenzwerte der Trink-wasserverordnung deutlich unterschritten –, als auch auf die Versor-gungssicherheit und den Ressourcenschutz.69 So verwenden die

Wasserversorgungsunternehmen gesundheits- und umweltpolitischwünschenswert das geförderte Wasser in der Regel ortsnah und erbrin-gen vielfach noch zusätzliche freiwillige Maßnahmen des Gewässer-schutzes, zu denen sie rechtlich nicht verpflichtet sind.70 Auch im Be-reich der Abwasserentsorgung installieren die Gemeinden nicht seltenfreiwillig eine übermäßig leistungsfähige Klärwerkstechnologie, etwamit besonders guter Phosphatelimination oder zusätzlicher Abwasser-hygienisierung.71 Im Bereich der Wasserversorgung ist diese Praxis, diein besonderer Weise dem Vorsorgegrundsatz entspricht, u. a. historischbedingt. Sie ist in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert üblich undwird als Multibarrierenschutz der Trinkwasserversorgung bezeichnet.72

Gewinnung, Aufbereitung und Verteilung des Trinkwassers werdenhier als Einheit gesehen. Diesem einheitlichen Denken entspricht es,die genannten Teilbereiche nicht gegeneinander auszuspielen, etwaden Ressourcenschutz zu vernachlässigen und durch andere, kosten-günstigere aber umwelt- und gesundheitspolitisch bedenklichere Maß-nahmen wie die Aufbereitung des Wassers unter Zugabe chemischerSubstanzen zu kompensieren. Angesichts des Umstandes, dass Trink-wasser in Deutschland überwiegend aus Grundwasser gewonnen wird,kommt gerade dem durch den vorsorgenden Ressourcenschutz be-wirkten Grundwasserschutz für die Trinkwasserversorgung eine be-sondere Rolle zu. Dies entspricht auch dem Grundsatz der Nachhaltig-keit nach Maßgabe der Agenda 21,73 der inzwischen in § 1a Abs. 1 S. 2WHG Eingang gefunden hat und vor allem eine integrierte Ressour-cenbewirtschaftung unter besonderer Berücksichtigung des Grund-wasserschutzes vorsieht.74 Hier ist zu berücksichtigen, dass das Grund-wasser derzeit vielerorts noch in erheblichem Umfang belastet undgroßen Gefährdungen ausgesetzt ist, meist durch diffuse Quellen wieIndustrie, Landwirtschaft und Verkehr. Die Regenerationszeit desGrundwassers ist erheblich und eine Sanierung nur mit großem tech-nischem Aufwand möglich, daher kostspielig und zeitaufwändig. Dertatsächlichen Beachtung des umweltrechtlichen Vorsorgeprinzipsdurch die in der Wasserwirtschaft tätigen Unternehmen kommt somitgrößte Bedeutung zu. Eine Wasserversorgung, die sich allein an einer

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61 In Frankreich werden die Wasserpreise bis zu 20 % subventioniert, in Italien bis zu70 %. Zudem werden in Großbritannien und Frankreich keine oder nur ermäßigteSteuern erhoben, vgl. http://www.Bundesverband-gas-und-wasser.de, Trinkwasser:Fakten im Überblick.

62 SRU (Fn. 3), Rz. 658.63 Vgl. Krämer u.a., Vergleich der Trinkwasserpreise im europäischen Rahmen, Texte

22/98 des Umweltbundesamtes, 1998. Zudem sehen die bekannten Schätzungenein nur geringes Reduktionspotential der Wasserpreise durch Liberalisierung derWasserversorgung, das – anders als im Telekommunikationsbereich – nur etwa 10bis 15 % ausmacht. Dies liegt an dem nur geringen Anteil der variablen Kosten unddem hohen Anteil der Fixkosten für das Leitungsnetz (ca. 80 %), vgl. Deutsche BankResearch, Wasserwirtschaft im Zeichen von Liberalisierung und Privatisierung,Aktuelle Themen Nr. 176 vom 25.08.2000; vgl. aber auch SRU (Fn. 3), Rn. 660 mitdem kritischen Hinweis, dass die Grundlage dieser Schätzung völlig unklar ist.

64 So auch SRU (Fn. 3), Rn. 658. Die gute Qualität des Leistungsangebots deutscherWasserversorgungsunternehmen ist unbestritten, vgl. BMWi-Forschungs-vorhaben (11/00) (Fn. 1), S. 3.

65 Vgl. dazu http://www.Bundesverband-gas-und-wasser.de, Trinkwasser: Fakten imÜberblick.

66 ABI. EG 2000, Nr. L 327, 51; näher dazu SRU (Fn. 3), Rz. 658.67 SRU (Fn. 3), Rz. 658.68 SRU (Fn. 3), Rz. 680.69 BMWi-Forschungsvorhaben 11/00 (Fn. 1), S. 3; UBA (Fn. 2), 2001, S. 180.70 UBA (Fn. 2), 2001, S. 59; vgl. nunmehr den Regelungsauftrag an die Länder gem.

§ 1a Abs. 3 WHG vorzuschreiben, die öffentliche Wasserversorgung »vorrangig« ausortsnahen Wasservorkommen zu decken, allerdings nur, »soweit überwiegendeGründe des Wohls der Allgemeinheit nicht entgegenstehen.«

71 BMU/UBA (Hrsg.), Der Wassersektor in Deutschland – Methoden und Erfahrungen,2001, S. 12.

72 Zum Multibarrierenschutz vgl. Castell-Exner, Das Multi-Barrieren-System: Basisfür eine sichere und nachhaltige Trinkwasserversorgung, Energie Wasser Praxis2001, 24.

73 Seit der Verabschiedung der Agenda 21 auf der Konferenz für Umwelt und Ent-wicklung in Rio de Janeiro 1992 gilt der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklungals Leitbild einer zukunftsorientierten internationalen Umwelt-, Wirtschafts-, undSozialpolitik, vgl. SRU (Fn. 3), Rz. 1 ff.; Rehbinder, Nachhaltigkeit als Prinzip des Um-weltrechts: Konzeptionelle Fragen, in: GfU (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001,S. 721 ff.

74 Zum Leitbild der Nachhaltigkeit für die Wasserwirtschaft, vgl. UBA (Fn. 2), 2001, S.108.

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betriebswirtschaftlichen Leistungsbetrachtung orientiert und sichnicht gleichzeitig auch um Ressourcenschutz bzw. Grundwasserschutzbemüht, ist daher kaum zu einer ordnungsgemäßen Aufgabenwahr-nehmung im oben beschriebenen Sinne fähig.

Insgesamt betrachtet überwiegen daher unter dem Gesichtspunktder »ordnungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung« deutlich die Grün-de, die gegen eine Änderung des verfassungsrechtlichen Aufgabenver-teilungsprinzips des Art. 28 Abs. 2 GG und für das bestehende Modellder kommunalen Wasserversorgung sprechen. Ein Entzug der kom-munalen Aufgabe der Wasserversorgung ließe sich somit derzeit nichtrechtfertigen.

D. Wasserversorgung und staatliche Schutzpflichten

Weitere verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine materielle Aufga-benverlagerung der Wasserversorgung in den privaten Sektor könnensich unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Schutzpflicht für Lebenund Gesundheit der Bevölkerung, Art. 2 Abs. 2 GG, sowie aus der Ver-pflichtung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Art. 20 aGG, ergeben. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und wohl einhel-liger Lehre kommt den Grundrechten neben ihrer Abwehrfunktionauch eine Schutzpflichtendimension zu, die die staatliche Gewaltdazu verpflichtet, sich »schützend und fördernd vor das Leben« ge-fährdeter Grundrechtsträger/-innen zu stellen.75 Diese Schutzpflichtbesteht auch zugunsten der körperlichen Unversehrtheit und hat da-her für den Umweltschutz Bedeutung.76 Grundrechtliche Schutzpf-lichten werden vor allem im Hinblick auf Gefährdungen durch Um-weltbeeinträchtigungen immer wieder relevant77 und erfahren durchdas in Art. 20a GG normierte Staatsziel Umweltschutz eine zusätzlicheStärkung.78 Aus Art. 20a GG selbst folgt u. a. die Verpflichtung desStaates, umweltgefährdenden Langzeitrisiken insbesondere unter denAspekten der Vorsorge und Nachhaltigkeit umfassend vorzubeugen.79

Insofern wird Art. 20a GG auch ein allgemeines Verschlechterungs-verbot entnommen.80 Ist die Schutzpflichtendimension der Grund-rechte betroffen, so verlangt das BVerfG von der öffentlichen Gewalt,dass sie »Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts trifft, die nichtgänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind«.81 Der Staat wirdhier zu einem schützenden Tätigwerden aufgefordert.82 Obgleich demStaat bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht ein erheblicher Spielraumzugestanden wird83, hat er aber nach der Rechtsprechung des BVerfGdas – auf Isensee zurückgehende – Untermaßverbot zu beachten.84 Da-nach müssen die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, »für einenangemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudemauf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschät-zungen beruhen«.85 Geht es um grundrechtliche Schutzpflichten, diedurch Umweltgefahren ausgelöst werden, so wird sich Art. 20a GG aufden Maßstab des Untermaßverbots dahingehend auswirken, dass dasdurch den Staat zu schützende Rechtsgut an Gewicht gewinnt.86 InArt. 20a GG wird z.T. auch ein zu optimierendes Verfassungsprinzipgesehen, welches ein umweltstaatliches Untermaßverbot konstituiereund staatliches Handeln von vornherein auf Umweltstaatlichkeit de-terminiere. Der Staat hat danach als »Umweltstaat« zu gewährleisten,dass alle menschlichen Aktivitäten umweltverträglich gestaltet bzw.sogar unterlassen werden, wenn irreversible Schäden an Umweltgü-tern drohen.87

Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund sind der be-stehende Ist-Zustand der öffentlichen Wasserversorgung und der rea-listischerweise zu erwartende Zustand nach einer Aufgabenprivatisie-rung der Wasserversorgung zu vergleichen. Wie sich aus den obigenAusführungen ergibt, bietet das vorhandene System der kommunalenWasserversorgung derzeit ein Leistungsangebot auf hohem Niveau,das sowohl die Trinkwasserqualität als auch die Versorgungssicherheitund den Ressourcenschutz umfasst.88 Insbesondere der in der öffent-

lichen Wasserversorgung praktizierte und nach Art. 20a GG geboteneRessourcenschutz89 wirkt sich bereits im Vorfeld möglicher Gesund-heits- und Umweltgefahren schützend für die Schutzgüter der natür-lichen Lebensgrundlage Wasser und des menschlichen Lebens sowieder menschlichen Gesundheit aus und berücksichtigt zudem die inArt. 20a GG enthaltenen Grundsätze der Vorsorge und Nach-haltigkeit. Diesem aus Sicht der staatlichen Schutzpflicht für Lebenund Gesundheit der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie der Staats-aufgabe Umweltschutz (Art. 20a GG) erwünschten Ist-Zustand derWasserversorgung müssen die realistischen Erwartungen, die gegen-über einer stärkeren Liberalisierung und Privatisierung bestehen, ge-genübergestellt werden. Das BMWi-Gutachten verbindet mit einerMarktöffnung und forcierten Privatisierung bis hin zur Vollprivatisie-rung vor allem die Erwartung, kostengünstigere Versorgungslösungenund niedrigere Wasserpreise zu erreichen. Dabei geht es davon aus,dass die Anlastung derjenigen Kosten, die heute durch freiwillige An-strengungen der Wasserversorgungsunternehmen zum Gewässer-schutz entstehen, als »dysfunktional«, also als störend, zu bewertensind und künftig unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ent-fallen sollen. Dabei geht das Gutachten davon aus, dass »eine stärke-re Marktöffnung (...) im allgemeinen nicht dazu führt, dass umwelt-gesundheits- und verteilungspolitische Ziele notwendig schlechter er-füllt werden als dies bislang der Fall ist, sofern die geltenden Vor-schriften für die Trinkwasserqualität durchgesetzt werden und dasauch heute bestehende Defizit eines unzureichenden flächendecken-den Gewässerschutzes beseitigt wird«90 Daraus ist zu entnehmen, dassselbst das BMWi-Gutachten nur unter der Voraussetzung, dass die gel-tenden Vorschriften zur Trinkwasserqualität und zum Gewässerschutzdurchgesetzt werden – also der Vollzug der Vorschriften sichergestelltwird – und zudem das bestehende Vollzugsdefizit im Bereich desGewässerschutzes 91 »beseitigt« wird, davon ausgeht, dass es »im all-gemeinen« nicht zu einer Verschlechterung der Zielerreichung im Be-reich des Gesundheits- und Umweltschutzes sowie der Verteilungsge-rechtigkeit kommt. Das aber heißt nichts anderes, als dass der Staateine stärkere Regulierung vornehmen (Schaffung eines Rechtsrah-mens für das Privatisierungsgeschehen und die anschließende Tätig-keit der privaten Versorger) und das behördliche Überwachungswesenverstärken müsste.92 Neben einem nicht unerheblichen Regulierungs-aufwand wäre damit auch ein nicht unerheblicher, zusätzlicherbehördlicher Kontrollaufwand verbunden, um sicherzustellen, dass

Aufsätze

75 Vgl. BVerfGE 39, 1, 41; 49, 89, 141; 53, 30, 57; 56, 54; 77, 170, 214; 85, 191, 212;88, 203, 218; 89, 276.

76 Vgl. BVerfGE 77, 381, 402; BVerwGE 101, 1, 10.77 Vgl. BVerfGE 56, 54; BVerfG, NJW 1996, 651; vgl. auch Murswiek, Umweltrecht und

Grundgesetz, Die Verwaltung 33 (2000), 241, 254 ff. 78 Dazu näher Caspar, § 2 Europäisches und nationales Umweltverfassungsrecht, in:

Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2002, S. 42, 63 ff.; vgl. auch Koch, Wege zu einer um-weltverträglichen Mobilität: Entwicklungslinien des Verkehrsumweltrechts, in: Ge-sellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 873, 888 ff.

79 Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl., Art. 20a , Rn. 4.80 Dazu näher Murswiek, NVwZ 1996, 225.81 BVerfGE 77, 170, 214.82 Koch (Fn. 78), S. 873, 888.83 Vgl. BVerfGE 79, 174, 202; 85, 191, 212.84 Dazu BVerfGE 88, 203, 254. 85 BVerfGE 88, 203, 254.86 Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl., Art. 20a Rn. 11 und Art. 2 Rn. 61, 63; Koch (Fn. 74), S.

873, 889 ff.87 So Callies, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 153 ff., 606 ff., der im Vorsorge-

prinzip das Leitprinzip des Umweltstaates sieht und dessen dynamisch vorsor-genden Charakter betont.

88 BMWi-Forschungsvorhaben 11/00 (Fn. 1), S. 3.; UBA (Fn. 2), 2001, S. 180.89 Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl., Art. 20a Rn. 38 f., 51. 90 Vgl. dazu BMWi-Forschungsvorhaben 11/00 (Fn. 1).91 Vgl. dazu die aktuelle Untersuchung von Graf, Vollzugsprobleme im Gewässer-

schutz – zwischen verfassungsrechtlichem Anspruch und Realität, Reihe Forum Um-weltrecht Bd. 44, 2002.

92 Dass die Erarbeitung eines solchen Rechtsrahmens für die Trinkwasserversorgungangesichts des hochrangigen Schutzgutes äußerst heikel wäre, lässt sich bereits dar-aus entnehmen, dass die Länder im Hinblick auf § 18a Abs. 2a WHG bislang eherdavor zurückgeschreckt sind, die Aufgabenprivatisierung der Abwasserentsorgungzu regulieren.

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die rechtlich vorgegebenen Umwelt- und Gesundheitsstandards beider Wasserversorgung auch tatsächlich eingehalten werden.93 Diedafür erforderlichen Personalressourcen hat der Staat aber mangelsausreichender finanzieller Mittel bekanntlich schon jetzt nicht zurVerfügung. Eine Verstärkung der behördlichen Überwachung zur Si-cherstellung des Gesetzesvollzugs ist daher völlig unrealistisch. Abge-sehen davon könnten die derzeit von den Versorgungsunternehmenerbrachten freiwilligen Leistungen, die sich in besonderer Weise um-welt- und gesundheitsschützend auswirken – die das BMWi-Gutach-ten zudem abgeschafft sehen möchte – auch gar nicht durchgesetztwerden, da es insofern an einer rechtlichen Verpflichtung fehlt. DieGefahr künftiger Verschlechterungen im Bereich des Gesundheits-und des Gewässerschutzes erscheinen nach einer Marktöffnung undAufgabenprivatisierung unter den gegebenen Bedingungen daherdurchaus – wohl auch aus Sicht des BMWi – nicht unrealistisch. DasKostenargument vermag angesichts der hohen Fixkosten aus den be-reits oben unter C. genannten Gründen nicht zu überzeugen. 94

Realistisch erscheint daher die in den UBA-Gutachten und dem Um-weltgutachten 2002 des SRU zum Ausdruck kommende Einschätzung,die den ökonomischen Gewinn einer Liberalisierung und Privatisie-rung des Wassermarktes bezweifelt und vor allem drohende Gefahrenfür Umwelt und Gesundheit sieht. Angesichts eines stärkeren Kosten-drucks werden insbesondere Einsparungen der Unternehmen beimRessourcenschutz, bei der Instandhaltung der Anlagen und des Rohr-netzes befürchtet, mit der Folge deutlicher Risiken für den Umwelt-und Ressourcenschutz sowie für die Trinkwasserqualität.95 So konnteetwa im Rahmen der Liberalisierung des Strommarktes beobachtet wer-den, dass die Instandhaltungsinvestitionen zum Teil drastisch einge-schränkt wurden.96 Bei der Trinkwasserversorgung würde sich eine un-zureichende Rohrnetzpflege jedoch erheblich schärfer auswirken. Hierist mit einer Zunahme der Leckage zu rechnen, die zu Verunreinigun-gen in das Leitungsnetz führen kann, wodurch die Trinkwasserqualitätbeeinträchtigt werden würde. Dies wiederum müsste zu einem erhöh-ten Zusatz an Desinfektionsstoffen (z. B. Chlor) führen und ebenfallszu einer Beeinträchtigung der Trinkwasserqualität. Durch eine Libera-lisierung, die zu einem direkten Wettbewerb um Kunden/-innen führt– »Wettbewerb im Markt« – und mit einem Wettbewerb im Leitungs-netz verbunden wäre, käme es zu einer Vermischung verschiedenerWässer, die voraussichtlich ebenfalls eine stärkere Chlorung erfordernwürde. Hier sind die Besonderheiten des Nahrungsmittels Wasser, dasinsoweit »keine übliche Handelsware« darstellt97, zu berücksichtigen.Anders als das inzwischen liberalisierte Gut Elektrizität stellt Wasserkein homogenes Gut dar, denn es kann starke Qualitätsunterschiedeaufweisen. Wird Wasser unterschiedlicher Qualität in ein gemeinsamesNetz eingespeist, so kann es zu Ausfällungen, Belagablösungen undauch zu einer Vermehrung von Mikroorganismen kommen, die auf-wändige Aufbereitungsmaßnahmen erforderlich machen.98 Zudemdürfte mit Bestrebungen zur Erhöhung des Anteils der Fernwasserver-sorgung, d. h. der Versorgung mit Wasser aus verbraucherfernen Ge-bieten, zu rechnen sein, die zu Transportverlusten und zu Abhängig-keiten von wenigen großen Wasservorkommen führen können.99 DieFernwasserversorgung ist ökologisch und gesundheitlich bedenklich,da sie nicht nur einen hohen Energieverbrauch für die Beförderung desWassers erfordert, sondern angesichts der langen Transportwege undder möglichen Gefährdung des Wassers durch Keime auch eine starkeChlorzufuhr.100 Die verstärkte Fernwasserversorgung würde zudem mitdem Grundsatz der ortsnahen Wasserversorgung kollidieren, der alsAusdruck des Vorsorgeprinzips der Ressourcenschonung dient.101 Ge-rade die ortsnahe Wasserversorgung dient dem flächendeckendenGrundwasserschutz, da davon auszugehen ist, dass alle Gemeinden zuihrem eigenen Nutzen der Grundwasserpflege besondere Aufmerk-samkeit schenken. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass Übernut-zungen des Grundwassers unterbleiben, weil die daraus resultierendenBelastungen die Nutzer/-innen unmittelbar treffen. Verstärkte Fern-

wasserversorgung wäre daher aus Gründen des Gewässerschutzes be-denklich, denn der Anreiz zum Schutz regionaler Grundwasservor-kommen würde abnehmen und so letztlich dem Grundsatz einernachhaltigen Wasserwirtschaft entgegenwirken.102

Zudem existiert in der Wasserwirtschaft – anders als im Elek-trizitätsbereich – derzeit noch gar kein flächendeckendes Verbundnetz.Es müssten daher erst einmal die dafür erforderlichen Verbundleitun-gen zwischen den verschiedenen Versorgungsgebieten geschaffen wer-den. Es wäre hier ebenso wie in der Elektrizitätswirtschaft ein Durch-leitungsmodell erforderlich. Dies bedeutet zunächst einen hohenInvestitionsaufwand. Ein paralleler Leitungsbau bzw. eine Versorgungüber separate Stichleitungen kommt schon aus wirtschaftlichen Grün-den nur in Einzelfällen in Betracht – etwa dort, wo sich die bestehen-den Versorgungsgebiete berühren. Abgesehen von den insoweit beste-henden ökonomischen Schwierigkeiten und den Problemen, die sichim Hinblick auf Durchleitungsmodelle und die Gewährleistung einesdiskriminierungsfreien Zugangs zum Netz stellen – hier kann auf dieErfahrungen aus dem Bereich der Elektrizitätswirtschaft verwiesen wer-den –, stellen sich dann immer noch die o.g. gesundheitspolitischenBedenken mit Blick auf das lebenswichtige Gut Wasser.

Schließlich käme es im Rahmen des »Wettbewerbs im Markt« un-weigerlich zu einem Verdrängungswettbewerb der kleinen, kommu-nalen Versorgungsunternehmen mit großen, international agierendenMulti-Utility-Unternehmen (z. B. Vivendi, Suez),103 die eine Vielzahlvon Versorgungs- und Entsorgungsleistungen anbieten, den die kom-munalen Unternehmen kaum gewinnen können. Da der Betrieb derVerteilungsnetze, der etwa 80 % der Gesamtkosten verursacht, alsnatürliches Monopol betrachtet wird,104 erscheint hier Wettbewerb nurbegrenzt möglich. Mit einem verstärkten Privatisierungs- und Kon-zentrationsprozess wäre zu rechnen. Es darf vermutet werden, dass diefür den Umwelt- und Gesundheitsschutz wünschenswerten, aber ko-stenverursachenden Zusatzleistungen, die rechtlich nicht vorgegebensind, von Seiten privater Unternehmen kaum freiwillig erbracht wür-den, da hier rein ökonomische Betrachtungen den Ausschlag geben.Dafür sprechen etwa die in Großbritannien mit der Privatisierung derWasserversorgung gemachten Erfahrungen.105 Dort zeigt sich inzwi-schen, dass private Unternehmen ein nur begrenztes Eigeninteresse ander Eindämmung von Leitungsverlusten haben. Nach anfänglichen In-vestitionen in die Wasserinfrastruktur wurden diese aus Kostengrün-den inzwischen eingestellt, so dass der Leckageanteil dort immer nochetwa 24 % beträgt – im Vergleich zu Deutschland mit gerade 9 % sehrhoch.106 Eine weitergehende Reduzierung der Leckage ist für die Un-

Laskowsk i , D ie deutsche Wasserwir t schaft im Kontext von Pr ivat i s ie rung und L ibera l i s ie rung

93 So auch die Einschätzung des SRU (Fn. 3), Rz. 675.94 Auf die eher bescheidenen Effizienzgewinne durch eine Marktöffnung und die er-

höhten Vollzugskosten weist auch der SRU ausdrücklich hin, vgl. SRU (Fn. 3), Rz. 675.95 Vgl. UBA (Fn. 2), 2001, S. 25.96 Krägenow, Strominvestitionen durch Liberalisierung halbiert, Financial Times

Deutschland v. 14.03.2000. Zudem steigen die Preise für Privatkunden wieder, u.a.weil der Preiswettbewerb zum Erliegen gekommen ist, FAZ v. 25.04.2002, S. 16; zuden Auswirkungen der Liberalisierung des Strommarktes auf den Markt der Was-serversorgung siehe UBA (Fn. 2), 2001, S. 23.

97 So Erwägungsgrund 1 der WRRL: »Wasser ist keine übliche Handelsware, sondernein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werdenmuß.«.

98 Dazu näher SRU (Fn. 3), Rz. 663 f.99 Vgl. dazu Lehn/Steiner/Mohr, Wasser – die elementare Ressource. Leitlinien einer

nachhaltigen Nutzung, 1996, S. 63; Kibele, VBlBW 1997, 121, 123.100 Hendler/Grewing, Der Grundsatz der ortsnahen Versorgung im Wasserrecht, ZUR

Sonderheft 2001, 146, 148.101 Hendler/Grewing, ZUR Sonderheft 2001, 146, 148.102 So auch die Einschätzung des SRU (Fn. 3), Rz. 672.103 Die SUEZ-Tochter ONDEO ist weltweit marktführend im Bereich der Wasserdienst-

leistungen, versorgt 115 Millionen private und 60.000 gewerbliche Kunden/-innenmit Wasserver- u. -entsorgungsleistungen und erzielte im Jahre 2001 Einkünfte i.H.v.10,1 Milliarden Euro, vgl. SUEZ, Activities and sustainable development report, 2002.

104 Vgl. dazu SRU (Fn. 3), Rz. 1115 f.105 1989 wurden die Wasser- u. Abwasserunternehmen in private, überwiegend bör-

sennotierte AGs umgewandelt. 24 Unternehmen versorgen 51,4 Mio. Einwohner/-innen, vgl. UBA (Fn. 2), S. 77 ff.

106 BMU/UBA (Fn. 71), S. 3.

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ternehmen jedoch nicht wirtschaftlich und wird auch von der Regu-lierungsbehörde nicht gefordert (Konzept des »Economic Leakage Le-vel«). Die privaten Wasserversorgungsunternehmen versuchen inzwi-schen, die Leitungssysteme wegen der teuren Erhaltungskosten wiederan den Staat zurückzuveräußern.107 Darüber hinaus zeigen die Erfah-rungen in England, dass die Durchsetzung von Umwelt- und Gesund-heitsstandards häufig auf Widerstand durch die privaten Unterneh-men stößt. So kam es zu offenkundigen Umweltverschmutzungen,nicht eingehaltenen Investitionsplänen und zu hohen Wasserentnah-men. Zudem stiegen die Wasserpreise seit Beginn der Privatisierungstark an.108 Diese Erfahrungen machen deutlich, dass Gefahren für denUmwelt- und Gesundheitsschutz und der Abbau des gegenwärtigenLeistungsniveaus in der deutschen Wasserversorgung durch Privatisie-rung und Liberalisierung nicht unrealistisch sind.109

Auch im Hinblick auf den »Wettbewerb um den Markt« sei einekritische Anmerkungen erlaubt. Wettbewerbsintensität ließe sich hiertatsächlich nur dann erreichen, wenn die Ausschreibung von Versor-gungsrechten in relativ kurzen Abständen erfolgten, also auch kürzereVertragslaufzeiten für die mit der Versorgung betrauten Unternehmenumfassten. Dadurch aber wird die Übernahme der Versorgungsaufga-be für private Unternehmen unattraktiv. Da 80 % der Gesamtkostenauf die Fixkosten entfallen, ist ein wirklicher Kostensenkungsspiel-raum nur dann gegeben, wenn das Unternehmen nicht nur die Be-triebsführung, sondern auch weitgehende Investitionsaufgaben über-nimmt. Insofern sind gerade lange Vertragslaufzeiten von etwa 30Jahren erforderlich. In Frankreich werden solche Ausschreibungsver-fahren bereits seit langem durchgeführt. Infolgedessen wird der Marktder Versorger dort von drei Großunternehmen – Vivendi, Suez undSaur-Bouygues – dominiert. Nicht Wettbewerb, sondern Marktkon-zentration bestimmt dort den Bereich der Wasserversorgung.110 DerLeckageanteil liegt in Frankreich im Übrigen ähnlich wie in Englandgegenwärtig bei 25 %. Im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung desEuGH111, wonach Umweltschutzkriterien, die mit der Leistungverknüpft werden, bei der Auftragsvergabe berücksichtigt werdenkönnen, wäre bei einem künftigen Auftragswettbewerb zudem zufordern, dass eine solche Verknüpfung regelmäßig erfolgt, um so dieUmweltverträglichkeit der Auftragserledigung sicher zu stellen.

Betrachtet man nun die Vor- und Nachteile, insbesondere die Sum-me der Risiken für den Gesundheits- und Umweltschutz, die sich imFalle einer weiteren Privatisierung und Liberalisierung der Wasserver-sorgung zeigen, und betrachtet man die bislang nur behaupteten Vor-teile der Effizienzsteigerung und Kostenminimierung durch Privatisie-rung und Wettbewerb, die bislang nicht belegt wurden, auch nicht indem Gutachten des BMWi 2001, so muss der Staat im Hinblick auf dieihm zukommende Schutzpflicht für die Gesundheit der Bevölkerungund die natürlichen Lebensgrundlagen, auch im Hinblick auf künftigeGenerationen, die Vor- und Nachteile einer weiteren Privatisierung undMarktöffnung sorgfältig abwägen.112 Dabei ist zu berücksichtigen, dassdie nicht unrealistischen Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerungsowie die Umweltressource Wasser unweigerlich zu einer Aktivierungder staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG und des staatlichenSchutzauftrags aus Art. 20a GG führen müssten. Betrachtet man dem-gegenüber den gegenwärtigen Ist-Zustand der Wasserversorgung, dermit den staatlichen Schutzpflichten und dem Staatsziel Umweltschutzzu vereinbaren ist, so stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit einerstrukturellen Umgestaltung der Wasserversorgung in Deutschland. Hierspricht die Abwägung der Vor- und Nachteile sowie eine Folgenab-schätzung113 nach derzeitigem Erkenntnisstand deutlich dafür, dieGrundstruktur der deutschen Wasserversorgung zu erhalten, da ande-renfalls die Risiken für die hochrangigen Schutzgüter menschliche Ge-sundheit und Umwelt überwiegen. Dabei geht es nicht um ein irratio-nales Festhalten an nationalen Traditionen, wie manche meinen,sondern schlicht um eine vernünftige Einschätzung der Leistungs-fähigkeit bewährter Versorgungssysteme.

E. Der Wassersektor als Gegenstand der Liberalisierungspolitikder EU

Das künftige Privatisierungs- und Liberalisierungsgeschehen inDeutschland wird vor allem von der Liberalisierungsstrategie der Eu-ropäischen Union bzw. der Europäischen Kommission abhängen undbesonders den Bereich der kommunalen Daseinsvorsorgeleistungenbetreffen. Die Europäische Kommission prüft gegenwärtig, inwieweitder Bereich der Daseinsvorsorge als »Markt« für den gemeinschafts-weiten Wettbewerb geöffnet werden kann und arbeitet an einem ent-sprechenden Grünbuch. Hier bestehen Befürchtungen von Seiten derBundesländer und Gemeinden, dass die Anwendung des EuropäischenGemeinschaftsrechts, insbesondere der Wettbewerbsregeln, die Struk-turen und das gewachsene Netzwerk der Daseinsvorsorge auf regiona-ler und lokaler Ebene zerstören könnte. Sie verlangen von der Bundes-regierung und der Europäischen Kommission mehr Rechtssicherheitfür die Leistungen der Daseinsvorsorge.114 Es fragt sich daher, ob diederzeit in Deutschland bestehenden Versorgungsstrukturen in derWasserwirtschaft mit dem Wettbewerbsrecht der EU unvereinbar sind.

I. Vereinbarkeit kommunaler Gebietsmonopole im Wassersektor mitGemeinschaftsrecht

Bedeutsam werden hier vor allem Art. 82 und Art. 86 Abs. 1, Abs. 2 EG.Die in Deutschland tätigen Wasserversorgungsunternehmen dürftenentweder als »öffentliche Unternehmen« oder als Unternehmen mitSonderrechten i.S.v. Art. 86 Abs. 1 EG einzuordnen sein. Den Mit-gliedstaaten ist es verboten, in Bezug auf die in Abs. 1 genannten Un-ternehmen Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die dem EG-Vertrag, insbesondere den Wettbewerbsregeln, widersprechen. EinVerstoß läge insbesondere dann vor, wenn die staatliche Gewährungeines Sonderrechts nicht nur zur Errichtung einer marktbeherrschen-den Stellung des betreffenden Unternehmens führte, sondern der Staatauch eine Lage schaffte, in der dieses seine Stellung zwangsläufig mis-sbrauchen müßte115 oder ein solcher Missbrauch nach den konkretenUmständen wahrscheinlich wäre.116 Allerdings, die bloße Schaffung ei-ner beherrschenden Stellung durch die Gewährung besonderer oderausschließlicher Rechte ist nach der Rechtsprechung des EuGH nichtnotwendigerweise mit Art. 86 Abs. 1 i.V.m. Art. 82 EG unvereinbar. EinVerstoß liegt erst dann vor, wenn ein Mitgliedstaat durch Gesetzge-bung oder Verwaltung eine Maßnahme trifft, die eine Situation schafft,in der das Unternehmen notwendig zur missbräuchlichen Ausnutzungseiner beherrschenden Stellung veranlasst wird.117 Dies ist etwa dannder Fall, wenn ein Unternehmen, das diese beherrschende Stellung in-nehat, für seine Dienstleistungen einen Preis verlangt, der gemessenam wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung unbillig oder unver-

Aufsätze

107 Dazu näher UBA (Fn. 2), 2001, S. 77 ff.; inzwischen hat die britische Regierung diegescheiterte Privatisierung der Eisenbahn zu einem wesentlichen Teil wieder rück-gängig gemacht, vgl. SZ v. 26.03.2002.

108 Im Jahr 2000 lag die jährliche Haushaltsrechnung bei 168 Euro und bei 70 Euro proKopf. Zwischen 1989 und 2001 stiegen die Wasserpreise real um 25,3 % (Verbraucher/-innen ohne Wasserzähler) bzw. 27,4 % (mit Zähler), vgl. UBA (Fn. 2), 2001, S. 80.

109 Siehe auch die Einschätzung des SRU (Fn. 3), Rz. 680.110 Dazu näher UBA (Fn. 2), 2001, S. 71 ff.111 EuGH, Urt. v. 17.09.2002, NVwZ 2002, 1356.112 Dazu Koch (Fn. 78), S. 873, 890 f.113 Zur Gesetzesfolgenabschätzung vgl. Lücke, ZG 2001, S. 1, 6.114 Vgl. Dohms (Europäische Komm., GD Wettbewerb), Die Vorstellungen der Kom-

mission zur Daseinsvorsorge, Vortrag im Europa-Institut Freiburg v. 8.12.2000, S. 3;siehe auch den Beschl. des Bundesrates v. 30.11.2001 anlässlich des EuropäischenRates in Laeken zu Leistungen der Daseinsvorsorge, BR-Drs. 992/01, sowie BR-Be-schl. v. 12.07.2002, BR-Drs. 586/02, S. 12.

115 EuGH, Rs. C-41/90 – Höfer und Elser -, Slg. 1991, I-1979 Rn. 34.116 EuGH, Rs. C-260/89 – ERT -, Slg. 1991, I-2925 Rn. 37. Durch EuGH, C-320/91 – Cor-

beau -, Slg. 1993, I-2533, wurde deutlich, dass auch die Begründung einer markt-beherrschenden Stellung durch eine staatliche Maßnahme am Maßstab des Art. 86EG zu messen ist.

117 EuGH, Rs. C-340/99 – TNT Traco SpA/Poste Italiane SpA -, Slg. 2001, I-4109 Rn. 44;EuGH, Rs. C-242/95 – GT-Link -, Slg. 1997, I-4449 Rn. 33.

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9ZUR 1/2003

hältnismäßig ist.118 Im Hinblick auf die in Deutschland tätigen Wasser-versorgungsunternehmen fehlt es insofern aber an Anhaltspunkten füreine pauschale Aussage dergestalt, sie würden überwiegend unverhält-nismäßig hohe Preise für ihre Dienstleistungen fordern. Bei derWasserver- und -entsorgung werden in Deutschland – anders als in an-deren europäischen Ländern, z. B. Italien119 – die Wasserpreise nachdem Kostendeckungsprinzip gebildet, d.h. alle Kosten der Wasserver-sorgung fließen in den Wasserpreis ein.120 Maßgeblich sind die Rege-lungen der Kommunalabgabengesetze (KAG) der Länder.121 Als Aus-fluss des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verlangt zudem dasÄquivalenzprinzip, dass zwischen der Gebühr und der von der Ge-meinde erbrachten Leistung kein Mißverhältnis bestehen darf. Darausergibt sich die zu beachtende Obergrenze der Gebührenbemessung.122

Dies gilt auch dann, wenn die entsorgungspflichtige KörperschaftFremdleistungen in Anspruch nimmt, die sie in die Gebührenkalku-lation einstellt. Nichts anderes gilt, wenn ein privatrechtliches Entgelterhoben wird, denn auch Entgeltforderungen von Unternehmen, dieLeistungen der Daseinsvorsorge anbieten, unterliegen dann der In-haltskontrolle nach öffentlich-rechtlichen Gebührensätzen, wenn sieeine rechtliche oder tatsächliche Monopolstellung besitzen.123 Auchein Vergleich der europäischen Wasserpreise ergibt keine andere Be-wertung.124 Somit spricht nichts für ein systembedingt missbräuch-liches Verhalten der in kommunaler Trägerschaft wahrgenommenenWasserversorgung bzw. Abwasserentsorgung in Deutschland.

Zu erörtern bleibt Art. 86 Abs. 2 EG, in dem heute der zentrale nor-mative Ansatzpunkt für die Balance zwischen Liberalisierungspolitikund Gemeinwohlinteressen gesehen wird.125 Es ist davon auszugehen,dass Wasserversorgungsunternehmen, die im Rahmen der Daseinsvor-sorge tätig werden, ebenso wie Energieversorgungsunternehmen vonArt. 86 Abs. 2 EG erfasst werden können.126 Nach Art. 86 Abs. 2 EG sindfür die o.g. Unternehmen punktuelle Ausnahmen von den Wettbe-werbsregeln gestattet, sofern anderenfalls die ihnen übertragene Auf-gabe rechtlich oder tatsächlich verhindert würde.127 Im Hinblick aufdie im deutschen System bestehenden wettbewerbshindernden Ge-bietsmonopole in der Wasserversorgung ist bislang noch nicht geklärt,ob die Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 EG tatsächlich eingreift.Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des Art. 86 Abs. 2 EGV wirdhier zwar grundsätzlich eine enge Auslegung gefordert.128 In seinerneueren Rechtsprechung verwendet der EuGH allerdings statt »ver-hindern« den schwächeren Begriff »gefährden«. Danach sind Vor-schriften des EGV bereits dann nicht anwendbar, »wenn ihre Anwen-dung die Erfüllung der besonderen Verpflichtungen, die diesemUnternehmen obliegen, sachlich oder rechtlich gefährden würde.«129

Ob eine Gefährdung oder gar eine Verhinderung der betreffendenAufgabenwahrnehmung durch Anwendung der Vertragsregelungengegeben wäre, richtet sich nach dem an die Erfüllung der Aufgabe an-zulegenden Maßstab.130 Angesichts des sehr allgemein gehaltenen Da-seinsvorsorgebegriffs der Gemeinschaft kommt den Mitgliedstaaten imHinblick auf die konkrete Aufgabe derzeit (noch) ein weiter Ge-staltungsspielraum zu, der durch die Gemeinschaftsorgane nur auf»offenkundige Fehler« überprüft werden kann.131 Im Hinblick auf dieDaseinsvorsorgeaufgabe der öffentlichen Wasserver- und -entsorgungergibt sich der Maßstab daher vor allem aus dem Gewässerschutzrecht,das auf eine vorsorgende und nachhaltige Bewirtschaftung der Was-serressourcen gerichtet ist.132 Darüber hinaus folgt der Maßstab ausdem Infektionsschutzrecht, das den Schutz der menschlichen Ge-sundheit bezweckt und u. a. Vorschriften über die Beschaffenheit vonWasser für den menschlichen Gebrauch sowie von Abwasser enthält,um Gefahren, die durch Krankheitserreger entstehen können, zu ver-meiden. Ob bei Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbe-werbsregeln im Bereich der Wasserwirtschaft in Deutschland das ge-genwärtig hohe Niveau der Aufgabenwahrnehmung gehalten werdenkönnte, erscheint durchaus fraglich. Wie bereits oben ausgeführt, gibteine Liberalisierung der Wasserwirtschaft Anlass zu erheblichen um-

welt- und gesundheitspolitischen Bedenken. Dies spricht für die An-wendbarkeit des Art. 86 Abs. 2 EG. Diese Betrachtung wird gestütztdurch Art. 16 EG sowie Art. 36 der EU-Grundrechte-Charta, die denStellenwert der »Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse«für die Gemeinschaft deutlich erhöht haben. So wird aus Art. 16 EGauch eine »positive ‘Sorge-’ resp. Schutzpflicht« von Gemeinschaft undMitgliedstaaten dahingehend hergeleitet, Dienstliester von öffent-lichem Interesse in die Lage zu versetzen, ihre Zwecke auch tatsächlichund rechtlich zu erfüllen.133 Insofern erscheint eine eingeschränkte An-wendung des Wettbewerbsrechts bei Daseinsvorsorgeleistungen ver-tretbar.134 Für den Bereich der Wasserversorgung kann zudem auf dieWasserrahmenrichtlinie verwiesen werden, in der das Gemeinschafts-interesse an einer nachhaltigen Wasserwirtschaft und dem Schutz derRessource Wasser deutlich zum Ausdruck kommt.

II. Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Kommission gem. Art. 86 Abs. 3 EG

Gleichwohl könnte die Europäische Kommission gem. Art. 86 Abs. 3EG, der ihr eine Rechtsetzungskompetenz ohne Beteiligung des Ratesund des Europäischen Parlaments einräumt, eine Liberalisierungs-richtlinie erlassen, mit der sie eine Umstrukturierung und Neuordnungdes Wassermarktes zugunsten des Wettbewerbs verfolgen und damitauch das bestehende deutsche Monopolmodell zu Fall bringen könnte.Dann wäre die Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung unddamit die Streichung des bestehenden Monopolmodells durch dendeutschen Gesetzgeber verbindlich vorgegeben.

Dies würde aber bedeuten, dass die Europäische Kommission die ver-fassungsrechtlichen Bindungen des Mitgliedstaates BundesrepublikDeutschland unbeachtet ließe, denn die kommunale Selbstverwaltunggehört zum traditionellen Bestandteil des deutschen Staatsrechts, derin Art. 28 Abs. 2 GG grundrechtlich abgesichert ist.135 Die Staatsaufga-

Laskowsk i , D ie deutsche Wasserwir t schaft im Kontext von Pr ivat i s ie rung und L ibera l i s ie rung

118 EuGH, Rs. C-340/99 -TNT Traco SpA/Poste Italiane SpA -, Slg. 2001, I-4109 Rn. 46;EuGH, Rs. C-242/95 – GT-Link -, Slg. 1997, I-4449 Rn. 39.

119 Vgl. Krämer u.a. (Fn. 60).120 Vgl. dazu http://www.Bundesverband-gas-und-wasser.de, Trinkwasser: Fakten im

Überblick.121 Das Gebührenaufkommen soll die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen an-

satzfähigen Kosten decken. Die Gebühr darf nicht außer Verhältnis zu den mit derGebührenregelung verfolgten Zwecken stehen, vgl. BVerfGE 50, 217, 227; 85, 337,346; BVerwG, Urt. v. 19.09.2001 – Az 6 C 13/00; HessVGH, ZUR 2000, 22.

122 Dazu näher Quaas, Kommunales Abgabenrecht, 1997, Rn. 56 ff., 73 ff. 123 BGH, DVBl. 1985, 1338; UPR 1992, 106.124 Dazu bereits oben zu D.125 Jung, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2. Aufl. 2002, Art. 86 Rn. 3.126 Vgl. EuGH, Rs. 258/78 – Nungesser -, Slg. 1982, 2015 Rn. 9; Grill, in: Lenz (Hrsg.),

EG-Vertrag Kommentar, 2. Aufl., Art. 86 Rn. 25. 127 EuGH, Rs. C-320/91 – Corbeau -, Slg. 1993, I-2533 Rn. 14; EuGH, Rs. C-475/99 -Am-

bulanz Glöckner – , Slg. 2001, I-8089 Rn. 56.128 Pernice, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union Bd. I, 1999, Art. 90

Rn. 51 ff; vgl. auch EuGH, Rs. 41/83 – Italien/Kommission -, Slg. 1985, 873 Rn. 33;EuGH, ABl. 1993, Nr. L 179 23 Rn. 79.

129 EuGH, Rs. C-159/94 – Kommission / Frankreich -, Slg. 1997, I-5815 Rn. 59. 130 Geiger, EUV/EGV, 3. Aufl. 2000, EGV Art. 86 Rn. 12.131 Jung, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2. Aufl. 2002, Art. 86 Rn. 37.132 Dazu näher Laskowski/Ziehm, § 5 Gewässerschutzrecht, in: Koch (Hrsg.), Umwelt-

recht, 2002, S. 200, 218 ff.133 Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 100.

Wie sich künftig die »Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse »in demVerfassungsvertrag der EU wiederfinden werden, ist dem Vorentwurf v. 28.10.2002,CONV 369/02,– abgesehen von der Bezugnahme auf die Grundrechte-Charta in Art. 6 – derzeit nicht zu entnehmen.

134 Schwarze, Daseinsvorsorge im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW2001, 334, 336 f.; Nettesheim, Der europarechtliche Rahmen mitgliedstaatlicher Da-seinsvorsorge, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitglied-staatliche Daseinsvorsorge, 2002 (i. E.), der unter Hinweis auf die Komm.-Mitteilung1996 hervorhebt, dass es den Mitgliedstaaten von Europarecht wegen nicht unter-sagt sei, »öffentliche Institutionen und Unternehmen zum Leben zu erwecken, de-nen der Auftrag zur Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge erteilt wird, dieso im Markt nicht, qualitativ schlechter oder zu höheren Preisen erbracht würden.«;Frenz, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, EuR 2000, 901, 915,924 f.; Püttner, Die Aufwertung der Daseinsvorsorge in Europa, ZögU 2000, 373, 376;Jung, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2. Aufl. 2002, Art. 86 Rn. 49,Art. 16 Rn. 13; vgl. auch Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindlicheSelbstverwaltung, 2000, S. 292; Kämmerer, NVwZ 2002, 1041, 1043.

135 Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl., Art. 28 Rn. 29.

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ZUR 1/200310

be Umweltschutz sowie die staatlichen Schutzpflichten sind verfas-sungsrechtlich in Art. 20a GG und Art. 2 Abs. 2 GG verankert. Ob dieEU-Kommission die verfassungsrechtlichen Bindungen ihrer Mitglied-staaten einfach unberücksichtigt lassen darf, erscheint auch im Hin-blick auf Art. 36 EU-Grundrechte-Charta (Zugang zu Dienstleistungenvon allgemeinem wirtschaftlichen Interesse), der auf »die einzelstaat-lichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten« ausdrücklich Bezugnimmt, eher fraglich. Zudem ergeben sich Bedenken in Hinblick aufdas in Art. 5 EG verankerte Subsidiaritätsprinzip, wonach die Gemein-schaft erst dann tätig wird, wenn die Ziele der in Betracht gezogenenMaßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend er-reicht werden können und daher besser auf Gemeinschaftsebene an-zustreben sind.136

F. Fazit und Ausblick

Ein Entzug der Wasserversorgung aus dem kommunalen Aufgaben-bestand wäre mit Art. 28 Abs. 2 GG gegenwärtig nicht vereinbar.Eine Abwägung der Vor- und Nachteile, die eine weitere Privatisie-rung bzw. Liberalisierung des deutschen Wassermarktes mit sichbringen würde, spricht (jedenfalls) derzeit ebenfalls gegen eine Än-derung der Struktur der öffentlichen Wasserversorgung. Die staat-

liche Verantwortung für den Gesundheits- und Umweltschutzschutzverdichtet sich insofern angesichts der drohenden Risiken für diegenannten Schutzgüter aktuell zu einer staatlichen Erfüllungsver-antwortung für die öffentliche Wasserversorgung. Dies sollte auchvom Richtliniengeber der EU berücksichtigt werden. Die derzeit inDeutschland bestehenden Versorgungsstrukturen in der Wasser-wirtschaft stehen dem Wettbewerbsrecht der EU nicht unvereinbargegenüber. Steigerungen von Effizienz und Wettbewerbsfähigkeitder öffentlichen Wasserversorgung sollten mit Hilfe anderer Instru-mente, etwa der Einführung von Benchmarkingprozessen, ange-strebt werden.

Aufsätze

Dr. Silke Ruth Laskowski

Universität Hamburg, Fachbereich Rechtswissenschaft, Forschungsstelle

Umweltrecht, Edmund-Siemers-Allee 1 / ESA West, 20146 Hamburg, e-mail:

[email protected]; Tätigkeitsschwerpunkte: Umweltrecht,

Wirtschaftsverwaltungsrecht, Zuwanderungsrecht; Aktuelle Veröffentlichung:

Laskowski/Ziehm, § 5 Gewässerschutzrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2002.

Marc Bungenberg / Carsten Nowak

Europäische Umweltverfassung und EG-Vergaberecht –zur Berücksichtigung von Umweltschutzbelangen beider Zuschlagserteilung –

Nach dem Urteil in der Rechtssache PreussenElektra, in dem der Gerichts-hof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die privilegierte Stellung desUmweltschutzes im Rahmen der grundfreiheitlichen Schrankensystematikuntermauert hatte1, konnte der EuGH mit Urteil vom 17.9.2002 in derRechtssache Concordia Bus Finland2 erstmals eine wichtige Grundsatzent-scheidung zur Bedeutung der umweltverfassungsrechtlichen Querschnitts-klausel im EG-Vergaberecht treffen. Dieser Beitrag zeigt auf, dass es demEuGH hier um die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen umwelt-und wirtschaftsverfassungsrechtlichen Direktiven des EG-Vertrags geht,ohne sich dabei im Hinblick auf die künftige rechtliche Beurteilung sog. »ver-gabefremder Zwecke« abschließend festzulegen.

A. Einleitung

Das enorme gemeinschaftsweite Auftragsvergabevolumen im Wertvon rund einer Billion Euro jährlich3 macht die Vergabe öffentlicherAufträge zu einem bedeutsamen Instrument staatlicher Wirtschafts-politik4, das zum Zwecke der diskriminierungsfreien Behandlung al-ler Bieter und der möglichst weitgehenden Öffnung nationaler Be-schaffungsmärkte einem komplexen Geflecht verfassungs-, europa-und wirtschaftsvölkerrechtlicher Vorgaben unterworfen ist.5

Weitreichende gemeinschaftsrechtliche Bindungen mitglied-staatlicher Wirtschaftspolitik im Bereich des öffentlichen Beschaf-fungswesens ergeben sich insbesondere aus den im EG-Vertrag6 nie-dergelegten Grundfreiheiten des freien Waren-, Personen- undDienstleistungsverkehrs (Art. 28, 39, 43 und 49 EG), aus vier kon-

kretisierenden Vergaberichtlinien7 sowie aus zwei Vergaberechts-mittelrichtlinien.8 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH solldie in diesen Richtlinien vorgenommene Koordinierung der Ver-

1 EuGH, Urt. vom 13.3.2001, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099 ff. – PreussenElek-tra; ausführlich dazu vgl. C. Nowak, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags undder Umweltschutz, VerwArch. 2002, S. 368 ff.

2 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513/99, noch nicht in der amtl. Slg. ver-öffentlicht = WuW/E Verg 637 ff. = NVwZ 2002, 1356 ff. = EuZW 2002, 628 ff.mit Anm. P. Steinberg, EuZW 2002 S. 614 f.

3 Vgl. m.w.N. E. Pache / C. Rüger, Klarheit über soziale Aspekte im Vergaberecht?,EuZW 2002, S. 169 ff.; ferner vgl. OECD, The Size of Government ProcurementMarkets, Offprint from OECD Journal on Budgeting Vol. 1, No. 4, 2002, S. 7 ff.

4 Vgl. hierzu E. Pache, Der Staat als Kunde – System und Defizite des neuendeutschen Vergaberechts, DVBl. 2001, S. 1781 (1782).

5 Zu den aus diesem »Mehrebenensystem« folgenden Vorgaben vgl. M. Bungen-berg, Nationales, supranationales und WTO-Vergaberecht, in: Bauschke u.a.(Hrsg.), Pluralität des Rechts – Regulierung im Spannungsfeld der Rechtsebe-nen (im Erscheinen); G. Kunnert, WTO-Vergaberecht, 1998, S. 196 ff.; E. Pa-che (Fußn. 4), DVBl. 2001, S. 1781 ff.; H.-J. Prieß, Handbuch des europäischenVergaberechts, 2001; A. Reich, International Public Procurement Law, 1999; J.Ziekow, Vergabefremde Zwecke und Europarecht, NZBau 2001, S. 72 ff.

6 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.3.1957(BGBl. 1957 II S. 766; fortan: EG) i.d.F. des am 1.5.1999 in Kraft getretenenVertrags von Amsterdam vom 2.10.1997 (ABl. 1997 Nr. C 340/1 ff.). Der am26.2.2001 unterzeichnete Vertrag von Nizza zur Änderung des Vertrags überdie Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Ge-meinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (ABl.2001 Nr. C 80/1 ff.) ist bislang noch nicht in Kraft getreten.

7 Richtlinie (RL) 92/50/EWG, ABl. 1992 Nr. L 209/1 (Dienstleistungskoordinie-rungsRL – DKR); RL 93/36/EWG, ABl. 1993 Nr. L 199/1 (Lieferkoordinierungs-RL – LKR); RL 93/37/EWG, ABl. 1993 Nr. L 199/54 (BaukoordinierungsRL – BKR);RL 93/38/EWG, ABl. 1993 Nr. L 199/84 (SektorenkoordinierungsRL – SKR).

8 RL 89/665 EWG (ABl. 1989 Nr. L 395/33); RL 92/13/EWG (ABl. 1992 Nr. L 76/14).

136 Vgl. dazu Laugguth, in: Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, 2. Aufl., Art. 5 Rn. 12 ff.

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11ZUR 1/2003

fahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in erster Linie die Hemm-nisse für den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr beseitigenund somit die Interessen der in einem Mitgliedstaat niederge-lassenen Wirtschaftsteilnehmer schützen, die öffentlichen Auftrag-gebern in anderen Mitgliedstaaten Waren oder Dienstleistungenanbieten möchten.9 Über diese grundfreiheits- und wettbewerbs-bezogene Zielrichtung hinaus sollen die genannten Richtlinien zu-sätzlich die Möglichkeit ausschließen, dass eine vom Staat, von Ge-bietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichenRechts finanzierte oder kontrollierte Stelle sich von anderen als wirt-schaftlichen Überlegungen leiten lässt.10 Letzteres ist zwar insoweitzutreffend, als die EG-Vergaberichtlinien öffentliche Auftraggeberdazu verpflichten, nur solchen Angeboten den Zuschlag zu erteilen,die sich im Vergleich zu anderen als das preislich oder wirtschaftlichgünstigste Angebot erweisen.11 Der exponierte Stellenwert der Wirt-schaftlichkeitsbewertung im Rahmen der EG-vergaberechtlichenZuschlagserteilung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,dass sich öffentliche Auftraggeber zur Verfolgung »vergabefremderZwecke« bzw. von »Sekundärzwecken« – z.B. arbeitsmarkt- oder so-zialpolitischer Art – gelegentlich auch für das nicht wirtschaftlichgünstigste Angebot entscheiden und der EuGH diese umstrittene12

Vorgehensweise in seiner bisherigen Rechtsprechung unter be-stimmten – in rechtsdogmatischer Hinsicht nicht leicht einzuord-nenden13 – Voraussetzungen hingenommen hat.14

Im Kontext der kontrovers geführten Diskussion über die Berück-sichtigung »vergabefremder Zwecke« nimmt der Umweltschutz eineSonderrolle ein, die bereits in der Literatur15 und durch die »Inter-pretierende Mitteilung der Kommission über das auf das öffentlicheAuftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht und die Möglich-keiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Vergabeöffentlicher Aufträge«16 zum Ausdruck gebracht worden ist. Im Fol-genden soll zunächst aufgezeigt werden, dass sich diese Sonderrolledes Umweltschutzes, die sich zunehmend auch im EG-Wettbe-werbsrecht17 sowie in der EG-grundfreiheitlichen Schrankensyste-matik durchsetzt18, auf die gemeinschaftsverfassungsrechtlicheGleichrangigkeit von Umweltschutz, Wettbewerbs- und Marktfrei-heit zurückführen lässt und auch im EG-Vergaberecht zum Tragenkommt (B.). Sodann wird das auf die Herstellung praktischer Kon-kordanz zwischen umwelt- und wirtschaftsverfassungsrechtlichenDirektiven des EG-Vertrags abzielende Urteil des EuGH vom 17. Sep-tember 2002 in der Rechtssache Concordia Bus Finland19 in den Vor-dergrund gerückt, das den Streit über die Berücksichtigungsfähigkeitvergabefremder Aspekte auf Grund interpretationsoffener Urteils-gründe zusätzlich beleben dürfte (C.).

B. Der Umwelt- und wirtschaftsverfassungsrechtliche Rahmendes EG-Vergaberechts

Aus der gemeinschaftsverfassungsrechtlichen20 Gleichrangigkeit derdie EG-Umwelt- und Wirtschaftsverfassungen prägenden Rechts-grundsätze, Prinzipien und Ziele der Wettbewerbsfreiheit, der Markt-freiheit und eines hohen Maßes an Umweltschutz (I.) lassen sichDirektiven für die Berücksichtigung von Umweltschutzbelangen imBinnenmarktrecht ableiten, die im Vergaberecht in vielfältiger Wei-se umgesetzt werden können (II.).

I. Gemeinschaftsverfassungsrechtliche Gleichrangigkeit von Umwelt-schutz, Wettbewerbs- und Marktfreiheit

1. Wirtschaftsverfassungsrechtliche Parameter

Die EG-Wirtschaftsverfassung trifft eine »Systementscheidung«für ein im Grundsatz marktwirtschaftlich-freiheitliches Modell21,

die in mehreren Vertragsvorschriften bestätigt wird22 und sich zueinem Rechtsprinzip der wettbewerbsverfassten Marktwirtschaftverdichten lässt.23 Zu den bedeutsamsten Funktionsgarantien derEG-Wirtschaftsverfassung gehören die unmittelbar anwend-baren24 EG-Grundfreiheiten sowie die gemeinschaftsrechtlichenWettbewerbsvorschriften, in deren Mitte sich das grundfreiheits-und wettbewerbsbezogene EG-Vergaberecht einordnen lässt. DerEuGH erstreckt die nach ursprünglichem Verständnis nur für dieMitgliedstaaten vorgesehene Rechtsbindung an die Grundfrei-heiten zunehmend auf Private25 und EG-Organe.26 Darüber hinauserweitert der EuGH die sich aus Art. 81 und 82 EG ergebende wett-bewerbsrechtliche Bindung privater Wirtschaftsteilnehmer unterHeranziehung der Art. 3 I lit. g EG und Art. 10 S. 3 EG auf die Mit-gliedstaaten27 und greift zwecks Gewährleistung einer ähnlich

Bungenberg / Nowak, Europäische Umweltver fassung und EG-Vergaberecht

9 EuGH, Rs. C-19/00, Slg. 2001, I-7725 (Rz. 32) – SIAC Construction; EuGH, Urt. vom 18.6.2002, Rs. C-92/00, noch nicht in der amtl. Slg. veröffentlicht,Rz. 42 = EuZW 2002, S. 497 ff. = WuW/E Verg 651 ff. – Hospital Ingenieure.

10 EuGH, Rs. C-380/98, Slg. 2000, I-8035 (Rz. 17) – University of Cambridge.11 Art. 36 RL 92/50/EWG (Fußn. 7); Art. 26 RL 93/36/EWG (Fußn. 7); Art. 30 RL

93/37/EWG (Fußn. 7); Art. 34 RL 93/38/EWG (Fußn. 7). In diesen Vorschriftenwerden sodann – beispielhaft – eine Reihe von Unterkriterien genannt, diebei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots heranzuziehensind: Preis, Lieferfrist und -zeitraum, Ausführungszeitraum, Betriebskosten,Kosten-Nutzen-Verhältnis, Qualität, Ästhetik, Funktionalität, Kundendienst,technische Unterstützung, Rentabilität und technischer Wert.

12 Vgl. C. Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 1999, S. 17 ff.; M. Burgi,Vergabefremde Zwecke und Verfassungsrecht, NZBau 2001, S. 64 ff.; W. Götz,Die Zulässigkeit beschaffungsfremder Vergabekriterien nach Europarecht,EuR 1999, S. 621 ff.; M. Heintzen, Vergabefremde Ziele im Vergaberecht, ZHR165 (2001), S. 62 ff.; M. Kling, Die Zulässigkeit vergabefremder Regelungen,2000, S. 139 ff.; F. Marx, Vergabefremde Aspekte im Lichte des europäischenund des deutschen Rechts, in: Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Auf-träge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, 2000, S. 77 ff.; V. Neßler,Politische Auftragsvergabe durch den Staat?, DÖV 2000, S. 145 ff.; T. Puhl,Der Staat als Wirtschaftsbauobjekt und Autragsgeber, VVdStRl 60 (2001), S. 456 (486 ff.); J. Ziekow (Fußn. 5), NZBau 2001, S. 72 ff.

13 Instruktiv dazu vgl. m.w.N. B. Schima, Wettbewerbsfremde Regelungen –falsche Signale vom Europäischen Gerichtshof?, NZBau 2002, S. 1 ff.

14 EuGH, Rs. 31/87, Slg. 1988, 4635 ff. – Beentjes; EuGH, Rs. 225/98, Slg. 2000,I-7445 (Rz. 46 ff.) – Kommission/Frankreich. Ferner hat der EuGH das in deneinschlägigen Vergaberichtlinienbestimmungen nicht ausdrücklich ange-sprochene Kriterium der Versorgungssicherheit als Zuschlagskriterium aner-kannt, vgl. EuGH, Rs. C-324/93, Slg. 1995, I-563 (Rz. 40 ff.) – Evans MedicalLtd u. Macfarlan Smith Ltd.

15 Vgl. M. Brenner, Umweltschutz als Zuschlagskriterium im Verfahren der öffent-lichen Auftragsvergabe, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1997, S. 141(153 ff.); N. Griem, Umweltfreundliche Beschaffung im Bauwesen, NVwZ 1999,S. 1171 ff.; M. Herma, Auftragsvergaberecht als Mittel zur Durchsetzung vonUmweltschutz und Umweltrecht, NuR 2002, S. 8 ff.; P. Kunzlik, EnvironmentalIssues in International Procurement, in: Arrowsmith/Davies (Hrsg.), Public Pro-curement: Global Revolution, 1998, S. 199 ff.; T. Schneider, Vergaberecht undUmweltschutz, 2000, S. 17 ff.; K. Schumacher, Vergabefremde Umweltkriterienim Abfallrecht und Gemeinschaftsrecht, DVBl. 2000, S. 467 ff.

16 KOM (2001) 274 endg. v. 4.7.2001 (ABl. 2001 Nr. C 333/12 ff.).17 Vgl. hierzu zuletzt J.P. Terhechte, Der Umweltschutz und die Wettbewerbs-

politik in der Europäischen Gemeinschaft, ZUR 2002, S. 274 ff.18 Ausführlich hierzu vgl. C. Nowak (Fußn. 1), VerwArch. 2002, S. 368 ff.19 Vgl. Fußn. 2.20 Zur Verfassungsqualität primären Gemeinschaftsrechts vgl. EuGH, Rs. 294/83, Slg.

1986, 1339 (Rz. 23) – Parti écologiste »Les Verts«; EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991,I-6079 (Rz. 21). Näher zur anhaltenden Verfassungsdiskussion vgl. zuletzt m.w.N.S. Oeter, Ansichten zur Gemeinschaftsverfassung, in: Hilf/Bruha (Hrsg.), Perspek-tiven für Europa: Verfassung und Binnenmarkt, EuR Beih. 3/2002, S. 43 ff.

21 Statt vieler vgl. P. Behrens, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemein-schaft, in: Brüggemeier (Hrsg.), Verfassungen für ein ziviles Europa, 1994, S. 73 ff.;R. Schmidt, Privatisierung und Gemeinschaftsrecht, DV 1995, S. 281 (286 ff.).

22 Vgl. Art. 4 I und II, 154 II 1 sowie 157 I 2 EG.23 So P.C. Müller-Graff, Die wettbewerbsverfaßte Marktwirtschaft als gemeineu-

ropäisches Verfassungsprinzip?, in: ders./Riedel (Hrsg.), Gemeinsames Ver-fassungsrecht in der Europäischen Union, 1998, S. 53 ff.

24 Grdlg. EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 (24 ff.) – Van Gend & Loos; EuGH, Rs. 2/74,Slg. 1974, 631 (Rz. 24/28) – Reyners; EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337 (Rz. 5/7)– van Duyn.

25 Näher hierzu vgl. m.w.N. R. Streinz / S. Leible, Die unmittelbare Drittwirkungder Grundfreiheiten, EuZW 2000, S. 459 ff.

26 EuGH, verb. Rs. 80 u. 81/77, Slg. 1978, 927 (Rz. 38) – SLC Réunis; EuGH, Rs. 37/83,Slg. 1984, 1229 (Rz. 18) – Rewe; EuGH, Rs. 240/83, Slg. 1985, 531 (Rz. 9) – ADBHU.

27 EuGH, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (Rz. 48) – Ahmed Saeed Flugreisen.

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ZUR 1/200312

weitreichenden wettbewerbsrechtlichen Bindung der EG-Organeauf den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz freien Wettbe-werbs zurück.28 Die subjektivrechtliche Seite der Wettbewerbsfrei-heit verortet der EuGH bislang im Gemeinschaftsgrundrecht aufBerufsausübungsfreiheit29, das einen allgemeinen Rechtsgrundsatzdes Gemeinschaftsrechts darstellt und dem Verfassungsgrundsatzfreien Wettbewerbs im Rang gleichsteht.30

2. Umweltverfassungsrechtliche Parameter

Der maßgeblich durch das Rechtsprinzip der wettbewerbsverfasstenMarktwirtschaft geprägten EG-Wirtschaftsverfassung steht die EG-Umweltverfassung31 gegenüber, die durch die im Jahre 1999 in Kraftgetretenen Amsterdamer Vertragsrevisionen massiv verstärkt wur-de.32 Der früher in Art. 130r II 2 EG enthaltenen umweltrechtlichenQuerschnittsklausel, nach der die Erfordernisse des Umweltschutzesbei der Festlegung und Durchführung der in Art. 3 EG genanntenGemeinschaftspolitiken einbezogen werden müssen, ist ein neuerPlatz in Art. 6 EG zugewiesen worden, weshalb sie nun – anders alsdie meisten anderen vertraglichen Querschnittsklauseln33 – zu denim ersten Teil des EG-Vertrags aufgeführten Grundsätzen der Ge-meinschaft gehört. Über diese Aufwertung hinaus ist ihre Zielrich-tung auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung erstrecktworden.34 Damit soll sichergestellt werden, dass der Umweltschutzmit ökonomischen und sozialen Entwicklungsinteressen der Gegen-wart in Einklang gebracht wird und ein dauerhafter Erhalt dermenschlichen Lebensgrundlagen gewährleistet bleibt.35 Diesem Zieldient nicht zuletzt auch der im Zuge der Amsterdamer Vertragsrevi-sionen neugefasste Art. 2 EG, der die nachhaltige Entwicklung desWirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, ein hohes Maß anUmweltschutz sowie die Verbesserung der Qualität der Umwelt erst-mals explizit zu gemeinschaftsrechtlichen Verfassungszielen36 erhebt,die bei der Auslegung primären und sekundären Gemeinschafts-rechts sowie als Abwägungsregel bei der Auflösung gemeinschafts-rechtlicher Zielkonflikte, wie etwa beim Spannungsverhältnis zwi-schen Wettbewerb und Umweltschutz, heranzuziehen sind.37 EineSynthese der in Art. 2 und 6 EG kodifizierten (umweltbezogenen)Grundsätze und Ziele findet sich nunmehr in Art. 37 der – an sichrechtlich unverbindlichen, gleichwohl mehr und mehr vom Gerichterster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuG) herange-zogenen38 – Charta der Grundrechte der EU39, wonach ein hohesUmweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität indie Politiken der Union einbezogen und nach dem Grundsatz dernachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden müssen.

3. Herstellung praktischer Konkordanz

Bei den oben erwähnten wirtschafts- und umweltbezogenen Ver-fassungszielen und Rechtsgrundsätzen handelt es sich um gleich-wertige, keiner qualitativen Differenzierung zugängliche Bestandteiledes primären Gemeinschaftsrechts, die innerhalb der gemein-schaftsrechtlichen Normenhierarchie denselben Rang einnehmen.Insoweit stehen sich das in Art. 2 EG kodifizierte Verfassungszieleines hohen Maßes an Umweltschutz, dem gemäß Art. 6 EG in allengemeinschaftsrechtlichen Teilbereichen in besonderer Weise Rech-nung zu tragen ist40, und die durch die Grundfreiheiten, die Wettbe-werbsvorschriften, die wirtschaftlichen Gemeinschaftsgrundrechteund den Grundsatz freien Wettbewerbs bestätigte wirtschaftsver-fassungsrechtliche Festlegung auf eine offene Marktwirtschaft mitfreiem Wettbewerb gleichberechtigt gegenüber.

Die im wettbewerbsrechtlichen Schrifttum teilweise vertretene An-sicht vom Vorrang der Wettbewerbsfreiheit gegenüber allen anderen(wettbewerbsfremden) Gemeinschaftspolitiken41 ist daher im Lichteder Art. 2 und 6 EG genauso in Zweifel zu ziehen wie die im um-

weltrechtlichen Schrifttum recht häufig vertretene Auffassung vomabsoluten oder zumindest relativen Vorrang des Umweltschutzes.42

Das im EG-Vertrag angelegte Verhältnis zwischen grundfreiheitli-chen und wettbewerbsrechtlichen Verbotstatbeständen einerseitsund vertraglichen Rechtfertigungskatalogen sowie Freistellungstat-beständen andererseits spricht zwar dafür, dass auf der Gemein-schaftsrechtsebene nicht die Markt- und Wettbewerbsfreiheit vor derRegulierung, sondern umgekehrt die – umweltpolitisch motivierte –Regulierung vor der Wettbewerbs- und Marktfreiheit zu rechtfertigenist.43 Aus der gemeinschaftsverfassungsrechtlichen Gleichrangigkeitvon Umweltschutz, Markt- und Wettbewerbsfreiheit folgt jedoch,dass hoheitliche Maßnahmen der EG-Organe und der Mitglied-staaten stets – d.h. auch entgegen dem Wortlaut etwa des Art. 30 EG– einer Rechtfertigung aus Gründen des Umweltschutzes zugänglichsein müssen, damit letzterer mit der Markt- und Wettbewerbsfreiheitim Wege der Herstellung praktischer Konkordanz zu einem Aus-gleich gebracht werden kann.44 Dass dies vor allem im Wege einerdurch Art. 2 und 6 EG ermöglichten umweltschutzfreundlichen Aus-legung wirtschafts- und wettbewerbsrechtlicher Gemeinschaftsvor-schriften sichergestellt werden kann, verdeutlicht insbesondere dasnachfolgend im Mittelpunkt stehende EG-Vergaberecht.

II. Ansätze für einen Ausgleich zwischen Umweltschutz, Wettbewerbs-und Marktfreiheit im EG-Vergaberecht

Die einschlägigen materiellen EG-Vergaberichtlinien45 enthaltenderzeit (noch) keinen expliziten Hinweis auf eine mögliche Berück-

Aufsätze

28 EuGH, Rs. 240/83, Slg. 1985, 531 (Rz. 15) – ADBHU; EuGH, verb. Rs. 133-136/85, Slg. 1987, 2289 (Rz. 19) – Rau; EuGH, Rs. 249/85, Slg. 1987, 2345 (Rz. 16) – Albako.

29 EuGH, Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-4973 (Rz. 81) – Deutschland/Rat.30 Vgl. C. Nowak, Perspektiven einer umweltverfassungskonformen Auslegung

der europäischen Wirtschaftsverfassung, in: Bruha/Hesse/ders., Welche Ver-fassung für Europa?, 2001, S. 215 (225 ff.).

31 Zum heute bereits geläufigen Begriff der EG-Umweltverfassung vgl. nur A. Epiney,Umweltrecht in der Europäischen Union, 1997, S. 1; W. Kahl, Umweltprinzipund Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 85; C. Nowak (Fußn. 30), S. 215 ff.; H.-W. Ren-geling, Zum Umweltverfassungsrecht der Europäischen Union, in: Ipsen/ders./Mössner/Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel, 1995, S. 469 ff.; D. H.Scheuing, Das Europäische Umweltverfassungsrecht als Maßstab gerichtlicherKontrolle, EuR 2002, S. 619 ff.

32 Näher dazu vgl. zuletzt J.P. Terhechte (Fußn. 17), ZUR 2002, S. 274 ff.33 Art. 127 I EG (Beschäftigungspolitik); Art. 151 IV EG (Kulturpolitik); Art. 152 I EG

(Gesundheitspolitik) und Art. 153 II EG (Verbraucherpolitik). Zu den Grundsatz-bestimmungen gehört indes Art. 3 II EG, wonach die Gemeinschaft bei allen inAbs. 1 dieser Vorschrift genannten Tätigkeiten darauf hinwirkt, Ungleichheitenzu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern.

34 Zu dem auch in der Neufassung der Präambel des EU-Vertrags (EUV) und inArt. 2 EUV (1. Spiegelstrich) angesprochenen Grundsatz der nachhaltigenEntwicklung vgl. W. Frenz / H. Unnerstall, Nachhaltige Entwicklung im Eu-roparecht, 1999, S. 150 ff.; R. Streinz, Auswirkungen des Rechts auf »sustain-able development« – Stütze oder Hemmschuh?, DV 1998, S. 449 ff.

35 Näher dazu vgl. m.w.N. C. Calliess, Die neue Querschnittsklausel des Art. 6ex 3c EGV als Instrument zur Umsetzung des Grundsatzes der nachhaltigenEntwicklung, DVBl. 1998, S. 559 (561).

36 Zu dieser zutreffenden Qualifikation vgl. P.C. Müller-Graff, Umweltschutzund Grundfreiheiten, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischenund deutschen Umweltrecht, Bd. I, 1998, § 10 Rdnrn. 15 f.

37 Ähnlich vgl. M. Wasmeier, The Integration of Environmental Protection as aGeneral Rule for Interpreting Community Law, CMLR 38 (2001), S. 159 f.

38 Instruktiv vgl. EuG, Urt. vom 30.1.2002, Rs. T-54/99, noch nicht in der amtl.Slg. veröffentlicht = WuW/E Eu-R 521 ff. = EuZW 2002, S. 186 (mit Anm. C.Nowak, EuZW 2002, S. 191 f.) – max.mobil Telekommunikation Service GmbH.

39 ABl. 2000 Nr. C 364/1 ff.40 Näher hierzu vgl. nur C. Calliess (Fußn. 35), DVBl. 1998, S. 559 ff.41 So etwa M. Dreher, Der Rang des Wettbewerbs im europäischen Gemein-

schaftsrecht, WuW 1998, S. 656 (657).42 So etwa A. Epiney (Fußn. 31), S. 110 ff.43 In diesem Sinne vgl. D.H. Scheuing, Regulierung und Marktfreiheit im Euro-

päischen Umweltrecht, EuR 36 (2001), S. 1 (4).44 Dies bestätigt EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099 ff. – Preussen-Elektra;

dazu vgl. C. Nowak (Fußn. 1), VerwArch. 2002, S. 368 ff.; ferner vgl. S. Hesel-haus, Rechtfertigung unmittelbar diskriminierender Eingriffe in die Waren-verkehrsfreiheit, EuZW 2001, S. 645 ff.

45 Vgl. Fußn. 7.

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13ZUR 1/2003

sichtigung ökologischer Belange im Rahmen der öffentlichen Auf-tragsvergabe. Ob und gegebenenfalls wann die Vorschläge der Kom-mission zur Änderung dieser Vergaberichtlinien realisiert werden, indenen Umwelteigenschaften erstmals ausdrücklich zu denjenigenKriterien gezählt werden46, die zur Ermittlung des wirtschaftlichgünstigsten Angebotes herangezogen werden können, bleibt abzu-warten. Unabhängig davon bieten sich öffentlichen Auftraggebernjedoch bereits heute vielfältige Möglichkeiten zur Einbeziehungökologischer Belange in das Vergabeverfahren.47

1. Spezifikation des Auftragsgegenstandes

Eine erste Möglichkeit zur Berücksichtigung von Umweltbelangenbietet die Entscheidung des Auftraggebers über den zu beschaffen-den Auftragsgegenstand.48 Da die einschlägigen Vergaberichtliniennicht festlegen, ob überhaupt und in welchem Umfang bzw. in wel-cher Qualität beschafft werden soll, entscheiden in der Phase derSpezifikation des Auftragsgegenstandes primär das Umweltbewusst-sein und der Kenntnisstand der ausschreibenden Stelle darüber, obsie sich – unter Beachtung der primärrechtlichen Vorgaben im Übri-gen49 – für ein umweltfreundliches Produkt oder eine umwelt-freundliche Dienstleistung entscheidet. So kann in den von den Ver-gabestellen erstellten Leistungsbeschreibungen50 etwa festgelegtwerden, dass Gebäude nur mit bestimmten Materialien gebaut undBuslinien nur mit Elektrobussen betrieben werden sollen. Darüberhinaus besteht die Möglichkeit, die zu verwendenden Grundstoffesowie Ausgangsmaterialien oder ein bestimmtes Produktionsverfah-ren vorzuschreiben sowie auf Umweltzeichen Bezug zu nehmen.51

2. Eignungskriterien im Rahmen der Bieterauswahl

Weitere Möglichkeiten zur Berücksichtigung ökologischer Belangestellt sodann die Bieterauswahl bereit, die sich nach den einschlägi-gen Vergaberichtlinien ausschließlich an den Eignungskriterien derfinanziellen, wirtschaftlichen und technischen Leistungsfähigkeitdes Bieters zu orientieren hat.52 Da der Bieter die technischen Vor-aussetzungen zur Herstellung eines Umweltaspekte berücksichtigen-den Produkts mitbringen muss53, kann die ausschreibende Stelle z.B.eine Erklärung verlangen, aus der hervorgeht, über welche Ausstat-tung, welche Geräte und welche technische Ausrüstung der Bieterfür die Ausführung des Auftrags verfügt.54 Die an die technische Lei-stungsfähigkeit des Bieters gestellten Anforderungen müssen abernach allgemeiner Auffassung direkt mit dem Auftragsgegenstandoder der Auftragsausführung verknüpft sein.55 Die insoweit bedeut-same Frage, inwieweit die durch das Kriterium der Auftragsbezogen-heit begrenzte Möglichkeit des öffentlichen Auftraggebers, Umwelt-belange im Rahmen der Bieterauswahl zu berücksichtigen, in derspäteren Phase der Zuschlagserteilung zugunsten des Umwelt-schutzes kompensiert werden kann, ist umstritten.

3. Zuschlagserteilung

Nach der Auswahl der Bewerber treten die öffentlichen Auftraggeberin die Phase der Angebotsbewertung ein, die in die Erteilung desZuschlags für den Auftrag mündet. Nach den Vergaberichtlinien ent-fällt der Zuschlag entweder auf das preislich günstigste oder das wirt-schaftlichste Angebot.56 Die letztgenannte Alternative bietet Mög-lichkeiten zur Einbeziehung von Umweltschutzgesichtspunkten inden Angebotsvergleich57, da die in den Vergaberichtlinien vorgesehe-nen Unterkriterien, an denen sich die Wirtschaftlichkeitsbewertungder Angebote konkret orientieren soll58, nicht abschließend sind.59

Nach Auffassung der Kommission dürften jedoch weitere Kriterien –wie etwa der Energieverbrauch eines Produkts – nur dann herangezo-gen werden, wenn sie einen wirtschaftlichen Vorteil für den Auftrag-

geber mit sich bringen und zugleich entweder die zu erbringende Lei-stung oder die Modalitäten ihrer Ausführung betreffen.60 Hinsichtlichder von der Kommission für maßgeblich gehaltenen Frage, ob der Be-griff »wirtschaftlich günstigstes Angebot« impliziert, dass jedes ein-zelne Zuschlagskriterium mit einem wirtschaftlichen Vorteil für denAuftraggeber verbunden sein muss, oder ob jedes einzelne Zuschlags-kriterium in wirtschaftlichen Größen messbar sein, jedoch keinen un-mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil für den Auftraggeber mit sichbringen muss, hat sich die Kommission bislang für die erstgenannteAlternative ausgesprochen.61 Dem hat sich der EuGH in seinem Con-cordia Bus Finland-Urteil62 nicht angeschlossen.

C. Das Urteil des EuGH vom 17.9.2002 in der Rechtssache »Concordia Bus Finland«

Nach einer knappen Zusammenfassung des diesem Vorabentschei-dungsurteil zugrundeliegenden Sachverhalts und der Vorlagefragen(I.) sowie des von Generalanwalt Mischo in seinen Schlussanträgenunterbreiteten Entscheidungsvorschlags (II.) werden die in wesent-lichen Punkten von der Sichtweise des Generalanwalts abweichen-den Kernaussagen des EuGH erörtert (III.). Dabei wird deutlich, dasses dem EuGH hier um die Herstellung praktischer Konkordanzzwischen umwelt- und wirtschaftsverfassungsrechtlichen Direktivendes EG-Vertrags geht, ohne sich im Hinblick auf die rechtliche Be-urteilung vergabefremder Aspekte eindeutig festzulegen (IV.).

I. Sachverhalt und Vorlagefragen

Der Stadtrat von Helsinki hatte im Jahre 1997 beschlossen, den ge-samten innerstädtischen Busverkehr öffentlich auszuschreiben.Gemäß der Ausschreibung sollte dasjenige Unternehmen den Zu-schlag erhalten, das für die Stadt das gesamtwirtschaftlich günstigsteAngebot machen würde. Bei der Ermittlung des gesamtwirtschaftlichgünstigsten Angebots sollte maßgeblich auf den für den Betrieb gefor-

Bungenberg / Nowak, Europäische Umweltver fassung und EG-Vergaberecht

46 Vgl. Art. 53 des Vorschlags für eine RL des Europäischen Parlaments und desRates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Liefer-aufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge, KOM (2000) 275 endg. v.10.5.2000, sowie Art. 54 des Vorschlags für eine RL des Europäischen Parla-ments und des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftrag-geber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung, KOM (2000)275 endg. v. 10.5.2000.

47 Instruktiv hierzu vgl. die »Interpretierende Mitteilung der Kommission über dasauf das öffentliche Auftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht und die Mög-lichkeiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Vergabe öffentli-cher Aufträge«, KOM (2001) 274 endg. v. 4.7.2001 (ABl. 2001 Nr. C 333/12 ff.).

48 Vgl. die Mitteilung der Kommission (Fußn. 47), Ziff. I; S. Arrowsmith, TheCommunity`s Legal Framework on Public Procurement: «The way forward«at last?, CMLR 36 (1999), S. 13 (44 ff.).

49 Insbesondere Art. 28, 39, 43, 49 und evtl. 87 EG.50 Hierzu vgl. N. Griem (Fußn. 15), NVwZ 1999, S. 1172; K. Schumacher, (Fußn. 15),

DVBl. 2000, S. 470.51 Vgl. Mitteilung der Kommission (Fußn. 47), Ziff. II.1.1, 1.2. und 1.3.; m.w.N.

M. Kling (Fußn. 12), S. 630 ff.52 Vgl. Mitteilung der Kommission (Fußn. 47), Ziff. II.2.53 Dazu vgl. nur M. Kling (Fußn. 12), S. 615.54 Hierzu und zu weiteren Möglichkeiten, vom Bieter einschlägige Erfahrungen

im Umweltbereich oder ein Umweltmanagement zu fordern, vgl. die Mit-teilung der Kommission (Fußn. 47), Ziff. II.2.2.

55 Vgl. Mitteilung der Kommission (Fußn. 47), Ziff. II.2.2.; und M. Kling (Fußn.12), S. 615 f., wonach eine Berücksichtigung der allg. Umweltfreundlichkeiteines Betriebs im Rahmen der Bieterauswahl unzulässig sei.

56 Vgl. hierzu bereits Fußn. 11.57 Zutr. vgl. E. Kayser, Nationale Regelungsspielräume im öffentlichen Auf-

tragswesen und gemeinschaftsrechtliche Grenzen, 1999, S. 147.58 Zu diesen Unterkriterien vgl. bereits Fußn. 11.59 Vgl. EuGH (Fußn. 9), Rz. 35 – SIAC Construction.60 Vgl. Mitteilung der Kommission (Fußn. 47), Ziff. II.3.1. 61 Vgl. Mitteilung der Kommission (Fußn. 47), Ziff. II.3.1.; ähnlich vgl. M. Kling

(Fußn. 12), S. 617; E. Kayser (Fußn. 57), S. 147.62 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513/99 (Fußn. 2).

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ZUR 1/200314

derten Gesamtpreis, auf die Qualität des Fuhrparks sowie das Qualitäts-und Umweltkonzept des Verkehrsunternehmers abgestellt werden.

Was den Gesamtangebotspreis angeht, sollte das günstigste Ange-bot 86 Punkte erhalten. Weitere (höchstens) 10 Punkte waren für dieQualität des Fuhrparks vorgesehen, womit insbesondere die gering-sten Stickoxidemissionen und Lärmpegel »prämiert« werden sollten.Hinsichtlich des Qualitäts- und Umweltkonzepts der an der Aus-schreibung teilnehmenden Verkehrsunternehmen sollten schließ-lich zusätzliche Punkte für eine Gesamtheit von qualitativen Kriteri-en sowie für ein zertifiziertes Umweltkonzept zugeteilt werden.

Die nach der Angebotsbewertung nur auf den zweiten Platz ge-setzte Bieterin Concordia Bus Finland erhob gegen diese Wertung deszuständigen Wirtschaftsausschusses Nichtigkeitsklage vor dem fin-nischen Wettbewerbsrat. Nachdem dieser die Klage abgewiesen hat-te, legte Concordia Bus Finland beim vorlegenden Gericht Rechts-mittel ein. Dieses setzte das innerstaatliche Verfahren zum Zweckeder Durchführung des in Art. 234 EG vorgesehenen Vorabentschei-dungsverfahrens aus. Abgesehen von zwei nachfolgend ausgeblen-deten Fragen63 wollte das finnische Gericht geklärt wissen, ob diemaßgebliche Vorschrift [hier: Art. 36 I RL 92/50/EWG oder Art. 34 IRL 93/38/EWG64] dahin auszulegen ist, dass eine Stadt, die einenAuftrag für den Betrieb des innerstädtischen Busverkehrs ausschreibt,beim Vergleich der Angebote neben anderen Kriterien auch die Ver-ringerung der Stickoxid- und Lärmemissionen in der in der Aus-schreibung angegebenen Weise berücksichtigen kann.

II. Vorschlag und Argumentation des Generalanwalts

Generalanwalt Mischo empfahl dem EuGH in seinen Schlußanträgendie von ihm als einschlägig erachtete Vorschrift65 dahingehend aus-zulegen,

»dass eine Stadt, die einen Auftrag für den Betrieb des innerstaatlichen Bus-verkehrs ausschreibt, bei den Kriterien für den auf der Grundlage des gün-stigsten Angebots zu vergebenden Auftrag die Verringerung der Stickoxid-und Lärmemissionen in der in der Ausschreibung angegebenen Weiseberücksichtigen kann, sofern das Kriterium die Grundsätze des Gemein-schaftsrechts, insbesondere das Diskriminierungsverbot und die vier Grund-freiheiten beachtet und nach Maßgabe aller Verfahrensvorschriften derRichtlinie, insbesondere der Publizitätsvorschriften, angewendet wird«.66

Der Generalanwalt begründete dies zunächst damit, dass dieausschreibende Stadt die umweltbezogenen Ziele (geringe Schad-stoff- und Lärmemissionen) in zulässiger Weise bereits in derSpezifikation des Auftragsgegenstandes hätte ansprechen könnenund dass sie daher erst recht berechtigt sei, im Rahmen des Verga-beverfahrens denjenigen Unternehmen Zusatzpunkte zu erteilen,die in der Lage sind, durch den Einsatz entsprechender Fahrzeugebesonders strenge Schadstoffnormen einzuhalten.67 Desweiterenführte der Generalanwalt aus, dass es sich beim Umweltschutz umein gemäß Art. 6 EG auch im Vergaberecht zu berücksichtigendesAllgemeininteresse handele, das im Einklang mit früheren –wenngleich weder umweltschutzrelevanten noch einheitlich in-terpretierten68 – Urteilen des EuGH69 als ein zulässiges Vergabekri-terium anzusehen sei.70 Dies gelte auch – entgegen der von derKommission vertretenen Auffassung71 – dann, wenn kein wirt-schaftlicher Bezug oder kein wirtschaftlicher Vorteil für den Auf-traggeber mittelbar oder unmittelbar feststellbar ist72, sowie selbstdann, wenn das jeweilige Umweltkriterium nicht im Zusammen-hang mit dem Auftragsgegenstand steht.73 Der EuGH folgt demEntscheidungsvorschlag und der Begründung des Generalanwaltsin wesentlichen Punkten nicht.

III. Rechtliche Würdigung und Kernaussagen des EuGH

Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass der Auftraggeber, wenn erbeschließt, einen Auftrag an den Bieter zu vergeben, der das wirt-

schaftlich günstigste Angebot abgegeben hat, Umweltschutzkriteri-en wie die Höhe der Stickoxidemissionen oder den Lärmpegelberücksichtigen darf, sofern diese Kriterien– mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen,– dem Auftraggeber keine unbeschränkte Entscheidungsfreiheit ein-

räumen,– ausdrücklich im Leistungsverzeichnis oder in der Bekannt-

machung des Auftrags genannt sind und– alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbeson-

dere das Diskriminierungsverbot, beachten.Zu diesem Ergebnis gelangt der EuGH, indem er zunächst im Ein-

klang mit seiner bisherigen Rechtsprechung den nicht abschließendenCharakter der für die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Ange-bots im Sinne des Art. 36 I RL 92/50 heranzuziehenden Unterkriterien74

betont.75 Diese müssten selbst nicht notwendigerweise rein wirtschaft-licher Art sein, denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Fak-toren, die nicht rein wirtschaftlich sind, sich auf den Wert eines Ange-bots für diesen Auftraggeber auswirken können.76 Damit lehnt derEuGH nicht nur die von der Kommission befürwortete Beschränkungauf »konkrete wirtschaftliche Vorteile« bzw. auf einen »unmittelbarenwirtschaftlichen Nutzen« des öffentlichen Auftraggebers77 ab, sondernauch die Auffassung des Generalanwalts Mischo, der die Heranziehungvon Umweltkriterien als zulässige Zuschlagskriterien für möglich hält,selbst wenn dies lediglich anderen Personen als dem Auftraggeber, etwader Allgemeinheit, nützt.78 Mit der Bezugnahme auf den Wert einesAngebots für den Auftraggeber bietet der EuGH dem öffentlichen Auf-traggeber Möglichkeiten zur Internalisierung externer Umweltkostenund zur Durchsetzung subjektiver ökologischer Wertvorstellungen.Hierbei ist der bereits durch die Pflicht zur Beachtung der wesentlichenGrundsätze des Gemeinschaftsrechts sowie der vergaberechtlichenTransparenz- und Publizitätsvorschriften79 begrenzte Spielraum des öf-fentlichen Auftraggebers zusätzlich insoweit eingeschränkt, als dieBerücksichtigung eines Umweltschutzkriteriums im Rahmen einer imAnwendungsbereich des Art. 36 I lit. a RL 92/50/EWG zu leistendenWirtschaftlichkeitsbewertung dem öffentlichen Auftraggeber keine»uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit« einräumen darf.80

Mit dem Hinweis, dass sich die Heranziehung von Umweltschutz-kriterien im Anwendungsbereich des Art. 36 I lit. a RL 92/50/EWG zu-sätzlich mit Blick auf die umweltrechtliche Querschnittsklausel recht-

Aufsätze

63 Die erste Frage bezog sich auf die im vorliegenden Fall anzuwendende Verga-berichtlinie. Ferner wollte das Vorlagegericht in Erfahrung bringen, ob die Ver-gabe von Zusatzpunkten für die geringsten Stickoxid- und Lärmemissionendennoch unzulässig ist, wenn von vornherein feststeht, dass das eigene Bu-sunternehmen der ausschreibenden Stadt einen Fuhrpark anbieten kann, derdiesen Anforderungen genügt, während auf Grund der tatsächlichen Um-stände nur wenige andere Unternehmen dieses Sektors hierzu in der Lage sind.

64 Zu diesen Richtlinien vgl. Fußn. 7. Der EuGH ließ die Frage nach der kon-kret anzuwendenden Vorschrift offen, da die beiden genannten Vorschrif-ten im Wesentlichen gleich formuliert und daher gleich auszulegen sind, vgl.EuGH, Urt. v. 17.9.2002, Rs. C-513/99 (Fußn. 2), Rz. 87 ff.

65 Art. 36 I RL 92/50/EWG (Fußn. 7).66 Schlussanträge des GA J. Mischo vom 13.12.2001 in der Rs. C-513/99, noch

nicht in der amtl. Slg. veröffentlicht, Rz. 123 – Concordia Bus Finland.67 Vgl. die Schlussanträge des GA J. Mischo (Fußn. 66), Rz. 78-81.68 Vgl. hierzu nur B. Schima (Fußn. 13), NZBau 2002, S. 1 ff.69 Vgl. die in Fußn. 14 genannten Urteile.70 Vgl. die Schlussanträge des GA J. Mischo (Fußn. 66), Rz. 92 f.71 Vgl. hierzu Abschnitt B.II.3.72 Vgl. die Schlussanträge des GA J. Mischo (Fußn. 66), Rz. 101; ferner vgl. Rz. 105, wo-

nach ein Umweltkriterium auch dann gerechtfertigt sei, wenn es für andere Per-sonen als den Auftraggeber oder für die Umwelt im Allgemeinen vorteilhaft ist.

73 Vgl. die Schlussanträge des GA J. Mischo (Fußn. 66), Rz. 112.74 Zu diesen Unterkriterien vgl. Fußn. 11.75 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513/99 (Fußn. 2), Rz. 54, mit Hinweis auf

das in Fußn. 9 erwähnte SIAC Construction-Urteil.76 EuGH, Urt. v. 17.9.2002, Rs. C-513/99 (Fußn. 2), Rz. 55.77 Vgl. hierzu bereits Abschnitt B.II.3.78 Vgl. hierzu Abschnitt C.II.79 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513/99 (Fußn. 2), Rz. 69.80 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513/99 (Fußn. 2), Rz. 61.

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15ZUR 1/2003

fertigen lässt81, folgt der EuGH zwar dem Generalanwalt. Anders alsdieser schränkt der EuGH jedoch die auf den ersten Blick großzügigerscheinende Ausdehnung des Wirtschaftlichkeitsbegriffs erheblichein, indem er deutlich darauf hinweist, dass »die Zuschlagskriterien[...] mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen« müssen.82 Vor-liegend war der erforderliche Zusammenhang zwischen dem Auf-tragsgegenstand (Betrieb von bestimmten Buslinien) und den in Redestehenden Umweltkriterien (Schadstoff- und Lärmemissionen unter-halb bestimmter Grenzwerte) allerdings unstreitig gegeben.

IV. Offene Fragen

Das EuGH-Urteil in der Rechtssache Concordia Bus Finland wirft dieFrage auf, ob es sich bei der nach Art. 36 I lit. a RL 92/50/EWG denk-baren Einbeziehung auftragsbezogener Umweltkriterien fortan umden einzig möglichen Weg des Auftragsgebers handelt, Umwelt-schutzkriterien im Rahmen des Zuschlags zu berücksichtigen. An-knüpfungspunkt dieser Frage ist das sog. Calais-Urteil, in dem derEuGH die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen als ein zulässigesZuschlagskriterium eingeordnet hat83, obwohl dieses beschäfti-gungspolitische Kriterium nicht mit dem Auftragsgegenstand imZusammenhang stand.84 Das mehrdeutige85 Calais-Urteil, mit demder EuGH zum Teil überaus heftige Kritik auf sich gezogen hat86, istu.a. teilweise dahingehend verstanden worden, dass der EuGH ver-gabefremde Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht alsVerstoß gegen die Vergaberichtlinien wertet, wenn sie als »zusätz-liches« Zuschlagskriterium formuliert sind und – unter Beachtungder wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts im Übrigen– in der Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklich angegebenwerden.87 Nach dieser Interpretation des Calais-Urteils könnte deröffentliche Auftraggeber neben der im Concordia Finland Bus-Urteilaufgezeigten – an Art. 36 I lit. a RL 92/50/EWG anknüpfenden –Möglichkeit noch einen weiteren Weg beschreiten, um Umwelt-kriterien im Rahmen der Zuschlagserteilung selbst dann zu berück-sichtigen, wenn diese Kriterien nicht mit dem jeweiligen Auftrags-gegenstand in Zusammenhang stehen. Ob sich diese Interpretationdes Calais-Urteils nach dem vorliegenden Urteil in der RechtssacheConcordia Bus Finland noch aufrecht erhalten lässt, ist offen.

Der EuGH könnte der im Calais-Urteil anklingenden Alternati-vlösung eine Absage erteilt haben, da er das von GeneralanwaltMischo unter Bezugnahme auf das Calais-Urteil für entbehrlichgehaltene Erfordernis der Auftragsbezogenheit88 umweltschutzbe-zogener Zuschlagskriterien in einer Weise herausstellt, die dafürspricht, dass der EuGH nicht auftragsbezogene Vergabekriteriengenerell nicht als zulässige Zuschlagskriterien anerkennt, ganz un-abhängig davon, ob diese Kriterien umwelt-, sozial- oder arbeits-marktpolitischer Art sind. Andererseits könnte eine Formulierungin den Urteilsgründen vermuten lassen, dass sich das Erfordernisder Auftragsbezogenheit nur auf Zuschlagskriterien im Sinne desArt. 36 I lit. a RL 92/50/EWG bezieht89 und die Calais-Rechtspre-chung insoweit unangetastet bleibt. Eine abschließende Klärungder rechtlichen Beurteilung vergabefremder Aspekte ist somit inder Entscheidung Concordia Bus Finland nicht erfolgt.

Insoweit bleibt nunmehr mit Spannung abzuwarten, wie derEuGH demnächst in der Rechtssache C-448/01 entscheiden wird.Dort geht es u.a. um die dem EuGH vom österreichischen Bundes-vergabeamt vorgelegte Frage, ob das EG-Vergaberecht es öffentlichenAuftraggebern verbietet, »bei der Beschaffung von Strom ein mit45% gewichtetes Zuschlagskriterium festzusetzen, bei dem der Bieter– ohne Bindung an einen bestimmten Liefertermin – anzugeben hat,wieviel Strom aus erneuerbaren Energieträgern er an einen nichtnäher eingegrenzten Abnehmerkreis liefern kann und jener Bieterdie maximale Punkteanzahl erhält, der die höchste Menge angibt,wobei nur jenen Liefermenge gewertet wird, die die Menge des im

Rahmen des ausgeschriebenen Auftrags zu erwartenden Verbrauchsüberschreitet«.90

D. Fazit

Mit seinem Vorabentscheidungsurteil in der Rechtssache ConcordiaBus Finland unterstreicht der EuGH erneut die Notwendigkeit der Her-stellung praktischer Konkordanz zwischen umwelt- und wirtschafts-verfassungsrechtlichen Vorgaben des EG-Vertrags. Über die Spezifika-tion des Auftragsgegenstandes und die Bieterauswahl hinaus wirdöffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit eingeräumt, Umweltkrite-rien auch in die Zuschlagsentscheidung einfließen zu lassen. Der Auf-traggeber hat konkret die Möglichkeit, nicht notwendigerweise wirt-schaftliche, jedoch unbedingt auftragsbezogene Umweltkriterien beider Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots im Sinne desArt. 36 I lit. a RL 92/50/EWG zu berücksichtigen. Ob es neben derWirtschaftlichkeitsprüfung im Sinne dieser Vorschrift die Möglichkeitgibt, Umweltbelange als »zusätzliche Vergabekriterien« bei der Zu-schlagsentscheidung zu berücksichtigen, wie dies teilweise dem Calais-Urteil entnommen wird, bleibt auch nach der Concordia Bus Finland-Entscheidung zweifelhaft. Die Einbeziehung ökologischer Belange indie wertende Wirtschaftlichkeitsprüfung des Art. 36 I lit. a RL92/50/EWG ist jedenfalls ein geeigneter Ansatz, um die im Lichte desPrinzips der nachhaltigen Entwicklung ohnehin in Auflösung befind-liche Dichotomie zwischen Ökonomie und Ökologie auch im Verga-berecht zu überwinden. Im Ergebnis unterstreicht der EuGH, dassauch er eine effiziente und zugleich ökologischen Belangen Rechnungtragende Zuschlagsentscheidung nicht als Widerspruch betrachtet.

Bungenberg / Nowak, Europäische Umweltver fassung und EG-Vergaberecht

81 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513/99 (Fußn. 2), Rz. 57 mit Blick auf Art.130r II Uabs. 1 Satz 3 bzw. Art. 6 EG.

82 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513/99 (Fußn. 2), Rz. 59 u. 69.83 EuGH, Rs. 225/98, Slg. 2000, I-7445 (Rz. 46 ff.) – Kommission/Frankreich.84 Zutr. vgl. GA J. Mischo (Fußn. 66), Rz. 112.85 Zutr. vgl. B. Schima (Fußn. 13), NZBau 2002, S. 1 ff.86 Vgl. nur die Urteilsanmerkung von M. Dreher, JZ 2001, S. 140 f.87 So etwa J. Ziekow (Fußn. 5), NZBau 2001, S. 76.88 Vgl. die Schlussanträge des GA J. Mischo (Fußn. 66), Rz. 111.89 Vgl. EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513/99 (Fußn. 2), Rz. 59, wo es unter Be-

zugnahme auf Art. 36 I lit. a RL 92/50/EWG heißt: »Da ein Angebot sich notwen-digerweise auf den Auftragsgegenstand bezieht, müssen auch die Zuschlagskrite-rien, die nach dieser Vorschrift festgelegt werden können, mit dem Auftragsgegenstandzusammenhängen (Hervorhebung von Verf. hinzugefügt).

90 Vgl. das Ersuchen um Vorabentscheidung, vorgelegt auf Grund des Beschlusses desBundesvergabeamts (Österreich) vom 13.11.2001 im dem Rechtsstreit 1. EVN AG, 2.Wienstrom GmbH gegen Republik Österreich, ABl. 2002 Nr. C 84/38.

Dr. Marc Bungenberg, LL.M. (Lausanne)Wissenschaftlicher Assistent am Jean-Monnet-Lehrstuhl für Öffentliches Recht,Europarecht, Völkerrecht und Internationales Wirtschaftsrecht, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Carl-Zeiss-Str. 3, 07743 Jena; e-mail: [email protected]; Tätigkeitsschwerpunkte: Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Ver-gaberecht. Aktuelle Veröffentlichungen: Dynamische Integration, Art. 308 und dieForderung nach dem Kompetenzkatalog, EuR 35 (2000), S. 879 ff.; Die Ausweitungdes Geltungsbereichs des Government Procurement Agreement, WuW 2000, S. 872ff.; Nationales, supranationales und WTO-Vergaberecht, in: Bauschke u.a. (Hrsg.),Pluralität des Rechts – Regulierung im Spannungsfeld der Rechtsebenen (i.E.).

Dr. Carsten NowakWissenschaftlicher Assistent am FB Rechtswissenschaft der Universität Hamburgund Koordinator am Europa-Kolleg Hamburg, Windmühlenweg 27, 22607Hamburg; e-mail: [email protected]; Tätigkeitsschwerpunkte: Eu-roparecht, Öffentliches Recht, Wettbewerbsrecht. Aktuelle Veröffentlichungen:Perspektiven einer umweltverfassungskonformen Auslegung der europäischenWirtschaftsverfassung, in: Bruha/Hesse/Nowak (Hrsg.), Welche Verfassung fürEuropa?, 2001, S. 215 ff.; Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags und der Um-weltschutz – grundfreiheitliche Schrankensystematik im Lichte der EG-Umwelt-verfassung, VerwArch. 2002, S. 368 ff.

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ZUR 1/200316

Der Beitrag beschäftigt sich anlässlich der sog. Biblis-Entscheidung des Bun-desverfassungsgerichts vom 19.02.2002 mit der Frage, inwieweit der Bundim Rahmen der Bundesauftragsverwaltung gegenüber privaten Dritten in-formal tätig werden darf, ohne dabei Rechte der Länder zu verletzen. Im Kerngeht es dabei darum, ob die Grundsätze der Kalkar II-Entscheidung auf die-se Fallgestaltung zu übertragen sind.

A. Einleitung

In seiner Entscheidung vom 19.02.20021 zum Bund-Länder-Streitzwischen Hessen und dem Bund – im Folgenden Biblis-Entschei-dung genannt – musste sich das Bundesverfassungsgericht mit derFrage auseinander setzen, in welchem Umfang der Bund beimVollzug des Atomrechts im Rahmen der Bundesauftragsverwal-tung nach außen gegenüber Dritten mittels sog. informalem Ver-waltungs- bzw. Staatshandeln tätig werden darf, ohne dabeigrundgesetzliche Rechte der Länder zu verletzen. Im Rahmen derAtomkonsensverhandlungen hatte das Bundesumweltministeri-um nach Paraphierung des Atomkonsenses2 unmittelbar, d.h.ohne Beteiligung des Landes Hessen, mit den Rheinisch-Westfäli-schen Energiebetrieben (im Folgenden RWE) als Betreiber desKernkraftwerks Biblis, Block A, über das weitere Vorgehen bei derNachrüstung dieses Kernkraftwerkes verhandelt. Das Land Hessensah sich dadurch in zweierlei Hinsicht in seinen verfassungsrecht-lichen Rechten verletzt.

Es argumentierte zum einen, bei der Atomverwaltung handelees sich um Bundesauftragsverwaltung. Bei dieser liege die Kompe-tenz zu außengerichtetem Handeln allein beim Land; eine Dop-pelzuständigkeit derart, dass der Bund neben den Ländern nachaußen im Verhältnis zu Dritten tätig werden dürfe, gäbe es nicht.Allein im staatlichen Innenverhältnis unterstünden die Länderwegen der Weisungsbefugnis nach Art. 85 III GG den oberstenBundesbehörden. Zum anderen wurde eine Verletzung der Pflichtzum bundesfreundlichen Verhalten geltend gemacht, weil derBund jegliche Unterrichtung des Landes Hessen über die mit RWEgeführte Korrespondenz unterlassen habe3.

Das Land Hessen scheiterte im Ergebnis mit seiner Argumenta-tion vor dem Bundesverfassungsgericht, ein ausführlich begrün-detes Minderheitenvotum folgte indes der Ansicht Hessens. DieEntscheidung erhält über den konkreten Sachverhalt hinaus da-durch Bedeutung, dass sich in ihr das Bundesverfassungsgerichtausführlich mit dem informalen Staatshandeln auseinandersetzt.Letzteres gewinnt – insbesondere auch im Umweltrecht – immermehr an Bedeutung; es wirft oft viele neue Fragen auf, weil hiervermeintlich neue Handlungsmodi angewandt werden, die sichhäufig nicht reibungslos in altbekannte juristische Kategorien ein-zupassen scheinen4. Beim vom Bundesverfassungsgericht zu ent-scheidenden Sachverhalt stellte sich die bisher so gut wie gar nichterörterte Frage, inwiefern informales Tätigwerden des Bundes im

Rahmen der Bundesauftragsverwaltung Kompetenzen der Länderverletzen kann.

B. Die »Vereinbarung« zwischen dem Bund und RWE im Rah-men des Atomkonsenses

Nach längeren Verhandlungen wurde am 14.06.2000 von Vertre-tern der Energieversorgungsunternehmen und solchen des Bundes(insbesondere des Bundesumweltministeriums) die als »Atomkon-sens« bekannt gewordene »Vereinbarung zwischen der Bundesre-gierung und den Energieversorgungsunternehmen« verfasst undam 11.06.2001 unterzeichnet5. Diese zerfällt in mehrere Teile:Überwiegend werden allgemeine Punkte wie etwa die Beschrän-kung des Betriebs bestehender Anlagen oder der Betrieb und dieSicherheit der Anlagen während der Restlaufzeit sowie die Über-tragung von Strommengen6 abgehandelt. Daneben enthält dieVereinbarung auch mehrere Anhänge, unter anderem die Anlage2. In ihr erklärt sich das Bundesumweltministerium gegenüberRWE als Betreiber des Kernkraftwerks Biblis zum weiteren Verfah-ren der Nachrüstung von Biblis, Block A. Neben der Festlegung derReststrommenge für Biblis A und weiteren Aussagen zum sicherenBetrieb der Anlage kündigt das Bundesumweltministerium an,dass es unter der Voraussetzung einer Erklärung der RWE, auf eineÜbertragung von Energiemengen auf Biblis A zu verzichten unddie noch zu produzierende Energiemenge definitiv festzulegen,kurzfristig über ein Nachrüstungsprogramm entscheiden werde,welches den sicheren Betrieb gewährleiste und im angemessenen

Aufsätze

1 BVerfGE 104, 249 ff.2 „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungs-

unternehmen« vom 14.06.2000, abgedruckt in NVwZ-Beilage IV/2000 zuHeft 10/2000. Zum Atomkonsens selbst und seiner Umsetzung vgl. Wagner,Atomkompromiss und Ausstiegsgesetz, NVwZ 2001, 1089 ff.; Schorkopf, Die»vereinbarte« Novellierung des Atomgesetzes, NVwZ 2000, 1111 ff.; Langen-feld, Die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Ausstieg aus der fried-lichen Nutzung der Kernenergie, DÖV 2000, 929 ff.; Böhm, Ausstieg im Kon-sens?, NuR 2001, 61 ff.; Roßnagel, Das Beendigungsgesetz als Umsetzungeiner Konsensvereinbarung, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 11. Deutsches Atom-rechtssymposium, 2002, 305 ff.

3 Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf Art. 85 GG. Auf denAspekt der Bundestreue wird deshalb nicht näher eingegangen.

4 Siehe zum informalen Handeln im Umweltrecht aus neuerer Zeit z.B. Koch,Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht – ein Missverständnis?, NuR 2001,541 ff.; Murswiek, Das sogenannte Kooperationsprinzip – ein Prinzip des Um-weltschutzes?, ZUR 2001, 7 ff.; Huber (Hrsg.), Das Kooperationsprinzip imUmweltrecht, 1999.

5 Mittlerweile ist die Umsetzung des Atomkonsenses in das neue Atomgesetzerfolgt. Vgl. hierzu »Das Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernener-gienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität« vom 22.04.2002,BGBl. I, 1351 ff., welches am 23.04.2002 in Kraft getreten ist; siehe dazuKühne/Brodowski, Das neue Atomrecht, NJW 2002, 1458 ff.

6 Vgl. hierzu Böhm, Festlegung der Strommengen, Übertragungsmöglichkeitenund Restlaufzeit, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 11. Deutsches Atomrechts-symposium, 2002, 43 ff.; Rebentisch, Zweifelsfragen der gesetzlichen Vorgabenund Optionen, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 11. Deutsches Atomrechtssym-posium, 2002, 61 ff.

Anja Hentschel / Timo Hebeler

Verfassungsrechtliche Grenzen für die Ausführung vonBundesgesetzen in Bundesauftragsverwaltung mittelsinformalem VerwaltungshandelnZugleich Besprechung des Bund-Länder-Streitverfahrens betreffend das Kernkraftwerk Biblis, Block A

(Anm. der Redaktion: Urteil in ZUR 2002, S. 280 ff. )

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17ZUR 1/2003

Verhältnis zur Restnutzung stehe7. Anders als die übrigen Teile desAtomkonsenses enthält diese Anlage 2 mithin mit einem einzel-nen, bestimmten Energieversorgungsunternehmen getroffene Re-gelungen.

C. Der dogmatische Anknüpfungspunkt: Die Kalkar II-Entscheidung

Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt für die vorliegende Sach-verhaltskonstellation ist Art. 85 GG, der die Bundesauftragsver-waltung normiert. Die Kernenergieverwaltung ist nach Art. 87 cGG i.V.m. § 24 I 1 AtomG Bundesauftragsverwaltung. Sowohl dasMehrheits- als auch das Minderheitsvotum nehmen die in der sog.Kalkar II-Entscheidung8 aufgestellten Grundsätze zum Ausgangs-punkt ihrer Überlegungen. In dieser Entscheidung ging es im Kerndarum, wie die Kompetenzen zwischen Bund und Land in derBundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG verteilt sind. Das Bun-desverfassungsgericht unterschied dabei begrifflich zwischen dersog. Sach- und Wahrnehmungskompetenz. Letztere meint die Be-fugnis, nach außen gegenüber Dritten zu handeln und ver-antwortlich zu sein; diese Kompetenz steht den Ländern aus-schließlich und unentziehbar zu. Die Sachkompetenz, d.h. dieSachbeurteilung und die Sachentscheidung, steht ihnen zunächstauch zu, der Bund könne diese aber an sich ziehen. In dem derKalkar II-Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte derBund dem Land nach Art. 85 III GG eine Weisung erteilt, worindas An-sich-Ziehen der Sachkompetenz zu sehen war9. Liegt dieSachkompetenz nunmehr beim Bund, so kann das Land durch dieWeisungserteilung nur dann in seinen Rechten verletzt sein, wenngerade die Inanspruchnahme der Weisungsbefugnis gegen dasGrundgesetz verstößt, nicht aber, wenn die Weisung z.B. gegeneinfachgesetzliches Atomrecht verstößt10.

Zentrale Erkenntnis dieser Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichts ist mithin, dass es in der Bundesauftragsver-waltung nach Art. 85 GG stets das Land ist, welchem allein dieverfassungsrechtliche Befugnis zukommt, nach außen gegenüberDritten gesetzesausführend tätig zu werden.

D. Adaption der Kalkar II-Grundsätze

Die Fallkonstellation in Kalkar II war ersichtlich eine andere alsdie hier gegebene. Dort erließ der Bund gegenüber einem Landeine Weisung nach Art. 85 III GG und bewegte sich insofern imstaatlichen Binnenverhältnis. Eine Tätigkeit nach außen, im Ver-hältnis zu einem Dritten, die als »Ausführung eines Bundesgesetzes«(hier: des Atomgesetzes) zu qualifizieren sein und die deshalb denTatbestand des Art. 85 I GG erfüllen könnte, war bei der KalkarII-Entscheidung nicht gegeben; vielmehr ging es darum, die Kom-petenzen im bundesstaatlichen Binnenverhältnis zwischen Bundund Land abzugrenzen.

Die Biblis-Entscheidung problematisiert hingegen gerade dieReichweite der Kompetenzen des Bundes gegenüber einem außen-stehenden Dritten (hier: der RWE als KKW-Betreiber). In der Ter-minologie der Kalkar II-Entscheidung geht es also um die Reich-weite der Wahrnehmungskompetenz – genauer gesagt darum, obdurch den Atomkonsens (insbesondere dessen Anlage 2) der Bundunzulässigerweise das Atomgesetz als Bundesgesetz »ausgeführt«hat, obwohl dies nach Art. 85 I 1. Hs. GG bei der Bundesauftrags-verwaltung den Ländern obliegt. Sowohl das Mehrheits- als auchdas Minderheitsvotum argumentieren sehr stark mit den in derKalkar II-Entscheidung aufgestellten Abgrenzungsgrundsätzenund versuchen die dort gefundenen Kautelen auf die hier, wie dar-gestellt, anders gelagerte Sachverhaltskonstellation anzuwenden.

I. Kerngesichtspunkte des Mehrheitsvotums

Das Mehrheitsvotum weist darauf hin, dass sowohl dem Bund alsauch dem Land bei der Wahrnehmung der jeweiligen Kompeten-zen vor allem im Vorfeld rechtsverbindlicher Einzelfallentschei-dungen breitgefächerte Handlungsmöglichkeiten zur Verfügungstehen11. Im Bereich solchen informalen Verwaltungshandelnsdürfe der Bund bei der Auftragsverwaltung jedoch keine Schat-tenverwaltung neben den Ländern aufbauen, vielmehr sei diegrundgesetzliche Kompetenzordnung zu wahren. Sofern der Bunddie Sachkompetenz erkennbar auf sich übergeleitet habe12, sei erberechtigt, sich in jeder von ihm für zweckmäßig gehaltenenForm Informationen zu beschaffen, die er zur Ausübung seinerSachkompetenz für erforderlich halte13. Der Bund dürfe bei derWahrnehmung seiner Sachkompetenz z.B. in Form der Informati-onsbeschaffung nicht dadurch unzulässig eingeengt werden, dasser an eine Mitwirkung der Länder gebunden sei. Die Wahrneh-mungskompetenz des Landes werde erst dann verletzt, wenn ernach außen gegenüber Dritten und gleichsam an Stelle der zurEntscheidung berufenen Landesbehörde rechtsverbindlich tätigwerde oder durch Erklärungen, die einer rechtsverbindlichen Ent-scheidung gleichkommen, die Wahrnehmungskompetenz an sichziehe14. Dies sei vorliegend beides nicht der Fall. Hinsichtlich desAtomkonsenses als solchem habe das Land überhaupt keineRechtsposition, denn dieser sei als den Gesetzeserlass vorbereiten-de Tätigkeit eindeutig Sache des Bundes, welcher deshalb insoweitvöllig unabhängig von den Ländern agieren könne. Auch der Aus-sagegehalt der Anlage 2 falle in die Sachkompetenz des Bundes;der materielle Aussagegehalt dieser Anlage sei gering, da es sichum typische und politisch übliche Absichtserklärungen handele,die man nicht als rechtsverbindlich qualifizieren könne. Eine Ver-letzung der Wahrnehmungskompetenz liege daher nicht vor.

II. Abweichende Ansicht des Minderheitsvotums

Das Minderheitsvotum betont, dass die Wahrnehmungskompe-tenz das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen sei undsich dieses außengerichtete Handeln nicht auf rechtsförmlichesHandeln beschränke. Das Grundgesetz stelle zum einen keinen ab-schließenden Katalog bestimmter Handlungsformen zur Verfü-gung, noch seien ausdrücklich erwähnte Handlungsformen in-haltlich definiert15; zum anderen könnten die Zwecke eines(Bundes-) Gesetzes auch auf informalem Weg verwirklicht werden.Somit gehörten zur Verwaltungstätigkeit nicht nur gesetzesvoll-ziehende rechtsverbindliche oder diesen gleichkommende Ent-scheidungen mit Außenwirkung16. Vielmehr könne auch infor-males Handeln als Ausführung von Bundesgesetzen gelten, wenneine staatliche Stelle zielgerichtet und unmittelbar auf Privat-

Hentsche l / Hebe ler, Ver fassungsrecht l i che Grenzen für d ie Aus führung von Bundesgesetzen

7 Anlage 2, Absatz 5.8 BVerfGE 81, 310 ff.9 BVerfGE 81, 310 (332).

10 BVerfGE 81, 310 (332 f.).11 BVerfGE 104, 249 (266).12 In der Biblis-Entscheidung hat der Bund durch seine Weisung vom 29.10.1999

seine Sachkompetenz in Anspruch genommen und dies dem zuständigenMinisterium angezeigt. Dieses wurde angewiesen, »Genehmigungen nach § 7Abs. 1 des Atomgesetzes zur Veränderung des Atomkraftwerks Biblis, Block Aoder seines Betriebs erst nach bundesaufsichtlicher Zustimmung zu erteilen«.Damit war für das Hessische Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft undForsten offenkundig, dass sich das Bundesumweltministerium aktiv in das Ver-fahren der Nachrüstung des Kernkraftwerks einzuschalten gedachte; vgl. dazuBVerfGE 104, 249 (268).

13 BVerfGE 104, 249 (267).14 BVerfGE 104, 249 (267).15 BVerfGE 104, 249 (275).16 BVerfGE 104, 249 (275); Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grund-

gesetz-Kommentar, 4. Aufl. 2001, Bd. 3, Art. 83 GG, Rn. 19.

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ZUR 1/200318

rechtssubjekte einwirke, um diese zu einem bestimmten Verhaltenzu bewegen. Dies sei vorliegend der Fall, denn wenn der Bund miteinem KKW-Betreiber in direkte Verhandlungen trete und mit ihmeine Vereinbarung treffe, wie dieser in Zukunft seine atomrecht-liche Genehmigung auszuüben habe, so liege damit Gesetzes-vollzug vor17. Mit der Anlage 2 zur Atomkonsensvereinbarung seiungeachtet ihrer Rechtsqualität in die Zuständigkeit der atom-rechtlichen Aufsichtsbehörde und damit in die Wahrnehmungs-kompetenz des Landes eingegriffen worden. Es sei dem Bundnicht nur, wie dies das Mehrheitsvotum annehme, um die effek-tive und sachgerechte Vorbereitung und Ausübung des Weisungs-rechts oder um Informationsbeschaffung zur Vorbereitung einerspäteren Weisung gegangen, sondern hauptsächlich (wenn nichtgar allein) darum, das konkrete Rechtsverhältnis betreffend Biblis,Block A auszugestalten. Solchermaßen finales Handeln stelle danngesetzesausführende Tätigkeit dar und greife in die Wahrneh-mungskompetenz der Länder ein.

III. Zwischenergebnis

Einig sind sich sowohl die das Mehrheits- als auch die das Minder-heitsvotum tragenden Richter darin, dass die Abgrenzungzwischen der Sach- und der Wahrnehmungskompetenz auch vor-liegend zu treffen ist, Uneinigkeit besteht indes, wo die Grenz-ziehung verläuft. Übereinstimmend gehen sowohl das Mehrheits-als auch Minderheitsvotum davon aus, dass nicht bereits jedwedesIn-Kontakt-Treten vom Bund mit einem außenstehenden Drittenper se als Eingriff in die Wahrnehmungskompetenz verfassungs-widrig ist, sondern erst dann, wenn die Kontaktaufnahme und derKontaktaustausch eine bestimmte Qualität erreicht, über derenBestimmung dann indes Uneinigkeit herrscht.

E. Anwendung der Kalkar II-Grundsätze auf vorliegenden Fall

Legt man die Kalkar II-Grundsätze zugrunde18, verengt sich in derTat alles auf die Frage nach der Verletzung der Wahrnehmungs-kompetenz durch die Anlage 2 der Atomkonsensvereinbarung. Obdies der Fall ist, ist auf Grundlage der Kalkar II-Entscheidung reinformal und in Abgrenzung zum Gegenbegriff der Sachkompetenzzu bestimmen: Liegt Gesetzesvollzug vor, dann ist die Wahrneh-mungskompetenz betroffen, ist dies nicht der Fall, ist (lediglich)die Sachkompetenz betroffen und Rechte des Landes sind nichtverletzt. Das Mehrheitsvotum stellt hier höhere Anforderungen aneine Verletzung der Wahrnehmungskompetenz als das Minder-heitsvotum, indem ersteres auf rechtsverbindliches (oder demgleichzustellendes19) Tätigwerden abstellt, letzteres hingegenschon ein unmittelbar auf Private einwirkendes Tätigwerden mitdem Ziel, diese zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, aus-reichen lässt20. Nach dem Mehrheitsvotum ist somit die Rechts-verbindlichkeit des Handelns das entscheidende Merkmal, damitdas Tatbestandsmerkmal der »Ausführung« eines Bundesgesetzesin Art. 85 I 1 GG erfüllt ist.

I. Die Auslegung des Merkmals »Ausführung« der Bundesgesetze imSchrifttum

In dieser Zuspitzung und in Zusammenhang mit einer solchenFallgestaltung wie der vorliegenden ist das Merkmal der »Aus-führung« der Bundesgesetze im staatsrechtlichen Schrifttum bis-her – soweit ersichtlich – noch nicht definiert worden. Indes deu-tet das herkömmliche Verständnis in Richtung desMehrheitsvotums. Die Literatur betont, dass unter der Ausführungvon Bundesgesetzen – gleich ob nach Art. 83, 84 GG oder nach

Art. 85 GG21 – die »vollzugstypische Konkretisierungsaufgabe« zuverstehen sei22 bzw. dass mit Ausführung von Bundesgesetzen de-ren verwaltungsmäßiger Vollzug gemeint sei23. Begriffe wie »ver-walten«, »ausführen«, »durchführen« und »vollziehen« werdensynonym verstanden24. Nicht unter Ausführung falle die Recht-sprechung und die Parlamentsgesetzgebung, wohl aber der Erlassvon Rechtsverordnungen und anderen untergesetzlichen Normen25.Solche Ausgrenzungen aus dem Begriff der »Ausführung« helfenaber vorliegend kaum weiter: Die Rechtsprechung auszugrenzen,ist im Hinblick auf die speziellen sie betreffenden verfassungs-rechtlichen Vorschriften in den Art. 92 ff. GG überzeugend undauch die Parlamentsgesetzgebung selbst nicht als Ausführung der-selben anzusehen, leuchtet unmittelbar ein. Damit sind aber le-diglich die neben der Exekutive beiden anderen Gewalten der Le-gislative und der Judikative angesprochen; Rückschlüsse darauf,ob informale Handlungsmodi der Exekutive – hier der Bundes-regierung – unter »Ausführung« zu subsumieren sind, ergeben sichdaraus nicht.

Andere Formulierungen gehen dahin, dass der Ausführung ei-nes Gesetzes eine konkrete Handlungsbefugnis oder -pflicht inne-wohnen muss, um die gesetzesausführende Verwaltung von derbloß gesetzesbeachtenden Verwaltung systematisch abgrenzen zukönnen26. Auch dieser Systematisierungsansatz hilft hier nichtweiter, denn er unterscheidet danach, wie das (Parlaments-) Ge-setz, das die Verwaltung anwendet, inhaltlich ausgestaltet seinmuss, damit in dieser Anwendung eine »Ausführung« i.S.d. Art. 83ff. GG zu erblicken ist; dieser Ansatz sagt aber nichts darüber aus,wie das außengerichtete Handeln der Behörde beschaffen seinmuss, damit es als »Ausführung« anzusehen ist.

Der Befund hinsichtlich der bisherigen begrifflichen Auseinan-dersetzungen zur »Ausführung« von Bundesgesetzen nach denArt. 83 ff. GG im Hinblick auf informales Verwaltungshandelnfällt somit unbefriedigend aus.

II. Rechtsverbindlichkeit als entscheidendes Kriterium für eine Ver-letzung der Wahrnehmungskompetenz unter Zugrundelegung derKalkar II-Grundsätze

Trotzdem sprechen die besseren Argumente dafür, dass das Mehr-heitsvotum unter Zugrundelegung der Kalkar II-Grundsätze damitrichtig liegt, lediglich rechtsverbindliches Handeln als Gesetzes-ausführung und somit als Eingriff in die Wahrnehmungskom-petenz anzusehen. Hierfür spricht zum einen ein formal-systema-tisches Argument, zum anderen ein sachlich-inhaltliches.

Aufsätze

17 BVerfGE 104, 249 (276 f.); so im Ergebnis wohl auch Frenz, Atomkonsens undLandesvollzugskompetenz, NVwZ 2002, 561 (562).

18 Diese Zugrundelegung soll hier zunächst als richtig unterstellt werden; obdies zutreffend ist, soll unter F. untersucht werden.

19 Zu diesem Kriterium näher unter G. Unter E. und F. soll sich zunächst ledig-lich mit dem Kriterium der Rechtsverbindlichkeit auseinandergesetzt werden.

20 Siehe dazu unter D. 1. und D. II.21 Die Kommentarliteratur setzt sich regelmäßig mit dem Begriff der »Aus-

führung« in Art. 83 GG auseinander; die Ausführungen gelten aber auch fürArt. 85 GG.

22 Groß, in: Höfling/Friauf (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Lsbl2002, Art. 83 GG, Rn. 20; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommen-tar, 2000, Bd. 3, Art. 83 GG, Rn. 31.

23 Antoni, Zustimmungsvorbehalte des Bundesrates zu Rechtsetzungsakten desBundes – Die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen, AöR 113(1988), 329 (358); Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats-rechts, 1990, Bd. IV, § 101, Rn. 21; Heitsch, Die Ausführung der Bundesge-setze durch die Länder, 2002, 155; BVerfGE 11, 6 (15).

24 Antoni (Fn. 23), 329 (358).25 Blümel (Fn. 23), § 101, Rn. 21.26 Trute (Fn. 16), Art. 83 GG, Rn. 52.

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1. Formal-systematischer Gesichtspunkt

Die Bundesauftragsverwaltung ist geprägt von einem Dreiecks-verhältnis zwischen Bund, Land und außenstehendem Dritten;insgesamt kann man daher in diesem Dreieck drei Schenkelbe-ziehungen (Bund-Land, Land-Dritter und Bund-Dritter) unter-scheiden. In der vorliegend vom Bundesverfassungsgericht zuentscheidenden Fallkonstellation ging es darum, welche Qualitätdas Handeln im Verhältnis Bund-Dritter haben muss, um die sog.Wahrnehmungskompetenz des Landes zu verletzen, die sich derKalkar II-Entscheidung zufolge im Verhältnis Land-Dritter ver-wirklichen muss. Sowohl nach Auffassung des Mehrheits- undMinderheitsvotums in der Biblis-Entscheidung als auch nach derKalkar II-Entscheidung wird man es als eindeutig und unstrittigerachten können, dass jedenfalls bei rechtsverbindlichem Tätig-werden des Bundes gegenüber dem Dritten ein Eingriff in dieWahrnehmungskompetenz des Landes gegeben ist27. Die hier ent-scheidende Frage ist aber, ob zwingend ein rechtsverbindlichesTätigwerden des Bundes dafür nötig ist oder ob auch ein Wenigerausreicht.

Im Verhältnis Bund-Land soll sich nach der Kalkar II-Doktrinstets der Bund inhaltlich durchsetzen können; das alleinige recht-stechnische Mittel, das dem Bund für die Ausübung dieser Sach-kompetenz zur Verfügung steht, ist die Erteilung einer Weisungnach Art. 85 III GG. Eine Weisung kann man in wenigstens zweiHinsichten systematisch aufschlüsseln: Zum einen ist sie ihrer(Rechts-) Natur nach ein rechtstechnisch-formalisiertes Hand-lungsinstrumentarium; zum anderen ist sie ihrer inhaltlichenZielsetzung nach zumeist28 auf ein rechtsverbindliches undrechtsförmliches Handeln ausgerichtet29. Durch den zuletzt ge-nannten Aspekt strahlt die Weisung gleichsam von der Bund-Land-Beziehung auf die Beziehung Land-Dritter aus, da die Wei-sung das vorgibt, was das Land gegenüber dem Dritten zu tunhat. Dies kann (jedenfalls letzten Endes) ebenfalls nur rechtsver-bindliches Tätigwerden sein, denn die Handlungsmodi, die hierbeim Tätigwerden gegenüber dem Dritten angewandt werdenkönnen, können im Ergebnis30 niemals informale sein, sondernsind rechtsförmliche – nämlich Handeln insbesondere durch Ver-waltungsakt.

Weisungserteilung als Ausübung der Sachkompetenz (im Ver-hältnis Bund-Land) und Weisungsausführung als Ausübung derWahrnehmungskompetenz (im Verhältnis Land-Dritter) stehendaher in untrennbarer Beziehung zueinander, und beide genann-ten Schenkelbeziehungen erweisen sich als durch rechtsförmlicheund rechtsverbindliche Instrumente ausgestaltet. Zugleich sinddamit auch die Kompetenzen im Verhältnis Bund-Land und Land-Dritter rechtsförmlich ausgestaltet.

Die Auslegung des Art. 85 GG, wie sie das Bundesverfassungsge-richt in Kalkar II getätigt hat, lässt mithin die Rechtsbeziehungenzwischen den und die Kompetenzen der an der Bundesauftrags-verwaltung Beteiligten bzw. von ihr Betroffenen als rechtsförmlichausgestaltet erscheinen. Dann liegt aber der Schluss sehr nahe,dass auch der Begriff der »Ausführung« der Bundesgesetze in Art.85 GG formal auszulegen ist, damit die »Bundesauftragsverwal-tung« als Verwaltungstypus als in sich systematisch stimmig undgeschlossen erscheint. Mithin sprechen formal-systematische Er-wägungen dafür, das Verhältnis Bund-Dritter ebenfalls dahinge-hend rechtsförmlich auszulegen bzw. auszugestalten, dass derBund dem Dritten gegenüber rechtsförmlich und rechtsverbind-lich tätig werden muss, um in die Wahrnehmungskompetenz derLänder einzugreifen. Alles, was unterhalb dieser formalen Schwellebleibt, ist dann auf Grundlage und in Fortentwicklung der KalkarII-Doktrin keine »Ausführung« der Bundesgesetze im Sinne vonArt. 85 I 1 GG.

2. Sachlich-inhaltlicher Gesichtspunkt

Hinzu kommt ein sachlich-inhaltlicher Gesichtspunkt. Soll derBund die ihm nach Kalkar II zukommende Sachkompetenz sinn-voll ausüben können, so muss er selbstverständlich über den zuentscheidenden Sachverhalt bestmöglich informiert sein. Da derBund aber nicht dem Dritten gegenüber selbst verwaltungs-»wahr-nehmend« tätig wird, sondern das Geschehen zwischen Drittemund dem »wahrnehmenden« Land insofern eigentlich nur »ausder Ferne« beobachten kann, könnte u.U. je nach Einzelfall dieGefahr von Informationsdefiziten auftreten31. Damit dies im Er-gebnis nicht der Fall ist, muss man es dem Bund zugestehen, auchdirekt mit dem Dritten in Kontakt zu treten; dies gestehen imGrundsatz sowohl das Mehrheits- als auch das Minderheitsvotumdem Bund unbestritten zu32. Gerade wenn es sich aber um einepolitisch heikle Fragestellung handelt und es daher nicht nur(grundsätzlich einseitigen) Informationsbedarf des Bundes gegen-über dem Dritten gibt, sondern auch wechselseitigen Austausch-bedarf, drohen die Grenzen zwischen der für eine sinnvolle Ausübung der Sachkompetenz (noch) notwendigen Informa-tionsbeschaffung und des (schon) darüber hinausgehenden,weiterführenden Austausches zu verschwimmen, wenn man keinmöglichst klares Abgrenzungsmerkmal aufstellt. Und dieses Merk-mal ist in der Herbeiführung rechtsverbindlicher Entscheidun-gen33 zu sehen. Hier eine subjektive und damit innere, nicht klarnach außen tretende und somit nur schwer verifizierbare Ziel-richtung als entscheidendes Abgrenzungskriterium anzunehmen,wie dies das Minderheitsvotum tut, führt zu erheblichen, wennnicht gar im Einzelfall so gut wie gar nicht lösbaren, Abgrenzungs-schwierigkeiten.

Diese Abgrenzungsschwierigkeiten werden auch nicht dadurchentscheidend gemindert, dass man eine »Schwerpunkttheorie« da-hingehend aufstellt, dass ein Eingriff in die Wahrnehmungskom-petenz dann vorliegen soll, wenn der Schwerpunkt des infomalenHandelns auf entscheidungsbezogen verhandelnd und nicht aufentscheidungsvorbereitend informativ liegt34. Die einzelnen Pha-

Hentsche l / Hebe ler, Ver fassungsrecht l i che Grenzen für d ie Aus führung von Bundesgesetzen

27 So im Schrifttum auch Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhaltenim Atomrecht, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 11. Deutsches Atomrechtssym-posium, 2002, 369 (387); im Ergebnis so auch Ossenbühl, Novellierung desAtomgesetzes und Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes (Hrsg.) Reform-überlegungen zum Atomrecht, 1991, 27 (101).

28 Gegenstand einer Weisung kann im Einzelfall auch das der Vorbereitung dernach außen hin zu treffenden Entscheidungshandlung dienende Verwal-tungshandeln sein (siehe dazu z.B. Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 85 GG, Rn. 21; BVerfGE 81, 310 (335 f.)). Indiesem Fall wäre die sogleich angeführte Ausstrahlungswirkung nicht unmit-telbar gegeben. Insgesamt ändert dies aber nichts daran, dass man mit Blickauf die formal-systematische Erschließung der Schenkelbeziehungen in derBundesauftragsverwaltung von dieser Ausstrahlungswirkung sprechen kann.

29 Zum Merkmal der Verbindlichkeit etwa näher Loschelder, Die Durchsetzbar-keit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, 65 ff.

30 Das Land mag es, nachdem es eine Weisung des Bundes erhalten hat, je nachFallgestaltung zwar seinerseits für sinnvoll erachten, mit dem Dritten infor-melle Gespräche zu führen, und dieses Vorgehen mag auch als rechtmäßigzu erachten sein, aber dies ändert nichts daran, dass angesichts der Weisungletztendlich ein förmlicher und für den Dritten rechtsverbindlicher Verwal-tungsakt ergehen muss.

31 Hier stellt sich somit die Frage, ob der Bund bei der Wahrnehmung seinerSachkompetenz verpflichtet ist, sich ausschließlich an die zuständigeLandesbehörde zu wenden oder ob es ihm gestattet ist, mit dem Betreiberunmittelbaren Kontakt aufzunehmen. Vgl. auch Hermes, Verwaltungs-kompetenzen des Bundes und Bund-Länder-Kooperation, in: Koch/Roßnagel(Hrsg.), 11. Deutsches Atomrechtssymposium, 2002, 347 (362).

32 So auch Hermes (Fn. 31), 347 (363) und Ossenbühl (Fn. 27), 27 (100) jeden-falls bei Eilbedürftigkeit und dem Interesse nach ungefilterter Information.Tendenziell anderer Auffassung – soweit ersichtlich als einziger – Steinberg,Verfassungsrechtliche Fragen einer Reform des Atomgesetzes, insbesondereder Verteilung der Verwaltungskompetenzen im Bundesstaat, in: Lukes/Birk-hofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechtssymposium, 1991, 67 (79).

33 Zu dem zusätzlichen Merkmal »oder diesen gleichzusetzende« siehe unter G.34 So Reicherzer, Anmerkung zu BverfGE 104, 249 ff., DVBl. 2002, 557 (558).

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ZUR 1/200320

sen bzw. Bestandteile der Kontaktaufnahme dürften häufig kaumauszumachen sein, eine eindeutige »Schwerpunkt«-zuordnungwäre dementsprechend nicht möglich. Dass eine Schwerpunkt-betrachtung bei vielgestaltigen behördlichen Handlungsweisenein unsicheres Rechtsmerkmal ist, zeigt nicht zuletzt auch dieSchwerpunkttheorie, wie sie zur Abgrenzung von präventivem,gefahrenabwehrrechtlichem Handeln und repressivem, strafver-folgendem Handeln im Polizeirecht vertreten wird35. Allenfalls inErmangelung besserer Alternativlösungen mögen solche Schwer-punktbetrachtungen ggf. ihre Berechtigung haben, nicht aberdann, wenn – wie hier dargelegt – andere Kriterien herangezogenwerden können, die zu sachgerechten Lösungen führen.

F. Die Kalkar II-Grundsätze im Bereich informalen Handelnsdurch den Bund – ein überzeugendes Modell?

In der Frage der Anwendbarkeit der Kalkar II-Grundsätze ist die Biblis-Entscheidung denkbar knapp gefasst. Sowohl das Mehrheits- alsauch das Minderheitsvotum verwenden nämlich überhaupt keineMühe und auch keinen Raum darauf, zu er- bzw. begründen, wiesodie dargestellte Kalkar II-Formel hier Anwendung zu finden hat36.Statt dessen fallen beide Voten gleichsam mit der Tür ins Hausund wenden die Kalkar II-Formel auf die Biblis-Fallgestaltung an.Gibt es hier nicht aber entscheidende Sachverhaltsunterschiede,die eine Adaption verbieten?

Auf den Unterschied, dass es bei Kalkar II im Wesentlichenlediglich um das staatliche Binnenverhältnis zwischen Bund undLand (im Hinblick auf das Weisungsrecht) ging, wurde bereits hin-gewiesen37. Mit dem außenstehenden Dritten setzte sich die Kal-kar II-Entscheidung allenfalls dahingehend kurz auseinander, dasses das Land ist, welches ihm gegenüber »wahrnehmend« tätigwird. Im Biblis-Urteil hingegen geht es maßgeblich um das Einge-bundensein des Dritten in die Dreiecksbeziehung. Des Weiterensteht auch hier nicht, wie bei Kalkar II, der Erlass einer Weisungnach Art. 85 III GG unmittelbar in Frage. Die Weisung hätteallenfalls ganz am Ende stehen können, nachdem die Atom-konsensgespräche zwischen Bund und Drittem lange abgeschlos-sen gewesen wären und das Land nach außen hin gegenüber demDritten rechtsverbindlich in einer dem Bund inhaltlich nicht ge-nehmen Weise tätig geworden wäre. Vorliegende Biblis-Konstel-lation bewegt sich also im Vorfeld einer Weisung.

Bezogen auf diese Tatsache drängt sich die Frage auf, ob man beider Entscheidungsfindung nicht in einem ersten Zugriff näher amWortlaut und originären Aussagegehalt des Art. 85 GG hätteargumentieren müssen und allenfalls hilfsweise auf Kalkar II hättezugreifen sollen.

Bei der Biblis-Entscheidung ging es letztlich um die Frage nachder Verteilung der Verwaltungsbefugnisse zwischen Bund undLand in der Bundesauftragsverwaltung. Art. 85 GG beschreibt alsvor die Klammer gezogene allgemeine Regel die Bundesauftrags-verwaltung als Typus38, so dass auch allenfalls aus dieser Normheraus sich Erkenntnisse für die Falllösung finden lassen könnten.Der Begriff des »Ausführens« der Bundesgesetze in Art. 85 I 1 GGsagt, wie bereits festgestellt wurde39, direkt nichts dazu, ob infor-males Handeln (hier: des Bundes) darunter fällt. Man kann Art. 85I 1 GG aber immerhin entnehmen, dass Bundesauftragsverwal-tung – ebenso wie die Ausführung der Bundesgesetze als eigeneAngelegenheit in Art. 83, 84 GG und anders als die bundeseigeneVerwaltung in Art. 86 GG – Landesverwaltung ist40. Daraus folgt,dass Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf den Gesetzesvollzug –wiederum ebenso wie bei Art. 83, 84 GG und anders als bei Art. 86GG – nur insoweit bestehen, als sie sich anhand des Grundgeset-zes ausdrücklich belegen lassen41. Diese Einwirkungsbefugnisse

sind nun aber in Art. 85 GG in ganz besonderer Weise ausgestal-tet42: Das in Art. 85 III GG normierte Weisungsrecht ist inhaltlichunbeschränkt, denn nach Art. 85 IV GG erstreckt sich die Bun-desaufsicht im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung neben derRechtmäßigkeit auch auf die Zweckmäßigkeit der Ausführung43.Über dieses Weisungsrecht hat mithin der Bund die vollständigeinhaltliche Kontrollkompetenz inne. Bundesauftragsverwaltungals einerseits Landesverwaltungstypus bei gleichzeitiger inhaltli-cher Bundeskompetenz ist aber im Ergebnis genau das, was dasBundesverfassungsgericht in der Kalkar II-Entscheidung mit sei-nen Begriffen Wahrnehmungs- und Sachkompetenz zum Aus-druck bringen wollte und auch zum Ausdruck gebracht hat.

Somit erweist sich die Kalkar II-Entscheidung doch als umfas-send und weitreichend. Denn in ihr wurde auf den ersten Blickzwar offenbar lediglich eine bestimmte (nämlich die Kalkar II zu-grundeliegende) Sachverhaltskonstellation entschieden; in Wirk-lichkeit hat diese Entscheidung aber weit darüber hinausreichen-de Bedeutung und stellt eine grundlegende, wenn auch in Teilenauf den ersten Blick noch lückenhaft anmutende, systematischeErschließung der Dreiecksbeziehungen Bund-Land-Dritter in derBundesauftragsverwaltung dar. Eine Problematik, die in Kalkar IInoch nicht zur Disposition stand, ist nun durch die Biblis-Ent-scheidung gelöst worden – nämlich die Frage nach dem Verlet-zungspotential von informalen Handlungsweisen im VerhältnisBund-Dritter im Hinblick auf die dem Land zustehende Wahr-nehmungskompetenz.

Der Sache nach ist es daher in jedem Fall zutreffend, die Biblis-Entscheidung aufbauend auf den Kalkar II-Grundsätzen zu treffen;ob man in begrifflicher Hinsicht auch bei Biblis zwingend mit denBegriffen der Sach- und der Wahrnehmungskompetenz operierenmuss, ist damit nicht ausgemacht, erscheint aber sinnvoll, umnicht noch andere Begrifflichkeiten einführen zu müssen, diemehr verwirren als zur inhaltlichen Klärung beitragen.

G. Das Merkmal der den rechtsverbindlichen Entscheidungen»gleichkommenden Erklärungen«

Das Mehrheitsvotum lässt indes noch die wichtige Frage offen,was unter der Wendung verstanden werden soll, dass die Wahr-

Aufsätze

35 Siehe dazu und zur Kritik an dieser Schwerpunkttheorie etwa Gusy, Polizei-recht, 4. Aufl. 2000, Rn. 387 ff.; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2002,Rn. 423.

36 Zwar stellt das Mehrheitsvotum fest, dass die vorliegende Sachverhalts-konstellation nicht der der Kalkar II-Entscheidung entspricht, da es an einerWeisung fehlt, und somit die Kalkar II-Grundsätze einer Fortentwicklung be-dürfen, vgl. BVerfGE 104, 249 (270). Die eigentliche Frage aber, ob die Fall-konstellation auch losgelöst von Kalkar II entschieden werden kann, stelltsich das Bundesverfassungsgericht nicht.

37 Oben unter D. am Anfang.38 Loschelder (Fn. 29), 86. Andere Vorschriften, die auch Regelungen die Bun-

desauftragsverwaltung betreffend enthalten (wie z.B. Art. 87 b II 2, 87 c, 89II 3, 120 a I GG), haben insoweit keine wesentlichen Aussagegehalte.

39 Siehe oben unter E. I.40 Dies war bereits bis zur Kalkar II-Entscheidung ganz herrschende Auffassung

und wird seitdem, soweit ersichtlich, einheitlich so gesehen (so auch Hermes(Fn. 22), Art. 85 GG, Rn. 17 in Fn. 67). Allenfalls im älteren Schrifttum ausder Frühzeit der Bundesrepublik gab es vereinzelte Stimmen, die Bundes-auftragsverwaltung als mittelbare oder auch unmittelbare Bundesverwaltungcharakterisierten (siehe dazu die Nachweise bei Tschentscher, Bundesaufsichtin der Bundesauftragsverwaltung, 1992, 37).

41 Loschelder (Fn. 29), 87.42 Näher dazu Sommermann, Grundfragen der Bundeauftragsverwaltung, DVBl.

2001, 1549 (1551); Hebeler, Die Ausführung der Bundesgesetze, Jura 2002,164 (168); insgesamt zu Art. 85 GG als Verwaltungstypus Sommermann,a.a.O. durchgehend; Ossenbühl, Weisungen des Bundes in der Bundesauf-tragsverwaltung, Der Staat 28 (1989), 31, (33 f.); Loschelder (Fn. 29), 21 f.

43 Vgl. dazu Groß (Fn. 22), Art. 85 GG, Rn. 18.

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21ZUR 1/2003

nehmungskompetenz des Landes nicht nur dann verletzt werde,wenn der Bund gegenüber dem Dritten rechtsverbindlich tätigwerde, sondern auch »durch die Abgabe von Erklärungen, dieeiner rechtsverbindlichen Entscheidung gleichkommen«44. DasMehrheitsvotum enthält sich jeglicher näherer diesbezüglicherAusführungen, weil es hier angesichts des eindeutig lediglich po-litisch bindenden Charakters nicht darauf ankomme45. Es formu-liert lediglich beiläufig, dass für ein Handeln, »das seinem Gewichtnach« einer rechtsverbindlichen Entscheidung gleichkomme, vor-liegend keine Anhaltspunkte bestünden46. Durch den Begriff »Ge-wicht« ist erkennbar, dass die der rechtsverbindlichen Entschei-dung gleichkommende Erklärung sich offenbar allein durch einmaterielles (Schwere-) und kein formales Kriterium auszeichnet.

Mit diesem Kriterium will sich das Bundesverfassungsgerichtmöglicherweise für noch nicht näher absehbare und abschätzba-re Fallgestaltungen eine Hintertür offen halten, bei denen aus sei-ner Sicht das Kriterium der rechtsverbindlichen Entscheidungs-herbeiführung nicht ausreichend ist, um einen Eingriff in dieWahrnehmungskompetenz vollständig abzustecken.47 Es ist abernicht ersichtlich, wieso das Rechtsverbindlichkeitskriterium hier-für nicht ausreichend sein soll. Die obigen Ausführungen48 habenverdeutlicht, dass die Rechtsbeziehungen in Art. 85 GG formalausgestaltet sind und daher auch die Maßnahme ihrerseits recht-liche Verbindlichkeit herbeiführen muss, um in die Wahrneh-mungskompetenz der Länder einzugreifen. Wieso diese Lesartdurch eine sehr vage formulierte Öffnungsklausel erweitert undaufgeweicht wird, ist nicht ersichtlich49. Daher ist im Ergebnis dasvom Mehrheitsvotum zusätzlich angeführte Merkmal der denrechtsverbindlichen Entscheidungen gleichkommenden Er-klärungen abzulehnen und insofern dem Mehrheitsvotum nichtzuzustimmen.

H. Schluss

Mit der Biblis-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht dieAbgrenzungskautelen des Kalkar II-Urteils zwischen Sach- undWahrnehmungskompetenz auf den Bereich des informalen Han-delns durch den Bund im Kern zutreffend ausgeweitet. Der Mehr-heitsmeinung ist in Bezug auf die Erforderlichkeit rechtsverbindli-

chen Handelns für eine Verletzung der Wahrnehmungskompetenzdes Landes Recht zu geben, das Merkmal der »Erklärung, die einerrechtsverbindlichen Entscheidung gleichkommt« ist jedoch abzu-lehnen. Bei der Wahrnehmung der Sachkompetenz im Rahmen derBundesauftragsverwaltung ist es dem Bund somit nicht verboten, inunmittelbarem Kontakt zu den Betreibern zu treten und beispiels-weise – wie bei der Biblis-Entscheidung – politische Absprachen zutreffen, die sich auf die zukünftige Wahrnehmung der Sachkom-petenz (Weisung) beziehen.50

Hentsche l / Hebe ler, Ver fassungsrecht l i che Grenzen für d ie Aus führung von Bundesgesetzen

44 BVerfG 104, 249 (267).45 BVerfG 104, 249 (267).46 BVerfG 104, 249 (267).47 Reicherzer (Fn. 34), 557 (558) führt als Beispiel für eine Gefährdung der Kom-

petenzordnung, wenn die Erheblichkeitsschwelle rechtsgleicher faktischerBindung noch nicht erreicht ist, den Fall an, dass der Bund allmählich in klei-nen Schritten eine »Schattenverwaltung« zum Vollzug der Bundesgesetzeaufbaut und somit eine schleichende Erosion der Wahrnehmungskompetenzder Länder herbeiführt.

48 Unter E. II.49 Durch dieses vage Kriterium nähert sich das Mehrheitsvotum etwas dem

Minderheitsvotum an, indem von dem formalen Kriterium der Rechtsver-bindlichkeit abgerückt wird. Wieweit diese Annäherung an das Minder-heitsvotum aber reicht, bleibt letztlich, weil nicht näher ausgeführt, unklar.

50 Hermes (Fn. 32), 347 (366).

Anja Hentschel

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet »Öffentliches Recht, insbesondere

Umwelt- und Technikrecht« (Prof. Dr. A. Roßnagel) an der Universität Kassel,

Nora-Platiel-Straße 5, 34109 Kassel; Interessengebiete: Verwaltungsrecht, ins-

besondere Umwelt- und Technikrecht, Energierecht; Aktuelle Veröffentlichung:

Tagungsbericht zum 11. Deutschen Atomrechtssymposium, ZNER 2002, 37 ff.

Dr. Timo Hebeler

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Öffentliches Recht, Rechtsver-

gleichung und Verwaltungswissenschaft (Prof. Dr. Th. Groß) an der Universität

Gießen, Licher Straße 64, 35394 Gießen; Interessengebiete: Staatsrecht, Ver-

waltungsrecht (insbesondere Sozialrecht); Aktuelle Veröffentlichungen: Die

Sicherstellung von Kraftfahrzeugen im Wege des Abschleppens zum Schutz des

Eigentümers wegen Verlust- und Beschädigungsgefahr, NZV 2002, 158 ff.; Das

polizeiliche Schutzgut der öffentlichen Ordnung, JA 2002, 521 ff.

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ZUR 1/200322

BVerwGAutobahnbau A 44Urteil vom 17. Mai 2002 – 4 A 28.01

Leitsätze:1. Eine Alternativlösung i.S.d. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ist nur dann gegeben,

wenn sich das Planungsziel trotz ggf. hinnehmbarer Abstriche auchmit ihr erreichen lässt.

2. Der Vorhabenträger braucht sich auf eine technisch mögliche Alter-nativlösung nicht verweisen zu lassen, wenn sich Art. 6 Abs. 4 FFH-RLam Alternativstandort als ebenso wirksame Zulassungssperre erweistwie an dem von ihm gewählten Standort.

3. Der Vorhabenträger darf von einer Alternativlösung Abstand neh-men, die technisch an sich machbar und rechtlich zulässig ist, ihm aberOpfer abverlangt, die außer Verhältnis zu dem mit ihr erreichbarenGewinn für Natur und Umwelt stehen.

4. Eine Alternativlösung darf ggf. auch aus naturschutzexternen Gründenals unverhältnismäßiges Mittel verworfen werden.

5. Wieweit das Anliegen, das Verkehrslärmniveau im innerörtlichen Be-reich zu senken, oder das Interesse, die Projektkosten in Grenzen zuhalten, bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung durchschlägt, hängt vondem Gewicht ab, das ihm im konkreten Fall zukommt.

Der Planfeststellungsbeschluss des Hessischen Ministeriums für Wirt-schaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 5. April 2001 ist rechts-widrig. Er darf nicht vollzogen werden.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Aus den Gründen:I.Der Kläger, ein anerkannter Naturschutzverband, wendet sich gegenden Neubau der Bundesautobahn A 44 im Teilabschnitt HessischLichtenau-West bis Hessisch Lichtenau-Ost.(...)

Das »Lichtenauer Hochland« wurde im September 2000 als FFH-Gebiet gemeldet.(...)

Im Laufe des Jahres 2001 bestätigte sich die Vermutung, dass es indem maßgeblichen Landschaftsraum auch eine Kalktuff-Quelle(Code Nr. *7220) gibt, die nach Anhang I der Richtlinie zum Kreis derprioritären Lebensraumtypen gehört. Im Süden von Hessisch Lich-tenau wurden die »Reichenbacher Kalkberge« und das »Weißbachtalbei Reichenbach« als FFH-Gebiete gemeldet.(...)

II.

A. Die Klage ist zulässig.1. Das Bundesverwaltungsgericht ist nach § 5 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. l

Nr. 5 VerkPB erstinstanzlich zuständig.(...)2. Der Kläger ist klagebefugt. Er ist ein anerkannter Naturschutzver-

ein im Sinne des § 29 Abs. 2 BNatschG a.F. An dieser Rechtsstellunghat sich durch das Bundesnaturschutzgesetz vom 25. März 2002(BGBl 1 S. 1193) nichts geändert (vgl. § 69 Abs. 7 Satz 1 BNatSchGn.F.).(...)

Der Kläger hält dem Beklagten vor, den Anforderungen nicht gerechtgeworden zu sein, die sich aus dem FFH-Recht ergeben. Wie der Se-nat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.Mai 1998 – BVerwG 4 A 9.97 – BVerwGE 107, l und vom 27. Januar2000 – BVerwG 4 C 2.99 – BVerwGE 110, 302), gehören die Regelun-gen der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Er-haltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiereund Pflanzen – FFH-RL (ABI EG Nr. L 206 S. 7) zu den Rechtsvor-schriften, die auch den Belangen des Naturschutzes und der Land-schaftspflege zu dienen bestimmt sind. Art. 6 FFH-RL, dessen Ver-letzung der Kläger rügt, macht hiervon keine Ausnahme. Das auf

Rechtsprechung

diese Vorschrift gestützte Klagevorbringen lässt sich nur in einemRandbereich als unbeachtlich qualifizieren. Der Auffassung des Be-klagten, die vom Kläger angesprochenen Fragenkomplexe könntenim Klageverfahren durchweg schon deshalb keiner gerichtlichenKontrolle mehr unterliegen, weil sie nicht innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG zum Gegenstand von Einwen-dungen gemacht worden seien, ist nicht zu folgen. Ihr liegt die Vor-stellung zu Grunde, dass die Präklusionsvorschrift des § 17 Abs. 4 Satz1 FStrG auch auf anerkannte Naturschutzvereine anwendbar sei. Die-se Ansicht war schon nach altem Recht fragwürdig; nach der neuenRechtslage ist sie vollends nicht mehr haltbar. Im Übrigen übersiehtder Beklagte, dass der Kläger selbst bei Anwendung des § 17 Abs. 4Satz 1 FStrG mit seinem Hauptanliegen nicht präkludiert wäre. Denndie Grundlinien des Klagevorbringens lassen sich bereits im Schrei-ben vom 10. Februar 2000 nachzeichnen, das vor Ablauf der Ein-wendungsfrist des § 73 Abs. 4 Satz1l VwVfG bei der Anhörungs-behörde eingegangen ist.(...)

B. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Planfest-stellungsbeschluss ist rechtswidrig und darf nicht vollzogen werden.Er steht nicht in Einklang mit Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL.(...)

1. Der Senat hat im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGHmehrfach entschieden, dass die FFH-Richtlinie schon jetzt für diePlanfeststellung bestimmte Vorwirkungen für den Mitgliedstaatentfaltet (Urteile vom 19. Mai 1998 – BVerwG 4 A 9.97 -a.a.O.; vom27. Januar 2000 – BVerwG 4 C 2.99 – a.a.O. und vom 27. Oktober2000 – BVerwG 4 A 18.99 – BVerwGE 112, 140). Dazu gehört ins-besondere das aus dem Gemeinschaftsrecht folgende Verbot, dieZiele der FFH-Richtlinie zu unterlaufen und vollendete Tatsachenzu schaffen, die geeignet sind, die Erfüllung der vertraglichenPflichten unmöglich zu machen. Wie der Senat in Bezug auf die Be-einträchtigung sog. potentieller FFH-Gebiete durch Straßenbau-vorhaben weiter entschieden hat, kann diese Vorwirkung unter-schiedliche Rechtspflichten auslösen. Drängt es sich auf, dass einpotentielles FFH-Gebiet nach seiner Meldung auch Aufnahme indie Gemeinschaftsliste (vgl. Art. 4 Abs. 2 FFH-RL) finden wird, istdie Zulässigkeit eines dieses Gebiet berührenden Straßenbauvor-habens an den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL zumessen (Urteil vom 27. Januar 2000 – BVerwG 4 C 2.99 – a.a.O.).Kann dagegen die Aufnahme in die Gemeinschaftsliste nicht hin-reichend sicher prognostiziert werden, hat es mit dem Verbot seinBewenden, das Gebiet so nachhaltig zu beeinträchtigen, dass es füreine Meldung und Aufnahme in die Gemeinschaftsliste nicht mehrin Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2000 – BVerwG4 A 18.99 – a.a.O.).

Wäre die Kommission durch gemeinschaftskonformes Verhaltenin die Lage versetzt worden, die Gemeinschaftsliste innerhalb der Fristdes Art. 4 Abs. 3 FFH-RL zu erstellen, so würde das »Lichtenauer Hoch-land« nicht bloß die Merkmale eines potenziellen FFH-Gebiets er-füllen, sondern die Qualität eines Gebiets von gemeinschaftlicher Be-deutung aufweisen. Das folgt aus der im Anhang III (Phase 2 Nr. 1)zur FFH-Richtlinie getroffenen Regelung. Danach werden alle vonden Mitgliedstaaten in Phase 1 ermittelten Gebiete, die prioritärenatürliche Lebensraumtypen bzw. Arten beherbergen, als Gebietevon gemeinschaftlicher Bedeutung betrachtet. Anders als bei der Be-urteilung der Bedeutung der anderen in die Listen der Mitgliedstaa-ten aufgenommenen Gebiete (vgl. hierzu Anhang III Phase 2 Nr. 2)gesteht die Richtlinie der Kommission insoweit keinen Auswahl-spielraum zu. Die Wertung, die dieser Regelung zugrunde liegt, recht-fertigt es, Vorhaben in einem Gebiet, das wegen des Vorhandenseinsprioritärer Biotope oder Arten dem Automatismus des Anhangs III

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23ZUR 1/2003

Phase 2 Nr. 1 unterliegt, dem strengen Regime des Art. 6 Abs. 3 und4 FFH-RL zu unterwerfen (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Mai 1998 –BVerwG 4 A 9.97 – a.a.O. und vom 27. Januar 2000 – BVerwG 4 C 2.99– a.a.O.), während es für Vorhaben in Gebieten ohne prioritäreElemente mit dem Beeinträchtigungsverbot sein Bewenden hat,dessen Wirkungen der Senat im Urteil vom 27. Oktober 2000 –BVerwG 4 A 18.99 -(a.a.O.) näher beschrieben hat.

2. Der Beklagte stellt auf der Grundlage der Ergebnisse der von ihm ver-anlassten Verträglichkeitsprüfung nicht in Abrede, dass die nachseiner eigenen Einschätzung schützenswerten Gebietsteile des »Lich-tenauer Hochlandes« durch das Planvorhaben erheblich beeinträch-tigt werden. Für den Fall einer erheblichen Beeinträchtigung richtetdas FFH-Recht eine Zulassungsschranke auf, die ausschließlich unterden in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bezeichneten Ausnahmevoraussetzungenüberwindbar ist. Fällt das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung nega-tiv aus, so darf das Projekt nur unter dem Vorbehalt verwirklichtwerden, dass zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen In-teresses dies rechtfertigen. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL stellt allerdings klar,dass für eine solche Interessenabwägung erst Raum ist, wenn fest-steht, dass eine Alternativlösung nicht vorhanden ist. In dieserSystematik kommt zum Ausdruck, dass die Gewährung einer Aus-nahme als letztes Mittel in Betracht kommt und zu unterbleibenhat, wenn sich die mit dem Vorhaben verbundenen nachteiligenWirkungen vermeiden lassen. Ist eine Alternativlösung vorhan-den, so hat der Gebietsschutz nach der Konzeption der FFH-Richt-linie Vorrang.

Der Beklagte ist den Erfordernissen, die sich aus der Pflicht zurAlternativenprüfung ergeben, nicht in der FFH-rechtlich gebotenenWeise gerecht geworden, unzutreffend ist seine Annahme, die vonihm bisher verworfene Südtrasse sei keine Alternative im Sinne vonArt. 6 Abs. 4 FFH-RL, sondern ein anderes Projekt, weil sich die mitdem Straßenbauvorhaben verfolgten Ziele mit ihr nicht erreichenließen (dazu 3.). Aber auch die im angefochtenen Planfeststellungs-beschluss vorsorglich angestellte Alternativenbetrachtung hält einerrechtlichen Prüfung nicht Stand (dazu 4.).

3. Der Bau der A 44 dient nach den Angaben des Beklagten nicht nurdem Zweck, eine Lücke im Autobahnnetz im Zuge der Achse Kanal-häfen – Ruhrgebiet – Kassel – Eisenach – Dresden -Görlitz – Polen zuschließen (vgl. PFB S. 156 ff.). Ein weiteres Anliegen ist es insbeson-dere in dem vom Planvorhaben betroffenen Raum, das vorhandeneStraßennetz und die Ortslagen verkehrlich zu entlasten (vgl. PFB S. 166 ff.).(...)

Der Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die Gesamtverkehrsnetz-konzeption, in die sich die A 44 einfügt, nicht beeinträchtigt wird,wenn die Trasse nicht im Norden, sondern im Süden an HessischLichtenau vorbeigeführt wird. Nach seiner Ansicht verfehlt eine Südumfahrung indes das weitere Ziel, die regionalen Verkehrs-probleme zu lösen, so dass es sich gemessen an dem Verkehrskonzeptnicht mehr um eine »Alternative« handle. Dem vermag der Senatnicht zu folgen.

Zu Unrecht hält es der Kläger allerdings für eine sachfremde Er-wägung, bei der Trassierung einer Autobahn, die definitionsgemäßeinem weiträumigen Verkehr zu dienen bestimmt ist, örtlichen In-teressen Rechnung zu tragen. Richtig ist lediglich, dass eine Autobahnnach der vom Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 FStrG getroffenen Grun-dentscheidung grundsätzlich nur gebaut werden darf, wenn für sieein überörtlicher Verkehrsbedarf besteht. Das bedeutet aber nicht,dass der Vorhabenträger sich bei der konkreten Trassierung aussch-ließlich von dem Gedanken leiten lassen darf, den Anforderungen ge-recht zu werden, die an eine Fernverkehrsverbindung zu stellen sind.

Eine Bündelung mit anderen Zielen ist nicht von vornherein ausge-schlossen. Das Planungsinstrumentarium, das der Gesetzgeber imBundesfernstraßengesetz zur Verfügung stellt, darf auch zur Er-reichung von Zielen nutzbar gemacht werden, die über bloße Be-darfsdeckungsmaßnahmen hinausgehen. Nach der Rechtsprechungdes Senats begegnet es daher keinen rechtlichen Bedenken, wenn derVerkehrswegebau als Mittel eingesetzt wird, um regionale Zentren andas weiträumige Straßennetz anzuschließen oder die wirtschaftlicheEntwicklung in bisher unzureichend erschlossenen Räumen zufördern (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Juli 1985 – BVerwG 4 C 40.83– BVerwGE 72, 15, vom 24. November 1989 – BVerwG 4 C 41.88 –BVerwGE 84, 123 und vom 26. März 1998 – BVerwG 4 A 7.97 – Buch-holz 407.4 § 17 FStrG Nr. 137). Als ebenfalls zulässig hat der Senat esangesehen, bei der Trassenwahl maßgeblich darauf abzustellen, dasslokale Verkehrsströme umgelenkt werden und dadurch das nachge-ordnete Straßennetz entlastet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai1998 – BVerwG 4 A 9.97 – a.a.O.).

Genau diese Wirkung möchte der Beklagte im Raum HessischLichtenau erzielen. Nach seinen Angaben lässt sich dieses Ziel mitder Nordvariante weit wirkungsvoller erreichen als mit der Süd-variante. Die Wahllinie bietet in der Tat in höherem Maße die Ge-währ dafür, dass der Durchgangsverkehr abgezogen wird, durchden die Ortsdurchfahrten von Fürstenhagen und von Walburg be-lastet werden.(...)

Von einer Zweckverfehlung kann insoweit gleichwohl keine Redesein. Die Ortsdurchfahrten von Fürstenhagen und Walburg würdenauch im Falle einer Südumgehung spürbar entlastet werden. Ist dieSüdtrasse geeignet, ihrerseits solche erheblichen Entlastungswirkun-gen zu erzeugen, so stellt sie sich auch von dieser Zielrichtung her alsbloße Alternative des vom Beklagten geplanten Projekts dar. Dass sichmit ihr der Zweck der örtlichen Verkehrsentlastung im Vergleich mitder Wahllinie nur suboptimal verwirklichen lässt, rechtfertigt esnicht, ihr den Stempel eines anderen Projekts aufzudrücken. Bleibtdas Ziel(-Bündel) als solches erreichbar, so sind Abstriche am Grad derZielvollkommenheit als typische Folge des Gebots, Alternativen zunutzen, hinnehmbar. Wäre das Tatbestandsmerkmal der Alternativ-lösung schon dann nicht erfüllt, wenn sich das Ziel(-Bündel) nicht ingenau der gleichen Weise wie vom Vorhabenträger geplant erreichenließe, so liefe insoweit Art. 6 Abs. 4 FFH-RL weitgehend leer.

4. Der Beklagte hat die Südumfahrung nicht bloß mit der Begründungausgeschlossen, sie mache die Verwirklichung des Planungsziels un-möglich (vgl. PFB S. 313). Er hat die Südtrasse auch mit dem Argu-ment verworfen, »bezüglich des Zieles Sicherung des Zusammen-hangs des Netzes Natura 2000’« sei südlich von Hessisch Lichtenaujedenfalls »eine günstigere Alternative ... nicht gegeben« (vgl. PFB S. 328). Dies lässt darauf schließen, dass er sich der nach Art. 6 Abs. 4FFH-RL gebotenen Alternativenbetrachtung nicht grundsätzlich ent-zogen hat. Die von ihm in diesem Zusammenhang angestellten Er-wägungen reichen indes nicht aus, um der getroffenen Planungs-entscheidung eine tragfähige Grundlage zu verschaffen.

a) Der Beklagte nimmt mehr oder weniger pauschal Bezug auf das Er-gebnis der im Rahmen der fachplanerischen Abwägung nach § 17Abs. 1 Satz 2 FStrG vorgenommenen Alternativenprüfung (vgl. PFBS. 328). Mit dieser Vorgehensweise wird er jedoch schon vom Ansatzher der Bedeutung nicht gerecht, die der Alternativenproblematik inder FFH-rechtlichen Verträglichkeitsprüfung zukommt. Die Alterna-tivenprüfung, die Art. 6 Abs. 4 FFH-RL vorschreibt, erfüllt eine ande-re Funktion als die Alternativenprüfung, die sich im deutschenPlanungsrecht herkömmlicherweise nach den zum Abwägungsgebotentwickelten Grundsätzen richtet. Lässt sich das Planungsziel an

BVerwG, Autobahnbau A 44

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ZUR 1/200324

einem nach dem Schutzkonzept der FFH-Richtlinie günstigerenStandort oder mit geringerer Eingriffsintensität verwirklichen, somuss der Projektträger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Einirgendwie gearteter Gestaltungsspielraum wird ihm nicht einge-räumt. Schon aufgrund seines Ausnahmecharakters begründet Art. 6Abs. 4 FFH-RL ein strikt beachtliches Vermeidungsgebot, das zu La-sten des Integritätsinteresses des durch Art. 4 FFH-RL festgelegtenkohärenten Systems nicht bereits durchbrochen werden darf, wenndies nach dem Muster der Abwägungsregeln des deutschen Pla-nungsrechts vertretbar erscheint (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.Oktober 2000 – BVerwG 4 A 18.99 – a.a.O.), sondern nur beiseite ge-schoben werden darf, soweit dies mit der Konzeption größtmöglicherSchonung der durch die FFH-RL geschützten Rechtsgüter vereinbar ist(vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2000 – BVerwG 4 C 2.99 – a.a.O.).

b) Der Beklagte hat möglicherweise deshalb von einer den Anforderun-gen des FFH-Rechts genügenden Alternativenprüfung abgesehen,weil er davon ausgegangen ist, dass »bei allen Südvarianten ebenfallsein FFH-Gebiet erheblich betroffen« wäre (vgl. PFB S. 328). Diese Fest-stellung entspricht indes nicht den Tatsachen. Aufgrund der Ermitt-lungen des Senats steht fest, dass sich südlich von Hessisch Lichten-au eine Trassenvariante verwirklichen lässt, bei der keines der beidenim Zeitpunkt der Planungsentscheidung gemeldeten FFH-Gebiete»Reichenbacher Kalkberge« und »Weißbachtal bei Reichenbach« inAnspruch genommen werden muss. Trotz dieser Erkenntnis stellt sichdie Frage, ob es sich bei dieser Variante um eine Alternativlösung imSinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL handelt, nach Ansicht des Beklagtendeshalb nicht, weil die Trasse durch einen Landschaftsraum führe, derseinerseits ebenso wie die »Reichenbacher Kalkberge« und das »Weiß-bachtal bei Reichenbach« die Merkmale eines FFH-Gebiets aufweise.Eine Meldung dieses Gebiets sei bisher zwar nicht erwogen worden,erscheine aber auf der Grundlage der Ergebnisse der inzwischen ver-anlassten Untersuchungen, gemessen an den im Anhang III (Phase1) zur FFH-Richtlinie genannten Auswahlkriterien, unumgänglich.Die nunmehr entstandene Pattsituation, die dadurch gekennzeich-net sei, dass sich die Erhaltungsziele in dem einen FFH-Gebiet nur umden Preis der Aufopferung von Erhaltungszielen in dem anderenFFH-Gebiet wahren lassen, verbiete es – so die Einschätzung des Be-klagten -, die eine oder die andere Lösung als vorzugswürdige Alter-native anzusehen.

Diese Betrachtungsweise vermag der Senat so nicht zu teilen. Sie istzu undifferenziert, um dem normativen Zusammenhang Rechnungzu tragen, in dem die FFH-rechtliche Alternativenregelung steht. Fälltdie nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gebotene Verträglichkeitsprüfungnegativ aus, so ist das Vorhaben grundsätzlich unzulässig. Die Alter-nativenprüfung fügt sich in diesen Verbotstatbestand ein. Ist eineAlternativlösung vorhanden, so setzt sich die Sperrwirkung durch.Diesem Regelungsmuster entspricht es, bei der Alternativenprüfungspiegelbildlich vorzugehen und vorrangig zu fragen, ob dem Vor-haben auch am Alternativstandort rechtliche Hindernisse im Wegestehen. Lässt sich das Projekt im Einklang mit den rechtlichen Vor-gaben anderswo verwirklichen, so hat der Vorhabenträger nach derKonzeption des FFH-Rechts diese Möglichkeit grundsätzlich zu nut-zen. Dagegen braucht er sich auf eine technisch machbare Alternati-vlösung nicht verweisen zu lassen, wenn sich das Vorhaben auch amAlternativstandort nur unter Verstoß gegen eine Verbotsregelungausführen ließe. Als insoweit relevante Zulassungssperre kann sichauch Art. 6 FFH-RL erweisen. Erforderlich ist jedoch, dass diese Vor-schrift am Alternativstandort eine gleich wirksame rechtliche Hürdewie an dem vom Vorhabenträger gewählten Standort aufrichtet.Nach der Systematik der FFH-Richtlinie kann, aber muss dies nichtder Fall sein. Es kann nicht, wie es dem Beklagten vorschwebt, das Be-einträchtigungspotential in dem einen und dem anderen FFH-Gebiet

unbesehen gleichgesetzt werden. Bei einem Vergleich ist den Leitge-danken der FFH-Richtlinie Rechnung zu tragen. Art. 6 FFH-RL enthältDifferenzierungsmerkmale, die sich als Gradmesser dafür verwendenlassen, wie schwer die Beeinträchtigung im Einzelfall wiegt. DieVorschrift gewährleistet keinen allumfassenden Flächenschutz. Sierichtet vielmehr ein schutzgutbezogenes Regime auf. Ein Verbot siehtsie nur für den Fall vor, dass die in den Anhängen I und II aufge-führten schützenswerten Lebensraumtypen und Tierarten erheblichbeeinträchtigt werden. Die Beeinträchtigung sonstiger Gebietsteilebewertet sie, für sich genommen, als irrelevant. Soweit es um die Zu-lassung von Ausnahmen geht, unterscheidet sie zwischen prioritärenund nicht prioritären Biotopen und Arten. Die insoweit getroffeneRegelung lässt den Schluss zu, dass sie prioritäre Elemente als schutz-bedürftiger einstuft als nicht prioritäre. Innerhalb der Gruppen vonprioritären oder nicht prioritären Lebensraumtypen oder Arten legtsie hingegen weder qualitativ noch quantitativ ein Rangverhältnisfest. Die Feindifferenzierungskriterien, die bei den Eintragungen in dasvon der Kommission nach Art. 4 Abs. 1 Satz 6 FFH-RL ausgearbeiteteMeldeformular bei der Gebietsmeldung zu beachten sind, haben ent-gegen der Auffassung des Klägers im Anwendungsbereich des Art. 6FFH-RL bei dem im Rahmen der Alternativenprüfung gebotenenTrassenvergleich außer Betracht zu bleiben. Von entscheidender Be-deutung ist vielmehr, ob am Alternativstandort eine Linienführungmöglich ist, bei der keine der als Lebensraumtypen oder Habitate be-sonders schutzwürdigen Flächen erheblich beeinträchtigt werden oderjedenfalls prioritäre Biotope und Arten verschont bleiben.

c) Gemessen an diesen Kriterien spricht nach dem gegenwärtigem Ver-fahrensstand manches dafür, dass die Südumfahrung bei einem Ver-gleich mit der Wahllinie unter FFH-Gesichtspunkten den Vorzug ver-dienen könnte.(...)

Nach der derzeitigen Datenlage kommt mithin die Südtrasse unterFFH-Gesichtspunkten als schonendere Lösung ernstlich in Betracht.(...)

d) Eine abschließende Bilanz lässt sich gleichwohl nicht ziehen. Erst dasanhängige Verfahren hat den Anstoß dazu gegeben, im Einzelnen derFrage nachzugehen, wie der Landschaftsraum, der für eine Alter-nativlösung in Betracht kommt, unter FFH-Gesichtspunkten ein-zustufen und im Vergleich mit dem »Lichtenauer Hochland« zu be-werten ist. Der Beklagte hat sich zwar aufgrund der bisherigenNachforschungen davon überzeugt, dass das Gebiet meldewürdig ist,er hat sich aber in der Zeitspanne seit dem Aufklärungsbeschluss desSenats vom 18. Dezember 2001 ein zuverlässiges Bild vom Aus-stattungspotential nicht verschaffen können. Die von ihm aufge-nommenen Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.

Der Senat sieht keinen Anlass, das Ende dieser Ermittlungen abzu-warten oder selbst aufzuklären, wie es um die ökologische Qualitätdes Raums südlich von Hessisch Lichtenau im Einzeln bestellt ist. Feststeht, dass die im Planfeststellungsbeschluss vom 5. April 2001 in Ab-rede gestellte Möglichkeit einer Alternativlösung ernsthaft in Be-tracht zu ziehen ist. Die vom Beklagten getroffene Planungsent-scheidung weist in diesem Punkt ein Defizit auf, das auszuräumennicht Aufgabe des Gerichts sein kann. Die Frage, ob ein FFH-Gebietin seiner Wertigkeit einem anderen vergleichbar ist oder nicht, istebenso wie die Frage, ob ein Gebiet überhaupt FFH-würdig ist, an-hand der hierfür maßgeblichen ökologischen Kriterien der FFH-Richt-linie zu beantworten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2002– BVerwG 4 A 15.01 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Eine fachli-che Bewertung, die den Anforderungen der Richtlinie standhält, stehtaus. Dem Beklagten ist es jedenfalls nicht gelungen, den Mangel, derdem Planfeststellungsbeschluss vom 5. April 2001 anhaftet, im an-hängigen Verfahren zu beheben.

Rechtsprechung

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25ZUR 1/2003

e) Der dargelegte Mangel bei der Alternativenprüfung ist nicht deshalbohne rechtliche Bedeutung, weil der Beklagte die Südtrasse aus an-deren, naturschutzexternen Gründen als Projektvariante hätte ver-werfen dürfen. Auch insoweit genügen die vom Beklagten im ge-richtlichen Verfahren vorgetragenen Erwägungen nicht, um denPlanfeststellungsbeschluss als im Ergebnis richtig anzusehen.

Richtig ist freilich, dass ein Vorhabenträger auch aus Erwägungen,die sich nicht unmittelbar auf das FFH-Recht zurückführen lassen,von einer technisch an sich möglichen und rechtlich zulässigenAlternativlösung Abstand nehmen darf. Obwohl dies im Wortlaut desArt. 6 Abs. 4 FFH-RL nicht zum Ausdruck kommt, versteht sich vordem Hintergrund des in Art. 5 Abs. 3 EGV gemeinschaftsrechtlich ver-ankerten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von selbst, dass auchim Anwendungsbereich dieser Norm niemandem unverhältnis-mäßige Opfer abverlangt werden dürfen. Dabei ist nach der Recht-sprechung des EuGH freilich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl.EuGH, Urteile vom 27. Juni 1990 – C-118/89 – Slg. 1990, 1-2653 Rn. 12 und vom 21. Januar 1992 – C-319/90 – Slg. 1992, 1-214 Rn. 12). Die dem Vorhabenträger durch die Alternativenregelung an-gesonnenen Vermeidungsanstrengungen übersteigen das zumutba-re Maß nur dann, wenn sie außerhalb jedes vernünftigen Verhält-nisses zu dem mit ihnen erreichbaren Gewinn für Natur und Umweltstehen. Wie der Senat im Urteil vom 27. Januar 2000 – BVerwG 4 C2.99 – (a.a.O.) dargelegt hat, können in diesem Zusammenhang auchfinanzielle Erwägungen den Ausschlag geben. Ob Kosten oder son-stige Belastungen und Nachteile außer Verhältnis zu dem nach Art. 6 FFH-RL festgelegten Schutzregime stehen, ist am Gewicht derbeeinträchtigten gemeinschaftlichen Schutzgüter zu messen. Richt-schnur hierfür sind die Schwere der Gebietsbeeinträchtigung, Anzahlund Bedeutung etwa betroffener Lebensraumtypen oder Arten sowieder Grad der Unvereinbarkeit mit den Erhaltungszielen.

Gemessen an diesen Anforderungen kann sich der Beklagte nachdem derzeitigen Erkenntnisstand der nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RLgebotenen Alternativenprüfung weder mit dem Argument der gerin-geren Entlastungswirkung der Südumfahrung noch mit Kostener-wägungen entziehen.ea) Mit der Verlagerung von innerörtlichem Verkehr auf die Autobahnverfolgt er das Ziel, in den vom Durchgangsverkehr besonders be-troffenen Ortschaften das Immissionsniveau zu senken. Nicht jedeVerbesserung der Immissionsverhältnisse rechtfertigt es indes, dasVerbotsregime des Art. 6 FFH-RL beiseite zu schieben. Insbesonderekann von unzumutbaren Opfern keine Rede sein, wenn die durchVerkehrsimmissionen verursachten Belastungen in gemindertemUmfang in den Grenzen fortbestehen, die nach den Wertungen desinnerstaatlichen Rechts grundsätzlich hinzunehmen sind. Der Be-klagte stellt nicht in Abrede, dass auch die Südvariante dazu führt, dieVerkehrsbelastung in Fürstenhagen und in Walburg auf 8 200 bzw. 5200 Kfz/24 h zu vermindern. Es lässt sich nicht ausschließen, dass dieLärmwerte, die diesen Verkehrsmengen entsprechen, die in § 2 Abs.1 der 16. BImSchV genannten Grenzwerte übersteigen. Dieser Um-stand allein lässt sich aber noch nicht als Indiz für eine nicht hin-nehmbare Lärmbeeinträchtigung werten. Die 16. BImSchV scheidetinsoweit als rechtlicher Maßstab aus. Ihr § 1 Abs. 1 stellt klar, dass sienur für den Bau oder die wesentliche Änderung von öffentlichenStraßen gilt. Auf bestehende Straßen (hier: die Ortsdurchfahrten vonFürstenhagen und von Walburg) ist sie nicht anwendbar. Für sonstigeImmissionen gilt Entsprechendes. Schutzvorkehrungen kommen nurnach Maßgabe des § 74 Abs. 2 Satz 2 und des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfGin Betracht. Eine allgemeine normative Regelung des Inhalts, dass un-ter bestimmten Voraussetzungen Sanierungsmaßnahmen zu ergreifensind, ist dem deutschen Verkehrswegerecht fremd (vgl. BVerwG, Ur-teil vom 9. Februar 1995 – BVerwG 4 C 26.93 – BVerwGE 97, 367).

Der Beklagte behauptet selbst nicht, dass eine Verkehrsmenge von 8200 bzw. 5 200 Kfz/24 h einer Gesundheitsgefährdung gleich- odernahe kommt oder aus sonstigen Gründen so schwerwiegt, dass eineAbhilfe rechtlich unumgänglich erscheinen könnte.(...)eb) Das Kostenargument rechtfertigt ebenfalls nicht zwangsläufig dieSchlüsse, die der Beklagte aus ihm zieht, und zwar weder für sich ge-nommen noch in Verbindung mit dem Gesichtspunkt, dass die Nord-trasse eine stärkere Entlastung von Verkehrslärm zur Folge hat als eineSüdtrasse.(...)

Ob ein zusätzlicher Kostenaufwand als unverhältnismäßig zu qua-lifizieren ist, ist von den Schutzgütern der FFH-Richtlinie her zubestimmen, also danach, ob die Kosten außer Verhältnis zu dem mitArt. 6 Abs. 4 FFH-RL verfolgten Zweck stehen. Je größeren Gewinneine Alternativlösung für die Wahrung der Erhaltungsziele verspricht,desto umfassendere Vermeidungsanstrengungen auch unter Ein-schluss finanzieller Mittel hat der Vorhabenträger zu unternehmen.Eine abschließende Beurteilung ist dem Senat indes auch in diesemPunkt verwehrt, weil weder feststeht, ob und ggf. welche Mehrkostentatsächlich entstünden, noch sich abschätzen lässt, wie intensiv FFH-relevante Schutzgüter beeinträchtigt werden,(...).

5. Der Fehler, der dem Beklagten bei der Behandlung der Alternativen-frage unterlaufen ist, nötigt nicht zur Aufhebung der angefochtenenPlanungsentscheidung. Es kann damit sein Bewenden haben, dassder Planfeststellungsbeschluss vom 5. April 2001 für rechtswidrig undnicht vollziehbar erklärt wird.

Der Senat lässt sich hierbei von den Erwägungen leiten, die ihnauch im Urteil vom 27. Oktober 2000 – BVerwG 4 A 18.99 -(a.a.O.)veranlasst haben, von einer Aufhebung abzusehen. Zwar gehört Art.6 Abs. 4 FFH-RL samt dem Tatbestandsmerkmal der Alternativlösungebenso wie § 8 Abs. 3 BNatschG a.F., der seinerzeit den rechtlichenMaßstab bildete, dem strikten Recht an. Der Gesetzgeber hat aber in§ 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG eine spezifische Fehlerfolgenregelung fürfernstraßenrechtliche Planungsentscheidungen getroffen, die esrechtfertigt, diese Vorschrift auch auf Fehler zu erstrecken, die daraufberuhen, dass die planende Behörde Schranken nicht beachtet hat,die – wie dies auch hier der Fall ist – »bei der Abwägung« nicht über-windbar sind. Der Fehler, an dem der angefochtene Planfest-stellungsbeschluss leidet, ist nicht von solcher Art und Schwere, dassdie Planung als Ganzes von vornherein in Frage gestellt erscheint (vgl.hierzu BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 19.94 –BVerwGE 100, 370).(...)

6. Auch wenn es in dieser prozessualen Situation für die Entscheidungweder von ausschlaggebender Bedeutung ist, ob zwingende Gründedes überwiegenden öffentlichen Interesses das Planvorhaben recht-fertigen, noch darauf ankommt, ob den Anforderungen des Aus-gleichsgebots genügt ist, hält der Senat angesichts der Befugnis desBeklagten, ein ergänzendes Verfahren durchzuführen sowie mit Blickauf das umfangreiche Vorbringen der Beteiligten zu diesen Fragen-komplexen folgende ergänzende Ausführungen für geboten:

a) Der Beklagte sieht als zwingenden Ausnahmegrund bereits den Um-stand an, dass die A 44 im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen alsvordringlicher Bedarf dargestellt ist. Außerdem weist er darauf hin,dass ein Verkehrsprojekt »Deutsche Einheit« verwirklicht, eine Lückein der europäischen Fernstraßenverbindung Kanalhäfen – Ruhrgebiet– Kassel – Eisenach -Dresden – Görlitz – Polen geschlossen undKapazitätsengpässe im Zuge der B 7, B 27 und B 400 abgebaut werdensollen (vgl. PFB S. 328 unter Hinweis auf S. 141 ff. und S. 156 ff.). Die

BVerwG, Autobahnbau A 44

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ZUR 1/200326

Aufnahme des Vorhabens in den Bedarfsplan rechtfertigt nicht dieSchlüsse, die der Beklagte zieht. Ob das öffentliche Interesse, das fürein Projekt ins Feld geführt wird, im Sinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL»überwiegt«, kann nur das Ergebnis einer Bewertung mit dem Inte-gritätsinteresse sein, dessen Wahrung die FFH-RL dient. Fehlt eine sol-che Entscheidung, so kann Art. 6 Abs. 4 FFH-RL schon aus diesemGrunde tatbestandlich nicht erfüllt sein. Es deutet, auch nach demVorbringen des Beklagten, nichts darauf hin, dass der Bundesgesetz-geber bei der Aufnahme der A 44 in den Bedarfsplan die Regelungender FFH-Richtlinie in seine Erwägungen mit einbezogen habenkönnte. Überprüfungsbedürftig ist auch, ob das prognostizierte Ver-kehrsaufkommen im Planungsraum ohne weiteres einen Autobahn-bau rechtfertigt, der den strengen Ausnahmevoraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL gerecht wird. (...)

Die A 44 weist indes zwei weitere Qualifikationsmerkmale auf, dieihr im Vergleich mit sonstigen wichtigen Verkehrsvorhaben erhöhteBedeutung verleihen. Sie zählt zu den Verkehrsprojekten »DeutscheEinheit«, die im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung insoferneine besondere Funktion erfüllen, als sie dazu bestimmt sind, im In-teresse der Schaffung gleicher Lebensverhältnisse in den alten undden neuen Bundesländern des Grundstein für eine gemeinsame In-frastruktur zu legen. Hinzu kommt, dass die A 44 nicht nur im inner-deutschen, sondern auch im gesamteuropäischen Verkehrssystem alswichtiges Bindeglied angesehen wird.(...).

Anmerkung

Die Klage gegen die Planfeststellung eines Streckenabschnitts derBundesautobahn A 44 bot dem BVerwG die Gelegenheit, die Proble-matik der Alternativenprüfung im Rahmen des FFH-Regimes aus-führlich zu erörtern und neue Grundsätze dazu aufzustellen. Dabeihat das Gericht eine differenzierte Position entwickelt, die klare Ab-grenzungen vornimmt sowohl zu der früheren Entscheidung1 zurAlternativenprüfung beim Bau der A 20 als auch zur Alternativen-prüfung im Rahmen der allgemeinen Planfeststellung. Der Vollzugder Planfeststellung des Autobahnteilabschnitts zwischen HessischLichtenau-West und Lichtenau-Ost wurde durch das Gericht ausge-setzt, weil die Alternativenprüfung nicht ordnungsgemäß erfolgt warund deshalb der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig ist. Aus Re-spekt vor den Planungsarbeiten verzichtete das Gericht darauf, denPlanfeststellungsbeschluss insgesamt wegen seiner Rechtswidrigkeitaufzuheben. Die Autobahn lief in ihrer Nordtrasse durch ein – zu spät– angemeldetes, aber noch nicht ausgewiesenes FFH-Gebiet mitprioritären Arten. Es war eine alternative Südtrasse denkbar, die durchGebiete führte, die nicht als FFH-Gebiet nach Brüssel gemeldet waren,von denen die Planfeststellungsbehörde aber nachträglich be-hauptete, dass sie ebenfalls meldepflichtig seien und deshalb denSchutz des FFH-Regimes genießen müssten. Dem folgte das Gerichtauch in tatsächlicher Hinsicht.

Eine Alternativenprüfung ist nach Art. 6 FFH-RL erforderlich, wennin einem FFH-Gebiet durch ein Projekt erhebliche Beeinträchtigun-gen zu erwarten sind. Das war für den Bau der Autobahn durch dasgemeldete Gebiet unstreitig anzunehmen. Das BVerwG stellt seinerbisherigen Rechtsprechung folgend ein potentielles FFH-Gebiet un-ter einen besonderen Schutz. Das Argument ist ebenso einleuchtendwie europarechtsfreundlich. Durch das Versäumnis, FFH-Gebieterechtszeitig nach Brüssel zu melden und auszuweisen, soll den Pflich-tigen kein Vorteil und für den Naturschutz kein Nachteil entstehen.

Da aber nicht alle nach Brüssel gemeldeten Gebiete zwangsläufigvon der Kommission in die Liste der Natura-2000-Gebiete aufgenom-men werden müssen, bringt das Gericht eine Differenzierung an. FürGebiete mit prioritären Arten oder Lebensraumtypen gilt das Schutz-

regime des Art. 6 FFH-RL direkt, weil hier kein Entscheidungsspiel-raum der Kommission besteht, die Gebiete sind zwingend in die Listeder Natura-2000-Gebiete aufzunehmen, sie werden zwingend Be-standteil des Netzes Natura 2000. Bei allen anderen Gebieten hat dieKommission einen Entscheidungsspielraum, deshalb soll hier dasSchutzregime des Art. 6 FFH-RL nicht direkt gelten, vielmehr sprichtdas Gericht für diese Gebiete ein Verbot aus, »das Gebiet so nachhaltigzu beeinträchtigen, dass es für eine Meldung und Aufnahme in die Ge-meinschaftsliste nicht mehr in Betracht kommt.«

Der EuGH ist mit Rechtsbrechern nicht so nachsichtig. Im Falle vonVogelschutzgebieten, die rechtswidrig nicht ausgewiesen wurden,hat der EuGH nicht nur darauf bestanden, dass der säumige Mit-gliedstaat aus der Nichtmeldung keinen Vorteil hat, er war vielmehrder Auffassung, dass der Mitgliedstaat durchaus auch Nachteile ausseinem rechtswidrigen Verhalten gewärtigen müsse. Deshalb wendetder EuGH auf solche faktischen Vogelschutzgebiete das schärfereSchutzregime der Vogelschutzrichtlinie und nicht das mildereSchutzregime der FFH-RL an2, das aber gemäß Art. 7 FFH-RL nach de-ren Umsetzung auch für Vogelschutzgebiete gelten soll. Dies liegt aufder Linie der EuGH-Rechtsprechung, selbst für geeignete Sanktionenbei Verstößen gegen das Europarecht zu sorgen. Insofern herrschteine Parallelität zu seiner Schadensersatzrechtsprechung. Das BVerwGkönnte sich also durchaus weiter vorwagen und das FFH-Regime aufalle potentiellen, weil rechtswidrig nicht oder zu spät gemeldetenFFH-Gebiete anwenden und damit an die genannte Rechtsprechungdes EuGH anknüpfen und Europa-rechtswidriges Verhalten seitensder Behörden oder des Mitgliedstaates Bundesrepublik sanktionieren.

Wie dem auch sei, die Differenzierung war als Klarstellung ge-meint, weil nach verschiedenen Urteilen zwar eindeutig war, dass einSchutzregime gelten sollte, aber nicht mehr ganz klar war, welchesdenn nun. Das ist nun durch die genannte Differenzierung geklärt.In diesem Fall kam es auf die Differenzierung allerdings nicht an, weilim vorliegend beeinträchtigten Gebiet prioritäre Arten vorkommen,also das Schutzregime des Art. 6 FFH-RL anzuwenden ist.

Bei Beeinträchtigungen eines potentiellen FFH-Gebietes ist eineAlternative zum Projekt zu prüfen. Das Gericht entwickelt nun,nachdem es in der A-20-Entscheidung den Begriff der Alternativesehr eng gefasst hat, ein ausdifferenziertes Beurteilungsraster fürdie Alternativenprüfung. Im Anschluss an die Rechtsprechung zurA 20 hatte der Beklagte nämlich behauptet, die Südvariante seikeine Alternative zur Nordvariante, sondern ein anderes Projekt,weshalb sie als Alternative nicht in Betracht komme. Mit der Süd-variante würden nämlich nicht alle verkehrlichen Ziele erreicht,die durch die Nordvariante erreicht würden. Ähnlich hatte dasBVerwG in der A-20-Entscheidung argumentiert. Inzwischen hat esaber seine Meinung – zu recht – korrigiert.

Um zu bestimmen, ob eine Alternative vorliegt oder ein ganzanderes Projekt, muss man logischerweise zunächst bestimmen, waseigentlich Ziel und Zweck des ursprünglichen Projektes ist. EineAlternative kann nur etwas sein, das die Zwecke und Ziele zumindestin ähnlicher Weise erreicht. Werden die Ziele völlig verfehlt, handeltes sich eben um ein aliud, um ein anderes Projekt und nicht um eineAlternative. Deshalb ist der logisch erste Prüfungsschritt (1.) die Be-stimmung des Projektziels:

Das BVerwG akzeptiert im Rahmen der Bestimmung des Projekt-ziels – bei Infrastrukturprojekten – (a.) überregionale Zwecke und Zie-le und (b.) regionale oder sogar örtliche Zwecksetzungen. (a.) Derüberregionale Zweck der Autobahn bestehe im Schließen einer Lückeim Autobahnnetz auf der Achse Duisburg bis Görlitz und weiter nachPolen. (b.) Hinzu kämen regionale oder lokale Zwecke, die in der Ent-

Rechtsprechung

1 BVerwG, Beschluss vom 21.1.1998, ZUR 1998, S. 28.2 EuGH, Urteil v.7.12.2000 – Rs. C – 374/98, ZUR 2001, S. 75 (Basses Corbieres).

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27ZUR 1/2003

lastung bestimmter Orte und des regionalen Straßennetzes lägen.Auch Letzteres seien legitime Ziele, die dem Projekt ihren Stempel auf-drückten und bei der Alternativen-Feststellung zu berücksichtigenseien. Es folgt dann – im Urteil unausgesprochen – (c.) eine aufgrundder Ziele entwickelte Prognose, inwieweit diese Ziele auch erreichtwerden können. Es geht also nicht um normative Zielbestimmungen,sondern eher um eine Zielverwirklichungsprognose.

Eine auf diese Weise vorgenommene Zielbestimmung und Ver-wirklichungsprognose macht das Aufspüren von Alternativen not-wendig schwierig, weil durch eine andere Trassenführung notwendi-gerweise nicht alle regionalen und lokalen Ziele erreicht werdenkönnen. Deswegen schränkt das Gericht die Einzelzielbestimmungnun wieder ein. Es rudert zurück und macht aus den überregionalenund regionalen Zielen ein »Ziel (-Bündel)«, das »als solches erreicht«werden muss. Es könne nicht verlangt werden, dass die Alternativedas Ziel (-Bündel) in genau der gleichen Weise erreicht wie die ur-sprüngliche Variante, da ansonsten das Gebot der Alternativenprü-fung leer liefe. Also folgt nach der Zielbestimmung (d.) die Summie-rung der Ziele bzw. der Zielverwirklichungsprognose zu einemZielbündel. Anschließend muss (2.) analog ein Zielbündel für die Al-ternative gebildet werden. Hier geht es natürlich nicht mehr um dieBestimmung der Ziele der Alternative, das ist logisch ausgeschlossen,sondern nur noch um die Prognose, welche Ziele mit der Alternativeerreicht werden können.

Schließlich erfolgt (3.) eine Zielbewertung, d.h. der Abgleich desZielbündels der Alternative mit der ursprünglichen Variante, wobeibestimmte Zielabweichungen hinzunehmen seien. Das Gerichtnimmt eine Zielbewertung vor und verwirft bestimmte, nämlich zukonkrete Zielbestimmungen, die nicht erreicht werden müssen, umweiterhin von einer Alternative zu sprechen. Im vorliegenden Fall sei-en die Zielabweichungen nicht so groß, dass man von einem ande-ren Projekt sprechen könne. Dies begründet das Gericht damit, dassnicht nur das überörtliche Ziel, sondern auch ein großer Teil der re-gional-lokalen Ziele durch die Alternative erreicht werden.

Wenn ich auf ein »Ding als solches« stoße, werde ich stutzig, alsoauch beim »Ziel (-Bündel) als solches«. Geübt in Hegelscher Logikweiß man, dass der Geist seine eigenen Wege geht, wenn er sich vom»an sich« entäußert, zum »für sich« wird, um zum »an und für sich«zurückzukehren. Es besteht die Gefahr, dass er zum unberechenbarenGeist des Gerichts wird, das einmal das »Ziel (-Bündel) als solches« ge-wahrt sehen kann, ein anderes mal aber nur noch ein »Ziel (-Bündel)an und für sich« erkennen mag – kurz es kommt auf die Definitions-macht bei der Festlegung der Ziele an. Aber man kann wohl Entwar-nung geben: Das Gericht verteilt die Definitionsmacht gewisser-maßen gleichmäßig auf die Bundesebene, die regionale Ebene undauf sich selbst bzw. die Gerichte. Die Bundesebene ist zuständig fürdie überregionale Zielbestimmung und infrastrukturelle Bedarfspla-nung. Die regionale Ebene ist für die regionale Zielbestimmung ver-antwortlich, deren Korrektur im »Ziele (-Bündel) als solchem« sichdas Gericht durch einen Schritt der Zielbewertung vorbehält, wenndie regionale Zielbestimmung derart konkretistisch oder detailliert er-folgt, dass Alternativen von vornherein undenkbar werden. Dies er-scheint insgesamt als vernünftiger Ausgleich der unterschiedlichenAnforderungen, Interessen und Kompetenzen. Dennoch sind einigekritische Bemerkungen anzubringen.

Die überregionale Bestimmung des Bedarfs und des Projektzielskann nicht zur Disposition des Gerichts stehen, wenn sie – wie beivielen Infrastrukturprojekten – vom demokratischen Gesetzgeber ge-setzlich bestimmt wurde. Wenn die überregionale Zielbestimmungdurch die Exekutive erfolgt, kann mit Blick auf die Alternative im-merhin gefragt werden, auf welcher Abstraktionsebene die Zielbe-stimmung erfolgt. Je höher die Abstraktionsebene um so eher kom-men Alternativen in Betracht und umgekehrt, je detaillierter auch dieüberregionale Zielbestimmung ist, um so geringer ist die Anzahl der

Alternativen. Anders formuliert: auch die überregionale Zielbe-stimmung kann so detailliert sein, dass die geforderte Alternativen-prüfung leer läuft. Steigt die Abstraktionsebene kommen schließlichauch Systemalternativen in den Blick. Geht es also beispielsweiseabstrakt um die Bewältigung von Verkehrsbedarfen, kann alsAlternative auch ein anderer Verkehrsträger in Betracht kommen.

Problematisch kann die überregionale Zielbestimmung auf der Ebe-ne des Mitgliedstaates auch dann werden, wenn sie mit europäischenZielen in Konflikt gerät oder wenn aus europäischer Perspektive eineAlternative vorhanden ist bzw. sogar vorzugswürdig ist. Auch dieüberregionale Zielbestimmung durch das Land oder den Bund kannalso problematisch sein und muss in einem Schritt der Zielbewertunggesondert berücksichtigt werden, wenn das im konkreten Fall – viel-leicht – auch keine Rolle spielte.

Richtig scheint es zu sein, auch regionale Ziele und Zwecke mit indie Zielbestimmung aufzunehmen, da es sachfremd ist, insbesonde-re Straßen- und Schienenwegen die regionale verkehrliche Bedeutungabzusprechen. Als Unsicherheitsfaktor bleibt die Zielbewertung –eine Unsicherheit, die sich natürlich erhöht, wenn man sie auf dieüberregionalen Ziele ausdehnt. Diese Unsicherheit lässt sich aber ab-sehbar durch weitere Entscheidungen zur hinnehmbaren Detail-schärfe bei der Zielbestimmung beseitigen, das Recht ist hier – wie invielen Fällen – auf die Konkretisierung durch Erfahrungswissen an-gewiesen.

Die Prüfung ist mit der Zielbewertung aber noch nicht am Ende.Festgestellt wurde bisher nur, ob überhaupt eine Alternative oder einanderes Projekt vorliegt. In einem weiteren Schritt prüft das Gerichtnun (4.) die Realisierbarkeit der Alternativen. Auch wenn kein ande-res Projekt vorliegt, kann es sein, dass die Alternative unrealistisch ist,d.h. ihrer Realisation Hindernisse im Wege stehe. Solche Hindernis-se können sein (a.) rechtliche Hindernisse oder (b.) tatsächliche Hin-dernisse, insbesondere die Unverhältnismäßigkeit der Alternative.

Das Gericht stellt zu Beginn dieser Prüfung zunächst klar, dass dieAlternativenprüfung des Art. 6 FFH-RL eine andere Bedeutung hat alsdie fachplanerische Alternativenprüfung, die in die Abwägung ein-fließen muss. Die Alternative des Art. 6 FFH-RL sei »ein strikt beacht-liches Vermeidungsgebot«, das »nicht bereits durchbrochen werdendarf, wenn dies nach dem Muster der Abwägungsregeln des deutschenPlanungsrechts vertretbar erscheint.«

Dem Vorhaben dürfen (a.) am »Alternativstandort rechtliche Hin-dernisse« nicht im Wege stehen. Der Vorhabensträger müsse sichnicht auf Alternativlösungen verweisen lassen, wenn sich das »Vor-haben auch am Alternativstandort nur unter Verstoß gegen eine Ver-botsregelung ausführen ließe.« Die Anforderungen, die das Gerichthier an die Alternativstandorte formuliert, lassen sich sicher auch anSystemalternativen und technische Alternativen stellen: Sie scheidenals konkrete Alternative aus, wenn sie sich nur unter Verstoß gegeneine Verbotsregelung verwirklichen lassen.

Als rechtliches Hindernis, das der Südvariante im Wege stehen undsie deshalb als Alternative ausschließen könnte, wurde im vorliegen-den Fall diskutiert, ob die Südvariante nicht ebenfalls ein FFH-Gebietbeeinträchtigt. Das Gericht folgt der Wertung der FFH-RL, wonachGebiete mit prioritären Arten eines dringlicheren Schutzes bedürfenals die übrigen Gebiete. Weil im Gebiet der Nordvariante solche Artenvorkommen, auf dem Gebiet der Südvariante dagegen nicht, steheder Alternative kein rechtliches Hindernis entgegen. Die Südvariantekomme als schonendere Lösung zumindest ernstlich in Betracht.

Schließlich muss die Alternativlösung (b.) auch den Grundsätzender Verhältnismäßigkeit entsprechen. Das folgert das Gericht aus Art. 5 Abs. 3 EGV. Dabei wird aber dem strikten Vermeidungsgebotdes Art. 6 FFH-RL Rechnung getragen und der Maßstab der Verhält-nismäßigkeitsprüfung streng formuliert. Die Alternativen verstoßengegen den Grundsatz nur, »wenn sie außerhalb jedes vernünftigenVerhältnisses zu dem mit ihnen erreichbaren Gewinn für Natur und

Anmerkung zum Urte i l des BVerwG

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Umwelt stehen.« Der Gewinn für die Umwelt ist am Gewicht der be-einträchtigten Güter zu messen, wobei die Schwere der Gebietsbe-einträchtigung sowie die beeinträchtigten Arten oder Lebensraum-typen und ihre Bedeutung zu berücksichtigen seien. Mit dem Verweisauf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit knüpft das Gericht an sei-ne Rechtsprechung zur Ortumgehung Hildesheim3 an und folgt demdurch die EuGH-Rechtsprechung entwickelten und im EGV veran-kerten Gebot, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Dieses Urteil ist sicher ein Meilenstein auf dem Weg, die von Art. 6FFH-RL geforderte Alternativenprüfung handhabbar und – im Un-terschied zum Fachplanungsrecht – effektiv zu gestalten. Das Gerichtwidmet sich am Schluss der Entscheidung auch noch dem Begriff dervon Art. 6 FFH-RL geforderten »überwiegenden öffentlichen Interes-sen«, bleibt hier aber im Rahmen des obiter dictum bei Andeutungen.

Vorhaben bilden und auch nur in ihrer Zusammenfassung die ihnenzugedachte Funktion als Sende- und Empfangsstation für denMobilfunk erfüllen können. Die als Einheit zu wertende Mobilfunk-station kann nicht künstlich in verschiedene – ihrerseits möglicher-weise baugenehmigungsfreie – Teilelemente aufgespaltet werden.(Ebenso: Nds. OVG, Beschluss vom 31.1.2002 – 1 MA 4216/01 – BauR2002, 772.)

Hiernach ist davon auszugehen, dass die Mobilfunkanlage sichnicht etwa auf die beiden Antennenmasten mit jeweils ca. 7 m Höhebeschränkt, sondern auch die sog. Technik-Kabine mit umfasst, beider es sich um eine begehbare Kabine für die Systemtechnik mit einerGrundfläche von 2,70 x 2,70 m und einer Höhe von 2,70 m handelt.Die Antragstellerin hat diese in ihrer Gesamtheit als eine gewerblicheAnlage zu wertenden Bauteile auf dem Flachdach des Gebäudes auf-gestellt und damit diesem eine neue, von der bisherigen bauauf-sichtlichen Zulassung als Wohngebäude nicht gedeckte Funktion zu-kommen lassen. Sie hat die Nutzung des Wohngebäudes dahingeändert, dass dieses nunmehr zugleich auch gewerblichen Zwecken,nämlich dem Betrieb einer Sende- und Empfangsanlage für denMobilfunk, dient (so im Ergebnis auch: VGH Bad.-Württ., Urteil vom26.10.1998 – 8 S 1848/98 -, BRS 62 Nr. 164; Hess. VGH, Urteil vom19.12.2000 – 4 TG 3629/00 -, BRS 63 Nr. 174; Nds. OVG, Beschlussvom 31.1.2002 – 1 MA 4216/01 – BauR 2002, 772; VGH, Beschlussvom 8.2.2002 – 8 S 2748/01 -, VBlBW 2002, 260; OVG NRW, Be-schluss vom 29.4.2002 – 10 B 78/02 -).

Dies ist als grundsätzlich genehmigungspflichtige Nutzungsände-rung i.S.v. § 63 Abs. 1 BauO NRW zu werten. Denn für die Frage, obeine bestimmte bauliche Anlage in rechtlich relevanter Weise geän-dert oder nutzungsgeändert worden ist, kommt es auf einen Vergleichder bisherigen Anlage mit der neuen Anlage in seiner geänderten Aus-gestaltung bzw. Funktion an. (Vgl. auch zu den bauplanungsrechtli-chen Begriffen der Änderung bzw. Nutzungsänderung von baulichenAnlagen i.S.v. § 29 BauGB: BVerwG, Urteile vom 17.6.1993 – 4 C 17.91-, BRS 55 Nr. 72, und vom 15.5.1997 – 4 C 23.95 -, BRS 59 Nr. 90; Be-schluss vom 6.9.1999 – 4 B 74.99 -, BauR 2001, 220).

Dieser Wertung lässt sich – entgegen der Auffassung des VG – nichtentgegenhalten, dass mit der Mobilfunkstation eine eigenständige,isoliert für sich zu betrachtende bauliche Anlage errichtet wordenwäre. Dies mag dann zu erwägen sein, wenn die Mobilfunkstation,

Rechtsprechung

3 BVerwG v. 27.1.2000, ZUR 2000, S. 331, mit Anm. Fisahn.

OVG MünsterBaugenehmigungsbedürftigkeit einer MobilfunksendeanlageBeschluss vom 2. Juli 2002 – 7 B 924/02

Leitsätze:1. Wird auf dem Flachdach eines Wohngebäudes eine Mobilfunkan-

lage (hier bestehend aus zwei Antennenmasten mit ca. 7 m Höheund einer Technikkabine mit einer Grundfläche von 2,70 x 2,70 msowie einer Höhe von 2,70 m) aufgebracht, handelt es sich um einenach § 63 Abs. 1 BauO NRW genehmigungspflichtige Nutzungs-änderung des Gebäudes zu gewerblichen Zwecken.

2. Wird diese Nutzungsänderung ohne die erforderliche Baugeneh-migung vorgenommen, kann die Bauaufsichtsbehörde ein sofortvollziehbares Nutzungsverbot erlassen.

Vorinstanz: VG Gelsenkirchen – 10 L 680/02

Der Antragsgegner untersagte der Antragstellerin unter Anordnungder sofortigen Vollziehung den Betrieb einer Mobilfunkanlage, weildiese ohne Baugenehmigung errichtet und daher formell illegal sei.Das VG gab dem Begehren der Antragstellerin auf Wiederherstellungder aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs statt, weil die Anlageseiner Auffassung nach keiner Baugenehmigung bedurfte. Der hier-gegen erhobenen Beschwerde des Antragsgegners gab das OVG statt.

Aus den Gründen:Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes war abzuleh-nen, weil bei der hier nur möglichen und gebotenen summarischenPrüfung überwiegend wahrscheinlich ist, dass die angegriffene Nut-zungsuntersagungsverfügung einschließlich der ausgesprochenenAnordnung der sofortigen Vollziehung rechtmäßig ist.

Die strittige Nutzungsuntersagungsverfügung ist ausschließlich aufdie formelle Illegalität der Mobilfunkstation gestützt. Diese Ein-schätzung ist zu Recht erfolgt, denn die ohne Baugenehmigung er-richtete Mobilfunkstation ist baugenehmigungspflichtig.

Nach § 63 Abs. 1 BauO NRW bedürfen die Errichtung, die Ände-rung, die Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen –vorbehaltlich der Sonderregelungen der §§ 65 bis 67, 79 und 80 BauONRW – einer Baugenehmigung. Die hier von der Antragstellerinvorgenommenen Veränderungen an dem Wohngebäude erfüllen –entgegen der Auffassung des VG – das Tatbestandsmerkmal derNutzungsänderung.

Die Veränderungen an dem Wohngebäude zur Errichtung derMobilfunkanlage sind in ihrer Gesamtheit zu betrachten, da die ein-zelnen Elemente dieser Anlage bestimmungsgemäß ein einheitliches

Dr. Andreas Fisahn, Privatdozent, an der Universität Bremen, Vertretungsprofessur UniversitätHamburg. Mitarbeiter der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht;Aktuelle Veröffentlichungen: Mensch – Natur – Recht, Elemente einer Theorieder Rechtsbefolgung, Berlin 1999; Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung,Tübingen 2002; Bremer Recht, Bremen 2002.

Eine weiter gehende Begriffsbestimmung wird hier sicher erforderlichund folgen werden.

Andreas Fisahn

Page 33: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

29ZUR 1/2003

so wie sie errichtet wurde, gleichermaßen funktionsfähig wäre, wennman sich das Gebäude, auf dem ihre einzelnen Elemente angebrachtsind, hinwegdächte. Das trifft hier jedoch schon deshalb nicht zu,weil das Wohngebäude seinerseits eine funktional untrennbareEinheit mit der Mobilfunkstation bildet. Es ist mit seinen sechs Ge-schossen zugleich Träger der nur ca. 7 m hohen Antennenmasten, dieihre Funktion im Mobilfunknetz nur deshalb erfüllen können, weilsie die Höhe des Gebäudes mitnutzen. Des Weiteren ist das Flachdachauch Träger der Kabine für die Systemtechnik und erfüllt zugleich dieFunktion einer zu Wartungszwecken begehbaren Verbindungzwischen den einzelnen Elementen der Mobilfunkanlage.

Aus der vom VG in Bezug genommenen Rechtsprechung desBVerwG zu Werbeanlagen (BVerwG, Urteil vom 3.12.1992 – 4 C27.91 -, BRS 54 Nr. 126 ) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Diese Recht-sprechung verhält sich nur zu der – vom BVerwG im Ergebnis bejah-ten – Frage, ob Werbeanlagen auch dann, wenn sie baulich mit einemGebäude verbunden werden, als neue Hauptnutzungen den bau-planungsrechtlichen Regelungen der §§ 29 ff BauGB unterliegen.Eine Aussage des Inhalts, dass mit der Anbringung einer Werbeanlageals gewerblicher Anlage etwa an einem Wohngebäude keine bauge-nehmigungspflichtige Änderung oder Nutzungsänderung des Ge-bäudes verbunden ist, enthält die genannte Entscheidung hingegennicht. Ebenso wenig lässt sich daraus, dass an bzw. in einem Gebäudeunterschiedliche Hauptnutzungen – z.B. Wohnnutzung und eineNutzung gewerblicher Art – ausgeübt werden, etwa herleiten, dasshinsichtlich der unterschiedlichen Nutzungen auch unterschiedlichebauliche Anlagen vorliegen müssten.

Im Hinblick auf den Vortrag der Antragstellerin bleibt klarzustellen,dass es für das Vorliegen einer Nutzungsänderung keinen Unter-schied ausmacht, ob die neue Nutzung weitgehend innerhalb der be-reits vorhanden gewesenen Bausubstanz aufgenommen wird oder obdie neue Nutzung – wie hier – im Wesentlichen mit Hilfe solcher Bau-teile erfolgt, die der bestehenden baulichen Anlage erst hinzugefügtwerden. Für die Frage der Genehmigungspflichtigkeit einer Mobil-funkanlage im Land Nordrhein-Westfalen ist es daher unerheblich,ob der Mobilfunkbetreiber sich für eine sog. »indoor-Lösung« ent-scheidet, bei der die für den Betrieb der Mobilfunkanlage erforder-lichen technischen Einrichtungen im Gebäude selbst – z.B. in einembestehenden Keller- oder Dachraum oder in einem sonstigen, bislangzu anderen Zwecken genutzten Raum – untergebracht werden undlediglich der Antennenmast mit den einzelnen Antennenelementenneu auf oder an dem Gebäude angebracht wird (für andere Bundes-länder vgl. die Sachverhalte in: VGH Bad.Württ., Urteil vom26.10.1998, a.a.O.; Nds. OVG, Beschluss vom 31.1.2002, a.a.O. undVGH Bad.-Württ., Beschluss vom 8.2.2002, a.a.O.) oder ob er – wiehier – eine sog. »outdoor-Lösung« wählt, bei der keines der not-wendigen Elemente der Mobilfunkanlage innerhalb der bestehendenBausubstanz untergebracht wird, sondern alle Elemente auf bzw. andem Gebäude neu angebracht werden. In beiden Fällen bleibt es da-bei, dass das Gebäude in seiner neuen Ausgestaltung eine zusätzliche– gewerbliche – Funktion erhält und damit i.S.v. § 63 Abs. 1 BauONRW in seiner Nutzung geändert wird.

Die hier vorgenommenen Veränderungen des Wohngebäudes dürf-ten im Übrigen neben den Voraussetzungen einer »Nutzungs-änderung« i.S.v. § 63 Abs. 1 BauO NRW auch die der »Änderung« einesGebäudes erfüllen. Letzteres ist zu bejahen, wenn der vorhandene Bau-bestand in seiner Substanz in irgendeiner Weise umgestaltet wird, wo-bei die Änderungen in An-, Um- und Erweiterungsbauten bestehenkönnen. (Vgl.: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Die neue Bauordnung inNordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 2000, § 3 Rdnr. 18.)

Es spricht viel dafür, dass das von der Antragstellerin vorgenom-mene Aufbringen von zwei Antennenmasten sowie einer Technik-kabine mit knapp 20 m3 Rauminhalt auf dem Flachdach des Wohn-gebäudes auch eine Änderung des Gebäudes darstellt. Einer

abschließenden Entscheidung bedarf es jedoch nicht, weil schon dasVorliegen einer Nutzungsänderung zur grundsätzlichen Genehmi-gungspflicht nach § 63 Abs. 1 BauO NRW führt.

Ob die hiernach zu bejahende Nutzungsänderung des Wohnge-bäudes abweichend von § 63 Abs. 1 BauO NRW baugenehmigungs-frei ist, hängt allein davon ab, ob einer der Sondertatbestände des § 65 BauO NRW – die Regelungen der § 66, 67, 79 und 80 BauO NRWscheiden offensichtlich aus – vorliegt. Dies ist entgegen der Auf-fassung des VG nicht der Fall. Ausgangspunkt auch dieser Wertungist, dass die vorgenommenen Veränderungen des Wohngebäudes zurErrichtung der Mobilfunkanlage – wie bereits dargelegt – in ihrer Ge-samtheit zu betrachten sind.

Hiernach scheidet eine Genehmigungsfreiheit nach § 65 Abs. 1 Nr. 18 BauO NRW, der »Antennenanlagen bis zu 10,0 m Höhe« er-fasst, schon deshalb aus, weil sich die Mobilfunkanlage eben geradenicht auf einen bloßen Antennenmast mit Antennen beschränkt. Da-bei erscheint dem Senat – in Abstimmung mit dem für das Baurechtgleichfalls zuständigen 10. Senat – die Klarstellung angezeigt, dass diegenannte Vorschrift sich nur auf solche Antennenanlagen bezieht,die ohne weitere Änderungen oder Nutzungsänderungen des beste-henden Gebäudes für sich funktionsfähig und bestimmungsgemäßnutzbar sind, wie es etwa bei Antennenanlagen für den Fernseh-empfang in den bestehenden Aufenthaltsräumen des Gebäudes oderfür andere Zwecke, die ohne weiteres in den bestehenden Aufent-haltsräumen ausgeübt werden können (z.B. private Nutzung eines imWohngebäude wohnenden Funkamateurs), der Fall ist. Die Freistel-lung nach der genannten Vorschrift greift hingegen nicht, wenn dieAntennenanlage untrennbar mit solchen Nutzungen verbunden ist,die in dem bestehenden Gebäude nur auf Grund einer baulichen Än-derung oder Nutzungsänderung aufgenommen werden können.

Auch die übrigen Freistellungsregelungen des § 65 BauO NRW vonder Baugenehmigungspflicht greifen hier schon deshalb nicht, weildie in ihrer Gesamtheit zu betrachtende Mobilfunkanlage eine Nut-zungsänderung des Wohngebäudes darstellt. Nr. 9a der genanntenVorschrift scheidet im Übrigen auch deshalb aus, weil sich dieseRegelung nur auf isolierte bauliche Anlagen der genannten Art – »diedem Fernmeldewesen, der allgemeinen Versorgung mit Elektrizität,Gas, Öl, Wärme und Wasser dienen« – bezieht, wie schon aus der Be-schränkung auf eine Grundfläche vom max. 20 m2 und eine Höhevon max. 4 m folgt. »Ortsveränderliche Antennenträger« i.S.v. Nr. 19liegen ebenso wenig vor.

Erweist sich nach alledem, dass der Antragsgegner bei seinerNutzungsuntersagung zu Recht von einer formellen Illegalität derMobilfunkanlage ausgegangen ist, bedürfen allerdings noch dieweiteren, vom VG nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig nichtnäher geprüften Voraussetzungen für das Einschreiten des Antrags-gegners näherer Betrachtung. Dabei lässt sich nicht feststellen, dassdie für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagungsverfügungaus anderen Gründen rechtswidrig ist. (wird ausgeführt)

Anmerkung: Kommunale Einflussmöglichkeiten bei der Planung von Mobilfunkanlagen

Der Beschluss des OVG Münster setzt in der teilweise hitzigen Debattein den deutschen Städten und Gemeinden um die Standortplanungvon Mobilfunkanlagen einen nicht zu unterschätzenden Akzent: Imbevölkerungsreichsten Bundesland sind Mobilfunkanlagen entgegender bisherigen Praxis künftig baugenehmigungspflichtig. Im Folgen-den wird untersucht, welche Auswirkungen die Entscheidung auf diekommunalen Einflussmöglichkeiten bei der Mobilfunkplanung hat.Im Sinne einer Zwischenbilanz werden die kommunalen Ein-flussmöglichkeiten dargestellt.

Anmerkung zum Beschluss des OVG Münster

Page 34: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

ZUR 1/200330

A. Konfliktstoff Mobilfunk

Derzeit existieren in der Bundesrepublik gut 40.000 Standorte vonMobilfunkantennen, die den Betrieb des heute gängigen Mobilfunk-standards sichern.1 Zusätzlich zu diesen Anlagen werden derzeit vonmehreren Anbietern Mobilfunknetze für den UMTS-Standard aufge-baut, die in den kommenden Jahren in Betrieb gehen sollen. Dadurchwird sich die Anzahl der Mobilfunkantennen-Standorte in etwa ver-doppeln.2 Gegen den Aufbau neuer Mobilfunk-Standorte richten sichin sämtlichen Bundesländern mittlerweile eine Vielzahl von Bürger-initiativen.3 Die Bürgerinnen und Bürger wenden sich zumeist gegendie von den Anlagen ausgehende elektromagnetische Strahlung so-wie gegen eine ästhetische Beeinträchtigung des Stadt- oder Land-schaftsbildes. Besonders umstritten sind dabei Standorte in Wohn-gebieten, insbesondere in der Nähe von Schulen und Kindergärten.Die Anzahl der Gerichtsentscheidungen zu Klagen gegen Mobil-funkantennen ist mittlerweile unüberschaubar.4

B. Immissionsschutzrechtliche Beurteilung

Aus Sicht der Kommunen und Bürgerinitiativen bietet das Immissions-schutzrecht kaum nennenswerte Einflussmöglichkeiten bei der Ver-hinderung oder Standortfindung von Mobilfunkanlagen. Seit 1997sind Grenzwerte hinsichtlich der zulässigen Belastung durch elektro-magnetische Strahlung in der 26. BImSchV geregelt.5 In der Praxisscheiden aufgrund dieser Werte kaum Standorte für Mobilfunkanlagenaus. Von Kritikern wird vorgetragen, dass die dort festgelegten Grenz-werte aus Sicht des Gesundheitsschutzes zu hoch lägen. Namentlichwird kritisiert, dass sich die Grenzwerte an der durch Hochfrequenz-felder ausgelösten Erwärmung des Körpergewebes orientieren (ther-mische Effekte) und dabei sonstige (athermische) Auswirkungen aufden Körper unberücksichtigt blieben. In der medizinischen Fachweltist strittig, ob gesundheitsschädliche athermische Effekte durch elek-tromagnetische Felder hervorgerufen werden. Während einige Studi-en entsprechende Hinweise liefern,6 bezweifelt der wissenschaftlicheMainstream gesundheitliche Schädigungen durch elektromagnetischeStrahlung unter den derzeitigen Grenzwerten.7 Hieraus schloss jüngstdas Bundesverfassungsgericht, dass die derzeitigen Grenzwerte keine(evidente) Verletzung des Grundrechts auf Schutz der Gesundheitdarstellen würden und dass der Gesetzgeber nicht zur Statuierungstrengerer Grenzwerte verpflichtet sei.8 Auf den Vorsorgegesichtspunktgestützte politische Initiativen zur Senkung der deutschen Grenzwer-te auf das Niveau der Schweiz oder Italien konnten sich bisher nichtdurchsetzen, insbesondere weil die dann an einigen Standorten not-wendige Verringerung der Sendeleistung eine Erhöhung der Zahl derSendeanlagen (und damit höhere Investitionen) erfordern würde.9

Mobilfunksendeanlagen unterfallen nicht den genehmigungsbe-dürftigen Anlagen des § 4 BImSchG i.V.m. der 4. BImSchV. Gleichwohlgilt gegenüber sonstigen nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen eineBesonderheit: Verfahrensrechtlich wird die Einhaltung der Grenzwer-te der 26. BImSchV in einem gesonderten »Standortbescheinigungs-verfahren« durch die Regulierungsbehörde für Post und Telekommu-nikation (RegTP) geprüft.10 Anlagen mit einer Strahlungsleistung von10 Watt oder mehr müssen vor Inbetriebnahme von der RegTP eine Be-scheinigung der Einhaltung der Grenzwerte beantragen. Nach der In-betriebnahme erfolgt die Überwachung durch die landesrechtlich be-stimmten zuständigen Immissionsschutzbehörden.

C. Baurechtliche Situation

Wegen der immissionsschutzrechtlichen Unangreifbarkeit vonMobilfunksendeanlagen, welche die Werte der 26. BImSchV einhal-

ten, tritt für Bürgerinitiativen und Kommunen als Instrumentariumzur Steuerung und Begrenzung bei der Standortplanung das Baurechtin den Vordergrund.

I. Genehmigungspflicht nach Bauordnungsrecht

Verfahrensrechtlich von großer Bedeutung ist die nun vom OVGMünster positiv entschiedene Frage, ob für gewöhnliche Mobilfunk-sendeanlagen eine Baugenehmigung erforderlich ist. Mit Ausnahmevon Hamburg, wo der Gesetzgeber eine eindeutige Pflicht zur vor-herigen Erteilung einer Baugenehmigung bei Mobilfunkantennenstatuiert hat, galten bis vor kurzem in fast allen Bundesländern diemeisten Sendeanlagen als baugenehmigungsfrei, wenn sie unter einerbestimmten Masthöhe (zumeist 10 oder 12 Meter ab Antennenfuß)verblieben.11 Entsprechend wurden in den vergangenen Jahrentausende Mobilfunkanlagen ohne Baugenehmigung errichtet. DieEntscheidung des OVG NRW steht in einer Reihe von neuen ober-gerichtlichen Entscheidungen, die eine Wende dieser Praxis einleiten.In Anschluss an den VGH Mannheim12 urteilte der VGH Kassel13 be-reits Ende 2000, dass mit der Errichtung einer Mobilfunk-Sendean-lage auf einem Geschäftsgebäude eine Nutzungsänderung des Ge-bäudes verbunden ist, weil damit eine neue Nutzung des Gebäudesangestrebt würde. Dieser Ansicht hat sich nach dem niedersäch-sischen OVG14 nun auch das OVG Münster angeschlossen. Dies er-öffnet – wie noch zu zeigen ist – den Kommunen begrüßenswerteMöglichkeiten zum präventiven Vollzug des Bauplanungsrechts undist auch in der Sache richtig.

Als wichtigstes Gegenargument zum OVG Münster und den an-deren Obergerichten wird angeführt, dass mit der Annahme einerBaugenehmigungspflicht wegen Nutzungsänderung die Intentionder Landesgesetzgeber unterlaufen werde, die mit ihren Regelungenzur Höhengrenze von Antennenanlagen gerade eine Entscheidungfür deren Genehmigungsfreiheit getroffen hätten (hier § 65 Abs. 1

Rechtsprechung

1 BT-Drs. 14/9512, S. 2.2 Eine genaue Abschätzung ist nicht möglich, da u.a. wegen der finanziellen

Schwierigkeiten einiger der Lizenzinhaber fraglich geworden ist, wie viele Be-treiber ein eigenes UMTS-Netz aufbauen werden und wann diese in Betriebgehen. Außerdem hängt die Zahl der Standorte auch vom Kundenverhaltenab sowie von der Möglichkeit der gemeinsamen Standort-Nutzung durchkonkurrierende Betreiber.

3 Vgl. beispielsweise die Internet-Seiten www.funkenflug1998.de oderwww.buergerwelle.de.

4 Die Datenbank Juris listet mittlerweile gut 300 Entscheidungen zum Schlagwort»Mobilfunk« auf, die meisten davon verwaltungsgerichtlicher, teilweise auchmietrechtlicher Natur. (Letzterer Aspekt kann hier nicht behandelt werden.)

5 Verordnung über elektromagnetische Felder, 26. BImSchV, BGBl. I 1996, S. 1966.6 Vgl. vor allem ECOLOG Institut, Mobilfunk: Expositionen, Risiken, Vorsorge,

2001, http://www.ecolog-institut.de/grenzwer.htm mit weiteren Nachweisen.7 Vgl. Strahlenschutzkommission, Grenzwerte und Vorsorgemaßnahmen zum

Schutz der Bevölkerung vor elektromagnetischen Feldern, 2001, Downloadunter www.ssk.de; Silny, Effekte und gesundheitsrelevante Wirkungen hoch-frequenter elektromagnetischer Felder des Mobilfunks und anderer neuerKommunikationssysteme, Studie des Forschungszentrums für elektroma-gnetische Umweltverträglichkeit (femu) an der Rheinisch-WestfälischenTechnischen Hochschule (RWTH) Aachen im Auftrag des VDE, 2002.

8 BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 2002, 1 BvR 1676/02, ZUR 2002, S. 347mit kritischer Anmerkung von Köck, S. 349 ff.

9 Entsprechende Forderungen wurden bisher insbesondere von Bündnis90/Die Grünen, PDS und ÖDP erhoben.

10 Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagneti-scher Felder vom 27.08.2002, BGBl. I S. 3366.

11 Vgl. Determann, Neue, gefahrverdächtige Technologien als Rechtsproblem,1996, S. 91; Schwarzmann, Die meisten Antennen sind genehmigungsfrei,Städte- und Gemeinderat 2001, Nr. 4, 9-11; Jung, Die baurechtliche Beurtei-lung von Mobilfunkbasisstationen, ZfBR 2001, 24, 28.

12 VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22. Oktober 1998, 8 S 1848-98, VBlBW 1999,S. 218 = BauR 2000 712 für die Errichtung einer Anlage auf einem Wohnge-bäude. Kritisch hierzu Jung (Fn. 11), 29.

13 VGH Hessen, Beschluss vom 19. Dezember 2000, 4 TG 3629/00, NVwZ-RR2001, 429 = ZfBR 2001, 414. Zustimmend hierzu Kniep, Zur Baugenehmi-gungspflichtigkeit einer Mobilfunksendeanlage, GewArch 2001, 390.

14 OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. Januar 2002, 1 MA 4216/01, GewArch2002, 252.

Page 35: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

31ZUR 1/2003

Nr. 18 BauO NRW).15 Das OVG Münster stellt hierzu überzeugendklar, dass dem Gesetzgeber eine solche Intention nicht per se un-terstellt werden darf, da sich der Wortlaut der Freistellungsvor-schrift nur auf die Antennenanlage als solche bezieht, nicht hinge-gen auf die bei Mobilfunkmasten regelmäßig erforderlichenbaulichen Änderungen zur Unterbringung der Steuerungstechnik.Da die Antennenmasten und Hilfsbauten als Einheit zu betrachtensind, folgt hieraus, dass die gesamte Anlage nicht unter den Be-freiungstatbestand fällt.

II. Mobilfunkanlagen als bauplanungsrechtliche Vorhaben

Das OVG Münster hatte keinen Anlass, sich mit der bauplanungs-rechtlichen Einordnung von Mobilfunkanlagen zu befassen. Dies istjedoch erforderlich, um die Auswirkungen der Entscheidung auf diekommunalen Einflussmöglichkeiten bei der Standortplanung analy-sieren zu können. Denn aus der Bejahung der Baugenehmigungs-pflicht folgt nicht ohne weiteres das Erfordernis der Einholung desgemeindlichen Einvernehmens gemäß § 36 BauGB für sämtlicheMobilfunkantennen. § 36 BauGB ist nur anwendbar, soweit es sichbei den Mobilfunkantennen um bauplanungsrechtliche Anlageni.S.v. § 29 Abs. 1 BauGB handelt und das Bauplanungsrecht damitüberhaupt Anwendung findet. Bekanntlich unterscheiden sich dieBegriffe der bauordnungsrechtlichen und der bauplanungsrecht-lichen Anlage. Zusätzlich zum gemeinsamen Element der baulichenVeränderung ist für die Einordnung als bauplanungsrechtliche An-lage maßgeblich, ob die Anlagen ein Mindestmaß an bodenrecht-licher Relevanz aufweisen, d.h. ob sie die in § 1 Abs. 5 BauGB ge-nannten städtebaulichen Belange in einer Weise berühren, diegeeignet sind, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit verbindlichregelnden Bauleitplanung hervorzurufen.16

Es ist wohl unstrittig, dass zumindest große Sendeanlagen Aus-wirkungen auf die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 4 BauGB) und auf die Belange der erhaltenswertenOrtsteile, Straßen und Plätze (§ 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 5 BauGB) haben.17

Mit beachtlichen Argumenten wird jedoch vertreten, dass einem er-heblichen Teil der neu zu installierenden Mobilfunk- Sendeanlageneine städtbaulich relevante Beeinflussung des Ortsbildes fehlt, wenndiese nur 2-3 Meter hoch sind und auf Dächern angebracht werdenund sich damit vom Erscheinungsbild nur wenig von privaten Fern-seh-Antennen oder Parabol-Satellitenschüsseln unterscheiden.18 Inder Praxis wird man auf eine Einzelfallbetrachtung abstellen müs-sen.19 Der »Hebel« der optischen Sichtbarkeit von Antennen-Anlagenführt somit nicht in allen Fällen zum Erfordernis des gemeindlichenEinvernehmens und der Anwendbarkeit des bauplanungsrechtlichenInstrumentariums insgesamt.

Ein weiterer Anknüpfungspunkt für die Annahme einer städte-baulichen Relevanz von Mobilfunkanlagen könnte in der vonerheblichen Teilen der Bevölkerung getragenen Befürchtunggesundheitlicher Beeinträchtigungen liegen. Dies könnte im Hin-blick auf die in § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BauGB genannten gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse relevant sein. In der Literatur wirdteilweise vertreten, dass die Belange der gesunden Wohn- undArbeitsverhältnisse in diesem Zusammenhang von vornherein keineBeachtung finden könnten, da die Gesundheit der Anwohner nachder gesetzlichen Wertung der 26. BImSchV bei Einhaltung der Grenz-werte gewährleistet seien.20 Dies vermag nicht vollständig zu über-zeugen. Allein die Einhaltung von Immissionsgrenzwerten führtnicht dazu, dass eine im Übrigen die Kriterien des § 29 BauGB er-füllende Anlage generell als städtebaulich irrelevant zu gelten hätte.Ein Großteil kommunaler Immissionsschutzmaßnahmen beziehtsich auf den vorsorgenden Schutz vor Immissionen von Anlagen, diefür sich genommen den gesetzlichen Grenzwerten zur Gefahren-abwehr entsprechen. § 1 Abs. 5 BauGB bezieht sich nicht nur auf Ge-

fahrenabwehr, sondern auch auf eine kommunale gesundheits-bezogene Vorsorgepolitik.21 Die Annahme einer städtebaulichenIrrelevanz von Mobilfunkanlagen für gesunde Wohnverhältnissehält auch einer Auslegung des § 29 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 1BauGB am Normzweck nicht stand. Der Zweck der Vorschrift liegtdarin, solche Bauvorhaben der Bauleitplanung zu unterwerfen,welche unmittelbar wesentliche Interessen der betroffenen Be-völkerung berühren. Die Weite der in § 1 Abs. 5 Nr. 2 BauGB be-nannten Interessen (z.B. Nr. 8 »Belange der Wirtschaft«, »Erhalt vonArbeitsplätzen«) zeigt, dass der Gesetzgeber im Zweifel keine restrik-tive Auslegung dieser Norm im Sinn hatte. Angesichts dessen wärees nicht im Sinne des Gesetzgebers, gerade solche Anlagen aus derBauleitplanung auszuklammern, welche wegen befürchteter Ge-sundheitsgefahren zu erheblichen Konflikten in den Städten undGemeinden führen. Ob die Ängste der Bevölkerung berechtigt oderunberechtigt sind, mag dahin gestellt sein. Tatsache ist, dass dieMobilfunkanlagenplanung bundesweit zu den zentralen kommu-nalen Konfliktfeldern gehört. Tatsache ist auch, dass einzelneMenschen unter erheblichen gesundheitlichen Problemen leiden,welche sie auf elektromagnetische Strahlung zurückführen. Selbstwenn diese Phänomene nach dem derzeitigen Stand der Wissen-schaft strittig bzw. nicht erklärbar sein sollten und auch psychischeUrsachen haben könnten, so liegt bei diesen Menschen zumindesteine mittelbar durch Angst vor Mobilfunkanlagen hervorgerufenegesundheitliche Beeinträchtigung vor. Die besseren Gründe spre-chen daher dafür, Mobilfunkanlagen eine generelle städtebaulicheRelevanz im Hinblick auf gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnissezuzusprechen und als bauliche Anlagen im Sinne von § 29 Abs. 1BauGB zu qualifizieren.

III. Materielle Zulässigkeit von Mobilfunkanlagen

Dieser Befund gibt den Kommunen über das gemäß § 36 BauGB er-forderliche Einvernehmen eine verfahrensrechtliche Einbindung indie Entscheidung über Standorte von Mobilfunkanlagen. Die Ge-meinden dürfen ihr Einvernehmen jedoch nur aus den in § 31, 33,34 und 35 BauGB genannten Gründen verweigern. Aus materiellerSicht ist hinsichtlich der Zulässigkeit von Mobilfunkanlagen ent-scheidend, ob Mobilfunkanlagen in den jeweiligen Gebietstypenzulässig sind. Auf die Einzelheiten dieser materiellen Frage kann hiernicht eingegangen werden. Es soll jedoch kurz auf die in erster Liniebei reinen Wohngebieten (§ 3 BauNVO) virulente Frage der Un-zulässigkeit von Mobilfunkanlagen eingegangen werden: Entschei-dend ist insoweit, ob man Mobilfunkanlagen als eigenständigeHauptanlagen oder als bloße Nebenanlagen i.S.v. § 14 Abs. 1 S. 1 oderAbs. 2 S. 2 BauNVO qualifiziert. Teilweise wird in einer Mobilfunk-anlage eine Hauptanlage gesehen, die als nicht störender Gewerbe-betrieb in allgemeinen Wohngebieten gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO

Anmerkung zum Beschluss des OVG Münster

15 Jung (Fn. 11), 29.16 BVerwG, Urteil vom 31. August 1973, 4 C 33.71, E 44, S. 59, 61.17 Jung (Fn. 11) (m.w.N. aus der Rechtsprechung) geht davon aus, dass Anlagen

ab einer Höhe von 10 Metern in jedem Fall städtebaulich relevant sind.18 Jung (Fn. 11), 26; anders hingegen Krist, Planungsrechtliche Steuerungs-

möglichkeiten der Gemeinden bei der Ansiedlung von Mobilfunkanlagen,BauR 2000, 1113, der aus einer besonderen Häufung von Mobilfunkanlagenin bestimmten Stadtgebieten deren städtebauliche Relevanz herleitet.

19 So auch Rathjen, Zur Zulässigkeit von Mobilfunksendeanlagen, ZfBR 2001,304; Kniep, Kommunale Planung – Mobilfunkstationen, DWW 2002, 198;wohl auch Bromm, Baurechtliche Behandlung von Mobilfunkanlagen, Eil-dienst Landkreistag NRW 2002, 291, 293. Der VGH Kassel hat bei einer Höhevon 7,6 m auf einem Feuerwehrgerätehaus eine städtebauliche Relevanz an-genommen, DÖV 2000, 335.

20 Bromm (Fn. 19), 295.21 Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2002, 4 CN 5.01, ZUR 2002, 356, 359:

»Die Gemeinde ist nicht strikt an die immissionsschutzrechtlichen Erheb-lichkeitsstandards gebunden. Vielmehr ist es ihr bereits im Vorfeld der Ab-wehr schädlicher Umwelteinwirkungen gestattet, durch ihre Bauleitplanungeigenständig gebietsbezogen das Maß des Hinnehmbaren zu steuern.«

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ausnahmsweise zulässig sei und in reinen Wohngebieten nur unterden engen Bedingungen einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGBzulässig wäre.22 Überzeugender erscheint hingegen die Auffassungeines anderen Teils der Rechtsprechung sowie der Literatur, wonachzumindest die vielerorts üblichen Mobilfunkanlagen mit geringerReichweite und geringer optischer Sichtbarkeit als untergeordneteNebenanlagen anzusehen sind, die unter den Bedingungen des § 14Abs. 1 S. 1 BauNVO zulässig sind.23 In der Konsequenz können dieGemeinden im Bebauungsplan gemäß § 14 Abs. 1 S. 3 BauNVO dieZulässigkeit von Mobilfunkanlagen ausschließen oder beschränken.24

Hier eröffnet sich für die Kommunen zumindest für die überplantenreinen Wohngebiete im Innenbereich eine bisher kaum genutzteEinflussmöglichkeit bei der Standortplanung von Mobilfunkanlagen.

D. Kooperative Ansätze

Die formalen Einflussmöglichkeiten der Kommunen auf der Ebeneder Bauleitplanung und dessen verfahrensrechtlicher Sicherungdurch das gemeindliche Einvernehmen im Baugenehmigungsver-fahren sind zwar gegeben, doch angesichts des rasanten Netzaufbausdurch die Betreiber und der relativen Schwerfälligkeit formaler Pla-nungsinstrumente praktisch nur selten realisierbar. Für den gesamtenunbeplanten Innenbereich steht dieses Instrumentarium nicht zurVerfügung.25 Um den wachsenden Unmut in den Kommunen überdie fehlende Bürgerbeteiligung bei der Standortplanung von Mobil-funkanlagen sowie über mangelnde Vorsorgegesichtspunkte ge-genüber elektromagnetischer Strahlung (insbesondere in Wohnge-bieten und in der Umgebung von Schulen und Kindergärten) zubegegnen, haben die Kommunen jedoch auch außerhalb des bau-rechtlichen Instrumentariums Einflussmöglichkeiten.

Zum einen besteht für die Gemeinden die Möglichkeit, über denAbschluss privatrechtlicher Nutzungsverträge mit den Mobilfunkan-bietern eine gewisse Steuerung der Standortplanung vorzunehmen.

Zum anderen können sich die Kommunen seit vergangenem Jahrauf zwei informelle Planungsinstrumente berufen:

In einer Vereinbarung zwischen Mobilfunkbetreibern und kom-munalen Spitzenverbänden vom Juli 2001 verpflichten sich die Be-treiber auf die »umfassende Information der Kommunen und ihrerBürgerinnen und Bürger« und »eine enge Kooperation und offeneKommunikation« mit den Kommunen. Unter anderem sagen sie zu,den Kommunen die Standortdaten ihrer Sendeanlagen zur Verfü-gung zu stellen, sie regelmäßig über ihre Netzplanungen zu unter-richten und die Standorte für neue Sendeanlagen im Einvernehmenmit der Kommune auszuwählen.

Die im Dezember 2001 mit dem Bundeskanzleramt ausgehandel-te Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber26 bekräftigt und kon-kretisiert die gegenüber den Kommunen eingegangenen Verpflich-tungen. Die Betreiber erklären unter anderem als ihre Absicht – über einen Standortkataster die Verteilung von Sendemasten

öffentlich transparent zu machen,

– halbjährliche Erörterungen der Netzplanungen inklusive Stand-ortalternativen mit den Kommunen durchzuführen,

– die Kommunen verbindlich in die Standortauswahl für Sende-masten einzubeziehen,

– im Umkreis von Kindergärten und Schulen verstärkt alternativeStandorte zu prüfen.Freiwillige Vereinbarung und Selbstverpflichtung der Mobil-

funkbetreiber haben bisher einerseits zu einer Verbesserung derKommunikation zwischen Kommunen und Betreibern geführt.Andererseits wird von den Kommunen bemängelt, dass sie immernoch keinen vollständigen Zugang zu den Standortdaten habenund diese Daten weiterhin unter Berufung auf den Datenschutznicht veröffentlicht werden dürfen. Die Qualität der von den Be-treibern zur Verfügung gestellten Daten zur Netzplanung ist zu-mindest heterogen. Auf der anderen Seite nehmen viele Kommu-nen die Angebote der Netzbetreiber zur Kooperation bei derStandortplanung überhaupt nicht wahr.

Vor dem Hintergrund der durchwachsenen ersten Erfahrungen beider Kooperation zwischen Betreibern und Kommunen ist eine Ver-besserung der formalen Position der Kommunen durch die Ent-scheidung des OVG Münster zu begrüßen. Dies stärkt die Position derKommunen auch innerhalb der informalen Kooperationsprozesse.Die Kommunen sind nun ihrerseits in der Pflicht, von den verfügba-ren – wenn auch teilweise mangelhaften – Planungs- und Kooperati-onsinstrumenten Gebrauch zu machen und die bestehenden Kon-fliktlagen so gut wie möglich zu bewältigen.

Rechtsprechung

22 Krist, BauR 2000, 1130, 1132 ff.; Hessischer VGH, Urteil vom 29. Juli 1999, 4 TG2119/99, NVwZ 2000, 694.

23 Überzeugend die Systematisierung bei Jung (Fn. 11), 26 ff.; soweit es sich umAnlagen mit großer Reichweite handelt, ist von fernmeldetechnischenNebenanlagen i.S.v. § 14 Abs. 2 S. 2 BauNVO auszugehen, vgl. BVerwG,Beschluss vom 1. November 1999, 4 B 3/99; Rathjen (Fn. 19) geht hingegenregelmäßig von fernmeldetechnischen Anlagen i.S.v. § 14 Abs. 2 BauNVOaus.

24 So auch Bromm (Fn. 19), 295; anders Jung (Fn. 11), 26, die jedoch von der –hier bestrittenen – Annahme ausgeht, dass kleine Mobilfunkanlagen keinbauplanungsrechtliches Vorhaben darstellen.

25 Vgl. näher Krist, BauR 2000, 1330, 1336 zu den begrenzten Einflussmög-lichkeiten über die in einigen Ländern möglichen bauordnungsrechtlichenGestaltungssatzungen.

26 Download bei www.bmu.de/ strahlenschutz / mobilfunk.

EuGHBerücksichtigung von Umweltschutzkriterien bei der Wertung vonAngebotenUrteil vom 17. September 2002 – Rs. C-513/99

Leitsätze:1. Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 92/50/EWG des Rates

vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabeöffentlicher Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass der

Auftraggeber, wenn er im Rahmen eines öffentlichen Auftrags überdie Erbringung von städtischen Busverkehrsdienstleistungen be-schließt, einen Auftrag an den Bieter zu vergeben, der das wirt-schaftlich günstigste Angebot abgegeben hat, Umweltschutzkriterienwie die Höhe der Stickoxidemissionen oder den Lärmpegel der Busseberücksichtigen darf, sofern diese Kriterien mit dem Gegenstand desAuftrags zusammenhängen, dem Auftraggeber keine unbeschränkteEntscheidungsfreiheit einräumen, ausdrücklich im Leistungsverzeich-

Christian Maaß geb. 1972, Ass. iur., seit 2001 Mitglied der hamburgischen Bürgerschaft, zuvorwiss. Mitarbeiter bei der Forschungsstelle Umweltrecht der Universität Hamburg.Tätigkeitsschwerpunkte: Naturschutzrecht, Immissionsschutzrecht, internatio-nales Gewässerschutzrecht. Aktuelle Veröffentlichungen: Naturschutzrecht (zu-sammen mit Peter Schütte), in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, Luchterhand-Verlag,2002; Behördenkoordination im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungs-verfahren, DVBl. 2002, S. 364-374. Dieser Beitrag gibt ausschließlich diepersönliche Sicht des Autors wieder. Kontakt: [email protected]

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nis oder in der Bekanntmachung des Auftrags genannt sind und beiihnen alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbe-sondere das Diskriminierungsverbot, beachtet werden.

2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz steht der Berücksichtigung vonUmweltschutzkriterien wie der im Ausgangsverfahren streitigen nichtallein deshalb entgegen, weil das eigene Verkehrsunternehmen desAuftraggebers zu den wenigen Unternehmen zählt, die in der Lagesind, einen Fuhrpark anzubieten, der diesen Kriterien entspricht. (...)

1. Der Korkein hallinto-oikeus (im Folgenden: vorlegendes Gericht)hat (...) gemäß Artikel 234 EG drei Fragen nach der Auslegung der Ar-tikel 2 Absätze 1 Buchstabe a, 2 Buchstabe c und 4 sowie 34 Absatz 1der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordi-nierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Was-ser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikati-onssektor (ABl. L 199, S. 84) (...) sowie des Artikels 36 Absatz 1 derRichtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordi-nierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsauf-träge (ABl. L 209, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen derConcordia Bus Finland Oy Ab (im Folgenden: Concordia) und derHelsingin Kaupunki (Stadt Helsinki) sowie des Unternehmens HKL-Bussiliikenne (im Folgenden: HKL) über die Gültigkeit einer Ent-scheidung des liikepalvelulautakunta (Wirtschaftsausschuss) derStadt Helsinki über die Vergabe eines Auftrags für den Betrieb einerLinie des städtischen Busnetzes der Stadt Helsinki an die HKL.

Rechtlicher Rahmen Die gemeinschaftsrechtliche Regelung Die Richtlinie 92/50 (...)4. Artikel 36 der Richtlinie 92/50, der die Überschrift Zuschlags-

kriterien trägt, lautet wie folgt: (1) Der Auftraggeber wendet unbeschadet der für die Vergütung

von bestimmten Dienstleistungen geltenden einzelstaatlichenRechts- und Verwaltungsvorschriften bei der Erteilung des Zuschlagsfolgende Kriterien an:

a) entweder – wenn der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigsteAngebot erfolgt – verschiedene auf den jeweiligen Auftrag bezogeneKriterien, z. B. Qualität, technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeitder Leistung, Kundendienst und technische Hilfe, Lieferzeitpunkt,Ausführungszeitraum oder -frist, Preis,

b) oder ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises. (2) Bei Aufträgen, die auf das wirtschaftlich günstigste Angebot

vergeben werden sollen, geben die Auftraggeber in den Ver-dingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung alle Zu-schlagskriterien an, deren Verwendung sie vorsehen, möglichst in derReihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung.

Die Richtlinie 93/38 (...) 6. Artikel 34 der Richtlinie 93/38 lautet: (1) Unbeschadet nationaler Rechts- und Verwaltungsvorschriften

über die Vergütung von bestimmten Dienstleistungen ist das für dieAuftragsvergabe maßgebende Kriterium

a) entweder das wirtschaftlich günstigste Angebot unter Berück-sichtigung mehrerer von Auftrag zu Auftrag unterschiedlicher Krite-rien wie etwa: Lieferfrist, Ausführungsdauer, Betriebskosten, Renta-bilität, Qualität, Ästhetik und Zweckmäßigkeit, technischer Wert,Kundendienst und technische Hilfe, Verpflichtungen hinsichtlichder Ersatzteile, Versorgungssicherheit, Preis

b) oder ausschließlich der niedrigste Preis. (2) Im Fall von Absatz 1 Buchstabe a) gibt der Auftraggeber in den

Auftragsunterlagen oder in der Bekanntmachung alle Zuschlags-kriterien, deren Verwendung er vorsieht, so weit wie möglich in derReihenfolge ihrer Bedeutung an.

(...)

Das Ausgangsverfahren und die Vorabentscheidungsfragen Die Organisation der Busverkehrsdienste der Stadt Helsinki 16. Wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, beschloss der Stadt-

rat von Helsinki am 27. August 1997, den gesamten innerstädtischenBusverkehr schrittweise öffentlich in der Weise auszuschreiben, dassder erste öffentlich ausgeschriebene Verkehr mit dem Herbstfahrplan1998 beginnen konnte.

17. Nach den Richtlinien für den Kollektivverkehr der Stadt Helsinki sind der joukkoliikennelautakunta (Kollektivverkehrsaus-schuss) der Stadt Helsinki und die diesem unterstehende Helsinginkaupungin liikennelaitos (städtische Verkehrsbetriebe) für die Pla-nung, Entwicklung, Produktion und andere Regelungsbereiche sowiefür die Überwachung des städtischen Kollektivverkehrs zuständig.

18. Nach der geltenden Regelung ist der Wirtschaftsausschuss derStadt Helsinki für die Vergabe der innerstädtischen Verkehrsdienstevon Helsinki gemäß den vom Stadtrat und dem Kollektivverkehrs-ausschuss genehmigten Zielen zuständig. Außerdem ist dasBeschaffungsamt der Stadt Helsinki für Aufgaben im Zusammen-hang mit der Vergabe der Kollektivverkehrsdienste zuständig.

19. Die Verkehrsbetriebe sind ein kommunaler Wirtschaftsbetrieb,der sich funktionell und wirtschaftlich in vier Produktionseinheiten(Bus, Straßenbahn und Untergrundbahn sowie Fahrweg und Immo-bilien) gliedert. Die die Busse betreffende Produktionseinheit ist HKL.Zu den Verkehrsbetrieben gehört auch eine Zentraleinheit des Kon-zerns, die aus einer Planungsabteilung und einer Verwaltungs- undWirtschaftsabteilung besteht. Die Planungsabteilung spielt die Rolleeines Auftraggebers, was die Ausarbeitung der dem Kollektivver-kehrsausschuss vorzulegenden Vorschläge, die auszuschreibendenLinien und das Qualitätsniveau der erforderlichen Dienste angeht.Die Produktionseinheiten sind wirtschaftlich von dem übrigen Teilder Verkehrsbetriebe getrennt und besitzen eine eigene Buchführungund einen eigenen Rechnungsabschluss.

Das im Ausgangsverfahren streitige Ausschreibungsverfahren 20. Das Beschaffungsamt der Stadt Helsinki forderte mit Schrei-

ben vom 1. September 1997 und mit im Amtsblatt der Europäi-schen Gemeinschaften vom 4. September 1997 veröffentlichterBekanntmachung zur Abgabe von Angeboten für den Betrieb desinnerstädtischen Busverkehrs der Stadt Helsinki nach Gruppenund Fahrplänen auf, die in einem 7 Lose umfassenden Dokumentnäher angegeben waren. Im Ausgangsverfahren geht es um denAuftrag für das die Linie 62 betreffende Los 6 dieser Ausschreibung.

21. Aus den Akten geht hervor, dass nach der Ausschreibung dasUnternehmen den Zuschlag erhalten sollte, das das für die Stadt ge-samtwirtschaftlich günstigste Angebot machen würde. Bei dieser Be-urteilung sollten drei Gruppen von Kriterien berücksichtigt werden,nämlich der für den Betrieb geforderte Gesamtpreis, die Qualität desFuhrparks (Busse) und das Qualitäts- und Umweltkonzept des Ver-kehrsunternehmers.

22. Was zunächst den Gesamtangebotspreis angeht, sollte dasgünstigste Angebot 86 Punkte erhalten; die Punktzahl der anderenAngebote errechnete sich nach folgender Formel: Punktzahl = Be-trag der jährlichen Vergütung für den Linienbetrieb gemäß demgünstigsten Angebot, geteilt durch das betreffende Angebot undmultipliziert mit 86.

23. Sodann konnte der Bieter für den Fuhrpark höchstens 10 zu-sätzliche Punkte nach bestimmten Kriterien erhalten. So wurden der-artige Punkte u. a. für den Einsatz von Bussen zugeteilt, die zum ei-nen Stickoxidemissionen von unter 4 g/kWh (+ 2,5 Punkte/Bus) oderunter 2 g/kWh (+ 3,5 Punkte/Bus) und zum anderen einen Lärmpe-gel von unter 77 dB (+ 1 Punkt/Bus) aufwiesen.

24. Was schließlich das Qualitäts- und Umweltkonzept des Ver-kehrsunternehmers angeht, sollten zusätzliche Punkte für eine Ge-samtheit von qualitativen Kriterien und für ein zertifiziertes Um-weltkonzept zugeteilt werden.

EuGH, Berücks icht igung von Umweltschutzkr i ter ien be i der Wertung von Angeboten

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25. Das Beschaffungsamt der Stadt Helsinki erhielt acht Angebotefür das Los 6, darunter die Angebote der HKL und der Swebus FinlandOy Ab ([im Folgenden: Swebus], die später zur Stagecoach Finland OyAb [im Folgenden: Stagecoach], dann zu Concordia wurde). DasAngebot der Letztgenannten umfasste zwei als A und B bezeichneteVorschläge.

26. Der Wirtschaftsausschuss beschloss am 12. Februar 1998, dieHKL als Betreiber der Linie, die das Los 6 bildete, auszuwählen, da de-ren Angebot als wirtschaftlich insgesamt am günstigsten angesehenwurde. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass die Concordia(seinerzeit Swebus) das vom Preis her günstigste Angebot gemachthatte, wobei sie 81,44 Punkte für die A-Variante und 86 Punkte fürdie B-Variante erhalten hatte. Die HKL hatte 85,75 Punkte erhalten,in Bezug auf den Fuhrpark erhielt die HKL die meisten Punkte, näm-lich 2,94 Punkte; die Concordia (seinerzeit Swebus) erhielt 0,77 Punk-te für die A-Variante und -1,44 Punkte für die B-Variante. Die von derHKL zuletzt in diesem Rahmen erzielten 2,94 Punkte umfassten dieHöchstzuschläge wegen Stickoxidemissionen unter 2 g/kWh sowiefür einen Lärmpegel unter 77 dB. Die Concordia (seinerzeit Swebus)erhielt keine zusätzlichen Punkte im Rahmen der die Stickoxidemis-sionen und den Lärmpegel der Busse betreffenden Kriterien. Die HKLund die Concordia erhielten die Höchstpunktzahl für ihre Qualitäts-und Umweltzertifikate. Somit erhielt die HKL insgesamt die höchstePunktzahl, nämlich 92,69 Punkte. Die Concordia (seinerzeit Swebus)wurde auf den zweiten Platz gesetzt, da sie 86,21 Punkte für ihre A-Variante und 88,56 Punkte für ihre B-Variante erhalten hatte.

Der Ablauf des Verfahrens vor den innerstaatlichen Gerichten 27. Die Concordia (seinerzeit Swebus) erhob gegen die Entschei-

dung des Wirtschaftsausschusses Nichtigkeitsklage vor dem Kilpailu-neuvosto (finnischer Wettbewerbsrat) und machte u.a. geltend, dassdie Vergabe von Zusatzpunkten für Fahrzeuge, die gewisse Stickoxi-demissionen und gewisse Lärmpegel unterschritten, unangemessenund diskriminierend sei. Es seien Zusatzpunkte für den Einsatz einerArt von Autobussen gewährt worden, die tatsächlich nur ein Bieter,nämlich die HKL, habe anbieten können.

28. Der Wettbewerbsrat wies die Klage ab. Der Auftraggeber habedas Recht, zu bestimmen, welchen Fuhrpark er einsetzen wolle. Auf-stellung und Gewichtung der Auswahlkriterien müssten sich jedochobjektiv an den Bedürfnissen des Auftraggebers und der Art des Auf-trags orientieren. Der Auftraggeber müsse erforderlichenfalls be-gründen können, dass Auswahl und Anwendung der Bewertungskri-terien sachgerecht erfolgt seien.

29. Die Entscheidung der Stadt Helsinki, Busse mit geringen Emis-sionen zu begünstigen, stelle eine umweltpolitische Entscheidung zurVerringerung der Umweltbeeinträchtigungen durch den Busverkehrdar. Es liege kein Verfahrensfehler vor. Beinhalte das Kriterium eineunangemessene Benachteiligung eines Bieters, so könne das Verfah-ren aufgehoben werden. Vorliegend habe es indessen allen Bieternfreigestanden, erdgasbetriebene Busse zu erwerben. Es sei daher nichtnachgewiesen, dass die Concordia durch das fragliche Kriterium dis-kriminiert worden sei.

30. Die Concordia (seinerzeit Stagecoach) legte gegen die Ent-scheidung des Wettbewerbsrates beim vorlegenden Gericht Rechts-mittel ein. Sie machte geltend, dass die Vergabe von Zusatzpunktenfür die Busse mit den geringsten Schadstoff- und Lärmemissionen dieHKL begünstige, da sie praktisch als einziger Bieter in der Lage gewe-sen sei, einen entsprechenden Fuhrpark einzusetzen. Darüber hinausseien die genannten Umweltkriterien im Rahmen der Gesamtbewer-tung nicht berücksichtigungsfähig, da sie in keinem unmittelbarenZusammenhang mit dem Gegenstand der Ausschreibung stünden.(...)

32. Das vorlegende Gericht erklärt sodann, dass für die Entschei-dung des Ausgangsverfahrens die Auslegung gemeinschaftsrechtli-cher Vorschriften erforderlich sei, um festzustellen, ob eine Stadt bei

der Vergabe eines Auftrags wie im Falle des Ausgangsverfahrens be-rechtigt sei, Umweltgesichtspunkte bei der Prüfung der Fuhrparkan-gebote zu berücksichtigen. Erwiesen sich die Argumente der Klägerinhinsichtlich der Umweltgesichtspunkte und einiger anderer Punkteals stichhaltig, so erreiche ihr Angebot Variante B eine höhere Punkt-zahl als das der HKL.

33. Das vorlegende Gericht stellt fest, dass Artikel 36 Absatz 1 Buch-stabe a der Richtlinie 92/50 und Artikel 34 Absatz 1 Buchstabe a derRichtlinie 93/38 unter den Kriterien, nach denen sich das wirt-schaftlich günstigste Angebot ermittele, Umweltgesichtspunkte nichterwähnten. Demgegenüber habe der Gerichtshof in seinen Urteilenvom 20. September 1988 in der Rechtssache 31/87 (Beentjes, Slg.1988, 4635) und vom 28. März 1995 in der Rechtssache C-324/93(Evans Medical und Macfarlan Smith, Slg. 1995, I-563) entschieden,dass den öffentlichen Auftraggebern im Hinblick auf die Wahl deswirtschaftlich günstigsten Angebots die Auswahl der Zuschlagskrite-rien überlassen bleibe. Diese Auswahl könne sich jedoch nur auf Kri-terien erstrecken, die der Wahl des wirtschaftlich günstigsten Ange-bots dienten.

34. Schließlich nimmt das vorlegende Gericht auf die Mitteilungder Kommission vom 11. März 1998 »Das öffentliche Auftragswesenin der Europäischen Union« (KOM[1998] 143 endg.) Bezug, in der dieKommission die Auffassung vertreten hat, dass Umweltelemente zurAuswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen könnten,wenn sich aus dem Bezug auf diese Faktoren ein wirtschaftlicher Vor-teil zum unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen des öffentlichen Auf-traggebers nachweisen lasse.

35. In Anbetracht dieser Umstände hat das vorlegende Gericht dasVerfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vor-abentscheidung vorgelegt: (...)

2. Sind die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über öffentli-che Aufträge, insbesondere Artikel 36 Absatz 1 der Richtlinie92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung derVerfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge ..., bzw. dieentsprechende Bestimmung in Artikel 34 Absatz 1 der Richtlinie93/38/EWG dahin auszulegen, dass eine Stadt, die einen Auftrag fürden Betrieb des innerstädtischen Busverkehrs ausschreibt, bei denKriterien für den auf der Grundlage des günstigsten Angebots zuvergebenden Auftrag neben dem Angebotspreis, dem Qualitäts- undUmweltkonzept des Verkehrsunternehmers und mehreren anderenEigenschaften des Fuhrparks auch die Verringerung der Stickoxid-und Lärmemissionen in der in der Ausschreibung angegebenen Wei-se so berücksichtigen kann, dass für Fahrzeuge, deren Stickoxidausstoßoder Lärmpegel unterhalb gewisser Grenzen bleibt, Zusatzpunkte ver-geben werden, die in die Gesamtbewertung der Angebote einfließen?

3. Wenn diese Frage bejaht wird: Sind die gemeinschaftsrechtlichenBestimmungen über öffentliche Aufträge dahin auszulegen, dass dieVergabe von Zusatzpunkten für die vorgenannten Eigenschaften desFuhrparks hinsichtlich Stickoxid- und Lärmemissionen dennoch un-zulässig ist, wenn von vornherein feststeht, dass das eigene Busun-ternehmen der Stadt, die die Ausschreibung veranstaltet, einen Fuhr-park anbieten kann, der diesen Anforderungen genügt, währendaufgrund der tatsächlichen Umstände nur wenige andere Unterneh-men dieses Sektors hierzu in der Lage sind?

Zu den Vorabentscheidungsfragen (...)

Zur zweiten Frage 43. Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht im Wesent-

lichen dahin, ob Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 92/50dahin auszulegen ist, dass der Auftraggeber dann, wenn er im Rah-men eines öffentlichen Auftrags über die Erbringung von städtischenBusverkehrsdienstleistungen beschließt, diesen Auftrag dem Bieter zuerteilen, der das wirtschaftlich günstigste Angebot vorgelegt hat, dieVerringerung der Stickoxidemissionen oder des Lärmpegels der Fahr-

Rechtsprechung

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zeuge in der Weise berücksichtigen kann, dass beim Vergleich derAngebote Zusatzpunkte zugeteilt werden können, wenn dieseEmissionen oder dieser Lärmpegel unterhalb einer bestimmtenHöchstgrenze liegen.

Dem Gerichtshof vorgelegte Erklärungen 44. Die Concordia vertritt die Auffassung, dass die Beurteilungs-

kriterien im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung nach demWortlaut der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriftenstets wirtschaftlicher Natur sein müssten. Wenn der AuftraggeberUmweltgesichtspunkten oder ähnlichen Gesichtspunkten Geltungverschaffen wolle, müsse er ein anderes Verfahren als die öffentlicheAusschreibung wählen.

45. Demgegenüber sind die anderen Parteien des Ausgangsverfah-rens, die Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, und dieKommission der Ansicht, dass es zulässig sei, Umweltkriterien bei denKriterien zu berücksichtigen, die für die Erteilung des Zuschlags füreinen öffentlichen Auftrag ausschlaggebend seien. Sie berufen sichzunächst auf die Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 92/50und 34 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 93/38, die nur eine bei-spielhafte Aufzählung der Merkmale enthielten, die der Auftraggeberbei der Vergabe eines solchen Auftrags berücksichtigen dürfe; sodannverweisen sie auf Artikel 6 EG, der die Einbeziehung des Umwelt-schutzes in andere Gemeinschaftspolitiken verlange; schließlich neh-men sie Bezug auf die Urteile in den Rechtssachen Beentjes sowieEvans Medical und Macfarlan Smith, die es dem Auftraggeber er-laubten, diejenigen Kriterien auszuwählen, die er bei der Bewertungder vorgelegten Angebote für erheblich halte.

46. Insbesondere heben die Stadt Helsinki und die finnische Re-gierung hervor, dass es im Interesse der Stadt und ihrer Bewohnerliege, den Schadstoffausstoß so weit wie möglich zu reduzieren. Fürdie Stadt Helsinki als innerhalb ihres Stadtgebiets für den Umwelt-schutz Verantwortliche ergäben sich unmittelbare Spareffekte, ins-besondere im medizinisch-sozialen Bereich, der etwa 50 % ihres Ge-samthaushalts ausmache. Sämtliche Faktoren, die, selbst in geringemMaße, zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung beitrügen,führten in erheblichem Umfang zu einer raschen Verringerung dieserBelastungen.

47. Die griechische Regierung erklärt, das den nationalen Behördenbei der Auswahl der Kriterien für die Vergabe öffentlicher Aufträgeeingeräumte Ermessen setze voraus, dass diese Auswahl nicht will-kürlich erfolge und dass die ausgewählten Kriterien nicht gegen dieBestimmungen des EG-Vertrags, insbesondere die in diesem nieder-gelegten tragenden Grundsätze wie die Niederlassungs- und Dienst-leistungsfreiheit sowie das Verbot der Diskriminierung aufgrund derStaatsangehörigkeit verstießen.

48. Die niederländische Regierung vertritt die Auffassung, die an-gewandten Kriterien für die Vergabe öffentlicher Aufträge müsstenstets einen wirtschaftlichen Bezug aufweisen. Diese Voraussetzung seiindes im Ausgangsverfahren erfüllt, da die Stadt Helsinki als Auftrag-geber fungiere und gleichzeitig finanziell für die Umweltpolitik ver-antwortlich sei.

49. Die österreichische Regierung macht geltend, dass die Richtli-nien 92/50 und 93/38 zwei wesentliche Einschränkungen für die Aus-wahl von Kriterien für die Vergabe öffentlicher Aufträge enthielten.Zum einen müssten die vom Auftraggeber festgelegten Kriterien ei-nen Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen und es ermöglichen,das für den Auftraggeber wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermit-teln. Zum anderen müssten diese Kriterien das dem Auftraggeber ein-geräumte Ermessen auf eine objektive Grundlage stellen und keinenSpielraum für willkürliche Auswahlentscheidungen lassen. Darüberhinaus müssten die Vergabekriterien in unmittelbarem Zusammen-hang mit dem Auftragsgegenstand stehen, ihr Inhalt objektiv fest-stellbar und ihr Beitrag zur Wirtschaftlichkeit des Angebots quantifi-zierbar sein.

50. Die schwedische Regierung erklärt im gleichen Sinne, dass dasAuswahlermessen des Auftraggebers insoweit begrenzt sei, als dieVergabekriterien im Zusammenhang mit dem zu vergebenden Auf-trag stehen und zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Ange-bots geeignet sein müssten. Außerdem müssten die Vergabekriterienden Bestimmungen des Vertrages über den freien Waren- und Dienst-leistungsverkehr entsprechen.

51. Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist der Ansicht, Ar-tikel 36 Absatz 1 der Richtlinie 92/50 und Artikel 34 Absatz 1 derRichtlinie 93/38 seien dahin auszulegen, dass die Behörde oder dasUnternehmen, die ein Ausschreibungsverfahren für eine Busver-kehrsdienstleistung veranstalten, berechtigt seien, neben anderenVergabekriterien auch Umweltkriterien zur Ermittlung des wirt-schaftlich günstigsten Angebots vorzusehen, solange die Vergleich-barkeit aller Angebote gewährleistet sei, ein Zusammenhang mit derausgeschriebenen Dienstleistung bestehe und die Kriterien zuvor ver-öffentlicht worden seien.

52. Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die Kriterien fürdie Vergabe öffentlicher Aufträge, die bei der Beurteilung des wirt-schaftlich günstigsten Angebots berücksichtigt werden könnten, vierVoraussetzungen erfüllen müssten. Die Kriterien müssten objektivund für alle Angebote gültig sein, in enger Verbindung zum Gegen-stand des betreffenden Auftrags stehen und einen wirtschaftlichenVorteil zum unmittelbaren Nutzen des Auftraggebers enthalten.

Rechtliche Würdigung 53. Nach Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 92/50 kann

der Auftraggeber bei der Erteilung des Zuschlags – wenn der Zuschlagauf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt – verschiedene aufden jeweiligen Auftrag bezogene Kriterien, zum Beispiel Qualität,technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit der Leistung, Kunden-dienst und technische Hilfe, Lieferzeitpunkt, Ausführungszeitraumoder -frist und Preis, anwenden.

54. Um zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen derAuftraggeber nach Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a Umweltschutz-kriterien berücksichtigen kann, ist erstens festzustellen, dass – wie ein-deutig aus dem Wortlaut dieser Vorschrift und insbesondere aus derVerwendung des Ausdrucks zum Beispiel hervorgeht – die Kriterien,die als Kriterien für die Erteilung des Zuschlags für einen öffentlichenAuftrag an das wirtschaftlich günstigste Angebot festgelegt werdenkönnen, nicht abschließend aufgezählt sind (siehe in diesem Sinneauch das Urteil vom 18. Oktober 2001 in der Rechtssache C-19/00,SIAC Construction, Slg. 2001, I-7725, Randnr. 35).

55. Zweitens darf Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a nicht dahin aus-gelegt werden, dass jedes Vergabekriterium, das der Auftraggeber fest-gelegt hat, um das wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln,notwendigerweise rein wirtschaftlicher Art sein muss. Es kann näm-lich nicht ausgeschlossen werden, dass Faktoren, die nicht rein wirt-schaftlich sind, sich auf den Wert eines Angebots für diesen Auftrag-geber auswirken können. Diese Feststellung wird auch durch denWortlaut dieser Vorschrift, in dem die Ästhetik eines Angebots aus-drücklich als Kriterium genannt wird, bekräftigt.

56. Im Übrigen soll, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat,die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträgeauf Gemeinschaftsebene die Hemmnisse für den freien Dienstlei-stungs- und Warenverkehr beseitigen (siehe u. a. Urteil SIAC Con-struction, Randnr. 32).

57. Mit Rücksicht auf dieses Ziel und auch in Anbetracht des Wort-lauts des Artikels 130r Absatz 2 Unterabsatz 1 Satz 3 EG-Vertrag, derdurch den Vertrag von Amsterdam in leicht geänderter Form in Arti-kel 6 EG übernommen worden ist und nach dem die Erfordernissedes Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Ge-meinschaftspolitiken und -maßnahmen einbezogen werden müs-sen, ist zu folgern, dass Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie92/50 die Möglichkeit nicht ausschließt, dass der Auftraggeber im

EuGH, Berücks icht igung von Umweltschutzkr i ter ien be i der Wertung von Angeboten

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Rahmen der Beurteilung, welches Angebot wirtschaftlich am gün-stigsten ist, Umweltschutzkriterien anwendet.

58. Diese Feststellung bedeutet jedoch nicht, dass alle derartigenKriterien vom Auftraggeber berücksichtigt werden dürfen.

59. Zwar überlässt Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie92/50 dem öffentlichen Auftraggeber die Wahl der Kriterien für dieZuschlagserteilung, doch kommen nur Kriterien in Betracht, die derErmittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen (siehe indiesem Sinne für öffentliche Bauaufträge die Urteile Beentjes, Rand-nr. 19, Evans Medical und Macfarlan Smith, Randnr. 42, sowie SIACConstruction, Randnr. 36). Da ein Angebot sich notwendigerweiseauf den Auftragsgegenstand bezieht, müssen auch die Zuschlagskri-terien, die nach dieser Vorschrift festgelegt werden können, mit demAuftragsgegenstand zusammenhängen.

60. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass – wie der Ge-richtshof bereits entschieden hat – der öffentliche Auftraggeber, umdas günstigste Angebot herauszufinden, aufgrund qualitativer undquantitativer Kriterien, die je nach Auftrag wechseln, die vorgelegtenAngebote beurteilen und eine Entscheidung treffen muss (siehe indiesem Sinne für öffentliche Bauaufträge das Urteil vom 28. März1985 in der Rechtssache 274/83, Kommission/Italien, Slg. 1985, 1077,Randnr. 25).

61. Außerdem geht ebenfalls aus der Rechtsprechung hervor, dassein Zuschlagskriterium, das einem öffentlichen Auftraggeber bei derVergabe des Auftrags an einen Bieter eine uneingeschränkte Ent-scheidungsfreiheit einräumen würde, unvereinbar mit Artikel 36 Ab-satz 1 Buchstabe a der Richtlinie 92/50 wäre (siehe in diesem SinneUrteile Beentjes, Randnr. 26, und SIAC Construction, Randnr. 37).

62. Sodann ist festzustellen, dass die zur Ermittlung des wirt-schaftlich günstigsten Angebots festgelegten Kriterien unter Beach-tung aller Verfahrensvorschriften der Richtlinie 92/50, insbesondereder Publizitätsvorschriften, angewendet werden müssen. Gemäß Ar-tikel 36 Absatz 2 dieser Richtlinie müssen daher alle derartigen Krite-rien im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auf-trags ausdrücklich angegeben werden, wenn möglich in absteigenderReihenfolge der ihnen zugemessenen Bedeutung, damit die Unter-nehmer in der Lage sind, vom Bestehen und von der Tragweite die-ser Kriterien Kenntnis zu nehmen (siehe in diesem Sinne für öffent-liche Bauaufträge das Urteil Beentjes, Randnrn. 31 und 36, sowie dasUrteil vom 26.September 2000 in der Rechtssache C-225/98, Kom-mission/Frankreich, Slg. 2000, I-7445, Randnr. 51).

63. Schließlich müssen bei solchen Kriterien alle wesentlichenGrundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminie-rungsverbot, das aus den Bestimmungen des Vertrages zum Nieder-lassungsrecht und zum Recht des freien Dienstleistungsverkehrsfolgt, beachtet werden (siehe in diesem Sinne die Urteile Beentjes,Randnr. 29, und Kommission/Frankreich, Randnr. 50).

64. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der öffentliche Auf-traggeber, wenn er beschließt, einen Auftrag an den Bieter zu ver-geben, der das wirtschaftlich günstigste Angebot gemäß Artikel 36Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 92/50 abgegeben hat, Umwelt-schutzkriterien berücksichtigen darf, sofern diese Kriterien mit demGegenstand des Auftrags zusammenhängen, diesem Auftraggeberkeine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen, imLeistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags aus-drücklich genannt sind und bei ihnen alle wesentlichen Grundsätzedes Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot, be-achtet werden.

65. Was das Ausgangsverfahren angeht, ist zunächst festzustellen,dass Kriterien, die sich auf die Höhe der Stickoxidemissionen und aufden Lärmpegel der Busse beziehen, wie die in der vorliegendenRechtssache streitigen, als Kriterien anzusehen sind, die mit dem Ge-genstand eines Auftrags zusammenhängen, der die Erbringung vonstädtischen Busverkehrsdienstleistungen betrifft.

66. Sodann sind Kriterien, nach denen an Angebote, die bestimm-ten spezifischen und objektiv quantifizierbaren Umweltanforderun-gen entsprechen, Zusatzpunkte vergeben werden, nicht so geartet,dass dem öffentlichen Auftraggeber eine unbeschränkte Entschei-dungsfreiheit eingeräumt wird.

67. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die im Ausgangsver-fahren streitigen Kriterien – wie in den Randnummern 21 bis 24 die-ses Urteils angegeben ist – in der vom Beschaffungsamt der Stadt Hel-sinki veröffentlichten Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklichgenannt worden sind.

68. Schließlich ist festzustellen, dass die Frage, ob bei den im Aus-gangsverfahren streitigen Kriterien insbesondere das Diskriminie-rungsverbot beachtet wird, im Rahmen der Beantwortung der drittenVorabentscheidungsfrage, deren Gegenstand sie gerade bildet, zuprüfen sein wird.

69. In Anbetracht aller vorstehenden Erwägungen ist daher auf diezweite Frage zu antworten, dass Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a derRichtlinie 92/50 dahin auszulegen ist, dass der Auftraggeber, wenn erim Rahmen eines öffentlichen Auftrags über die Erbringung vonstädtischen Busverkehrsdienstleistungen beschließt, einen Auftrag anden Bieter zu vergeben, der das wirtschaftlich günstigste Angebot ab-gegeben hat, Umweltschutzkriterien wie die Höhe der Stickoxide-missionen oder den Lärmpegel der Busse berücksichtigen darf, soferndiese Kriterien mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen,dem Auftraggeber keine unbeschränkte Entscheidungsfreiheit ein-räumen, ausdrücklich im Leistungsverzeichnis oder in der Bekannt-machung des Auftrags genannt sind und bei ihnen alle wesentlichenGrundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere das Diskriminie-rungsverbot, beachtet werden.

Zur dritten Frage 70. Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht im Wesentlichen

dahin, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz der Berücksichtigungvon Umweltschutzkriterien wie der im Ausgangsverfahren streitigendeshalb entgegensteht, weil das eigene Verkehrsunternehmen desAuftraggebers zu den wenigen Unternehmen zählt, die in der Lagesind, einen Fuhrpark anzubieten, der diesen Kriterien entspricht.

Dem Gerichtshof vorgelegte Erklärungen 71. Die Concordia macht geltend, die Möglichkeit zum Einsatz gas-

betriebener Busse, die praktisch die einzigen Fahrzeuge gewesen sei-en, mit denen das Zusatzkriterium der verringerten Stickoxid- undLärmemissionen habe erfüllt werden können, sei sehr eingeschränktgewesen. Zur Zeit der Ausschreibung habe es in ganz Finnland eineeinzige Tankanlage für Erdgas gegeben. Die Kapazität dieser Anlagehabe zur Versorgung von etwa fünfzehn gasbetriebenen Bussen aus-gereicht. Unmittelbar vor Beginn der streitigen Ausschreibung habedie HKL elf neue gasbetriebene Busse bestellt, was die Kapazität derTankanlage erschöpft habe, so dass es unmöglich geworden sei, dortweitere Fahrzeuge zu betanken. Im Übrigen sei diese Tankanlage pro-visorischer Art gewesen.

72. Die Concordia meint deshalb, dass die HKL der einzige Bietergewesen sei, der tatsächlich im Stande gewesen sei, gasbetriebene Bus-se anzubieten. Sie schlägt daher vor, auf die dritte Frage zu antwor-ten, dass die Zuteilung von Punkten in Abhängigkeit vom Stickoxid-ausstoß und der Verringerung der Lärmemissionen zumindest indem Fall unzulässig sei, in dem die Unternehmer des betroffenenWirtschaftsbereichs nicht einmal theoretisch über die Möglichkeitverfügten, die Leistung, die zur Zuteilung dieser Punkte berechtige,anzubieten.

73. Die Stadt Helsinki führt aus, sie sei weder nach Gemein-schaftsrecht noch nach finnischem Recht verpflichtet gewesen, ihrenBusverkehr auszuschreiben. Da mit einer Ausschreibung immer zu-sätzliche Arbeit und Kosten verbunden seien, hätte für sie kein ver-nünftiger Grund bestanden, eine Ausschreibung zu veranstalten,wenn sie genau gewusst hätte, dass nur ihr eigenes Unternehmen ei-

Rechtsprechung

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37ZUR 1/2003

nen den in der Bekanntmachung des Auftrags festgelegten Kriterienentsprechenden Fuhrpark hätte anbieten können, oder wenn sie denBusbetrieb für sich hätte behalten wollen.

74. Die finnische Regierung vertritt die Auffassung, es sei Aufgabeder nationalen Rechtsprechungsorgane, die Objektivität der im strei-tigen Ausschreibungsverfahren festgelegten Kriterien zu überprüfen.

75. Die niederländische Regierung macht geltend, die Vergabe-kriterien müssten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ob-jektiv sein, und es dürften keine Bieter benachteiligt werden. Al-lerdings habe der Gerichtshof in den Randnummern 32 und 33seines Urteils vom 16. September 1999 in der Rechtssache C-27/98(Fracasso und Leitschutz, Slg. 1999, I-5697) entschieden, dass, fallsnach Abschluss eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträgenur ein einziges Angebot übrig bleibe, der Auftraggeber nicht ver-pflichtet sei, den Auftrag dem einzigen Bieter zu erteilen, der fürgeeignet gehalten worden sei, an der Ausschreibung teilzunehmen.Ausschreibungskriterien seien also nicht allein deshalb unzulässig,weil sie dazu führten, dass nur noch ein einziger Bieter übrig bleibe.Jedenfalls sei es Aufgabe des vorlegenden Gerichts, festzustellen, obim Ausgangsverfahren der Wettbewerb tatsächlich verfälschtworden sei.

76. Die österreichische Regierung ist der Auffassung, dass die An-wendung der im Ausgangsverfahren streitigen Vergabekriterien imGrundsatz unproblematisch sei, selbst wenn wie in dem beim vorle-genden Gericht anhängigen Rechtsstreit nur eine begrenzte Anzahlvon Bietern in der Lage sei, sie zu erfüllen. Nach der Rechtsprechungdes Gerichtshofes (Urteil vom 22. September 1988 in der Rechtssache45/87, Kommission/Irland, Slg. 1988, 4929) wäre eine Grenze derZulässigkeit gewisser ökologischer Mindeststandards aber jedenfallsdort zu ziehen, wo durch die herangezogenen Kriterien der Markt fürdie zu beschaffende Leistung oder das zu beschaffende Produkt soweit verengt werde, dass nur mehr ein Bieter übrig bleibe. Es finde sichjedoch kein Hinweis darauf, dass dies im Ausgangsverfahren der Fallgewesen sei.

77. Die schwedische Regierung macht geltend, die Berücksichti-gung des Kriteriums der Stickoxidemissionen in der Weise, in der diesim Ausgangsverfahren geschehen sei, habe dazu geführt, dass der Bie-ter, der über gas- oder alkoholbetriebene Busse verfügt habe, belohntworden sei. Indessen seien die anderen Bieter nicht daran gehindertgewesen, selbst derartige Busse zu erwerben. Diese Fahrzeuge seienschon seit vielen Jahren auf dem Markt.

78. Die Vergabe von Zusatzpunkten für geringe Stickoxidemissio-nen und einen geringen Lärmpegel für Busse, die der Bieter einzu-setzen beabsichtige, stelle keine unmittelbare Diskriminierung dar, dadie Regelung unterschiedslos für alle gelte. Darüber hinaus stelle dasZusatzpunktesystem wohl auch keine mittelbare Diskriminierung indem Sinne dar, dass es notwendigerweise die HKL begünstige.

79. Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist der Auffassung,die Richtlinie 93/38 stehe der Vergabe von Zusatzpunkten im Rah-men der Wertung der Angebote auch dann nicht entgegen, wenn vonvornherein feststehe, dass voraussichtlich nur wenige Unternehmendiese Zusatzpunkte erhalten können, sofern der Auftraggeber dieMöglichkeit, derartige Zusatzpunkte zu vergeben, im Zeitpunkt derVeröffentlichung der Ausschreibung bekannt gemacht habe.

80. Die Kommission sieht sich in Anbetracht der unterschiedli-chen Standpunkte der Parteien des Ausgangsverfahrens nicht inder Lage, zu entscheiden, ob die im Ausgangsverfahren festgeleg-ten Kriterien den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter ver-letzen. Es sei daher Aufgabe des vorlegenden Gerichts, anhand ob-jektiv vorliegender und übereinstimmender Anhaltspunktefestzustellen, ob die genannten Kriterien ausschließlich mit demZiel festgelegt worden seien, das letztlich berücksichtigte Unter-nehmen auszuwählen, oder ob sie zu diesem Zweck bestimmt wor-den seien.

Rechtliche Würdigung 81. Die Pflicht zur Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehand-

lung entspricht dem Wesen der Richtlinien auf dem Gebiet der öf-fentlichen Aufträge, die namentlich die Entwicklung eines echtenWettbewerbs auf den Gebieten fördern sollen, die in ihren jeweiligenAnwendungsbereich fallen, und die Zuschlagskriterien aufstellen, dieeinen solchen Wettbewerb gewährleisten sollen (siehe in diesem Sin-ne Urteil vom 22. Juni 1993 in der Rechtssache C-243/89, Kommis-sion/Dänemark, Slg. 1993, I-3353, Randnr. 33).

82. Nach der in Randnummer 63 des vorliegenden Urteils zitiertenRechtsprechung muss bei den Zuschlagskriterien daher das Diskri-minierungsverbot beachtet werden, so wie es sich aus den Vorschrif-ten des Vertrages über das Niederlassungsrecht und den freien Dienst-leistungsverkehr ergibt.

83. Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass die im Aus-gangsverfahren streitigen Zuschlagskriterien, wie aus dem Vorlage-beschluss hervorgeht, objektiv und ohne Unterschied auf alle Ange-bote anwendbar waren. Sodann standen diese Kriterien in einemunmittelbaren Zusammenhang mit dem angebotenen Fuhrpark undwaren in ein System der Zuteilung von Punkten integriert. Schließ-lich konnten im Rahmen dieses Systems Zusatzpunkte aufgrund an-derer mit dem Fuhrpark zusammenhängender Kriterien vergebenwerden, wie z. B. aufgrund des Einsatzes von Niederflurbussen, derZahl der Sitzplätze und der Klappsitze sowie des Alters der Busse.

84. Außerdem hat die Concordia, wie sie in der mündlichen Ver-handlung eingeräumt hat, die Ausschreibung für die Linie 15 desstädtischen Busnetzes der Stadt Helsinki gewonnen, obwohl in die-ser Ausschreibung ausdrücklich der Einsatz von gasbetriebenen Fahr-zeugen verlangt wurde.

85. Es ist daher festzustellen, dass in einem solchen tatsächlichenRahmen der Umstand, dass eines der Kriterien, die der Auftraggeberzur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots festgelegthatte, nur von einer kleinen Zahl von Unternehmen erfüllt werdenkonnte, zu denen ein zu diesem Auftraggeber gehörendes Unterneh-men gehörte, als solcher keinen Verstoß gegen den Gleichbehand-lungsgrundsatz darstellen kann.

86. Unter diesen Voraussetzungen ist auf die dritte Frage zu antwor-ten, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Berücksichtigung vonUmweltschutzkriterien wie der im Ausgangsverfahren streitigen nichtallein deshalb entgegensteht, weil das eigene Verkehrsunternehmendes Auftraggebers zu den wenigen Unternehmen zählt, die in der Lagesind, einen Fuhrpark anzubieten, der diesen Kriterien entspricht. (...)

BVerfGVerbraucherwarnungen (Glykol)Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91 und 1 BvR 1428/91

Leitsätze:1. Marktbezogene Informationen des Staates beeinträchtigen den grund-

rechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerberaus Art. 12 Abs. 1 GG nicht, sofern der Einfluss auf wettbewerbser-hebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maß-gabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandelnerfolgt. Verfassungsrechtlich von Bedeutung sind dabei das Vorliegeneiner staatlichen Aufgabe und die Einhaltung der Zuständigkeitsord-nung sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit undSachlichkeit von Informationen.

2. Die Bundesregierung ist auf Grund ihrer Aufgabe der Staatsleitungüberall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine ge-samtstaatliche Verantwortung zukommt, die mit Hilfe von Infor-mationen wahrgenommen werden kann.

Verfahrensgang: BVerwG JZ 1991, S. 624 ff. und BVerwGE 87, S. 37.

BVer fG, Verbraucherwarnungen (Glykol )

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ZUR 1/200338

Aus den Gründen:A.(1) Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungs-beschwerden betreffen die Frage, ob Grundrechte der Beschwerde-führerinnen, die Weinkellereien betreiben, dadurch verletzt wordensind, dass der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheiteine – auch diese Kellereien benennende – Liste über Weine und an-dere Erzeugnisse, in denen Diethylenglykol (im Folgenden: DEG) fest-gestellt worden war, herausgegeben und veröffentlicht hat.

(2) Im Frühjahr 1985 wurde bekannt, dass in der BundesrepublikDeutschland Weine vertrieben wurden, die mit DEG versetzt waren.DEG wird normalerweise als Frostschutzmittel und als chemischesLösungsmittel eingesetzt. Verdachtsmomente und Feststellungen derBeimischung von DEG gab es zunächst bei österreichischen Behör-den hinsichtlich bestimmter Weine österreichischer Herkunft. DieBundesregierung erhielt im Mai 1985 durch eine Pressenotiz Kennt-nis und forderte Informationen bei der österreichischen Handelsde-legation als der für Weinimporte zuständigen österreichischen Stellean. Die erhaltenen Informationen gab sie an die für die Weinüber-wachung zuständigen Landesbehörden weiter mit der Bitte, die er-forderlichen Maßnahmen zu treffen und das Bundesministerium fürJugend, Familie und Gesundheit über gewonnene Erkenntnisse zuunterrichten. Nachdem nach und nach das Ausmaß der Beimen-gungen von DEG deutlich geworden war, wurden Weine, vor allemWeine österreichischer, aber auch Weine deutscher Herkunft, nachMaßgabe der Analysekapazitäten umfassend untersucht.

(3) Die als »Glykolskandal« bekannt gewordenen Vorgänge warenGegenstand zahlreicher Presseberichte und ab Mai 1985 auch Anlassvon Erörterungen im Deutschen Bundestag sowie in den zuständigenAusschüssen. In der Bevölkerung herrschte eine erhebliche Beunru-higung, zumal nicht genau bekannt war, welche Weine mit DEG ver-setzt waren und welche gesundheitlichen Folgen der Genuss einessolchen Weines haben konnte. Die Verunsicherung führte zu einemmassiven Rückgang des Konsums insbesondere österreichischer unddeutscher Weine. Es wurde eine Existenzgefährdung der in der Wein-wirtschaft tätigen Unternehmen befürchtet. Vor diesem Hintergrundgab das Bundesministerium für Jugend, Familie und GesundheitEnde Juli 1985 eine – letztmalig am 17. Dezember 1985 aktualisierte– »Vorläufige Gesamt-Liste der Weine und anderer Erzeugnisse, in de-nen Diethylenglykol (DEG) in der Bundesrepublik Deutschland fest-gestellt worden ist«, heraus. Auf Seite 1 der Liste wurde unter derÜberschrift »Wichtige Hinweise« Folgendes ausgeführt:

(4) »Die in der Liste aufgeführten Untersuchungsergebnisse bezie-hen sich lediglich auf den jeweils untersuchten Wein. Es kann alsoWein gleicher Bezeichnung und Aufmachung desselben Abfüllers imVerkehr sein, der nicht mit Diethylenglykol versetzt ist. (5) Aus derAngabe einer Lagebezeichnung bei den in dieser Liste aufgeführtendeutschen Weinen darf nicht geschlossen werden, dass alle Weinedieser Lage Diethylenglykol enthalten können. Nur wenn auf demEtikett neben der Lagebezeichnung auch der in der Liste angegebeneName des Abfüllers und die in der Liste angegebene AmtlichePrüfungsnummer (A.P.Nr.) stehen, handelt es sich um Wein, beidessen Untersuchung Diethylenglykol festgestellt worden ist.«

(6) In dieser Liste werden die Namen der Abfüller lediglich des-wegen genannt, um dem Verbraucher eine Identifizierung des bean-standeten Weins zu ermöglichen. (7) Die Liste wurde veröffentlichtund konnte von jedem angefordert werden.

(8) Die Beschwerdeführerin zu 1 ist eine Weinkellerei, die unter an-derem österreichische Weine abfüllt und vertreibt. Sie wurde unternamentlicher Bezeichnung in der Rubrik Abfüller mit sieben Pro-dukten in die Liste aufgenommen. (9) Die Beschwerdeführerin erhobgegen die Bundesrepublik Deutschland Klage mit dem Begehren, eszu unterlassen, die von ihr abgefüllten Weine in die Liste aufzuneh-men, hilfsweise, sie dort namentlich als Abfüllerin zu benennen. (10)

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Auch die um einen Antragauf Feststellung der Rechtswidrigkeit erweiterte Berufung blieb ohneErfolg. (Wird ausgeführt)

(27) Die Beschwerdeführerin zu 2 wird ebenfalls als Abfüllerin mitmehreren Weinen in der Liste genannt. Sie begehrte vor den Verwal-tungsgerichten, die Nennung ihrer Produkte in der Liste zu unterlas-sen, hilfsweise festzustellen, dass die Veröffentlichung der Listerechtswidrig gewesen sei. Auch ihre Klage blieb in allen Instanzen er-folglos. Die Begründungen der verwaltungsgerichtlichen Entschei-dungen entsprechen im Wesentlichen den Ausführungen der im Ver-fahren 1 BvR 558/91 ergangenen Urteile. (...)

B.(34) Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Unzulässig ist aller-dings die Rüge der Beschwerdeführerin zu 1, ihr Anspruch auf recht-liches Gehör sei verletzt worden.

(35) Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dass ihr Vortragzur fehlenden Gesundheitsgefährdung ihrer Weine im gerichtlichenVerfahren übergangen worden sei, fehlt es an einer substantiierten Be-gründung, dass die angegriffenen Entscheidungen hierauf beruhen.Das OVG hat im Berufungsurteil zur Frage der Gesundheitsgefähr-dung ausgeführt, dass es für die Rechtmäßigkeit allein auf die Ge-fährdungslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Liste undnicht auf die nachträgliche Beweisbarkeit fehlender Gesundheitsge-fährdung ankomme. Auch das BVerwG ist in der angegriffenen Ent-scheidung nicht davon ausgegangen, dass die in der Liste genanntenWeine nachweislich gesundheitsgefährdend seien. Es hat vielmehrausdrücklich festgestellt, dass es auf die Behauptung, von den Wei-nen gehe keine Gesundheitsgefahr aus, nicht entscheidungserheb-lich ankomme. Allein maßgeblich sei, ob bei Herausgabe der Listenach den seinerzeit gegebenen Erkenntnissen mit dem Genuss DEG-belasteten Weines die Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung ver-bunden gewesen sei. Mit diesen Ausführungen hat sich die Be-schwerdeführerin nicht hinreichend auseinander gesetzt. (...)

C.(37) Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet. Die Veröffent-lichung der Liste DEG-haltiger Weine und die angegriffenen gericht-lichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerinnen nichtin ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1,Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.

I.(38) Die Beschwerdeführerinnen sind in ihrem Grundrecht aus Art. 12Abs. 1 GG nicht beeinträchtigt.

(39) 1. Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG gewährt allen Deut-schen das Recht, den Beruf frei zu wählen und frei auszuüben. »Be-ruf« ist jede Tätigkeit, die auf Dauer berechnet ist und der Schaffungund Erhaltung der Lebensgrundlage dient (vgl. BVerfGE 7, 377 <397ff.>; 54, 301 <313>; 68, 272 <281>; 97, 228 <252 f.>). Das Grundrechtist nach Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar,soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, dieihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischenwie einer natürlichen Person offen steht (vgl. BVerfGE 50, 290 <363>;stRspr). Das trifft auf die Beschwerdeführerinnen zu.

(40) 2. In der bestehenden Wirtschaftsordnung betrifft das Frei-heitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG insbesondere das berufsbezogene Ver-halten einzelner Personen oder Unternehmen (vgl. BVerfGE 32, 311<317>). Das Grundrecht schützt aber nicht vor der Verbreitung zu-treffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt, die fürdas wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer von Bedeutungsein können, selbst wenn die Inhalte sich auf einzelne Wettbewerbs-

Rechtsprechung

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39ZUR 1/2003

positionen nachteilig auswirken. Die Bundesregierung hat jedoch dierechtlichen Vorgaben für Informationshandeln zu wahren.

(41) a) Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit am Markt nachden Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Frei-heitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, dieden Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art. 12 Abs. 1 GGsichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maß-gabe seiner Funktionsbedingungen. Die grundrechtliche Gewährlei-stung umfasst dementsprechend nicht einen Schutz vor Einflüssenauf die wettbewerbsbestimmenden Faktoren. Insbesondere umfasstdas Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und aufSicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 24, 236<251>; 34, 252 <256>). Vielmehr unterliegen die Wettbewerbspositi-on und damit auch der Umsatz und die Erträge dem Risiko laufenderVeränderung je nach den Marktverhältnissen.

(42) b) Ein am Markt tätiges Unternehmen setzt sich der Kommu-nikation und damit auch der Kritik der Qualität seiner Produkte oderseines Verhaltens aus. Gegen belastende Informationen kann sich dasbetroffene Unternehmen seinerseits marktgerecht durch Informatio-nen wehren, so durch eigene Werbung und Betonung der Qualitätseines Produkts. In den Schutz der Berufsausübungsfreiheit ist näm-lich die auf die Förderung des beruflichen Erfolgs eines Unterneh-mens gerichtete Außendarstellung einschließlich der Werbung fürdas Unternehmen oder für dessen Produkte eingeschlossen (vgl.BVerfGE 85, 97 <104>; 85, 248 <256>; 94, 372 <389>).

(43) Die Grundrechtsnorm verbürgt jedoch kein ausschließlichesRecht auf eigene Außendarstellung und damit auf eine unein-geschränkte unternehmerische Selbstdarstellung am Markt. Zwardarf ein Unternehmen selbst darüber entscheiden, wie es sich undseine Produkte im Wettbewerb präsentieren möchte. Art. 12 Abs. 1 GG vermittelt aber nicht ein Recht des Unternehmens, nurso von anderen dargestellt zu werden, wie es gesehen werdenmöchte oder wie es sich und seine Produkte selber sieht. Entgegender Auffassung der Beschwerdeführerinnen kann ein solches Rechtauch nicht in Parallele zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht be-gründet werden, zumal auch dieses einen solchen Anspruch nichtumfasst (vgl. BVerfGE 97, 125 <149>; 97, 391 <403>; 99, 185<194>; 101, 361 <380>).

(44) c) Grundlage der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs ist einmöglichst hohes Maß an Informationen der Marktteilnehmer übermarktrelevante Faktoren. Erst die Informiertheit der Marktteilnehmerermöglicht eine an den eigenen Interessen orientierte Entscheidungüber die Bedingungen der Marktteilhabe, insbesondere über das An-gebot von oder die Nachfrage nach Gütern und Leistungen. Die Ver-fügbarkeit entsprechender Informationen dient mittelbar auch derQualität und Vielfalt der am Markt angebotenen Produkte. Fehlenbeispielsweise den Verbrauchern entscheidungserhebliche Informa-tionen, können sie nicht hinreichend beurteilen, ob das Angebot fürsie bedarfsgerecht ist. Ein informiertes Handeln der Verbraucher wirktauch auf die Leistungserbringer zurück, die sich infolgedessen auf denBedarf der Konsumenten einstellen können. Defizite in der Verfüg-barkeit entscheidungserheblicher Informationsinhalte bedrohendemnach die Selbststeuerungskraft des Marktes.

(45) Allerdings garantiert der Markt als Einrichtung nicht, dass stetsein bestimmter oder gar ein hoher Informationsstand besteht. Die amMarkt verfügbaren Informationen sind häufig nicht vollständig. In-formationen werden vielfach in selektiver Weise verbreitet. Auch ha-ben nicht alle am Markt verfügbaren Informationen gleich gute Vor-aussetzungen, um von ihren Adressaten aufgenommen undfolgenreich verarbeitet zu werden. Es fördert die Funktionsweise desMarktes, wenn in solchen Situationen durch zusätzliche, gegebe-nenfalls auch staatliche Informationen Gegengewichte gesetzt wer-den oder wenn die überlegene Informationsmacht einzelner Markt-teilnehmer ausgeglichen wird.

(46) d) Die Rechtsordnung zielt auf die Ermöglichung eines hohenMaßes an markterheblichen Informationen und damit auf Markt-transparenz. Dem dienen etwa die rechtlichen Vorkehrungen zurBekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, die Festlegung von Werbe-regeln und Maßnahmen des Verbraucherschutzes, der vor allemdurch Bereitstellung von Informationen bewirkt wird. Insbesondereschützt § 1 UWG die Funktionsfähigkeit des Leistungswettbewerbsvor Informationen, deren Verbreitung im geschäftlichen Verkehr ge-gen die guten Sitten verstößt, weil die Marktteilnehmer getäuschtwerden. Dies bewertet die Rechtsordnung als wettbewerbsschädigend(vgl. namentlich §§ 2 ff. UWG). Dementsprechend wird der als Ver-bot vor Irreführungen verstandene Wahrheitsgrundsatz als beherr-schende Leitlinie des Wettbewerbsrechts angesehen (vgl. Baum-bach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, Rn. 5 zu § 1UWG). Die Rechtsprechung hat die Anforderungen an den Schutzvor Irreführungen und damit an die Richtigkeit von Äußerungen imRahmen des UWG im Hinblick auf die Anforderungen an das Wett-bewerbsverhalten im geschäftlichen Verkehr näher konkretisiert (vgl.BGH, NJW 1987, S. 2930 <2931>; BGHZ 139, 368 <376>). Das Ziel derSicherung von Markttransparenz wird aber auch herausgestellt, so-weit Informationen nicht durch Wettbewerber verbreitet werden(vgl. BGHZ 65, 325 <332 ff.>). Es prägt ebenfalls die Rahmenbedin-gungen wettbewerbsbezogenen Verhaltens des Staates, wenn dieserwettbewerbserhebliche Informationen verbreitet, ohne selbst Wett-bewerber zu sein.

(47) e) Marktbezogene Informationen des Staates beeinträchtigenden grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wett-bewerber nicht, sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Fak-toren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe derrechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt.Verfassungsrechtlich von Bedeutung sind das Vorliegen einer staat-lichen Aufgabe und die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung (aa)sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sach-lichkeit von Informationen (bb).

(48) aa) Die Verbreitung staatlicher Informationen setzt eine Auf-gabe der handelnden Stelle (1) und die Einhaltung der Zuständig-keitsgrenzen (2) voraus.

(49) (1) Können Aufgaben der Regierung oder der Verwaltung mit-tels öffentlicher Informationen wahrgenommen werden, liegt in derAufgabenzuweisung grundsätzlich auch eine Ermächtigung zum In-formationshandeln.

(50) Dies ist bei der Staatsleitung der Regierung der Fall. DieseAufgabe zielt auf die in einer Demokratie wichtige Gewinnungpolitischer Legitimation und umfasst die Mitwirkung an der Er-füllung konkreter öffentlicher Aufgaben außerhalb der Tätigkeitder Administration. Staatsleitung wird nicht allein mit den Mittelnder Gesetzgebung und der richtungsweisenden Einwirkung aufden Gesetzesvollzug wahrgenommen, sondern auch durch die Ver-breitung von Informationen an die Öffentlichkeit (vgl. Beschlussdes Ersten Senats vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 – Osho).

(51) Die staatliche Teilhabe an öffentlicher Kommunikation hatsich im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt und verändert sich un-ter den gegenwärtigen Bedingungen fortlaufend weiter. Die gewach-sene Rolle der Massenmedien, der Ausbau moderner Informations-und Kommunikationstechniken sowie die Entwicklung neuer Infor-mationsdienste wirken sich auch auf die Art der Aufgabenerfüllungdurch die Regierung aus. Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeitwar herkömmlich insbesondere auf die Darstellung von Maßnahmenund Vorhaben der Regierung, die Darlegung und Erläuterung ihrerVorstellungen über künftig zu bewältigende Aufgaben und die Wer-bung um Unterstützung bezogen (vgl. BVerfGE 20, 56 <100>; 44, 125<147>; 63, 230 <242 f.>). Informationshandeln unter heutigen Be-dingungen geht über eine solche Öffentlichkeitsarbeit vielfach hin-aus (vgl. auch VerfGH NW, NWVBl 1992, S. 14 <15 f.>). So gehört es

BVer fG, Verbraucherwarnungen (Glykol )

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ZUR 1/200340

in einer Demokratie zur Aufgabe der Regierung, die Öffentlichkeitüber wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld ihrereigenen gestaltenden politischen Tätigkeit zu unterrichten. In einerauf ein hohes Maß an Selbstverantwortung der Bürger bei der Lösunggesellschaftlicher Probleme ausgerichteten politischen Ordnung istvon der Regierungsaufgabe auch die Verbreitung von Informationenerfasst, welche die Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung ander Problembewältigung befähigen. Dementsprechend erwarten dieBürger für ihre persönliche Meinungsbildung und Orientierung vonder Regierung Informationen, wenn diese andernfalls nicht verfüg-bar wären. Dies kann insbesondere Bereiche betreffen, in denen dieInformationsversorgung der Bevölkerung auf interessengeleiteten,mit dem Risiko der Einseitigkeit verbundenen Informationen beruhtund die gesellschaftlichen Kräfte nicht ausreichen, um ein hin-reichendes Informationsgleichgewicht herzustellen.

(52) Von der Staatsleitung in diesem Sinne wird nicht nur dieAufgabe erfasst, durch rechtzeitige öffentliche Information dieBewältigung von Konflikten in Staat und Gesellschaft zu erleich-tern, sondern auch, auf diese Weise neuen, oft kurzfristig auftre-tenden Herausforderungen entgegenzutreten, auf Krisen schnellund sachgerecht zu reagieren sowie den Bürgern zu Orientierun-gen zu verhelfen. Aktuelle Krisen im Agrar- und Lebensmittelbe-reich haben beispielhaft gezeigt, wie wichtig öffentlich zugängli-che, mit der Autorität der Regierung versehene Informationensind, um solche spannungsgeladenen Situationen angemessenmeistern zu können. Würde die Regierung sich in solchen Lagender Aufgabe entziehen, den Bürgern durch Aufklärung, Beratungund Verhaltensempfehlungen Orientierung zu geben, und sichstattdessen auf Gesetzesinitiativen beschränken oder auf admini-strative Maßnahmen anderer Staatsorgane warten, würde ein wich-tiges Element schneller, wirkungsvoller und auf möglichst geringeBeeinträchtigungen Dritter gerichteter Krisenbewältigung fehlen.Das Schweigen der Regierung würde von vielen Bürgern im Übri-gen als Versagen bewertet werden. Dies kann zu Legitimationsver-lusten führen.

(53) (2) Auch beim Informationshandeln ist die Kompetenzord-nung zu beachten. Auf der Ebene des Bundes ergibt sich die Zustän-digkeit im Verhältnis zwischen Bundeskanzler, Bundesministern undder Bundesregierung als Kollegium aus Art. 65 GG. Darüber hinausist die föderale Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern zuwahren (vgl. BVerfGE 44, 125 <149>). Dabei hängt die Entscheidungüber die Verbandskompetenz davon ab, ob die jeweils zu erfüllendeInformationsaufgabe dem Bund oder den Ländern zukommt oder obparallele Kompetenzen bestehen.

(54) Die Aufgabe der Staatsleitung und der von ihr als integralemBestandteil umfassten Informationsarbeit der Bundesregierung istAusdruck ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung. Für die Regie-rungskompetenz zur Staatsleitung gibt es, anders als für die Gesetz-gebungs- und Verwaltungszuständigkeiten, keine ausdrücklichenBestimmungen im Grundgesetz. Das Grundgesetz geht aber still-schweigend von entsprechenden Kompetenzen aus, so etwa in denNormen über die Bildung und Aufgaben der Bundesregierung (Art.62 ff. GG) oder über die Pflicht der Bundesregierung, den Bundestagund seine Ausschüsse zu unterrichten; Gleiches gilt für die Ver-pflichtung der Regierung und ihrer Mitglieder, dem Bundestag aufFragen Rede und Antwort zu stehen und seinen Abgeordneten die zurAusübung ihres Mandats erforderlichen Informationen zu verschaf-fen (vgl. zu Letzterem BVerfGE 13, 123 <125 f.>; 57, 1 <5>; 67, 100<129>). Die Bundesregierung ist überall dort zur Informationsarbeitberechtigt, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung der Staats-leitung zukommt, die mit Hilfe von Informationen erfüllt werdenkann. Anhaltspunkte für eine solche Verantwortung lassen sich etwaaus sonstigen Kompetenzvorschriften, beispielsweise denen über dieGesetzgebung, gewinnen, und zwar auch unabhängig von konkreten

Gesetzesinitiativen. Der Bund ist zur Staatsleitung insbesondere be-rechtigt, wenn Vorgänge wegen ihres Auslandsbezugs oder ihrer län-derübergreifenden Bedeutung überregionalen Charakter haben undeine bundesweite Informationsarbeit der Regierung die Effektivitätder Problembewältigung fördert. In solchen Fällen kann die Bundes-regierung den betreffenden Vorgang aufgreifen, gegenüber Parlamentund Öffentlichkeit darstellen und bewerten und, soweit sie dies zurProblembewältigung für erforderlich hält, auch Empfehlungen oderWarnungen aussprechen.

(55) Mit dieser Ermächtigung der Bundesregierung zum Informa-tionshandeln trifft das Grundgesetz zugleich im Verhältnis zu denLändern eine andere Regelung im Sinne des Art. 30 GG. Maßgebendfür die Kompetenz der Bundesregierung im Bereich des Informati-onshandelns sind nicht die Art. 83 ff. GG. Die Regierungstätigkeit istnicht Verwaltung im Verständnis dieser Normen. Zur Ausführungvon Gesetzen durch administrative Maßnahmen ist die Bundesre-gierung im Zuge ihrer Staatsleitung nicht befugt. Insoweit wird dasInformationshandeln der Bundesregierung nicht von Regelungenberührt, die wie § 8 des Produktsicherheitsgesetzes vom 22. April 1997(BGBl I S. 934), § 69 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes in der Fassungder Bekanntmachung vom 11. Dezember 1998 (BGBl I S. 3586) oder§ 6 des Gerätesicherheitsgesetzes in der Fassung der Bekanntma-chung vom 11. Mai 2001 (BGBl I S. 866) Verwaltungsbehörden imRahmen des Gesetzesvollzugs zur Unterrichtung und Warnung derÖffentlichkeit ermächtigen.

(56) Die Informationskompetenz der Bundesregierung endet nichtschon dort, wo zur Bewältigung der Krise zusätzlich ein Handeln vonStaatsorganen mit anderer Verbandskompetenz in Betracht kommt,etwa das der Landesregierungen im Zuge der Wahrnehmung ihrer ei-genen staatsleitenden Aufgabe oder das der Verwaltung im Rahmenpolizeilicher Gefahrenabwehr. Die Zielerreichung könnte verfehltwerden, wenn die Informationstätigkeit der Bundesregierung sich aufalles andere zur Krisenbewältigung Wichtige beziehen, nicht abereinen Hinweis auf die Gefährlichkeit bestimmter Umstände ent-halten dürfte. Die Vollständigkeit einer Information ist ein wichtigesElement der Glaubwürdigkeit. Die problemangemessene und gege-benenfalls Kompetenzen anderer Staatsorgane übergreifende Unter-richtung durch die Bundesregierung ist unter dem Aspekt derföderalen Kompetenzaufteilung unbedenklich, da dieses Informati-onshandeln weder das der Landesregierungen für ihren Verantwor-tungsbereich ausschließt oder behindert noch den Verwaltungs-behörden verwehrt, ihre administrativen Aufgaben zu erfüllen.

(57) bb) Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht vor der Verbreitung voninhaltlich zutreffenden und unter Beachtung des Gebots der Sach-lichkeit sowie mit angemessener Zurückhaltung formulierten Infor-mationen durch einen Träger von Staatsgewalt.

(58) Die inhaltliche Richtigkeit einer Information ist grundsätzlichVoraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am Markt und damitdessen Funktionsfähigkeit fördert. Der Träger der Staatsgewalt kannallerdings zur Verbreitung von Informationen unter besonderen Vor-aussetzungen auch dann berechtigt sein, wenn ihre Richtigkeit nochnicht abschließend geklärt ist. In solchen Fällen hängt die Recht-mäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon ab, ob derSachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorg-sam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebe-nenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühenum die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärtworden ist. Verbleiben dennoch Unsicherheiten in tatsächlicher Hin-sicht, ist der Staat an der Verbreitung der Informationen gleichwohljedenfalls dann nicht gehindert, wenn es im öffentlichen Interesseliegt, dass die Marktteilnehmer über einen für ihr Verhalten wichti-gen Umstand, etwa ein Verbraucherrisiko, aufgeklärt werden. In sol-chen Fällen wird es angezeigt sein, die Marktteilnehmer auf verblei-bende Unsicherheiten über die Richtigkeit der Information

Rechtsprechung

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hinzuweisen, um sie in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden,wie sie mit der Ungewissheit umgehen wollen.

(59) Informationen unterliegen wie jedes Staatshandeln dem Sach-lichkeitsgebot (vgl. BVerfGE 57, 1 <8>). Bei marktbezogenen Infor-mationen richten sich die Anforderungen auch nach den Funk-tionserfordernissen des Wettbewerbs. Wertungen dürfen nicht aufsachfremden Erwägungen beruhen. Die Information darf auch bei zu-treffendem Inhalt in der Form weder unsachlich noch herabsetzendformuliert sein. Im Übrigen ist die Verbreitung von Informationenunter Berücksichtigung möglicher nachteiliger Wirkungen für be-troffene Wettbewerber auf das zur Informationsgewährung Erforder-liche zu beschränken.

(60) cc) Der Gewährleistungsbereich des Grundrechts aus Art. 12Abs. 1 GG wird durch die staatliche Tätigkeit allerdings dann beein-trächtigt, wenn sie sich nicht darauf beschränkt, den Marktteilneh-mern marktrelevante Informationen bereitzustellen, auf derenGrundlage diese eigenbestimmte, an ihren Interessen ausgerichteteEntscheidungen über ihr Marktverhalten treffen können. Insbeson-dere kann die staatliche Informationstätigkeit eine Beeinträchtigungim Gewährleistungsbereich des Grundrechts sein, wenn sie in derZielsetzung und ihren Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnah-me ist, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre. Durch Wahleines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs können die be-sonderen Bindungen der Rechtsordnung nicht umgangen werden;vielmehr müssen die für Grundrechtseingriffe maßgebenden recht-lichen Anforderungen erfüllt sein.

(61) Ebenfalls wird der Gewährleistungsbereich beeinträchtigt,wenn eine Information sich im Nachhinein als unrichtig erweist unddennoch weiterverbreitet oder nicht korrigiert wird, obwohl sie fürMarktverhalten weiter von Belang ist. Mit der Feststellung der Beein-trächtigung des Schutzbereichs steht in solchen Fällen auch dieRechtswidrigkeit fest, da eine Rechtfertigung der Weiterverbreitungder als unrichtig erkannten Information ausgeschlossen ist.

(62) 3. Nach diesen Maßstäben ist die angegriffene Veröffentli-chung der Liste DEG-haltiger Weine nicht zu beanstanden. Die Her-ausgabe der Liste mit unstreitig zutreffenden Angaben über DEG-hal-tigen Wein beeinträchtigte den Gewährleistungsbereich desGrundrechts der Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführerin-nen auch insoweit nicht, als sich dies auf die Chancen zum Verkaufnicht DEG-haltigen Weins ausgewirkt haben sollte. Eingriffsqualitätkommt der Listenveröffentlichung nicht zu. Die Regierung hat dierechtlichen Grenzen des Informationshandelns gewahrt.

(63) a) Die Veröffentlichung der Liste fiel als Maßnahme der Staats-leitung in den Aufgabenbereich der Bundesregierung. Sie war nachZielsetzung, Inhalt und Wirkung als aliud zu einem Verwaltungs-handeln konzipiert.

(64) aa) Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheitnahm eine Aufgabe der Staatsleitung der Bundesregierung wahr. SeinHandeln zielte im Rahmen der Regierungsverantwortung auf die Be-wältigung einer die Öffentlichkeit beunruhigenden und den überre-gionalen Weinmarkt gefährdenden Krise durch Bereitstellung von In-formationen.

(65) Die Veröffentlichung enthielt markterhebliche Informatio-nen über die Verletzung von Qualitätsanforderungen bei Wein be-stimmter Lagen und Abfüller. Die Information schuf Transparenz undsetzte die Anbieter und Nachfrager auf dem Weinmarkt in die Lage,ihre Marktentscheidungen unter Nutzung von Erkenntnissen zu tref-fen, die für sie wichtig, ihnen aber sonst nicht zugänglich waren. In-halt und Aufmachung der Veröffentlichung zeigten, dass sie darüberhinaus einer Vielzahl weiterer Zwecke diente. Die Bundesregierungwollte einer öffentlichen Erwartung an wirksame Maßnahmen zurKrisenbewältigung nachkommen und den weitgehend zusammen-gebrochenen überregionalen Weinmarkt stabilisieren. In diesem Rah-men wollte sie Anbieter und Nachfrager durch Informationen be-

fähigen, mit der unerwünschten, möglicherweise sogar gefährlichen,Situation in informierter und damit eigenbestimmter Weise umzu-gehen. Die Weinhändler sollten ihre Angebote, die privaten Konsu-menten ihr Kaufverhalten an der gegebenen Information orientierenkönnen. Die Liste eröffnete den Weinhändlern insbesondere dieMöglichkeit, betroffene Weine gegebenenfalls aus dem eigenenWeinangebot auszusortieren, aber auch durch Werbung die begrenz-te Beteiligung der deutschen Weinwirtschaft und die begrenzte Be-troffenheit deutscher Weine deutlich zu machen. Die Verbreitung derInformation zielte darauf, das Vertrauen der Marktbeteiligten in an-dere Weine wiederherzustellen. Der Inhalt der Liste lief hinsichtlichdes DEG-haltigen Weins auf eine Warnung der Verbraucher hinaus,hinsichtlich anderer Weine auf Entwarnung. Die Erreichung ent-sprechender Wirkungen blieb aber den Marktteilnehmern über-lassen; die Regierung beschränkte sich auf die Übermittlung derUntersuchungsbefunde.

(66) Die Liste war ein Informationsbeitrag im Rahmen einer Ver-unsicherung der Bevölkerung, für deren Bewältigung auch der Bun-desregierung politische Verantwortung zugeschrieben wurde. DieVeröffentlichung zielte auf Krisenbewältigung in komplexer Weise,insbesondere auf die Wiederherstellung des Vertrauens am überre-gionalen Weinmarkt. Ihr ging es – anders als bei administrativenMaßnahmen des Rechtsgüterschutzes durch Gefahrenbekämpfung –nicht um die Behandlung konkreter Einzelfälle und die Beseitigungdaraus resultierender Nachteile für einzelne Personen oder Perso-nengruppen. Die Liste sollte insbesondere nicht bewirken, dass diezuständigen Verwaltungsbehörden auf sonstige Maßnahmen der Ge-fahrenabwehr – etwa das Verbot des Inverkehrbringens DEG-haltigerWeine und dessen Durchsetzung – verzichteten. Gefahrenabwehr-maßnahmen der Länder blieben ebenso möglich wie gegebenenfallsein eigenes Informationshandeln der Landesregierungen.

(67) bb) Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheithandelte gemäß Art. 65 Satz 2 GG in seinem Geschäftsbereich. DieVerbandskompetenz des Bundes zum Regierungshandeln war gege-ben. Der »Glykolskandal« hatte – wie auch die Gerichte festgestellthaben – in der gesamten Öffentlichkeit Aufmerksamkeit gefundenund forderte überregionale Reaktionen. Die Vorkommnisse führtensogar über das Bundesgebiet hinaus nach Österreich, wo zuerst Bei-mengungen von DEG festgestellt worden waren. Zunächst musstendort auf diplomatischem Wege Informationen eingeholt werden undFragen der Kontrolle durch den Zoll beim Weinimport bearbeitet wer-den. In der unklaren Situation über die Auswirkungen von DEG inWein war es sachgerecht, das Bundesgesundheitsamt einzuschalten.Eine den Bund einbeziehende, länderübergreifende Koordinationwar ebenfalls zur Bewältigung der krisenhaften Situation sachgerecht.Auch wurde von der Bundesregierung eine Reaktion erwartet. Dieswurde bestätigt durch zahlreiche Anfragen im Bundestag nach denAktivitäten der Regierung zu dieser Frage. Darüber hinaus fordertendie Medien Aufklärung und Maßnahmen der Bundesregierung. Aufdas so geprägte überregionale öffentliche Informationsinteresse rea-gierte diese. Die Bundesregierung durfte davon ausgehen, dass der In-formationsbedarf durch ein Handeln nur der Regierungen der Län-der nicht mit gleichem Erfolg hätte befriedigt werden können. Dahersprach auch der Gesichtspunkt der Effektivität der Bewältigung derverschiedenen Aspekte des Problems für die Notwendigkeit einesHandelns des Bundes.

(68) b) Die Veröffentlichung der Liste verstieß nicht gegen das Ge-bot der Richtigkeit und Sachlichkeit.

(69) Die in der Liste enthaltenen Angaben waren unstreitig zutref-fend. Die Einzelheiten der Liste beschränkten sich auf die für dasMarktverhalten wichtige Mitteilung von gesetzlich nicht zugelasse-nen DEG-Gehalten in den untersuchten Weinen. Unter der Über-schrift »Wichtige Hinweise« wurde deutlich darauf aufmerksam ge-macht, dass Wein gleicher Bezeichnung und Aufmachung desselben

BVer fG, Verbraucherwarnungen (Glykol )

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ZUR 1/200342

Abfüllers im Verkehr sein konnte, der nicht mit DEG versetzt ist. Eswurde weiter ausgeführt, dass aus der Angabe einer Lagebezeichnungnicht geschlossen werden dürfte, dass alle Weine dieser Lage DEG ent-halten könnten, sondern dass dies nur im Zusammenhang mit demNamen des Abfüllers und der angegebenen Amtlichen Prüfungs-nummer gefolgert werden könnte.

(70) Die Liste war auch nicht deshalb unrichtig, weil die Frage derVerkehrsfähigkeit und der gesundheitlichen Bedenklichkeit beiWeinen mit niedrigem DEG-Gehalt nicht geklärt war. Ein Informati-onsbedarf der in weiten Teilen beunruhigten Öffentlichkeit war ge-geben. Die Regierung teilte den ihr zugänglichen Wissensstand überDEG-haltige Weine mit. Die Richtigkeit dieser Information hing nichtdavon ab, ob eine Gefahr im ordnungsrechtlichen Sinne vorlag. Auchbestanden hinsichtlich der aus staatlichen Untersuchungen der ge-nannten Weine gewonnenen Erkenntnisse keine Geheimhaltungs-pflichten. Im Übrigen wurden Richtigkeit und Sachlichkeit der In-formation nicht dadurch in Frage gestellt, dass aus Kapazitätsgründennicht alle Weine untersucht werden konnten.

(71) 4. Da die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht ausArt. 12 Abs. 1 GG durch die Veröffentlichung der Liste DEG-haltigerWeine nicht beeinträchtigt sind, verstoßen auch die angegriffenenGerichtsentscheidungen jedenfalls im Ergebnis nicht gegen diesesGrundrecht. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden,dass die Gerichte davon ausgegangen sind, ohne namentliche Nen-nung der Abfüller wären die schnelle Groborientierung für die Ver-braucher nicht möglich und damit die Tauglichkeit der Informatio-nen zur eigenbestimmten Problembewältigung nur begrenzt gegebengewesen.

II.(72) Auch die übrigen Grundrechtsrügen bleiben ohne Erfolg.

(73) 1. Art. 14 Abs. 1 GG ist schon deshalb nicht verletzt, weil derSchutzbereich der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie durchdie Veröffentlichung der Liste nicht berührt ist.

(74) Die Eigentumsgarantie soll dem Träger des Grundrechts einenFreiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern und ihm da-mit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens ermöglichen.Sie schützt den konkreten Bestand an vermögenswerten Gütern vorungerechtfertigten Eingriffen durch die öffentliche Gewalt. Eine all-gemeine Wertgarantie vermögenswerter Rechtspositionen folgt ausArt. 14 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senatsvom 5. Februar 2002 – 2 BvR 305/93 und 2 BvR 348/93 -, Umdruck S.19). Art. 14 Abs. 1 GG erfasst nur Rechtspositionen, die einem Rechts-subjekt bereits zustehen, nicht aber in der Zukunft liegende Chancenund Verdienstmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 68, 193 <222> m.w.N.).

(75) Hieraus folgt, dass die von den Beschwerdeführerinnen vor-getragenen Beeinträchtigungen ihrer Absatzmöglichkeiten infolgeder Listenveröffentlichung kein Schutzgut des Art. 14 Abs. 1 GG be-treffen. Das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum ist zwar durchdie dem Eigentümer zustehende grundsätzliche Verfügungsbefugnisüber den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet. Hierunter fälltgrundsätzlich auch das Recht des Eigentümers, sein Eigentum zu ver-äußern. In dem Recht, ihren Wein auf dem Markt anzubieten, sinddie Beschwerdeführerinnen durch die Veröffentlichung der Liste je-doch nicht eingeschränkt worden. Beeinträchtigt war nach ihremVortrag die tatsächliche Möglichkeit, die Produkte weiterhin zu ver-kaufen und damit die im Angebot liegende Chance eines gewinn-bringenden Absatzes zu realisieren. Während die rechtliche Befugnis,Sachen zum Verkauf anzubieten, zum erworbenen und über Art. 14Abs. 1 GG geschützten Bestand zu rechnen ist, gehört die tatsächli-che Absatzmöglichkeit nicht zu dem bereits Erworbenen, sondern zurErwerbstätigkeit.

(76) Auch aus dem Gesichtspunkt des Schutzes des eingerichtetenund ausgeübten Gewerbebetriebs ergibt sich keine andere Bewer-

Rechtsprechung

tung. Das BVerfG hat bisher offen gelassen, ob und inwieweit der ein-gerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als tatsächliche Zu-sammenfassung der zum Vermögen eines Unternehmens gehören-den Sachen und Rechte in eigenständiger Weise von derGewährleistung der Eigentumsgarantie erfasst wird (vgl. BVerfGE 51,193 <221 f.>; 68, 193 <222 f.>). Die Verfassungsbeschwerden gebenkeinen Anlass, diese Frage nunmehr zu entscheiden. Auch wennbloße Umsatz- und Gewinnchancen oder tatsächliche Gegebenhei-ten für das Unternehmen von erheblicher Bedeutung sind, werdensie vom Grundgesetz eigentumsrechtlich nicht dem geschützten Be-stand des einzelnen Unternehmens zugeordnet (vgl. BVerfGE 68, 193<222 f.>; 77, 84 <118>; 81, 208 <227 f.>).

(77) Nichts anderes gilt für den von den Beschwerdeführerinnen alsverletzt gerügten Unternehmensruf. Dieser ist durch Art. 14 GG je-denfalls insoweit nicht geschützt, als es sich um Chancen undgünstige Gelegenheiten handelt. Auch soweit der Unternehmensrufdas Resultat vorangegangener Leistungen darstellt, ist er nicht demUnternehmen im Sinne einer von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Ei-gentumsposition zugewiesen (vgl. Philipp, Staatliche Verbraucherin-formation im Umwelt- und Gesundheitsrecht, 1989, S. 175 ff.). Er stelltsich am Markt durch die Leistungen und Selbstdarstellungen des Un-ternehmens einerseits und durch die Bewertung der Marktteilnehmerandererseits immer wieder neu her und ist damit ständiger Verände-rung unterworfen. Art. 14 GG schützt nur normativ zugeordneteRechtspositionen, nicht aber das Ergebnis situativer Einschätzungender Marktbeteiligten, auch wenn dieses wirtschaftlich folgenreich ist.

(78) 2. Art. 3 Abs. 1 GG ist entgegen der Auffassung der Beschwer-deführerin zu 1 nicht deshalb verletzt, weil keinerlei Warnungen andie Öffentlichkeit gegeben worden seien, als zu früheren Zeitpunk-ten Monobrom- oder Homogenessigsäure in Wein oder in Sekt fest-gestellt worden waren. Eine rechtmäßige Maßnahme wird nicht da-durch gleichheitswidrig, dass in möglicherweise vergleichbarenanderen Fällen anders verfahren worden ist. Dass im konkreten Fallwillkürlich, etwa unter Verwendung sachlich zu missbilligender Mo-tive, gehandelt worden ist, wird von den Beschwerdeführerinnennicht behauptet.

(79) 3. Art. 2 Abs. 1 GG scheidet als Maßstab aus, weil die mit denVerfassungsbeschwerden aufgeworfenen Fragen des Schutzes vonMarktteilnehmern im Wettbewerb von der sachlich speziellerenGrundrechtsnorm des Art. 12 Abs. 1 GG erfasst werden (vgl. BVerfGE25, 88 <101>; 59, 128 <163>; stRspr).

VG DüsseldorfDosenpfand – Zwangspfand für EinweggetränkeverpackungenrechtswidrigUrteil vom 10. September 2002 – 17 K 1907/02

Leitsätze der Redaktion: 1. Das Pflichtpfand für Einweg-Getränkeverpackungen nach §§ 8, 9

VerpackV dient primär dem Zweck, die bestehenden Mehrweg-systeme zu stützen und nicht dazu, die Rückgabe der Verpackungenan die Händler sicherzustellen.

2. Die Einführung eines Pflichtpfandes auf Einweggetränkever-packungen zu dem Zweck, nicht deren Rückgabe sicherzustellen,sondern die bestehenden Mehrwegsysteme zu schützen, ist vomKreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz nicht vorgesehen.

Aus dem Tatbestand:Die Klägerin ist eine Brauerei, die Bier in Einwegverpackungen ver-treibt. Sie wendet sich dagegen, für diese Einwegverpackungen einPfand zu erheben, bei Rückgabe zu erstatten und die Verpackung

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43ZUR 1/2003

zurückzunehmen. Gleichgerichtete Klagen sind bei verschiedenenVerwaltungsgerichten in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundes-ländern anhängig.

Die Pflicht zur Erhebung eines Zwangspfandes auf Einweg-Getränkeverpackungen ergibt sich aus der Verordnung über die Ver-meidung und Verwertung von Verpackungsabfällen – VerpackV –.Die Verpackungsverordnung ist eine Rechtsverordnung, welche dieBundesregierung auf der Grundlage des Kreislaufwirtschafts- und Ab-fallgesetzes erlassen hat. Grundsätzlich besteht bereits seit über zehnJahren die Pflicht, ein Pfand auf Getränke in Einwegverpackungen zuerheben (§ 8 Abs. 1 VerpackV). Die Pflicht wurde jedoch zunächst aus-gesetzt. Das Pflichtpfand sollte nur dann tatsächlich erhoben werdenmüssen, wenn von allen verkauften Getränken dauerhaft weniger als72 % in einer Mehrwegverpackung („Pfandflasche«) abgegeben wer-den. Der Referenzwert von 72 % bildet die Mehrwegquote im Jahr1991 ab, dem Jahr, in dem die erste Verpackungsverordnung erlassenwurde. Welche Mehrwegquote bei Getränken jedes Jahr erreicht wird,stellt die Bundesregierung fest. Sie veröffentlicht die Quote imBundesanzeiger. Ist nach dieser Feststellung in einem Kalenderjahrdie Mehrwegquote unter 72 % gefallen, findet im Anschluss an dieBekanntgabe eine zwölfmonatige Nacherhebung statt. Liegt in die-sen zwölf Monaten die Mehrwegquote erneut unter 72 %, setzt diePfandpflicht ein. Sie erfasst aber nicht alle Arten von Getränken, son-dern nur solche, deren individuelle Mehrwegquote unter derjenigenaus dem Jahr 1991 liegt (§ 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV). Rechtstechnischwird dieser Mechanismus dadurch ausgelöst, dass die tatbestandlicheVoraussetzung der Befreiung von der Pfandpflicht entfällt. Befrei-ungsvoraussetzung in § 9 Abs. 1 VerpackV ist die Feststellung derjeweiligen obersten Landesabfallbehörde, dass das System des»Grünen Punktes« landesweit verordnungsgemäß besteht. Sie gilt fürdie Getränkebereiche als widerrufen, für welche die Nacherhebungein Ergebnis unter dem Wert von 1991 feststellt.

Im Bundesanzeiger Nr. 66 vom 4. April 2000 S. 6009 machte die Bei-geladene durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit die »Erhebungen der Bundesregierung bezüg-lich der Anteile ökologisch vorteilhafter Getränkeverpackungen inden Jahren 1991 bis 1998 gemäß § 9 Abs. 3 der Verpackungsverord-nung« bekannt. Danach lag der Mehrweganteil bei Getränken insge-samt (ohne Milch) im Jahr 1998 bei 70,13 %. Im Bundesanzeiger Nr.119 des Jahres 2002 S. 14690 machte die Beigeladene die Ergebnisseder »Nacherhebung der Bundesregierung bezüglich der Mehrwegan-teile von Getränkeverpackungen im Zeitraum Mai 2000 bis April2001 gemäß § 9 Abs. 3 der Verpackungsverordnung« bekannt. Da-nach blieben die Mehrwegquoten der Getränkebereiche Mineral-wasser, Bier und Erfrischungsgetränke mit Kohlensäure unter denendes Referenzjahres 1991. In der Nacherhebung für den Zeitraum Fe-bruar 1999 bis Januar 2000 waren die Getränkebereiche Bier und Mi-neralwasser bereits unter den Mehrwegquoten des Jahres 1991 ge-blieben. Auch in der Folgezeit sank der Mehrweganteil immer weiter.Diese Tatsachen werden von der Klägerin nicht bestritten.

Nach der Regelung der §§ 8, 9 der Verpackungsverordnung sind Ge-tränkewirtschaft und Einzelhandel ab dem 1. Januar 2003 verpflich-tet, auf alle einwegverpackten Getränke aus den Bereichen Mineral-wasser, Bier und Erfrischungsgetränke mit Kohlensäure ein Pfand von25 bzw. 50 Cent zu erheben, bei Rückgabe der Verpackung zu erstat-ten und diese einer Verwertung zuzuführen. Hiergegen wendet sichdie Klägerin mit ihrer Klage.

Anm. d. Red.: Hauptantrag geht auf Aufhebung des Widerrufsder Entscheidung nach § 6 Abs. 3 VerpackV (Teilnahmeberechti-gung am Dualen System); Nebenantrag auf Feststellung, dass diePfandpflicht für Bier, das in vom DSD erfassten Einwegver-packungen vertrieben wird, nicht besteht bzw. nichtig ist.

Entscheidungsgründe:Die Klage ist (im Hilfsantrag) zulässig und begründet, weil die Kläge-rin auch ab dem 1. Januar 2003 nicht verpflichtet ist, von ihren Ab-nehmern auf die im Antrag näher bezeichneten Getränkeverpackun-gen ein Pfand zu erheben bzw. ihnen zu erstatten und dieVerpackungen zurückzunehmen. Im Übrigen ist die Klage unzulässig.

I.Die erhobene Anfechtungsklage ist unstatthaft, weil § 9 Abs. 2 Satz 2der Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Ver-packungsabfällen vom 21. August 1998 (BGBl. I S. 2379), zuletztgeändert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Ver-packungsverordnung vom 15. Mai 2002 (BGBl I. S. 1572) – VerpackV– einen Widerrufsverwaltungsakt nicht fingiert. (...)

II.Die Klage ist in ihrem Hilfsantrag zulässig. (Anm. d. Red.: auf Abdruckder ausführlichen Zulässigkeitserwägungen des Gerichts, S. 9-22 derUrteilsabschrift, wird hier aus Platzgründen verzichtet)

III.Die Klage ist im Hilfsantrag begründet.

§ 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV liegt keine wirksame Ermächtigungs-grundlage zu Grunde. Die Einführung eines Pflichtpfandes auf Ein-weggetränkeverpackungen zu dem Zweck, nicht deren Rückgabesicherzustellen, sondern die bestehenden Mehrwegsysteme zuschützen, ist vom Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz nicht vor-gesehen.

Eine belastende rechtliche Regelung – hier die Belastung mit einerPfandpflicht – muss von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein.Das verlangt bereits das in Art. 20 Abs. 3 GG normierte Prinzip vomVorbehalt des Gesetzes.

Als Ermächtigungsgrundlage kommt nur § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackVin Betracht. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass dessen tat-bestandliche Voraussetzungen erfüllt sind. Es kommt deswegen alleinauf die Wirksamkeit von § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV an.

§ 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV ist Teil einer bundesrechtlichen Rechts-verordnung, welche die Bundesregierung erlassen hat. Ob § 9 Abs. 2Satz 2 VerpackV wirksam ist, richtet sich danach, ob er in der in An-spruch genommenen formell-gesetzlichen Ermächtigungsnorm eineGrundlage findet. Denn nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG muss die Er-mächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen durch »Gesetz«, d.h. einzelne parlamentsgesetzliche Bestimmungen erfolgen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Oktober 1968 – 2 BvE2/66, in: BVerfGE 24, 184, 196.

Nach ihrem Vorspruch ist die Verpackungsverordnung aufGrund der Ermächtigungen in § 6 Abs. 1 Satz 4, § 23 Nrn. 1, 2, 6,§ 24 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 4, Abs. 2 Nr. 1, § 57, § 59, § 7 Abs. 1 Nr. 3, §12 Abs. 1 KrW-/AbfG ergangen. Der Inhalt der Verordnung mussvon diesen Ermächtigungsgrundlagen gedeckt sein. Die Verord-nung kann sich hinsichtlich der Pflichtpfandregelung und damitihres § 9 Abs. 2 Satz 2 nur auf § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG stützen.Die übrigen zitierten Normen behandeln andere Sachverhalte undscheiden offensichtlich aus.

Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 –2 S 6.01, in: DVBl 2002, 630, 635 (rechte Spalte unten). Dem stimmtdie Beigeladene zu (GA Leitverfahren 17 K 1907/02 Bl. 666).

§ 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG lautet:

»Zur Festlegung von Anforderungen nach § 22 wird die Bundesregierungermächtigt (...) zu bestimmen, dass Hersteller oder Vertreiber (...)

Nr. 2: bestimmte Erzeugnisse zurückzunehmen und die Rückgabe durchgeeignete Maßnahmen, insbesondere durch Rücknahmesysteme oderdurch Erhebung eines Pfandes, sicherzustellen haben, Nr. 3 (...)«

VG Düsse ldor f , Dosenpfand – Zwangspfand für E inweggetränkeverpackungen rechtswidr ig

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ZUR 1/200344

Ob diese Vorschrift zum Erlass der angegriffenen Verordungsregelungermächtigt, muss durch Auslegung ihrer Reichweite ermittelt werden.Hierbei ist der Rahmen zu beachten, den Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG demErlass von Ermächtigungsnormen setzt. Danach hat der Gesetzgebereiner solchen Norm »Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Er-mächtigung im Gesetz« selbst zu bestimmen. Tendenz und Pro-gramm der Rechtsverordnung sind gesetzlich so weit zu umreißen,dass schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist,was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll,

vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. September 2001 – 6C 13.00, in: DVBl 2002, 479, 480; Bundesverwaltungsgericht, Urteilvom 15. Februar 2001 – 3 C 9/00, in: NJW 2001, 1592, 1593; Bun-desverwaltungsgericht, Urteil vom 22. November 2000 – 6 C 8.99, in:BVerwGE 112, 194, 200.

Einerseits richtet sich nach den genannten Anforderungen die Be-antwortung der Frage, ob die ermächtigende Norm hinreichend be-stimmt und deswegen wirksam ist. Andererseits begrenzt Art. 80 Abs.1 Satz 2 GG zugleich auch die Reichweite der Verordnungsermächti-gung, hier also des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG. Er verbietet Ausle-gungen, die über das erkennbare Regelungsprogramm des Gesetzge-bers hinausgehen. Solche gesetzgeberischen Festlegungen müssensich zwar nicht mehr unmittelbar aus dem Wortlaut ergeben. Sie müs-sen sich aber nach den allgemeinen Grundsätzen der Auslegung vonGesetzen ermitteln lassen.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. September 2001 – 6 C13.00, in: DVBl 2002, 479, 480. Bundesverfassungsgericht, Urteilvom 10. Oktober 1972 – 2 BvL 51/69, in: BVerfGE 34, 52, 60: »Es mussentscheidbar sein, ob die Exekutive als Verordnungsgeber sich in-nerhalb der gesetzten Grenzen gehalten hat.«; zustimmend: Nier-haus, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundge-setz (Stand: März 2002), Art. 80 Rn. 266.

Der im Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot wurzelnde Par-lamentsvorbehalt gebietet es, in grundlegenden normativen Berei-chen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichenstaatlichen Entscheidungen dem Gesetzgeber zu überlassen.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 3/90, in:DVBl 1999, 1266, 1268; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 6. Juni1989 – 1 BvR 727/84, in: BVerfGE 80, 124, 132; Bundesverfassungs-gericht, Urteil vom 27. November 1990 – 1 BvR 402/87, in: BVerfGE83, 130, 142.

Das Bundesverwaltungsgericht verdeutlicht diese Anforderungenim Hinblick auf Ermächtigungsnormen für Rechtsverordnungen,wenn es erklärt, dass die Ermächtigung so deutlich gefasst sein muss,dass schon aus ihr, nicht erst aus der ermächtigten Verordnung er-kennbar und voraussehbar wird, was vom Bürger verlangt werdenkann. Das lasse jedenfalls in der Tendenz keinen Raum für eine eherweite Auslegung der Ermächtigungsnorm.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Februar 2001 – 3 C 9/00,in: NJW 2001, 1592, 1593.

Die Beantwortung der Frage, ob der Teilwiderruf der Feststellungnach § 6 Abs. 3 VerpackV durch § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV von der Er-mächtigungsnorm des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG gedeckt ist, lässtkeine isolierte Betrachtung der Widerrufsnorm zu. Diese ist aus sichheraus noch nicht verständlich. Vielmehr ist die Regelung zur Aktua-lisierung des Pflichtpfandes, das durch das Zusammenspiel verschie-dener Normen ausgelöst wird, in ihrer Gesamtheit zu betrachten.

§ 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV bietet keine in sich geschlossene Rege-lung, sondern ist Teil eines sich über verschiedene Vorschriften derVerpackungsverordnung erstreckenden – rechtstechnisch nicht ein-fachen – Regelungsmechanismus’. Ausgangspunkt ist § 8 Abs. 1 Ver-packV. Er gibt allen Vertreibern, die flüssige Lebensmittel in Einweg-Getränkeverpackungen in Verkehr bringen, auf, ein Pfand von 25bzw. 50 Cent zu erheben und bei Rückgabe zu erstatten. Nach § 9 Abs.1 VerpackV gilt jedoch eine Anwendungsausnahme von § 8 VerpackV

bei Verpackungen, für die sich der Hersteller oder ein Vertreiber aneinem haushaltsnahen Abholsystem für Verpackungen gemäß § 6Abs. 3 Satz 1 VerpackV beteiligt. Ein solches System stellt die DualesSystem Deutschland (DSD) AG („Grüner Punkt«) gemäß der Feststel-lung des beklagten Landes vom 18. Dezember 1992 (MBl. NW. 1993,S. 57) in der Fassung des Änderungsbescheids vom 7. Juli 1994 (MBl.NW. 1994, 1006) auf der Grundlage des § 6 Abs. 3 Satz 11 VerpackVdar. Deswegen gab es bislang keine Pfandpflicht für Einweg-Geträn-keverpackungen. Wenn in bestimmten Getränkebereichen die von §9 Abs. 2 VerpackV festgelegten Mehrweganteile nicht erreicht wer-den, »gilt die Entscheidung nach § 6 Abs. 3 (...) als widerrufen«. Da-mit fallen die Tatbestandsvoraussetzungen des befreienden § 9 Abs.1 VerpackV weg. Die latente Pfandpflicht wird aktualisiert.

Es stellt sich die Frage, ob § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG den Verord-nungsgeber dazu ermächtigt, bei Unterschreiten einer bestimmtenGesamt-Mehrwegquote eine Pfandpflicht auf Einweg-Getränkever-packungen zum Schutz der bestehenden Mehrwegsysteme zu be-gründen. Wendet man auf diese allgemeine Fragestellung konkret dieKriterien an, die gemäß der Rechtsprechung der obersten Gerichte desBundes aus Art. 80 Abs. 1 GG folgen, ergibt sich Folgendes: Ent-scheidend ist, ob eine Pfandpflicht mit diesem Schutzzweck und die-ser Beschränkung hinsichtlich der betroffenen Getränke in derErmächtigungsnorm des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG angelegt undfür den Gesetzesunterworfenen erkennbar ist.

Die Frage, ob die Ermächtigungsnormen der § 14 AbfG 1986/ §§ 22,24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG zu weit reichenden umweltrechtlichenVerordnungen den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügen,wird verschiedentlich verneint: Friauf, Abfallrechtliche Rücknahme-pflichten, in: Baur/Müller-Graff/Zuleeg, Europarecht, Energierecht,Wirtschaftsrecht – Festschrift für Bodo Börner, 1992 S. 701, 711 ff; Au-lehner, Einweg-Mehrweg-Irrweg, in: Betriebs-Betrater 1995, Beilage 3,S. 1, 9. Kritisch auch Schink/Schwade, Von der Abfallentsorgung zurKreislaufwirtschaft, in: Stadt und Gemeinde 1993, 18, 21; Doose, DerEntwurf eines Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes aus kommu-naler Sicht, in: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung 1992,450, 453. A. A. Di Fabio, Die Verfassungskontrolle indirekter Um-weltpolitik am Beispiel der Verpackungsverordnung, in: NVwZ 1995,1, 3 f. für die Einführung eines dualen Systems (DSD AG) überhaupt.

1. Wie die Anforderungen, die Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG an die Aus-legung einer Ermächtigungsnorm stellt, exakt zu bestimmen sind,kann nicht einheitlich beantwortet werden. Vielfach hat das Bun-desverfassungsgericht nicht deutlich zwischen »Inhalt, Zweck undAusmaß« geschieden, sondern festgestellt, dass die Begriffsinhaltesich gegenseitig ergänzen, durchdringen, erläutern und erst zusam-men den vollen Sinngehalt der Norm ergeben.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 4. Februar 1975 – 2 BvL 5/74,in: BVerfGE 38, 348, 357 f.

Hieraus hat es die bereits angeführten allgemeinen aus Art. 80 Abs.1 Satz 2 folgenden Auslegungsgrundsätze entwickelt. Gleichwohl hatdas Bundesverfassungsgericht in einer jüngeren Entscheidung zurHennenhaltungsverordnung Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG sehr normtex-torientiert – nach Inhalt, Zweck und Ausmaß gegliedert – angewendet.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 3/90, in:DVBl 1999, 1266, 1267.

Ein zwingendes methodisches Prüfprogramm lässt sich also aus Art.80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ableiten. Es verbleibt vielmehr bei der Er-kenntnis, die das Bundesverfassungsgericht bereits im ersten Bandseiner Entscheidungssammlung veröffentlicht hat: Eine sachgerech-te Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG fordert, dass sie sich andie Eigenart der Regelungsmaterie anpasst.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 23. Oktober 1951 – 2 BvG1/51, in: BVerfGE 1, 14, 60 (Leitsatz Nr. 19); kritisch: Ossenbühl, in:Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band III (1988), § 64Rn. 18 a. E.

Rechtsprechung

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In wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Materien wie hier kannwegen der sachgesetzlich erforderlichen Reaktionsschnelligkeitund der Vielgestaltigkeit abfallwirtschaftlicher Sachverhalte einegroßzügigere Betrachtungsweise der Bestimmtheit geboten sein,vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 12. November 1958 – 2BvL 4/56, 2 BvL 26/56, 2 BvL 40/56, 2 BvL 1/57, 2 BvL 7/57, in:BVerfGE 8, 274, 321.

Die mögliche Großzügigkeit der Betrachtungsweise nimmt indesmit zunehmender Grundrechtsrelevanz der Maßnahme ab. Je mehrdie Eingriffe den Randbereich der Grundrechtsgarantie verlassen undzu ihrem Kerngehalt vordringen, desto bestimmter muss die Er-mächtigungsnorm gefasst sein.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 3. November 1982 – 2 BvL28/81, in: BVerfGE 62, 203, 210; Bundesverwaltungsgericht, Urteilvom 17. Oktober 1991 – 3 C 45/90, in: BVerwGE 89, 121, 131 f.

2. Dass überhaupt eine Pfandpflicht »Inhalt« einer auf § 24 Abs. 1Nr. 2 KrW-/AbfG gestützten Rechtsverordnung sein kann, wird bereitsaus dessen Wortlaut deutlich: »Erhebung eines Pfandes«. Die von Art.80 Abs. 1 Satz 2 GG geforderte Festlegung des »Ausmaßes« der exe-kutiven Normsetzungsbefugnisse wird aus der Ermächtigungsnormweniger deutlich. Modalitäten, Gründe, Anlässe, Reichweite oderHöhe der Pfandpflichten sind nicht näher bestimmt. Das ist jedochinsoweit unschädlich, als § 24 Abs. 1 Einl. KrW-/AbfG auf die Anfor-derungen nach § 22 KrW-/AbfG verweist und so die Einführung derPfandpflicht an bestimmte Ziele knüpft, die wiederum der Parla-mentsgesetzgeber selbst bestimmt hat. Betroffene Erzeugnisse, Höheund weitere Modalitäten des Pfandes können der Verwaltung zurnäheren Bestimmung überlassen werden, da so die Möglichkeit be-steht, Einzelheiten differenziert zu regeln und den sich ggfs. schnelländernden Bedürfnissen ohne aufwändiges Gesetzgebungsverfahrenanzupassen.

Ebenso Beckmann, Rechtsprobleme der Rücknahme- und Rückga-bepflichten, in: DVBl 1995, 314, 315.

Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG schreibt weiter vor, dass neben Inhalt undAusmaß auch der »Zweck« der Ermächtigung zu exekutiver Rechts-setzung in der Delegationsnorm festzulegen ist. Der Zweck wird viel-fach als das herausragende Element der Bestimmtheitstrias angese-hen, weil er gleichermaßen auf Inhalt und Ausmaß der Ermächtigungausstrahle, siehe nur Bryde, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 3. Auflage (1996), Rn. 22 »zentrale Kategorie«;Enquête-Kommission Verfassungsreform 1976, in: BT-Drs. 7/5924 S.90: Vorschlag, Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auf »Zweck« zu reduzieren.

Den Sinn der Regelung des Art. 80 Abs. 1 GG – der unter dem Ein-druck eines sogar verfassungsändernden Verordnungsgebers in dernationalsozialistischen Diktatur entstand,

Nierhaus, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, Bonner Kommentar zumGrundgesetz (Stand: März 2002), Art. 80 Abs. 1, Rn. 1-58, insbes.Rn. 52 ff. –

hat das Bundesverfassungsgericht so zusammengefasst: »Sinn derRegelung des Art. 80 Abs. 1 GG ist es, das Parlament daran zu hin-dern, sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft zuentäußern.« Speziell zur Gestaltungskompetenz der Verwaltung imRahmen des Art. 80 Abs. 1 GG hat es wenige Zeilen weiter ausgeführt:»Es gehört im Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts zum rechts-staatlich-demokratischen Gehalt dieser Vorschrift, dass in einer Ver-ordnung, die auf ihrer Grundlage ergeht und ihrem Grundgedankenentspricht, niemals originärer Gestaltungswille der Exekutive zumAusdruck kommen darf.«

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 8. Juni 1988 – 2 BvL 9/85, 2BvL 3/86, in: BVerfGE 78, 249, 273 (Hervorhebung durch das Bun-desverfassungsgericht).

Der Gestaltungswille eines Normgebers ergibt sich in besondererWeise aus dem Zweck eines Vorhabens, da alle Einzelregelungen dazubeitragen sollen, ihn zu erreichen.

Der Pflicht, den Zweck der Ermächtigung anzugeben, ist der Ge-setzgeber nachgekommen. Er hat die Erhebung eines Pfandes anzwei Zwecke gebunden. Allgemein dürfen nach § 24 Abs. 1 Einl.KrW-/AbfG Rechtsverordnungen – und damit auch die Ver-packungsverordnung – nur erlassen werden zum Zwecke der »Fest-legung von Anforderungen nach § 22«. Speziell zur Pfanderhebungist in § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG weiter gehend festgelegt, dassder Verordnungsgeber die Hersteller oder Vertreiber bestimmterErzeugnisse verpflichten kann, dass sie »die Rückgabe ... durch Er-hebung eines Pfandes sicherzustellen haben«. Das Pfand ist mit derRückgabesicherstellung verknüpft. Der ermächtigende Gesetzgeberhat das Pfand also (nur) als Mittel dafür angesehen, den Käuferneinen starken wirtschaftlichen Anreiz zu bieten, ihr Rückgaberecht– dem eine Rücknahmepflicht der Hersteller und Vertreiber korre-spondiert – wahrzunehmen. Das Pfand darf also nur zu dem Zweckvorgesehen werden, die Rückgabequote des Erzeugnisses zu er-höhen oder zu halten.

Verschiedentlich wird betont, dass das Pfandsystem der Sicher-stellung der Rückgabe der abgegebenen Erzeugnisse zu dienen hat:Versteyl, in: Kunig/Paetow/Versteyl, Kreislaufwirtschafts- und Ab-fallgesetz, Kommentar, 1998, § 24 Rn. 24/26; Fluck/Fischer, in:Fluck, Kreislaufwirtschafts-, Abfall- und Bodenschutzrecht, § 24KrW-/AbfG Rn. 84; von Lersner, in: von Lersner u. a., Recht der Ab-fallbeseitigung (Stand: Mai 2002), § 24 KrW-/AbfG Rn. 27.

Diesem Zweck dient das in §§ 8, 9 VerpackV vorgesehene Pflicht-pfand auf EinwegGetränkeverpackungen indes nicht. Denn es setzttatbestandlich nicht voraus, dass Einwegverpackungen von Ge-tränken in bestimmtem Umfang von den Konsumenten nichtzurückgegeben werden oder dies zu besorgen ist. Es knüpft über-haupt nicht an Einwegverpackungen, sondern vielmehr an eingänzlich anderes Erzeugnis an, nämlich an mehrwegverpackte Ge-tränke. Bei diesen spielt auch nicht die Rückgabequote eine Rolle,sondern ihr Marktanteil im jeweiligen Getränkesektor. Die Pfand-pflicht auf Einweg-Getränkeverpackungen dient ausweislich derausdrücklichen Bezugnahme auf den Marktanteil von Getränkenin »Mehrwegverpackungen« in §§ 8, 9 Abs. 2 VerpackV dem wirt-schaftlichen Schutz des bestehenden Getränkevertriebs in Mehr-wegbehältnissen. Hieran ändert auch die – durch die neu erlasse-ne Verpackungsverordnung vom 21. August 1998 (BGBl I, S. 2379)– allgemeiner gefasste Überschrift des § 9 VerpackV von »Schutz derMehrwegsysteme« zu »Schutz von ökologisch vorteilhaften Ge-tränkeverpackungen« und die Wiederholung dieses Begriffs in § 9Abs. 3, 4 VerpackV nichts. Dadurch, dass der Verordnungsgeber dasPflichtpfand eingeführt hat, um die bestehenden Mehrwegver-triebssysteme möglichst davor zu schützen, unter einen Marktan-teil von 72 % zu fallen, verfolgt er einen eigenen politischen Ge-staltungswillen, den zu betätigen ihm die Verfassung aber durchArt. 80 Abs. 1 GG versagt. Wie die öffentliche Diskussion um dieWirksamkeit oder ökologische Sinnhaftigkeit eines Pflichtpfandesund möglicher Alternativen zeigt, kommen viele unterschiedlicheWege zur Zielerreichung in Frage. Hierzwischen zu wählen und in-sofern gestaltend in den Getränkemarkt und damit zugleich in dieBerufsfreiheit der an ihm Beteiligten einzugreifen, ist Sache desparlamentarischen Gesetzgebers und nicht der Verwaltung. DerGesetzgeber hätte in der Verordnungsermächtigung zum Ausdruckbringen müssen, dass er den Schutz der bestehenden Mehrweg-Ge-tränkevertriebsform unter den verschiedenen Möglichkeiten, dieabfallwirtschaftlichen Zwecke zu erreichen, als so vorzugswürdigansieht, dass den konkurrierenden Einweg-Vertriebsformen gera-de zur Erreichung dieses Schutzzweckes besondere Nachteile auf-gebürdet werden dürfen. Einen derartigen gesetzgeberischen Ge-staltungswillen zum Schutz der bestehenden Mehrwegsysteme hatdas Parlament indes nicht betätigt, indem es die Verwaltung nurermächtigte, in einer Verordnung zu bestimmen, »dass Hersteller

VG Düsse ldor f , Dosenpfand – Zwangspfand für E inweggetränkeverpackungen rechtswidr ig

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ZUR 1/200346

oder Vertreiber ... die Rückgabe ... durch Erhebung eines Pfandessicherzustellen haben ...«.

3. Dass die Pfandpflicht auf Einweggetränkeverpackungen alleindem wirtschaftlichen Schutz der bestehenden Mehrwegsysteme die-nen und nicht die Rückgabe der Einwegverpackungen an die Her-steller/Vertreiber sichern soll, bestätigen die Materialien zu den bei-den bisherigen Verpackungsverordnungen von 1991 und 1998.

Begründung der Verpackungsverordnung 1991 durch die Bundes-regierung: »Zum Schutz der bestehenden Mehrwegsysteme bei Mas-sengetränken gibt es keine Freistellung ..., wenn die bestehenden An-teile der Mehrwegsysteme unter bestimmte Bestandsgrenzen fallen.«,in: BR-Drs. 817/90 S. 3, 31 (allgemein), S. 57 (speziell zu § 9).

Begründung der Bundesregierung zum Entwurf einer Ver-packungsverordnung von 1996 (vom Bundesrat später abgelehnt):»Absatz 2 Satz 2 soll ... insbesondere sicherstellen, dass die in der Bun-desrepublik Deutschland als auch in den einzelnen Bundesländernbestehenden Mehrwegsysteme für Massengetränke nicht über dieEinrichtung dualer Systeme destabilisiert werden.«, in: BR-Drs.992/96 S. 24.

Begründung der Bundesregierung zum Entwurf einer Ver-packungsverordnung von 1998 (beschlossen): »Absatz 2 Satz 2 soll ...insbesondere sicherstellen, dass die in der Bundesrepublik Deutsch-land als auch in den einzelnen Bundesländern bestehenden Mehr-wegsysteme für Massengetränke nicht über die Einrichtung dualer Sy-steme destabilisiert werden.«, in: BT-Drs. 13/10943 S. 27.

Der wirtschaftliche Schutz der überkommenen Mehrwegver-triebsformen soll dadurch erreicht werden, dass die spezifischenNachteile der Mehrwegvertriebsform auch der Einwegvertriebs-form auferlegt werden.

Der Hauptnachteil von Mehrwegverpackungen besteht darin,dass der Käufer die geleerte Verpackung nicht einfach zum Haus-müll geben kann, wenn er den eingesetzten Pfandbetrag zurücker-halten will. Er muss sich zu einer Rücknahmestelle bemühen, dieVerpackung dort abgeben und erhält erst dann den Pfandbetragzurück. Der zweite Nachteil, den die bestehenden Mehrwegsyste-me aufweisen, besteht darin, dass die so vertriebenen Getränke aufden ersten Blick teurer sind als die einwegverpackten Konkurrenz-produkte, weil der reine Produktpreis auf der Preisauszeichnungs-tafel mit dem Pfandbetrag zu einem Gesamtpreis addiert wird. Dadas Pflichtpfand betragsmäßig höher liegt als das (freiwillig) erho-bene Mehrwegpfand, würden Getränke in Einwegverpackungenim Vergleich sogar noch teurer wirken.

Kurz gesagt soll der Kauf eines einwegverpackten Getränks mitder Einführung des Pflichtpfandes genauso unbequem und(scheinbar) teuer werden wie der Kauf eines Getränks in einemMehrwegbehältnis.

So auch die beigeladene Bundesrepublik Deutschland, GA Leitver-fahren 17 K 1907/02 Bl. 649-651, insbes. Bl. 650.

Der Verordnungsgeber erhofft sich offensichtlich von dieserMaßnahme, dass die Verbraucher von ihren geänderten Konsum-gewohnheiten – die erst ein Absinken der Mehrwegquote unterden Wert von 1991 verursacht haben – abrücken und wieder ver-mehrt Produkte der klassischen Mehrwegvertriebsform wählen.Ob die Mehrwegvertriebsform tatsächlich ökologisch generell denEinwegverpackungen vorzuziehen ist, wird unter Sachverständi-gen kontrovers diskutiert. Der Streit muss im Rahmen dieses Ver-fahrens nicht entschieden werden. Hingewiesen sei lediglich dar-auf, dass der vom Verordnungsgeber selbst eingesetzte Rat vonSachverständigen für Umweltfragen in seinem Umweltgutachten2002 (erneut) festgestellt hat, dass »sich nach den zwischenzeitlichverfügbaren Ökobilanzen eine ökologische Überlegenheit vonMehrwegsystemen nicht in allen Fällen belegen« lässt.

Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, in: BT-Drs. 14/8792S. 410 (Tz. 961).

Ob die Getränkekäufer tatsächlich wieder vermehrt zum mehr-wegverpackten Getränk greifen oder der Handel die Pfandsystemko-sten durch verstärkte Absatzbemühungen im Bereich der Einwegge-tränke zu Lasten der Mehrwegsysteme wieder hereinzuholenversuchen wird, bleibt ungewiss.

Verhältnismäßig sicher ist demgegenüber, dass auf Straßen, Wegen,Plätzen und in der freien Natur die achtlos weggeworfenen Geträn-keverpackungen („littering«) stark zurückgehen würden, soweit siepfandpflichtig sind. Erstens würden wegen des Pfandwerts wenigerKäufer die Verpackungen fortwerfen. Zweitens würden sich zahlrei-che Dritte (z. B. Kinder) finden, die die weggeworfenen Verpackun-gen einsammeln und das Pfand auslösen. Hierdurch würde – gewis-sermaßen nebenbei – der in § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG niedergelegteZweck der Pfandpflicht, nämlich die Rückgabe der Verpackungen zusichern, für einen (vermutlich kleinen) Teil der verkauften Ver-packungen tatsächlich erreicht. Da aber aus §§ 8, 9 VerpackV klar her-vorgeht, dass allein der Schutz der bestehenden MehrwegsystemeZweck der Pfanderhebung ist, handelt es sich hierbei nur um einenReflex der Pfandpflichtanordnung, nicht aber um seinen Zweck.

Die Regelung des Pflichtpfandes für Einweggetränkeverpackungenentspricht im Zusammenspiel von § 8 und (nur) § 9 Abs. 1 VerpackVdem Zweck der Ermächtigungsgrundlage. Wenn nämlich ein haus-haltsnahes Abholsystem für Verkaufsverpackungen im Sinne des § 6Abs. 3 VerpackV nicht festgestellt werden kann, besteht zumindestdie begründete Befürchtung, dass die Rückgabe der Getränkever-packungen an Hersteller/Vertreiber nicht in dem gebotenen Umfangerfolgt. In dem Fall stellt ein Pfand die Rückgabe sicher. Existiert al-lerdings ein nach § 6 Abs. 3 Satz 11 VerpackV festgestelltes Systemund beteiligen sich Getränkehersteller und -vertreiber hieran, sprichtalles dafür, dass die Rückgabe der Getränkeverpackungen über das Sy-stem umfänglich erfolgt. Andernfalls könnte es die Verwertungsquo-ten, die im Anhang I zu § 6 VerpackV genannt sind, kaum erreichen.Weder das beklagte Land noch die Beigeladene tragen vor, dass Ein-weggetränkeverpackungen ungenügend zurückgegeben werden. Indiesem Fall kann eine Pfandpflicht keine wesentlich höhere Rückga-bequote »sicherstellen«. § 9 Abs. 2 VerpackV pfropft der in sich stim-migen und dem gesetzlichen Ermächtigungszweck entsprechendenVerordnungsregelung mit dem Mehrwegschutz nun einen weiterenZweck auf. Er knüpft dabei weder an die tatsächliche Rückgabequo-te von Einweggetränkeverpackungen an, noch will § 9 Abs. 2 Satz 2VerpackV sie erhöhen. Der Schutz der Marktanteile der Mehrweg-vertriebssysteme ist aber nicht vom Ermächtigungszweck des § 24Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG gedeckt.

4. Von einem solchen Ermächtigungszweck ging auch der histori-sche Gesetzgeber ausweislich der Materialien zum Kreislaufwirt-schafts- und Abfallgesetz nicht aus. Auf das Kreislaufwirtschafts- undAbfallgesetz (und nicht das frühere Abfallgesetz 1986, unter dessenGeltung die erste Verpackungsverordnung von 1991 erlassen wurde)kommt es entscheidend an, weil die Verpackungsverordnung am 21.August 1998 unter Geltung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallge-setzes neu erlassen wurde und die Verpackungsverordnung von 1991aufgehoben wurde,

§ 17 Satz 2 VerpackV 1998: »Mit Inkrafttreten dieser Verordnungtritt die Verpackungsverordnung vom 12. Juni 1991 (BGBl. I S. 1234)außer Kraft«.

Die Begründung der Bundesregierung zum heutigen § 24 KrW-/AbfG erschöpft sich in folgender Aussage: »Hier werden die be-währten Regelungen der Rücknahmepflichten aufgegriffen und umdie Möglichkeit der Verordnung einer Rückgabepflicht ergänzt.«

Gesetzentwurf der Bundesregierung, in: BT-Drs. 12/5672 S. 47.Zu den gesamten Ermächtigungsregelungen in den heutigen §§ 22

bis 24 KrW-/AbfG führte die Bundesregierung vorangestellt zusam-menfassend aus: »Es werden in §§ 20 ff. KrW-/AbfG vor allem die Vor-aussetzungen und Rahmenbedingungen für die Anordnung von

Rechtsprechung

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Rücknahme- und Rückgabepflichten für Hersteller/Vertreiber undKonsumenten durch Rechtsverordnung auf Grund der bisherigen Er-fahrungen mit dem Erlass von Rechtsverordnungen nach § 14 AbfGkonkretisiert.«

Gesetzentwurf der Bundesregierung, in: BT-Drs. 12/5672 S. 32.Der Bundesrat hatte noch im Gesetzgebungsverfahren kritisiert,

dass die Produktverantwortungen, die im heutigen § 22 KrW-/AbfGniedergelegt sind, in den Verordnungsermächtigungen nicht hinrei-chend zum Ausdruck kommen, sondern alle materiellen Inhalte aufdie exekutive Ebene verlagert werden: »Die zur Konkretisierung des §20 gedachten §§ 21 und 22 vermögen ebendies nicht zu leisten, ver-schieben sie doch die wesentlichen materiellen Inhalte einer Pro-duktverantwortung in von der Bundesregierung zu erlassende Rechts-verordnungen.«,

Bundesrat zu §§ 20 bis 22 E-KrW-/AbfG, in: BT-Drs. 12/5672, S. 72.Auch die Sachverständigen, die in den Ausschussberatungen zur

Vorgängernorm des § 14 Abfallgesetz 1986 gehört worden waren, hat-ten auf diese fehlende gesetzliche Vorgabe hingewiesen. Der Berichtdes Innenausschusses des Bundestages teilt dazu mit: »In Sachver-ständigenanhörungen wurde bemängelt, dass genaue gesetzlicheVorgaben in der VO-Ermächtigung fehlen, insbesondere zu Einweg-/Mehrweggebinden.«

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum Ent-wurf des Abfallgesetzes von 1986, in: BT-Drs. 10/5656 S. 43.

Die Bedenken wies die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfah-ren zum Erlass des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes zurück mitder Gegenäußerung: »Die Bundesregierung ist nicht bereit, die Rege-lungen der §§ 21 und 22 zu reduzieren, da sie weitgehend bereits demgeltenden § 14 AbfG entsprechen und im Wesentlichen eine Verbes-serung der Ermächtigung für Rücknahmeverpflichtungen für Alt-produkte beinhalten.«

Gegenäußerung der Bundesregierung, in: BT-Drs. 12/5672 S. 123.Die Gesetzesmaterialien zeigen, dass die gesetzgebenden Körper-

schaften sich beim Erlass der Ermächtigungsgrundlagen der derzeitgeltenden Verpackungsverordnung mit der Frage, ob auf Einwegver-packungen ein Pfand erhoben werden darf, um bestehende Mehr-wegsysteme zu schützen, nicht befasst haben. Sie haben lediglich auf§ 14 des Abfallgesetzes in der Fassung von 1986 verwiesen. Dieser läs-st nach seinem – dem § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG sehr ähnlichen –Wortlaut aber auch keinen Rückschluss darauf zu, dass er zu einerPfandeinführung zu diesem Zweck ermächtigen sollte. § 14 Abfall-gesetz in der vom 1. November 1986 geltenden Fassung lautete in sei-ner hier entscheidenden Passage: »... kann die Bundesregierung be-stimmen, dass bestimmte Erzeugnisse, insbesondere Verpackungenund Behältnisse ... Nr. 3: nach Gebrauch zurückgenommen werdenmüssen und dass die Rückgabe durch geeignete Rücknahme- undPfandsysteme sichergestellt werden muss.«

Auch die Materialien zu § 14 AbfallG 1986 lassen ebenfalls nichtden Schluss darauf zu, dass ein Pflichtpfand mit der in der Ver-packungsverordnung niedergelegten Zwecksetzung auf seiner Grund-lage solle erhoben werden können. Es heißt vielmehr in der Einzel-begründung der Bundesregierung zum Entwurf des § 14 Abs. 1 Nr. 4bAbfG 1986: »Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 4 Buchstabe b sind inBetracht zu ziehen, wenn die Rückführung von Verpackungen undBehältnissen nicht möglich ist. Pfandpflichten für wiederverwend-bare Verpackungen und Behältnisse können erwünscht sein, um denRücklauf von Mehrwegflaschen zum Abfüllen zu gewährleisten.«

Gesetzentwurf der Bundesregierung, in: BT-Drs. 10/2885 S. 18 (Her-vorhebung durch das Gericht).

Der Gesetzgeber des § 14 AbfG, dessen Regelungen der Gesetzge-ber der §§ 22 bis 24 KrW-/AbfG übernehmen wollte, sah also nur einPfand für wiederverwendbare Verpackungen, nicht für Einwegver-packungen vor. Hinweise auf eine Bepfandungsmöglichkeit zumZwecke des wirtschaftlichen Mehrwegschutzes sind nicht erkennbar.

Vgl. dazu Backes, Das neue Abfallgesetz des Bundes und seine Ent-stehung, in: DVBl 1987, 333, 337 f.

5. Eine erweiternde Auslegung des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG hin-sichtlich seines Ermächtigungszwecks kommt nicht in Betracht. DieSanktionierung einer Vertriebsform mit einem Pflichtpfand stellt be-reits einen nicht ganz unbeachtlichen Eingriff in die Berufsausü-bungsfreiheit des Art. 12 GG dar.

Eine Verletzung mindestens des Art. 12 GG bei pauschaler Bevor-zugung der Mehrwegvertriebsform vor Einwegverpackungen er-blicken: Papier, Mehrwegkampagnen der Kommunen in öffentlich-rechtlicher Beurteilung, in: VerwArch Bd. 84 (1993), S. 417, 436;Arndt/Fischer, Das Zwangspfand für Getränkeverpackungen – Ver-einbarkeit mit dem Grundgesetz und Europäischem Gemeinschafts-recht, in: Betriebs-Berater 2001, 1909, 1914; Aulehner, Einweg-Mehr-weg-Irrweg, in: Betriebs-Betrater 1995, Beilage 3, S. 1, 9-13.

Wenn dieser Eingriff mit der Zielrichtung erfolgt, eine unmittel-bar konkurrierende Vertriebsform auf einem Marktanteil zu halten,der nach kartellrechtlichen Grundsätzen als marktbeherrschendim Sinne des § 19 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-schränkungen (GWB) einzustufen wäre, handelt es sich um einenso erheblichen Eingriff, dass über ihn nach der Wesentlich-keitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch den par-lamentarischen Gesetzgeber entschieden werden muss. Diesemkäme dann auch die Gestaltungsbefugnis hinsichtlich der wesent-lichen Frage zu, ab welchem Marktanteil in etwa die Mehrweg-systeme geschützt werden sollen. Die von der Verpackungsverordnunggesetzten 72 % folgen ausweislich der Gesetzgebungsgeschichtekeiner sachlich begründeten Notwendigkeit, sondern schreibennur die im Jahr 1991 – dem Jahr des Erlasses der ersten Ver-packungsverordnung – vorgefundenen Verhältnisse fort. Es han-delt sich bei der Frage, ab welchem Marktanteil Schutzmaßnahmenzu Gunsten einer Vertriebsform zu ergreifen sind, aber um ein ganzentscheidendes Moment, sodass der Gesetzgeber zumindest dieGrößenordnung vorgeben muss, ab der die Eingriffsschwelle über-schritten ist.

Eine Pfandvorschrift, die genau dem in § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfGzum Ausdruck kommenden Zweck der Rückgabesicherung dient, fin-det sich beispielsweise in § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Rück-nahme und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatorenvom 2. Juli 2001, BGBl I S. 1486 (BattV). Danach muss der Vertreibervon Autobatterien (so genannte »Starterbatterien«) ein Pfand erhe-ben, wenn der Endverbraucher im Zeitpunkt des Kaufs keine ge-brauchte Starterbatterie zurückgibt.

6. Soweit die Kammer eine fehlende Ermächtigungsgrundlage fürdie Einführung der Pfandpflicht zu dem in der Verpackungsverord-nung normierten Zweck feststellt, folgt sie nicht der im einstweiligenRechtsschutzverfahren gegen die Bekanntgabe der Mehrwegquotenvom Oberverwaltungsgericht Berlin geäußerten Ansicht. Das Ober-verwaltungsgericht Berlin war im Eilrechtsschutz der Auffassung ge-wesen, dass die Einführung eines Pflichtpfandes zur Stützung desMarktanteils von Mehrwegvertriebsformen durch die Verpackungs-verordnung von § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG gedeckt sei, Oberver-waltungsgericht Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 2 S 6.01,in: DVBl 2002, 630, 635 f.

Die erkennende Kammer lässt insoweit offen, ob das Oberver-waltungsgericht Berlin überhaupt Anlass hatte, im Rahmen eines An-trages, der sich nur gegen den feststellenden Verwaltungsakt der Be-kanntgabe der Mehrwegquoten durch den Bund richtete, die von derFeststellungswirkung verschiedenen, später eintretenden Rechtsfol-gen und deren Ermächtigungsgrundlage zu prüfen.

Das Berliner Oberverwaltungsgericht befasst sich – dem Eilcharak-ter seiner Entscheidung entsprechend – jedoch weder mit den An-forderungen des Art. 80 Abs. 1 GG noch mit den Materialien zur Ver-packungsverordnung, zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz

VG Düsse ldor f , Dosenpfand – Zwangspfand für E inweggetränkeverpackungen rechtswidr ig

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ZUR 1/200348

oder zum Abfallgesetz 1986. Es behandelt vielmehr nur den Einlei-tungssatz von § 24 Abs. 1 KrW-/AbfG, der u. a. auf § 22 Abs. 2 Nr. 1KrW-/AbfG (irrtümlich im Beschluss als Nr. 2 bezeichnet) verweist,und den Einsatz mehrfach verwendbarer Erzeugnisse als zur Pro-duktverantwortung gehörend ansieht. Dazu ist gegen die Meinungder Beigeladenen festzustellen, dass die Produktverantwortung aus §22 Abs. 1 KrW-/AbfG – die dessen Absatz 2 näher definiert – nach demGesetzeswortlaut nur denjenigen trifft, der »Erzeugnisse entwickelt,herstellt, be- und verarbeitet oder vertreibt«. Im Zusammenspiel von§ 22 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG bedeutet dies, dass hiernachverordnet werden kann (vgl. § 22 Abs. 4 Satz 1 KrW-/AbfG), dass fürbestimmte Erzeugnisse nur Mehrwegverpackungen zulässig sein sol-len. Das Pflichtpfand aus der Verpackungsverordnung trifft aber kei-ne Mehrwegverpackungen, sondern nur Einweg-Getränkever-packungen.

Selbst wenn man dem Oberverwaltungsgericht Berlin und seinerin der Eilentscheidung geäußerten Auffassung, dass die Pfandpflichtdie Produktverantwortung nach § 22 Abs. 1 KrW-/AbfG konkretisie-re, folgt, bleibt die besondere Zweckbestimmung in § 24 KrW-/AbfGbestehen. § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG gibt für die Einführung einerPfandpflicht zusätzlich zu § 24 Abs. 1 Einl. KrW-/AbfG eine spezielleZweckbestimmung vor: die Sicherstellung der Rückgabe (der mit ei-nem Pfand zu belegenden Verpackung).

Vgl. Versteyl, in: Kunig/Paetow/Versteyl, Kreislaufwirtschafts- undAbfallgesetz, Kommentar, 1998, § 24 Rn. 24 ff., insbesondere Rn. 26.

Die Sicherstellung der Rückgabe ist mit der Pfandregelung in §§ 8,9 VerpackV aber nicht bezweckt, sondern ausweislich der Tatbe-standsvoraussetzungen und der Entstehungsgeschichte der Schutzder bestehenden Mehrwegsysteme.

Angesichts der sich aus dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1Satz 2 GG ergebenden Folgerungen kann die Produktverantwortungnach § 22 KrW-/AbfG – zu deren Konkretisierung die nach § 24 KrW-/AbfG erlassenen Verordnungen unter anderem dienen sollen – nichtauf »fremde« Produkte ausgedehnt werden. Den Hersteller und Ver-treiber von einwegverpackten Getränken trifft keine Produktverant-wortung insofern, dass er dafür Sorge zu tragen hat, dass weniger vonseinem und mehr von konkurrierenden mehrwegverpackten Pro-dukten gekauft wird. Wie sich aus der beispielhaften („insbesonde-re«) Reihung in § 22 Abs. 2 KrW-/AbfG ergibt, trifft die Produktver-antwortung (die stets erst durch eine Rechtsverordnung konkretisiertwerden muss, § 22 Abs. 4 KrW-/AbfG) denjenigen, der irgendwie amInverkehrbringen eines bestimmten Erzeugnisses beteiligt ist. Der soBeteiligte muss beispielsweise Erzeugnisse herstellen, die geeignetsind, mehrfach verwendet zu werden und die technisch langlebigsind (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG), er muss bei der Herstellung vor-rangig verwertbare Abfälle verwenden (§ 22 Abs. 2 Nr. 2), er muss sei-ne schadstoffhaltigen Erzeugnisse kennzeichnen (§ 22 Abs. 2 Nr. 3)und so fort. Stets treffen ihn also besondere Pflichten in Bezug auf ge-nau das Produkt, um dessen Herstellung/Verkauf/Inverkehrbrin-gen/Rücknahme es geht, an dem er »beteiligt« ist. Aus der beispiel-haften Aufzählung der Produktpflichten in § 22 Abs. 1, 2 i. V. m. § 24Abs. 1 Einl. KrW-/AbfG ist nicht ohne Verstoß gegen die dargelegtenGrundsätze des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ableitbar, dass die Produkt-verantwortung umfasst, das Inverkehrbringen des eigenen Produktszum Zweck des Schutzes eines anderen Produkts zu erschweren (in-dem ein Pfand zu erheben/erstatten ist). Leitgedanke der Produkt-verantwortung, der in § 22 Abs. 1, 2 KrW-/AbfG, aber auch in den Ver-ordnungsermächtigungen der §§ 23, 24 KrW-/AbfG zum Ausdruckkommt, ist, dass das in Verkehr gebrachte Erzeugnis abfallwirtschaft-lich so unbedenklich wie möglich zu gestalten und zu handhaben ist.Die Produktverantwortung kommt aber nicht dergestalt zum Aus-druck, dass einem Erzeugnis gezielt Vertriebsnachteile zugefügt wer-den dürfen, deren Anwendung von den Marktanteilen einer kon-kurrierenden Vertriebsform abhängt. Jedes Erzeugnis – so folgt aus §§

22 Abs. 2, 23, 24 KrW-/AbfG – darf immer dann uneingeschränkt inVerkehr gebracht werden, wenn mit seinen Rückständen im Einklangmit den abfallwirtschaftlichen Zielen des Kreislaufwirtschafts- undAbfallgesetzes verfahren wird oder verfahren werden kann. Sogar beigefährlichen Erzeugnissen findet nur eine Betrachtung des Erzeug-nisses selbst statt. Die Indienstnahme eines Erzeugnisses zur Förde-rung/Absatzstabilisierung eines anderen ist in den §§ 22 ff. KrW-/AbfGnicht vorgesehen.

7. Da der Klage im Hilfsantrag wegen fehlender Ermächtigungs-grundlage stattzugeben ist, trifft das Gericht keine Feststellungen zuden aufgeworfenen Fragen, ob ein Verstoß gegen Grundrechte (Art.3, 12, 14 GG) vorliegt, das Mehrwegvertriebssystem dem Einwegsy-stem generell oder unter bestimmten Bedingungen aus ökologischenGründen vorzuziehen ist, die Feststellung der Mehrwegquoten recht-mäßig ist oder die Pfandpflichtregelung mit europäischem Recht ver-einbar ist.

VG BerlinDosenpfand – Zwangspfand für EinweggetränkeverpackungenrechtmäßigBeschluss vom 2. Oktober 2002 – VG 10 A 349.02

Leitsätze der Redaktion:1. Die Verordnungsregelung der §§ 8, 9 VerpackV über das Zwangs-

pfand für Einweg-Getränkeverpackungen findet in §§ 24 Abs. 1KrW-/AbfG eine den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genü-gende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.

2. Das Zwangspfand gemäß §§ 8, 9 VerpackV verstößt auch nicht ge-gen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Tatbestand ( Zusammenfassung der Redaktion ):Die im Lebensmitteleinzelhandel tätigen Antragstellerinnen, die inden ihnen angeschlossenen 1767 Filialbetrieben in Einwegver-packungen abgefüllte Getränke vertreiben, wenden sich im Wege desvorläufigen Rechtsschutzes gegen die Einführung einer Pfanderhe-bungspflicht auf Einweggetränkeverpackungen für die Getränkeberei-che Mineralwasser, Bier sowie Erfrischungsgetränke mit Kohlensäure.

(Anm. der Redaktion: Zum weiteren Sachverhalt vergl. VG Düsseldorf, Urteil vom 10.9.02, abgedruckt in diesem Heft)

Die Antragstellerinnen beantragen, die aufschiebende Wirkungder Klage gegen die Bekanntmachung der Nacherhebung der Bun-desregierung bezüglich der Mehrweganteile von Getränkever-packungen (...) wiederherzustellen, hilfsweise, der Antragsgegnerinim Wege einstweiliger Anordnung aufzugeben, bis zur rechtskräftigenEntscheidung der Klage die Verpflichtung der Antragsstellerinnen zurErhebung eines Pfandes auf Einweggetränkeverpackungen in den Be-reichen Mineralwasser, Bier und Erfrischungsgetränke mit Koh-lensäure auszusetzen.

II. Das (...) vorläufige Rechtsschutzbegehren hat weder im Haupt-noch im Hilfsantrag Erfolg.

1. Entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen erweist sich die Be-kanntmachung der Nacherhebungsergebnisse nicht schon deshalbals rechtswidrig, weil sie auf einer von der gesetzlichen Ermächtigungnicht gedeckten Verordnungsregelung beruht.

Rechtsgrundlage der Bekanntmachung der Nacherhebung derBundesregierung bezüglich der Mehrweganteile von Getränkever-packungen im Zeitraum von Februar 1999 bis Januar 2000 bzw. Mai 2000 bis April 2001 ist § 9 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 3

Rechtsprechung

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49ZUR 1/2003

der Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Ver-packungsabfällen (Verpackungsverordnung – VerpackV) vom 21. Au-gust 1998 (BGBl. I S. 2379), die ihrerseits u.a. auf § 24 Abs. 1 Nr. 2 desGesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der um-weltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- undAbfallgesetz – KrW-/AbfG) vom 27. September 1994 (BGBl. I S. 2705)beruht. § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG ermächtigt die Bundesregierungzur Festlegung von Anforderungen nach § 22, nach Anhörung der be-teiligten Kreise (§ 60) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung desBundesrates zu bestimmen, dass Hersteller oder Vertreiber bestimmteErzeugnisse zurückzunehmen und die Rückgabe durch geeigneteMaßnahmen, insbesondere durch Rücknahmesysteme oder durch Er-hebung eines Pfandes, sicherzustellen haben. Mit § 22 KrW-/AbfG istdabei ausdrücklich die Produktverantwortung in Bezug genommen,die jeder zur Erfüllung der Ziele der Kreislaufwirtschaft zu tragen hat,der Erzeugnisse entwickelt, herstellt, be- und verarbeitet oder vertreibt(§ 22 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG). Die Ziele der Kreislaufwirtschaft sind– dem Zweck des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes in § 1 KrW-/AbfG (»Zweck des Gesetzes ist die Förderung der Kreislaufwirtschaftzur Schonung der natürlichen Ressourcen und die Sicherung der um-weltverträglichen Beseitigung von Abfällen«) bzw. dem Geltungsbe-reich des Gesetzes in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KrW-/AbfG (»Die Vor-schriften dieses Gesetzes gelten für die Vermeidung, die Verwertungund Beseitigung von Abfällen«) entsprechend – im Grundsatz in § 4Abs. 1 KrW-/AbfG dahin verdeutlicht, dass Abfälle in erster Linie zuvermeiden, insbesondere durch die Verminderung ihrer Menge undSchädlichkeit (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 KrW-/AbfG), und in zweiter Linie a)stofflich zu verwerten oder b) zur Gewinnung von Energie zu nutzen(energetische Verwertung) sind (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG). Im Ein-zelnen sind zur Erfüllung einer so zu verstehenden Produktverant-wortung die Erzeugnisse möglichst so zu gestalten, dass bei deren Her-stellung und Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert wirdund die umweltverträgliche Verwertung und Beseitigung der nach de-ren Gebrauch entstandenen Abfälle sichergestellt ist (§ 22 Abs. 1 Satz2 KrW-/AbfG). Die Produktverantwortung umfasst damit insbeson-dere die Entwicklung, Herstellung und das Inverkehrbringen von Er-zeugnissen, die mehrfach verwendbar, technisch langlebig und nachGebrauch zur ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung undumweltverträglichen Beseitigung geeignet sind (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG), den vorrangigen Einsatz von verwertbaren Abfällenoder sekundären Rohstoffen bei der Herstellung von Erzeugnissen (§ 22 Abs. 2 Nr. 2) und die Rücknahme der Erzeugnisse und der nachGebrauch der Erzeugnisse verbleibenden Abfälle sowie deren nach-folgende Verwertung oder Beseitigung (§ 22 Abs. 2 Nr. 5 KrW-/AbfG).

Die §§ 22, 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG bilden damit auch am Maß-stab von Artikel 80 Abs. 1 GG eine ausreichend bestimmte Verord-nungsermächtigung. Können durch Gesetz die Bundesregierung, einBundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden,Rechtsverordnungen zu erlassen (Artikel 80 Abs. 1 Satz 1 GG), so müs-sen dabei Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung imGesetz bestimmt werden (Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 GG). Diesen Vor-gaben werden die §§ 22, 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG gerecht. Über diein § 22 KrW-/AbfG bestimmten tatbestandlichen Anknüpfungen andie Regelungen der §§ 1, 2 Abs. 1 und 4 Abs. 1 KrW-/AbfG sind diegesetzlichen Ziele, denen sich die einzelnen Regelungen der Verord-nung unterzuordnen haben, mit der Abfallvermeidung/-verminde-rung, der zweckentsprechenden Abfallverwertung und der (umwelt-verträglichen) Abfallbeseitigung deutlich beschrieben, des Weiterenist das Rangverhältnis der gesetzlichen Anliegen festgelegt (»Vermei-den vor Verwerten und zuletzt erst Beseitigen«) und schließlich sindauch im Grundsatz die Wege vorgezeichnet, auf denen diese gesetz-lichen Anliegen erreichbar werden sollen (»Rücknahme und Rück-gabe der Erzeugnisse, Sicherstellung durch Aufbau eines insbesonde-

re auch pfandbewehrten Rücknahmesystems«).Die Verpackungsverordnung, speziell auch die hier in Rede

stehenden Regelungen in § 6 Abs. 1 und 3, §§ 8, 9 Abs. 2 Satz 2 Ver-packV, überschreitet diesen Rahmen nicht. So bezweckt die Ver-packungsverordnung, die Auswirkungen von Abfällen aus Ver-packungen auf die Umwelt zu vermeiden oder zu verringern (§ 1 Satz1 VerpackV), wobei Verpackungsabfälle in erster Linie zu vermeidensind (§ 1 Satz 2 VerpackV). Im Einzelnen haben Vertreiber ihre Ver-kaufsverpackungen, d.h. Verpackungen, die als eine Verkaufseinheitangeboten werden und beim Endverbraucher anfallen (§ 3 Abs. 1 Nr.2 VerpackV), unentgeltlich zurückzunehmen und einer Verwertungzuzuführen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VerpackV) bzw. ein flächendeckendesSystem nach § 6 Abs. 3 VerpackV sicherzustellen. Vertreiber, dieflüssige Lebensmittel in Getränkeverpackungen, die keine Mehrweg-verpackungen sind, in Verkehr bringen, haben des Weiteren vonihren Abnehmern ein Pfand je Verpackung zu erheben (§ 8 Abs. 1 Satz1 VerpackV). Von letzterer Verpflichtung sind zwar diejenigen Her-steller/Vertreiber von Getränkeeinwegverpackungen gemäß § 9 Abs.1 VerpackV befreit, die sich an einem System nach § 6 Abs. 3 Ver-packV beteiligen. Diese Befreiung ist indes ihrerseits davon abhängig,dass der Anteil der in Mehrwegverpackungen abgefüllten Getränkeim Kalenderjahr insgesamt im Geltungsbereich der Verordnung nichtunter 72 vom Hundert absinkt.

Mit Recht sind die Regelungen der Verpackungsverordnung damitnicht isoliert auf die Sicherung der Rückgabe von Erzeugnissen undVerpackungen ausgerichtet. Soweit in § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfGdavon die Rede ist, dass bestimmte Erzeugnisse zurückzunehmen unddie Rückgabe durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durchRücknahmesysteme oder durch Erhebung eines Pfandes, sicherzu-stellen sind, ist damit kein für sich genommen zu erreichendes Zieldes Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes bezeichnet, sondern er-sichtlich nur einer der Wege bzw. eines der Mittel bestimmt, der sichdie entsprechende Rechtsverordnung »zur Festlegung von Anforde-rungen nach § 22 KrW-/AbfG« bedienen kann. Die Sicherung derRückgabe von (Einweg-) Getränkeverpackungen war daher nichtausschließlicher Zweck der §§ 8, 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV und hättees ohne Überschreitung der Zielvorgaben ihrer Ermächtigungsgrund-lage auch nicht sein können (a.A. VG Düsseldorf, Urteil vom 3. Sep-tember 2002 – 17 K 1907/02 – UA S. 28, 29).

Ebenso wenig kann die Rede davon sein, dass mit § 9 Abs. 2 Satz 2VerpackV ein in der gesetzlichen Ermächtigung in § 24 Abs. 1 Nr. 2KrW-/AbfG nicht vorgesehener Zweck in Form des »Mehrweg-schutzes« bzw. des »Schutzes der Marktanteile der Mehrwegver-triebssysteme« einhergeht bzw. einem »in sich stimmigen« Ermäch-tigungszweck ein weiterer Zweck »aufgepfropft« wird (so indes: VGDüsseldorf, UA S. 29). Mit dem indirekt durch verhaltenslenkendeMaßnahmen zu bewirkenden Schutz der Mehrweganteile soll viel-mehr dem Trend zu abfallintensiveren Einweggetränkeverpackungen– durch Reduzierung sogenannter »natürlicher Gebrauchsvorteile« –entgegengewirkt werden; der damit einhergehende Gesichtspunktder Abfallvermeidung dient ersichtlich den bereits angeführtenZielen der Verordnungsermächtigung.

Dass sich der Regelungszweck der Verordnung nicht in einerSicherstellung der Rückgabe zu erschöpfen hat, sondern dem Mehr-wegschutz dienen darf, ergibt sich entgegen der Ausführungen im Ur-teil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (UA S. 29 ff.) auch aus der Ent-stehungsgeschichte des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes.Denn die hier in Rede stehende Pfandregelung zur Stützung derMehrwegquote war bereits in der 1991 auf der Grundlage von § 14des Gesetzes über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen(Abfallgesetz – AbfG) vom 27. August 1986 (BGBl. I S. 1410, berich-tigt S. 1501) erlassenen Verpackungsverordnung unter der Überschrift»Befreiung von Rücknahme- und Pfandpflichten – Schutz der Mehr-wegsysteme« (§ 9 VerpackV a.F.) enthalten. Wenn es in der Gesetzes-

VG Ber l in , Dosenpfand – Zwangspfand für E inweggetränkeverpackungen rechtmäßig

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ZUR 1/200350

begründung der Bundesregierung zu § 22 (jetzt: § 24) KrW-/AbfGheißt: »Hier werden die bewährten Regelungen der Rücknahme-pflichten aufgegriffen und um die Möglichkeit der Verordnung einerRückgabepflicht ergänzt ...« (BT-Drs. 12/5672, S. 47), kann damit inBezug auf den Getränkeeinwegpfand nur die entsprechende Rege-lung in der Verpackungsverordnung von 1991 gemeint sein, zumalauch im folgenden Satz ausdrücklich auf »Erfahrungen in Verbin-dung mit der VerpackV« verwiesen wird (BT-Drs., a.a.O.).

Noch deutlicher kommt dies in der allgemeinen Begründung zum3. Teil des Gesetzes (Produktverantwortung, §§ 22 bis 26 KrW-/AbfG)zum Ausdruck, wo u.a. ausgeführt ist: »Es werden in §§ 20 ff. KrW-/AbfG vor allem die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen fürdie Anordnung von Rücknahme- und Rückgabepflichten für Her-steller/Vertreiber und Konsumenten durch Rechtsverordnung aufGrund der bisherigen Erfahrungen mit dem Erlass von Rechtsver-ordnungen nach § 14 AbfG konkretisiert.« (BT-Drs. 12/5672, S. 32).

Dass der Gesetzgeber des § 14 AbfG seinerseits Bepfandungsmög-lichkeiten zum Zweck des Mehrwegschutzes nicht vorgesehen habe(so VG Düsseldorf, UA S. 31), ist den Gesetzesmaterialien ebenfallsnicht zu entnehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Schon im Gesetzent-wurf der Bundesregierung ist die Rede von einwegverpackungsbezo-genen Verordnungen »zur Erhaltung des Mehrwegsystems insbeson-dere für Bier und andere kohlensäurehaltige Getränke« (BT-Drs.10/2885, S. 17). Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde – ent-gegen der ursprünglichen Absicht der Bundesregierung, nur wieder-verwendbare oder unverwertbare Einwegverpackungen einer Pfand-pflicht zu unterwerfen – u.a. erwogen, in § 14a AbfG eineEinwegabgabe statt eines Zwangspfandes zu erheben, wobei »die Ein-wegabgabe zur Verteuerung der in Einwegbehältnissen angebotenenGetränke führen und dadurch dem Abbau des Mehrwegsystems ent-gegenwirken solle« (Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-ausschusses vom 13. Juni 1986, Begründung zum Entwurf der SPD-Fraktion, BT-Drs. 10/5656, S. 77). In der schließlich Gesetzgewordenen Fassung des § 14 AbfG war eine Beschränkung der Pfan-dpflicht auf wiederverwendbare oder unverwertbare Verpackungennicht (mehr) enthalten. Es hieß nur noch: »Die Bundesregierung wirdermächtigt, zur Vermeidung oder Verringerung schädlicher Stoffe inAbfällen oder zu ihrer umweltverträglichen Entsorgung nachAnhörung der beteiligten Kreise durch Rechtsverordnung mit Zu-stimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass Vertreiber bestimm-ter Erzeugnisse verpflichtet sind, diese nur bei Eröffnung einer Rück-gabemöglichkeit oder Erhebung eines Pfandes in den Verkehr zubringen (Rücknahme- und Pfandpflicht)«, § 14 Abs. 1 Nr. 3 AbfG. Aufdieser Grundlage entstand die mehrwegquotenabhängige Einweg-pfandpflicht, die der Gesetzgeber des KrW-/AbfG in seiner Gesetzes-begründung ausdrücklich zur Fortschreibung aufgegriffen hat.

Überdies war die Verpackungsverordnung als eine Verordnungnach § 24 KrW-/AbfG gemäß § 59 KrW-/AbfG vor Beteiligung desBundesrates dem Bundestag zuzuleiten und hätte durch Beschluss desBundestages geändert oder abgelehnt werden können (§ 59 Satz 1, 2und 3 KrW-/AbfG). Da dies nicht geschehen ist, verbietet sich die An-nahme, der Gesetzgeber habe die Regelung nicht oder in der vorlie-genden Fassung nicht gewollt. Lässt das Parlament eine ihm vorge-legte Rechtsverordnung – die es ablehnen oder ändern kann –unbeanstandet passieren, dann »begründet der diesem Vorgang an-haftende Anschein inhaltlicher Billigung auch die Vermutung, dassder Verordnungsgeber die Intentionen des Gesetzgebers getroffenund mit seiner Regelung dem Gesetzeswillen entsprochen hat« (BVer-wGE 57, 130/139 f. zu Art. 47 VV-Berlin a.F.). Im vorliegenden Fallkommt hinzu, dass die Verpackungsverordnung nicht lediglich in-folge einer Nichtbefassung des Bundestages nach Ablauf von dreiSitzungswochen unverändert dem Bundesrat zugeleitet wurde (vgl. § 59 Satz 5 KrW-/AbfG), sondern die Mehrheit des Bundestages derVerordnung in seiner 244. Sitzung der 13. Wahlperiode am 24. Juni

1998 ausdrücklich zugestimmt hat (Deutscher Bundestag, Steno-graphische Berichte, 13. Wahlperiode, 22734 C).

2. Die – wie ausgeführt – spezifisch abfallwirtschaftlichen Zielendienende Regelung des § 9 Abs. 2 VerpackV wahrt auch den Grund-satz der Verhältnismäßigkeit. Ohne Erfolg berufen sich die Antrag-stellerinnen darauf, dass die an die Unterschreitung der Mehrweg-quote anknüpfende Pfanderhebungspflicht weder die ihr zugedachteFunktion der Förderung ökologisch vorteilhafter Getränkever-packungen erreichen könne noch geeignet sei, Lenkungswirkungenzum Schutz der Mehrweganteile zu entfalten.

Die Beurteilung der Eignung einer – wie hier – in die Berufsausü-bungsfreiheit eingreifenden Verordnungsregelung unterliegt im Rah-men der gesetzlichen Ermächtigung grundsätzlich der Einschätzungdes Verordnungsgebers. Dabei steht dem Normgeber namentlich beiPrognoseentscheidungen, wie bereits das OberverwaltungsgerichtBerlin in seinem die streitgegenständlichen Regelungen betreffendenEilrechtsschutzbeschluss vom 20. Februar 2002 – OVG 2 S 6.01 – un-ter Heranziehung der vom Bundesverfassungsgericht entwickeltenKriterien dargelegt hat (DVBl. 2002, 630, 636) und auf den die Kam-mer zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, ein weiterGestaltungs- und Beurteilungsspielraum zu. Für die gerichtliche Über-prüfung kommt es danach maßgeblich auf die dem Normgeber beider prognostischen Einschätzung künftiger Entwicklungen zur Ver-fügung stehenden Erkenntnisquellen sowie eine sachgerechte undvertretbare Beurteilung des erreichbaren Materials an, wobei sich diegerichtliche Kontrolle nicht darauf erstreckt, ob im Einzelfall dasbestmögliche oder geeignetste Mittel gewählt worden ist. Die Gren-zen der dem Verordnungsgeber zustehenden Einschätzungspräroga-tive sind vielmehr erst dann überschritten, wenn seine Erwägungenso offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keineGrundlage für die angegriffene Maßnahme bieten können (OVG,a.a.O., S. 636). Davon kann bei der im vorliegenden Verfahren alleinmöglichen summarischen Prüfung keine Rede sein.

a) Dass der Schutz von Mehrwegsystemen auch bei gesamtökolo-gischer Betrachtung, d.h. unter Einbeziehung der mit der Herstellung,Nutzung, Entsorgung und den anfallenden Transportwegen einher-gehenden Umweltauswirkungen, nicht die der Quotenregelung des§ 9 Abs. 2 VerpackV zugrundeliegende Zielsetzung einer Förderungökologisch vorteilhafter Getränkeverpackungen verfehlt, hat bereitsdas Oberverwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt (a.a.O., S. 638).Diese maßgeblich auf die spezifisch abfallwirtschaftlichen Ziele derVerpackungsverordnung abstellende Einschätzung wird durch dasVorbringen der Antragstellerinnen, dass allein die Abgrenzung Mehr-weg/Einweg nach den bisher vorliegenden Ökobilanz-Studien undUmweltgutachten für die Bewertung der ökologischen Vorteilhaftig-keit von Verkaufsverpackungen ungeeignet sei, nicht substantiiert inFrage gestellt. Aus den von der Antragsgegnerin angeführten imAugust 2000 erstellten Untersuchungen des Umweltbundesamtes –Ökobilanz »Getränkeverpackungen II/Phase 1« -, die bereits in derEntscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Bezug genommenworden sind, ergibt sich vielmehr, dass Mehrweggetränkever-packungen – mit Ausnahme der Getränkekartons – klare ökologischeVorteile gegenüber Einwegsystemen aufweisen. Die nunmehr vor-liegende Ökobilanz-Studie des Umweltbundesamtes von Juli 2002 –Ökobilanz »Getränkeverpackungen II/Phase 2« – hält an dieser Ein-schätzung, auch unter Berücksichtigung neuer und optimierter Ver-packungssysteme sowie veränderter Rahmenbedingungen, aus-drücklich fest und geht nach wie vor von einer grundsätzlichenökologischen Vorteilhaftigkeit von Mehrwegverpackungen gegenü-ber Einwegverpackungen aus. Soweit die Antragstellerinnen demge-genüber auf die Bedeutung insbesondere der Transportentfernungenfür die ökologische Bewertung von Mehrweg- und Einwegver-packungen verweisen, rechtfertigt ihr Einwand nicht den Schluss,dass die Mehrzahl der untersuchten Mehrwegverpackungen keiner-

Rechtsprechung

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lei ökologische Vorteile gegenüber Einweggebinden bieten. Da dieangeführten Untersuchungen ausdrücklich auf repräsentativen mitt-leren Rahmenbedingungen basieren (Ökobilanz »Getränkever-packungen II/Phase 1«, S. 4), ist im Gegenteil davon auszugehen, dassdie ökologische Vorteilhaftigkeit von Mehrwegsystemen bei entspre-chender Berücksichtigung in der Regel kürzerer Transportwege nochdeutlicher ausgefallen wäre. Angesichts der von der Antragsgegnerinangeführten Untersuchungsergebnisse kann daher nicht davon aus-gegangen werden, dass der Schutz der Mehrweganteile auf eineroffensichtlichen Fehleinschätzung des Verordnungsgebers beruhtund die Quotenregelung nicht die ihr zugedachte Funktion derStützung und Förderung ökologisch vorteilhafter Getränkever-packungen erfüllen kann.

b) Dies gilt im Ergebnis auch hinsichtlich der prognostischen Ein-schätzung des Verordnungsgebers, dass die Pfanderhebungspflichtauf Einweggetränkeverpackungen eine positive Lenkungswirkungzugunsten ökologisch vorteilhafter Mehrwegverpackungen entfal-ten könne. Die diesbezüglichen Einwände der Antragstellerinnenwaren bereits Gegenstand der mehrfach zitierten Entscheidung desOberverwaltungsgerichts, das dem Verordnungsgeber unter Bezug-nahme auf den in dieser spezifischen Form neuen, auf indirekte Ver-haltensanreize abstellenden Regelungsgehalt des § 9 Abs. 2 VerpackVauch insoweit eine weitgespannte Einschätzungsprärogative zuer-kannt hat, die erst dann überschritten ist, wenn es an sachlich nach-vollziehbaren und plausiblen prognostischen Erwägungen fehlt(a.a.O., S. 637). Auf die entsprechenden Ausführungen kann daherverwiesen werden. Insbesondere hat sich das Oberverwaltungsgerichtin seiner Entscheidung auch mit dem im vorliegenden Verfahren vonden Antragstellerinnen in Bezug genommenen Umweltgutachten2000 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen auseinan-dergesetzt und klargestellt, dass es zur Widerlegung der Zwecktaug-lichkeit der angegriffenen Regelung nicht ausreiche, der Prognose derAntragsgegnerin ebenfalls mit Unsicherheiten und Unwägbarkeitenbehaftete Untersuchungen entgegenzusetzen, die lediglich die Mög-lichkeit einer künftig abweichenden Entwicklung aufzeigten, nichtaber den Schluss auf eine offensichtliche Ungeeignetheit der Quo-tenregelung rechtfertigten (a.a.O., S. 637).

Eine derartige Schlussfolgerung erscheint der Kammer überdiesschon deshalb nicht gerechtfertigt, weil der prognostischen Ein-schätzung des Verordnungsgebers mit Blick auf die mit vergleich-baren Regelungen im In- und Ausland gewonnenen Erfahrungennicht von vornherein eine sachliche Berechtigung abgesprochenwerden kann. So haben ausweislich der von der Antragsgegnerineingereichten Übersicht (AC Nielsen) insbesondere die mit der 1988erlassenen Vorgängerregelung zur Verpackungsverordnung einge-führten Rücknahme- und Pfandpflichten (Verordnung über die Rück-nahme und Pfanderhebung von Getränkeverpackungen aus Kunst-stoffen vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2455) innerhalb kurzer Zeitzu einer erheblichen Reduzierung der bepfandeten Einweggebindeund zu einem Anstieg der Mehrweganteile geführt. Eine ent-sprechende positive Lenkungswirkung belegen nach der Analyse desUmweltbundesamtes vom 30. Januar 2001 (»Ökologische Lenkungs-wirkungen bei einer Pflichtbepfandung von Einweg-Getränkever-packungen«, S. 8 ff.) auch die Erfahrungen in Schweden, wo bereitssei Mitte der 80er Jahre ein indirektes Zwangspfandsystem aufbestimmte Einweggetränkeverpackungen existiert und die Mehr-wegquote deutlich angestiegen ist. Unter Berücksichtigung derweitergehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Er-forderlichkeit und Zumutbarkeit der mit der Pfandpflicht einherge-henden Belastungen für die Getränkehersteller und -vertreiber(a.a.O., S. 638 f.), denen die Antragstellerinnen nicht substantiiertentgegengetreten sind, erfüllt die der angegriffenen Bekannt-machung der Nacherhebungsergebnisse zugrundeliegende Quoten-regelung danach auch die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrund-

satz ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen.3. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen, die

angesichts der vorläufigen Beurteilung der Sach- und Rechtslage einObsiegen der Antragstellerinnen im Hauptsacheverfahren aus Sichtder Kammer als unwahrscheinlich erscheinen lassen, begegnet dieAnordnung der sofortigen Vollziehung der Bekanntmachung derNacherhebungsergebnisse ebenfalls keinen durchgreifenden recht-lichen Bedenken.

Hierbei kann dahinstehen, ob es einer Vollziehungsanordnungüberhaupt bedurfte. Dagegen spricht, dass das Eingreifen der Pfand-erhebungspflicht nach dem Regelungssystem der Verpackungsver-ordnung, die eine sechsmonatige Übergangsfrist für den Widerruf derbisher auf der Grundlage des § 6 Abs. 3 VerpackV getroffenen Ent-scheidung vorsieht, nicht an die Vollziehbarkeit der Bekanntgabe,sondern lediglich an deren Existenz anknüpft. § 9 Abs. 2 Satz 2 Ver-packV schreibt damit den ebenfalls zeitlich allein an die vorange-gangene Bekanntmachung des Unterschreitens der Mehrwegquoteanknüpfenden Nacherhebungszeitraum fort, der nicht auf eine et-waige Vollziehbarkeit der erstmaligen Bekanntmachung abstellt. Die-se rein zeitliche Verknüpfung entspricht der erkennbaren Absicht desVerordnungsgebers, das – von Vollziehbarkeit und Suspendierung un-abhängige – reale Marktgeschehen anlassbezogen und zeitnah zusteuern. Unabhängig von diesen Bedenken rechtfertigt jedenfalls dasin der Veröffentlichung der Bekanntmachung der Nacherhebungser-gebnisse hervorgehobene öffentliche Interesse, dem Mehrweg-sicherungskonzept des geltenden Rechts mit Blick auf das sich stän-dig beschleunigende Vordringen von Einwegverpackungen in denGetränkebereichen Bier, Mineralwasser und kohlensäurehaltigeErfrischungsgetränke kurzfristig Geltung zu verschaffen, die nacheiner Übergangszeit von sechs Monaten eingreifende Pfandpflicht aufEinwegverpackungen im Wege der sofortigen Vollziehung sicherzu-stellen.

Dass die Mehrwegquote entgegen früherer Prognosen der Gesell-schaft für Verpackungsmarktforschung nicht erst im Jahre 2012 aufetwa 60 % sinken wird („Folgen des Zwangspfandes für Getränke-verpackungen«, GVM-Studie von November/Dezember 2000), son-dern – bezogen auf den Gesamtmarkt – bereits im 2. Quartal 2002 auf54,5 % gesunken ist, belegen die von der Antragsgegnerin einge-reichten aktuellen Erhebungen der Gesellschaft für Konsumfor-schung (GfK ConsumerScan »Verpackungsentwicklung 2. Quartal1998 – 2002«). Angesichts dieser aktuellen Daten, die sowohl für dengesamten Getränkemarkt als auch in den einzelnen Getränkeseg-menten einen sich ständig beschleunigenden, auch quartalsweise zubelegenden Rückgang der Mehrweganteile aufzeigen, ist die Annah-me der Antragsgegnerin, dass ein weiteres Hinauszögern der vom Ver-ordnungsgeber vorgesehenen Pfandpflicht die Existenz der Mehr-wegsysteme ernsthaft gefährden würde, nicht zu beanstanden. Dabeileuchtet unmittelbar ein, dass das Mehrwegsicherungskonzept desgeltenden Rechts die ihm zugedachten Stabilisierungsfunktionenund ökologischen Wirkungen nur bei einer zeitnah dem realenMarktgeschehen Rechnung tragenden Umsetzung der Pfandpflichtentfalten kann, da einer Verdrängung der Mehrwegabfüllungendurch Einwegverpackungen nur bis zu einem gewissen Schwellen-wert der Marktanteile entgegengewirkt werden kann und darüberhinausgehende Marktmechanismen nicht beliebig umkehrbar sind(vgl. die Stellungnahme des Umweltbundesamtes vom 15. Juli 2002).Insoweit kann im Ergebnis dahinstehen, ob auch der Gesichtspunkteiner mit dem Anstieg von Einwegverpackungen einhergehenden zu-nehmenden Landschaftsverschmutzung, wie in der Vollziehungsan-ordnung angeführt, ein unverzügliches Einsetzen der Pfanderhe-bungspflicht zu begründen vermag. Denn mit Blick auf dieZielsetzung der der Bekanntmachung zugrundeliegenden Quoten-regelung rechtfertigt bereits die sich aus dem sprunghaften – durchaktuelle Marktdaten belegten – Rückgang der Mehrweganteile erge-

VG Ber l in , Dosenpfand – Zwangspfand für E inweggetränkeverpackungen rechtmäßig

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ZUR 1/200352

bende Gefahr möglicherweise irrevisibler Folgen den Schluss, dass dasbesondere öffentliche Interesse an einer umgehenden Einführung derPfandpflicht die von den Antragstellerinnen demgegenüber geltendgemachten wirtschaftlichen Interessen überwiegt. Soweit die An-tragstellerinnen auf die erheblichen Investitions- und Betriebskostenfür den Aufbau eines Rücknahme- und Pfanderhebungssystems ver-weisen, sind diese weder nachvollziehbar belegt noch angesichts derseit dem erstmaligen Unterschreiten der Mehrwegquote den Her-stellern und Vertreibern von Getränken zur Verfügung stehendenVorbereitungszeit und der – wie ausgeführt – fehlenden Erfolgsaus-sichten in der Hauptsache geeignet, ein überwiegendes Aussetzungs-interesse zu begründen, zumal zu erwarten ist, dass die mit derAktualisierung der Pfandpflicht verbundenen (zusätzlichen) Kostenzumindest teilweise an die Endverbraucher weitergegeben werdenkönnen und zu allenfalls geringfügigen Preissteigerungen führen(„Schätzung der Kosten bei Einführung eines Pflichtpfandes auf Ein-weg-Getränkeverpackungen«, Studie des Bundesumwelt- und desBundeswirtschaftsministeriums vom 18. Januar 2001). Der Hinweisauf eine zu befürchtende Destabilisierung des bisherigen Kooperati-onsmodells der »Duales System Deutschland AG« vermag ein über-wiegendes Aussetzungsinteresse schon deshalb nicht zu begründen,weil weder dargetan noch ersichtlich ist, dass ein – sich nicht alleinauf Getränkeverpackungen beziehendes – kooperatives Zusammen-wirken der beteiligten Wirtschaftskreise im Rahmen des § 6 Abs. 3VerpackV nach Eintritt der Pfandpflicht auf Einweggetränkever-packungen nicht mehr möglich ist.

4. Nach alledem kann auch der auf vorläufige Aussetzung der Ver-pflichtung der Antragstellerinnen zur Erhebung eines Zwangspfandesgerichtete Hilfsantrag keinen Erfolg haben. Für den Erlass einer ent-sprechenden einstweiligen Anordnung fehlt es nach den vorstehen-den Ausführungen bereits an einem Anordnungsanspruch.

VGH MannheimUrteil vom 26. Juni 2002 – 10 S 1559/01

Leitsätze der Redaktion:1. Zum öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Unterlassung von Lär-

mimmissionen einer gemischt genutzten kommunalen Einrichtung. 2. Fasst eine Gemeinde mehrere im räumlichen Zusammenhang ste-

hende Anlagen (Jugendhaus, Stadthalle, Sporthalle) im Sinne einesintegrativen Konzeptes zu einer Einheit zusammen, so ist diese Ge-samtanlage auch im Hinblick auf seine Wirkungen auf die Umge-bung einheitlich zu beurteilen.

3. Bei der Bestimmung des auf einen solchen Anlagenkomplex anzu-wendenden einheitlichen Maßstabes ist es geboten, sich an denje-nigen Immissionen auszurichten, die hinsichtlich ihrer belästigen-den Wirkungen für die Nachbarschaft im Vordergrund stehen.

4. Soweit Regelwerke zur Ermittlung und Beurteilung von Lärm eineÜberschreitung der Richtwerte bei »seltenen Ereignissen« zulassen(LAI-Freizeitlärmrichtlinie, 18. BImSchV, TA Lärm) ist dies dasErgebnis einer dem Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme ent-sprechenden Abwägung zwischen den Interessen der störendenund der gestörten Nutzung.

5. Der Bonus für seltene Ereignisse im Bereich des Freizeitlärms istnicht nur dann zu gewähren, wenn ein Veranstaltungsort anwenigen Tagen des Jahres genutzt wird, sondern auch, wennöffentliche Einrichtungen regelmäßig genutzt werden und wennbesondere Störereignisse bei bestimmten Veranstaltungen mitzumutbarem Aufwand nicht vermieden werden können und alssozialadäquat hinzunehmen sind.

Vorinstanz: VG Stuttgart – Az.: 16 K 2297/95

OVG MünsterBeschluss vom 2. Juli 2002 – 7 B 918/02

Leitsätze:1. Beabsichtigt die Gemeinde, durch einen einfachen Bebauungsplan

die Zulässigkeit von Windenergieanlagen in einer im Flächennut-zungsplan dargestellten Konzentrationszone für Windenergiean-lagen zum Schutz des Landschaftsbildes restriktiv zu steuern (hier:vorgesehene Beschränkung der Zulässigkeit von Windenergiean-lagen auf 100 m Höhe), kann eine solche Bebauungsplanung mitder Zurückstellung von Baugesuchen nach § 15 BauGB gesichertwerden.

2. Bei der Abwicklung der Bebauungsplanung hat die Gemeinde konkretabwägend zu prüfen, ob die zu erwartenden nachteiligen Aus-wirkungen der ausgeschlossenen Windenergieanlagen auf den be-troffenen Landschaftsraum so gewichtig sind, daß sie die vorgese-hene Einschränkung der vom Flächennutzungsplan vorgegebenenErrichtungsmöglichkeiten von Windenergieanlagen gerechtfertigterscheinen lassen; sie hat ferner zu prüfen, ob im Ergebnis eine Um-setzung des Flächenutzungsplanes etwa unter wirtschaftlichenAspekten faktisch unterlaufen wird.

Vorinstanz: VG Arnsberg – 4 L 483/02

Rechtsprechung in Le i t sätzen

www.jura.uni-sb.de/rechtspflege: unter »Gerichte« Auflistungaller deutscher Gerichte mit Link auf die jeweiligen SeitenEuGH: www.curia.eu.int

Verfassungsgerichte:BVerfG: www.bundesverfassungsgericht.deVGH Berlin: www.berlin.deStaatsgerichtshof Hessen: www.uni-giessen.de/staatsgerichtshofNiedersächsischer Staatsgerichtshof: www.staatsgerichtshof.niedersachsen.de

VGH Nordrhein-Westfalen: www.jura.uni-muenster.deVGH Rheinland-Pfalz: www.justiz.rlp.de

Verwaltungsgerichte:OVG Hamburg: www.hamburg.deVG Frankfurt: www.verwaltungsgericht-frankfurt.deVG Hamburg: www.verwaltungsgericht.hamburg.deVG Oldenburg: www.verwaltungsgericht-oldenburg.niedersachsen.de

INTERNETADRESSEN

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53ZUR 1/2003

A. Schutz und Erhaltung mariner Ökosysteme

Die Kommission hat im Oktober 2002 ein neues Konzept für denSchutz und die Erhaltung mariner Ökosysteme sowie zur Förde-rung einer nachhaltigen Nutzung mariner Ressourcen vorgelegt.1

Es ist ein Schritt zu einer der sieben »thematischen Strategien«,die im sechsten Umweltaktionsprogramm angekündigt sind, undsoll die nachhaltige Nutzung der Meere und die Erhaltung derMeeresökosysteme, einschließlich der Meeresböden, Flussmün-dungen und Küstenzonen fördern. Dazu beschreibt das Konzept14 Ziele, wobei zum Teil auch Ziele anderer bereichsspezifischerPolitiken übernommen werden, und zahlreiche konkrete Maß-nahmen zu deren Erreichung:– Aufhalten des Verlustes an biologischer Vielfalt bis zum Jahr

2010;– nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt durch den Schutz

und die Erhaltung natürlicher Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen;

– Anpassung der Fischerei mit dem Ziel, die Verringerung der Be-stände aufzuhalten und in der EU sowie weltweit eine nach-haltige Fischerei zu gewährleisten;

– schrittweise Einstellung der Verschmutzung durch gefährlicheStoffe mit dem Ziel, zu Konzentrationen dieser Stoffe in derMeeresumwelt zu gelangen, die bei natürlich vorkommendenStoffen den Hintergrundwerten nahe kommen und bei künst-lichen Stoffen nahe Null sind;

– Beseitigung der Eutrophierungsgefahr aufgrund menschlicherTätigkeiten bis zum Jahr 2010;

– Vermeidung der Verschmutzung durch radioaktive Stoffe biszum Jahr 2020;

– Einhaltung der geltenden Grenzwerte für die Einleitung von Öldurch Schiffe und Offshore-Anlagen bis zum Jahr 2010 undvollständige Unterbindung der Einleitung durch diese Quellenbis zum Jahr 2020;

– Unterbindung der illegalen Verklappung von Abfällen auf Seebis zum Jahr 2010;

– Verringerung der ökologischen Auswirkungen der Schiffahrtdurch die Entwicklung des Konzepts »saubere Schiffe«;

– Erreichung einer Umweltqualität, bei der die Schadstoffkonzen-trationen nicht zu signifikanten Auswirkungen auf die Gesund-heit und das Wohlergehen der Menschen und zu Umweltgefah-ren führen;

– Erfüllung der im Kyoto-Protokoll eingegangenen Verpflichtungenzur Verringerung der Treibhausgase;

– effizientere Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen denverschiedenen Einrichtungen und den regionalen und globalenÜbereinkommen im Bereich Meeresschutz;

– Verfolgung der vorgelegten Strategie auf globaler Ebene undUmsetzung der einschlägigen internationalen Übereinkommen;

– Verbesserung der Wissensgrundlage für den Schutz der Meeres-umwelt.

Die Kommission bezeichnet die genannten Ziele als ehrgeizig, ob-wohl einige von ihnen nur die Umsetzung bereits jetzt geltenderAnforderungen zu einem bestimmten Zieldatum bedeuten. DasKonzept erstrebt eine pragmatische Zusammenarbeit und Koordi-nierung der Aktivitäten aller Einrichtungen und Organisationen,die im Bereich Schutz und nachhaltige Nutzung der Meeresum-

welt tätig sind. Da einige der Maßnahmen auch Aktionen außer-halb des Territoriums der Gemeinschaft erfordern, sollen sie imRahmen internationaler Übereinkommen getroffen werden. Fürden Dezember 2002 ist eine Konferenz der Beteiligten ange-kündigt. Die vorgelegte Strategie soll in einem offenen undkooperativen Prozess weiterentwickelt werden. Im Jahr 2004 willdie Kommission dann die endgültige thematische Strategie für dieMeeresumwelt vorlegen.

B. Neue Strategie zur Pkw-Besteuerung

Die Europäische Kommission hat im September 2002 ein Strategie-papier zur Besteuerung von Personenkraftwagen in der Euro-päischen Union vorgelegt und darin die Handlungsoptionen aufnationaler und gemeinschaftlicher Ebene ausgelotet.2 Aufbauendauf einer Analyse der derzeitigen Systeme der Pkw-Besteuerung inden Mitgliedstaaten, lotet sie Möglichkeiten zur besseren Koordi-nierung dieser Systeme aus, um die bestehenden Verzerrungen inBezug auf den freien Verkehr von Pkw im Binnenmarkt abzubauen.Sie empfiehlt, die Zulassungssteuern3 allmählich zu senken und in-nerhalb eines Übergangszeitraumes von fünf bis zehn Jahren ganzabzuschaffen. Zum Ausgleich sollten die jährlichen Kfz-Steuern undKraftstoffsteuern angehoben werden, so dass die Steuerlast diegleiche bleibe, die Besteuerung aber an die Benutzung eines Fahr-zeugs und nicht an dessen Erwerb anknüpfe. Kurzfristig soll das Pro-blem der doppelten Erhebung der Zulassungssteuer4 dadurch besei-tigt werden, dass die bestehenden Regelungen transparenter und inÜbereinstimmung mit der einschlägigen Rechtsprechung des EuGHgehandhabt werden5 und ein Verfahren zur Erstattung der Rest-steuer eingeführt wird. Um der derzeitigen Marktzersplitterung ent-gegenzuwirken, empfiehlt sie den Mitgliedstaaten weiter eineAnnäherung der jährlich erhobenen Kfz-Steuern6, vor allem in Be-zug auf die Bemessungsgrundlagen, damit die Hersteller nicht mehrveranlasst sind, für die einzelnen nationalen Märkte unterschiedlichausgerüstete Modelle herzustellen. Schließlich prüft sie, wie die Kfz-Steuern so umstrukturiert werden können, dass Umweltaspektenund den Anforderungen des Kyoto-Protokolls besser Rechnung ge-tragen wird. Sie rät den Mitgliedstaaten, bei der Besteuerung neuerPkw einen direkteren Bezug zu den CO2-Emissionen der ent-

Gesetzgebung

1 Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament,Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt,KOM (2002) 539 endg. v. 2.10.2002.

2 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Be-steuerung von Personenkraftwagen in der Europäischen Union. Handlungs-möglichkeiten auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene, KOM (2002), 431endg. v. 6.9.2002.

3 Zulassungssteuern werden in zehn Mitgliedstaaten erhoben; sie reichen von267 EUR in Italien bis 15.659 EUR in Dänemark (Stand 1999).

4 Privatpersonen müssen in der Regel die Zulassungssteuer ein zweites Malentrichten, wenn sie ein Fahrzeug von einem Mitgliedstaat in einen anderen ver-bringen, ohne dass dies mit der Verlegung ihres Wohnsitzes zusammenhängt.

5 Die Kommission will das geltende Gemeinschaftsrecht und die Rechtsprechungdes EuGH analysieren und in einem Arbeitspapier darlegen, über welche Rech-te die Bürger derzeit verfügen, wenn sie ihre Autos in einen anderen Mitglied-staat verbringen. Das Arbeitspapier wird unter http://citizens.eu.int/origin-choice.htm oder unter http://europa.eu.int/citizens zur Verfügung gestellt.

6 Mit der Ausnahme Frankreichs erheben alle Mitgliedstaaten jährliche Kfz-Steuern. Sie variieren in Bemessungsgrundlage und Höhe erheblich. 1999reichte die durchschnittliche jährliche Kfz-Steuer von 30 EUR in Italien bis463 EUR in Dänemark.

Josef Falke

Neueste Entwicklungen im Europäischen Umweltrecht

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ZUR 1/200354

sprechenden Kfz herzustellen.7 Der Rat und das Europäische Par-lament haben beschlossen, dass die CO2-Emissionen neuer Pkw bis2005, spätestens aber bis 2010, auf 120 g/km sinken sollen. DieAutomobilindustrie hat ihrerseits zugesagt, die CO2-Emissionen vorallem durch technische Verbesserungen auf 140 g/km zu senken.Bei der Überbrückung der Differenz sollen steuerliche Anreizehelfen. Andere Steuern und Abgaben wie die Mehrwertsteuer, Ver-sicherungssteuern, Zulassungsgebühren und Straßenbenutzungsge-bühren bleiben in der Mitteilung der Kommission außer Betracht.8

C. Neue Richtlinie für saubere Badegewässer vorgeschlagen

Die Kommission hat im Oktober 2002 eine gründliche Reform derRichtlinie über Badegewässer vorgeschlagen.9 Der Vorschlag solldie seit über 25 Jahren geltende Richtlinie 76/160/EWG10 ersetzenund zielt auf bessere Gesundheitsnormen, eine effizientere Be-wirtschaftung von Stränden, eine aktive Einbeziehung derÖffentlichkeit und mehr Flexibilität bei der Umsetzung derRichtlinie durch die Mitgliedstaaten. Die Gesundheitsnormen fürdie fäkale Verschmutzung sollen deutlich verschärft werden. DerVorschlag unterscheidet bei den Qualitätsnormen zwischenverpflichtenden Normen für einen guten Zustand und strengerenNormen für einen ausgezeichneten Zustand. Der Öffentlichkeitmüssen Informationen über den Zustand der Badegebiete, dieÜberwachungsergebnisse für die Wasserqualität, die Bewirtschaf-tungspläne und sonstige relevante Informationen unkompliziertzur Verfügung gestellt werden. Sie müssen vor Ort einsehbar sein,sollen aber auch über die Medien und das Internet verbreitetwerden.11 Für jedes Badegewässer ist eine Bewertung wahrschein-licher Verschmutzungsquellen und die Erstellung eines Bewirt-

schaftungsplanes vorgesehen, um die Risiken für die Badegäste zuzu minimieren. Nach dem neuen Vorschlag soll die Einstufung derWasserqualität eines Badegebietes auf der Grundlage der Entwick-lung der vergangenen drei Jahre und nicht mehr wie derzeit auf derGrundlage nur eines Jahres erfolgen, um einen Ausgleich für Wit-terungsschwankungen und einmalige Vorfälle zu schaffen. DerMessaufwand soll deutlich verringert werden. Insgesamt sollen eingut durchdachtes Bewirtschaftungskonzept und eine umfassendeInformierung der Öffentlichkeit an die Stelle eines Systems treten,das in seiner Orientierung auf Gefahrenabwehr sehr stark aufÜberwachung und Einhaltung von Werten gesetzt hat.

Europäisches Umwelt recht

7 Eine im November 2001 im Auftrag der Europäischen Kommission von COWI(Consulting Engineers and Planners AS) vorgelegte Studie über steuerliche Maß-nahmen zur Reduzierung der CO2-Emissionen von neuen Pkw zeigt, dass die CO2-Emissionen des Kraftverkehrs erheblich reduziert werden können, wenn die Höheder Steuern stärker mit dem jeweiligen CO2-Ausstoß neuer Pkw verknüpft wird. DieStudie ist unter folgender Website abrufbar: http://europa.eu.int/comm/taxati-on_customs/taxation/car_taxes/co2_cars_studyx_25-02-2002.pdf.

8 Im Auftrag der Kommission wurde eine Studie über die Besteuerung von Kfz inden Mitgliedstaaten durchgeführt; sie ist auf folgender Website zugänglich:http://europa.eu.int/comm/taxation_customs/publications/reports_studies/report.htm.

9 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Ratesüber die Qualität der Badegewässer, KOM (2002) 581 endg. v. 24.10.2002.

10 Richtlinie 76/160/EWG des Rates v. 8.12.1975 über die Qualität der Badege-wässer, ABl. L 31 v. 5.2.1976, 1.

11 Derzeit kann der jährliche Bericht über die Qualität der Badegewässer in derGemeinschaft unter folgender Adresse abgerufen werden: http://www.euro-pa.eu.int/water/water-bathing/report.html.

Richtlinie 2002/61/EG des EuropäischenParlaments und des Rates v. 19.7.2002 zur19. Änderung der Richtlinie 76/769/EWGdes Rates betreffend Beschränkungen desInverkehrbringens und der Verwendunggewisser gefährlicher Stoffe und Zuberei-tungen (Azofarbstoffe), ABl. L 243 v.11.9.2002, 15-18.

Beschluss Nr. 1600/2002/EG des Euro-päischen Parlaments und des Rates v.22.7.2002 über das sechste Umweltak-tionsprogramm der Europäischen Ge-meinschaft, ABl. L 242 v. 10.9.2002, 1-15.

Entscheidung 2002/739/EG der Kom-mission v. 3.9.2002 zur Festlegung über-arbeiteter Umweltkriterien zur Vergabedes EG-Umweltzeichens bei Innenfarbenund -lacken und zur Änderung der Ent-scheidung 1999/10/EG, ABl. L 236 v.4.9.2000, 4-9.

Entscheidung 2002/740/EG der Kom-mission v. 3.9.2002 zur Festlegung überar-beiteter Umweltkriterien zur Vergabe desEG-Umweltzeichens für Bettmatratzenund zur Änderung der Entscheidung98/634/EG, ABl. L 236 v. 4.9.2000, 10-15.

Entscheidung 2002/741/EG der Kom-mission v. 4.9.2002 zur Festlegung überar-beiteter Umweltkriterien zur Vergabe desEG-Umweltzeichens für Kopierpapier undfür grafisches Papier und zur Änderung derEntscheidung 1999/554/EG, ABl. L 237 v.5.9.2000, 6-15.

Entscheidung 2002/809/EG des Rates v.3.10.2002 über Leitlinien zur Ergänzung desAnhangs VII der Richtlinie 2001/18/EG desEuropäischen Parlaments und des Ratesüber die absichtliche Freisetzung genetischveränderter Organismen in die Umwelt undzur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWGdes Rates, ABl. L 280 v. 18.10.2002, 27-36.

Richtlinie 2002/80/EG der Kommissionvom 3.10.2002 zur Anpassung der Richtli-nie 70/220/EWG des Rates über Maßnah-men gegen die Verunreinigung der Luftdurch Emissionen von Kraftfahrzeugen anden technischen Fortschritt, ABl. L 291 v.28.10.2002, 20-56.

Vorschlag für eine Entscheidung des Ra-tes zur Festlegung der Kriterien und Ver-fahren für die Annahme von Abfällen aufAbfalldeponien gemäß Artikel 16 und An-

hang II der Richtlinie 1999/31/EG über Ab-falldeponien, KOM (2002) 512 endg. v.20.9.2002.

Bericht der Kommission an den Rat überdas aus der Chloralkaliindustrie stammen-de Quecksilber, KOM (2002) 489 endg. v.6.9.2002.

Mitteilung der Kommission an den Ratund das Europäische Parlament, Eine Stra-tegie für die nachhaltige Entwicklung derEuropäischen Aquakultur, KOM (2002)511 endg. v. 19.9.2002.

Bericht der Kommission an den Rat,Analyse der »offenen Liste« umweltspezifi-scher Leitindikatoren, KOM (2002) 524endg. v. 20.9.2002.

Mitteilung der Kommission an den Ratund das Europäische Parlament zur Auf-stellung eines Aktionsplans der Gemein-schaft für die Erhaltung und nachhaltigeNutzung der Fischereiressourcen im Mit-telmeer im Rahmen der GemeinsamenFischereipolitik, KOM (2002) 535 endg. v.9.10.2002.

SONSTIGE RECHTSAKTE, PROGRAMMATISCHE PAPIERE UND MITTEILUNGEN

PD Dr. Josef Falke,Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitikan der Universität Bremen; Anschrift: Universitätsallee, GW 1, 28359 Bre-men; [email protected].

Page 59: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

Nach einer relativ intensiven Phase umwelt-politischer Gesetzgebung hat sich ab Mittedes vergangenen Jahres die parlamentari-sche Diskontinuität deutlich bemerkbar ge-macht. Seit Ende August sind als allgemeinbedeutendere Neuerungen lediglich das In-krafttreten des 7. Gesetzes zur Änderung desBImSchG zu vermelden, dessen wesent-licher Inhalt in dieser Rubrik bereits in Heft3/2002 vorgestellt wurde, sowie einige Än-derungen im Umwelt-Audit-Recht (A.).Noch aus der Berichtsperiode des letztenHeftes ist das zweite Gesetz zur Änderungdes Gentechnikgesetzes1 nachzutragen (B.).Dafür, wie es nach der Bundestagswahl mitder Umweltgesetzgebung weitergehen wird,finden sich zahlreiche konkrete Hinweise inder neuen Koalitionsvereinbarung, die SPDund Bündnis 90/ Die Grünen am 16. Oktober2002 getroffen haben. Auch davon soll be-richtet werden (C.).

A. Neuerungen im Recht des Umwelt-Audit

Das Gesetz zur Änderung des Umwelt-auditgesetzes vom 16. August 20022 ist am21. August 2002 in Kraft getreten. Die Be-kanntmachung der Neufassung des UAG er-folgte am 10. September 2002.3 Durch dasÄnderungsgesetz ist das nationale Recht andie Vorgaben der im April 2001 in Kraft ge-tretenen Novelle zur Öko-Audit-Verordnungder EU angepasst worden und zwar mitfolgenden wesentlichen Neuerungen:– Für Unternehmen mit mehreren Stand-

orten wird die Teilnahme an EMAS er-leichtert, indem nicht mehr Standorte,sondern »Organisationen« in das EU-weitgeführte öffentliche Register aufgenommenwerden. Damit können mehrere Standorteeines Unternehmens oder einer Behördeeine gemeinsame Registrierung erhalten.

– Die Aufsicht über Umweltgutachter undUmweltgutachterorganisationen wird ent-sprechend den Vorgaben der EU-Verord-nung gestärkt, indem sie nun alle zweiJahre der sogenannten »Regelaufsicht«unterzogen werden.

– Noch stärker als bisher wird sichergestellt,dass Organisationen nur dann in dasEMAS-Register eingetragen werden unddarin verbleiben, wenn sie die Umwelt-vorschriften einhalten.

Die ausführenden Verordnungen zum UAGsind ebenfalls geändert worden. Die neueUAG-Gebührenverordnung vom 4. September20024 und die Zweite Änderungsverordnungzur UAG-Zulassungsverfahrensverordnungvom 6. September 20025 sind am 11. Sep-tember 2002 in Kraft getreten.

B. Änderungen im Gentechnikrecht

Durch das zweite Gesetz zur Änderung desGentechnikrechts soll die Richtlinie 98/81EG des Rates vom 26. Oktober 1998 um-gesetzt werden. Durch diese Richtliniewurde die Richtlinie 90/219/EWG über dieAnwendung genetisch veränderter Mikro-organismen in geschlossenen Systemen(sog. Systemrichtlinie) geändert. Durch dieÄnderungen sollen Schwachstellen im bisherigen Kontrollsystem beseitigt und insbesondere ein neues Risiko-Klassifi-zierungsverfahren eingeführt werden. DieÄnderungsrichtlinie war von den Mitglied-staaten bis zum 5. Juni 2000 umzusetzen.Durch das zweite Gesetz zur Änderung desGentechnikrechts ist nunmehr mit zwei-jähriger Verspätung das nationale Recht andie geänderten gemeinschaftsrechtlichenVorgaben angepasst worden. Zugleich sindeinige Regelungen eingeführt worden, diedas Zulassungs- und Kontrollverfahren er-leichtern sollen6. Wichtige Neuerungen desGesetzes sind – Aufhebung der unterschiedlichen Zwecke

(Forschung und Gewerbe) als Kriteriumfür die Ausgestaltung der Verfahren derpräventiven Kontrolle bei gentechnischenArbeiten und gentechnischen Anlagen;

– teilweise Änderung der Verfahrensartenfür die unterschiedlichen Sicherheits-stufen mit Fristverkürzungen (siehe Über-sicht unten);

– Aufnahme einer Ermächtigungsgrundlagefür den Erlass einer Rechtsverordnung,um bestimmte Mikroorganismen aus demspeziellen Regelungsbereich des Gesetzesganz oder teilweise entlassen zu können;

– strengere Schutzmaßnahmen bei Ein-stufungszweifeln;

– regelmäßige (dauernde) Überprüfung derRisikobewertung;

– Information über Abfallentsorgung nunauch für Arbeiten in der Sicherheitsstufe 1;

– Änderungen in den Verordnungen zumeinen als Folge der Gesetzesänderung undzum anderen zur Umsetzung zusätz-licher fachlicher Anforderungen bei Ein-schließungs- und Schutzmaßnahmen.

C. Gesetzesvorhaben der neuen Legis-laturperiode – Die Koalitionsvereinbarung

In ihrer Koalitionsvereinbarung vom 16.Oktober 2002 haben sich die Regierungs-parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünenauch auf die Grundzüge des umweltpoli-tischen Arbeitsprogramms geeinigt. In dembetreffenden Abschnitt V der Vereinbarungwerden für die neue Legislaturperiode ins-besondere die folgenden Gesetzgebungs-vorhaben angekündigt.

I. Allgemein

Das Umweltgesetzbuch-Projekt soll wieder-belebt werden. Sein zwischenzeitlicher Ab-bruch war mit fehlenden Bundeskompe-tenzen insb. im Bereich des Wasserrechtsbegründet worden. Um eine zweifelsfreiekompetentielle Grundlage zu schaffen, willdie Koalition eine entsprechende Ver-fassungsänderung zur Abstimmung stellen.

Die Aarhus-Konvention7, die die Bundesre-gierung bereits 1998 gezeichnet hat, soll nunendlich ratifiziert werden. Dazu wird nebendem Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GGauch ein Umsetzungsgesetz erforderlich sein,das den Zugang zu Umweltinformationenund die Beteiligungsrechte betroffener Bürgerund Verbände auf dem von der Konventiongeforderten Niveau gewährleistet. Die Um-setzung war bisher mit der Begründung auf-geschoben worden, erst entsprechende Um-setzungs-Rechtsakte der EU abzuwarten, umdie nationale Rechtslage sogleich auch EU-konform ausgestalten zu können.

55ZUR 1/2003

Gesetzgebung

BUNDESUMWELTRECHT

Malte Kohls / Moritz Reese / Peter Schütte

Neueste Entwicklungen im Bundesumweltrecht

1 BGBl. I, 3220.2 BGBl. I, 3167.3 BGBl. I, 3491.4 BGBl. I, 3503.5 BGBl. I, 3508.6 Siehe die amtliche Begründung BT-Drs. 14/8230

S. 25.7 Übereinkommen über den Zugang zu Infor-

mationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Ent-scheidungsverfahren und den Zugang zu Ge-richten in Umweltangelegenheiten vom ...

Page 60: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

Kohls/Reese/Schütte , Neueste Entwick lungen im Bundesumwelt recht

II. Einzelbereiche

Energie: Die Koalition will die Einrichtungeines europäischen Emissionshandelssy-stems unterstützen. Dies schließt nationaleUmsetzungsregelungen ein. Wenngleich derRichtlinienvorschlag der EG noch mitten inder politischen Auseinandersetzung steht,sind bereits Forschungsvorhaben zur Ent-wicklung der nationalen Umsetzungsrege-lungen in Auftrag gegeben worden.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz soll imHinblick auf eine erweiterte Förderung über-arbeitet werden, insbesondere sollen die Fri-sten, innerhalb derer Projekte gefördert wer-den können, verlängert werden. Dies könntevor allem im Bereich der Off-Shore-Wind-energie den zeitlichen Rahmen schaffen, derbenötigt wird, um die Umweltauswirkungender geplanten Windparks sorgfältig abzu-schätzen.

Atomrecht: Angekündigt wird die konse-quente Fortsetzung des Atomausstiegs undbegleitend die Einführung eines umfassen-den Sicherheitsmanagements für den Anla-genbestand. Ferner sollen in der Endlage-rungsfrage Regelungen über Zuständigkeitund Verfahrensfragen sowie zur – äußerstschwierigen und brisanten – Standortent-scheidung getroffen werden.

Abfall: Im Bereich der Abfallwirtschaftdeutet sich nach reger Aktivität im vergan-genen Jahr eine Ruhephase an. Die Produkt-verantwortung soll weiterentwickelt werden.Demnächst soll die bereits vom Kabinett be-schlossene Novelle zur 17. BImSchV verab-schiedet werden, mit der die Verbrennungs-richtlinie der EG umgesetzt und darüberhinausgehend schärfere Anforderungen andie Emissionen solcher Anlagen gestellt wer-den, die Abfälle neben regulären Brennstof-fen mitverbrennen.

Wasser und Natur: Auch im Bereich vonGewässer- und Naturschutz werden die ge-setzgeberischen Aktivitäten nach der Ver-abschiedung der WHG- und der BNatSchG-Novelle offenbar nachlassen und die

Akzente eher bei der Umsetzung der zahl-reichen neuen Regelungen liegen. DieKoalition plant lediglich, Meeresschutz-gebiete durch Bundesrecht auszuweisen.Wichtig scheint noch, dass eine Flächen-haushaltsstrategie zur Reduzierung derFlächeninanspruchnahme verabschiedetwerden soll, die – wenn sie wirksam seinsoll – sicherlich auch eine Reihe gesetz-licher Schritte vorsehen muss.

Immissionsschutz: Im Bereich des Im-missionsschutzes liegen die Akzente derKoalitionsvereinbarung beim Lärmschutz.Zum einen wird die Umsetzung der neuenEU-Umgebungslärm-Richtlinie8 angekün-digt, die einige über die national geltendenBestimmungen hinausgehenden Mess-, Be-wertungs- und Kartierungsvorschriften so-wie die Erstellung von Aktionsplänen fürbesonders lärmbetroffene Gebiete vorsiehtund der möglicherweise bald weitere Richt-linien mit konkreten Lärmminderungszie-len folgen werden. Zum anderen legen dieRegierungsparteien ein besonderes Gewichtauf die Reduktion des Fluglärms. Durch eine– bereits lange diskutierte – Novelle desFluglärmgesetzes soll den betroffenen An-wohnern von Flughäfen mehr Lärmschutzzuteil werden. Auch wird die Einführungeiner flugstreckenbezogenen Emissionsab-gabe erwogen.

Hinsichtlich der Luftreinhaltung pro-klamiert die Vereinbarung vor allem dasZiel, die Abgasnormen für Partikelemissio-nen, mit dem Ziel der Einführung des Par-tikelfilters oder vergleichbarer technischerLösungen weiter zu verschärfen. Bei denPartikelemissionen besteht aufgrund derGrenzwerte der Luftqualitätsrichtlinie, diein Deutschland vielfach überschritten wer-den, ein gravierender Handlungsbedarf.Das gilt auch für die Stickstoffoxid-Emis-sionen, die in der Koalitionsvereinbarungjedoch nicht erwähnt werden.

Bodenschutz: Im Bereich des Boden-schutzes will sich die Regierung vor allemfür eine spürbare Reduktion der Schadstoff-

belastungen aus der landwirtschaftlichenDüngung engagieren. Dies wird wahr-scheinlich entsprechende Verschärfungenim Düngerecht einschließen.

Verkehr: Für den Verkehr sind außer denbereits erwähnten Verschärfungen der Ab-gasgrenzwerte für Partikelemissionen keinebesonderen legislativen Maßnahmen ver-einbart worden. Es wird lediglich auf dieEinführung der bereits verabschiedetenLkw-Maut für 2003 verwiesen.

Gesundheits- und Verbraucherschutz:Dieses Feld hat in der Koalitionsvereinba-rung insgesamt einen hohen Stellenwerterhalten. Als Gesetzesvorhaben werden an-gekündigt ein neues Verbraucherinformati-onsgesetz, das die Informationsrechte ge-genüber den Behörden verbessern soll,sowie ein neues umfassendes Lebensmittel-gesetzbuch, das u.a. die EU-Basisverord-nung 178/2002 für Lebensmittel und Fut-termittel umsetzen und neue, detailliertereKennzeichnungspflichten für Lebensmit-tel, ein straffes Überwachungskonzept fürLebensmittelimporte sowie schärfere Haf-tungsregelungen für Futtermittelherstellerbringen soll.

Gentechnik: Angekündigt wird eineweitere Novelle des Gentechnikgesetzes zurUmsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie;darin: effizientes Monitoring; verbesserteKennzeichnung; niedrige Schwellenwertefür Verunreinigungen durch genetischmanipulierte Organismen.

Tierschutzgesetz: Durch eine Novellesollen die Haltungs- und Transportbedin-gungen nicht nur für Nutz- sondern auchfür Haustiere verbessert werden.

56 ZUR 1/2003

7 Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Par-laments und des Rates vom 25. Juni 2002 über dieBewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm.

Artikelverordnung zur Einführung derGeräte- und Maschinenlärmschutzverord-nung vom 29.8.2002, BGBl. I, 3478 (siehedazu bereits der Bericht dieser Rubrik inZUR 6/2002)

Verordnung für die Überprüfung derZuverlässigkeit zum Schutz gegen Ent-wendung oder erhebliche Freisetzung

radioaktiver Stoffe nach dem Atomgesetz(Atomrechtliche Zuverlässigkeitsüberprü-fungs-Verordnung – AtZüV)

Fünfte Verordnung zur Änderung che-mikalienrechtlicher Verordnungen vom15.10.2002, BGBl. I, 4123 mit einer Ände-rung der Gefahrstoffverordnung und derChemikalienverbotsverordnung.

Bekanntmachung der Neufassung vom15.10.2002 der Verordnung über Anforde-rungen an das Einleiten von Abwasser inGewässer, BGBl. I, 4047 (Abwasserver-ordnung – AbwV)

Bekanntmachung der Neufassung desBundes-Immissionsschutzgesetzes vom26.9.2002, BGBl. I, 3830.

WEITERE GESETZE UND VERORDNUNGEN

Page 61: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

57ZUR 1/2003

18. Trierer Kolloquium zum Umwelt- undTechnikrecht vom 22.-24. September 2002:Schutz der Umwelt durch und vor Biotechnologie

Biotechnologie und Umweltschutz stehen in einem ambivalen-ten Verhältnis zueinander. Die Chancen, aber auch die Risiken,die aus dem scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch der Biotech-nologie für die Umwelt erwachsen können, standen im Mittel-punkt des 18. Trierer Kolloquiums zum Umwelt- und Technik-recht vom 22.-24. September 2002, das sich unter derwissenschaftlichen Gesamtleitung von Prof. Dr. Michael Reinhardt,LL.M., dem Thema »Schutz der Umwelt vor und durch Biotech-nologie« widmete. Etwa 130 Teilnehmer aus Justiz, Verwaltung,Anwaltschaft, Wirtschaft und Wissenschaft waren der Einladungdes unter Leitung von Prof. Dr. Reinhard Hendler, Prof. Dr. PeterMarburger, Prof. Dr. Michael Reinhardt, LL.M., und Prof. Dr. Mein-hard Schröder stehenden Instituts für Umwelt- und Technikrecht(IUTR) nach Trier gefolgt, um sich im wissenschaftlichen Dialogmit den Herausforderungen auseinanderzusetzen, vor die der ra-sante wissenschaftliche Fortschritt insbesondere auf dem Gebietder Gentechnik die Rechtsordnung auf europäischer wie natio-naler Ebene stellt.

A. Biotechnologie und Umweltschutz – eine naturwissen-schaftliche Bestandsaufnahme

Zu Beginn der Veranstaltung führte Dr. Bernhard Hauer von derBASF AG, Ludwigshafen, mit einem Vortrag unter dem Titel»Biotechnologie und Umweltschutz – eine naturwissenschaft-liche Bestandsaufnahme« aus naturwissenschaftlicher Sicht indie Thematik ein. Hauer schilderte anhand von Beispielen denEinsatz biotechnologischer, genauer biokatalytischer Verfahren(Fermentationsverfahren und Enzymverfahren) bei der BASF. Sohabe man die herkömmliche Herstellung des Vitamins B2 mit-tels chemischer Verfahren durch ein Fermentationsverfahren er-setzt. Hauer zeigte dabei die ökologischen Vorteile dieses Ver-fahrens gegenüber der konventionellen chemischen Herstellungin einer Gesamtschau der Aspekte Stoffverbrauch, Energiever-brauch, Emissionen, Risikopotential und Toxizitätspotential auf.Er glaubt, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre die meistenchemischen Verfahren zur Herstellung von Vitaminen und Ami-nosäuren durch Fermentationsverfahren abgelöst würden. Hau-er stellte heraus, dass biotechnologische Verfahren in der Regelsowohl in ökologischer als auch in ökonomischer Hinsicht über-legen seien. Das Potential der Biokatalyse, so schloss Hauer, seibei weitem noch nicht ausgeschöpft, bedürfe aber zu seiner Ent-wicklung eines günstigen Innovationsklimas in den Unterneh-men, der Gesellschaft und der Politik.

B. Das Recht der Biotechnologie – Einordnung, Struktur undInstrumentarium

Den juristischen Teil der Vortragsreihe leitete Prof. Dr. MichaelReinhardt, LL.M., von der Universität Trier, zur Zeit geschäfts-führender Direktor des IUTR, mit einem Vortrag zum Thema »DasRecht der Biotechnologie – Einordnung, Struktur und Instru-mentarium« ein. Das Recht der Biotechnologie bilde keine ho-

mogene Materie, sondern sei über verschiedene umweltrechtlicheRegelungsbereiche verstreut. Neben dem Recht der Gentechnik,das in juristischen Darstellungen zum Recht der Biotechnologieim Vordergrund stehe, würden sich Vorschriften zum Schutz derUmwelt durch oder vor biologischen Technologien im Immissi-onsschutzrecht in Gestalt von spezifischen Genehmigungspflich-ten (4. BImSchV, Anhang Nr. 4.3, Spalte 1, Nr. 8.5 und Nr. 8.6), imWasserrecht im Rahmen des § 3 II Nr. 2 WHG und im Boden-schutzrecht in § 2 II BBodSchG finden. Selbst § 18a I WHG kön-ne man im Hinblick auf den Einsatz biologischer Verfahren beider Abwasserbeseitigung als Regelung ansehen, die Biotechnolo-gie betreffe. Aber auch jenseits des eigentlichen Umweltrechtesseien biotechnologisch relevante Regelungen vorfindlich, vomLebensmittelrecht mit der sogenannten »Novel-Food-Verord-nung«1 über das Patentrecht bis hin zum Biowaffenverbot in § 18Kriegswaffenkontrollgesetz. Reinhardt wies auf die Schwierigkei-ten hin, mit denen sich der Gesetzgeber konfrontiert sehe ange-sichts des Umstandes, dass auf dem Gebiet der Biotechnologienoch nicht überall ein hinreichend gesicherter unveränderlicherErkenntnisbestand existiere, der für die Formulierung eindeutigerund beständiger materieller rechtlicher Maßstäbe in Gesetz oderVerordnung tauge. Der Gesetzgeber könne auch der Entwicklungder naturwissenschaftlichen Forschung nicht immer folgen. Vordiesem Hintergrund stehe er vor der schwierigen Aufgabe, dasSicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und das Bedürfnis der An-lagenbetreiber nach Investitionssicherheit zum Ausgleich zubringen. Angesichts der häufigen Verwendung unbestimmterRechtsbegriffe, mit denen der Gesetzgeber auf diese Schwierig-keiten reagiere, komme der Verteilung der Entscheidungszustän-digkeiten eine wichtige Rolle zu. Reinhardt kritisierte in diesemZusammenhang eine sachwidrige Instrumentalisierung desGrundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes und hinterfragte diehergebrachten Begründungen, mit denen man den nur einge-schränkter gerichtlicher Kontrolle zugänglichen behördlichen Be-urteilungsspielraum bei unbestimmten Rechtsbegriffen rechtfer-tige. Kritisch äußerte sich Reinhardt auch zur ZentralenKommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) und stellte dieVereinbarkeit dieser in den §§ 4, 5 GenTG verankerten Instituti-on mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes in Frage. Wie-wohl ihre Entscheidungen rechtlich nicht bindend seien, werdedoch die Entscheidung der Behörde durch das Votum des nichtdemokratisch legitimierten Gremiums tatsächlich determiniert.Es bestehe die Gefahr der Verkappung der Politik durch externenwissenschaftlichen Sachverstand, auch seien die rechtlichenSicherungen der Unabhängigkeit der Mitglieder unzureichend.

C. Biotechnologisches Anlagenrecht zwischen BImSchG undGenTG

Den Abschluss des ersten Tages bildete der Vortrag von Prof. Dr.Michael Ronellenfitsch von der Eberhard-Karls-Universität Tübin-gen zum Thema »Biotechnologisches Anlagenrecht zwischenBImSchG und GenTG«. Ausgehend von der Feststellung, dasGentechnikrecht sei – dem Gewerberecht entwachsen – Wirt-

1 Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom27.1.1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten, ABl.EG 1997 Nr. L 43, S. 1.

Tagungsber icht

TAGUNGSBERICHT

Page 62: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

ZUR 1/200358

schaftsverwaltungs-, nicht Umweltrecht, hob Ronellenfitsch dieBedeutung des grundrechtlichen Schutzes der Anwendung bio-technologischer Verfahren durch die Art. 12, 14 GG hervor undleitete hieraus her, der Staat müsse für ein Klima sorgen, in demBiotechnologie in Deutschland möglich sei. Er bezeichnete Bio-technologie als eine Form der Daseinsvorsorge durch Private: DaBiotechnologie für die Existenzsicherung der Zivilisation uner-lässlich geworden sei, treffe den Staat die Pflicht, ihre Entwick-lung und Anwendung zu gewährleisten und notfalls auch gegenWiderstände in der Bevölkerung durchzusetzen. Ronellenfitschrechnete die Biotechnologie zu den von Art. 16 EGV geschütztenDiensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Anderer-seits sei es aber auch Aufgabe des Staates, die Gefahren der Bio-technologie auf ein akzeptables Maß zu begrenzen. Wenn § 1 Nr.1 GenTG sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Risikovorsor-ge anspreche, stehe das in der Tradition des klassischen Polizei-rechts, in dem, ausgehend von Johann Stephan Pütter, der Vor-sorgegedanke schon immer eine Rolle gespielt habe. Im zweitenTeil seines Vortrages widmete sich Ronellenfitsch dem Konzeptder Anlagengenehmigung, das in der Tradition des BImSchGdem GenTG zugrundeliege, in Abweichung von einigen Nach-barstaaten, welche die gentechnischen Arbeiten als solche einerKontrolle unterwerfen. Ronellenfitsch sprach hierbei Problemean, die durch das Nebeneinander von GenTG und BImSchG ent-stehen könnten, wenn in einem Betrieb sowohl gentechnischeals auch nicht-gentechnische Arbeiten vorgenommen würden.Schließlich ging er auf die Abgrenzung der Sicherheitsstufen des§ 7 GenTG nach dem Risikopotential der in der Anlage vorge-nommenen Arbeiten ein. Er schlug vor, statt von »Sicherheits-«von »Gefahrenstufen« zu reden, denn, so müsse man sich klar-machen, ohne Risiko gehe es nicht.

D. Entsorgung im Recht der Biotechnologie

Den zweiten Kolloquiumstag eröffnete Rechtsanwalt Prof. Dr. Mar-tin Beckmann, Münster, mit seinem Vortrag zur »Entsorgung imRecht der Biotechnologie«. Unter dem Sammelbegriff der »Ent-sorgung« verstand Beckmann neben der Abfallentsorgung auchdie Abwasserbeseitigung. Beckmann zeigte die große Bedeutungder Biotechnologie im heutigen Entsorgungswesen auf. Mecha-nisch-biologische Behandlungsanlagen böten zur Vorbehandlungvon Siedlungsabfällen eine Alternative zur Verbrennung. Für dieVerwertung von Grün- und Küchenabfällen würden in Deutsch-land nahezu flächendeckend Kompostwerke – mittlerweile rund500 – eingesetzt, und auch Abwasserkläranlagen seien klassischebiotechnologische Anlagen. Allerdings sei eine zunehmende Sor-ge über die Möglichkeit einer flächendeckenden Verbreitung vonSchadstoffen etwa durch die Klärschlammverwertung in der Land-wirtschaft zu beobachten. Ein anderes Problem sei die Entsorgungder in gentechnischen Anlagen anfallenden Abfälle und Abwässer.Beckmann erläuterte die je nach Gefährlichkeit der Abfälle undAbwässer differenzierenden Vorgaben zur Entsorgung in § 13GenTSV2 und wies auf die gemäß § 13 I 2 GenTSV ebenso einzu-haltenden Anforderungen des Abfall- und Wasserrechtes hin. Indiesem Zusammenhang stellte Beckmann heraus, dass die Kom-munen als Betreiber einer öffentlichen Abwasseranlage weder ei-gene Gewässerschutzziele verfolgen noch an Indirekteinleiter An-forderungen stellen dürften, die über den Stand der Technikhinausgingen oder diesen anders definierten. Ebensowenig dürf-ten sie die gentechnischen Anforderungen an die Vermeidunggentechnikspezifischer Risiken gegenüber dem GenTG und derGenTSV verschärfen.

E. Biotechnologie und Landwirtschaft

Im nächsten Referat widmete sich Prof. Dr. Peter Axer von derUniversität Siegen dem Verhältnis von »Biotechnologie undLandwirtschaft«. In der Landwirtschaft nehme die Bedeutungneuer biotechnologischer Verfahren ständig zu, wobei Vorreiterdieser sogenannten »grünen« Biotechnologie eindeutig die USA,Kanada, Argentinien und neuerdings auch China seien. So seiweltweit die Anbaufläche gentechnisch veränderter Nutzpflan-zen, vor allem Soja, Mais, Raps und Baumwolle, von 1,6 Mio. haim Jahre 1996 auf 52,6 Mio. ha im Jahre 2001 gestiegen. Auf dieEU entfielen jedoch nur 0,25 % der weltweiten Anbauflächetransgenen Maises. Da im Jahre 2000 schon 36 % der weltweitenSojaernte mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen er-zeugt worden sei, werde es auf dem Weltmarkt immer schwerer,gentechnikfreien Soja und Mais zu bekommen. Durch Verunrei-nigungen fänden sich mittlerweile Spuren von Gentechnik in 60bis 70 % aller Lebensmittel. Die EU als »Insel der Glückseligen«sei tatsächlich nicht mehr möglich. Axer hob hervor, die mo-derne Biotechnologie könne zur Sicherung der Ernährung einerwachsenden Weltbevölkerung durch die Verbesserung derSchädlingsresistenz (angesichts eines bisherigen Schädlingsver-lustes von 30 % der Welternte), aber auch durch die Erhöhungdes Nährwertes von Nutzpflanzen und die Erweiterung der An-bauflächen etwa in klimatisch ungünstigen Regionen beitragen.Indem sie den Pestizideinsatz senke, leiste sie zudem einen akti-ven Beitrag zum Umweltschutz. Umgekehrt bedürfe aber auchdie Umwelt eines Schutzes vor moderner Biotechnologie, insbe-sondere vor dem Hintergrund, dass unerwünschte Langzeitef-fekte erst mit beachtlicher Zeitverzögerung entdeckt werdenkönnten und biotechnologisch eingeleitete Vorgänge grundsätz-lich irreversibel seien. Axer wies auf die Gefahr sowohl eines ver-tikalen Gentransfers (auf benachbarte Felder mit »konventionel-lem« oder ökologischem Anbau derselben Pflanzensorte) alsauch eines horizontalen Gentransfers (auf artfremde Pflanzen,Tiere oder auch Menschen) hin. Schon auf einem nur 100 m vonder Freisetzung entfernten Feld ließen sich bei 0,5 % der Pflan-zen Veränderungen feststellen. In der landwirtschaftlichen Tier-zucht habe Gentechnik hingegen im Vergleich zur Pflanzen-zucht noch keine große Bedeutung erlangt, da die Erzeugungtransgener Tiere schwierig sei und nur in seltenen Fällen gelinge.Umweltgefahren seien hier geringer, da die transgenen Tierenicht in der freien Natur gehalten würden. Axer wandte sichanschließend dem Problem des Nachbarschutzes vor Freisetzun-gen zu, das gegenwärtig die Zivil- und Verwaltungsgerichte be-schäftige. Die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 24.8.19993,wonach ein ökologischer Landwirt die Zuführung gentechnischveränderter DNA auf natürlichem Wege als eine nur unwesentli-che Beeinträchtigung seines Grundstücks nach § 906 I 1 BGB zudulden habe, solange eine Beeinträchtigung der Bodenfrucht-barkeit ausgeschlossen sei, hielt Axer nur im Ergebnis für richtig.Er kritisierte, dass die Gerichte Umsatzeinbußen aus dem Eigen-tumsschutz ausklammerten, den § 1004 BGB und § 1 Nr. 1GenTG vermittelten. In dem Konzept gentechnikfreier Zonen,wie es gegenwärtig u.a. in Österreich diskutiert werde, sieht Axerkeine Lösung des Problems. Dieses Konzept könne für die An-hänger des ökologischen Landbaus zum Bumerang werden, in-dem ökologische Landwirtschaft außerhalb dieser Zonen kaumnoch möglich sein werde. Zudem sei hundertprozentige Gen-

Tagungsber icht

2 Gentechniksicherheitsverordnung (GenTSV) i.d.F. der Bek. v. 14.3.1995,BGBl. I S. 297.

3 ZUR 2000, 29 ff. (m. Anm. Abel-Lorenz).

Page 63: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

59ZUR 1/2003

technikfreiheit tatsächlich kaum noch möglich, selbst wenn dieZone die Fläche etwa eines ganzen Bundeslandes umfasse. Zu derumstrittenen Frage, ob auch das Inverkehrbringen von soge-nannten Zufallsauskreuzungen genehmigungspflichtig sei, ver-trat Axer die Auffassung, das GenTG erfasse in § 3 Nr. 3 nur sol-che gentechnisch veränderten Organismen, deren Veränderungauf gezieltem menschlichen Handeln beruhe. Somit sei eine Ge-nehmigung zum Inverkehrbringen nicht erforderlich. Würdeman dies anders sehen, könnte bald die Zahl der Genehmi-gungsverfahren ein kaum noch handhabbares Ausmaß erlangen.Nach Ansicht von Axer ist allerdings der Rückgriff auf das allge-meine Polizei- und Ordnungsrecht möglich, wenn von Zufalls-auskreuzungen Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgin-gen. Skeptisch zeigte sich Axer gegenüber der Forderung nachbesserer Rückverfolgbarkeit gentechnisch veränderter Organis-men und einer Kennzeichnungspflicht, wie sie gegenwärtig vonder EU geplant werde. Die Informationsverarbeitungskapazitätdes Verbrauchers setze derartigen Regelungen Grenzen. Axerging auf die unterschiedlichen Vorstellungen von Kommissionund Europäischem Parlament im Hinblick auf eine geplante EG-Verordnung ein und wies darauf hin, dass extrem niedrigeGrenzwerte die Aussagekraft von Kennzeichnungen mindernwürden und die Kontrolle der Einhaltung exorbitante Kosten-steigerungen verursachen könnte.

F. Biotechnologie und Arzneimittelrecht

Unter dem Titel »Biotechnologie und Arzneimittelrecht« schlossRechtsanwalt Dr. Horst Hasskarl, Ludwigshafen, die Reihe derFachvorträge mit einem Beitrag zur sogenannten »roten Bio-technologie« ab. Einleitend stellte der Referent heraus, dass Gen-technik auf europäischer wie nationaler Ebene politisch er-wünscht sei, und hob den Charakter des GenTG als technischesSicherheitsrecht, das als solches ethisch neutral sei, hervor. Indiesem Zusammenhang ging er auf die Grundrechtsbezogenheitdes Gentechnik- und des Arzneimittelrechts und die Notwen-digkeit einer Abwägung zwischen Grundrechten und staatlicherSchutzpflicht (Art. 2 II 1 GG) ein. Hasskarl beklagte eine insbe-sondere seit 1998 beschleunigt voranschreitende Überregulie-rung qualitativer wie quantitativer Natur im Gentechnik- undvor allem Arzneimittelrecht. Dies stehe im Gegensatz zu denweltweiten Bemühungen um die Deregulierung quantitativüberbordender gesetzlicher Normwerke. Er erwähnte hierbei na-mentlich die zunehmende Bedeutung von rechtlich unverbind-lichen Regelungen, sogenanntem »soft law«, auf europäischerEbene im Arzneimittel- und Gentechnikrecht, wobei sich nebendie Empfehlungen (Art. 249 V EGV) weitere rechtlich unver-bindliche Äußerungen europäischer Institutionen gesellten.Anschließend wandte der Referent sich den gentechnikspezifi-

schen Regelungen im geltenden Arzneimittelrecht (namentlichden §§ 13, 72 AMG) zu und beschrieb hierbei unter anderem,wie Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Arznei-mittelzulassungen die bisher praktizierte zeit- und kostenauf-wendige Kontrolle der Herstellung durch deutsche Beamte inden Produktionsstaaten zunehmend ablösten. Scharfe Kritik ern-tete die Bundesrepublik hingegen von Hasskarl für die »allge-mein praktizierte« Überschreitung der Umsetzungsfristen vonEG-Richtlinien gerade in den Bereichen der zukunftsorientiertenGentechnik und des Arzneimittelrechts. Hierbei hob der Refe-rent die neue Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG4, die nicht mehrrechtzeitig zum 17.10.2002 umgesetzt werden könne, und auchdie politisch hoch umstrittene Biopatentrichtlinie 98/44/EG5,bei der die Umsetzungsfrist seit zwei Jahren abgelaufen ist, her-vor. Zum Schluss seines Vortrages stellte Hasskarl dann nocheine seiner Ansicht nach positive Entwicklung heraus. Die Mög-lichkeit der zentralen Zulassung gentechnisch hergestellter Arz-neimittel – einschließlich Generika – für die ganze EU mache Eu-ropa konkurrenzfähig und setze starke Impulse für diebiotechnologische Forschung und Entwicklung.

In den die beiden Kolloquiumstage jeweils beschließendenDiskussionen unter der Leitung von Prof. Dr. Schröder und Prof.Dr. Hendler hatten die Referenten Gelegenheit, zu Fragen undkritischen Anmerkungen aus dem Plenum Stellung zu nehmen.Vorträge und zusammenfassende Diskussionsberichte werdendemnächst in einem Tagungsband der Schriftenreihe »Umwelt-und Technikrecht« beim Erich Schmidt Verlag, Berlin, erschei-nen und können sodann beim IUTR (www.iutr.de) angefordertwerden. Das 19. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technik-recht findet vom 28. bis 30. September 2003 zum Thema »Emis-sionszertifikate und Umweltrecht« statt.

Thomas Bartholmes

Tagungsber icht

4 Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom12.3.2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organis-men in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Ra-tes, ABl. EG 2001 Nr. L 106, S. 1.

5 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom6.7.1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABl.EG 1998 Nr. L 213, S. 13.

Thomas Bartholmes,

Universität Trier IUTR, 54286 Trier; E-Mail: [email protected]; Asses-

sor, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Umwelt- und Technikrecht

der Universität Trier (Prof. Dr. Meinhard Schröder); Bisherige Tätigkeits-

schwerpunkte: Nationales und europäisches Umweltrecht, insb. Abfall- und

Altlastenrecht

Page 64: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

Buchneuersche inungen

Die nachfolgende Übersicht erfasst, soweit ver-fügbar, die umweltrechtliche Literatur des Er-scheinungszeitraums vom 16.08.2002 bis zum15.10.2002.

EG- UND INTERNATIONALES UMWELT-RECHT

Krohn, Susan Nicole:

Die Bewahrung tropischer Regenwälderdurch völkerrechtliche Kooperationsmecha-nismen. Möglichkeiten und Grenzen der Ausgestaltungeines Rechtsregimes zur Erhaltung von Waldö-kosystemen, dargestellt am Beispiel tropischerRegenwälder2002, Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Univer-sität Kiel, Band 140, 452 S., 75,80 €,ISBN 3-428-10755-1.

Spätestens seit der Umweltkonferenz von Riostehen Bemühungen um die Erhaltung derWaldökosysteme der Erde im Blickpunkt derinternationalen Umweltschutzdiskussion.Dennoch herrscht Uneinstimmigkeit über dieFrage, wie dem Problem der Entwaldung aufinternationaler Ebene wirkungsvoll begegnetwerden kann. In diesem Buch werden sowohldas geltende Umweltvölkerrecht, als auchaußerrechtliche Programme internationalerOrganisationen und die Bemühungen ver-schiedener Nichtregierungsorganisationennäher untersucht, sowie umweltvölkerrecht-liche Konzepte dargestellt, mit deren Unter-stützung eine internationale Verantwortungfür die Erhaltung des (Regen-)Waldes geschaf-fen werden könnte. Auf Grundlage der ge-wonnen Erkenntnisse versucht die Autorin,inhaltliche Vorgaben und institutionelleStrukturen zu entwickeln, die zum Erhalt derRegenwälder dienen können.

Storm, Peter-Christoph/Lohse, Siegbert:EG-Umweltrecht (EGUR)Systematische und ergänzbare Sammlung derVerordnungen, Richtlinien und sonstigenRechtsakte der Europäischen Union zumSchutz der UmweltLoseblattwerk in 4 Ordnern, Ergänzungslieferun-gen 7/02 und 8/02, Stand: September 2002,8144 S., 186,– €, Erich Schmidt Verlag,ISBN 3-503-03497-8.

Mit den zwei Ergänzungslieferungen 7/02 und8/02 werden wieder zahlreiche Entscheidun-gen, Verordnungen und Richtlinien zum EG-Umweltrecht in die Sammlung eingearbeitet.

Spieth, Wolf Friedrich:Europäischer Emissionshandel und deut-sches Industrieanlagenrecht2002, 184 S., 34,– €, Erich Schmidt Verlag,ISBN 3-503-06689-6.

Das Ziel der Europäischen Kommission, ab2005 europaweit mit dem Emissionshandelein neues klimapolitisches Instrument einzu-führen, wird wie kaum ein anderes umwelt-politisches Thema kontrovers diskutiert. DieKommission hat am 23. Oktober 2001 einenRichtlinienvorschlag veröffentlicht, der sichgrundlegend von dem von der Bundesregie-rung zunächst angestrebten und von derdeutschen Wirtschaft unterstützten Konzepteines Emissionshandels unterscheidet.

Angesichts des mit dem Richtlinienvorschlagzu erwartenden tiefgreifenden Eingriffs in daseuropäische und deutsche Industrieanlagen-recht werden in dieser Veröffentlichung dieAuswirkungen des anstehenden Umbruchsnicht nur für das deutsche Recht, sondernauch im Vergleich mit den Auswirkungen inGroßbritannien und Frankreich in einem ge-samteuropäischen Kontext bewertet.

Dargestellt werden die Umsetzungsproblemeder Emissionshandelsrichtlinie und die damitverbundenen Risiken für die Anlagenbetreibersowie die rechtlichen Rahmenbedingungen,die zu beachten sind, um überhaupt einenkünftigen Markt für den Handel mit Emissi-onszertifikaten zu ermöglichen. Erfasst ist deraktuelle Stand der Diskussion ein-schließlichjüngster Entwicklungen in Form des Non-Papers der Kommission vom 22. Januar 2002zum Zusammenspiel zwischen Emissions-handel und IVU- Richtlinie und der im März2002 veröffentlichten Studie der Kommission.

ALLGEMEINES UMWELTRECHT

Elshorst, David:Bürgervollzugsklagen. Die Durchsetzungvon Umweltrecht gegenüber Anlagenbe-treibern durch Private in den USA undDeutschland2002, Schriften zum Umweltrecht, Band 119,271 S., 66,– €, ISBN 3-428-10377-7.

Die rechtsvergleichende Untersuchung be-handelt die juristischen Möglichkeiten be-troffener Bürger, ohne Hilfe staatlicher Voll-zugsbehörden Verstöße gegen Bestimmungendes Umweltrechts zu beseitigen. Im US-amerikanischen Umweltrecht geschieht diesmit Hilfe von sog. Citizen Suit-Normen, mit

denen Bürger die gegen umweltrechtlichePflichten verstoßenden Unternehmen vorGericht verklagen können. Der Verfasser gibtdabei einen Überblick über das amerikanischeVerwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht,den Clean Water Act und den Clean Air Act.Die sich anschließende Analyse der CitizenSuit-Normen sowie deren Verfassungsmäßig-keit bilden einen wesentlichen Teil der Arbeit.

Für das deutsche Recht wird belegt, dass diequasinegatorische Unterlassungsklage nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetzden Bürgern die – zivilrechtliche – Durchset-zung drittschützender Bestimmungen undGenehmigungen des öffentlich-rechtlichenUmweltrechts ermöglicht.

Der Autor schließt mit einer Bewertung derdeutschen und der amerikanischen Rechts-ordnung, wobei als Maßstab die Effektivitätder Durchsetzung umweltrechtlicher Vor-schriften durch Private angelegt wird.

Hendler, Reinhard/Marburger, Peter/Reinhardt,Michael/Schröder, Meinhard:Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts20022002, ca. 700 Seiten, 149,– € / sFr. 225,–Erich Schmidt Verlag,ISBN 3-503-06648-6.

Das Jahrbuch 2002 bietet Abhandlungen zumUmweltrecht der Europäischen Union sowieeinzelner Staaten, u.a. aus den BereichenNaturschutz, Wasserrecht, Abfallrecht, zuFragen des Lebensmittelrechts und der elektro-magnetischen Felder. Hinzu treten in ge-wohnter Weise Berichte zur Entwicklung desdeutschen und europäischen Umwelt- undTechnikrechts im Jahre 2001.

Wilrich, Thomas:Verbandsbeteiligung im UmweltrechtWahrnehmung von Umweltinteressen durchVerbände in Rechtsetzungs-, Planungs- undVerwaltungsverfahren2002, 453 S., 59,– €, Nomos Verlagsgesellschaft,ISBN 3-7890-8008-X.

Umweltrelevante Rechtsetzungs-, Planungs-und Verwaltungsverfahren sind ohne die Be-teiligung der anerkannten Naturschutzver-bände kaum mehr denkbar. Die Wahrneh-mung von Umweltinteressen durch Verbändeist Ausdruck des Kooperationsprinzips unddient dem Abbau des Vollzugsdefizits im Na-turschutzrecht. Die anerkannten Verbändesind beim Erlass von Parlamentsgesetzen, vonRechtsverordnungen und Satzungen, insbe-

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BUCHNEUERSCHEINUNGEN

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Buchneuersche inungen

sondere Schutzausweisungen, von Plänen derRaumordnung und Landesplanung, Abfall-wirtschaftsplänen, Planfeststellungsbeschlüssen,Plangenehmigungen und anderen Verwal-tungsakten zu beteiligen. Das Buch »Verbands-beteiligung im Umweltrecht« beschreibtsämtliche im Bundesnaturschutzgesetz, denLandesnaturschutz-, Landesplanungs- undLandesabfallgesetzen geregelten Mitwirkungs-fälle, fasst sie in übersichtlichen Tabellenzusammen und druckt die einschlägigen Vor-schriften im Anhang ab. Nach der Zu-sammenfassung der Grundzüge des Mitwir-kungsverfahrens werden ausführlich dieRechtsfolgen von Verfahrensfehlern und dieMöglichkeiten zur Durchsetzung der Verfah-rensrechte sowohl während des laufendenVerfahrens als auch nach seinem Abschlussdargestellt.

IMMISSIONSSCHUTZRECHT

Feldhaus, Gerhard:Bundesimmissionsschutzrecht- KommentarLoseblattwerk in 8 Ordnern, 107. Ergänzungslie-ferung, Stand: Juli 2002, 7.910 S., 203,50 €, C. F. Müller Verlag,ISBN 3-8114-4270-8.

Die 107. Ergänzungslieferung enthält die 3.BImSchV vom 24.6.2002 mit amtlicher Be-gründung und Beschluss des Bundesrates, dasChemikaliengesetz i.d.F. vom 20.6.2002, dieAbfall- Nachweisverordnung vom 17.6.2002,die Altölverordnung i.d.F. vom 16.4.2002 so-wie die EG-Ozon-Richtlinie.

Feldhaus, Gerhard:Bundesimmissionsschutzrecht – EntscheidungenLoseblattwerk in 6 Ordnern mit CD-ROM, 41. Ergänzungslieferung, Stand: Juli 2002, 5.734 S., 148,– €, C. F. Müller Verlag,ISBN 3-8114-1968-4.

Die 41. Ergänzungslieferung dokumentiertdie neuesten Entscheidungen.

ATOM- UND ENERGIERECHT

Koch, Hans- Joachim/Roßnagel, Alexander: 11. Deutsches Atomrechtssymposium2002, 550 S., 69,– €, Nomos Verlagsgesellschaft,ISBN 3-7890-7856-5.

Das Ende April 2002 in Kraft getretene Atom-ausstiegsgesetz steht im Mittelpunkt des vor-liegenden Werkes. Die Beiträge befassen sichmit den zentralen Neuregelungen des im Sep-tember 2001 bereits in erster Lesung im Bun-destag beratenen Gesetzentwurfs.

Der gesetzlichen Umsetzung der vereinbartenStrommengenregelung, den Anforderungen

an Sicherheit und Aufsicht bis zur Beendi-gung der Kernenergienutzung und den in die-ser Phase geltenden Sicherheitsmaßstäbenund deren Gewährleistung sind die erstenBeiträge gewidmet. Antworten auf Fragen zurEndlagerung, Zwischenlagerung und Trans-portminimierung schließen sich an. Einweiteres Kapitel des Buches gilt den hochum-strittenen Verfassungsfragen zu Gesetzgebungund Verwaltung in der Beendigungsphase derKernenergienutzung. Darstellungen zur poli-tischen und rechtlichen Diskussion über diePerspektiven der Energieversorgung ohneAtomenergie runden die Ausführungen zuraktuellen Atomrechtsdebatte ab.

Für die künftige Rechtspraxis des neuenAtomgesetzes ist das vorliegende Werk weg-weisend.

GENTECHNIKRECHT

Nöthlichs, Matthias/Weber, Peter:Bio- und Gentechnik (BGt)Kommentar zur Biostoffverordnung und zumGentechnikgesetzLoseblatt-Kommentar, einschließlich 7. Lieferung,2002, 1116 S., 39,80 €, Erich Schmidt Verlag,ISBN 3-503-05093-0.

Die 7. Lieferung beinhaltet u.a. die Anpas-sung des Biostoff- und Gentechnikrechts anden neuesten Sach- und Rechtsstand, z.B. dieneue EG-Richtlinie über biologische Arbeits-stoffe, die neue Unfallverhütungsvorschriftüber biologische Arbeitsstoffe und die TRBA100, 210, 211, 220, 405, 430, 464, 601, 602,603, 604.

ABFALLRECHT

Frenz,Walter:Kreislaufwirtschafts- und AbfallgesetzKommentar, 3. überarbeitete Auflage, 2002,1096 S., 98,– €, Carl Heymanns Verlag,ISBN 3-452-24754-6.

Die Neuauflage berücksichtigt die aktuelleRechtsprechung und Literatur sowie die Er-fahrungen der Praxis mit der Anwendung desAbfallgesetzes. In der dritten Auflage sind Än-derungen durch das 2001 verabschiedete Ar-tikelgesetz sowie Neuerungen aufgrund derVerordnung zur Umsetzung des EuropäischenAbfallverzeichnisses sowie der Gewerbeabfall-verordnung und der Deponieverordnung ein-gearbeitet. Zeitnah werden wettbewerbs-, ver-gabe- und steuerrechtliche Fragen undEntwicklungen behandelt.

BODENSCHUTZ- UND ALTLASTENRECHT

Radig, Daniel:Altlastengerechtigkeit im Vergleich. Eine rechtsvergleichende Betrachtung zur Lastentragung bei der Altlastensanierung imFalle einer Störermehrheit2002, 277 S., 64,– €, Duncker & Humblot,ISBN 3-428-10824-8.

In Anbetracht von Bedeutung und Vielzahlder offenen Fragen bezüglich der Verteilungder mit einer Altlastensanierung verbunde-nen Lasten, insbesondere bei einer Störer-mehrheit, untersucht der Verfasser die Rechts-lage in den USA, wo mit CERCLA bereits seit1980 ein Gesetz existiert, das die Haftung fürAltlasten auch und gerade für den Fall einerMehrheit von Verantwortlichen regelt.

Im ersten Teil des Buches wird dabei die US-amerikanische Haftungsregelung bei einerStörermehrheit dargestellt, die neben derAnalyse von Gesetzgebung, Rechtsprechungund Schrifttum auch eine ausführliche Schil-derung der Verwaltungspraxis enthält. Ineinem zweiten Teil werden die durch die Un-tersuchung des Sanierungsrechts in den USAgewonnenen Erkenntnisse vor dem Hinter-grund des BBodSchG gespiegelt.

Franzius, Volker/Wolf, Klaus/Brandt, Edmund:Handbuch der Altlastensanierung2002, 186 S., 61,40 €/sFr. 99,– C.F.Müller Verlag,ISBN 3-8114-9700-0.

Die 30. Ergänzungslieferung behandelt die Altlastensanierung in der Schweiz, die Qualitäts-sicherung beim Dichtwandbau für die Alt-lastensanierung, die Anwendung des HELP-Modells für die Simulation des Wasserhaushaltsvon Oberflächenabdichtungssystemen und dieWiedernutzung von Gewerbeflächen.

NATURSCHUTZ- UND LANDSCHAFTS-PFLEGERECHT

Bernatzky, Aloys/Böhm, Otto/Meßerschmidt,Klaus:Bundesnaturschutzrecht – Kommentar undEntscheidungen50. Ergänzungslieferung, 2002, 232 S., 64,70 €,C.F.Müller Verlag,ISBN 3-8114-3870-0.

Im Zentrum der 50. Ergänzungslieferung ste-hen die Aktualisierung des Artenschutzrechtsmit der Änderung der Anhänge zur VONr.338/97 (Anhang C3) und der neuen VO(EG) Nr.1808/2001, die an die Stelle derVO(EG) Nr.939/97 tritt (Anhang C3.1), sowieder Abschluss der Rechtsänderungen zurEuro- Anpassung.

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Buchneuersche inungen

Berg, Gunhild:Europäisches Naturschutzrecht undRaumordnung2002, 411 S., 29,50 €, Zentralinstitut für Raum-planung an der Universität Münster, Beiträge zurRaumplanung und zum Siedlungs- und Woh-nungswesen,ISBN 3-88497-182-4.

Die Fauna-Flora-Habitat- und Vogelschutz-richtlinien sind im Bundesnaturschutzgesetzund in einer Reihe anderer Gesetze in natio-nales Recht umgesetzt. Obwohl das Hauptan-liegen dieser Richtlinien auf einen nachhalti-gen Naturschutz gerichtet ist, haben sie auchganz erhebliche Auswirkungen auf dieRaumordnung, was u.a. durch die Bestim-mung des § 7 Abs. 7 S.3 ROG zum Ausdruckkommt. Die Anwendung dieser Vorschriftbringt jedoch zahlreiche theoretische undpraktische Probleme mit sich, die u.a. auf ihreunklare Formulierung zurückzuführen sind.

Die Untersuchung greift diese Probleme aufund setzt sich ausführlich damit auseinander,ob und mit welchen Konsequenzen im Rah-men eines Aufstellungs- oder Änderungsver-fahrens für Raumordnungspläne eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.Diese Fragestellung stellt jedoch nur einenSchwerpunkt der Arbeit dar. Sie befasst sichdarüber hinaus auch mit der Frage, wie sichdie europäischen Vorgaben auf vorhandeneRaumordnungspläne auswirken. Weiterhinwird der immer noch aktuellen Frage nachge-gangen, welche Konsequenzen sich vor derendgültigen Errichtung des europäischen Ge-bietsnetzes für die Raumordnung ergebenund ob beziehungsweise wie dieses Gebiets-netz, wenn es einmal errichtet wurde,nachträglich verändert werden kann. Schließ-lich wird untersucht, ob auch im Rahmen ei-nes Raumordnungsverfahrens eine FFH- Ver-träglichkeitsprüfung durchzuführen ist undwelche rechtlichen und praktischen Problemedabei gegebenenfalls auftreten können.

FACHPLANUNGSRECHT

Kaule, Giselher:Umweltplanung2002, 315 S., mit CD-Rom, 34,90 € / sFr. 57,80,Verlag Eugen Ulmer,ISBN 3-8252-2282-9.

Das Buch liefert Szenarios und Modelle füreine vorausschauende Umweltplanung. DenSchwerpunkt bildet eine umfassende Darstel-lung der Umweltmedien und ihre Bewertungsowie Planungsmethoden mit dem Schwer-punkt Geo-Informationssysteme (GIS) undModellierung.

Einleitend werden zunächst grundlegendePlanungsvoraussetzungen erläutert. Im An-schluss gibt das Buch einen Überblick überPlanungsebenen und Planungsarten der Um-weltplanung, bevor ausführlich die ver-schiedenen Umweltmedien und Schutzgüterbehandelt werden: Klima, Luft, Boden, Lärm,Grundwasser, Oberflächengewässer, Biodi-versität. Hierbei wird nach einer kurzen Beschreibung der Übergang von dennaturwissenschaftlichen Grundlagen zu denPlanungskriterien dargestellt.

Lorenz, Jana:Verfahrensvorschriften und Fehlerfolgen-Ein Vergleich der Regelungen des Bauge-setzbuches und des Verwaltungsverfahrens-gesetzes2002, 86 S., 15,– €, Zentralinstitut für Raum-planung an der Universität Münster, Beiträge zur Raumplanung und zum Siedlungs- undWohnungswesen,ISBN 3-88497-181-6.

In der vorliegenden Darstellung erfolgt einVergleich der Regelungsgehalte sich entspre-chender oder ähnelnder Vorschriften des Ver-waltungsverfahrensgesetzes einerseits unddes Baugesetzbuches andererseits. Über denVergleich hinaus werden Überlegungen da-hingehend angestellt, ob inhaltsgleiche Vor-schriften im Baugesetzbuch noch eine Recht-fertigung haben, bzw. ob gegenüber demVerwaltungsgesetz abweichende Normen desBaugesetzbuches aufgrund der Besonder-heiten des baurechtlichen Verfahrens wirk-lich notwendig sind.

In einem Annexteil beschäftigt sich die Ver-fasserin mit den Folgen, die die Nichteinhal-tung von Verfahrensvorschriften nach sichzieht. Auch hier werden die Regelungen desVerwaltungsverfahrensgesetzes und des Bau-gesetzbuches verglichen. Bei den baurechtli-chen Vorschriften steht nunmehr allerdingsdie Fehlerbewältigung im Bauleitplanverfah-ren im Mittelpunkt. Hier wird das Verhältnisformeller und materieller Fehler beim Ver-waltungsakt einerseits und beim Bauleitplanandererseits untersucht. Dabei wird auch dieinteressante Frage aufgeworfen, inwieweit dieMöglichkeit besteht, den Bebauungsplan alsVerwaltungsakt auszugestalten.

SONSTIGES

Dabbert/Häring, Anna Maria/Zanoli, Raffaele:Politik für den Öko-Landbau2002, 126 S., 28 Schaubilder, 19,90 €, VerlagEugen Ulmer,ISBN 3-8001-3931-6.

Die Monographie fasst die wichtigsten Faktenund Argumente rund um den Öko-Landbauin leicht verständlicher Form zusammen. Ba-sierend auf den Ergebnissen eines EU-weitenForschungsprojektes zum Öko-Landbau undder gemeinsamen Agrarpolitik der EU arbeitetes Stärken und Schwächen des Öko-Landbausheraus, ohne eine grundsätzlich positive Hal-tung gegenüber dieser Form der Landwirt-schaft zu verhehlen.

Zunächst wird ein Überblick über den status-quo des Öko-Landbaus in Europa gegebenund dessen wichtigsten Aspekte im Verhältniszur Agrarpolitik diskutiert. Mögliche Vorteiledes ökologischen Landbaus für die Gesell-schaft werden ebenso diskutiert wie die Posi-tion des Öko-Landbaus im Spannungsfeldzwischen Agrarpolitik, WTO-Verhandlungenund Osterweiterung der EU. Mit Blick auf dieZukunft werden unterschiedliche Entwick-lungsszenarien dargestellt: Wie werden sichdie allgemeinen politischen Rahmenbedin-gungen in Zukunft ändern und was bedeutetdas für den Öko-Landbau? Abschließendwerden Empfehlungen für eine sinnvolle Ge-staltung der Agrarpolitik ausgesprochen.

Mainczyk, Lorenz:BundeskleingartengesetzTextsammlung2002, 224 S., 3. Auflage, 9,90 €, Verlagsgruppe Jehle Rehm GmbH,ISBN 3-8073-1969-7.

Die handliche Textsammlung enthält voll-ständig die aktuellen gesetzlichen Grund-lagen für das gesamte Kleingartenwesen. DieEinleitung gibt einen Überblick über denInhalt und den Anwendungsbereich desBKleingG. In verständlicher Weise werden diewichtigsten Fragestellungen aus der Praxis be-handelt, insbesondere auch die neuen Länderbetreffend. Dies erleichtert jedem den Um-gang mit der Materie Kleingartenrecht.

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Zei t schr i f tenschau

Die nachfolgende Übersicht erfasst die umwelt-rechtliche Aufsatzliteratur des Erscheinungszeit-raumes bis zum 1. Oktober 2002. Sie schließt un-mittelbar an die Zeitschriftenschau in ZUR 6/02an. Einzelne Abweichungen sind durch die Er-scheinungsweise und Erreichbarkeit der Zeit-schriften bedingt. (Siehe hierzu die Liste auf derletzten Seite des Heftes)In folgenden Rubriken wurden keine Veröffent-lichungen im Berichtszeitraum nachgewiesen:Umweltprivatrecht, Umweltstrafrecht, Verkehrs-recht.

Verfahrens- und Verfassungsrecht

Bisecke, Tilo: Die verfassungsrechtliche Inte-gration durch das novellierte Bundesimmissions-schutzgesetz. ZUR 2002, S. 325-330.

Recht der UVP

Kehl, Peter: Die bauplanungsrechtliche Umwelt-verträglichkeitsprüfung nach neuem UVP-Recht.VBlBW 2002, S. 336-341.

Kläm, Christian/Uhlenbrock, Henning: NeuesUVP-Recht für Bebauungspläne. NdsVBl. 2002,S. 169-174.

Rühl, Christian: Das Verhältnis von UVP bei Bau-leitplänen und nachfolgender UVP in Vorhaben-zulassungsverfahren. UPR 2002, S. 129-133.

EG- und Internationales Umweltrecht

Düsterdiek, Bernd: Europäische Kommission for-dert Unwelthaftung – EU-Umwelthaftungsricht-linie mit Risiken für Kommunen. StuG 2002, S.244-246.

Düsterdiek, Bernd: Trotz Fortschritt noch Nach-holbedarf – Kommunalveranstaltung zum EU-Umweltrecht in Posen. StuG 2002, S. 362.

Groß, Helene: Die Gesetzgebungskompetenzdes Bundes zur Umsetzung von EG-Umwelt-recht. NWVBl. 2002, S. 289-294.

Hager, Günther: Der Vorschlag einer europäi-schen Richtlinie zur Umwelthaftung. JZ 2002, S.901-911.

Krämer, Ludwig: Umweltmeditation und Um-weltpolitik der Europäischen Union. NuR 2002,S. 257-264.

Kreienmeier, Ute: Von und mit dem Wald leben– Forstwirtschaft in Finnland. StuG 2002, S. 359-361.

Terhechte, Jörg Philip: Der Umweltschutz unddie Wettbewerbspolitik in der Europäischen Ge-meinschaft. ZUR 2002, S. 274-279.

Vondung, Rolf R.: Europarecht im deutschenVerwaltungsprozess (17): Bau-, Denkmal-, Na-tur- und Landschaftsschutzrecht, Flurbereini-gungsrecht, Vermessungsrecht. VBlBW 2002, S.323-336.

Winter, Gerd: Die Dogmatik der Direktwirkungvon EG-Richtlinien und ihre Bedeutung für dasEG-Naturschutzrecht. ZUR 2002, S. 313-318.

Sonstiges Allgemeines Umweltrecht

Beiser, Reinhold: Die zeitliche Zuordnung vonAufwand aus der Anpassung an steigende Um-weltstandards. DB 2002, S. 2009-2010.

Bräuer, Dirk/Haase, Michael: Beweglich bleibenin der Kommune – Nationaler Radverkehrsplanund Umsetzung vor Ort. StuG 2002, S. 287-289.

Hentschel, Peter/Lüderitz, Volker/Schuboth, Ca-rola/Reichhoff, Lutz: Altwassersanierung im Bios-phärenreservat »Flutlandschaft Elbe« am Beispieldes Kühnauer Sees. NuL 2002, S. 57-63.

Herberg, Martin: Codes of Conduct und kom-munikative Vernunft. Rechtssoziologische Über-legungen zu den umweltbezogenen Selbstver-pflichtungen transnationaler Chemiekonzerne.ZfR 2002, S. 25-52.

Herma, Michael: Auftragsvergaberecht als Mittelzur Durchsetzung von Umweltschutz und Um-weltrecht – Zur Zulässigkeit nach dem Gemein-schaftsrecht de lege legata und de lege ferenda.NuR 2002, S. 8-13.

Ketzenberg, Christian/Exo, Klaus-Michael/Rei-chenbach, Marc/Castor, Martin: Einfluss vonWindkraftanlagen auf brütende Vögel. NuL2002, S. 144-153.

Leuschner, Claudia: Mit kleinen Mitteln zugroßer Wirkung – Klimaschutzprojekt der Agen-da-Gruppe Varel. StuG 2002, S. 351-352.

Oschmann, Volker: Vergütung von Solarstromnach dem EEG – aktuelle Rechtsfragen aus derPraxis. ZNER 2002, S. 201-205.

Portz, Norbert: Konfliktpotenzial Windenergie.StuG 2002, S. 129-131.

Sachse, Michael: Energiemanagement – Kosten-bremse für den Kämmerer. StuG 2002, S. 42-44.

Schanda, Reinhard/Zenke, Ines: Die Strom-märkte Deutschlands und Österreichs – einerechtsvergleichende Studie. ZNER 2002, S. 175-183.

Steinmetz, Christiane: Umweltprüfung für alleBauleitpläne sinnvoll – Ausschuss für Städtebauund Wohnungswesen in Paderborn. StuG 2002,S. 249-251.

Versteyl, Ludger-Anselm: Altölnovelle 2002: 12Jahre Anlauf und dann zu kurz gesprungen. ZUR2002, S. 318-325.

Immissionsschutzrecht

Birkl, Nikolaus: Festsetzungsmöglichkeit für Im-missionsgrenzwerte in Bebauungsplänen. UPR2002, S. 220-221.

Bitzer, Peter: Die Bedeutung der Grenz- undRichtwerte im privaten Immissionsschutzrecht –Anmerkung zum Urteil des BGH vom 6.7. 2001.BauR 2002, S. 1019-1021.

Schulze-Fielitz: Immissionsschutzrecht als Feldbundesstaatlichen Wettbewerbs? NuR 2002, S.1-8.

Atom- und Energierecht

Immenga, Ulrich: Vertikale Verflechtungen –Strategische Allianzen auf deutschen Ener-giemärkten – Konsequenzen für die Fusionskon-trolle. ZNER 2002, S. 152-158.

Säcker, Franz Jürgen/Boesche, Katharina Vera:Der Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundes-tages zum Energiewirtschaftsgesetz vom 28.Juni 2002 – ein Beitrag zur »Verhexung desDenkens durch die Mittel unserer Sprache«?ZNER 2002, S. 183-193.

Schwintowski, Hans-Peter: Risk Management imEnergiehandel. ZNER 2002, S. 171-175.

Gentechnikrecht

Blanke, Thomas: Notizen zur Gentechnologie-debatte vor der Verabschiedung des Stammzel-lengesetzes. KJ 2002, S. 346-357.

Sand, Inger-Johannes: The Legal Regulation ofthe Environment and New Technologies – InView of Changing Relations between Law, Poli-tics and Science. The Case of Applied GeneticTechnology. ZfR 2002, S. 169-206.

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ZEITSCHRIFTENSCHAU

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Zei t schr i f tenschau

Gefahrstoff- und Produktrecht

Deichmöller, Siegrid: Legaldefinitionen im Che-mikaliengesetz und in der Gefahrstoffverord-nung – Funktionen und Veränderungen in Me-thoden und Inhalten. ZG 2002, S. 167-180.

Abfallrecht

Beckmann, Martin/Hagman, Joachim: Das Ver-bot der Entsorgung landesfremder Abfälle inBrandenburg. LKV 2002, S. 351-356.

Beckmann, Martin: Ist die deutsche Abgrenzungzur Abfallbeseitigung und Abfallverwertungnoch zeitgemäß? – Eine Zwischenbilanz fünfJahre nach Inkrafttreten des KrW-/AbfG. NuR2002, S. 72-79.

Beckmann, Martin: Zur Bedeutung verbindlicherAbfallwirtschaftspläne bei der Vergabe öffentli-cher Entsorgungsaufträge. UPR 2002, S. 41-47.

Dolde, Klaus-Peter/Vetter, Andrea: Verwertungund Beseitigung bei der Verbringung von Abfäl-len zur Verbrennung zwischen EU-Mitglieds-staaten. UPR 2002, S. 288-295.

Grete, Dirk/Küster, Angela: Die Sicherheitslei-stung zur Sicherstellung der Nachsorgepflich-ten bei Abfallentsorgungsanlagen nach §§ 12Abs. 1 und 17 Abs. 4a BImSchG. NuR 2002, S.467-472.

Handke, Günther: Abfallwirtschaft im Bundes-staat – Perspektiven des föderalen Umwelt-schutzes am Beispiel der Abfallwirtschaft. UPR2002, S. 216-219.

Woller, Karl-Heinz: Die Bekämpfung des illegalenBetriebes von Abfallentsorgungsanlagen. LKV2002, S. 356-361.

Bodenschutz- und Altlastenrecht

Köck, Wolfgang: Boden- und Freiraumschutzdurch Flächenhaushaltspolitik – Eine einführen-de Problemskizze aus rechtlicher Sicht. ZUR2002, S. 121-125.

Louis, Hans Walter/Wolf, Verena: Bodenschutz inder Bauleitplanung. NuR 2002, S. 61-72.

Müller, Chris: Die gute fachliche Praxis der land-wirtschaftlichen Bodennutzung im Bundesbo-denschutzgesetz. AgrarR 2002, S. 237-247.

Peine, Franz-Joseph: Landwirtschaftliche Boden-nutzung und Bundesbodenschutzgesetz. NuR2002, S. 522-530.

Spieth, Wolf Friedrich/von Oppen, Matthias: Be-grenzung der Sanierungsverantwortung für Alt-lasten. ZUR 2002, S. 257-265.

Wasserrecht

Bongaerts, Jan C.: European Water Law: waterpolicy and water resources management inFrance: the projet de loi sur l`eau. EELR 2002, S.239-244.

Habel, Wolfgang: Der Auftrag des Landesge-setzgebers and die Wasserbehörden des Frei-staates Sachsen zur Umsetzung des § 91a Sächs-WG und was daraus geworden ist. Sächs.VBl.2002, S. 181-185.

Sönnichsen, Detlef/Gesch, Achim: Gewässer inOrtslagen. StuG 2002, S. 97-99.

Naturschutz-und Landschaftspflegerecht

Birthler, Wolfgang: Lust auf Nat(o)ur – Branden-burg im Internationalen Jahr des Ökotourismus.StuG 2002, S. 274-276.

Blab, Josef: Stellenwert und Rolle von Natur-schutzgebieten in Deutschland. NuL 2002, S.333-339.

Erdmann, Karl-Heinz/Schell, Christiane/Todt,Arno/Küchler-Krischen, Jonna: Natur und Ge-sellschaft: Humanwissenschaftliche Aspekte zumNaturschutz. NuL 2002, S. 101-104.

Gellermann, Martin: Das modernisierte Natur-schutzrecht. NVwZ 2002, S. 1025-1033.

Hendrischke, Oliver: Landwirtschaft im Baupla-nungsrecht. UPR 2002, S. 133-137.

Kugelmann, Dieter: Die Genehmigung als Ge-staltungsmittel integrierten Umweltschutzes –Abschied von der Kontrollerlaubnis? DVBl. 2002,S. 1238-1247.

Louis, Hans Walter: Das Gesetz zur Neuregelungdes Rechtes des Naturschutzes und der Land-schaftspflege (BNatSchG NeuregG). NuR 2002,S. 385-393.

Müller, Chris: Zum Verhältnis von Naturschutzund Landwirtschaft nach dem BNatSchG-Neu-regelungsgesetz. NuR 2002, S. 530-537.

Riecken, Uwe: Novellierung des Bundesnatur-schutzgesetzes: Gesetzlich geschützte Biotopenach § 30. NuL 2002, S. 397-406.

Spieth, Wolf Friedrich/Hong, Mathias: Wieder-nutzbarmachung als ausgleichspflichtiger Eingriff?Zum Verhältnis der bergrechtlichen Stillegung zurnaturschutzrechtlichen Eingriffsregelung. ZfB2002, S. 183-193.

Stich, Rudolf: Die Auswirkungen der Neufassungdes Bundesnaturschutzgesetzes auf die Bauleit-planung der Gemeinden. ZfBR 2002, S. 542-550.

Welge, Axel: Neues Gesetz stärkt den Natur-schutz. Städtetag 2002, S. 29-32.

Zucci, Herbert: Wildnis als Kulturaufgabe – einDiskussionsbeitrag. NuL 2002, S. 373-378.

Fachplanungsrecht

Ketteler, Gerd: Der Begriff der Nachhaltigkeit imUmwelt- und Planungsrecht. NuR 2002, S. 513-522.

Reinke, Markus: Stand und Perspektiven derLandschaftsplanung in Deutschland. NuL 2002,S. 389-396.

Schink, Alexander: Siedlungs- und Freiraument-wicklung in Nordrhein-Westfalen – Künftig einNullsummenspiel? VR 2002, S. 303-309.

Stüer, Bernhard/ Hönig, Dietmar: Raumordnungund Fachplanung im Widerstreit. UPR 2002, S.333-337.

Wilke, Torsten/ Schiller, Jens: Einführung zurBeitragsreihe »Stand und Perspektiven der Land-schaftsplanung in Deutschland.« NuL 2002, S. 388.

Sonstiges

Hösch, Ulrich: Steuerung durch Umweltab-gaben. WiVerw 2002, S. 141-165.

Schmidt, Alexander: Weiterentwicklung derLärmminderungsplanung. UPR 2002, S. 327-333.

Seelig, Robert/Gründling, Benjamin: Die Ver-bandsklage im Umweltrecht. NVwZ 2002, S. 1033-1041.

Seeliger, Per: Nutzung fremder Grundstückedurch Wasserwerke und Abwasserbehandlungs-anlagen in den neuen Bundesländern. LKV2002, S. 215-218.

Steeg, Helga: Risiken in der Energieversor-gungssicherheit – Ursachen und Strategien zuihrer Minderung. RdE 2002, S. 235-242.

Tettinger, Peter J.: Zum Thema »Sicherheit« imEnergierecht. RdE 2002, S. 225-235.

Wolf, Rainer: Windenergie als Rechtsproblem.ZUR 2002, S. 331-341.

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VZUR 1/2003

ImpressumHerausgeber und Redaktion: Verein für Umweltrecht e.V. • Große Fischerstr. 5 • 28195 Bremen • Tel. 0421/33 54 143 • Fax: 0421/33 54 141 • E-Mail: [email protected]

Schriftleitung: Dr. Harald Ginzky • RA Dr. Niels Griem (ViSdP) • Prof. Dr. Hans-Joachim Koch

Redaktion: Dr. Katja Böttger: Internationales Umweltrecht, Umweltstrafrecht, Klima-schutz, – Prof. Dr. Christian Calliess: Europäisches Umweltrecht – Dr. AndreasFisahn: Fachplanungsrecht, Naturschutzrecht, Allgemeines Umweltrecht –Dr. Harald Ginzky: Bodenschutz- und Altlastenrecht, Gentechnikrecht –Carola Glinski: Rechtsvergleichendes Umweltrecht, Naturschutzrecht – Dr. Ekkehard Hofmann: Umwelt und Verkehr – Jan Karstens: Abfallrecht –Prof. Dr. Wolfgang Köck: Immissionsschutzrecht, Allgemeines Umwelt-recht, Gefahrstoff- und Produktrecht – Dr. Malte Kohls: Bodenschutz- undAltlastenrecht – Dr. Silke R. Laskowski: Atomrecht, Privatisierung – Christian Maaß: Immissionsschutzrecht, Baurecht – Dr. Moritz Reese:Abfallrecht – Dr. Sabine Schlacke: Fachplanungsrecht, Gentechnikrecht,Rezensionen – Dr. Peter Schütte: Energierecht – Priv. Doz. Dr. BernhardWegener: Internationales Umweltrecht, Umweltinformationsrecht, Recht-sprechung – Ann-Katrin Wüstemann: Gewässerschutzrecht.

Verlag:Nomos-Verlagsgesellschaft • Waldseestr. 3-5 • 76520 Baden-Baden • Telefon (07221) 2104-0 • Fax: (07221) 2104-27

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AcP = Archiv für die civilistische Praxis 3/02 – AfK = Archiv für Kom-munalwissenschaften 2/02 – AgrarR = Agrarrecht 9/02 – AKP = Alter-native Kommunalpolitik 5/02 – altlasten-spektrum 5/02 – AnwBl = An-waltsblatt 10/02 – AöR = Archiv des öffentlichen Rechts 3/02 – ARSP =Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 3/02 – AVR = Archiv des Völk-errechts 3/02 – BauR = Baurecht 10/02 – BayVBl. = Bayerische Ver-waltungsblätter 18/02 – BB = Betriebs-Berater 40/02 – BodSch = Boden-schutz 3/02 – CMLR = Common Market Law Review 4/02 – DB = DerBetrieb 55/02 – DÖV = Die öffentliche Verwaltung 17/02 – DVBl. =Deutsches Verwaltungsblatt 19/02 – DVP = Deutsche Verwaltungs-praxis 10/02 – DZWiR = Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 8/02 –EELR = European Environmental Law Review 9/02 – EJIL = EuropeanJournal of International Law 4/02 – ELNI = ELNI-Newsletter 2/02 – ELR =European Law Review 5/02 – et = Energiewirtschaftliche Tagesfragen10/02 – EuGRZ = Europäische Grundrechte-Zeitschrift 10/02 – EuR =Europarecht 4/02 – EuZW = Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht20/02 – EWS = Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht 10/02 –GewArch = Gewerbearchiv 9/02 – ImmSch = Immissionsschutz 3/02 –JA = Juristische Arbeitsblätter 10/02 – JEL = Journal of European Law –Winter 02 – JEPP = Journal of European Public Policy 3/02 – JR = Juris-tische Rundschau 9/02 – Jura = Juristische Ausbildung 9/02 – JuS = Juristische Schulung 11/02 – JZ = Juristenzeitung 20/02 – KA = KA-Wasserwirtschaft, Abwasser, Abfall 10/02 – KGVR = KGV-Rundbrief3/02 – KJ = Kritische Justiz 3/02 – KritV = Kritische Vierteljahresschriftfür Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 3/02 – LKV = Landes- undKommunalverwaltung 8/02 – MDR = Monatsschrift für DeutschesRecht 20/02 – MM = Müllmagazin 3/02 – Müll&Abf = Müll und Abfall9/02 – NdsVBl. = Niedersächsische Verwaltungsblätter 9/02 – NJ =Neue Justiz 5/02 – NJW = Neue Juristische Wochenschrift 44/02 –NordÖR = Zeitschrift für norddeutsches öffentliches Recht 9/02 – NStZ= Neue Zeitschrift für Strafrecht 10/02 – NuL = Natur und Landschaft10/02 – NuR = Natur und Recht 9/02 – NVwZ = Neue Zeitschrift für

Ausgewertete Zeitschriften

Verwaltungsrecht 10/02 – NWVBl. = Nordrhein-Westfälische Ver-waltungsblätter 9/02 – NZBau = Neue Zeitschrift für Baurecht und Ver-gaberecht 10/02 – NZS = Neue Zeitschrift für Sozialrecht 10/02 – NZV= Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 10/02 – osteuR = osteuropa-Recht3/02 – RdE = Recht der Energiewirtschaft 9/02 – Rechtstheorie =Zeitschrift für Logik, Methodenlehre, Normentheorie und Soziologiedes Rechts 1/02 – RIW = Recht der internationalen Wirtschaft 9/02 –RJE = Revue Juridique de l’ environnement 3/02 – Sächs.VBl. = Säch-sische Verwaltungsblätter 10/02 – Staat = Der Staat 2/02 – Städtetag= Der Städtetag 9/02 – StuG = Stadt und Gemeinde 9/02 – StV =Strafverteidiger 10/02 – ThürVBl. = Thüringische Verwaltungsblätter9/02 – TransportR = Transportrecht 9/02 – UPR = Umwelt- undPlanungsrecht 9/02 – UVP-Report = UVP-report 10/02 – VBlBW = Ver-waltungsblätter Baden-Württemberg 9/02 – VersR = Versicherungs-recht 29/02 – Verw = Die Verwaltung 3/02 – VerwArch. = Verwaltungs-Archiv 3/02 – VR = Verwaltungsrundschau 9/02 – WiRO = Wirtschaftund Recht in Osteuropa 8/02 – wistra = Zeitschrift für Wirtschaft SteuerStrafrecht 4/02 – WiVerw = Wirtschaft und Verwaltung 3/02 – ZaöRV= Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 4/02– ZAU = Zeitschrift für Angewandte Umweltforschung 2/02 – ZEuP =Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 3/02 – ZEuS = Zeitschrift fürEuroparechtliche Studien 3/02 – ZfB = Zeitschrift für Bergrecht 1/02 –ZfBR = Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht 7/02 –ZfRS = Zeitschrift für Rechtssoziologie 1/02 – ZfU = Zeitschrift fürUmweltpolitik und Umweltrecht 3/02 – ZfW = Zeitschrift für Wasser-recht 3/02 – ZG = Zeitschrift für Gesetzgebung 3/02 – ZIP = Zeitschriftfür Wirtschaftsrecht 43/02 – ZLR = Zeitschrift für das gesamte Lebens-mittelrecht 5/02 – ZLW = Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht 3/02 –ZNER = Zeitschrift für Neues Energierecht 3/02 – ZRP = Zeitschrift fürRechtspolitik 10/02 – ZStW = Zeitschrift für die gesamte Strafrechts-wissenschaft 1/02 – ZUR = Zeitschrift für Umweltrecht 5/02

Page 70: Immissionsschutz Aufsätze - Nomos

5. UND 6. DEZEMBER 2002

Berlin

Kommunale Abfallwirtschaft

Aktuelle Trends und Handlungsperspektiven

Gemeinsame Fachtagung Difu/DST/VkU

In der Fachtagung wird eine aktuelle Standort-bestimmung vorgenommen und nach Perspek-tiven für eine gesicherte Zukunft der kommuna-len Abfallwirtschaft zwischen Kooperation undKonkurrenz gesucht. Zu fragen ist,

– durch welche Strategien und Kooperationeneiner geteilten Entsorgungsverantwortungsich Daseinsvorsorge und Wettbewerb in derkommunalen Abfallwirtschaft miteinandervereinbaren lassen;

– welche Perspektiven und Szenarien auf natio-naler und europäischer Ebene zum Verhältnisöffentlicher und privater Abfallwirtschaft dis-kutiert werden;

– auf welche Weise Rechts-, Planungs- und In-vestitionssicherheit für die öffentlich-rechtli-chen Entsorgungsträger hergestellt werdenkönnen und

Termine:

– wie Effizienzsteigerungen im Rahmen der öf-fentlich-rechtlichen Entsorgungsstrukturenzu erreichen sind.

Anfragen und Anmeldungen: Deutsches Institutfür Urbanistik (Difu)Ernst-Reuter-Haus, Straße des 17. Juni 112,10623 Berlin, Tel.: (030) 39001-258 o. – 259,Fax.: (030) 39001-268 o. – 100, e-mail:[email protected] oder [email protected], Internet:http://www.difu.de

19. DEZEMBER 2002 UND 16. JANUAR2003

Giessen, Justus-Liebig-Universität

Umweltrechtliches Praktikerseminar

19. Dez. 02, 18 Uhr c.t.: Prof. Dr. Walter Frenz,Rheinisch-Westfälische Technische HochschuleAachen, „Gemeinschaftsrechtliche Grenzen ei-nes Emissionshandels und nationale Umset-zungsspielräume“.

16. Jan. 03, 18 Uhr c.t.: Dr. Jorge Andres Bermu-dez Soto, Universidad Catolica de Valparaiso,Chile, “Umweltschutz in Chile unter besondererBerücksichtigung des Umweltverfassungsrechtsund der Umwelthaftung”.

Einzelheiten und etwaige Änderungen:http://www.uni-giessen.de/~g106/

17. UND 18. MÄRZ 2003

Trier

Die strategische Umweltprüfung (sog. Plan-UVP)als neues Instrument des Umweltrechts

Themen u.a.:– Entstehungsgeschichte, Funktion und we-

sentliche Inhalte der Richtlinie zur strategi-schen Umweltprüfung

– Bundesrechtliche Umsetzung– Kommunale Sicht– Verfahrensrechtliche Anforderungen

NOMOS Aktuell

NOMOS Verlagsgesellschaft

Interessenvertretung der Natur in den USA

Tine Stein

Mit vergleichendem Blick auf die deutsche Rechtslage

Nomos VerlagsgesellschaftBaden-Baden

Interessenvertretung der Natur in den USAIm Unterschied zum deutschen Recht kennt das US-amerikanische Umweltrecht einegewichtige Modifikation des Individualrechtsschutzsystems. In den USA könnenökologische Belange auf dem Klageweg stark gemacht werden. Die für Politik- wieRechtswissenschaftler gleichermaßen interessante Studie untersucht hierbei, welcheBedeutung Verfassung und Verfassungsrechtsprechung in ökologischen Auseinan-dersetzungen haben. Es zeigt sich nicht nur, daß die Verfassungsgerichtsbarkeitüber die Definitionsmacht verfügt, wie weit der gerichtliche Zugang von Vertreternökologischer Interessen reicht, sondern auch wie das Eigentumsgrundrecht als ›Boll-werk‹ vor umweltpolitischen Regulierungen erfolgreich in Stellung gebracht werdenkann. Die Studie bietet daneben einige vergleichende Einblicke in die entspre-chende deutsche Situation und rekonstruiert damit einen transatlantischen rechts-politischen Dialog zwischen den USA und der Bundesrepublik.

An die Ausführungen schließt sich eine umfangreiche Dokumentation an mit denentscheidenden Rechtstexten, ausgewählten und erläuterten Supreme Court-Urtei-len und den Vorschlägen für ein Umwelt-Amendment in der Bundesverfassung.

Dr. Tine Stein ist wissenschaftliche Assistentin im Arbeitsbereich Rechtliche Grund-lagen der Politik am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin.

Tine SteinInteressenvertretung der Natur in den USAMit vergleichendem Blick auf die deutsche Rechtslage2002, 135 S., brosch., 23,– €, 40,40 sFr, ISBN 3-7890-8232-5